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Deutsches Institut für Entwicklungspolitik / Latest News

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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Updated: 2 weeks 1 day ago

Ist eine radikale Technologieskepsis noch zeitgemäß?

Mon, 04/01/2019 - 11:24
Bonn, 01.04.2019. Vor vierzig Jahren wurde das Buch „Das Prinzip Verantwortung“ des jüdischen Philosophen Hans Jonas erstmals veröffentlicht. Auch wenn der Autor heutzutage nicht mehr jedem geläufig ist, so hat Jonas die umwelt-, energie- und technologiepolitische Debatte in Deutschland und darüber hinaus doch wesentlich geprägt. Zentrale These seines Werkes ist der von ihm erstmals explizit formulierte „ökologische Imperativ“. In Anlehnung an Immanuel Kant lautet dieser: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Seit den siebziger Jahren wurde die wachsende Bedrohung der menschlichen Existenz – zum Beispiel durch globale Umweltveränderungen – zunehmend deutlich. Hans Jonas großer Verdienst ist es, die damit einhergehenden Sorgen in einen verantwortungsethischen Rahmen gestellt zu haben. Angesichts erodierender planetarer Grenzen ist jedoch fraglich, ob seine Aussagen zu einer verantwortungsvollen Technologiewahl heute noch unbeschränkte Gültigkeit haben. Hans Jonas sieht technologischen Fortschritt – vor allem wenn er grundsätzliche Neuerungen hervorbringt – vorrangig als Gefahr und plädiert bei der Entscheidung für den Einsatz einer Technologie dafür, immer von dem schlimmsten annehmbaren Szenario auszugehen. Vierzig Jahre später müssen wir jedoch nüchtern feststellen, dass die Grenzen der Belastbarkeit von Ökosystemen nicht in erster Linie durch singuläre Ereignisse bei neuen Technologien überschritten werden. Seit dem Erscheinen von „Das Prinzip Verantwortung“ ist die Weltbevölkerung um mehr als 3 Milliarden Menschen angewachsen. Der Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen ist weltweit von 40 auf zehn Prozent gesunken. Es werden also die materiellen Bedürfnisse der Menschen zunehmend befriedigt – was wünschenswert ist. Dies führt aber gerade bei traditionellen Techniken, wie beispielsweise dem Brandrodungsfeldbau, zur Expansion der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf Kosten von Wäldern und der Biodiversität. Auch den Klimawandel kann man nur dann als Folge eines technologischen Wandels interpretieren, wenn wir die weit über hundert Jahre alte Verbrennung von fossilen Energieträgern im industriellen Maßstab als neue Technologie verstehen. Zu fragen ist daher, ob der ökologische Imperativ nicht auch mit dem Einsatz eher unbeliebter Technologien einhergehen kann – zumindest wenn diese eine wissenschaftlich und ethisch begründete Technikfolgenabschätzung durchlaufen haben. Dies zum Beispiel dann, wenn durch eine produktivere Landwirtschaft Ernährungssicherung trotz Klimawandels auf gleichbleibender Fläche gewährleistet werden kann oder wenn es Brückentechnologien ermöglichen, breit einsetzbare nachhaltige Lösungen zu entwickeln, wie bei der Energieversorgung. Zwei Beispiele verdeutlichen, wie schwierig es ist, bei der Technologiewahl sowohl die wissenschaftliche Evidenz zu ihren positiven und negativen Wirkungen zu berücksichtigen als auch diese Wirkungen angemessen ethisch zu reflektieren. So ist Deutschland vor wenigen Jahren aus der experimentellen Erprobung von Kohlenstoffabscheidung und -lagerung (Carbon Capture and Storage, CCS) ausgestiegen, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Der Hauptgrund war keine fundierte Kosten-Nutzen-Risiko-Abwägung, sondern eine diffuse Angst vor dieser Großtechnologie. Befürchtet wird beispielsweise, dass eingelagertes CO2 unkontrolliert wieder an die Oberfläche gelangt. Dies ist aber bei experimentellen CCS-Anlagen noch nie passiert. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist unbestritten das Gebot der Stunde. Jedoch: selbst wenn es möglich wäre, die gesamte Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umzustellen, können Emissionen aus industriellen Prozessen nur durch CCS vermieden werden. Wichtiger noch: Ohne eine signifikante CCS-Forschung fällt Deutschland als Partner für Entwicklungsländer aus, die in hohem Maße auf fossile Energieträger bauen müssen und bei denen ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energien aus ökonomischen und sozialen Gründen kaum zu erwarten ist. Dies betrifft Länder wie Südafrika und Indien, deren Klimagasemissionen einen zunehmenden globalen Anteil haben. Südafrika verfolgt seit Jahren eine eigene CCS-Strategie. Dabei wäre das Land an einer Zusammenarbeit mit dem traditionell forschungsstarken Deutschland sicher interessiert. Neue gentechnische Methoden (Gene Editing, CRISPR-CAS9) werden in Deutschland ähnlich abgelehnt wie klassische Gentechnik. Einige Biotechnologieexperten meinen jedoch, dass Gene Editing risikoarm ist und vor allem traditionelle Pflanzenzüchtung beschleunigen kann, dabei zielgerichteter und ressourcensparender ist. Zudem habe die Technologie das Potenzial, die CO2-Absorption durch Bäume ebenso zu erhöhen wie die Resistenz von Nutzpflanzen gegen die Folgen des Klimawandels: Beides ist aus klima- und entwicklungspolitischen Gründen wünschenswert. Der ökologische Imperativ ist aus heutiger Sicht durchaus auch mit einer offenen Haltung gegenüber neuen Technologien zu verbinden. Zumindest sollten weitreichende gesetzliche und regulatorische Entscheidungen, die ihre Nutzung unterbinden, mehr als bisher auf einer wissenschaftlich und ethisch begründeten Bewertung von Nutzen und Risiken beruhen. Da Technologien zunehmend auf globale Herausforderungen reagieren, sollte Technikfolgenabschätzung auch auf multilateraler Ebene erfolgen. Solche Ansätze zu entwickeln ist ein Gebot der Stunde. Das DIE veranstaltet zu diesem Thema eine Vortragsreihe: Forty years after the „Imperative of Responsibility“ – Ethics of technology in times of eroding planetary boundaries

Die Bedeutung der SDGs für Afrikas Klimapolitik

Mon, 03/25/2019 - 09:00
Bonn, 25.03.2019. Mit der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens und der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) rückt seit 2015 gegenüber der Aushandlung klimapolitischer Ziele zunehmend deren Umsetzung in den Blickpunkt. Als Teil ihrer klimapolitischen Verpflichtungen legten afrikanische Länder ihre Nationally Determined Contributions (NDCs) im Einklang mit den SDGs vor, wobei insbesondere das „Klimaziel“ SDG 13 ein Bindeglied darstellt. Generell markierten die NDCs einen Perspektivwechsel im internationalen Klimaschutz, in dem sie „bottom up“ die nationalen Prioritäten und Fähigkeiten der Länder berücksichtigten. Dadurch ermöglichten sie auch den am stärksten verwundbaren Ländern, sich entgegen der fest etablierten Nord-Süd-Logik der Klimaverhandlungen auf Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verpflichten. Die NDCs bereiteten somit den Boden für eine wirklich globale Klimapolitik. Eng verknüpft mit den SDGs bedeutet dies für die Klimapolitik afrikanischer Länder vor allem dreierlei: Erstens knüpften zahlreiche afrikanische Länder die Umsetzung ihrer NDCs an die Bedingung internationaler Unterstützung, etwa durch den Aufbau entsprechender Kapazitäten, Technologietransfer und Klimafinanzierung. Diese Forderungen waren nicht neu, konnten aber mithilfe der NDCs präzisiert werden. Im Abgleich mit SDGs kann Unterstützung gezielter erfolgen. Zudem tragen die Forderungen zu ambitionierteren NDCs bei und stärken die Verknüpfung mit den SDGs. Zweitens bezieht die veränderte klimapolitische Landschaft substaatliche und nicht-staatliche Akteure mit ein, was zusätzliche Wege zu einem stärkeren Klimaschutz eröffnet. Durch die Identifizierung solcher Akteure und der Bereiche, in denen sie sich engagieren können, wurden NDCs zu einem Instrument, um auch primär SDG-orientierte Akteure klimapolitisch einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für SDG 17 zu Partnerschaften . Auch neue, über die im Rahmen der engeren Klimapolitik entwickelten Finanzierungsmechanismen hinausreichende Quellen der Klimafinanzierung wurden so deutlich. Die Afrikanische Entwicklungsbank und andere multilaterale Banken haben ihr Augenmerk zunehmend darauf gelegt, Klimafinanzierung und sauberen Energietechnologien zum Durchbruch zu verhelfen, zum Beispiel über den Fonds für nachhaltige Energie für Afrika. Die Verknüpfung der NDC-Umsetzung mit SDG 7 (bezahlbare und saubere Energie) könnte somit dazu beitragen, den Zugang zu Energie auf dem gesamten Kontinent zu verbessern, was für viele afrikanische Länder hohe Priorität hat. Die Verknüpfung von NDCs und SDGs rückte auch Bereiche in den Vordergrund, die bei der bisherigen klimapolitischen Umsetzung oft übersehen wurden. Beispielsweise macht die rasante Urbanisierung in Afrika Städte zu wichtigen Akteuren im Kampf gegen den Klimawandel. SDG 11 zu nachhaltigen Städten und Gemeinden rückt dies in den Fokus. Der Beitritt zu den zahlreich entstehenden transnationalen Klimanetzwerken würde es afrikanischen Städten ermöglichen, mit anderen Städten zusammenzuarbeiten, Wissen und Erfahrungen auszutauschen und so ihre Fähigkeiten im Kampf gegen den Klimawandel auszubauen. Dies würde nationale Klimaschutzmaßnahmen sinnvoll ergänzen. Drittens ist es wichtig, die Beziehungen zwischen afrikanischen Ländern und Europäischer Union (EU) zu stärken, insbesondere wenn es darum geht, vermittels der NDCs die Umsetzung der SDGs zu unterstützen. Die EU war und ist ein wichtiger Partner bei der Förderung der Klimapolitik in Afrika. Klimawandel und Energie wurden im Rahmen des AU-EU High Level Policy Dialogue on Science, Technology and Innovation als zweite Priorität identifiziert. Die starke Verknüpfung des Klimawandels mit dem Zugang zu nachhaltiger Energie unterstreicht die Wichtigkeit, die Umsetzung der SDGs im breiteren Kontext der NDCs anzugehen. Der gezielte Ausbau bestehender Partnerschaften, beispielsweise des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierten und von der AU-Kommission umgesetzten Comprehensive Africa Agriculture Development Programme (CAADP), würde es zudem ermöglichen, sich auch in der Landwirtschaft auf die von den afrikanischen Ländern benannten NDC-Schwerpunkte zu konzentrieren. Auch die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen in der EU und Afrika stärken gegenseitiges Lernen und innovative Kooperationen. Das DIE und das African Centre for Technology Studies (ACTS) arbeiteten bei der Entwicklung des NDC-Explorer eng zusammen. Zudem war ACTS 2016/17 Gastgeber des DIE-Postgraduierten-Programm, um die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und SDGs in kenianischen Städten zu untersuchen. Solche Kooperationen verbessern das Verständnis und die Zusammenarbeit zwischen afrikanischen Ländern und der EU. Afrikanische Länder sollten bei der Umsetzung ihrer NDCs generell darauf zielen, Synergien mit den SDGs zu schaffen. Der Abgleich der Ziele unterstützt ihr lange erklärtes Ziel, Klimaschutzmaßnahmen im Rahmen einer umfassenderen Agenda für nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen. Kennedy Mbeva and Joanes Atela, African Centre for Technology Studies (ACTS)

Rwanda makes its own rules

Tue, 03/19/2019 - 10:00
Bonn, 19 March 2019. It is difficult to find countries in sub-Saharan Africa where forms of South–South Cooperation (SSC) are not visible. Rwanda is no exception, with the presence of China, in particular, in various parts of the country. China’s funding and construction of a new building for Rwanda’s Prime Minister’s Office and four ministries is an example of its aid approach (‘ready-to-use’ infrastructure support); and visits by President Xi Jinping and India’s prime minister, Narendra Modi, to Kigali in 2018 have reinforced Rwanda’s position as a ‘small big country’. SSC has been an important trend for Rwanda in the last 10 to 15 years, as it has for other African countries, and for developing regions beyond the African continent. What marks out Rwanda as different is its requirement that SSC providers be guided by Kigali’s own aid policy: the Rwandan government demands more transparency, alignment with government priorities and donor coordination not just from traditional donors, but from SSC providers too. Kigali is designing a new way to conduct South–South Cooperation, an approach based on Rwanda’s concept of itself as a ‘developmental’ state. A central feature of this is Rwanda’s locally inspired system of concepts for enhancing the development of the country. Home Grown Solutions (HGS) is the umbrella term, which is even trademarked to frame a number of Rwandan concepts, such as Imihigo (performance contracts at all levels of the country) and Umuganda (community work by the whole population), with strong links to the country’s cultural heritage. These Home Grown Solutions are expected to contribute significantly to Rwanda’s ambition to transition from a least developed country (LDC) to an upper-middle income country (UMIC) by 2035, and a high-income country (HIC) by 2050. Learning from Rwanda? Many of the Home Grown Solution concepts are famous elsewhere in Africa and beyond for pushing the development agenda of a country with very limited financial resources and several additional constraints, such as a high population density and a landlocked economy with a small domestic market. In 2018 alone, around 300 delegations from other countries came to Rwanda to have a closer look at Home Grown Solutions. For the country’s public institutions, with their lean structures and capacities, this created quite a workload, as government employees devoted time to explaining their experiences and methods to the visitors. Even more significantly, Rwanda started to support other African countries by sending staff to provide expertise. On the request of the government of Benin, Rwanda has assigned an expert to spend 18 months advising the presidency in Cotonou on how to reform the link between the public and private sectors.
Rwanda has used its own experiences as a starting point for professionalising and upscaling what it is already doing. In September 2018, the government founded the Rwanda Cooperation Initiative (RCI). RCI is a private company and is now in charge of taking care of incoming delegations as well as providing short- and long-term advisory services to other countries. These activities are explicitly seen as Rwanda’s own South–South Cooperation approach. RCI started as a small entity with eight professionals but an upscaling to 20 staff members is already underway. Services provided by RCI need to be paid for: this might be by a foreign government interested in Rwanda’s knowledge, or a study tour initiated and paid for by a donor, or by the Rwandan government itself. In addition, RCI might also be able to offer its expertise as an agency in a future triangular cooperation constellation. Rwanda’s SSC move could turn out to be an important investment; the country’s reputation and influence on the African continent and beyond is linked to its proactive role in recent years. This is clearly visible, not least in President Paul Kagame’s role as chair of the African Union (until February 2019) and in the role of Louise Mushikiwabo, the former Rwandan minister for foreign affairs, as the new leader of the Francophonie. Thus, SSC can contribute to the country’s soft power ability. At the same time, RCI might even be a wise commercial investment. If the demand to learn from Rwanda’s Home Grown Solutions continues to grow, SSC could become an important and profitable pillar of Rwanda’s quest to be a service hub. Thus, Rwanda’s approach might serve as an inspiration for new debates on SSC. The upcoming Second High-Level United Nations Conference on South–South Cooperation (BAPA+40) in Buenos Aires (20–22 March 2019) should be a great opportunity for such a discussion.

This article was published online first on Le Monde diplomatique – English Edition.

Privatisierungsrisiko zu Lasten der Menschen

Mon, 03/18/2019 - 10:12
Bonn, 18.03.2019. Der Weltwassertag 2019 konzentriert sich auf die rund 2,1 Milliarden Menschen auf der Welt, die noch immer keinen Zugang zu sicherem Wasser haben. 80% der Länder im globalen Süden verfügen über unzureichende öffentliche Finanzmittel, um die nationalen Wasser-, Sanitärversorgungs- und Hygieneziele (WASH) zu erreichen und die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) für WASH ist rückläufig. Daher besteht eine große Finanzlücke, um das Nachhaltigkeitsziel (SDG) 6: „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten“ zu erreichen. Obwohl öffentliche Finanzmittel und ODA weiterhin eine Schlüsselposition bei der Finanzierung einnehmen, ist das Interesse an der Mobilisierung des Privatsektors, um die Lücke finanziell zu schließen, größer. Hierbei müssen Regierungen und Geberländer jedoch sicherstellen, dass die Umsetzung des SDG nicht der Privatisierung kommunaler Wasserversorgungssysteme Vorschub leistet. In vielen Ländern des globalen Südens organisieren Gemeinden die Wasser- und Sanitärversorgung selbständig, da der Staat keine entsprechenden Maßnahmen ergreift. In Lateinamerika und der Karibik allein versorgen fast 80.000 kommunale Wasser- und Sanitärversorger mehr als 70.000.000 Abnehmer. Diese Einrichtungen organisieren ihre Versorgungssysteme häufig auf der Basis von solidarischen und wechselseitigen Beziehungen. Hierbei handelt es sich nicht um eine romantisierte Vorstellung, sondern um einen tatsächlichen Zustand, der die Gemeinden befähigt, Wasser innerhalb eines bestimmten geographischen Raumes und einer soziohydrologischen Situation zu schützen, zu entnehmen, aufzubereiten und zu verteilen sowie diese Systeme über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Kommunale Wasserversorger betrachten Wasser außerdem als ein soziales Gut mit traditionellen, historischen und spirituellen Dimensionen, die seine Bewirtschaftung und die Versorgung bestimmen. Wassergebühren zur Unterhaltung des Systems werden auf kommunaler Ebene mit dem Ziel festgelegt, den Mitgliedern ein würdevolles Leben zu ermöglichen und orientieren sich nicht an der Maximierung von Profit. In einigen Fällen wird Wasser älteren Menschen oder Menschen in wirtschaftlichen Notsituationen kostenlos zur Verfügung gestellt. Manchmal werden Wassergebühren nicht in Form von Geld, sondern durch Sachleistungen beglichen, wie Reparatur- und Wartungsarbeiten am System (z.B. Abdichtung von Wasserquellen, Wartung von Aufbereitungsanlagen und Leitungen, administrative Arbeiten) oder gemeinnütziger Arbeit (z.B. Unterhaltung von Straßen, Organisation von Festen). Durch den Aufbau von auf gegenseitigem Vertrauen und Unterstützung basierenden Beziehungen stärken Wasserversorgungssysteme soziale Netzwerke und machen aus dem Gut Wasser eine Art sozialen Klebstoff. Sowohl die Millenniums-Entwicklungsziele als auch das Engagement für Wasser als universelles Recht sowie für SDG 6 haben diverse Reformen angeregt, die kommunale Wasserversorgungssysteme auf unerwartete Weise und ungewollt beeinflussen können. In Kolumbien zum Beispiel schüren das Streben nach verbessertem Zugang zu Wasser und die Suche nach Synergien mit dem Privatsektor Bedenken in Hinblick auf die Privatisierung der kommunalen Wasserversorgungssysteme. Die Schaffung von Anreizstrukturen für  private Wasserversorger soll zu Investitionen in die Erweiterung der Infrastruktur, die Verbesserung der Wasserqualität, zu bezahlbaren Wassergebühren und zur Versorgung aller Menschen führen. Für kommunale Wasserversorgungssysteme steigern sie jedoch den Druck, sich an den Privatsektor anzupassen, indem sie ein privatwirtschaftliches Geschäftsmodell übernehmen. Diese Übernahme geht einher mit der Durchsetzung geschäftsähnlicher Leistungsstandards und der Gefahr, dass bei Nichterfüllung der Standards die Bewirtschaftung der Wasserressourcen an Privatunternehmen, die benachbarte Versorgungssysteme betreiben, übergeben werden kann, um hierdurch Skaleneffekte bei der Investition in Wasserversorgungssysteme zu erzielen. Dieses Bewirtschaftungsmodell macht Gemeinden und deren Mitglieder vom Management eines Systems, welches sie selbst gebaut haben, zu Kunden bei Privatversorgern – eine Position, die sie den Schwankungen des Marktes und fluktuierenden Preisen aussetzt. Ungeachtet der vielen Vorteile, die ein universelles Ziel für WASH beinhaltet, zeigt das Beispiel Kolumbiens, wie wichtig Kontextsensitivität ist. Entscheidungsträger müssen sich möglicher Zielkonflikte bewusst sein und die Bedeutung der Gemeinden als Bewirtschafter natürlicher Ressourcen, und Wasser im Besonderen, anerkennen. Um SDG 6 zu erreichen und die Wasserversorgung für alle Menschen sicherzustellen, müssen weiterhin ODA-Mittel in einem Maß zur Verfügung gestellt werden, das den Druck auf öffentliche Mittel für Wasserinfrastruktur mindert. Gleichzeitig ist es wichtig, kommunale Wasser- und Sanitärversorgungseinrichtungen rechtlich anzuerkennen und zu unterstützen sowie öffentliche Gemeindepartnerschaften zu fördern, die die Gemeinden bei der Verbesserung ihrer Dienstleistungen unterstützen. Hier könnten Synergieeffekte entstehen, bei denen der öffentliche Sektor, Privatunternehmen und Gemeinschaftsorganisationen gemeinsam zur Verbesserung und Sicherung der Verfügbarkeit und zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle beitragen.

Modicare kann Indiens armer Bevölkerung helfen

Mon, 03/11/2019 - 09:00
Bonn, 11.03.2019. Indien hat Ende letzten Jahres damit begonnen, die größte Krankenversicherung der Welt aufzubauen. Insgesamt plant die Regierung bis zu 500 Millionen Haushalte zu versichern. Die Reform wird landläufig nach dem indischen Premierminister als „Modicare“ benannt. Wenn das neue Programm funktioniert, wäre dies ein wichtiger Schritt der sozialen Sicherung für viele arme Familien und könnte als Vorbild für eine armutsreduzierende Krankenversicherung in anderen Ländern gelten. Unterstützt wird Indien bei der Implementierung durch Maßnahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Zudem wird ein Forschungskonsortium unter Beteiligung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) das Programm in den nächsten Jahren wissenschaftlich begleiten. Indien spielt bei der Inklusion armer Bevölkerungsteile in das Gesundheitssystem schon längere Zeit eine wichtige Rolle. Das Land in dem fast die meisten Menschen in absoluter Armut leben (umgerechnet weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag zur Verfügung), hat schon seit 2008 eine steuerfinanzierte Krankenversicherung (RSBY) gezielt für arme Haushalte einge-führt. 41 Millionen arme Haushalte sind derzeit durch dieses Programm beitragsfrei versichert. Um das bestehende System auszuweiten, wurden nun formale Anmeldungsverfahren als Zugangsbarrieren abge-schafft, das Gesundheitspaket ausgeweitet, die Versicherungssumme um das 17-fache auf umgerechnet rund 6.000 Euro pro Haushalt erhöht und weitere 60 Millionen ärmere Haushalte zusätzlich in die Versicherung aufgenommen. Arme Haushalte sind besonders stark gesundheitlich gefährdet. Bei fehlender Krankenversicherung müssen sie im Falle von schweren Krankheiten große Teile ihres Einkommens für Krankenhausrechnungen aufwenden. Häufig sind sie auch gezwungen, Produktionsgüter wie Nutztiere zu verkaufen, Kredite mit überhöhten Zinsen aufzunehmen oder Kinderarbeit zuzulassen. Die Folge ist, dass sie dadurch weiter verarmen oder arm bleiben. Staatliche und private Anstrengungen auf nationaler und lokaler Ebene sind daher wichtig, um die Einbeziehung armer Bevölke-rungsgruppen in Krankenversicherungen zu gewährleisten. Um sicherzustellen, dass arme Bevölkerungsteile in Krankenversicherungen einbezogen werden und diese auch nutzen, sollten Länder wie Indien drei Faktoren berücksichtigen. Erstens sind sowohl die Identifizierung armer Bevölkerungsteile und die Definition eines angemessenen und für den Staat finanzierbaren Gesundheitspakets von zentraler Bedeutung. Zweitens hängt der Erfolg von effektiven Öffentlichkeitskampagnen, sowie vom Vorhandensein angemesse-ner rechtlicher Rahmenbedingungen ab. Beide Elemente sind erforderlich, um sicherzustellen, dass die Ärmsten ihre Rechte und die Vorteile der Krankenversicherung kennen und diese dann auch nutzen. Drittens reicht es nicht einfach aus, dass die Ärmsten beitragsfrei versichert sind. Schlechte Ausstattung der Krankenhäuser, fehlende Ärzte, lange Wartezeiten oder hohe informelle Zuzahlungen können die Bemühungen um einen besseren Zugang zu öffentlichen Gesundheitsdiensten zunichtemachen. Die Versorgungsqualität im Gesundheitssystem ist deshalb ebenso wichtig wie eine Krankenversicherung. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sollte unter Berücksichtigung der genannten Faktoren den Ausbau flächendeckender Krankenversicherungen weiter fördern. Eine gute Gesundheitsversorgung ist ein wichtiger Baustein zur Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung und Determinante für wirtschaftliche Entwicklung und Armutsreduzierung. Es bleibt abzuwarten ob es der indischen Regierung gelingt ihre ambitionierten Pläne umzusetzen und eine Krankenversicherung aufzubauen, die die oben genannten Faktoren berücksichtigt. Kritiker haben bereits die Unterfinanzierung der Versicherung moniert. Das Budget der Versicherung für das erste Jahr beläuft sich auf nur knapp 300 Millionen US-Dollar (0,01 Prozent des BIP). Die Entwicklung im indischen Gesundheitsbereich sollte deshalb in den nächsten Jahren genau verfolgt werden. Die neue Krankenversicherung in Indien bietet die große Chance Millionen armer Haushalte vor hohen Krankheitskosten zu schützen und herauszufinden welche Wirkungen dies entfaltet. Im Auftrag des indischen Gesundheitsministeriums und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wird ein Forschungskonsortium, bestehend aus der Universität Heidelberg, dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), der City Universität London und zwei indischen Partnern, die Implementierung der Krankenversicherungsreform in den nächsten Jahren wissenschaftlich begleiten. Ziel wird es sein, die Wirkungen der Krankenversicherung zu untersuchen und zu messen, inwieweit diese die Inklusion armer Bevölkerungsteile in das Gesundheitssystem verbessert. 

Die neue deutsche Verantwortung in der europäischen Afrikapolitik nach dem Brexit

Mon, 02/25/2019 - 11:17
Bonn, 25.02.2019. Alle Augen sind dieser Tage auf das House of Commons in London gerichtet. In Brüssel hat sich die politische Dynamik schon seit dem britischen Referendum in 2016 grundlegend verändert. Dies betrifft auch die europäische Afrikapolitik, wo Großbritannien vorher eine Hauptrolle spielte, aber heute auf europäischer Bühne fast nicht mehr wahrnehmbar ist. Nach dem Brexit muss die EU ihre Zusammenarbeit mit Afrika neu justieren. Deutschland hat in naher Zukunft mehrere Gelegenheiten, um die Neuausrichtung proaktiv mitzugestalten: die Verhandlungen zum nächsten EU-Haushalt, die Verhandlungen zum Post-Cotonou Abkommen mit den Afrikanischen-, Karibischen und Pazifikstaaten (AKP) und den Amtsantritt der neuen Europäischen Kommission. Für europäische Kooperation mit Afrika stellen sich nach dem Brexit drei grundsätzliche Fragen: Inwiefern verändern sich die Ziele, Interessen, Strategien und Instrumente der EU? Ändert sich die Attraktivität von Europa für afrikanische Partner und die Erwartungen der Partner an Europa? Und wie kann die EU ihre Beziehungen zu Großbritannien in der Afrikapolitik neu gestalten? Mehr Wettbewerb in der Wirtschaftskooperation Der Wettbewerb in der Wirtschaftskooperation mit Afrika hat in den letzten Jahren durch die stärkere Präsenz von China und anderen Akteuren zugenommen. Der Austritt Großbritanniens schwächt die globale EU-Position, auch wenn die EU-27 auf absehbare Zeit der wichtigste Handelspartner Afrikas bleiben. Die engen Wirtschaftsbeziehungen Großbritanniens sind auf einige wenige, aber wirtschaftlich wichtige Länder wie Nigeria, Südafrika oder Kenia konzentriert. Inwiefern Großbritannien hier in einen stärkeren Wettbewerb mit der EU tritt und beispielsweise versucht afrikanischen Partnern attraktivere und entwicklungsfreundlichere Handelsabkommen anzubieten, wird auch davon abhängen, ob das Land wie angekündigt die Beziehungen zu den Ländern des Commonwealth neu ausrichtet. Frieden und Sicherheit: Chancen für Kooperation Großbritannien ist durch die signifikanten finanziellen sowie politischen Beiträge in der EU traditionell eine treibende Kraft der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik in Afrika. Es setzt dabei besonders auf Konfliktprävention und Friedensförderung. Regional hat Großbritannien sich insbesondere für die Konfliktbearbeitung am Horn von Afrika eingesetzt, während Frankreich sich stärker in Westafrika einbringt. Auch Deutschland hat sich in den letzten Jahren stärker im Bereich Frieden und Sicherheit engagiert. Der im Januar unterzeichnete Vertrag von Aachen betont die Bedeutung von Frieden und Sicherheit für die deutsch-französische Kooperation mit Afrika. Konfliktprävention und Friedensförderung sind auch nach dem Brexit vermutlich Bereiche, in denen EU-Kooperation mit Großbritannien im gemeinsamem Interesse ist. Wer übernimmt die Rolle des „Agenda-Setters“ in der Entwicklungspolitik? Großbritannien ist in Afrika der viertgrößte europäische Geber – nach den EU-Institutionen, Frankreich und Deutschland. In Ländern wie Simbabwe, Malawi, Tansania, Uganda, Äthiopien oder Somalia sind britische Gelder besonders wichtig. Mit Ausnahme von Äthiopien sind dies Länder, die weder bei migrationspolitischen Initiativen wie beispielsweise dem EU-Treuhandfonds für Afrika oder bei der Förderung von Investitionen besonders im Fokus stehen. Die EU muss prüfen, inwiefern innerhalb dieser Länder auch nach dem Brexit eine enge entwicklungspolitische Kooperation mit Großbritannien möglich und sinnvoll ist. Jenseits der wichtigen finanziellen Beiträge wird Großbritannien vor allem als agenda setter in der europäischen (und globalen) Entwicklungspolitik fehlen. Großbritannien hat sich eingesetzt für Themen wie die Ergebnisorientierung der Entwicklungszusammenarbeit, Genderförderung, und für die Fokussierung auf Niedrigeinkommensländer. Darüber hinaus hat Großbritannien sich innerhalb der EU traditionell für die Förderung von Menschenrechten und guter Regierungsführung in Afrika stark gemacht. Wer diese Themen innerhalb der EU künftig vorantreibt und die europäische Entwicklungspolitik inhaltlich prägt, ist unklar. Neue deutsche Verantwortung Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen in der Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnern stärker gemeinsam handeln. Angesichts der strukturelle Herausforderungen afrikanischer Gesellschaften und des stärkeren internationalen Wettbewerbs (beispielsweise mit China) verlieren bilaterale Einzelmaßnahmen einzelner EU-Mitgliedsstaaten an Relevanz. Schon jetzt erwächst damit für Deutschland mehr Verantwortung, sich nicht nur bilateral, sondern auch in der europäischen Afrikapolitik stärker gestaltend einzubringen. Deutschland kann und sollte dabei nicht alleine voranschreiten, aber muss sich aktiv um (neue) Koalitionen und Allianzen bemühen – nicht nur mit Frankreich, sondern auch mit anderen Mitgliedsstaaten.

Was die Münchner Sicherheitskonferenz über die internationale Ordnung Anfang 2019 aussagt

Mon, 02/18/2019 - 12:58
Bonn, 18.02.2019 Seit der Münchner Sicherheitskonferenz vom vergangenen Wochenende ist ein Zitat des italienischen Philosophen Antonio Gramsci in aller Munde: „Das Alte stirbt, das Neue ist noch nicht geboren.“ Der Satz soll jene Krise beschreiben, in der sich die internationale Ordnung Anfang 2019 befindet. Alarmstimmung macht sich breit. Zu den bekannten Krisenherden der letzten Jahre (Syrien, Jemen, Iran, Ukraine; Brexit, Trump, Handelskriege) kommt – zumindest aus europäischer Sicht – nun noch ein neuer hinzu: Der INF-Vertrag über die Abschaffung nuklearer Mittelstreckenraketen, der 1987 zwischen USA und UdSSR geschlossen wurde, steht vor dem Aus. Sorgen vor einem neuen Wettrüsten, einem „Comeback der Atombombe“ werden artikuliert. Und während die globalen Streitpunkte mehr werden, nimmt die Bereitschaft, nach kooperativen Lösungen zu suchen, bei wesentlichen Akteuren wie Russland und den USA weiter ab. Stattdessen werden Abschottung und Konfrontation propagiert. Die Wahrnehmung des Ordnungsverlusts ist nicht neu: Schon vor einem halben Jahrzehnt sprach der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier von einer „Welt aus den Fugen“. Damals hatte Russland die Krim annektiert. Inzwischen wirkt es, als habe sich die Krise ins Innere der liberalen Weltordnung gefressen. Großbritannien schlittert planlos in den Brexit, weil seine politische Klasse glaubt, sich die Welt einfacher machen zu können, als sie ist. US-Präsident Trump erklärt unermüdlich seine Verachtung für Recht und Verfassung und reißt damit verbal jene Grenze ein, die liberale Demokratien von populistischen Autokratien unterscheidet. Polen und Ungarn schreiten ebenfalls auf diesem Weg voran – Ausgang ungewiss. In dieser Lage hat das absehbare Ende des INF-Vertrags in den letzten Wochen zu intensiven Diskussionen über militärische und andere sicherheitspolitische Reaktionen geführt. Bisweilen schien gar eine gewisse Erleichterung zu herrschen, nach all den Jahren des komplizierten „erweiterten“ Sicherheitsbegriffs wieder über klassische Fragen wie Sprengköpfe, Raketenreichweiten und Abschreckung reden zu können. Endlich ein Problem, das man wenigstens mit den bekannten Begriffen beschreiben kann. Allein schon deshalb hat die Debatte über nukleare Rüstung in Europa das Potenzial, viel politische und öffentliche Aufmerksamkeit zu binden. Doch es wäre fatal, wenn es zu einer einseitigen Fixierung auf Rüstung und Waffensysteme käme. Denn die Herausforderung, eine neue globale Ordnung zu errichten, die die Bewältigung der großen Zukunftsfragen der Menschheit erlaubt (Klimawandel, globale Teilhabe), wird dadurch nicht verschwinden. Daher war es wichtig, dass führende Vertreterinnen aus Europa, allen voran die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Bundeskanzlerin Angela Merkel, in München ausdrücklich für eine moderne Sicherheitspolitik warben, die über das Militärische hinausgeht und etwa auch Entwicklungs-, Klima- und Handelspolitik sowie Diplomatie und Cybersicherheit umfasst. Weniger Beachtung fanden in München die nicht-militärischen Bemühungen, die die EU, Deutschland und viele andere Geber seit langem finanzieren, um weltweit Friedensprozesse nach bewaffneten Konflikten zu stabilisieren und konsolidieren. Auch sie leisten wichtige Beiträge zu einer friedlichen globalen Ordnung. Anders als es im harten Realismus klassischer Sicherheitspolitiker oft erscheint, ist zivile Friedensförderung keine idealistische Träumerei. Im Gegenteil, jüngste Forschung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) belegt: Internationale Bemühungen um Friedenserhaltung in Ländern, die einen Bürgerkrieg erlebt haben, lohnen sich. Es gibt keine Erfolgsgarantie – aber eine realistische Erfolgschance, wenn früh die Weichen externer Hilfe in die richtige Richtung gestellt werden, so wie in den 2000er Jahren in den westafrikanischen Ländern Liberia und Sierra Leone. Wird hingegen auf substanzielles Engagement verzichtet, wie dies etwa nach Gewaltkonflikten im Tschad, in Uganda oder Jemen der Fall war, endet dies nahezu immer in einem Rückfall in Gewalt. Vor allem ein umfassendes Unterstützungspaket, das politisches Engagement und wirtschaftliche Hilfe damit verbindet auch bei der innergesellschaftlichen Überwindung von Konfliktlinien zu unterstützen und Sicherheit für die Menschen zu schaffen, kann Frieden sichern helfen. Besonders bemerkenswert: Wo Konfliktparteien sich darauf eingelassen haben, in Zukunft demokratische Spielregeln anstelle von bewaffneter Auseinandersetzung zum Zuge kommen zu lassen, kann die externe Unterstützung von Institutionen, die fairen Wettbewerb ermöglichen und zugleich Machtausübung wirksam begrenzen, entscheidend sein. Sie tragen dazu bei, dass das demokratische Wechselspiel von Sieg und Niederlage nicht neue Gewalt hervorbringt, sondern Kooperation zwischen bislang unversöhnlichen Gegnern möglich wird. Nichts verringert das Risiko gewaltsamer Konflikte in einer Gesellschaft mehr als wirksame Institutionen, die alle Beteiligten fair behandeln. Was in der Friedensförderung gilt, sollte auch darüber hinaus Richtschnur des Handelns sein. Die „neue“ globale Ordnung, nach der in München gesucht wurde – sie wird kooperative Institutionen benötigen. Abschottung und Konfrontation werden dabei nicht helfen.

Darum stehen Entwicklungsländer wieder vor einer Verschuldungskrise

Mon, 02/11/2019 - 09:00
Bonn, 11.02.2019. Schon wieder sehen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank (WB) fast die Hälfte der Niedrigeinkommensländer als hoch verschuldet an. Und das trotz der umfangreichen Schuldenerlasse im Rahmen der „Initiative für Hochverschuldete Arme Länder“ und des Multilateralen Schuldenerlasses, die die meisten Niedrigeinkommensländer zwischen 2000 und 2012 erhalten haben. Eine hohe Auslandverschuldung behindert die Entwicklung dieser Länder, weil das Geld für Zins- und Tilgungszahlungen verwandt werden muss und nicht für wichtige Investitionen, wie zum Beispiel in Infrastruktur oder für Sozialausgaben, zur Verfügung steht. Erneut zählen langanhaltende interne und externe Probleme zu den zentralen Ursachen der Verschuldung in Niedrigeinkommensländern. Die derzeitige Situation unterscheidet sich dennoch maßgeblich von den früheren Verschuldungskrisen. Es sind vor allem andere Gläubiger involviert, die vorwiegend nicht-konzessionäre anstatt von konzessionären Krediten vergeben haben. Schlechtes Schuldenmanagement und niedrige Staatseinnahmen aufgrund von ineffizienter Steuerpolitik sowie Schwächen auf dem Gebiet der Rechtstaatlichkeit zählen zu den internen Ursachen. Weiterhin werden die Kredite häufig nicht für produktive Investitionen, sondern für den Konsum von Gütern verwandt. Hinzu kommen äußere Schocks, wie zum Beispiel die seit 2011 gesunkenen Rohstoffpreise oder Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder Stürme. Strukturelle Probleme wie eine wenig breit aufgestellte Wirtschafts- und Exportstruktur führen zu einer hohen Anfälligkeit gegenüber Preis- und Nachfrageschwankungen auf dem Weltmarkt. Neu an der derzeitigen Verschuldungssituation ist, dass sich die Gläubiger – und damit auch Schuldenstruktur – maßgeblich verändert haben. Entwicklungsländer haben ihre Kreditaufnahme zu Marktbedingungen besonders bei neuen Gebern, wie zum Beispiel China und Indien und bei privaten Gläubigern erheblich erhöht. Bei den Niedrigeinkommensländern hat sich laut Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) der Anteil der öffentlichen Verschuldung zu Marktkonditionen an der Gesamtverschuldung von 2007 bis 2016 verdoppelt und stieg auf 46 Prozent an. Im Vergleich zu den konzessionären Krediten von traditionellen bilateralen (vor allem Geberländer im OECD-Entwicklungsausschuss) und multilateralen Gläubigern, wie zum Beispiel IWF und WB, handelt es sich hierbei um Kredite mit höheren Zinsen und kürzeren Laufzeiten. Dies gefährdet die Schuldentragfähigkeit der Entwicklungsländer zusätzlich. Der Anteil der öffentlichen Schulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt in Niedrigeinkommensländern gegenüber den Ländern, die nicht Mitglieder im Pariser Club sind, hat sich von 2007 bis 2016 verdoppelt. Dabei sticht China als Geber besonders hervor. Demgegenüber sind die Kredite von Mitgliedern des Pariser Clubs erheblich zurückgegangen. Der Anteil der externen öffentlichen Schulden gegenüber privaten Gläubigern an der Gesamtverschuldung ist laut der UNCTAD in Entwicklungsländern von circa 40 Prozent im Jahr 2000 auf 60 Prozent im Jahr 2016 angestiegen. Zudem ist nicht nur die Auslandsverschuldung, sondern auch die inländische Verschuldung ist in den Entwicklungsländern stark angestiegen. Um eine erneute Verschuldungskrise in Entwicklungsländern zu verhindern, ist vor allem der Aufbau eines guten Schuldenmanagements notwendig. Die Kapazitäten für das öffentliche Schuldenmanagement müssen verbessert und eine geeignete Schuldenstruktur hinsichtlich Laufzeit und Zusammensetzung von inländischer und ausländischer Währung aufgebaut werden. Ein gutes Schuldenmanagement trägt auch zu einer besseren Transparenz und Vollständigkeit der Daten über die Verschuldungssituation in Entwicklungsländern bei. Die bisher guten Maßnahmen zum Schuldenmanagement von den Gebern, wie zum Beispiel die Debt Management Facility der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds sowie das Debt Management and Financial Analysis System Programme der UNCTAD, müssen weiter ausgebaut und verbessert werden. Ein weiterer wichtiger Baustein sind einheitliche Prinzipien zur verantwortlichen Kreditvergabe und –aufnahme. Bisher gibt es verschiedene Vorschläge von den Vereinten Nationen, den G20, der OECD und dem Institute of International Finance (Zusammenschluss wichtiger privater Finanzakteure). Vor dem Hintergrund der heterogenen Gläubigergruppe wird eine Koordination der Gläubiger im Falle einer Verschuldungskrise schwierig werden. Daher sollte die Anwendung von Kollektivklauseln in Anleiheverträgen bereits jetzt ausgeweitet werden, um zukünftige Umstrukturierungen von Staatsanleihen zu vereinfachen. Angesichts der voraussichtlich steigenden globalen Zinsen und der kürzeren Laufzeiten für die nicht-konzesionären Kredite bestehen auch in Zukunft erhebliche Risiken für die Schuldentragfähigkeit der Entwicklungsländer. Es ist höchste Zeit zu handeln und zu Einigungen auf internationaler Ebene zu kommen, um eine erneute Verschuldungskrise noch aufzuhalten.

Wo sind die afrikanischen Stimmen?

Mon, 02/04/2019 - 12:58
Bonn, 04.02.2019. Der afrikanische Kontinent besitzt heute einen Stellenwert im öffentlichen und politischen Diskurs in Deutschland und Europa wie vielleicht noch nie seit Ende der Kolonialzeit. Dies zeigt sich insbesondere an drei Debatten bzw. Fragen, die in jüngster Vergangenheit nicht nur zu heftigen, (teils diplomatischen) Verwerfungen geführt haben: Was tun gegen Flucht und Verzweiflungsmigration aus Afrika? Wie kann ein fairer Umgang mit während der Kolonialzeit geraubten Kunst- und Kulturgegenständen aussehen – oder kann es diesen überhaupt geben? Sind die west- beziehungsweise zentralafrikanischen Gemeinschaftswährungen CFA-Franc ein post-koloniales Machtinstrument Frankreichs, welches die Herrschaft über seine ehemaligen afrikanischen Kolonien niemals wirklich aufgegeben hat? Doch anders als in der Vergangenheit ist die „Kolonialherrenart“, die viele Europäer an den Tag legten, zunehmend passé. Der Ruf, wichtige Bereiche der Wissenschaft, Kultur oder Politik zu „entkolonialisieren“ und in einen Dialog auf Augenhöhe mit dem Nachbarkontinent Europas und seinen Menschen einzutreten, wird immer lauter. Aber wo sind eigentlich die afrikanischen Positionen in diesen Debatten? Leider sind ihre Stimmen in vielen öffentlichen Bereichen nach wie vor kaum hörbar. Das muss sich ändern. Im deutschen (Spitzen-)Sport sind Menschen mit afrikanischen Wurzeln schon lange eine Alltäglichkeit – sie erfahren in den Vereinen und bei Millionen Fußballfans Unterstützung und Sympathie für ihre Leistungen. Auch im Unterhaltungsbereich gibt es zahlreiche afrodeutsche Gesichter. Künstler wie Samy Deluxe, Eunique oder Afrob etwa sind wichtige Größen ihrer jeweiligen musikalischen Genres in Deutschland. Erst gestern hat auch mit Florence Kasumba die erste Kommissarin mit afrikanischen Wurzeln ihren Dienst in der altehrwürdigen „Tatort“-Reihe der ARD angetreten. Im Gegensatz dazu sieht es vor allem im politischen Betrieb ganz anders aus: Dem einen oder der anderen fällt nach mühsamem Überlegen vielleicht noch Karamba Diaby ein, ein im Senegal geborener Bundestagsabgeordneter der SPD. Aber sonst? Obwohl es natürlich auch in Deutschland selbst afrikanische beziehungsweise afrikanisch-stämmige Wissenschaftlerinnen, Kulturvertreter oder Journalistinnen gibt, sind die oben bereits erwähnten Debatten doch sehr eurozentristisch. Schaut man etwa auf die deutsche Fluchtursachen-Debatte, erwecken bis heute einige Beiträge den Eindruck, dass es vor allem auf Europa ankäme: durch weniger Rüstungsexporte, weniger Treibhausgasemissionen und ein Mehr an Entwicklungszusammenarbeit und Migrationskontrolle ließe sich das Problem schon langfristig lösen. Wer so argumentiert, der mag zwar von der eigenen Hybris beseelt sein, macht es sich aber sicherlich zu einfach. Die Ursachen von Flucht und irregulärer Migration sind höchst komplex und lassen sich nicht einfach auf Armut, Klimawandel oder das Erbe der Kolonialzeit reduzieren. Vielmehr spielen hier unter anderem lokale Konflikte oder spezifische politische Konstellationen vor Ort eine große Rolle. Um diese Probleme anzugehen, bedarf es auch sehr guter Kenntnisse der komplexen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in den über 50 afrikanischen Staaten. Leider neigen viele Deutsche noch immer dazu, den afrikanischen Kontinent wie ein einziges Land zu betrachten. In der Debatte um die Bewältigung der Probleme der afrikanischen Länder bevorzugen viele daher auch eher simple Pauschallösungen - statt auf lokale Fachexpertise zu hören. Auch bei der Debatte um die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, die sich in letzter Zeit stark um die Fragen von Entschädigung oder Rückgabe geraubter Kulturgegenstände dreht, zeigt sich eine nicht sonderlich ausgeprägte Bereitschaft, die afrikanische Seite beziehungsweise afrikanische Diaspora-Gruppen miteinzubinden. So entsteht leicht der Eindruck, dass es sich bei derlei Unterfangen vor allem um europäische beziehungsweise „weiße“ Elitenprojekte handelt, bei denen die Deutungshoheit um die Kolonialzeit und ihr Erbe vor allem einer Seite zukommt – nämlich der europäischen. Damit würde der Sinn der Entkolonialisierung, also einer Befreiung Afrikas von europäischen Sicht- und Interpretationsmustern, selbstredend ad absurdum geführt. Natürlich gibt es z.B. in der Wissenschaft schon positive Ansätze für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die AIMS Initiative etwa, eine v.a. von der Humboldt-Stiftung geförderte Initiative für mathematischen Forschung an verschiedenen afrikanischen Universitäten, die ohne einen europäischen „Lead“ auskommt, wäre hier zu nennen. Auch die sogenannten Reformpartnerschaften der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern wie Ghana oder der Elfenbeinküste lassen sich als grundsätzlich positive Beispiele nennen. Aber nur wenn wir es insgesamt schaffen, statt vor allem über, auch noch mehr mit Afrika, seinen Menschen und seiner Diaspora zu sprechen, kann es gelingen, Diskurse auch tatsächlich zu entkolonialisieren. Und nur so können Afrika und Europa auch voneinander lernen, sowohl gemeinsame als auch Probleme der jeweils einen oder anderen Seite zu bewältigen. Stephen Adaawen ist selbstständiger Gutachter und Wissenschaftler aus Ghana mit den Arbeitsschwerpunkten Migration, Klimawandel und ländliche Entwicklung.Benjamin Schraven ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm "Umwelt-Governance und Transformation zur Nachhaltigkeit" am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Die vernachlässigte Rolle von Städten im Globalen Flüchtlingspakt

Wed, 01/23/2019 - 09:00
Bonn, 23.01.2019. Der Einsatz vieler italienischer Bürgermeister für die Aufnahme Geflüchteter und gegen die kompromisslose Politik von Innenminister Salvini hat in den letzten Wochen viel öffentliches Aufsehen erregt. In Zeiten historischer Höchststände von Flüchtlingen steht der Vorgang sinnbildlich für die wachsende Bedeutung von Städten für Schutz und gesellschaftliche Teilhabe weltweit Vertriebener. Der am 17. Dezember 2018 von der UN Generalversammlung in New York angenommene Globale Flüchtlingspakt zeigt jedoch, dass diese Bedeutung auf internationaler Ebene noch nicht hinreichend wahrgenommen wird. Für die Umsetzung einer nachhaltigen Flüchtlingspolitik müssen daher die Potenziale von Städten und Kommunen auf globaler, nationaler und lokaler Ebene stärker wahrgenommen und unterstützt werden. Flucht und Vertreibung haben in den letzten Jahren weltweit zugenommen. 85 Prozent der Flüchtlinge befinden sich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die mit eigenen Wirtschafts- und Entwicklungsproblemen zu kämpfen haben. Gleichzeitig hat der Anteil an lang andauernden Fluchtsituationen zugenommen: In 2017 war für etwa zwei Drittel aller Flüchtlinge die Rückkehr in die Heimatländer für mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte kaum möglich. Prominente Beispiele sind der seit 2012 anhaltende syrische Bürgerkrieg oder die seit den 1990er Jahren andauernde somalische Flüchtlingskrise. Neben Herausforderungen für die Aufnahmegesellschaften, sind die Folgen für die betroffenen – in vielen Fällen jungen – Menschen dauerhafte Abhängigkeit und fehlende Perspektiven auf gesellschaftliche Teilhabe. Der Globale Flüchtlingspakt reagiert auf diese Entwicklungen mit einem bedeutenden Paradigmenwechsel. So sollen die Lebensperspektiven von Flüchtlingen insbesondere durch eine bessere lokale Integration und Förderung ihrer ökonomischen Eigenständigkeit verbessert werden. Geflüchtete sollen in höherem Maße Zugang zu nationalen Finanzdienstleistungen, Bildungssystemen und Arbeitsmärkten erhalten. Im Gegenzug verpflichtet sich die internationale Gemeinschaft, aufnehmende Länder durch die Bereitstellung von Wissen und Ressourcen zu unterstützen. Flüchtlingslager soll es künftig nur noch als Ausnahme und lediglich kurzfristige humanitäre Lösung geben. Während der Flüchtlingspakt feststellt, dass sich ein zunehmender Teil von Geflüchteten bereits jetzt schon außerhalb von Lagern aufhält, wird eine andere räumliche Dimension fast konsequent ignoriert: Die zentrale Rolle von Städten als Akteure und wichtige Integrationsmotoren in Fluchtsituationen. Über die Hälfte der Flüchtlinge halten sich in Städten auf, unter den Binnenvertriebenen liegt der Anteil sogar bei über 80 Prozent . Nicht wenige (anerkannte) Flüchtlinge verlassen zudem freiwillig – und oftmals illegal – den Schutzraum des Flüchtlingslagers, um sich und ihren Familien ein Auskommen zu ermöglichen. Auch unter rückkehrenden Flüchtlingen weisen Studien auf eine deutliche Tendenz zur (Neu-) Ansiedlung in städtischen Räumen des Herkunftslandes hin. Aus der Perspektive von Geflüchteten liegen die Vorteile gewachsener Städte und Gemeinden auf der Hand: Im Gegensatz zu Flüchtlingslagern ermöglichen diese oftmals ein autonomeres Leben mit Aussicht auf soziale und ökonomische Integration. Nicht zuletzt bieten urbane Netzwerke informellen Schutz und unterstützen bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Ein urbanes Leben „unter dem Radar“ der staatlichen Einrichtungen bietet jedoch wenig Sicherheit und macht verwundbar. Urbane Flüchtlinge sind häufiger Opfer von sexueller Gewalt, Ausbeutung und verbaler sowie körperlicher Angriffe. Dies ist insbesondere in Ländern der Fall, die offiziell keine Ansiedlung außerhalb von Flüchtlingslagern erlauben. Dort ist in den Städten der Zugang zu öffentlichen Bildungs- und Gesundheitsleistungen kaum möglich; auch internationale Hilfs- und Schutzleistungen können nur eingeschränkt genutzt werden. Nicht registrierte Flüchtlinge sind zudem oft der Willkür der lokalen Behörden ausgeliefert. Für eine effektive Umsetzung nachhaltiger Lösungen außerhalb von Flüchtlingslagern ist es daher notwendig, die wichtige Rolle von Städten und Gemeinden anzuerkennen und zu unterstützen. Dies muss auf mehreren Ebenen passieren: Auf internationaler Ebene durch eine stärkere Einbindung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und (im Pakt genannten) Städtenetzwerken in globale Politikprozesse. Darüber hinaus müssen bestehende UNHCR-Konzepte expliziter auf Bedarfe in städtischen Räumen zugeschnitten. Dieses gilt ebenso für die bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, welche die Bedürfnisse urbaner Geflüchteter stärker in ihren Maßnahmen beachten sollte. Auf nationaler Ebene müssen Städte und Kommunen mit höheren politischen und finanziellen Gestaltungskompetenzen ausgestattet werden. Essentiell ist dabei auch die politische und rechtliche Anerkennung urbaner Geflüchteter. Auf lokaler Ebene geht es schließlich um eine verstärkte Integration von Flüchtlingen in vorhandene Stadtentwicklungs- und Budgetpläne. Nicht zuletzt gilt es, Stadtregierungen und -verwaltungen sowie die lokale Bevölkerung auch für mögliche positive Folgen der wirtschaftlichen und sozialen Integration von Geflüchteten zu sensibilisieren.

Ownership für nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit

Mon, 01/21/2019 - 09:00
Bonn, 21.01.2019. Ownership kann mit Fug und Recht als das zentrale entwicklungspolitische Prinzip betrachtet werden. Nur wenn die Partner entwicklungspolitischer Kooperation die Vorhaben in einem Entwicklungsland als ihr „eigenes Ding“ betrachten und bei der Planung, Durchführung und Evaluierung eng eingebunden sind, kann Entwicklungszusammenarbeit dauerhaft erfolgreich sein. Daher stand bereits vor 50 Jahren ownership im Mittelpunkt entwicklungspolitischer Diskussionen. Gleichwohl gab es immer Zeiten, in denen internationale Partner zu den Entwicklungsländern eher einen donorship-Ansatz verfolgten, das heißt bewusst oder unbewusst vorgeschrieben haben was „gut“ für ein Partnerland ist. Umgekehrt betonen internationale Vereinbarungen zur entwicklungspolitischen Wirksamkeit (Paris 2005 und Busan 2011), das Pariser Klimaabkommen und die Agenda 2030 alle ‚national ownership‘. Auch im Rahmen von Süd-Süd-Zusammenarbeit hat das Prinzip einen wichtigen Platz.   Insofern besteht ein sich durch die Jahrzehnte der Entwicklungspolitik ziehender Konsens, dass ownership gut und wichtig ist. Hieran ist zunächst einmal nichts falsch. Allerdings: Das Umfeld von Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit hat sich in den vergangenen fünf bis zehn Jahre massiv verändert. Entwicklungszusammenarbeit findet vermehrt und expliziter unter den Vorzeichen von Interessen der Geber statt – sei es die europäische Migrationsagenda, die direkte Förderung von Unternehmen in den jeweiligen Geberländern oder die kruden Kürzungsandrohungen der Trump-Administration. Und schließlich haben sich die Bedingungen in den Entwicklungsregionen selbst stark verändert – mehr Optionen bei der Entwicklungsfinanzierung, zum Beispiel durch Indien und China, bedeutet beispielsweise weniger Abhängigkeit von den traditionellen westlichen Gebern. Daher stellt sich eine zentrale Frage, die bislang aber kaum diskutiert wurde: Haben all diese Veränderungen keine einschneidende Bedeutung für unser Verständnis, wie wir heute auf ownership blicken sollten? Ein ownership-Prinzip, welches schön klingt, aber letztlich der Interpretation jedes einzelnen Akteurs unterliegt und daher eigentlich keine echte Wirkung entfalten kann, läuft Gefahr, bedeutungslos zu werden. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) hat daher in einer umfassenden Studie sowohl den derzeitigen entwicklungspolitische Kontext eingehend untersucht, als auch Schlussfolgerungen für ein verändertes ownership-Verständnis gezogen, welche für heutige Diskussionen über wirksame Entwicklungszusammenarbeit wichtig sind. Erstens, die Art und Weise, wie Entwicklungszusammenarbeit heute organisiert ist, hat Auswirkungen auf ownership – dies ist oft noch nicht ausreichend im Bewusstsein der Handelnden verankert. Zunehmend werden Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für thematische Budgetlinien (Klimawandel, Beschäftigungsinitiativen etc.) vorgesehen, wodurch thematisch offene bilaterale Programme an Bedeutung verlieren. Die Zunahme an Treuhandfonds, Globalen Fonds und von anderen thematischen Mitteln haben zu einer Zentralisierung der Entscheidungsprozesse beigetragen. Dies führt dazu, dass Partnerländer oft weniger stark, indirekter und/oder an einem späten Zeitpunkt an Entscheidungen beteiligt sind. Es kann gute Gründe für einen inhaltlichen Schwerpunkt eines Gebers mit einer Region geben, aber dies kann im Konflikt stehen mit nationalen Entwicklungsprioritäten. Zweitens hat sich in den vergangenen Jahren sinnvollerweise eine Sichtweise herausgebildet, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht allein auf die Regierung in einem Partnerland ausgerichtet sein sollte. Diese Multi-Akteurs-Perspektive ist richtig und wichtig. Und sie hat dazu beigetragen, dass wir in den vergangenen Jahren abgerückt sind von einer ownership, die sich vorrangig an den Regierungen der Partnerländer orientiert. Vielmehr zielen viele Bemühungen darauf ab Parlamente, zivilgesellschaftliche Akteure, den Privatsektor und andere Partner einzubinden. Zugleich führt ein solches Vorgehen aber oft zu Zielkonflikten. Was ist, wenn ein Parlament de facto nur wenig entwicklungsorientiert ist und Abgeordnete ihre Rolle für kurzfristige politische Ziele nutzen und damit zu Blockierern werden (so etwa in teilweise in Liberia)? Oder wie sollte ownership jenseits der Regierung in den Ländern erreicht werden, wo unabhängige Betätigungsmöglichkeiten etwa für zivilgesellschaftliche Gruppen nur sehr begrenzt möglich sind (beispielsweise in Ruanda)? Die wichtige Debatte über zunehmende Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume als einen übergreifenden Trend in vielen Regionen der Welt zeigt, dass dieses Problem sich vermehrt stellt. Was bedeuten die sehr unterschiedlichen Trends und dynamischen Rahmenbedingungen für ein ownership-Prinzip heute? Unsere Studie zeigt, das ownership ein zentrales Prinzip bleibt, um entwicklungspolitische Wirkungen nachhaltig erreichen zu können. Wir haben es aber vielfach mit Zielkonflikten zu tun. Die Einbeziehung von mehr Akteuren kann zugleich mit Effizienzverlusten einhergehen. Mehr ownership durch Partner in Entwicklungsländern steht Kontrollbedürfnissen auf der Geberseite tendenziell entgegen. Hierzu gibt es keine einfachen und perfekten Lösungen. Allgemein formuliert sollte es verstärkt um die Förderung von kontextrelevanter ownership gehen (Welche Akteure einbeziehen? Wie ownership befördern, wenn es sich um thematisch festgelegte Mittel geht? etc.): hierin sehen wir die sich verändernde entwicklungspolitische Herausforderung.

Diese Folgen hat der Brexit für Entwicklungsländer

Tue, 01/15/2019 - 07:00
Bonn, 15.01.2019. Am 15. Januar soll das britische Parlament final über das von der Europäischen Union (EU) und Großbritannien ausgehandelte Austrittsabkommen abstimmen. Das Ergebnis der Abstimmung ist momentan nicht vorherzusehen. Durch die geringe Erfolgswahrscheinlichkeit hatte Premierministerin Teresa May die für Ende 2018 geplante Abstimmung ins neue Jahr verlegt. Das von der eigenen Partei initiierte Misstrauensvotum im vergangenen Dezember sowie dessen knappes Ergebnis verdeutlichen, wie stark das Parlament bei der Brexit-Frage gespalten ist.

Ob ein geordneter Austritt mit oder ein „harter Brexit“ ohne Austrittsabkommen – derzeit werden immer wieder die ökonomischen und politischen Folgen unterschiedlicher Szenarien für Großbritannien und Europa diskutiert. Doch wir müssen auch die globalen Effekte des Brexit in den Blick nehmen.

Zu selten wird diskutiert, dass auch Länder jenseits Großbritanniens und der EU vom Brexit und den sich dadurch wandelnden Handelsbeziehungen betroffen sein werden. Oft wird von Befürworten eines harten Brexits betont, dass Großbritannien im Fall eines Brexits ohne Austrittsabkommen einfach auf die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückgreifen könne. Dies stimmt jedoch nicht vollständig mit der Realität überein. Die neuen Marktzugangsregeln zwischen Großbritannien und den WTO-Mitgliedern jenseits der EU müssen im Moment noch verhandelt werden, und zwar derzeit ohne Aussichten auf baldigen Erfolg. Somit müssten die Briten im Falle eines „No deal“ nach März 2019 mit dem Rest der Welt höchstwahrscheinlich nach den in der WTO vereinbarten EU-Bedingungen handeln. Und das, obwohl diese dann eigentlich nicht mehr für Großbritannien gelten.

Vor allem für ärmere Länder kann der Brexit drastische Folgen haben. Unabhängig von dem endgültigen Brexit-Abkommen zwischen der EU und Großbritannien, werden Entwicklungsländer vom EU-Austritt Großbritanniens negativ betroffen sein. Ein wichtiger Grund ist, dass sie ihren bevorzugten Zugang zum britischen Markt verlieren, den sie im Moment noch auf Grundlage unterschiedlicher EU-Abkommen genießen. Zum Beispiel durch das allgemeine Präferenzsystem (Generalised Scheme of Preferences), die "Alles außer Waffen" (EBA) Initiative, sowie die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements).

Wenn Entwicklungsländer nach dem Brexit auf dem britischen Markt keine bevorzugten Zölle mehr erhalten, sinkt ihre Wettbewerbsfähigkeit in Großbritannien. Vor allem bei einem harten Brexit ohne Austrittsabkommen würden die am wenigsten entwickelten Länder unter höheren Zöllen und anderen nichttarifären Handelsbarrieren leiden. In diesem Fall würden die Exporte nach Großbritannien laut aktueller Simulationen beispielsweise in Äthiopien um 20 Prozent und in Malawi sogar um 60 Prozent einbrechen.

Insbesondere arme Länder wie Kambodscha und Malawi, die stark vom britischen Markt abhängig sind, weil sie viel in das Vereinigte Königreich exportieren, werden laut neuester Berechnungen Einbußen ihres Bruttoinlandprodukts hinnehmen müssen. In den am wenigsten entwickelten Ländern, die von den Handelspräferenzen der EU profitieren, ist darüber hinaus ein Anstieg der Armut zu befürchten. Neue Simulationen zeigen, dass die Anzahl der Menschen, die in extremer Armut leben, infolge des Brexits in diesen Ländern um bis zu 1,7 Millionen steigen könnte. Diese Zahlen sind konservative Schätzungen, die ausschließlich die Änderungen der Handelsregeln einbeziehen. Andere negative Faktoren wie die Abwertung des Britischen Pfunds, verringerte britische Direktinvestitionen und weniger Entwicklungshilfe sind dabei noch nicht berücksichtigt.

Da sich neue Handelsverträge zwischen Großbritannien und den Entwicklungsländern hinziehen werden, ist eine Übergangsregelung seitens der Briten notwendig, um die negativen Auswirkungen für arme Staaten zu verhindern. Handelsbezogene Entwicklungshilfe kann zusätzlich dazu beitragen, die Herausforderungen für arme Länder abzufedern. Zugleich birgt die zukünftige Neuaufstellung der britischen Handelspolitik die Chance, die Handelsbeziehungen mit armen Ländern entwicklungsfreundlicher zu gestalten. Das wäre beispielsweise durch großzügigere Präferenzen möglich, die mehr Wertschöpfung über mehrere Länder zulassen und so regionale Wertschöpfungsketten fördern.

Der Brexit stellt eine außerordentliche Herausforderung sowohl für Großbritannien, als auch für die EU dar. Selbst wenn das britische Parlament dem Austrittsabkommen zustimmt, ist das Risiko eines harten „No deal“ Brexits nicht ausgeschlossen. Denn es wird nicht einfach sein, sich bis zum Ende der vereinbarten Übergangszeit auf ein neues Handels- und Investitionsabkommen zwischen Großbritannien und der EU zu einigen. So oder so: Die langanhaltende Unsicherheit mit vielen offenen Fragen führt zu stetig wachsenden Kosten, die nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Verbrauchern einen erheblichen Schaden zufügen. Beide Seiten sollten sich um eine bestmögliche Lösung bemühen und dabei auch die Verluste der ärmsten Entwicklungsländer berücksichtigen.

Was 2019 in der internationalen Politik auf dem Spiel steht

Mon, 01/14/2019 - 09:00
Bonn, 14.01.2019. 2019 wird kein leichtes Jahr für internationale Zusammenarbeit, für den Schutz menschlichen Wohlergehens und nachhaltige Entwicklung. Vielerorts behindern dies die inneren politischen Verhältnisse. Gesellschaften spalten sich in unterschiedliche ideologische Lager und sind immer weniger in der Lage, sich auf gemeinsame Problembeschreibungen und prioritäre Herausforderungen zu einigen, erst recht nicht auf Lösungsansätze. Oft geht dies einher mit Ausgrenzung und Rechtlosigkeit von gesellschaftlichen Gruppen und einzelnen Menschen, mit dem Verlust von Mitgefühl und einer Abwehrhaltung gegenüber internationaler Verantwortung. Gewaltsam ausgetragene innergesellschaftliche Konflikte und anhaltende oder eingefrorene Kriege stehen für die Unfähigkeit, sich zukunftsorientiert auf gemeinsame Interessen und Frieden begründende Kompromisse zu verständigen. Diese Phänomene finden sich auf allen Kontinenten, auch in Europa und Deutschland. Viele sind dadurch zutiefst beunruhigt und verunsichert. Bisherige gesellschaftliche Vereinbarungen scheinen an Gewicht zu verlieren: wie ein friedliches und gedeihliches Miteinander gestaltet und gelebt werden kann, was eine freie und prosperierende Gesellschaft ausmacht und welche Bedeutung konstruktive internationale Beziehungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft haben. Diese Verunsicherung in unserer eigenen Gesellschaft, in der Europäischen Union (EU) und in den internationalen Beziehungen erschwert entschiedenes Handeln. Doch in unserer gegenwärtigen Welt ist die Verbesserung nationalen Wohlergehens ohne eine globale Perspektive nicht mehr vorstellbar. Interdependenzen und Wechselwirkungen prägen das 21. Jahrhundert mehr denn je: zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern; zwischen steigenden Wohlfahrtsniveaus und Umweltbelastungen, die die Stabilität des Erdsystems gefährden; zwischen sozialer, ökonomischer und politischer Teilhabe in nationalen Gesellschaften einerseits und internationaler Stabilität, Sicherheit und Zusammenarbeit andererseits. Politik für nachhaltige Entwicklung muss all dies berücksichtigen und ist auf internationale Kooperation angewiesen. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihren 17 Nachhaltigkeitszielen haben wir dafür seit 2015 einen international vereinbarten Handlungsrahmen. Es geht um mehr als die bloße Summe von nationalen Interessenkonstellationen und Gemeinwohlvorstellungen in Europa oder weltweit. Die Agenda gibt globale Orientierung, um angemessene Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen zu geben, von der Verringerung von Armut und Ungleichheiten, über den Schutz von Biodiversität und Klima bis hin zur Beendigung von Kriegen, von Flucht und Vertreibung. Die Klimakonferenz in Katowice hat wichtige Fortschritte für die Umsetzung des Pariser Klima-Übereinkommens erreicht. Sie hat gezeigt, dass die internationale Klima-Kooperation lebt, gemeinsam getragen von Regierungen, Städten, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. 2019 werden diese Herausforderungen prominent auf der politischen Agenda der EU und der Vereinten Nationen stehen. Im Vorfeld der Wahlen für das Europäische Parlament werden sich die politischen Parteien und ihre Wählerinnen und Wähler nicht nur darüber verständigen müssen, wie Wohlstand und Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt zusammengedacht werden, sondern auch darüber, wieviel globale Verantwortung zu einem lebenswerten Europa heute gehört und wie diese ausbuchstabiert werden muss. Der Einfluss des Parlaments wurde 2009 mit dem Vertrag von Lissabon gestärkt und ein zukunftsstarkes Europa braucht eine breite Wahlbeteiligung, die seinen lebendigen demokratischen Kern abbildet. Die Vereinten Nationen veranstalten im September 2019 zwei Gipfeltreffen zum Klimaschutz und zur Überprüfung der Umsetzung der Agenda 2030. Hier sind die Staats- und Regierungschefs gefordert. Diese Gipfel und ihre Themen müssen zusammen gedacht und aufeinander bezogen werden, um keine falschen Konkurrenzen aufkommen zu lassen und schnelleres Handeln zu ermöglichen. Der jüngste Sonderbericht des Weltklimarates zeigt, dass eine ambitionierte Umsetzung der 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung die Anpassungs- und Minderungslasten für den Klimaschutz verringern kann. Soziale Gerechtigkeit ist ein Kernanliegen der Agenda 2030 und befördert die Umsetzung klimapolitischer Transformationspfade. Auch in einer Welt mit 1,5°C Klimaerwärmung steigen die Risiken, aber es besteht eine größere Chance, in vielen Bereichen nachhaltiger Entwicklung voran zu kommen. Der letzte New Climate Economy Report unterstreicht daher die positiven Wechselwirkungen zwischen schneller technologischer Innovation, Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen und erhöhter Ressourcenproduktivität liegen. Der Bericht „Better business – better world“ zeigt, dass mit Investitionen in die Nachhaltigkeitsziele 380 Millionen neue Jobs bis 2030 geschaffen werden könnten, ein Großteil davon in Afrika. 2019 wird ein gutes Jahr, wenn wir es nutzen, um der Verunsicherung in und zwischen unseren Gesellschaften zu begegnen. Die Europawahlen im Mai und die Gipfel der Vereinten Nationen im September bieten dafür in besonderer Weise Gelegenheit.

Was 2019 in der internationalen Politik auf dem Spiel steht

Mon, 01/14/2019 - 09:00
Bonn, 14.01.2019. 2019 wird kein leichtes Jahr für internationale Zusammenarbeit, für den Schutz menschlichen Wohlergehens und nachhaltige Entwicklung. Vielerorts behindern dies die inneren politischen Verhältnisse. Gesellschaften spalten sich in unterschiedliche ideologische Lager und sind immer weniger in der Lage, sich auf gemeinsame Problembeschreibungen und prioritäre Herausforderungen zu einigen, erst recht nicht auf Lösungsansätze. Oft geht dies einher mit Ausgrenzung und Rechtlosigkeit von gesellschaftlichen Gruppen und einzelnen Menschen, mit dem Verlust von Mitgefühl und einer Abwehrhaltung gegenüber internationaler Verantwortung. Gewaltsam ausgetragene innergesellschaftliche Konflikte und anhaltende oder eingefrorene Kriege stehen für die Unfähigkeit, sich zukunftsorientiert auf gemeinsame Interessen und Frieden begründende Kompromisse zu verständigen. Diese Phänomene finden sich auf allen Kontinenten, auch in Europa und Deutschland. Viele sind dadurch zutiefst beunruhigt und verunsichert. Bisherige gesellschaftliche Vereinbarungen scheinen an Gewicht zu verlieren: wie ein friedliches und gedeihliches Miteinander gestaltet und gelebt werden kann, was eine freie und prosperierende Gesellschaft ausmacht und welche Bedeutung konstruktive internationale Beziehungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft haben. Diese Verunsicherung in unserer eigenen Gesellschaft, in der Europäischen Union (EU) und in den internationalen Beziehungen erschwert entschiedenes Handeln. Doch in unserer gegenwärtigen Welt ist die Verbesserung nationalen Wohlergehens ohne eine globale Perspektive nicht mehr vorstellbar. Interdependenzen und Wechselwirkungen prägen das 21. Jahrhundert mehr denn je: zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern; zwischen steigenden Wohlfahrtsniveaus und Umweltbelastungen, die die Stabilität des Erdsystems gefährden; zwischen sozialer, ökonomischer und politischer Teilhabe in nationalen Gesellschaften einerseits und internationaler Stabilität, Sicherheit und Zusammenarbeit andererseits. Politik für nachhaltige Entwicklung muss all dies berücksichtigen und ist auf internationale Kooperation angewiesen. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihren 17 Nachhaltigkeitszielen haben wir dafür seit 2015 einen international vereinbarten Handlungsrahmen. Es geht um mehr als die bloße Summe von nationalen Interessenkonstellationen und Gemeinwohlvorstellungen in Europa oder weltweit. Die Agenda gibt globale Orientierung, um angemessene Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen zu geben, von der Verringerung von Armut und Ungleichheiten, über den Schutz von Biodiversität und Klima bis hin zur Beendigung von Kriegen, von Flucht und Vertreibung. Die Klimakonferenz in Katowice hat wichtige Fortschritte für die Umsetzung des Pariser Klima-Übereinkommens erreicht. Sie hat gezeigt, dass die internationale Klima-Kooperation lebt, gemeinsam getragen von Regierungen, Städten, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. 2019 werden diese Herausforderungen prominent auf der politischen Agenda der EU und der Vereinten Nationen stehen. Im Vorfeld der Wahlen für das Europäische Parlament werden sich die politischen Parteien und ihre Wählerinnen und Wähler nicht nur darüber verständigen müssen, wie Wohlstand und Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt zusammengedacht werden, sondern auch darüber, wieviel globale Verantwortung zu einem lebenswerten Europa heute gehört und wie diese ausbuchstabiert werden muss. Der Einfluss des Parlaments wurde 2009 mit dem Vertrag von Lissabon gestärkt und ein zukunftsstarkes Europa braucht eine breite Wahlbeteiligung, die seinen lebendigen demokratischen Kern abbildet. Die Vereinten Nationen veranstalten im September 2019 zwei Gipfeltreffen zum Klimaschutz und zur Überprüfung der Umsetzung der Agenda 2030. Hier sind die Staats- und Regierungschefs gefordert. Diese Gipfel und ihre Themen müssen zusammen gedacht und aufeinander bezogen werden, um keine falschen Konkurrenzen aufkommen zu lassen und schnelleres Handeln zu ermöglichen. Der jüngste Sonderbericht des Weltklimarates zeigt, dass eine ambitionierte Umsetzung der 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung die Anpassungs- und Minderungslasten für den Klimaschutz verringern kann. Soziale Gerechtigkeit ist ein Kernanliegen der Agenda 2030 und befördert die Umsetzung klimapolitischer Transformationspfade. Auch in einer Welt mit 1,5°C Klimaerwärmung steigen die Risiken, aber es besteht eine größere Chance, in vielen Bereichen nachhaltiger Entwicklung voran zu kommen. Der letzte New Climate Economy Report unterstreicht daher die positiven Wechselwirkungen zwischen schneller technologischer Innovation, Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen und erhöhter Ressourcenproduktivität liegen. Der Bericht „Better business – better world“ zeigt, dass mit Investitionen in die Nachhaltigkeitsziele 380 Millionen neue Jobs bis 2030 geschaffen werden könnten, ein Großteil davon in Afrika. 2019 wird ein gutes Jahr, wenn wir es nutzen, um der Verunsicherung in und zwischen unseren Gesellschaften zu begegnen. Die Europawahlen im Mai und die Gipfel der Vereinten Nationen im September bieten dafür in besonderer Weise Gelegenheit.

Was das Ergebnis der COP24 bringt

Mon, 12/17/2018 - 15:25
Bonn, 18.12.2018. Geschafft! Die Klimakonferenz von Katowice (COP24) hat tatsächlich das Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Abkommens von 2015 geliefert. Damit hat sie ihr wichtigstes Ziel erreicht. Hätten sich die 197 Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) nicht auf Umsetzungsregeln geeinigt, wäre das Pariser Abkommen auf reine Symbolpolitik reduziert worden. Die Aushandlung und Annahme des Regelwerks war keine triviale Angelegenheit. Entsprechend groß ist die Erleichterung bei allen, die sich für eine effektive globale Klimapolitik einsetzen. Der Multilateralismus wurde in den beiden Konferenzwochen auf eine harte Probe gestellt. Auch wenn diese insgesamt gut endete, ist deshalb nicht alles gut. Einige Streitfragen wurden schlichtweg auf künftige Verhandlungen verschoben. Dazu gehören insbesondere Regeln für die politische Steuerung der Kohlenstoffmärkte und Antworten auf den Umgang mit klimabedingten Verlusten und Schäden, die weitere Fragen zur Klimafinanzierung aufwerfen. Zudem dürften atmosphärische Verwerfungen der Verhandlungsrunde von Katowice über die COP24 hinaus nachwirken. Die Schwierigkeiten bei der Aushandlung des Regelwerks spiegeln ein internationales Klima wider, das für eine ambitionierte Klimapolitik weit weniger günstig ist als noch 2015. Ungeachtet der globalen Bedrohung eines unkontrollierbaren Klimawandels, ist weltweit ein engstirniger Nationalismus auf dem Vormarsch. Die USA haben bereits angekündigt, sich aus dem Pariser Abkommen zurückzuziehen; Brasilien hat nach dem jüngst vollzogenen Machtwechsel sein Angebot zurückgezogen, die nächste COP auszurichten. Unterdessen kämpfen selbsternannte Klima-Pioniere mit ihren Hausaufgaben. Frankreichs Plan zur Besteuerung von Kraftstoffen wurde durch die gewaltsamen Proteste Proteste der „Gelbwesten“ durchkreuzt; in Deutschland verkündete die sogenannte „Kohlekommission“ kurz vor Katowice, ihr Ergebnis nun doch erst 2019 vorzulegen. Und eine illustre Runde ölexportierender Länder – die USA, Saudi-Arabien, Russland und Kuwait – brachte die Verhandlungen fast zum Stillstand, in dem sie sich hartnäckig weigerte, die Ergebnisse des Sonderberichts des Weltklimarats (IPCC) zum 1,5°C-Ziel zu „begrüßen“ und damit ideologische Gräben wieder aufriss, die durch das Pariser Abkommen überwunden schienen. All dies zu einer Zeit, in der nicht nur der IPCC sehr deutlich herausgearbeitet hat, dass jeder Zehntel Grad der globalen Erwärmung bedeutsam ist und sich das Zeitfenster für angemessene Klimaschutzmaßnahmen rasch schließt. Gleichzeitig legte die Global Commission on the Economy and Climate überzeugend dar, dass Kohleausstieg und Investitionen in klimafreundliche Technologies enorme Wachstumschancen und Entwicklungsimpulse bieten. Die sowohl von den Klima- als auch von Wirtschaftsexperten vorgelegten Befunde dürften noch an Bedeutung gewinnen, sofern ihre Kernbotschaften zu einer breiteren Öffentlichkeit und den Wählerschaften durchdringen. Auf jeden Fall hat COP24 das benötigte Regelwerk geliefert und der Multilateralismus damit ein deutliches Lebenszeichen gegeben. Viele haben daran mitgewirkt. Der polnische COP-Präsident Michał Kurtyka und sein Vorgänger Frank Bainimarama von Fidschi mit vereinten Kräften im Rahmen des Talanoa-Dialogs, der mit einem beschwörenden Aufruf zum Handeln endete. UN-Generalsekretär António Guterres demonstrierte außergewöhnliche Führungsstärke, indem er in Katowice wiederholt persönlich intervenierte. Die EU, Kanada, Neuseeland und eine Reihe von Entwicklungsländern haben ihre in Paris bewährte High Ambition Coalition erfolgreich wiederbelebt, um die festgefahrenen Verhandlungen voranzubringen. Hierzu trugen auch die Ankündigungen Deutschlands und Norwegens bei, ihre jeweiligen Zusagen an den Grünen Klimafonds zu verdoppeln – eine wichtige Finanzierungsquelle für den Klimaschutz in Entwicklungsländern. Dies gilt ebenso für nichtstaatliche und subnationale Klimaschutzmaßnahmen. Deren wachsende Bedeutung wird im Jahrbuch „Global Climate Action“, das während der COP24 veröffentlicht wurde, bestätigt. Narrative wie das einer „New Climate Economy“ leben von Beispielen wie den etwa 400 Investoren, die zusammen Vermögenswerte von 32 Billionen US-Dollar verwalten und sich zur Abkehr von fossilen Energien verpflichtet haben. Nicht zuletzt rauften sich am Ende die USA und China zusammen, um gemeinsam an einer allgemein akzeptablen Methodik für die Berichterstattung über Emissionen und Klimaschutzmaßnahmen zu arbeiten. Dies war entscheidend für die Lösung einiger der hartnäckigsten Probleme, die dem Regelwerk bis zum Ende im Weg standen: die Berichtspflichten hinsichtlich der Senkung von Treibhausgasemissionen und die Transparenz entsprechender Finanzströme. Der nächste wichtige Meilenstein nach Katowice ist nun der der VN-Klimagipfel in New York im September 2019. Er wird der Welt einen guten Ausblick geben, welche Länder bereit sind, ihren Worten bis zur nächsten COP in Chile im November 2019 Taten folgen zu lassen. Die Chancen zur Begrenzung des Klimawandels hängen schlussendlich davon ab, was die Länder zu Hause tun oder lassen – und weniger von den Konferenzsälen. Dies gilt insbesondere auch für Deutschland. Die Ankündigung, den Beitrag zum Grünen Klimafonds bis 2020 auf 1,5 Milliarden Euro zu verdoppeln, wurde zwar zu Recht als Erfolgsfaktor für COP24 gelobt, aber der Preis für Untätigkeit zu Hause würde sehr viel höher ausfallen.

Was das Ergebnis der COP24 bringt

Mon, 12/17/2018 - 15:25
Bonn, 18.12.2018. Geschafft! Die Klimakonferenz von Katowice (COP24) hat tatsächlich das Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Abkommens von 2015 geliefert. Damit hat sie ihr wichtigstes Ziel erreicht. Hätten sich die 197 Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) nicht auf Umsetzungsregeln geeinigt, wäre das Pariser Abkommen auf reine Symbolpolitik reduziert worden. Die Aushandlung und Annahme des Regelwerks war keine triviale Angelegenheit. Entsprechend groß ist die Erleichterung bei allen, die sich für eine effektive globale Klimapolitik einsetzen. Der Multilateralismus wurde in den beiden Konferenzwochen auf eine harte Probe gestellt. Auch wenn diese insgesamt gut endete, ist deshalb nicht alles gut. Einige Streitfragen wurden schlichtweg auf künftige Verhandlungen verschoben. Dazu gehören insbesondere Regeln für die politische Steuerung der Kohlenstoffmärkte und Antworten auf den Umgang mit klimabedingten Verlusten und Schäden, die weitere Fragen zur Klimafinanzierung aufwerfen. Zudem dürften atmosphärische Verwerfungen der Verhandlungsrunde von Katowice über die COP24 hinaus nachwirken. Die Schwierigkeiten bei der Aushandlung des Regelwerks spiegeln ein internationales Klima wider, das für eine ambitionierte Klimapolitik weit weniger günstig ist als noch 2015. Ungeachtet der globalen Bedrohung eines unkontrollierbaren Klimawandels, ist weltweit ein engstirniger Nationalismus auf dem Vormarsch. Die USA haben bereits angekündigt, sich aus dem Pariser Abkommen zurückzuziehen; Brasilien hat nach dem jüngst vollzogenen Machtwechsel sein Angebot zurückgezogen, die nächste COP auszurichten. Unterdessen kämpfen selbsternannte Klima-Pioniere mit ihren Hausaufgaben. Frankreichs Plan zur Besteuerung von Kraftstoffen wurde durch die gewaltsamen Proteste Proteste der „Gelbwesten“ durchkreuzt; in Deutschland verkündete die sogenannte „Kohlekommission“ kurz vor Katowice, ihr Ergebnis nun doch erst 2019 vorzulegen. Und eine illustre Runde ölexportierender Länder – die USA, Saudi-Arabien, Russland und Kuwait – brachte die Verhandlungen fast zum Stillstand, in dem sie sich hartnäckig weigerte, die Ergebnisse des Sonderberichts des Weltklimarats (IPCC) zum 1,5°C-Ziel zu „begrüßen“ und damit ideologische Gräben wieder aufriss, die durch das Pariser Abkommen überwunden schienen. All dies zu einer Zeit, in der nicht nur der IPCC sehr deutlich herausgearbeitet hat, dass jeder Zehntel Grad der globalen Erwärmung bedeutsam ist und sich das Zeitfenster für angemessene Klimaschutzmaßnahmen rasch schließt. Gleichzeitig legte die Global Commission on the Economy and Climate überzeugend dar, dass Kohleausstieg und Investitionen in klimafreundliche Technologies enorme Wachstumschancen und Entwicklungsimpulse bieten. Die sowohl von den Klima- als auch von Wirtschaftsexperten vorgelegten Befunde dürften noch an Bedeutung gewinnen, sofern ihre Kernbotschaften zu einer breiteren Öffentlichkeit und den Wählerschaften durchdringen. Auf jeden Fall hat COP24 das benötigte Regelwerk geliefert und der Multilateralismus damit ein deutliches Lebenszeichen gegeben. Viele haben daran mitgewirkt. Der polnische COP-Präsident Michał Kurtyka und sein Vorgänger Frank Bainimarama von Fidschi mit vereinten Kräften im Rahmen des Talanoa-Dialogs, der mit einem beschwörenden Aufruf zum Handeln endete. UN-Generalsekretär António Guterres demonstrierte außergewöhnliche Führungsstärke, indem er in Katowice wiederholt persönlich intervenierte. Die EU, Kanada, Neuseeland und eine Reihe von Entwicklungsländern haben ihre in Paris bewährte High Ambition Coalition erfolgreich wiederbelebt, um die festgefahrenen Verhandlungen voranzubringen. Hierzu trugen auch die Ankündigungen Deutschlands und Norwegens bei, ihre jeweiligen Zusagen an den Grünen Klimafonds zu verdoppeln – eine wichtige Finanzierungsquelle für den Klimaschutz in Entwicklungsländern. Dies gilt ebenso für nichtstaatliche und subnationale Klimaschutzmaßnahmen. Deren wachsende Bedeutung wird im Jahrbuch „Global Climate Action“, das während der COP24 veröffentlicht wurde, bestätigt. Narrative wie das einer „New Climate Economy“ leben von Beispielen wie den etwa 400 Investoren, die zusammen Vermögenswerte von 32 Billionen US-Dollar verwalten und sich zur Abkehr von fossilen Energien verpflichtet haben. Nicht zuletzt rauften sich am Ende die USA und China zusammen, um gemeinsam an einer allgemein akzeptablen Methodik für die Berichterstattung über Emissionen und Klimaschutzmaßnahmen zu arbeiten. Dies war entscheidend für die Lösung einiger der hartnäckigsten Probleme, die dem Regelwerk bis zum Ende im Weg standen: die Berichtspflichten hinsichtlich der Senkung von Treibhausgasemissionen und die Transparenz entsprechender Finanzströme. Der nächste wichtige Meilenstein nach Katowice ist nun der der VN-Klimagipfel in New York im September 2019. Er wird der Welt einen guten Ausblick geben, welche Länder bereit sind, ihren Worten bis zur nächsten COP in Chile im November 2019 Taten folgen zu lassen. Die Chancen zur Begrenzung des Klimawandels hängen schlussendlich davon ab, was die Länder zu Hause tun oder lassen – und weniger von den Konferenzsälen. Dies gilt insbesondere auch für Deutschland. Die Ankündigung, den Beitrag zum Grünen Klimafonds bis 2020 auf 1,5 Milliarden Euro zu verdoppeln, wurde zwar zu Recht als Erfolgsfaktor für COP24 gelobt, aber der Preis für Untätigkeit zu Hause würde sehr viel höher ausfallen.

Making sense of COP24

Mon, 12/17/2018 - 15:04
It is done! The Katowice climate change conference (technically referred to as COP24) finally delivered the rulebook that will guide the implementation of the 2015 Paris Agreement. It has thus reached its single-most important objective. Indeed, the Paris Agreement would have been reduced to mere symbolism, had the 197 parties to the UN Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) failed to agree on how to implement it. Adopting the rulebook was no mean feat. Its warrants a collective sigh of relief by all who care for effective global climate governance. All the same, the past two weeks saw multilateralism put to the test. While the test ended well overall, not all is well however. Some contentious issues have been pushed to future negotiations. These include new rules to govern carbon markets and international responses to loss and damage associated with climate change, which entail yet more questions about climate finance. Atmospheric repercussions of the Katowice proceedings, too, are likely to be felt well beyond COP24. The difficulties to hammer out the rulebook reflect an international climate that is less favourable to ambitious climate governance than in 2015. In spite of the prospect of unmanageable global warming, self-centered nationalism appears on the rise all over the world. The USA have touted to pull out of the Paris Agreement; Brazil withdrew its offer to host the next COP, reflecting recent political changes. Meanwhile, self-declared climate champions struggle with their homework. France saw its plan to introduce fossil fuel taxes brought to a halt by violent protests; in Germany, a “structural change commission” – mandated to broker the end of coal – postponed its conclusion to 2019 in the immediate run up to COP24. And a motley crew of major oil-exporting countries – the USA, Saudi Arabia, Russia and Kuwait – all but brought negotiations to a halt by stubbornly refusing to “welcome” the findings of the Intergovernmental Panel on Climate Change’s Special Report on 1.5°C of global warming as they resorted to ideological trenches that were meant to be overcome by the Paris Agreement. All this at a time when not only the IPCC elaborated very clearly, that every tenth of a degree of global warming matters significantly and that the window of opportunity for commensurate climate action is rapidly closing. The Global Commission on the Economy and Climate at the same time made a compelling case for the enormous growth opportunities and development co-benefits associated with phasing out coal and investing in climate-friendly technologies. The evidence presented by both the IPCC and the economic experts may yet gain traction as their dual messages of risk and opportunity are transpiring to a broader public and, indeed, electorates. In any case, COP24 delivered the required rulebook, thereby sending an unmistakable sign of life from one of the most salient multilateral processes. Many may claim credit for this demonstration of resolve. The Polish COP-President Michal Kurtyka joined forces with his predecessor Frank Bainimarama of Fiji by means of the Talanoa Dialogue, which concluded in an imploring Call for Action. The UN Secretary-General, Antonio Guterres, also exerted high-level leadership through recurrent personal interventions throughout the Katowice conference. The EU, Canada, New Zealand and a number of developing countries revived their High Ambition Coalition, proved and tested in Paris, to overcome negotiation deadlocks. Concomitantly, Germany’s and Norway’s announcements to double their respective pledges to the Green Climate Fund, a major source of climate finance for developing countries, also helped to nudge negotiations forward. Non-state and subnational climate action has also proved conducive. Their increasing significance has been recognised by the Yearbook of Global Climate Action, that was launched during COP24, and it substantiates narratives like that of a “New Climate Economy.” Some 400 investors that between them manage assets of US-$ 32 trillion committing themselves to divest from fossil energy is but one point in case. Not least, the US and China eventually worked together to develop a commonly acceptable methodology for the reporting of emissions and climate policies. Arguably, this was key to solving some of the most tenacious issues that had been standing in the rulebook’s way, the reporting of greenhouse gas reductions and the transparency of financial flows. After Katowice, the next major milestone to look for is the UN Climate Summit in New York in September 2019. It provides the world with a good outlook of which countries are ready to walk the talk before the next COP meets in Chile in November 2019. Indeed, the prospects of limiting dangerous climate change depend on what countries do or do not do at home rather than at conference halls. This also applies to Germany. While its announcement to double its contribution to the Green Climate Fund to EUR 1.5 billion by 2020 has been rightfully praised as a building block of success at COP24, the price tag for domestic inaction would soon prove much higher.

Was zum Migrationspakt noch zu sagen wäre

Mon, 12/10/2018 - 09:00
Bonn, 10.12.2018. Der UN-Migrationspakt hat in den letzten Wochen für eine sehr heftige politische Auseinandersetzung in Deutschland gesorgt. Gerade der AfD mit ihrer Kampagne „Migrationspakt stoppen“ gelang es, die Diskussion um den Pakt massiv anzuheizen, so dass sich auch in anderen Parteien Kritik an dem Vertragswerk der Vereinten Nationen regte. Nichtsdestotrotz stimmte eine Mehrheit des Bundestages vor gut anderthalb Wochen für den Migrationspakt („Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ - kurz GCM). Dieser wird am 10. und 11. Dezember 2018 auf einem eigens zu diesem Zweck einberufenen UN-Gipfel in Marrakesch verabschiedet. Doch es bleiben noch Fragen offen: Wie konnte sich die Debatte in Deutschland so hochschaukeln? Was sagt uns die Auseinandersetzung um den Pakt über unseren Umgang mit Flucht und Migration? Und vor allem: Was kann der Pakt konkret bewirken? Lange schien sich in Deutschland und auch dem Rest der Welt niemand so recht für den auf einem UN-Gipfeltreffen in New York 2016 beschlossenen und seit Frühjahr 2017 verhandelten Migrationspakt zu interessieren. Auch wenn die Bundesregierung das Thema sicherlich noch offensiver hätte vertreten können, ist der Vorwurf eines geplanten „Vorbeischmuggelns“ des Paktes an Parlament und Öffentlichkeit so nicht haltbar. Fakt ist vielmehr, dass sich weite Teile der Medien, Politik und Öffentlichkeit einfach nicht darum scherten. Dies änderte sich kurzzeitig einmal, als die Trump-Administration den Austritt der USA aus den Verhandlungen zum GCM im Dezember 2017 verkündete. Diese Entscheidung der US-Regierung, auf die später der Austritt weiterer Länder (zum Beispiel Ungarn, Australien, Israel) folgte, führte jedoch keineswegs zu einer breiten Diskussion in Deutschland. Selbst die AfD hatte zu dieser Zeit – aus ihrer Sicht – das Potential einer Debatte um den Migrationspakt noch nicht erkannt. Dies änderte sich erst im Herbst 2018. Dass die Diskussion um den GCM dann kurz vor seiner internationalen Verabschiedung so hochkochen konnte, rührt vor allem daher, dass Migration im öffentlichen Diskurs als negativ und mit teils alarmistischen Grundtönen wahrgenommen wird. Eine Unterscheidung zwischen Fluchtmigration, irregulärer Migration und Arbeitsmigration beziehungsweise regulärer Zuwanderung findet kaum statt. Die Vorstellung, bei der (irregulären) Migration aus Afrika in Richtung Europa handele es sich um den Auftakt einer riesigen „Völkerwanderung“, hat sich in weiten Teilen der öffentlichen Auseinandersetzung bereits fest etabliert. Daher ist es wenig verwunderlich, dass die oben bereits erwähnte Kampagne der AfD mit ihren nachweislich falschen Aussagen zu Inhalt und Bedeutung des internationalen Vertragswerks („ein verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“) für so einen Wirbel sorgen konnte. Entgegnungen, dass der Pakt ja rechtlich gar nicht verbindlich sei, prallten an den Kritikern ab. Der Migrationspakt ist eine Absichtserklärung der internationalen Gemeinschaft, die Situation von Arbeitsmigrantinnen und Migranten weltweit zu verbessern und neue Möglichkeiten der regulären Migration und deren Steuerung zu schaffen. Er ist letztendlich aus der Einsicht heraus entstanden, dass kein Land der Welt Migration alleine regeln kann, sondern dass es hierfür einer guten Zusammenarbeit zwischen Herkunfts-, Transit- und Zuzugsländern der Migrierenden bedarf. Der in nicht wenigen Medien erhobene Vorwurf, dass es ja ziemlich unsinnig sei, sich auf rechtlich nicht bindende Vereinbarungen einzulassen, zeugen von Naivität und Ignoranz gegenüber Prozessen internationaler Politik. Denn Versuche in der Vergangenheit, mit rechtlich verbindlichen Konventionen Verbesserungen herbeizuführen, führten nur dazu, dass die großen Einwanderungsländer nicht mitzogen. So ist die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen bislang von keinem Zielland des Nordens unterzeichnet worden.   Sobald der Migrationspakt verabschiedet ist, gilt es, an den aufgestellten Regeln weiter zu arbeiten und sie zu etablieren – wenn nicht mit allen, dann doch zumindest mit einer „Koalition der Willigen“ im globalen Norden und Süden. So eröffnet die Auseinandersetzung um die im Pakt formulierten Ziele und Standards auch in Deutschland eine Chance für die Formulierung und Umsetzung konkreter Politiken. Beispiel Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Hierzulande ist reguläre Zuwanderung auch aus Ländern außerhalb Europas sicherlich ein Weg, um Probleme wie Fachkräftemangel oder die vielfältigen Herausforderungen des demographischen Wandels zu bewältigen. Allerdings müssen bei dem Zuschnitt des Gesetzes auch die Interessen und Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten, ihrer Familien sowie ihrer Herkunftsländer berücksichtigt werden, beispielsweise durch bedarfsgerechte Aus- und Weiterbildung, Erleichterung kostengünstiger Rücküberweisungen und Übertragbarkeit von Sozialversicherungsansprüchen. Eine faire Migrationssteuerung dieser Art kann aber nicht nur das enorme Entwicklungspotential von Migration für die Länder des globalen Südens besser entfalten. Es kann auch einen Wettbewerbsvorteil im Ringen um Fach- und Arbeitskräfte für diejenigen Einwanderungsländer bewirken, die die Ziele des GCM konsequent umsetzen. Und darüber müssen wir weiterhin reden.

Was zum Migrationspakt noch zu sagen wäre

Mon, 12/10/2018 - 09:00
Bonn, 10.12.2018. Der UN-Migrationspakt hat in den letzten Wochen für eine sehr heftige politische Auseinandersetzung in Deutschland gesorgt. Gerade der AfD mit ihrer Kampagne „Migrationspakt stoppen“ gelang es, die Diskussion um den Pakt massiv anzuheizen, so dass sich auch in anderen Parteien Kritik an dem Vertragswerk der Vereinten Nationen regte. Nichtsdestotrotz stimmte eine Mehrheit des Bundestages vor gut anderthalb Wochen für den Migrationspakt („Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ - kurz GCM). Dieser wird am 10. und 11. Dezember 2018 auf einem eigens zu diesem Zweck einberufenen UN-Gipfel in Marrakesch verabschiedet. Doch es bleiben noch Fragen offen: Wie konnte sich die Debatte in Deutschland so hochschaukeln? Was sagt uns die Auseinandersetzung um den Pakt über unseren Umgang mit Flucht und Migration? Und vor allem: Was kann der Pakt konkret bewirken? Lange schien sich in Deutschland und auch dem Rest der Welt niemand so recht für den auf einem UN-Gipfeltreffen in New York 2016 beschlossenen und seit Frühjahr 2017 verhandelten Migrationspakt zu interessieren. Auch wenn die Bundesregierung das Thema sicherlich noch offensiver hätte vertreten können, ist der Vorwurf eines geplanten „Vorbeischmuggelns“ des Paktes an Parlament und Öffentlichkeit so nicht haltbar. Fakt ist vielmehr, dass sich weite Teile der Medien, Politik und Öffentlichkeit einfach nicht darum scherten. Dies änderte sich kurzzeitig einmal, als die Trump-Administration den Austritt der USA aus den Verhandlungen zum GCM im Dezember 2017 verkündete. Diese Entscheidung der US-Regierung, auf die später der Austritt weiterer Länder (zum Beispiel Ungarn, Australien, Israel) folgte, führte jedoch keineswegs zu einer breiten Diskussion in Deutschland. Selbst die AfD hatte zu dieser Zeit – aus ihrer Sicht – das Potential einer Debatte um den Migrationspakt noch nicht erkannt. Dies änderte sich erst im Herbst 2018. Dass die Diskussion um den GCM dann kurz vor seiner internationalen Verabschiedung so hochkochen konnte, rührt vor allem daher, dass Migration im öffentlichen Diskurs als negativ und mit teils alarmistischen Grundtönen wahrgenommen wird. Eine Unterscheidung zwischen Fluchtmigration, irregulärer Migration und Arbeitsmigration beziehungsweise regulärer Zuwanderung findet kaum statt. Die Vorstellung, bei der (irregulären) Migration aus Afrika in Richtung Europa handele es sich um den Auftakt einer riesigen „Völkerwanderung“, hat sich in weiten Teilen der öffentlichen Auseinandersetzung bereits fest etabliert. Daher ist es wenig verwunderlich, dass die oben bereits erwähnte Kampagne der AfD mit ihren nachweislich falschen Aussagen zu Inhalt und Bedeutung des internationalen Vertragswerks („ein verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“) für so einen Wirbel sorgen konnte. Entgegnungen, dass der Pakt ja rechtlich gar nicht verbindlich sei, prallten an den Kritikern ab. Der Migrationspakt ist eine Absichtserklärung der internationalen Gemeinschaft, die Situation von Arbeitsmigrantinnen und Migranten weltweit zu verbessern und neue Möglichkeiten der regulären Migration und deren Steuerung zu schaffen. Er ist letztendlich aus der Einsicht heraus entstanden, dass kein Land der Welt Migration alleine regeln kann, sondern dass es hierfür einer guten Zusammenarbeit zwischen Herkunfts-, Transit- und Zuzugsländern der Migrierenden bedarf. Der in nicht wenigen Medien erhobene Vorwurf, dass es ja ziemlich unsinnig sei, sich auf rechtlich nicht bindende Vereinbarungen einzulassen, zeugen von Naivität und Ignoranz gegenüber Prozessen internationaler Politik. Denn Versuche in der Vergangenheit, mit rechtlich verbindlichen Konventionen Verbesserungen herbeizuführen, führten nur dazu, dass die großen Einwanderungsländer nicht mitzogen. So ist die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen bislang von keinem Zielland des Nordens unterzeichnet worden.   Sobald der Migrationspakt verabschiedet ist, gilt es, an den aufgestellten Regeln weiter zu arbeiten und sie zu etablieren – wenn nicht mit allen, dann doch zumindest mit einer „Koalition der Willigen“ im globalen Norden und Süden. So eröffnet die Auseinandersetzung um die im Pakt formulierten Ziele und Standards auch in Deutschland eine Chance für die Formulierung und Umsetzung konkreter Politiken. Beispiel Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Hierzulande ist reguläre Zuwanderung auch aus Ländern außerhalb Europas sicherlich ein Weg, um Probleme wie Fachkräftemangel oder die vielfältigen Herausforderungen des demographischen Wandels zu bewältigen. Allerdings müssen bei dem Zuschnitt des Gesetzes auch die Interessen und Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten, ihrer Familien sowie ihrer Herkunftsländer berücksichtigt werden, beispielsweise durch bedarfsgerechte Aus- und Weiterbildung, Erleichterung kostengünstiger Rücküberweisungen und Übertragbarkeit von Sozialversicherungsansprüchen. Eine faire Migrationssteuerung dieser Art kann aber nicht nur das enorme Entwicklungspotential von Migration für die Länder des globalen Südens besser entfalten. Es kann auch einen Wettbewerbsvorteil im Ringen um Fach- und Arbeitskräfte für diejenigen Einwanderungsländer bewirken, die die Ziele des GCM konsequent umsetzen. Und darüber müssen wir weiterhin reden.

Der G20-Gipfel und die Zukunft der Welthandelsorganisation

Mon, 12/03/2018 - 11:47
Bonn, 03.12.2018. Der G20-Gipfel in Buenos Aires ist am Samstag mit einem Plädoyer für eine Modernisierung der Welthandelsorganisation (WTO) zu Ende gegangen. So wichtig dieses Bekenntnis der Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ist, so unklar bleibt, was damit eigentlich gemeint ist. Denn die Lage der WTO gleicht einem Patienten, bei dem sich die Ärzte nicht sicher sind, ob er nur vorübergehendend ohnmächtig ist oder einem schweren Schlaganfall erlitten hat und ob an eine Genese überhaupt noch zu denken ist. Ohne die Krankheitsursachen zu kennen, besteht die Gefahr, dass die falschen Therapien die Lage des Patienten verschlimmern. Das Bekenntnis zur Modernisierung der WTO sollte zuallererst als Aufruf verstanden werden, ein gemeinsames Verständnis der Probleme des multilateralen Handelssystems zu entwickeln und Vertrauen unter den zentralen Akteuren wiederaufzubauen. Hierfür kann die japanische G20-Präsidentschaft, die im Anschluss an die argentinische am 1. Dezember startete, eine wichtige Rolle spielen. Internationale Kooperation gelingt dann, wenn die handelnden Akteure gemeinsame Ziele verfolgen, wenn sie sich einig über die anzupackenden Probleme sind und wenn sie untereinander vertrauensvoll kommunizieren können. Keine dieser Voraussetzungen scheint aktuell gegeben zu sein. Natürlich richtet sich der Blick als erstes auf Washington, wo Präsident Trump mehrfach mit dem Ausstieg aus der WTO gedroht hat. Darüber hinaus blockieren die USA die Nachbesetzung der vakanten Richterstellen am Berufungsgericht der WTO. Sie riskieren, dass das von Vielen gelobte unabhängige Streitbeilegungsverfahren Ende 2019 handlungsunfähig wird. Es gilt zu befürchten, dass die USA zuallererst das Ziel verfolgt, die WTO weiter zu schwächen. Beim Fokus auf die USA wird allerdings häufig vergessen, dass auch andere Länder aktuell wenig Interesse an multilateralen Lösungen zeigen. Das sture Beharren Südafrikas und Indiens auf der Durchsetzung nationaler Interessen hat ebenfalls eine Schwächung der WTO zur Folge. Auch bei der Problemanalyse scheint aktuell wenig Einigkeit zu herrschen. Man kann sagen, dass die WTO Opfer ihres eigenen Erfolges geworden ist. Die 1994 gegründete Organisation und das multilaterale Regelwerk hat freieren Handel von Gütern und Dienstleistungen befördert, der den Aufstieg vieler Entwicklungs- und Schwellenländern erst möglich machte. Das Regelwerk der WTO hat mit diesen tiefgreifenden Machtverschiebungen, und vor allem mit dem Aufstieg Chinas zur größten Exportnation, nicht Schritt halten können. An den marktverzerrenden Subventionen und Auflagen für Technologietransfer in China entzündet sich der Vorwurf der USA, aber auch der der EU. Der Status Chinas als Marktwirtschaft wird nach wie vor von den USA und der EU angezweifelt. Und viele WTO-Mitglieder schütteln den Kopf darüber, dass sich China im Rahmen des multilateralen Handelssystems noch immer als „Entwicklungsland“ bezeichnet. Am Beispiel Chinas zeigt sich, dass die mehr als zwanzig Jahre alte Unterscheidung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern neu justiert werden muss. Die Mitglieder der WTO streiten aber auch darüber, welche zukünftigen Herausforderungen Priorität haben. Für viele Entwicklungsländer geht es darum, die Agenda der 2001 gestarteten Doha-Entwicklungsrunde abzuarbeiten und insbesondere bei der Liberalisierung des Agrarhandels Fortschritte zu machen. Die Industrieländer und zunehmend auch Mitteleinkommensländer lenken den Blick aber vielmehr auf neue Themen wie digitalen Handel oder Investitionen, die sie zumeist in plurilateralen Verhandlungen in einer Allianz der Willigen vorantreiben. Zu guter Letzt scheint die Kommunikation zwischen den wichtigsten Akteuren fundamental gestört zu sein. US-Präsident Trumps einseitige Zollerhöhungen unterminieren den gemeinsamen Austausch zu wichtigen Zukunftsschritten und drohen sogar, in eine destruktive Zollspirale oder gar einen Handelskrieg zu münden. Doch es gibt auch zaghafte Schritte, die in die richtige Richtung gehen. Im Oktober trafen sich Vertreter einiger WTO-Mitgliedstaaten in Kanada, allerdings ohne den zentralen Akteure USA und China, um eine Reform der WTO voranzubringen. Sie berieten über Lösungen, die die WTO effizienter und effektiver machen, das Streitbeilegungsverfahren stärken und die Verhandlungsfunktion der WTO wiederbeleben könnten. Darauf aufbauend sollte die japanische G20-Präsidentschaft die Modernisierung der WTO zur Priorität machen. Es gilt hierbei, die Stärken der G20 als informelles Kooperationsforum der Staats- und Regierungschefs zu nutzen, ohne die WTO als zentrales Forum für die Reformdiskussion des multilateralen Handelssystems zu schwächen. Der Fokus der G20 sollten dabei nicht die technischen Details sein, sondern vielmehr der Austausch über die Ziele und Problemlagen der WTO-Mitglieder vorantreiben. Vor allem sollte auch die Kommunikation untereinander verbessert und das wechselseitige Vertrauen gestärkt werden. Der japanischen Präsidentschaft bleibt nicht viel Zeit zum Zögern, denn der nächste Gipfel findet schon Ende Juni 2019 in Osaka statt.

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