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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Updated: 1 week 1 day ago

Trump und die internationale Migration – Ist die IOM noch zu retten?

Mon, 06/25/2018 - 09:00
Bonn, 25.06.2018. Ende dieses Monats wird ein neuer Generaldirektor für die Internationale Organisation für Migration (IOM) gewählt. Der wohl aussichtsreichste Kandidat für den Posten ist der US-Amerikaner und Vize-Präsident der evangelikalen Hilfsorganisation „Samaritan’s purse“ Ken Isaacs. Und dieser ist ein wahrer „Trumpianer“. So fiel er in der Vergangenheit weniger durch kenntnisreiche Äußerungen zum Themenkomplex Migration als durch anti-muslimische Tweets auf. Nach dem Terroranschlag von London im Juni 2017 gab er etwa zu Protokoll, dass terroristische Gewalt doch genau das sei, was der Koran von den gläubigen Muslimen erwarte. Und dieser Mann soll die „Weltmigrationsagentur“ führen? Angesichts der Herausforderungen in der internationalen Migration ist dies noch schlimmer, als es sich zunächst anhört. Auch wenn sie in der breiten Öffentlichkeit noch nicht ganz den Bekanntheitsgrad etwa des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR besitzt, gehört die IOM zweifelsohne zu den wichtigsten internationalen Organisationen überhaupt. Gegründet wurde sie bereits 1951 als „Provisional Intergovernmental Committee for the Movement of Migrants from Europe“. Ihr Mandat bestand anfangs darin, die europäischen Regierungen bei der Rückführung eines Teils der über 10 Millionen Kriegsflüchtlinge des Zweiten Weltkrieges zu unterstützen. Mehrere Jahrzehnte und Umbenennungen später – ihren heutigen Namen trägt die Organisation erst seit 1989 – ist die IOM zu einem zentralen „global player“ im Bereich Migration geworden. So betrug ihr Gesamtjahresbudget für 2014 satte 2 Milliarden US-Dollar und etwa 10.000 Mitarbeiter in mehr als 480 Büros weltweit sind mittlerweile für die Organisation tätig. Zudem betreut die IOM nach eigenen Angaben über 2400 Migrationsprojekte rund um den Globus. Dabei ist die IOM keine humanitäre oder Menschenrechtsorganisation, vielmehr lässt sie sich als eine internationale Serviceagentur für Staaten im Bereich der Migrationssteuerung, -kontrolle und -beratung beschreiben. Ein weit verbreitetes Missverständnis über die IOM ist, dass sie die Dachorganisation für Migration der Vereinten Nationen sei. Zwar ist die IOM seit 2016 eine assoziierte Organisation der UN, die Rolle als weltweite Schalt- oder Managementstelle für Migrationsfragen kommt ihr allerdings nicht zu. Dafür fehlt ihr vor allem ein entsprechendes Mandat. Der Großteil des IOM-Budgets sind projektgebundene Gelder, bei denen die Mitgliedsstaaten das Sagen haben. Und gerade bei den europäischen Mitgliedsstaaten sind schon seit längerer Zeit in erster Linie IOM-Projekte mit dem Schwerpunkt „Rückführung“ von Migranten sehr gefragt. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder (heftige) Kritik an der IOM als vermeintlich „böse Schwester des UNHCR“ vonseiten der Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International laut. Viele Aktivisten im Bereich Asyl und Migration betrachten es zudem mit Unverständnis, dass die IOM sich erst zur gewaltsamen Trennung von Kindern und Eltern bei einem illegalen Grenzübertritt durch US-Behörden äußerte, nachdem Trump diese Praxis wieder gestoppt hatte. Dabei deutet einiges darauf hin, dass die Bedeutung der IOM bei den Vereinten Nationen bzw. bei der Steuerung globaler Migrationsprozesse weiter anwachsen wird. Der derzeit verhandelte Global Compact on Migration – aus dem die USA freilich ausgestiegen sind – strebt eine (nicht verbindliche) Konvention an, die im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele gewisse Regeln für eine „sichere, reguläre und geordnete“ internationale Migration aufstellen möchte. Laut dem Erstentwurf des Compacts soll die IOM eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung des Compacts zukommen. Ziel des Compacts soll demnach eine Verbesserung der oft marginalen und harschen Lebens- und Arbeitsbedingungen der weltweit etwa 250 Millionen Migranten sein. Ob die beiden anderen Bewerber um den Posten des IOM-Generaldirektors – Laura Thompson (Costa Rica) und Antonio Vitorino (Portugal) – eine Chance haben, Trumps Kandidat Isaacs noch zu verhindern, lässt sich schwer beantworten. Die IOM wird schon seit den 1960er Jahren traditionell von einem US-Amerikaner geführt. Zudem steht zu befürchten, dass die USA ihre nicht unerheblichen Mittel für die IOM drastisch zurückfahren werden, sollte Isaacs nicht gewählt werden. Wird Isaacs aber neuer Chef der IOM, so wäre die Freude bei den Freunden der Totalabschottung von Budapest über Wien nach Rom sicherlich groß. Das wäre aber auch erstaunlich kurzsichtig. Denn eine Neugestaltung der regulären Migration wäre ein wichtiger Baustein, um einige Probleme Europas wie demographischer Wandel und irreguläre Migration zu überwinden. Dazu bedarf es aber einer IOM, die als Partner und als möglichst fairer Mittler zwischen Herkunfts- und Zuwanderungsländern auftritt. Eine IOM, die nach der Maxime „America first“ oder „Europe first“ handelt, wird dies nicht leisten können.

Ist Migration die bessere Entwicklungshilfe?

Mon, 06/11/2018 - 09:00
Bonn, 11.06.2018. Der öffentliche Diskurs über Migration wird derzeit in Europa vor allem von Fragen zu Abschottung und Rückführung bestimmt: So diskutiert man in Deutschland heftig über Horst Seehofers Ankerzentren für Asylbewerber, der neue italienische Innenminister Matteo Salvini möchte illegale Migranten so schnell wie möglich aus Italien abschieben und selbst im beschaulichen Slowenien gewinnt eine einwanderungsfeindliche Partei die Parlamentswahlen. Dabei gibt es durchaus auch die Stimmen, die differenziertere Positionen bei den Themen Flucht und Migration einbringen. Dazu zählen auch einige Ökonomen, die vor allem das gigantische Entwicklungspotential von Geldsendungen von Migranten an ihre Familien in Entwicklungs- und Schwellenländern betonen. Sie sehen diese Rücküberweisungen als die effektivste Entwicklungsintervention. Müsste dieses Potential in Zeiten, in denen zunehmend kontrovers über den Nutzen von Entwicklungszusammenarbeit zur Bekämpfung von Fluchtursachen diskutiert wird, nicht besser genutzt werden? Anders gefragt: Sind Rücküberweisungen die bessere Entwicklungshilfe? Führt man sich die Zahlen vor Augen, könnte man dies meinen: Nach Angaben der Weltbank haben Migranten im Jahr 2017 etwa 466 Milliarden US-Dollar in die Länder des globalen Südens überwiesen. Das ist mehr als das Dreifache der gesamten Mittel der internationalen Entwicklungshilfe, welche in diese Länder geflossen ist. Dabei ist das tatsächliche Volumen der Rücküberweisungen wohl noch um einiges größer – wenngleich auch unbekannt, denn viele Migranten senden das Geld an ihre Verwandten nicht über Banken oder Geldtransferunternehmen wie Western Union, sondern transferieren es direkt „von Hand zu Hand“ oder über Mittelsmänner. Es geht auch nicht nur um reine Zahlenspiele. Wichtig ist ebenso die Frage, wofür das Geld von den Empfängern schlussendlich ausgegeben wird. Das alte Klischee, es handle sich hauptsächlich um „demonstrativen Konsum“ – also vor allem auf das Beeindrucken von Mitmenschen angelegten Erwerb von teuren Uhren, Mobiltelefonen oder ähnlichem – ist so nicht haltbar. Rücküberweisungen werden durchaus für Gesundheitsausgaben und Bildung ausgeben. Zudem werden sie auch häufig reinvestiert. Dadurch entfalten sie auch positive wirtschaftliche Effekte über den eigentlichen Empfängerkreis hinaus. Nicht umsonst hat auch die Entwicklungszusammenarbeit wie auch Teile der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Migration die Geldsendungen von Migranten für sich entdeckt. Die Vereinten Nationen haben den 16. Juni gar zum International Day of Family Remittances ernannt. Die Annahme, dass Rücküberweisungen Entwicklungshilfe quasi ersetzen könnten und Migranten die eigentlichen oder besseren Entwicklungshelfer seien, ist allerdings irreführend. Trotz aller positiven Effekte tun sich Ökonomen schwer damit, einen signifikanten Effekt zwischen Rücküberweisungen und nationalem Wirtschaftswachstum festzustellen. Die vermeintliche Rolle der Geldsendungen als Triebfeder wirtschaftlichen Wachstums muss also kritisch betrachtet werden. Und auch Versuche, wie es sie zum Beispiel in Mexiko gibt, Gelder von Migranten zu mobilisieren, um diese in lokale Entwicklungsprojekte in ihren Heimatkommunen zu lenken, sollten in ihrer Wirkung nicht überbewertet werden. Rücküberweisungen sind in erster Linie private Transfers, die Bereitstellung, Förderung und Erhalt öffentlicher Infrastrukturen von Gesundheit über Bildung bis hin zu Straßenverkehr nicht einfach ersetzen können. Und auch auf der Mikroebene haben Rücküberweisungen nicht nur uneingeschränkt positive Effekte. So können sie die Ungleichheit in den Herkunftsländern erhöhen, nämlich zwischen jenen Haushalten, die Geld empfangen und denen, die keines bekommen. Eine allzu funktionalistische Betrachtungsweise von Geldsendungen blendet zudem aus, dass dieses Geld häufig unter sehr schwierigen Bedingungen verdient wird. Ausbeutung sowie harsche Lebens- und Arbeitsbedingungen gehören leider zum Alltag für viele Migranten weltweit. Vielleicht kann der derzeit verhandelte Global Compact on Migration hier wichtige Impulse setzen, um dies langfristig zu ändern. Dabei geht es um eine (nicht-verbindliche) Konvention, die im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele Regeln für eine „sichere, reguläre und geordnete“ internationalen Migration etablieren möchte. Gerade zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich hier maßgeblich für einen besseren Schutz von Migranten ein. Fest steht, dass eine bessere Lebens- und Arbeitsumstände für Migranten nicht nur zu (noch) höheren Rücküberweisungen führen könnte. Sie würden auch andere positiven Effekte von Migration zu größerer Geltung verhelfen. Dazu gehört etwa der Transfer von Migranten erworbenem Wissen und Expertise in ihre Herkunftsländer oder auch die Rolle von Migranten als Mittler des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder politischen Austauschs zwischen zwei Ländern. Auch dies macht das positive Entwicklungspotential von Migration aus. Bei all der Diskussion um Abschottung oder Rückführung sollten wir – neben den Rücküberweisungen – auch diese entwicklungsfördernden Beiträge von Migration nicht aus den Augen verlieren.

Private Investitionen als Chance

Mon, 06/04/2018 - 09:00
Bonn, 04.06.2018. Ende Mai haben sich in Frankfurt Vertreter aus Finanzindustrie, Technologiefirmen und Politik zur Messe „Innovate4Climate“ getroffen. Drei Tage lang tauschten sie sich darüber aus, wie private Firmen und Investoren zur Erreichung der Klimaziele beitragen und gleichzeitig Gewinne erwirtschaften können. Die Themen reichten dabei von Investitionen in erneuerbare Energien über Kohlenstoffmärkte bis hin zu innovativen Versicherungen gegen Klimarisiken. Die Veranstaltung verdeutlichte den Trend der letzten Jahre, dass der Privatsektor immer stärker auch im Klimaschutz und der nachhaltigen Entwicklung aktiv wird – Bereiche, die traditionell als Aufgaben der Politik angesehen wurden. Was ist davon zu halten? Klar ist: Um die im Jahr 2015 beschlossenen Pariser Klimaabkommen gesteckten Ziele zu erreichen und die Weltwirtschaft auf einen klimafreundlichen Entwicklungspfad zu schicken, ist weltweit ein gigantischer Investitionsbedarf zu decken. Die Industrieländer haben sich verpflichtet, ab dem Jahr 2020 die Klimaschutzbemühungen der Entwicklungsländer mit 100 Milliarden USD jährlich zu unterstützen. Der gesamte Investitionsbedarf für Klima und nachhaltige Entwicklung ist jedoch noch viel größer: Die OECD schätzt, dass für die Jahre 2015 bis 2030 die Summe der notwendigen globalen Infrastrukturausgaben in Bereichen wie Energieversorgung oder Verkehr insgesamt rund 100 Billionen USD verschlingen werden. Das nötige Kapital dafür zu mobilisieren und sicherzustellen, dass es in innovative und klimafreundliche Technologien investiert wird, kann die Politik allein nicht leisten. Daher ist es unerlässlich, private Investoren mit ins Boot zu holen. Was den Privatsektor antreibt Wichtig ist dabei, die Motive für klimafreundliche Investitionen zu verstehen. Zwar wird ein steigender Anteil von Investoren durchaus von ethischen Motiven geleitet, wenn sie Klimaschutz in ihr Handeln einbeziehen – nicht zu verschweigen ist jedoch, dass viele Anleger schlicht auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen und Ertragschancen sind. Dies wird nicht zuletzt durch das herausfordernde wirtschaftliche Umfeld getrieben, in dem durch Entwicklungen wie den gegenwärtigen Niedrigzinsen, der Verschiebung wirtschaftlicher Macht in Richtung Asien oder Megatrends wie der Digitalisierung alte Geschäfts- und Investitionsfelder zunehmend wegbröckeln. Man kann zwar die Sorge haben, dass die wichtigen Ziele des Klimaschutzes und der nachhaltigen Entwicklung privaten Gewinninteressen untergeordnet werden könnten. Aber man sollte dies eher als eine große Chance begreifen: Schafft es die Politik, die richtigen Anreize und Rahmenbedingungen für Investoren zu setzen, dann wird künftig ein immer größerer Anteil des privaten Kapitals im Einklang mit den Zielen von Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung eingesetzt werden. Balance von Freiwilligkeit und Regeln Die richtigen Regeln sind dabei immens wichtig. Sie müssen sicherstellen, dass klimafreundliche Investitionen auch wirklich klimafreundlich sind und nicht nur so aussehen. Der Markt für grüne Anleihen (Green Bonds) veranschaulicht die Chancen und auch Herausforderungen privater Investitionen sehr gut. Green Bonds sind ein noch recht junges Finanzinstrument, mit dem Unternehmen Geld von privaten Investoren einsammeln und versprechen, es in grüne Projekte zu investieren. Welche Projekte aber wirklich „grün“ sind, ist teilweise umstritten. Ist dies bei Solarenergie noch klar, so ist die Antwort bei der Installation von besseren Filtern für Kohlekraftwerke nicht mehr eindeutig. Auch ist nicht immer sicher, ob wirklich neues Geld für grüne Projekte eingesammelt wird, oder ohnehin geplante Investitionen einfach einen grünen Anstrich erhalten. Freiwilligkeit kann dabei ein Schlüssel für die Schaffung von transparenten Regeln sein. Auf eigene Initiative von Vertretern der Finanzindustrie und anderen Interessengruppen wie Nichtregierungsorganisationen hin haben sich bereits freiwillige Regelwerke wie die „Green Bond Principles“ oder die „Climate Bond Standards“ herausgebildet und werden fortlaufend weiterentwickelt. Dies kann für mehr Informationen und Transparenz bei Anlegern und der Öffentlichkeit sorgen. Die Politik ist gut beraten, solche freiwilligen Initiativen des Privatsektors aufzugreifen und weiterzuentwickeln. So kann ein Ausgleich der Interessen von Politik und Wirtschaft erreicht werden: einerseits wird die Akzeptanz von Regeln erhöht und diese auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnitten, andererseits wird aber auch sichergestellt, dass die Regeln effektiv sind und die Interessen von allen gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigen. So wird die Europäische Kommission in Kürze ein eigenes Regelwerk für die Klassifikation von grünen Finanzprodukten vorlegen, welches auch freiwillige Standards aufgreift. Internationale Plattformen wie die G20 sollten zudem genutzt werden, Regeln und Standards international zu harmonisieren. So kann erreicht werden, dass der private Sektor sinnvoll zur Deckung des weltweiten Investitionsbedarfs und zur Erreichung der Klimaziele beiträgt.
Diese Kolumne wurd am 04.06.2018 auch auf makronom.de veröffentlicht.

Die Welt feiert den ersten Weltbienentag

Tue, 05/22/2018 - 09:00
Bonn, 22.05.2018. Am vergangenen Sonntag feierten die Vereinten Nationen den ersten Weltbienentag, an den sich der heutige 25. Internationale Tag der Biodiversität direkt anschließt. Der im Dezember von Slowenien vorgeschlagene Weltbienentag fällt auf den 285. Geburtstag von Anton Janša, einem slowenischen Imker und Bienenwissenschaftler. Seit dieser Zeit haben die Menschen ein besseres Verständnis über die Rolle der Bienen in unseren Ökosystemen entwickelt – insbesondere im Hinblick auf ihre besondere Rolle bei der Bestäubung wichtiger Kulturpflanzen. Außerdem wissen wir heute deutlich mehr über die potentiellen Folgen des Bienensterbens. Im Jahr 2016 wertete die „Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services” (IPBES) Daten zu Bestäubern, einschließlich Bienen, aber auch Hummeln, Schmetterlingen, Vögeln und vielen anderen Tierarten aus. Diese Auswertung zeigte, dass wilde Bestäuber in Nordeuropa und Nordamerika stark zurückgehen. Die verfügbaren Daten für andere Regionen reichen für eine allgemeine Bewertung nicht aus. Allerdings wurden in Südamerika, Asien, Afrika und Ozeanien ebenfalls lokale Rückgänge verzeichnet. In Anbetracht der bedeutenden Rolle, die Insekten und Vögel bei der Bestäubung spielen, ist dieser Verlust besorgniserregend. So sind beispielsweise beinahe 90 Prozent der wilden Blütenpflanzen auf Bestäuber angewiesen. Ebenfalls hängt auch die Landwirtschaft zunehmend von ihnen ab: die bestäubungsabhängige Produktion von Kulturpflanzen ist in den vergangenen 50 Jahren um 300 Prozent gestiegen. Heute werden mindestens 800 Kulturpflanzen, und damit 35 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge, von Insekten, Vögeln und anderen Tieren bestäubt. Ohne Bienen gäbe es in den Supermärkten keine Äpfel, keine Gurken, keinen Kaffee und keine Gummibärchen mehr. Bienen sind nicht nur zuverlässige Bestäuber, sondern können auch die Qualität der Früchte verbessern. So wurde in einer Studie gezeigt, dass, im Vergleich mit selbst- oder windbestäubten Früchten, durch Bienen bestäubte Erdbeeren schwerer sind, weniger Fehlbildungen aufweisen und somit eine höhere Qualität erreichen. Leider häufen sich allerdings in den letzten zehn Jahren die Berichte über das Sterben von Wild- und Honigbienen – mit aussagefähigen Belegen dafür, dass der Einsatz von Pestiziden und Dünger in der intensiven landwirtschaftlichen Produktion verantwortlich ist. Überdies verschwinden mit der Intensivierung der Landwirtschaft Wildkräuter, während zunehmend die gleichen Pflanzen angebaut werden. Die begrenzte Blütezeit von Monokulturen reduziert aber die zeitliche Verfügbarkeit von Nektarquellen. Geht dadurch die Zahl der Bestäuber zurück, werden für die Landwirtschaft wichtige Pflanzen nicht mehr bestäubt und die Erträge sinken. Das Teilverbot von Neonicotinoiden in der EU als Schritt in die richtige Richtung Die kürzlich erfolgte Erweiterung des EU-Verbots von Neonicotinoiden-Insektiziden bildet einen wichtigen Schritt zum Schutz der Bienen und anderen, durch Pflanzenschutzmittel bedrohten Insekten. Dieses Verbot wurde politisch durchsetzbar, nachdem in einer umfassenden Neubeurteilung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nachgewiesen wurde, dass die weltweit am häufigsten eingesetzten Insektizide eine schwerwiegende Gefahr für Honig- und Wildbienen bilden. In einer weiteren Studie wurde außerdem gezeigt, dass bereits 75 Prozent des Honigs weltweit mit Neonicotinoiden belastet ist. Das Verbot ist somit ein Schritt in die richtige Richtung – allerdings reicht es nicht aus. Obwohl die EU ein vollständiges Freilandverbot für drei Wirkstoffe (Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam) verabschiedet hat, ist deren Einsatz in Gewächshäusern weiter gestattet. Damit besteht noch immer das Risiko mit diesen Substanzen Wasser und Böden zu verunreinigen. Solange die Agrarsysteme gegenüber Schädlingen und Krankheiten so anfällig sind, werden Bienen und andere Bestäuber schädlichen Chemikalien ausgesetzt. Daher brauchen wir eine Agrarproduktion, die weniger vom Einsatz chemischer Stoffe abhängig ist. Eine nachhaltige, bestäuberfreundliche Landwirtschaft, die eine ökologische Intensivierung der Landwirtschaft und eine Diversifizierung der Anbausysteme fördert, wäre eine gute Lösung. Tatkräftige Beteiligung Es besteht die Gefahr, dass wir ein Drittel der wichtigsten Nutzpflanzen verlieren, wenn es uns nicht gelingt, die Vielfalt der Bienen und anderer Bestäuber zu erhalten. Mittlerweile werden an einigen Orten Bienenstöcke kommerziell vermietet, um dort, wo es nicht ausreichend einheimische und lokale Honigbienen gibt, die Bestäubung der Pflanzen in landwirtschaftlichen Betrieben zu gewährleisten. Albert Einstein soll einst gesagt haben: „Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.” Wir wissen heute, dass dieses Zitat nicht von Albert Einstein stammt, aber wir sollten trotzdem versuchen, das Bienensterben aufzuhalten. In diesem Sinne sind neben dem Konsum ökologisch erzeugter Lebensmittel auch lokale Initiativen, wie Bienenhotels oder bienenfreundliche Gärten, wichtig. Der Weltbienentag wird nicht nur gefeiert, um die Menschen für die Leistungen der Bienen zu begeistern, sondern versteht sich auch als Aufforderung, konkrete Maßnahmen zum Schutz der Bienen und damit zum Schutz der Zukunft unserer Nahrungsmittel zu ergreifen.

Wir brauchen einen neuen Begriff von Fairness im internationalen Steuersystem

Mon, 05/14/2018 - 09:00
Bonn, 14.05.2018. Aktuelle Vorstellungen von Fairness im internationalen Steuersystem greifen zu kurz. Sie beruhen wesentlich auf der Idee, dass Steuern dort erhoben werden, wo Mehrwert geschaffen wird. Aber eine zentrale Dimension jeder nationalen Debatte über Steuergerechtigkeit oder -fairness wird im globalen Diskurs völlig ausgeblendet: Die Frage, in welchem Verhältnis öffentliche Leistungen zu den Abgaben stehen, die die Steuerzahler regelmäßig entrichten. Die Forderung, Steuern dort zu erheben, wo Mehrwert geschaffen wird, ist von zentraler Bedeutung für zwei aktuell vieldiskutierte Probleme: Steuervermeidung, vor allem durch große multinationale Unternehmen, sowie Steuerwettbewerb zwischen Staaten. Steuervermeidung beruht auf dem Prinzip, gewinnträchtige Aktivitäten künstlich dorthin zu verlagern, wo sie niedrig oder gar nicht besteuert werden. Weltweit unterschiedliche Standards oder Rechtsauffassungen ermöglichen es Unternehmen, ihre Steuerlast im grenzüberschreitenden Austausch von Waren und (Finanz-)Dienstleistungen zu minimieren. Steuerwettbewerb zwischen den Staaten wiederum führt zu einer allgemeinen Absenkung der Steuerlast. Er wurde zuletzt durch die US-Steuerreform vom Dezember 2017 weiter angeheizt. Im Rahmen dieses Wettbewerbs gewähren die Regierungen immer großzügigere Steuererleichterungen, um Kapital anzulocken oder im Land zu halten. Sie untergraben damit ihre eigenen fiskalischen Möglichkeiten, öffentliche Leistungen bereitzustellen – auch solche, die für nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung notwendig wären. Wenn es nun gelänge, unternehmerische Wertschöpfung wieder enger mit Besteuerung zu verknüpfen – die OECD bezeichnet dies als „Nexus-Prinzip“, könnten Steuervermeidung und Steuerwettbewerb wirksamer als bisher eingehegt werden. Gegenüber der derzeitigen Situation wäre dies ein großer Fortschritt. Das Nexus-Prinzip allein kann aber die Fairness des internationalen Steuersystems nicht sichern, denn es greift in wesentlichen Aspekten zu kurz. Zum einen verlagert sich Wertschöpfung vom eigentlichen Produktionsprozess in vor- bzw. nachgelagerte Aktivitäten. Sie findet heute immer mehr in Forschung und Entwicklung, Design, Marketing und nachgelagerten Dienstleistungen statt, und immer weniger in der Produktion selbst. Die wertschöpfungsintensiveren Tätigkeiten sind dabei typischerweise in den Ländern des globalen Nordens bzw. in sogenannten „Steueroasen“ angesiedelt. Die Finanzierungsprobleme vieler ärmerer Staaten wären somit nicht gelöst. Noch wichtiger: Das Verhältnis von Wertschöpfung zu den dafür notwendigen öffentlichen Leistungen ist nicht immer gleich. Globale Wertschöpfungsketten sind heute so gestaltet, dass wertschöpfungsintensivere Tätigkeiten nicht immer auch höherwertige öffentliche Leistungen (z.B. Infrastruktur, Bildungs- oder Sozialleistungen) erfordern. Das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz Hier kommt das von Mancur Olson bereits 1969 entwickelte Prinzip der fiskalischen Äquivalenz ins Spiel. Es besagt, dass der Kreis jener, die von einem öffentlichen Gut profitieren, mit dem Kreis jener übereinstimmen soll, die für dieses Gut bezahlen. Dort, wo dieses Prinzip verletzt wird – wo also Personen oder Unternehmen profitieren, ohne zu zahlen, bzw. zahlen, ohne zu profitieren – kommt es zu einer ineffizienten Bereitstellung von Leistungen. Dies kann auf die Quersubventionierung bestimmter wirtschaftlicher Aktivitäten zu Lasten anderer Sektoren hinauslaufen, oder auf eine Unterversorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Leistungen. Eine internationale Debatte, die die Wertschöpfung zum zentralen Maßstab von Besteuerung erhebt, drückt sich letzten Endes um diese Diskussion. Sie zwingt besonders ärmere Staaten zu Anpassungen ihres Leistungsportfolios, die dem gesellschaftlichen Willen eventuell nicht entsprechen. Was also wäre zu tun, um das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz international zu stärken? Erstens müssen die Regierungen in einheitlicher Form Transparenz über die steuerlichen Anreize herstellen, die sie im internationalen Wettbewerb gewähren. Nur wenn diese Informationen vorliegen, kann darüber debattiert werden, welche steuerliche Förderung tatsächlich erwünscht oder sogar notwendig ist. Für die meisten Fördermechanismen gilt heute, dass wir nicht wissen, was sie kosten und welchen wirtschaftlichen Nutzen sie bringen. Zweitens müssen multilaterale Ansätze zum Austausch steuerrelevanter Informationen gestärkt werden. Insbesondere muss offenliegen, wer die tatsächlichen wirtschaftlichen Eigentümer von Vermögenswerten sind, denn nur dies ermöglicht es, Nutzer und Zahler öffentlicher Leistungen zu identifizieren. Drittens wäre es für die Staatengemeinschaft wichtig, zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern zu gelangen. Diese könnte sicherstellen, dass die Besteuerung von Unternehmen zwischen den Staaten so abgestimmt wird, dass neben Umsätzen bzw. Gewinnen auch andere Kriterien, z.B. Beschäftigtenzahlen, herangezogen werden. Damit ließen sich die jeweiligen Leistungen der Staaten besser als bisher berücksichtigen. Diese Kolumne wurde am 14.05.2018 auch auf makronom.de veröffentlicht.

Wann kommt es zur Emanzipation arabischer Gewerkschaften?

Mon, 04/30/2018 - 09:00
Bonn, 30.04.2018. Sicherlich wird in diesem Jahr der Tag der Arbeit auch in arabischen Ländern gefeiert werden – mit viel Prunk und Fanfaren, offiziellen Umzügen und möglicherweise der feierlichen Verkündung einer Gehaltserhöhung im öffentlichen Dienst. Doch einmal abgesehen von der vielerorts noch anhaltenden Begeisterung für den Arabischen Sozialismus: Es gibt nicht viel zu feiern auf den Arbeitsmärkten in Nordafrika und dem Nahen Osten. Ein wichtiger Grund hierfür ist das Fehlen handlungsfähiger Gewerkschaften, die ihrer arbeitsmarktpolitischen Rolle gerecht werden. Die Arbeitslosigkeit in Nordafrika und dem Nahen Osten, insbesondere unter Universitätsabsolventen und Jugendlichen, ist alarmierend hoch. Und dies, obwohl die Erwerbsquote von Frauen im internationalen Vergleich das Schlusslicht darstellt. Das heißt, viele Frauen (und darüber hinaus die im informellen Sektor Beschäftigten) tauchen in der Arbeitslosenstatistik gar nicht erst auf. Der nun bereits sieben Jahre zurückliegende Arabische Frühling entzündete sich an der prekären sozioökonomischen Lage und am Fehlen von glaubwürdigen Institutionen, die hier Abhilfe leisten können. Seitdem hat sich die Wirtschaftslage in den meisten Ländern der Region eher noch verschlechtert als verbessert. Laut Umfragen werden, neben innerer Sicherheit, Beschäftigung und das Erwirtschaften von Einkommen von großen Teilen der Bevölkerung in arabischen Ländern als dringlichste Probleme gesehen. Selbst der Klassenprimus in Punkto politische Öffnung, Tunesien, kämpft mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten – und dies obwohl die Gewerkschaft UGTT und der Arbeitgeberverband UTICA als Verhandlungsführer im sogenannten Tunesischen Quartett maßgeblich zum nationalen Dialog und zur Schaffung einer neuen, freieren politischen Ordnung beitrugen und hierfür sogar den Friedensnobelpreis erhielten. Arabische Gewerkschaften haben einen äußerst schwierigen Stand: Einerseits ist da das korporatistische Erbe aus Zeiten des arabischen Sozialismus, in dem Gewerkschaften weitgehend gleichgeschaltete Massenorganisationen im Dienste autokratischer Herrscher waren. Andererseits ist das Thema Gewerkschaften im arabischen Raum ein hochpolitisches: In einem Kontext, der von westlicher Parteiendemokratie weit entfernt ist, bieten Gewerkschaften einen legalen Rahmen, sich politisch zu organisieren – auch trotz Ausnahmezustand, Versammlungsverboten oder beschnittener Pressefreiheit. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass arabische Potentaten in Gewerkschaften mögliche oppositionelle Rädelsführer vermuten und versuchen, ihren Einfluss – notfalls mit Gewalt – einzuschränken. Selbst der italienische Forscher Giulio Regeni, der zur ägyptischen Gewerkschaftsbewegung forschte, fiel der Repression zum Opfer. Dementsprechend vorsichtig und verhalten ist der Umgang nicht nur der deutschen Entwicklungspolitik mit dem Thema Gewerkschaften. EZ-Projekte im Bereich Beschäftigung befassen sich vorwiegend mit der Bekämpfung von Jugend- und Frauenarbeitslosigkeit durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, oder mit Unternehmensförderung, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Mikrokrediten. Maßnahmen, die direkt auf die Organisation des Arbeitsmarkts abzielen, wie die zur Unterstützung des tunesischen Sozialpakts, sind eher selten, entwicklungspolitisch aber umso wichtiger.  Die Funktion von Gewerkschaften ist es in erster Linie, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten und der Arbeiterschaft erzielte Verhandlungsergebnisse zu vermitteln, um so zu einem funktionierenden Arbeitsmarkt beizutragen. In Nahost und Nordafrika ist beides unabdingbar, um den überfälligen neuen Gesellschaftsvertrag aus der Taufe zu heben: Arbeitgeber und staatliche Akteure müssen Arbeitnehmer mehr mitbestimmen lassen, arabische Arbeitnehmer im Gegenzug Verhandlungsergebnisse anerkennen und realistische Erwartungen hinsichtlich verfügbarer Jobs im öffentlichen Dienst oder möglicher Sozialleistungen entwickeln. Nicht nur staatliche Repression, sondern auch Seilschaften und rücksichtslose Durchsetzung von Partikularinteressen gefährden arbeitsmarktpolitische Errungenschaften. Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder in einem Arbeitgeberverband wird bislang häufig nur als Investition in das eigene wasta (arabisch für „Vitamin B“) gedeutet. Diese Vetternwirtschaft oder gegenseitige Schuldzuweisungen an der Misere des lokalen Arbeitsmarkts sind kontraproduktiv. Vielmehr muss die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen, Arbeitgeberverbänden und eben auch Gewerkschaften stärker in den Mittelpunkt rücken und sich, frei von politischen Vorurteilen, den Problemen auf dem Arbeitsmarkt widmen. Mit etwas Mut und Fingerspitzengefühl kann die deutsche Entwicklungspolitik arabischen Partnern das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft nahebringen und so zur inklusiveren Wirtschaftsentwicklung beitragen. Zum Tag der Arbeit heißt es: Es gibt noch viel zu tun, für die arabische Welt und für ihre entwicklungspolitischen Unterstützer!

Nachhaltiger öffentlicher Einkauf als Beitrag zu besserem Arbeitsschutz

Mon, 04/23/2018 - 08:00
Bonn, 23.04.2018. Vor fünf Jahren, am 24. April 2013 stürzte in Rana Plaza, Bangladesch ein Fabrikgebäude ein, in dem tausende Menschen an Kleidungsstücken für den Export arbeiteten. Bei dem Einsturz, der auf die Missachtung von Bauvorschriften und Vorgaben zur Arbeitssicherheit zurückzuführen ist, kamen 1.138 Menschen ums Leben. Damals lenkte die Katastrophe die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Menschen- und Arbeitsrechte entlang globaler Wertschöpfungsketten. Doch was wurde aus der berechtigten Empörung der Weltgemeinschaft und werden Staaten ihrer Verantwortung heute gerecht? Rana Plaza war eines der schwersten Unglücke in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch. Als mediales Ereignis hat diese Katastrophe die Öffentlichkeit über unzumutbare und mitunter lebensgefährliche Arbeitsbedingungen in Bangladesch und im gesamten Globalen Süden sensibilisiert. Einer der aussagekräftigsten Indikatoren dafür sind die Versprechungen großer Marken nicht nur höhere Standards bei ihren Zulieferern einzufordern, sondern diese auch zu kontrollieren. Verantwortungsvolle Nachfrage stärken Die Arbeitsgesetzgebung in Bangladesch ist durchaus fortschrittlich, nur mangelt es wie in vielen Produzentenländern des Globalen Südens an deren Durchsetzung. Der Fabrikeinsturz in Rana Plaza hat in Bangladesch und darüber hinaus Bemühungen um sicherere und bessere Arbeitsbedingungen verstärkt. Viele Probleme bestehen aber weiterhin. Es zeigt sich, dass breitenwirksame Regelungen zu fairen Produktionsbedingungen, beispielsweise in Gestalt der UN-Leitprinzipien zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen, kaum Auswirkungen haben. Gleichzeitig hat die Reaktion von Unternehmen und der Politik auf das Unglück von Rana Plaza die Notwendigkeit zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen deutlich gemacht. Vielversprechender ist es daher, auf der Nachfrageseite Druck auf Unternehmen auszuüben und ihre Verantwortung für soziale und ökologische Folgen ihrer Produktion zu unterstreichen. Öffentliche Beschaffung als Hebel für nachhaltigen Wandel Weltweit macht die öffentliche Nachfrage 15-20 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aus und kann somit, wie auch der private Konsum, maßgeblichen Einfluss auf Produktionsbedingungen ausüben. Alleine in Deutschland beträgt das Einkaufsvolumen der öffentlichen Hand ungefähr 460 Mrd. Euro jährlich. Damit verfügt die öffentliche Nachfrage über eine enorme Hebelwirkung gegenüber Händlern und Herstellern. So wird nachhaltige öffentliche Beschaffung auch als zentrales Instrument zur Umsetzung des Agenda 2030-Ziele der Vereinten Nationen aufgeführt. Dank Reformen des Vergaberechts auf EU- und Bundesebene kann diese Hebelwirkung theoretisch auch für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards bei der öffentlichen Vergabe genutzt werden. In der Praxis jedoch gibt es aber nur wenige öffentliche Auftraggeber, die entsprechende Kriterien berücksichtigen. Insbesondere bei den Kommunen, die ungefähr zwei Drittel des bundesdeutschen Einkaufsvolumens verwalten, gibt es nur einzelne Vorreiter. Auch Landesgesetzgebungen haben daran bisher nur wenig geändert. Genauso stellen faire Beschaffungsprojekte in Kommunen anderer EU-Staaten bislang eher die Ausnahme denn die Regel dar. Es handelt sich stets um positive Leuchtturmprojekte, eine flächendeckende Umsetzung durch Kommunen und andere öffentliche Konsumenten gibt es nicht. Die mögliche Hebelwirkung der öffentlichen Beschaffung für eine Transformation in Richtung Nachhaltigkeit wird kaum genutzt. Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung anstoßen Erste Erkenntnisse legen nahe, dass die Eröffnung eines regulativen Möglichkeitsraums zur Verfolgung sozialer und ökologischer Ziele in der öffentlichen Beschaffung nur ein Bereich darstellt um Veränderungen anzustoßen. So werden im Zuge eines aktuellen Forschungsprojekts am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zwei weitere, mindestens ebenso wichtige Bausteine zur Umsetzung fairer Beschaffung in Kommunen analysiert – die Verwaltungsstrukturen sowie die Rolle von engagierten Einzelpersonen. Praxisnahe Leitfäden zu nachhaltiger öffentlicher Beschaffung liegen seit Jahren vor, an Erkenntnisse zu Wandlungsprozesse innerhalb kommunaler Verwaltungen zu deren Umsetzung fehlt es jedoch. Genau diese Forschungslücke wird das Projekt mit Bezug auf kommunale Akteure in Europa, Lateinamerika und Sub-Sahara Afrika adressieren und dazu Stakeholder aus der Praxis einbinden. Die öffentliche Hand hat mit ihren Beschaffungsentscheidungen und deren Ausgestaltung ein machtvolles Instrument zur Verfügung, Marktversagen in sozialen und ökologischen Belangen zu korrigieren und Wirtschaftsakteure zu beeinflussen. Hierzu müssen jedoch institutionelle Veränderungsprozesse angestoßen werden, durch Weiterbildung, Change-Management und die Unterstützung überzeugter Individuen. Falls die öffentliche Hand es auf dieser Grundlage schafft große Teile ihrer Beschaffung nachhaltig zu gestalten, kann sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich Ereignisse wie das Unglück von Rana Plaza nicht wiederholen.

Die Nexus-Perspektive: Für eine integrierte Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele

Mon, 04/16/2018 - 09:00
Bonn / Chapel Hill, 16.04.2018. Wollen wir weltweite nachhaltige Entwicklung erreichen, dann müssen wir unsere wirtschaftlichen Aktivitäten gezielter steuern. Einerseits müssen die ökologischen Grenzen des Planeten respektiert werden. Andererseits darf niemand zurückgelassen und es muss die Ungleichheit innerhalb und über Länder hinweg minimiert werden. Diese komplexe Vision einer gemeinsamen Zukunft wurde in der Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (SDGs) im Jahr 2015 von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen gemeinsam verabschiedet. Seither treffen sich jeden Juli die UN-Mitgliedsstaaten in New York, um den Stand dieser 17 Ziele im Rahmen des Hochrangigen Politischen Forums (HLPF) zu diskutieren. Doch zwei Wochen zwischenstaatlicher Berichterstattung sind ein enges Zeitfenster, um der inhaltlichen Komplexität dieser Vision gerecht zu werden. Insbesondere aber fehlt es an einer vernetzten Betrachtung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen. Die Nexus-Perspektive erlaubt es, sowohl die systemische Verbundenheit der SDGs herauszuarbeiten, sowie gleichzeitig Zielkonflikte systematisch in den Blick zu nehmen. Der Prozess um das HLPF herum gewinnt zunehmend an Bedeutung. So finden im Vorfeld des HLPF zahlreiche Expertentreffen statt. Darüber hinaus sensibilisieren wissenschaftliche Sonderhefte, Schattenberichte und Konferenzerklärungen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und des Privatsektors zunehmend diesen gesamten Prozess und speisen so vernachlässigte Themen und Erfolgsbeispiele in den Berichterstattungsprozess ein. Diese Prozesse sollen die Abstimmung vor dem HLPF und das Lernen zwischen den Ländern und unterschiedlichen Stakeholdergruppen fördern. Dies alles ist wichtig. Jedoch befördert die bislang getrennt geführte Berichterstattung über die jeweiligen Ziele es nicht, die Wechselwirkungen zwischen den ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen zu berücksichtigen. Eine Nexus-Perspektive hingegen fördert ein systemisches Verständnis und erörtert übersektorale Governance-Ansätze. So befasst sich die Debatte um den Wasser-Energie-Nahrungs-Nexus mit der Frage, wie konkurrierende Nachfrage nach den natürlichen Ressourcen Wasser (SDG 6), Boden und Biodiversität (SDG 15), mit den Anstrengungen zur Erreichung von Wasser- (SDG 6), Energie- (SDG 7) und Ernährungssicherheit (SDG 2) und dem Schutz des Klimas (SDG 13) in Einklang gebracht werden kann. In einer Analyse des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und des Stockholm Environment Institute (SEI) wurden die Beiträge aller im Rahmen des Pariser Klimaabkommens eingereichten Selbstverpflichtungen (NDCs) den 17 Nachhaltigkeitszielen zugordnet und in einem Online Tool visualisiert. Ein Ergebnis der Untersuchung war, dass Synergien fester Bestandteil politischer Dokumente sind, Zielkonflikte hingegen nicht adressiert werden. Das könnte aber möglicherweise dazu führen, dass die Klimaziele auf Kosten des Erhalts der Biodiversität oder des Sicherstellens von Wasser- oder Ernährungssicherheit erreicht werden. Im Vorfeld des diesjährigen HLPF findet diese Woche in Chapel Hill, North Carolina zum zweiten Mal die vom Water Institute initiierte Nexus-Konferenz statt. Es ist ein Stakeholdertreffen, das wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und politische Akteure gleichermaßen vereint und sich mit übersektoralen Ansätzen zur integrierten Umsetzung der Agenda 2030 befasst. Die erste Nexus-Konferenz leistete im Jahr 2014 einen bedeutenden inhaltlichen Beitrag zur Anerkennung der Verbundenheit der 17 Nachhaltigkeitsziele. Was können wir nun also von der diesjährigen, zweiten Nexus-Konferenz erwarten? Als eine Plattform, die den Dialog zwischen unterschiedlichen Stakeholdern befördert, ermöglicht sie den Wissensaustausch zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Politikgestaltung. Zudem verdeutlicht der diesjährige Fokus auf die Urbanisierung den Querschnittscharakter der SDGs. Die konkurrierende Nachfrage nach natürlichen Ressourcen und die Herausforderung soziale Ziele zu erreichen schlagen sich drastisch in den stark wachsenden urbanen Räumen nieder. Um eine integrierte Umsetzung aller SDGs im urbanen und dem damit eng verknüpften ländlichen Raum zu erreichen, ist es sinnvoll übersektorale Ansätze für kritische Zielkonflikte zu diskutieren, um Interdependenzen innerhalb der Agenda 2030 frühzeitig zu adressieren. Hier kann die diesjährige Nexus-Konferenz wegweisend sein, indem kritische Zielkonflikte im ausgewählten Themenspektrum thematisiert werden und das Ergebnisdokument der Nexus-Konferenz Schlüsselfaktoren für eine integrierte Umsetzung der Agenda 2030 betont. Dabei bietet die Konferenz eine geeignete Plattform, den Umgang mit Zielkonflikten kritisch zu reflektieren. Dies beinhaltet prozedurale Fragen, wie mit Zielkonflikten umgegangen werden soll, Fragen der Legitimität, nämlich wer Entscheidungen in Hinblick auf Zielkonflikte entscheiden darf und möglicherweise ethische und praktische Fragen, wer Anspruch auf Kompensationen hat. Diskussionen um mögliche Lösungspfade können wiederum im Rahmen thematischer Reviews vor dem HLPF Eingang in nationale Umsetzungsprozesse und politischen Agenden finden.

Der Wald in Subsahara Afrika braucht umfassende Strategien für Energie aus Biomasse!

Wed, 03/28/2018 - 13:52
Bonn, 28.03.2018. Am 21. März wird der internationale Tag des Waldes gefeiert, obwohl vielen Waldschützern nicht zum Feiern zumute ist. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO hatte bereits in den 1970er Jahren einen solchen Gedenktag ins Leben gerufen. Seitdem sind insbesondere in den Tropen viele Millionen Hektar Wald verloren gegangen, was durch die Zunahme der Waldfläche in den gemäßigten Breiten nicht kompensiert werden konnte. Ein wichtiger Grund für den Waldverlust und für den Verlust seiner ökologischen Qualität ist die (übermäßige) Entnahme von Holz für den Energiebedarf. Zum Tag des Waldes 2017 (Motto „Wald und Energie“) sammelte die FAO  dazu beeindruckende Zahlen: 2,4 Milliarden Menschen sind auf Holzenergie angewiesen zum Kochen und Heizen. Mehr als die Hälfte des eingeschlagenen Holzes weltweit wird zur Energienutzung verwendet. Holzenergie stellt 40 Prozent der gesamten erneuerbaren Energie - mehr als Solar-, Hydro- und Windenergie zusammen. 900 Millionen Menschen sind im Holzenergiesektor beschäftigt, 3/4 davon Frauen. Besonders abhängig von Holzenergie ist Subsahara Afrika, in Tansania etwa sind es 90 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass zumindest bis 2040 die Produktion von Energie aus Biomasse global noch ansteigen wird. Für Afrika geht die Agentur für erneuerbare Energien IRENA selbst unter optimistischen Annahme davon aus, dass der Biomasse-Verbrauch nur geringfügig sinkt –  er könnte aber auch deutlich ansteigen. Sind das gute oder schlechte Nachrichten für den Wald? Interessanterweise gibt es dazu ganz unterschiedliche Antworten: In vielen Industrieländern wird die Ausdehnung der Holzenergienutzung aktiv betrieben. Das betrifft die (wiederentdeckte) Nutzung von Scheitholz, aber noch viel mehr von Holzpellets. Der entsprechende Handel wächst exponentiell. Grund für den Boom sind die Eigenschaften von Biomasse: Sie ist vielseitig, leicht lager- und transportierbar und gut mit bisherigen Energiesystemen kompatibel. Die Politik unterstützt allgemein diese Nutzungstendenz. In Entwicklungsländern ist die Situation anders: Holz wird häufig als altmodisch angesehen und mit negativen Attributen bedacht (Emissionen, Unfälle und eben Entwaldung). Viele Länder versuch(t)en sich an Substitutionsprogrammen z.B. durch Flüssiggas. Dies hat(te) zwar in Schwellenländern durchaus Erfolg, sprach in den ärmeren Ländern Subsahara Afrikas aber häufig nur städtische und einkommensstärkere Haushalte an. Zum Teil wurde die Holzkohleproduktion schlicht verboten, was allerdings mangels Alternativen nur zur Förderung von Schwarzmärkten und Preis führte, aber kaum zur Reduzierung des Verbrauchs. In den meisten Ländern wird allenfalls an Teilproblemen gearbeitet, wie etwa der Verbreitung verbesserter Öfen oder Aufforstungen im Rahmen von Klimaschutz-Programmen. Rar dagegen sind Ansätze, die die Angebotssteigerung von nachhaltig erzeugter Biomasse fördern, und noch rarer wirklich integrierte Ansätze, die die gesamte Energieholz-Wertschöpfungskette von der Produktion über die Vermarktung und Verarbeitung bis zum Konsum adressieren. Ein unrealistisches oder kein Engagement zur Holzenergie löst allerdings keine Probleme, sondern verlagert und verschärft diese nur. Denn gerade die arme Bevölkerung in Subsahara Afrika hat kaum Alternativen zu Holz. Substitutionsprogramme, die meist auf fossiler Energie beruhen, können dies allenfalls sehr langfristig ändern. Wenn die bis 2100 auf bis zu 4 Milliarden Menschen geschätzte Bevölkerung Afrikas Energie nachhaltig konsumieren soll, muss nachhaltige Holzenergiewirtschaft berücksichtigt werden. Dieses Holz kann aus Waldwirtschaft (zusammenhängende Baumbestände) sowie Agro-Forstwirtschaft (Bäume integriert in Landwirtschaft) stammen. Für diese Holzenergiestrategien braucht es ein Bündel von Maßnahmen: abgestimmte Rechte an Boden, Bäumen und Wäldern, forstwirtschaftliche und verarbeitungstechnologische Verbesserungen, insbesondere bei der Waldbewirtschaftung, den agroforstlichen Anbausystemen und der Holzkohle-/Meilertechnologie, Verteuerung von nicht-nachhaltiger Produktion, Reformen zur Abstimmung zwischen den beteiligten Sektoren ((Land)Wirtschaft, Energie, Forst) sowie zwischen den verschiedenen administrativen Ebenen vom einzelnen Land/Forstwirt bis zu Ministerien.  Da Holzenergie in Afrika faktisch aus atomisierten Wertschöpfungsketten besteht, sind dezentrale Ansätze mit dem Ausgangspunkt im ländlichen Raum unabdingbar. Trotzdem ist, wegen der Gefahr des Raubbaus, eine zentrale Überwachung ebenso wichtig. Die Geber sollten sich vor diesem Sektor nicht scheuen, auch wenn er hochkomplex ist - und die Gefahr von Rückschlägen und Negativ-Schlagzeilen nicht gering: Nicht-Beachtung ist schlimmer und gefährlicher. Die positive Einstellung zur Biomasse in den Industrieländern und deren jahrhundertealter Waldschutz unter/durch Nutzung sollte deswegen weitergetragen werden. Mit konsequentem Engagement kann so aus der Holzenergie eine positive Kraft für den Wald entstehen, ohne aber wird das Gegenteil passieren.

US-Zollerhöhungen: Welche Auswirkungen haben sie für Entwicklungsländer?

Fri, 03/23/2018 - 11:22
Bonn, 23.03.2018. An diesem Freitag treten die von den USA beschlossenen Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte in Kraft. Die amerikanische Handelspolitik war im ersten Jahr der Präsidentschaft von Donald Trump von einer aggressiven Rhetorik geprägt, der allerdings erst einmal kaum Taten folgten. Einzig der Austritt der USA aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) am ersten Amtstag von Donald Trump und die erzwungene Nachverhandlung der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) sorgten für Aufregung. Die massiven Zollerhöhungen auf Stahl- und Aluminium und die gestern angekündigten Maßnahmen gegen China haben das Potenzial eine protektionistische Eskalation in Gang zu setzen. Welche Auswirkungen dies auf Entwicklungsländer haben wird, hängt maßgeblich von den Reaktionen der anderen Handelsmächte, vor allem der Europäischen Union (EU) und dem Schwellenland China, ab. Die kurzfristigen Auswirkungen der Zollerhöhungen auf Entwicklungsländer – sieht man von den großen Schwellenländern ab – dürften gering sein. Die USA erhöhen die Zölle zwar auf alle Stahl- und Aluminiumimporte, allerdings sind Entwicklungsländer hiervon kaum betroffen, weil ihr Anteil am weltweiten Stahlhandel gering ist. Es sind vor allem die Industrie- und Schwellenländer, die von den Zollerhöhungen der USA betroffen sind. Daher war es auch folgerichtig, dass die G20-Finanzminister das Thema bereits auf dem G20-Gipfel in Hamburg und diese Woche in Argentinien diskutiert haben – gleichwohl mit mäßigem Erfolg. Eigentlich wäre die G20 der richtige Rahmen für Verhandlungen. Denn die Handelsproblematik steht im Zusammenhang mit Überkapazitäten (vor allem in China) und makroökonomischen Politiken (vor allem den massiven deutschen Leistungsbilanzüberschüssen). Diese Situation erfordert Zugeständnisse auf allen Seiten, wenn ein offenes Handelssystem auf kooperativer Grundlage erhalten werden soll. Besorgniserregender für Entwicklungsländer sind jedoch die mittel- bis langfristigen Auswirkungen der US-Zollerhöhungen. Entwicklungsländer sind tief in die globalen Wertschöpfungsketten eingebunden, an deren Spitzen Unternehmen aus Industrie- und zunehmend auch Schwellenländern stehen. Mit dem Ziel günstiger und effizienter produzieren zu können, spalten große und mittlere Unternehmen seit den 1990er Jahren Produktionsprozesse zunehmend auf. Um am Welthandel teilnehmen zu können, müssen sich Unternehmen aus Entwicklungsländern auf einzelne Aufgaben in globalen Wertschöpfungsketten spezialisieren, anstatt zu versuchen das gesamte Produkt selbst herzustellen. Eine Zollspirale, die sich zwischen den USA, der EU und China nach oben schraubt, hätte demnach auch negative Auswirkungen auf Entwicklungsländer, die durch die Wertschöpfungsketten übertragen werden. Denn in den Produkten europäischer und chinesischer Unternehmen, die nicht mehr auf dem amerikanischen Markt abgesetzt werden können, stecken auch Zwischenprodukte aus Entwicklungsländern. Vergleicht man die Wirkung von Zöllen auf globale Wertschöpfungsketten mit einem fahrenden Zug, so ist jeder Aufprall an der Spitze des Zuges auch im letzten Waggon noch zu spüren. Entwicklungsländer würden auch von der Schwächung des multilateralen Handelssystems betroffen sein. Sowohl Brüssel als auch Peking haben angekündigt gegen die Zollerhöhungen Washingtons in der Welthandelsorganisation (WTO) vorzugehen. Grundsätzlich ist es richtig, Handelskonflikte im Rahmen eines unabhängigen und regelbasierten Systems auszutragen. Allerdings ist der Ausgang des internationalen Schiedsverfahrens offen. Dies liegt vor allem an der Begründung von Präsident Trump: Zollerhöhungen auf Stahl- und Aluminiumimporte sind notwendig, weil ansonsten die nationale Sicherheit der USA bedroht ist. Gerade der Ausnahmetatbestand der nationalen Sicherheit ist allerdings im WTO-Regelwerk nur schwammig definiert. Sollte diese Begründung in einem WTO-Verfahren Erfolg haben, dürften sich auch Unternehmen aus anderen Sektoren und Ländern ermuntert sehen, auf Zollschranken im nationalen Sicherheitsinteresse zu drängen. Dieser legalisierte Protektionismus würde auch Sektoren treffen, die für Entwicklungsländer wichtig sind. Sollten die USA in den Schiedsverfahren unterliegen, dürfte Washington dies zum Anlass nehmen, auch den letzten Nagel in den Sarg zu schlagen, in dem die WTO zu Grabe getragen wird. Seit seinem Amtsantritt hat Präsident Trump mit seiner Abneigung gegenüber der WTO nicht hinterm Berg gehalten und blockiert aktuell die Besetzung zentraler Richterstellen beim Berufungsgericht der WTO. Eine weitere Schwächung der WTO wäre vor allem für Entwicklungsländer fatal, denn gerade die Schwachen im Welthandelssystem sind auf eine Institution angewiesen, in der Regeln maßgeblich sind und nicht der Wille des Mächtigen. Die Situation scheint verfahren. Mit welcher Härte die Trumpschen Schutzzölle auf das Handelssystem durchschlagen, hängt davon ab, wie die anderen großen Handelsmächte reagieren. Direkte Gegenmaßnahmen im Stahl und Aluminiumsektor sind gerechtfertigt, um sich vor Überkapazitäten zu schützen und Arbeitsplätze zu sichern. Weitergehende Vergeltungsmaßnahmen sind dagegen kontraproduktiv. Sie würden nur den nächsten Gegenschlag der USA provozieren. Diese Eskalation muss verhindert werden – auch im Interesse der Entwicklungsländer.

Wassersicherheit und ökosystembasierte Anpassung an den Klimawandel

Thu, 03/22/2018 - 09:00
Bonn, 22.03.2018. Das Motto des diesjährigen Weltwassertages lautet „die Antwort liegt in der Natur“ und bezieht sich auf grüne Lösungen für die Wasserkrisen des 21. Jahrhunderts. Diese Krisen sind eng mit dem Klimawandel verknüpft, der die Wassersicherheit weltweit bedroht. Rund 1,9 Mrd. Menschen sind bereits heute mit Wasserknappheit konfrontiert. Nach Schätzungen der OECD wird diese Zahl bis 2050 auf 3 Mrd. Menschen steigen. Schätzungen zufolge werden außerdem bis 2050 fast 20 Prozent der Weltbevölkerung von Überschwemmungen bedroht sein. Nach dem World Economic and Social Survey bekommen arme und marginalisierte Gruppen wahrscheinlich die schlimmsten Auswirkungen von Wasserknappheit und Hochwassergefahren zu spüren, da sie in besonders risikobehafteten Gebieten leben und nicht die Mittel haben, um sich auf Dürren oder Hochwasser vorzubereiten. Der Klimawandel verschärft dabei bestehende Ungleichheiten und bedroht die Wassersicherheit und damit die Entwicklung und das Wohlergehen bereits benachteiligter Gruppen überproportional. Wasser ist für Menschen lebenswichtig. Es wird als Trinkwasser genutzt und stellt die Grundbedingung für die Produktion von Fisch, Holz, Früchten und einer Vielzahl anderer Produkte aus der Landwirtschaft und Industrie sowie für eine Reihe von Freizeitmöglichkeiten dar. Darüber hinaus können wasserbasierte Ökosysteme und die von ihnen bereitgestellten Dienstleistungen den Menschen helfen, die Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen. Die Hochland-Ökosysteme der Anden (Paramos) z.B. nehmen Wasser auf und speichern es, dienen als Hochwasserpuffer in der Regen- und als ausgleichende Wasserquelle in der Trockenzeit. Küstenmangroven und Feuchtgebiete reduzieren die Auswirkungen von Überschwemmungen und Stürmen auf Städte und Dörfer. Vor diesem Hintergrund setzen viele Entwicklungs- und Umweltagenturen auf die Förderung ökosystembasierter Anpassungsstrategien, um Wasserressourcen auch zukünftig zu sichern Ökosystembasierte Anpassung sowie Maßnahmen zur Wassersicherheit stellen das Wohlergehen aller Menschen in den Mittelpunkt. Bestehende soziale Ungleichheiten beeinflussen jedoch oft, inwieweit Bevölkerungsgruppen von Ökosystemdienstleistungen profitieren können und wie sich Wasserressourcen und -risiken verteilen. Als Realitätscheck ist es daher notwendig, Maßnahmen zur Förderung der Wassersicherheit und ökosystembasierter Anpassung vor dem Hintergrund wachsender Ungleichheit zu bewerten. Zum Beispiel kann die Wassernutzung einer bäuerlichen Gemeinschaft flussaufwärts (z.B. Bewässerung) mit der Wassersicherheit eines flussabwärts gelegenen Schnittblumenproduzenten oder eines Wasserversorgungsunternehmens. So kann die Bewahrung der Wassersicherheit einiger Akteure zu einer Wasserunsicherheit für andere führen. Politische und wirtschaftliche Macht spielen eine wichtige Rolle bei der Frage, wessen Wassersicherheit erreicht wird. Viele ökosystembasierte Anpassungsprojekte werden in lokalen Gemeinschaften in kleinen Projekten durchgeführt. Doch die Aktivitäten mächtiger Wirtschaftsakteure (z.B. große Viehzüchter, Immobilienentwickler) schränken häufig die Anpassungsfähigkeit der Gemeinschaften ein, z.B. durch das Trockenlegen von Feuchtgebieten oder das Fällen von Bäumen, was das Überschwemmungsrisiko erhöht. Die meisten ökosystembasierten Anpassungsprojekte sind mit Umweltschutzauflagen verbunden: Dies bedeutet jedoch einen eingeschränkten Zugang der Gemeinden zu einigen Ökosystemen und deren Dienstleistungen (z.B. weniger Bewässerungswasser, weniger Holz, Landnutzungsbeschränkungen) und einen erhöhten Zeitbedarf für Anpassungsmaßnahmen (z.B. lebende Hecken, Mangrovenanbau). Unterdessen versuchen mächtige Wirtschaftsakteure, Umweltschutzgesetze zu umgehen und zerstören weiterhin bestehende Ökosysteme. In diesem Sinne hängt der Erfolg ökosystembasierter Anpassung nicht nur von den Anstrengungen der Gemeinschaften selbst ab, sondern auch von der Durchsetzung der Umweltgesetze und der Verantwortung, die mächtige Wirtschaftsakteure für diese gemeinsamen Ökosysteme zu übernehmen bereit sind. Das Potenzial naturbasierter Lösungen ist gewaltig. Sie bieten die Möglichkeit, Wassersicherheit,
Klimaresilienz und sozialen Zusammenhalt zu verbessern und gleichzeitig Ökosysteme zu schützen. Sozioökonomische Ungleichheiten und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wassersicherheit stellen jedoch eine doppelte Herausforderung dar. Um sicherzustellen, dass naturnahe Lösungen diejenigen erreichen, die am dringendsten Hilfe benötigen, müssen sie Fragen der sozialen Differenzierung in den Blick nehmen und mögliche Auswirkungen auf die Sozialstruktur der Zielgruppen genau betrachten. Nur so können sie zu echten Win-Win-Ergebnissen führen.

Die Zeit ist reif für mehr gemeinsame Impulse zu globalen Entwicklungsfragen

Wed, 03/21/2018 - 11:17
Bonn/Paris, 21.03.2018. Die globale Entwicklungsagenda steht unter Druck. Die weltweit steigende Zahl von Flüchtlingen, die humanitären Krisen in fragilen Staaten sowie die zunehmend sichtbaren Folgen des Klimawandels machen deutlich, dass „inklusive“, „nachhaltige“ oder „gute“ Entwicklung nicht automatisch stattfindet. Gemeinsame Strategien zur Lösung globaler Probleme waren deshalb noch nie so wichtig wie heute, auch wenn gleichzeitig die Möglichkeiten, gemeinsam gegen schwierige Trends vorzugehen, noch nie so begrenzt erschienen. Auch Europa bildet hierbei keine Ausnahme, da eine Vorliebe für kurzfristige politische Erfolge und die populistische und nationalistische Sichtweise einiger EU-Mitgliedsstaaten die konzertierte Verfolgung gemeinsamer Entwicklungsthemen immer wieder schwächt. Aus diesem Grund halten wir eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik durch die Suche nach flexibleren Bündnissen und Netzwerken für unabdingbar. Der Zusammenarbeit von Frankreich und Deutschland kommt hierbei aus drei verschiedenen Gründen eine besondere Bedeutung zu. Drei Gründe für eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit Die enge, historisch gewachsene Verbindung von Deutschland und Frankreich auf vielen Gebieten ist das Fundament für die zukünftige Zusammenarbeit bei globalen Entwicklungsfragen. Grundlage hierfür ist der 1963 vom Präsidenten der Französischen Republik, Charles de Gaulle, und dem deutschen Bundeskanzler, Konrad Adenauer, unterzeichnete Élysée-Vertrag, welcher ehrgeizige Ziele für die Zusammenarbeit beider Länder in entwicklungspolitischen Fragen festschrieb: „Hinsichtlich der Entwicklungshilfe stellen die beiden Regierungen ihre Programme einander systematisch gegenüber, um dauernd eine enge Koordinierung durchzuführen. Sie prüfen die Möglichkeit, Vorhaben gemeinsam in Angriff zu nehmen.“ Trotz einiger vielversprechender Ansätze (z.B. bei der Projektzusammenarbeit im Wassersektor in verschiedenen Ländern) wurden die ursprünglich angestrebten Ziele noch nicht erreicht. Des Weiteren befinden sich sowohl der französische Präsident Macron als auch die deutsche Bundeskanzlerin Merkel noch am Anfang ihrer jetzigen Amtszeit. Ein „neuer Aufbruch für Europa“ hat für beide Regierungen eine herausragende Bedeutung. Trotz in mancherlei Hinsicht unterschiedlicher Sichtweisen, haben neuere politische Entwicklungen ein gesteigertes Interesse an einer engeren Zusammenarbeit beider Länder befördert. Im Jahr 2017 hat beispielsweise der Deutsch-Französische Ministerrat über mehrere entwicklungspolitische Themen beraten. Hierbei könnte die von Frankreich, Deutschland und der EU (sowie von einigen weiteren Partnern) vorangetriebene „Allianz für den Sahel“ eine Vorreiterrolle für weitere gemeinsame Projekte einnehmen. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, einer neuen, von beiden Ländern gemeinsam getragenen Entwicklungspolitik stärkeres Gewicht zu verleihen. Gleichzeitig könnten so auch die von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in Hinsicht auf eine globale Strategie geforderte gemeinsame EU-Außenpolitik und der vom EU-Präsidenten Jean-Claude Junker vorgeschlagene Mehrjährige Finanzrahmen der EU vorangetrieben werden. Darüber hinaus liegen die Vorteile einer nach dem Brexit fortgeführten, möglichst engen Zusammenarbeit von Großbritannien und der EU auch in Fragen globaler Entwicklung auf der Hand. Für beide Seiten sind sowohl Fachkenntnisse und Sachverstand als auch die bewährten Finanzierungsinstrumente des jeweils anderen unverzichtbar. Auch über den derzeitigen finanziellen Beitrag der Briten zur europäischen Außenpolitik (12%) hinaus, ist es im gemeinsamen Interesse von Deutschland und Frankreich, Großbritannien in möglichst großem Umfang weiterhin in die europäische Entwicklungspolitik einzubeziehen; dies gilt vor allem für die Kooperation mit Blick auf Krisenregionen. Eine gemeinsam von Frankreich und Deutschland erarbeitete Strategie globaler Entwicklung könnte dabei den Grundstein sowohl für eine Schärfung des entwicklungspolitischen Profils der EU als auch für eine gemeinsame Vision der zukünftigen, „post-Brexit“ Zusammenarbeit mit Großbritannien legen. Mögliche Handlungsfelder Auf politischer Ebene könnte während der französischen G7-Präsidentschaft 2019 eine vom Deutsch-Französischen Ministerrat vorbereitete gemeinsame Initiative für Afrika und die krisenanfälligsten Staaten vorgestellt werden. Auf der Finanzebene müsste eine Bestandsaufnahme der bisherigen Aufwendungen vorgenommen und gleichzeitig die schon bestehende, bilaterale Zusammenarbeit der jeweiligen Finanzinstitute intensiviert werden. Die Agence Française de Développement (AFD) und die KfW Entwicklungsbank betreiben seit Jahren einen regen Mitarbeiteraustausch. Dieser Austausch sollte sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Abstimmung als auch einer gemeinsamen Strategieentwicklung mit anderen entwicklungspolitischen Institutionen ausgebaut werden. Auf wissenschaftlicher Ebene brauchen wir mehr deutsch-französische Denkanstöße für eine kritische Auseinandersetzung mit Fragen der künftigen strategischen Ausrichtung. Unserer Meinung nach könnten hier das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und das Institut du développement durable et des relations internationales (Iddri) für die gemeinsame Debatte einen geeigneten Rahmen bieten und dabei mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen, anderen Akteuren globaler Entwicklung, Mitgliedern der Parlamente und zivilgesellschaftlichen Gruppen kooperieren. Ziel eines solchen Gedankenaustauschs sollte eine Reihe unabhängiger Analysen und Handlungsempfehlungen sein, welche die gemeinsame Arbeit zu globalen Entwicklungsfragen von Frankreich und Deutschland befördert. Stephan Klingebiel ist Co-Chair des Forschungsprogramms „Inter- und transnationale Zusammenarbeit“ am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Er ist regelmäßiger Gastprofessor der Stanford University. Tancrède Voituriez ist Volkswirt. Er leitet das Governance-Programm am Institut du développement durable et des relations internationales (Iddri).
Dieser Beitrag ist parallel auch auf Französisch erschienen
Diese Kolumne ist am 21.03.2018 auch bei Euractiv.de erschienen.

Die Ziele des Koalitionsvertrags weisen über die Grenzen Deutschlands hinaus

Mon, 03/19/2018 - 08:00
Die neue Bundesregierung hat sich mit ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland zu stärken. Die Dringlichkeit der Aufgabe liegt auf der Hand. Wahlergebnisse und die Art der politischen Auseinandersetzung belegen zunehmende Risse im sozialen Gefüge. Doch das Problem besteht weit über Deutschland hinaus. Es erklärt etwa den Aufstieg populistischer Politiker, deren Agenden für Konfrontation und Abschottung stehen: Von Chavez bis Trump, von Putin bis Orban. Für viele Gesellschaften sind die Folgen der inneren Zerrissenheit noch viel einschneidender: Seit 2016 sahen sich mehr Länder mit gewaltsamen Konflikten konfrontiert denn je seit dem Ende des Kalten Krieges, warnen Vereinte Nationen und Weltbank in einer kürzlich erschienenen gemeinsamen Studie. Die Verbindung Deutschlands mit dieser Entwicklung steht seit 2015 allen vor Augen. Ohne die Implosion der alten Ordnung im Nahen Osten und Nordafrika wäre es nicht zu jener humanitären Katastrophe gekommen, die dann schließlich auch Europa erreichte. Was also ist zu tun? Der Bericht von UN und Weltbank macht deutlich: Wer nachhaltigen Frieden erreichen will, muss Ausgrenzung überwinden, benachteiligten Gruppen gleiche Chancen zur politischen Teilhabe eröffnen und neue Wege bei der Überwindung von Armut und der Schaffung von Wohlstand gehen. Mehr Wachstum alleine schafft keinen Frieden, mehr Arbeitsplätze sind keine Garantie, dass sich gesellschaftliche Spaltung nicht vertieft. Es ist immerhin die Weltbank, die argumentiert, dass im Zweifel auch Umverteilung erforderlich sein kann, um den sich vertiefenden sozialen Gräben entgegenzuwirken. Unter der Überschrift der „Reduzierung von Fluchtursachen“ hat auch die Bundesregierung seit 2015 viel investiert. Mehrere Milliarden Euro wurden jährlich aufgewendet, um humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in Erstaufnahmeländern zu leisten, um Krisenländer und ihre Nachbarschaft wirtschaftlich und mit Infrastrukturmaßnahmen zu stabilisieren – und um damit, so die Hoffnung, die Zahl der Menschen, die sich auf den Weg nach Europa machen, zu begrenzen. Vieles davon ist fraglos sinnvoll und aus humanitärer Sicht geboten. Anderes hat Kritik auf sich gezogen, weil etwa Menschenrechtsorganisationen eher Abschottung als nachhaltige Hilfe am Werk sahen. Vor allem aber ist es nicht gelungen, endlich in gleichem Maße in die tatsächliche Vorbeugung von Krisen und die Schaffung nachhaltiger Friedensordnung zu investieren wie in die Krisenbewältigung. Die gemeinsame UN-Weltbank-Studie hat erneut dargelegt, dass Vorbeugung um ein Vielfaches weniger kostet als alleine die Bewältigung der wirtschaftlichen Schäden gewaltsamer Konflikte und humanitärer Katastrophen, von den menschlichen Folgen ganz abgesehen. Wer sich der Minderung von Fluchtursachen widmen will, muss sich damit auseinandersetzen, warum Menschen sich gezwungen sehen, in großer Zahl gegen ihren Willen ihre Heimat zu verlassen. In aller Regel steht dahinter ein Staat, der mehr oder weniger große Teile seiner Bevölkerung aufgegeben hat. Untersuchungen des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), die seit dieser Woche unter dem Titel „Constellations of State Fragility“ online abrufbar sind, zeigen, wo und in welchem Maße Staaten weltweit seit Mitte der 2000er Jahre Kernaufgaben gegenüber ihren Bevölkerungen vernachlässigt und damit Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt geschaffen haben. Anhand der Daten lässt sich unter anderem nachvollziehen, dass Staaten, die auf Repression statt Legitimierung gegenüber ihrer Bevölkerung setzen, mit zunehmender Dauer zu tickenden Zeitbomben werden können. Besonders der Nahe Osten und Nordafrika stechen hier hervor. Die Region verzeichnete vor 2011 die größte Ansammlung an Staaten mit Legitimitätsdefiziten. Die tragischen Folgen sind bekannt. Zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt und damit zur Verhütung gewaltsamer Konflikte auch in anderen Ländern beizutragen, ist also für jede Bundesregierung ebenso ein Gebot der Vernunft wie der Menschlichkeit. Die letzte Große Koalition hat sich dazu noch im Sommer 2017 mit einem Grundsatzdokument zur Friedensförderung in bemerkenswerter Deutlichkeit bekannt. „In einer eng vernetzten Welt spüren wir Auswirkungen von staatlicher Fragilität, von Krisen und Gewalt auch in Deutschland“, schrieb die Bundeskanzlerin in ihrem Vorwort. Nun kommt es darauf an, von einer Fokussierung auf die Krisenbewältigung überzugehen zu einer Politik, die sich für die Überwindung von politischer und wirtschaftlicher Ausgrenzung weltweit, vor allem aber in fragilen Staaten, einsetzt. Eine solche Politik macht im Übrigen nicht halt an den klassischen Grenzen der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Sie betrifft ebenso Handels-, Finanz- und Umweltpolitik sowie weitere Politikbereiche. Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen weist dazu den Weg. Die neue Bundesregierung hat mehr Gründe denn je, die Verpflichtungen, die sie 2015 gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft eingegangen ist, ernst zu nehmen. Letztlich wird dies auch dem sozialen Zusammenhalt in Deutschland dienen.
Um eine genauere Analyse fragiler Staatlichkeit zu ermöglichen, hat das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) ein neues Daten-Tool entwickelt: Constellations of State Fragility unterscheidet sechs Typen fragiler Staatlichkeit anhand von zehn Indikatoren in drei Dimensionen, die für 171 Länder weltweit ermittelt wurden.

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