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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Updated: 1 month 3 weeks ago

Nachhaltige Entwicklung durch CO2- und Biodiversitäts-Offsets?

Fri, 18/03/2016 - 14:38
Bonn, 21.03.2016. Der 21. März ist der internationale Tag des Waldes – eine gute Gelegenheit, um gängige Natur- und Klimaschutzpraktiken zu hinterfragen. Offsets und ökologische Ausgleichsmaßnahmen für den Verlust von Biodiversität werden zunehmend zum Erreichen von Nachhaltigkeitszielen genutzt. Aber können diese Maßnahmen tatsächlich zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen? Offsets sind ein Verfahren, mit dem die Akteure den durch ihre Tätigkeit verursachten Umweltschaden ausgleichen sollen: Im Rahmen von CO2-Offsets investieren die Akteure beispielsweise in Waldschutz- und Aufforstungsmaßnahmen als Ausgleich für die durch Treibhausgasemissionen verursachten Schäden. Im Rahmen von Biodiversitäts-Offsets unterstützen die Akteure mit ihren Investitionen die Schaffung von äquivalenten Lebensräumen für eine bestimmte Art an einem anderen Ort. Durch diese Praxis wird deutlich, dass etwa Wälder in zunehmendem Maße als standardisierte und handelbare Waren betrachtet werden, die beliebig austauschbar und ersetzbar sind. Dabei wird aber oft vergessen, dass Wälder und andere Ökosysteme in der Realität weitgehend einzigartig sind. Wälder mit dem gleichen Artenbestand, gleichen klimatischen Verhältnissen und Bodenbedingungen haben trotzdem häufig einen völlig unterschiedlichen Charakter – daher sind sie weder replizier- noch austauschbar. Die bekanntesten Offset-Mechanismen sind der Emissionshandel und die Biodiversitäts-Offsets – also ökologischen Ausgleichsmaßnahmen. Wer ein Flugticket kauft, kann die durch den Flug verursachten CO2-Emissionen kompensieren, indem er einen freiwilligen Beitrag zur Finanzierung von Wiederaufforstungs- und Waldschutzprojekten zahlt. Die Idee dahinter ist, dass Wälder die Emissionen absorbieren, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe während des Fluges ausgestoßen werden. Biodiversitäts-Offsets beinhaltet Verfahren, die von Unternehmen eingesetzt werden können, um an einem „Ersatzstandort“ einen Ausgleich für „unvermeidbare“ Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Biodiversität zu schaffen. Zur Erweiterung des Airbus-Werks in Hamburg hat der Hamburger Senat beispielsweise die Zerstörung eines einzigartigen Süßwasserwatts genehmigt, und für die Neuerschaffung des nicht mehr vorhandenen Watts ein anderes Gebiet, die Insel Hahnöfersand, zur Verfügung gestellt. Wo liegen die Probleme des Offset-Ansatzes? Bei der Betrachtung des CO2-Ausgleichs durch Wiederaufforstung gibt es mindestens vier kritische Punkte. Erstens: Vergleicht man durch fossile Brennstoffe verursachte Emissionen mit jenen durch Abholzung entstandenen, vergleicht man Äpfel mit Birnen. Fossile Brennstoffe – wie Öl, Gas, Kohle – enthalten Kohlenstoff, der von fossilen Organismen über sehr lange Zeiträume angereichert wurde. Verbleibt der Kohlenstoff im Boden, wird er dauerhaft gespeichert. Durch die Photosynthese nehmen Bäume CO2 auf und speichern so Kohlenstoff. Diesen geben sie nach ihrem Tod aber wieder als CO2 frei. Zweitens: Der Schutz von Wäldern verringert zwar tatsächlich Emissionen, die durch Entwaldung entstehen, der Offset-Ansatz ermöglicht jedoch die weitere Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Diese können aber nicht dauerhaft von Wäldern absorbiert werden. Drittens: Die Berechnung des Kohlenstoffs, der in einem Wald für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden kann, beruht auf Modellierungen der zukünftigen Landnutzung. Diese Modelle basieren auf spezifischen Annahmen und sind nicht in der Lage zukünftige Entwicklungen exakt zu prognostizieren. Sie sind daher anfällig für Manipulation und Korruption. Waldbrände und Landkonflikte  sind Ereignisse, die Modelle schwer vorhersagen können. Viertens: Für die Schaffung von CO2-Offsets durch Wälder wird Land benötigt, das zuvor eventuell durch die ansässige Bevölkerung zur Lebensmittelproduktion oder für andere Zwecke genutzt wurde. Durch CO2-Offsets kann es zu Einschränkungen der bereits bestehenden Landnutzung kommen – mit wiederum negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen für die Bevölkerung. Biodiversitäts-Offsets stehen in der Kritik, weil die Möglichkeiten zur Neuerschaffung eines angemessenen Ausgleichstandortes durch unser Wissen über das Ökosystem begrenzt werden. Die Ökologie und ihre wissenschaftlichen Methoden zur Untersuchung von Ökosystemen sind immer nur in der Lage einen bestimmten Teil der Realität abzubilden. Es ist bislang unmöglich, die Interaktionen einzelner Arten und deren hochkomplexe Verbindungen und Wechselwirkungen vollständig nachzuvollziehen. Auch ist es schwierig, Bedingungen zu schaffen, die sicherstellen, dass sich andernorts dasselbe Biodiversitätsniveau entwickeln kann. In Hamburg war das zerstörte Süßwasserwatt ein Habitat für Tausende von Löffelenten, die jedoch den Ausgleichsstandort nicht angenommen haben. Selbst wenn es möglich ist, an einem anderen Ort dasselbe Ökosystem neu zu etablieren, nimmt dieser Prozess mindestens einige Jahrzehnte in Anspruch. Häufig ist auch die ansässige Bevölkerung von der Existenz bestimmter Ökosysteme abhängig oder profitiert in hohem Maße von ihnen. Wenn Lebensräume an einem Ort zerstört werden, um sie andernorts wieder neu entstehen zu lassen, was passiert dann mit den Menschen, deren Lebensgrundlage und nachhaltige Entwicklung von dem nun nicht mehr vorhandenen Ökosystem abhängt? Können CO2- und Biodiversitäts-Offsets daher tatsächlich zur nachhaltigen Entwicklung beitragen? Beide sind mit einer Reihe schwerer Mängel behaftet, die nicht nur der ökologischen und sozialen, sondern auch der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit zuwiderlaufen. Mehr noch als eine wirksame Verringerung der Abholzung der Wälder, der Treibhausgasemissionen und des Biodiversitätsverlustes scheint der Offset-Ansatz uns den Blick auf die offensichtlichen Hindernisse für eine nachhaltige Entwicklung zu verstellen; unsere auf dauerhaftes Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsordnung, Konsummuster und steigende Ungleichheit.

Ein italienischer Wissenschaftler wird in Kairo zu Tode gefoltert – trauriger Anlass, die Zusammenarbeit mit Ägypten zu überdenken

Wed, 16/03/2016 - 12:07
Bonn, 17.03.2016. Der erst 28-jährige italienische Staatsbürger Giulio Regeni, der an der Universität Cambridge promovierte und im letzten Sommer am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) hervorragende Arbeit als Gastwissenschaftler geleistet hatte, befand sich seit September 2015 als Gastdozent der American University in Kairo. Er forschte dort über den Aufstieg freier Gewerkschaften nach der Tahrir-Revolution 2011. Vermutlich wurde ihm dies zum Verhängnis. Seit Neujahr hatte er in Telefonaten mit uns angemerkt, dass er sich bei seinen Recherchen zunehmend unwohl fühle und immer vorsichtiger werden müsse, wen er wo treffen könne – ein Zustand, der für ihn in Ägypten trotz guter Kenntnis der Lage vor Ort und der lokalen Sprache neu war. Am 25. Januar, dem fünften Jahrestag der Tahrir-Revolution, verschwand er dann. Zehn Tage später wurde seine Leiche, übersät mit Foltermalen, gefunden.

Wer wollte Giulio aus dem Weg schaffen? Dass die ägyptische Regierung dahinter steckt, ist zwar nicht bewiesen, würde aber ins Bild passen. In den letzten Jahren wurden repressive Gesetze erlassen, mit denen fast jegliche Form friedlicher Regimekritik unterdrückt werden kann. Allein 2015 sind der ägyptischen Kommission für Rechte und Freiheit zufolge 1700 Personen verschwunden, die sich in den Händen staatlicher Sicherheitskräfte befunden hatten. Dabei handelt es sich keinesfalls nur um Muslimbrüder, sondern auch um die Aktivisten der Zivilgesellschaft, die sich 2011 für mehr politische Freiheit eingesetzt haben. Auch die Tatsache, dass die Verschleppung unliebsamer Kritiker stets straffrei bleibt, spricht für die Beteiligung oder zumindest Duldung durch die ägyptischen Staatsorgane. Aufgrund dieser Umstände machen auch die italienische Regierung und Öffentlichkeit das ägyptische Regime verantwortlich.

Welcher ägyptische Journalist mag in diesen Tagen noch offen darüber schreiben, wie es um Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Soziales in seinem Land steht? Welcher ausländische Wissenschaftler hat noch den Mut, ins Land am Nil zu fahren, um unabhängige Recherchen zu betreiben? Noch nie wurden Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Ägypten so unterdrückt wie derzeit unter Präsident Sisi – nicht einmal zu Zeiten Mubaraks kurz vor der Tahrir-Revolution 2011. Auch Wissenschaftler und Journalisten, die sich in Deutschland betätigen, sind im Visier des ägyptischen Regimes: Zum Beispiel Ismail Alexandrani, ein ägyptischer Journalist. Er wurde am 29. November vergangenen Jahres bei seiner Rückkehr von einem Vortrag in Deutschland am Flughafen in Ägypten festgenommen und sitzt seither in Haft. Er hatte sich zuletzt für die Rechte der unter dem Kampf gegen die Islamisten leidenden Bevölkerung auf der Sinai-Halbinsel eingesetzt. Oder Atef Botros, Assistenz-Professor an der Universität Marburg. Atef wurde nach seiner Landung in Kairo am 29. Januar verhaftet, nach Einschaltung der Deutschen Botschaft wieder freigelassen, dann aber außer Landes gebracht und mit einem Wiedereinreiseverbot belegt. Er hatte nach der Tahrir-Revolution in Ägypten 2011 „Mayadin al-Tahrir“ gegründet, eine deutsch-ägyptische Nichtregierungsorganisation, die sich für marginalisierte Gemeinden in Ägypten einsetzt und zeitgenössische ägyptische Kunst in Deutschland zeigt. Ägypten ist ein strategischer Akteur in der Region, und die deutsche und europäische Außen- und Entwicklungspolitik hat sich stets um einen Spagat bemüht: einerseits das Regime zu unterstützen, andererseits behutsam kleine Spielräume zu nutzen, um politische Reformen zu fördern. Dies war zu Zeiten Mubaraks so, und dies ist auch heute so. Die massive Repression und Brutalität der Sicherheitskräfte macht es jedoch notwendig, diese Strategie der Zusammenarbeit auf den Prüfstand zu stellen.

Zum einen sollte sich die Bundesregierung deutlicher und öffentlich zur verschärften innenpolitischen Lage in Ägypten positionieren so wie es die italienische Regierung und das Europäische Parlament derzeit tun. Letzteres hat den Fall Giulios zum Anlass für eine Entschließung genommen, die „die gängige Praxis der Verschleppung und Folter“ deutlich beim Namen nennt. Zum anderen sollte die deutsche Entwicklungspolitik die Zusammenarbeit neu bewerten und konsequenter auf Maßnahmen konzentrieren, die politische Reformen und inklusive Entwicklung voranbringen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die Kooperation mit dem Nahen Osten und Nordafrika in der Hoffnung auf einen demokratischen Aufbruch zu einem Schwerpunkt seiner Kooperation gemacht; es betont, dass seine Politik wertebasiert sei und die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stelle. Daher sollte das BMZ angesichts der repressiven Tendenzen in Ägypten das Spannungsverhältnis zwischen Stabilisierung und demokratischer Entwicklung einer erneuten gründlichen Prüfung unterziehen. Dies ist im Einzelfall oft schwierig, denn auch gut gemeinte Unterstützung, etwa für die Modernisierung der Bewässerungs- und Energieinfrastruktur, wirkt – über die Beteiligung staatlicher Institutionen – stets auch politisch legitimierend. Daher sollte die Unterstützung vor allem auf die Stärkung der Menschenrechte und auf Demokratisierung, Partizipation und Transparenz ausgerichtet werden und darüber hinaus in Bereichen stattfinden, wo sie der Bevölkerung nützt, ohne allzu sehr das Regime als solches zu stabilisieren und politisch zu legitimieren.

Eine solche Überprüfung ist zum einen ein ethisches Gebot in Anbetracht der Gräuel, die Giulio und vielen hundert anderen Verschwundenen widerfahren sind. Zum anderen ist sie realpolitisch klüger. Die Tahrir-Revolutionäre forderten 2011 vor allem Brot, soziale Gerechtigkeit und politische Freiheit. Nach den politischen und gesellschaftlichen Wirren zwischen 2011 und 2013 verzichteten viele Ägypter vorerst auf politische Freiheit in der Hoffnung, dass der autoritäre Kurs von Präsident Sisi zumindest vorübergehend wieder Sicherheit und dadurch mittelfristig wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt bringen würde. Wenn die Ägypter aber feststellen müssen, dass Sisi weder den Respekt des Staates vor der Unversehrtheit und persönlichen Freiheit des Bürgers, noch Brot und soziale Gerechtigkeit oder ökonomischen Fortschritt bringt, so droht über diese Frustration eine abermalige politische Radikalisierung. Diese könnte in einen Aufstand wie jenen in Syrien münden. Wie dort die Staatsmacht die Radikalisierung des Aufstands vorantrieb, so ist auch in Ägypten die Gefahr groß, dass das Land im Bürgerkrieg versinkt. Möglicherweise destabilisieren dann weitere Millionen Flüchtlinge die Region und machen sich auf den Weg nach Europa.

CETA und die Reform des Investitionsschutzes: Frischer Wind oder laues Lüftchen?

Fri, 04/03/2016 - 15:51
Bonn, 04.03.2016. Vergangene Woche haben sich die Europäische Union (EU) und Kanada im Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) auf grundlegende Reformen des Streitschlichtungsverfahrens für Investoren geeinigt. Eigentlich waren die CETA-Verhandlungen schon vor zwei Jahren abgeschlossen worden – es fehlte nur noch die rechtsformale Prüfung, bevor das unterschriebene Vertragswerk in den Ratifizierungsprozess gehen kann. Diese Prüfung ist üblicherweise eine reine Formsache. Doch angesichts der massiven öffentlichen Kritik innerhalb der EU, wurde sie jetzt dazu genutzt das Investitionskapitel grundlegend neu zu schreiben. Jetzt wird die Etablierung eines Investitionsgerichtshofs inklusive Berufungsinstanz vorgesehen. Dies ist eindeutig positiv zu werten. Allerdings scheut die Kommission weiterhin vor umfassenden Änderungen der materiell-rechtlichen Klagegrundlagen zurück. Ob die bei CETA angeschobenen Änderungen einen Reformschub für das gesamte internationale Investitionsschutzsystem auslösen, hängt jetzt vor allem von der Reaktion Washingtons in den Verhandlungen über die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) ab.

Nach Vietnam ist Kanada nun das zweite Land, das den europäischen Vorschlag für einen internationalen Investitionsgerichtshof akzeptiert. Dieser Schritt hat Signalwirkung, denn Ottawa verfolgte bisher eine Politik, die sich stark an den Vorstellungen der USA zum Investitionsschutz orientierte. Der Streit in Europa hat sich gerade an dieser Politik der USA entzündet. Die USA, flankiert von der Europäischen Kommission, wollten zu Beginn der Verhandlungen im Jahr 2013 einen Streitschlichtungsmechanismus in TTIP etablieren. Dieser würde es ausländischen Investoren ermöglichen, Regierungen vor privaten, nichtöffentlichen Schiedsgerichten auf Schadensersatz zu verklagen. Entsprechende Verfahren waren bislang durchaus üblich und wurden schon in tausende Investitionsabkommen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufgenommen. Doch die massiven Proteste in Deutschland, aber auch in anderen EU-Ländern, haben die Europäische Kommission gezwungen, die Reißleine zu ziehen. Nach einer breitangelegten öffentlichen Konsultation, die vielfältige kritische Reaktionen hervorrief, hat die EU-Kommission Ende letzten Jahres einen überarbeiteten Vorschlag vorgelegt, der auf die Reform der umstrittenen Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit abzielt.

Im Mittelpunkt des neuen Vorschlags der EU-Kommission steht die Etablierung eines Investitionsgerichtshofs – auch wenn dieser nicht explizit so genannt wird. Ähnlich wie beim bewährten Streitschlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO) soll der Investitionsgerichtshof mit einer vorab bestimmten Gruppe von Personen besetzt sein, die international akkreditiert und zum öffentlichen Richteramt zugelassen sind. Die Auswahl dieser Personen soll nach dem Zufallsprinzip erfolgen und nicht wie bisher durch die Streitparteien. Die Verfahren sollen öffentlich sein und es ist geplant, eine Revisionsinstanz zu etablieren. Von solch einem Gerichtshof kann erwartet werden, dass er zu abgewogeneren Urteilen gelangt und eine Kontinuität in der Rechtsprechung entwickelt, die den privaten Schiedsgerichten fehlt. Mit dieser Revision des ursprünglich geplanten CETA-Textes ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung erfolgt. Noch wichtiger wäre es allerdings diesen Schritt auch bei TTIP und weiteren künftigen Freihandelsabkommen zu gehen. Die Kommission ist dazu bereit – ob die USA mitgehen werden, ist fraglich.

Keinerlei Fortschritte hat es dagegen bei den eigentlichen Schutzstandards, auf die sich Investoren im Streitfall berufen können, gegeben. Im aktuellen EU-Entwurf ist an dieser Stelle nach wie vor vom Anspruch der Investoren auf „faire und billige Behandlung“ und auf Schutz vor indirekter Enteignung zu lesen. Die meisten Klagen internationaler Unternehmen basieren auf diesen Klauseln. Gerade diese unbestimmten Rechtsbegriffe haben maßgeblich dazu beigetragen, dass internationale Schiedsgerichte inhaltlich weitgehend identische Sachverhalte in verschiedenen Verfahren teils völlig konträr zueinander bewertet haben.

Jüngere Streitfälle wie der des kanadischen Unternehmens Bilcon gegen die kanadische Regierung auf Basis des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) zeigen, dass auch reformierte Klauseln zu umstrittenen Urteilen führen können. Als Alternative zu diesen „Gummiparagraphen“ sollten die Investitionsregeln in Abkommen wie CETA oder TTIP stärker am Grundsatz der Inländerbehandlung ausgerichtet werden.

Bei CETA ist dieser Zug sicherlich abgefahren, doch bei TTIP ist noch alles offen. Falls sich allerdings nicht einmal der EU-Vorschlag eines TTIP-Gerichtshofs gegen den Widerstand der USA durchsetzen ließe (worauf manches hindeutet), wäre es wohl besser, gänzlich auf den Investorenschutz zu verzichten und TTIP als reines Handelsabkommen abzuschließen.

Axel Berger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Henning Klodt ist Leiter des Zentrums Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.

Nachhaltigkeit kein Thema – die EFI legt ihr Jahresgutachten vor

Fri, 26/02/2016 - 10:42
Bonn, 26.02.2016. Letzte Woche präsentierte die Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) ihr Jahresgutachten zur „Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands".  Einen besonderen Schwerpunkt legt  die EFI darin auf „Soziale Innovationen“ und damit auf ein zentrales Thema gesellschaftlicher Entwicklung. Das klingt vielversprechend – doch der Report enttäuscht.

Ein sehr eingeschränkter Blick auf Soziale Innovationen

Der Blick auf soziale Innovationen ist erst einmal erfreulich. Zeugt er doch davon, dass sich auch die EFI als das zentrale innovationspolitische Beratungsgremium der Bundesregierung einem erweiterten Innovationsbegriff öffnet. Und das ist dringend notwendig. Schaut man auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die uns aktuell beschäftigen –  von Flüchtlingsbewegungen bis zu wachsender Ungleichheit, von globaler nachhaltiger Entwicklung bis zum Umgang mit den sozialen und gesellschaftlichen Dynamiken der Digitalisierung – , dann wird schnell deutlich: Viele Innovationsherausforderungen sind heute nicht mehr nur technologischer, sondern immer mehr auch sozialer, institutioneller und gesellschaftlicher Natur.

Mechanismen sozialer Integration, die Re-Organisation unseres Wohlfahrtsstaates, ein sinnvolles Innovationsverständnis zur Zukunft der internationalen Finanzmärkte oder neue globale Wohlstandsmodelle, die es erlauben, die Leitplanken des Erdsystems einzuhalten, stehen oben auf der Agenda.

Zwar konstatiert die EFI einen Mangel an sozialen Innovationen, die aber nur angemessen seien, wenn ein Marktversagen vorliege. Soziale Innovationen sind aber oft eine Reaktion auf Nebenfolgen rein marktlicher Koordination (z.B. grassierende soziale Ungleichheiten: Klimawandel und Übernutzung von Ressourcen). Gerade deswegen ist eine Neubestimmung staatlicher Innovationspolitik nötig; wenn sich Innovation eben nicht mehr nur auf die Unterstützung, sondern auch auf die Einbettung von Märkten ausrichtet –  davon findet sich jedoch nichts im Bericht. Begriffe wie „Nachhaltige Entwicklung“ oder die 2015 verabschiedeten globalen Sustainable Development Goals (SDGs), an denen sich die Gestaltung von Märkten und soziale Innovationen ausrichten sollten, werden in dem Bericht nicht einmal erwähnt. Dabei markieren sie den Rahmen für das globale soziale Innovationsprogramm des 21. Jahrhunderts.

Die aktuelle Debatte darüber, ob und wie Wissenschaft in einer Gesellschaft, die nicht mehr nur durch technologische, sondern auch durch soziale und institutionelle Innovationserfordernisse geprägt ist, aufeinander bezogen werden könnten, bleibt in dem Bericht ausgeblendet. Auch das Positionspapier des Wissenschaftsrates zum „wissenschaftspolitischen Diskurs über Große gesellschaftliche Herausforderungen“ findet keinerlei Berücksichtigung, obwohl dort die Veränderungen des Innovationsverständnisses und die Rolle der Wissenschaft intensiv thematisiert werden.

Eine vergebene Chance

Die EFI vergibt damit eine gewaltige Chance. Gerade sie hätte neue Akzente setzen können für die Entwicklungen, die derzeit in der deutschen Innovationspolitik auf dem Weg sind: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat längst begonnen, seine „High-Tech-Strategie“ nicht mehr nur isoliert technologisch auszurichten, sondern ihr ein breiteres Innovationsverständnis zugrunde zu legen, soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele ernst zu nehmen und neben der Wirtschaft auch weitere Stakeholder in die Programmbildungsprozesse einzubeziehen.

Genau diesen erweiterten Blick lässt die EFI bei den von ihr behandelten „Kernthemen“ im Gutachten vermissen, obwohl er gerade hier fruchtbar gewesen wäre: Wer das Thema Robotik und Digitalisierung auf im wesentlichen ökonomische Innovationsrückstände reduziert, der blendet die positiven wie negativen gesellschaftlichen Nebenfolgen  aus, die die aktuelle Debatte derzeit prägen: Von den Chancen weltweiter und für viele Menschen zugänglicher Kommunikationsinfrastrukturen, über die Sorge vor einem Überwachungsstaat, zur wachsenden Ungleichheit und der Infragestellung unserer bestehenden Sozialstaatsinstitutionen, angesichts zu erwartender gewaltiger Automatisierungs- und Produktivitätssprünge. Längst fordern die Vordenker aus dem MIT oder Vorstandsvorsitzende großer IT-Konzerne wie der Telekom eine neue Debatte über das „bedingungslose Grundeinkommen“, weil sie die neuen Herausforderungen auf die Gesellschaft zukommen sehen.

Im Jahresgutachten der EFI findet sich kein Wort dazu. Aber gerade hier brauchen wir eine neue soziale und institutionelle Innovationskultur. Es ist ernüchternd, dass die führenden Innovationsvordenker weiterhin mit einem solch begrenzten Innovationsverständnis arbeiten. Den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wird Deutschland damit nicht gerecht werden.

Ungleichheit schadet den Einkommen der Armen

Mon, 22/02/2016 - 10:01
Bonn, Washington, 22.02.2016. Mit der Verabschiedung der Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals,SDGs) in diesem Jahr haben die Vereinten Nationen eine wichtige globale Agenda für den Zeitraum 2015 bis 2030 festgelegt. Ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang große Aufmerksamkeit erregt hat, ist das Problem der Einkommensungleichheit. Das Thema ist nicht neu auf der politischen Agenda. Dass es in Angriff genommen werden muss, ist mittlerweile Konsens.

Seit den 1950er Jahren haben viele ökonomische und politische Vordenker der Ungleichheit eine positive Wirkung auf das Wirtschaftswachstum zugeschrieben. Man ging davon aus, dass eine gewisse Wohlstandskonzentration zu mehr Ersparnissen führen würde, mit denen sich dann Investitionen in Wachstum finanzieren ließen. Ungleichere Gesellschaften böten dem Einzelnen einen stärkeren Anreiz, hart am Erfolg zu arbeiten. Aber wie so oft in der Ökonomie lässt sich das Argument auch ins Gegenteilige verkehren. Man könnte auch sagen: Der Schlüssel zur Wachstumsförderung in modernen Gesellschaften liegt weniger in materiellem Kapital. Wichtig ist stattdessen vor allem Humankapital in Form von Bildung. Fehlt einem größeren Bevölkerungsanteil der Zugang zu guter Bildung, kann das zukünftige Wirtschaftswachstum leiden. Man stelle sich eine Gesellschaft vor, in der gute Schulen nicht allen offenstehen, sondern hohe Gebühren erheben oder sich auf bestimmte Stadtviertel beschränken – eine Gesellschaft, in der die zugänglichen öffentlichen Schulen zurückbleiben, weil die Reichen nicht in sie investieren wollen. Ähnlich verhält es sich mit dem Gesundheitswesen.

Seit einiger Zeit wird die Frage, ob sich Ungleichheit positiv auf Einkommenswachstum und Armutsbekämpfung auswirkt, angesichts des verlangsamten Wachstums in reichen Ländern bei gleichzeitig steigender Ungleichheit immer wichtiger. Die Beziehung zwischen Ungleichheit und zukünftigem Wachstum wurde umfassend erforscht, aber leider nie schlüssig geklärt. So werden wichtige Zusammenhänge übersehen, wenn das Wachstum der Durchschnittseinkommen (oder des Pro-Kopf-Bruttoinladsprodukts) in den Mittelpunkt gestellt wird. Aber wie ergeht es Menschen auf unterschiedlichen Stufen der sozioökonomischen Leiter in ungleichen Gesellschaften? Genau dies haben wir in einer aktuellen Studie untersucht.

Anhand von Daten aus den USA aus den Jahren 1960 bis 2010 – einer Zeit, in der sich die US-amerikanische Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend gewandelt und sich das Wachstum zugunsten der oberen Schichten verschoben hat – haben wir einen wichtigen Grundsatz aufgestellt: Ein hoher Grad an Einkommensungleichheit korreliert später mit niedrigeren breitenwirksamen Wachstumsraten – außer für die oberen Schichten. Für sie gilt diese negative Korrelation nicht. Im Gegenteil: Eine höhere Ungleichheit verbessert ihre späteren Wachstumsaussichten. Anders gesagt: Sehr ungleich strukturierte Gesellschaften ermöglichen ein Wachstum, das die Ungleichheit weiter verstärkt. Dies gilt zumindest für die USA im untersuchten Zeitraum.

Warum ist es so schwierig, diesen Kreislauf zu durchbrechen und, wie im Fall der USA, das Land wieder in Bahnen zu lenken, in denen alle vom Wachstum profitieren? Unsere Hypothese: Bei starker Ungleichheit und Spitzeneinkommen, die weit über den Mittelklasseeinkommen liegen, ziehen sich die Reichen aus der öffentlichen Bildung, dem Gesundheitswesen und aus sonstigen Angeboten zurück, da sie sich verstärkt auf private Anbieter konzentrieren. Das lässt sich als „sozialer Separatismus“ bezeichnen. 58 % der Reichen in den USA waren bereit, öffentliche Ausgaben für Bildung und Gesundheit zum Zweck des Defizitabbaus zu kürzen, während es bei der restlichen Bevölkerung nur 21 % waren. Die öffentlichen Güter, in die die Reichen nicht zu investieren bereit sind, entscheiden jedoch über das breitenwirksame Wachstum der Realeinkommen. Leider haben sich die Wünsche der Reichen bei öffentlichen Entscheidungen als einflussreicher als die der unteren Schichten erwiesen. Bei diesem Gesellschaftsmodell führt starke Ungleichheit zusammen mit nur beschränkt verfügbaren Krediten und dem Einfluss der oberen Schichten auf den politischen Prozess zu einem Beharrungszustand. In diesem blockieren niedrige öffentliche Ausgaben den Einkommensanstieg für die unteren Schichten blockieren und führen die Ungleichheit fort.

Auch wenn diese Studie es nicht direkt beweist: Strategien wie die Eindämmung des Einflusses des Geldes auf die Politik, die Bekämpfung der sozioökonomischen Segregation und der Zugang zu guter Bildung für alle Kinder unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund verringern die Ungleichheit und verbessern die breitenwirksamen Wachstumsaussichten.

Roy Van der Weide arbeitet als Ökonom in der Abteilung Armut und Ungleichheit bei der Weltbank. Branko Milanovic is Gastwissenschaftler beim Graduate Center der City University of New York und Wissenschaftler am Luxembourg Income Study Center. Mario Negre ist Ökonom in der Abteilung Armut und Ungleichheit bei der Weltbank und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Inequality is bad for growth of the poor

Mon, 22/02/2016 - 10:01
Bonn, Washington, 22 February 2016. With the imminent adoption by the UN this year of the new Sustainable Development Goals (SDGs), an important global agenda will be set for the 2015-2030 period. In the present proposals under discussion an issue that seems to have attracted considerable attention is income inequality. While this is by no means a new topic, a growing consensus seems to be emerging that inequality needs to be tackled. A good chunk of the economic and political thinking since the 1950s has considered the effect of inequality on growth to be positive. A certain concentration of wealth was thought to facilitate the accumulation of savings that would fund growth-enhancing investments. In addition more unequal societies are believed to provide stronger incentives for individuals to work harder in order to succeed. But, as is often the case in economics, one can also think of arguments that would predict an opposite relationship. For example it can be argued that in modern societies the key to stimulating growth is the accumulation of human capital - that is education - more so than the accumulation of physical capital. If a significant share of the population has imperfect access to good quality education, then future growth may be constrained. Think of a society where good schools are not for everyone; where good schools come with high tuition fees or are tied to specific neighbourhoods; A society where affordable public schools are falling behind because the rich do not have an interest to invest in them. A similar argument can be applied to health care. The question whether high inequality today bodes well for future rates of income growth and poverty reduction has recently acquired added relevance because of the slowdown of growth in rich countries and simultaneously rising inequality. The relationship between inequality and future growth has been extensively researched but, unfortunately, the results proved to be inconclusive. We argue that by looking at growth of average incomes (or GDP per capita) important heterogeneities are being overlooked. The question we should be asking is: How do individuals at different steps of the socio-economic ladder fare in societies with different levels of inequality? This is precisely what two of us have just done in a recent study. Using data for the United States spanning the years 1960-2010 - a period of substantial transformation of America's economy and society during which growth moved from being pro-poor to being pro-rich - the study establishes an important stylized fact: High levels of income inequality are associated with lower future growth rates for the poor and the middle class. No such negative correlation is found to hold for the rich, if anything, higher inequality is found to help their future growth prospects. In other words, highly unequal societies are found to stimulate the type of economic growth that further enhances inequality, at least in the United States for the time period under consideration. What makes it so hard to put a halt to this cycle and - in the case of the United States - put the country back on a trajectory where growth is shared by all? We hypothesize that when inequality is high and top incomes are significantly greater than the incomes of the middle classes, the rich prefer to opt out of publicly-funded and publicly-provided education, health care and other services, as they increasingly consume them privately. This can be seen as "social separatism". Indeed, when asked if they would be willing to cut public spending on education and health as a way to reduce the deficit, 58 % of the rich in the United States are in favor of such cuts versus only 21 % among the rest of the population. The public goods that the rich are not interested to invest in are, however, crucial for real income growth of the poor. Unfortunately for the poor, the preferences of the rich have been found to carry more weight in public decision making than the preferences of the poor or even those of the median voter. It is a model of society where high inequality, combined with credit constraints and influence of the rich on the political process, results in a steady-state of low government spending, which in turn holds back the rise of poor people's incomes and perpetuates inequality. While this study does not provide direct evidence for it, policies that would arguably reduce inequality and improve the growth prospects of the poor and the middle class include curbing the influence of money in politics, confronting socio-economic segregation, and ensuring that every child regardless of socio-economic background has access to good quality education. Branko Milanovic is Visiting Presidential Professor at the The Graduate Center, City University of New York, and Senior Scholar in the Luxembourg Income Study Center. Roy Van der Weide works as Economist at the Poverty and Inequality Unit of the World Bank Research Department. Mario Negre is Senior Economist at the Poverty and Inequality Unit of the World Bank Research Department and Senior Researcher at the German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Kooperation mit religiösen Organisationen – aber wie?

Wed, 17/02/2016 - 10:44
Bonn, 17.02.2016. Die Frage nach dem Potenzial von Religion für nachhaltige Entwicklung soll am 17. und 18. Februar bei einer internationalen Konferenz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Berlin erörtert werden. Der Titel der Konferenz – „Religionen als Partner für Wandel“ – legt nahe, dass Religionen grundsätzlich positiv auf die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen einwirken. Das stimmt. Aber nur zum Teil! Religion kann zu nachhaltiger Entwicklung beitragen. Das zeigen beispielsweise erfolgreiche Kampagnen muslimischer Imame gegen Genitalverstümmelung von Frauen, die von religiös motivierten Nichtregierungsorganisationen geleistete humanitäre Hilfe in Krisengebieten und der Einsatz des Papstes für den Umweltschutz. Gleichzeitig können unterschiedliche religiöse Ausrichtungen Konflikte verschärfen. In der internationalen Politik hat sich so die Erkenntnis durchgesetzt, dass bestimmte gesellschaftspolitische Probleme nur gelöst werden können, wenn der Dialog mit diesen religiös motivierten Organisationen gesucht wird oder sie aktiv an der Suche nach Lösungen und ihrer Umsetzung beteiligt sind. Zur Erreichung der weltweiten Nachhaltigkeitsziele ist somit unter Umständen die Zusammenarbeit zwischen religiösen und staatlichen Organisationen im globalen Norden und Süden notwendig – auch in der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik. Religion ändert die Welt - und die Welt ändert Religion Jede Religion, sei es das orthodoxe Christentum oder der wahabitisch geprägte Islam, passt sich ihrem jeweiligen sozio-kulturellen und politischen Kontext an. So trat beispielsweise auch die Evangelische Kirche in Deutschland, in den Gründungsjahren der Bonner Republik – aus Angst vor der Wiederholung des Scheiterns der Weimarer Republik – zunächst gegen die parlamentarische Demokratie ein. Heute ist sie ohne Zweifel eine Befürworterin der Demokratie. Das war nur durch kontinuierlichen Austausch zwischen Kirche und Politik möglich. So wandeln sich die politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen von Religionen und Konfessionen über Zeit und Raum. Dementsprechend kann es in der internationalen Politik keine Blaupausen für die Zusammenarbeit mit bestimmten religiösen Gruppen und Organisationen etwa aus dem Christentum, Islam oder Buddhismus geben. Und dennoch können mindestens drei allgemeine Kriterien berücksichtigt werden. Erstens, religiöse Organisationen und ihre Gläubige sind nur dann eine Ressource für nachhaltige Entwicklung und Frieden, wenn sie auch zweckrational handeln können. Ihre Wertevorstellungen müssen nicht nur mit den Inhalten internationaler Kooperation wie die 2015 verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele kompatibel sein, sondern auch im Sinne der Zielverwirklichung eingesetzt werden. Primat einer Zusammenarbeit sind somit nicht religiöse Werte, sondern der potenzielle Beitrag, den Geistliche, Gläubige und religiös motivierte Organisationen wie Islamic Relief zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Ein Indiz für die Bereitschaft religiöser Organisationen sich auf eine funktionale Kooperation einzulassen sind bestehende Partnerschaften und Allianzen mit säkularen nichtstaatlichen Organisationen wie NGOs oder Gewerkschaften. Beziehen sich religiöse Organisationen nur auf die eigene Glaubensgemeinschaft, so kann dies darauf hindeuten, dass sie nicht für gemeingültige und breitenwirksame Entwicklungsziele einstehen. Zweitens gilt für religiöse Organisationen – noch mehr als für nicht-Religiöse –, dass Partnerschaften integriert gestaltet anstatt eindimensional und funktional auf ein Ziel ausgerichtet sein müssen. Beispielsweise können religiöse Organisationen ökologische Nachhaltigkeit fördern und gleichzeitig grundlegende Menschenrechte missachten. Das Dilemma internationaler Politik besteht hier darin, dass durch die Zusammenarbeit in Nachhaltigkeitsfragen der religiöse Akteur insgesamt legitimiert wird und somit der Eindruck entstehen könnte, dass auch Menschenrechtsverletzungen hingenommen würden. Außen-  und Entwicklungspolitik bietet sich nur an, diese (potenzielle) Instrumentalisierung zu minimieren und gleichzeitig mit anderen Politikmaßnahmen darauf hinzuwirken, dass Menschenrechtsorganisationen vor Ort gestärkt werden. Dies können auch liberale Strömungen innerhalb bestehender religiöser Organisationen sein. Drittens dürfen über einen Fokus auf religiöse Akteure politische Institutionen und Partner nicht in Vergessenheit geraten. Religiöse Organisationen agieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind Teil eines Gemeinwesens, das politisch organisiert ist. Nur wenn politische Institutionen oder transnationale Netzwerke die Ideen und Ansätze von religiösen – wie anderen nichtstaatlichen – Organisationen aufgreifen, können Kampagnen gegen Hunger oder Basisdienstleistungen von religiös motivierten NGOs nachhaltig zu gemeinwohlorientierter Politik beitragen. In Ländern, beispielsweise, in denen religiöse Organisationen andere Ziele haben als der Staat, ist die finanzielle und organisatorische Unabhängigkeit religiöser Organisationen vom Staat eine wichtige Voraussetzung für wirksames, entwicklungsorientiertes Handeln.

Umsetzung der Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs): Schluss mit dem Silodenken!

Mon, 01/02/2016 - 09:30
Bonn, 01.02.2016. Seit dem 1. Januar 2016 prägen die Ziele der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Deve-lopment Goals, SDGs) der 2030 Agenda die globalen Entwicklungsanstrengungen. 2016 geht es um ihre Umsetzung. Die Schlüsselfrage lautet: wie übersetzen wir die 17 Ziele und 169 Unterziele in Politik? Eine Möglichkeit ist, wie bisher vorzugehen und selektiv zu agieren. Jedes Land könnte sich aus dem Menü der Ziele und Unterziele etwas herauspicken. Eine bessere Option ist, die derzeitige Politik in einen kohärenteren und integrativeren Ansatz zu überführen.

Was meinen wir mit Integration? In der Politik dominiert ein Silo-Denken: sektor- und länderübergreifende Implikationen und Synergien werden unzureichend berücksichtigt, was zu inkohärenten Politiken und negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen führt. Zum Beispiel verursachen EU- und US-Agrarsubventionen versteckte Kosten: Sie verringern die Wettbewerbsfähigkeit von Landwirten in Entwicklungsländern. Auch erfolgte der im Zuge der Millenniumsziele (MDGs) erreichte soziale Fortschritt zum Teil zu Lasten der Umwelt.

Die SDGs sind eine Chance für Veränderungen, weil sie potenziell integrativ sind. Sie verbinden die Bedürfnisse der Menschen und des Planeten. Jedes Ziel ist mit anderen Zielen der Agenda verknüpft. Zum Beispiel ist SDG2 „Hunger beenden, Ernährungssicherheit und bessere Ernährung erreichen und nachhaltige Landwirtschaft fördern“ mit 62 der 169 Unterziele der 2030 Agenda verbunden. Hunger ist eine Folge von Armut. Es gibt genügend Nahrungsmittel, um die Welt zu ernähren, doch aktuell sind schätzungsweise 795 Millionen Menschen unterernährt. Landwirtschaft ist untrennbar von den SDGs zu Wasser, Energie  und Klimawandel. Auf das Konto der Landwirtschaft gehen 70 % des globalen Wasser- und 30 % des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen.

Letztlich wirkt sich Fortschritt oder Misserfolg bei einem Ziel unweigerlich auf den Fortschritt bei anderen Zielen aus. Ebenso haben Politiken einzelner Regierungen Einfluss auf das Erreichen von SDGs in anderen Ländern wie auch global. Dennoch zögern Akteure auf allen Regierungsebenen noch immer, sich in Richtung stärkerer Integration zu bewegen. Die Gründe liegen in langsamen Bürokratien, Schutz der eigenen Interessen und fehlenden Kapazitäten. Doch Integration ist möglich. In drei Bereichen geht es, trotz Herausforderungen, mit der Integration voran.

Erstens ist eine Integration von thematischen Fragen und Politikbereichen erforderlich. Eine wachsende Zahl von Initiativen ermöglicht einen sektorübergreifenden Ansatz. Die Welternährungsorganisation (FAO) zum Beispiel hat das „Water-Energy-Food Nexus“-Konzept entwickelt. Dieses hilft, die Synergien und Auswirkungen zwischen den drei Bereichen besser zu verstehen und zu evaluieren. In Westafrika hat der Nexus-Ansatz auf regionaler Ebene zu einer integrierten Agenda beigetragen. Allerdings sind sektorübergreifende Ansätze noch die Ausnahme. Tatsächlich halten einige Akteure an der alten Trennung zwischen Entwicklung und Umwelt fest. Sie stellen den Anspruch der SDGs Armut zu bekämpfen und Niemanden zurückzulassen über andere Teile der Agenda.

Zweitens ist eine Integration zwischen Governance-Ebenen und Ländern notwendig. Deutschland, die USA und andere reiche Länder gehen mit der Umsetzung der SDGs bereits voran. Sie erkennen an, dass sich unsere Konsum- und Produktionsmuster direkt auf andere Länder auswirken. Die Bundeskanzlerin Angela
Merkel hat angekündigt, dass Deutschlands Nachhaltigkeitsstrategie im Lichte der SDGs überarbeitet werden wird. Andere Länder, wie Großbritannien, haben erklärt, die SDGs „zu Hause“ nicht umzusetzen. Dabei haben interne Politiken des Landes, etwa die Finanzmarktregulierung oder die Subventionspolitik, im Ausland eine weit größere Wirkung als seine Entwicklungshilfe. Eine solche Trennung von Entwicklung im In- und im Ausland verlängert die überholte Einteilung in entwickelte und sich entwickelnde Länder.

Drittens ist Integration zwischen den Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit notwendig. Forschung über Entwicklungszusammenarbeit in Myanmar und Ruanda deutet darauf hin, dass eine bessere Koordination ihre Wirksamkeit verbessern kann. Doch Entwicklungsländer sehen sich oft einer fragmentierten Landschaft von Partnern gegenüber: Nichtregierungsorganisationen, private Unternehmen und Geber. Alle wollen zur Erreichung nachhaltiger Entwicklung beitragen, aber verfolgen dabei unterschiedliche Ziele und Strategien.

Die SDGs schaffen einen globalen Rahmen, der Integration ermöglicht. Die Welt kann sich ein Silo-Denken nicht länger leisten. Integration muss jetzt erreicht werden: durch kohärente nationale Nachhaltigkeitsstrategien, koordiniertes globales Handeln und einen harmonisierten Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit. Integration wird sich allerdings nicht von selbst einstellen. Regierungen müssen für die sektorübergreifenden und globalen Auswirkungen ihrer Politiken verantwortlich gemacht werden. Daher sollte Integration ein wesentlicher Teil des neuen SDG-Überprüfungsmechanismus der Vereinten Nationen sein.

Acht Stunden täglich ohne Strom – katastrophale Folgen für Sambia

Mon, 18/01/2016 - 10:05
Bonn, 18.01.2016. Die sambische Energiekrise trifft das Land hart. Für die Stromabschaltungen – zwischen acht und 16 Stunden täglich – muss der Klimawandel herhalten. Keine Frage: Sambia durchlebt eine Dürreperiode wie andere Sub-Sahara-Länder auch. Sambia hat aber das Potenzial, die Versorgung sicherzustellen und Vorsorge zu treffen. Hier ist die Politik gefragt. Bereits seit Sommer 2015 kann Sambias staatliches Elektrizitätsunternehmen ZESCO die Unternehmen und städtischen Verbraucher nicht mehr beliefern. Acht bis 16 Stunden täglich müssen diese ohne Elektrizität auskommen und oft auch ohne Wasser, da die Pumpen ohne Strom nicht laufen. Wer kann, behilft sich mit einem Dieselnotstromaggregat. Schlagzeilen machen vor allem die Folgen für die Kupferminen: Wegen der Engpässe kündigten die Mulyashi Open Pit Mine und die Baluba Underground Mine im September 2015 die Zwangsentlassung von 1.640 Arbeitern an, da die Lieferung an die private Copperbelt Energy Corporation (CEC) gekürzt wurde. Seit September 2015 erhielt die CEC zunächst 30 %, später dann 16 % weniger Strom. Betroffen sind aber auch Schulen, Krankenhäuser, städtische Haushalte, mittelständische Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe jedweder Größenordnung. So wie Zambia Sugar, ein landwirtschaftlicher Großbetrieb, der Zuckerrohr auf 16.000 Hektar Land anbaut. Dessen Pumpen können nur noch eingeschränkt Wasser aus dem Fluss Kafue heben; und dies hat auch Auswirkungen auf die Wasserlieferung an die assoziierten kleinen Vertragsbauern, die auf immerhin 4.000 Hektar Land Zuckerrohr produzieren. Zusammen mit den niedrigen Kupferpreisen, die seit Januar 2015 um 18 % gefallen sind, wächst Sambias Wirtschaft aktuell deshalb nur um 3,4 statt wie bisher um 7 %. Als offizielle Begründung für diese katastrophale Situation muss der Klimawandel herhalten: die geringen Niederschläge und die hohen Temperaturen (Verdunstung) hätten zu den historisch niedrigsten Wasserständen in den Talsperren geführt. So plausibel sich dies auch anhört, es ist nur die halbe Wahrheit. Die Kariba-Talsperre am Sambesi, die Sambia und Simbabwe mit Strom versorgt, ist so ausgelegt, dass sie nicht nur saisonale Niederschlagsschwankungen ausgleichen kann, sondern auch Schwankungen über mehrere Jahre hinweg. Die Zambesi River Authority (ZRA) hatte wegen geringer Wasserstände im März 2015 die Wasserzuteilung an die sambische ZESCO und die simbabwische ZPC um 12 % gekürzt. Beide überziehen jedoch ihr Wasserkontingent – ZESCO um 39 %, ZPC um 16 % –, so dass im November 2015 Sambia und Simbabwe nur noch drei Meter von der Katastrophe entfernt waren. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Wasserstand in der Kariba-Talsperre noch 478,51Meter – Strom kann jedoch nur bis 475,5 Meter produziert werden. Danach ist Schluss. ZESCO muss sich zudem fragen lassen, warum sie das um 360 Megawatt erweiterte Kraftwerk rund um die Uhr produzieren lässt und nicht wie vorgesehen täglich nur 3,5 Stunden für den Spitzenbedarf. Wasser werde rund um die Uhr abgelassen, so die Beobachtung von Guy Scott, des von Oktober 2014 bis Januar 2015 amtierenden sambischen Präsidenten, bei der Einweihungsfeier. Problematisch für das Land ist seine einseitige Abhängigkeit von zu wenigen Wasserkraftwerken (Kariba und Kafue Gorge liefern ca. 90 % des Stromverbrauchs). Sambia könnte weitaus mehr Wasserkraft nutzen: Es ist das niederschlagsreichste Land im südlichen Afrika und verfügt über 40 % der Wasserressourcen. Weitere Kraftwerke sind seit langem in der Planung, können aber nicht finanziert werden, da der Strompreis nicht kostenorientiert und deshalb für private Investoren nicht attraktiv ist. Von diesen Subventionen profitieren alle, auch die finanzkräftigen Minen und nicht nur die ärmeren Haushalte. Die sambische Regierung hat die große Abhängigkeit von der Wasserkraft auch zu lange hingenommen und nicht energisch genug die Erschließung anderer, vor allem erneuerbarer, Energiequellen vorangetrieben. Das Potenzial für Solarenergie (sechs bis acht Sonnenstunden täglich), vor allem Photovoltaik, wird noch nicht genutzt. Feste Einspeisetarife für Solarprojekte sind zwar in der Entwicklung, aber noch nicht in Kraft getreten. Kofi Annan, der den New Deal on Energy for Africa unterstützt, fordert zu Recht: “Africa’s leaders must act with urgency to put in place the policies needed (…) to build climate-resilient societies.” Es wäre viel gewonnen, wenn die gegenwärtige Energiekrise zu einer Kursänderung in Sambia beitragen würde.

Weltkrisen, Weltsichten, Wegscheiden

Mon, 11/01/2016 - 09:00
Bonn, 11.01.2016. 2015 – Was für ein Jahr! Ebola, Ukraine, Syrien, Irak, islamistischer Terror, endlose Flüchtlingstrecks, neue Wärmerekorde im Erdsystem. 2015 steht aber auch für: das Klimaabkommen von Paris, die Einigung auf globale Entwicklungsziele im Sommer in New York, das Abkommen mit dem Iran zur Einhegung des Nuklearkonflikts. Der gemeinsame Nenner: Grenzüberschreitende, globale Interdependenzen führen dazu, dass nationaler Wohlstand und Sicherheit nicht mehr zu haben sind, wenn internationale Unsicherheit vorherrscht. Dieser einfache Zusammenhang wird seit langem diskutiert, von Jahr zu Jahr wird er spür- und greifbarer. Ursachen gibt es viele, doch vier Krisenverstärker stehen im Zentrum: Erstens sind Armut sowie Ungleichheit und Ausgrenzung der Nährboden für Apathie, Resignation, Gewalt, Gesellschaftzerfall, Flucht. Dies gilt im Irak, im Jemen, in Eritrea, in Myanmar, in Pakistan und Indien, in den USA, im belgischen Molenbeek oder den Randbezirken von Paris gleichermaßen. Bis die Apathie in Gewalt umschlägt, wird dieser Zusammenhang oft ignoriert. Zweitens müssen wir in der kommenden Generation lernen, Wohlstand in den Grenzen des Erdsystems zu organisieren und Entwicklung von Ressourcenverbrauch und Emissionen vollständig zu entkoppeln. Ansonsten drohen globale Verteilungskonflikte, neue Armutswellen und Fluchtbewegungen, die die aktuellen Wanderungsströme bei weitem übersteigen werden. Der Klimavertrag von Paris und die in New York verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele symbolisieren, dass die Staaten diese Herausforderungen zumindest verstanden haben. Drittens bedroht der transnationale islamistische Terror die globale Sicherheit. Vergleichbar mit Faschismus und Stalinismus ist dies eine weitere totalitäre Bewegung, die Menschen mobilisiert, indem sie Identifikation anbietet und radikale Gegenwelten schafft. Viertens formiert sich als Reaktion auf reale und vermeintliche Schattenseiten der Globalisierung eine auf die Mitte der Gesellschaft abzielende „Internationale“ autoritärer Nationalisten, Xenophoben, Zäunebauer und Vereinfacher. Le Pen, Orban, die neue polnische Regierung, Pegida sowie Seelenverwandte wie Putin und Trump bedrohen Freiheit, Toleranz und internationale Zusammenarbeit. Die vier Krisenverstärker sind einfach zu beschreiben, aber nur schwer zu entschärfen. Doch Elemente eines Globalisierungskompasses, der zentrale Orientierungen bietet, um die globalen Herausforderungen einzubetten, lassen sich skizzieren. Ohne einen Quantensprung globaler Kooperation und die Eindämmung von Nationalismen drohen Krisenjahrzehnte und Verwerfungen in der zunehmend enger vernetzten Weltgesellschaft. Wo immer möglich, sollten daher grenzüberschreitende und globale Netzwerke von zivilgesellschaftlichen Akteuren, Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und Städten gestärkt werden. Sie bilden den vielschichtigen Humus, aus dem eine globale Kooperationskultur entstehen kann. Zudem braucht der Weltklimavertrag von Paris jetzt Rückenwind. Deutschland und Europa sollten Dekarbonisierungsallianzen voranbringen, die solche Länder massiv unterstützen, die besonders ambitionierte Klimaschutzanstrengungen unternehmen. Europa sollte darüber hinaus  eine große Kraftanstrengung mobilisieren, um mit moderaten Kräften des Islams, tragfähige Zukunftsszenarien einer Nachbarschaftspolitik zu entwerfen. Zu lange hat Europa die Prägekraft und die internen Spannungsfelder des Islams ignoriert und darauf gesetzt, dass ökonomischer Fortschritt dazu führt, dass islamisch geprägte Gesellschaften „werden wie wir“. Selbst in Deutschland, mit seinen etwa vier Millionen Muslimen, liegt das Wissen über Sunniten, Schiiten und Kernelemente der islamischen Kulturen nahe am Nullpunkt. Integration und Kooperation mit islamisch geprägten Gruppen und Gesellschaften setzt jedoch wechselseitiges Wissen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede voraus. Weil dies fehlt, haben sich nur die Extreme beider Seiten angenähert, die auf Ausgrenzung, Feindseligkeit, Intoleranz setzen. Politik lebt auch von Symbolen und Signalen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten sollten ein Zeichen gegen nationale Restaurationen und Abschottung sowie für globale Kooperation setzen und bis 2018 die Investitionen in die Internationale Zusammenarbeit von derzeit gut 0,42 % des Bruttosozialproduktes (BSP) auf die lange versprochenen 0,7 %erhöhen. Dies käme einem „Investitionsprogramm für globale Entwicklung und europäische Stabilität“ in der Größenordnung von etwa 40 Mrd. Euro gleich – 80 Euro pro EU-Bürger. Es geht aber nicht nur um Geld, sondern vor allem um ein politisches Ausrufezeichen für eine politische Weichenstellung. Das Signal aus Europa wäre: Wir haben verstanden – globale Krisenbekämpfung, Investitionen in die weltweite Wohlfahrt und europäische Entwicklung gehören unmittelbar zusammen. Weltweite Kooperation ist Friedenspolitik und schützt vor sicherheitsgefährdendem Nationalismus. Europa übernimmt Mitverantwortung für den Schutz der globalen Gemeinschaftgüter. Möglicherweise müsste das globale Kooperationssignal zunächst ohne Unterstützungen aus Ungarn und Polen angestoßen werden. Wahrscheinlich hätten die Trumps, Le Pens und Putins nur Häme für eine solche Initiative übrig. Doch große politische Weichenstellungen verlangen Kraftanstrengungen und Weitsicht. Europa – wir schaffen das!

Die Doha-Runde ist tot – es lebe die WTO?

Mon, 21/12/2015 - 13:58
Bonn, 21.12.2015. Die zehnte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Nairobi endete am 19. Dezember nach langem Ringen und mehr als 24 Stunden später als geplant mit einer Reihe von Einigungen – und einem historischen Wendepunkt für die Doha-Runde: Einige Staaten haben sich erstmals offiziell für den Abbruch der 14 Jahre dauernden Doha-Verhandlungen ausgesprochen. Ob und wie die Themen der Doha-Runde in Zukunft auf der Verhandlungsagenda stehen, ist momentan noch ganz offen. Die WTO muss nun überlegen, wie Verhandlungen über neue Handelsregeln schneller vorangebracht werden können. Auch wenn der große Wurf in Nairobi wieder einmal nicht gelungen ist, gab es Vereinbarungen, die zeigen, dass die WTO nach wie vor als Forum für multilaterale Verhandlungen funktionieren kann. WTO-Generaldirektor Roberto Azevedo lobte beispielsweise das Maßnahmenpaket für die Landwirtschaft und auch die EU nannte es einen „Meilenstein“. Durch die Einigung werden Exportsubventionen für landwirtschaftliche Produkte rund um den Globus abgeschafft. In den letzen Jahren war ein großer Doha-Durchbruch immer wieder an diesem Streit gescheitert. Die letzte Woche zeigt damit: Multilaterale Einigungen zwischen den mehr als 160 WTO-Mitgliedern sind möglich. Auch der vor wenigen Tagen von fast 200 UN-Staaten beschlossene Weltklimavertrag hat unterstrichen, dass globale Kooperation funktionieren kann. Allen Zweiflern und Kritikern zum Trotz: Multilateralismus ist möglich! Ende gut, alles gut? Leider nein. Während es in Nairobi ein paar Einigungen gab, haben sich die WTO-Verhandler trotz stundenlanger Nachtschichten nicht über die Zukunft der bisher erfolglosen Doha-Runde einigen können. Während die Entwicklungsländer weiter verhandeln möchten, plädierten die Industrieländer, vor allem die USA, für den Abbruch der Doha-Runde. In der Abschlusserklärung von Nairobi steht nun erstmals schwarz auf weiß, dass einige Mitgliedsstaaten nicht bereit sind, die Doha-Verhandlungen wie bis dato weiterzuführen. Einerseits wäre es sehr bedauerlich, wenn die Doha-Entwicklungsrunde tatsächlich ohne Erfolg abgebrochen würde. Auf der anderen Seite sind die Gespräche schon lange völlig festgefahren und viele Themen auf der Doha-Agenda hat inzwischen die Zeit überholt. Ein offizielles Aus für die Doha-Runde könnte also auch Chancen bieten, verstärkt wichtige aktuelle Themen in den Blick zu nehmen und die Zukunft der WTO neu zu überdenken. Ein möglicher neuer Ansatz bestünde darin, verstärkt auf plurilaterale Abkommen zu setzen, bei denen eine „Gruppe der Willigen“ in bestimmten Themenbereichen schneller vorangeht. Der plurilaterale Ansatz war unter anderem auch in Nairobi auf der Agenda: 53 WTO-Mitglieder haben das plurilaterale Information Technology Agreement (ITA) verabschiedet, in dem sie sich auf den Zollabbau bei über 200 IT-Produkten geeinigt haben. Für die vorangehenden Staaten bieten plurilaterale Teilpakete den Vorteil, dass sie rascher Fortschritte in den für sie relevanten Sektoren erzielen können. Und was bedeuten die Abkommen für die Staaten, die nicht mitmachen? Die gute Nachricht beim Beispiel ITA ist: Nicht-Unterzeichnerstaaten können jederzeit dem Abkommen beitreten. Dazu gilt die WTO-Meistbegünstigungsklausel, so dass alle WTO-Mitglieder vom plurilateralen Abbau der Zölle für IT-Produkte profitieren können. Diese Eckpunkte gelten auch für das derzeit verhandelte Umweltgüter-Abkommen (Environmental Goods Agreement), durch das eine Reihe von Ländern ihre Zölle für Güter wie Luftfilter abbauen möchten.  Für die Länder, die nicht dabei sind, stellt sich natürlich die Frage, ob das Vorpreschen einiger anderer Weichen für zukünftige Handelsregeln stellt, die nicht in ihrem Interesse sind. Sicher ist: Für diese Länder ist der Trend zum Plurilateralismus vielleicht nicht ideal, aber immer noch besser, als wenn es nur eine stetig wachsende Zahl megaregionaler Abkommen wie TTIP und TPP gibt, die ihnen weniger Beitrittsmöglichkeiten und auch weniger Handelsvorteile bieten. Das Ende der Doha-Runde kann also durch eine Hinwendung zu mehr Plurilateralismus ein Momentum für neue Dynamik in der WTO bedeuten. Gleichzeitig wird das globale Handelssystem aber durch mehr und mehr bilaterale, regionale und plurilaterale Abkommen immer unübersichtlicher. Vor allem für kleinere Unternehmen in Entwicklungsländern ist es schwierig, sich in den immer komplexer werdenden Regelwerken zurechtzufinden. Die WTO sollte durch Transparenzinitiativen neues Licht in diesen Dschungel bringen. Und die WTO sollte auch zukünftig als Verhandlungsforum genutzt werden, nicht zuletzt weil sie inklusiver ist als die derzeitig immer wichtiger werdenden bilateralen und regionalen Foren. Die Organisation wird auch künftig als erfolgreiche Streitschlichterin bei Handelskonflikten zentral bleiben. Wenn der plurilaterale Ansatz in der WTO weiter Schule macht, wird sie darüber hinaus aber auch als Forum für die Verhandlungen von Handelsregeln relevant sein, trotz megaregionaler Abkommen. Deutschland und die EU, aber auch die Schwellenländer, sollten sich daher dafür einsetzen, dass die WTO auch in der Zukunft ein wichtiger Pfeiler der globalen Wirtschaftsordnung bleibt.

„Klimaflüchtlinge“ in Europa? – Klimabezogene Migration betrifft vor allem Entwicklungsländer

Thu, 10/12/2015 - 12:30
Bonn, 14.12.2015. Die Flüchtlingskrise ist das zentrale Thema dieses Jahres und wird uns wohl noch lange Zeit beschäftigen. Schon werden Stimmen laut, die mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel die derzeitige Flüchtlingskrise nur als einen Vorgeschmack auf größere und nicht abreißende Ströme von „Klimaflüchtlingen“ sehen, die Europa künftig heimsuchen könnten. Diese Prognosen sind erschreckend und irreführend, denn sie verfehlen den Kern des Problems. Es gibt bereits jetzt Menschen, die ihre Heimat aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels verlassen –  etwa durch die Zunahme von Stürmen, Dürren oder Überschwemmungen. Klimabezogene Migration betrifft jedoch insbesondere Entwicklungsländer und damit die Länder, die die Auswirkungen des Klimawandels am deutlichsten zu spüren bekommen. Auch wenn der massenhafte Ansturm von „Klimaflüchtlingen“ nach Europa erst einmal ausbleiben wird, müssen die Staaten die Weichen für eine angemessene Unterstützung armer und besonders vom Klimawandel betroffener Länder bereits jetzt bei der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris stellen.  Es gibt keinen Automatismus zwischen Klimawandel und Migration nach dem Motto „je heißer oder je weniger Regen, desto mehr Migration“. Einerseits wird Migration in den allermeisten Fällen durch das Zusammenspiel wirtschaftlicher, politischer, sozialer, kultureller und eben auch ökologischer Faktoren bedingt. Das gilt auch für den Ausbruch von bewaffneten Konflikten, die eine Hauptursache für Fluchtbewegungen sind. Der Klimawandel mag zwar einen Baustein in der Entstehungsgeschichte gewaltsamer Konflikte darstellen, wie dies etwa auch für den Bürgerkrieg in Syrien diskutiert wird. Ob Konflikte dann aber eskalieren oder nicht, hängt entscheidend von Faktoren wie politischer Stabilität oder den Kapazitäten der Notfallversorgung in den betroffenen Ländern ab. Ressourcenverknappung und damit einhergehende Verteilungskämpfe werden allerdings in Zukunft aufgrund der Folgen des Klimawandels weiter zunehmen. Andererseits zeigt sich Migration im Kontext des Klimawandels vielmehr in temporär und regional begrenzten Bewegungen als in massenhafter Auswanderung in andere Kontinente – etwa von Subsahara-Afrika nach Europa. Denn die Lebensgrundlagen vieler besonders vom Klimawandel betroffener Menschenberuhen unmittelbar auf der Nutzung natürlicher Ressourcen: Sie sind Kleinbauern, Viehhirten oder Fischer. Damit gehören sie meist zur ärmsten Bevölkerungsschicht und haben oftmals nicht das notwendige Geld, um überhaupt migrieren zu können. Wenn Menschen ihre Heimat aufgrund der unmittelbaren Folgen des Klimawandels verlassen, dann bewegen sie sich meist innerhalb ihrer Heimatländer oder zwischen Nachbarländern. Man spricht deshalb auch von „trapped populations“ (also: „gefangenen Bevölkerungen“). Diese Menschen werden von den Folgen des Klimawandels besonders hart getroffen – etwa durch eine steigende Ernährungsunsicherheit. „Nicht-Migration“ kann also ein ebenso ein Problem darstellen wie Migration. Auch verlassen oft nicht ganze Familien, sondern eher einzelne Haushalts- und Familienmitglieder ihre Heimstätten. Mit dem Geld, das Migranten häufig unter sehr widrigen Umständen verdienen müssen, unterstützen sie ihre Familien bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels.  Die Frage, ob und wie viele „Klimaflüchtlinge“ zu uns nach Europa kommen werden, entblößt einen eigennützigen und engstirnigen Blick auf die Welt. Dieser wird den tatsächlichen Herausforderungen nicht gerecht. Menschen sehen sich bereits heute durch die Folgen des Klimawandels gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Auch wenn wir in Europa wenig davon mitbekommen, sollten wir doch vorausschauend und über den Horizont der eigenen Grenzen hinaus handeln. Dazu gehören ehrgeizige Minderungsziele und die Verpflichtung, die Erderwärmung bis zum Jahrhundertende unter den von Inselstaaten und anderen Ländern geforderten 1.5° Celsius zu halten, über die zurzeit in Paris verhandelt wird. Gerade als historische Mitverursacher des Klimawandels müssen wir auch fernab unserer Haustür Verantwortung für die Folgen des Klimawandels übernehmen. Dies erfordert neben der Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in stark betroffenen Ländern auch deren Unterstützung beim Umgang mit Schäden und Verlusten durch die Folgen des Klimawandels. Im Klimaabkommen von Paris müssen sich die Staaten auf einen Rahmen für künftiges Handeln einigen, mit dem „Klimaflucht“ vorgebeugt und „Klimamigration“ gestaltet werden kann.

Wohin steuert die G20-Entwicklungsgruppe?

Fri, 04/12/2015 - 16:37
Bonn, 07.12.2015. Seit dem 1. Dezember führt China die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) an. Die Regierung des Landes, das sich trotz großer wirtschaftlicher Erfolge weiterhin als Entwicklungsland begreift, will sich besonders für die Interessen aller Entwicklungsländer stark machen. Im Anschluss an die chinesische Präsidentschaft kann Deutschland seinen G20-Vorsitz 2017 nutzen, um die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Diffuses entwicklungspolitisches Profil Das entwicklungspolitische Engagement der G20 leidet unter unklaren Zuständigkeiten und mangelnder Kohärenz. Seit 2010 setzt sich die G20-Entwicklungsgruppe (Development Working Group) für die Unterstützung der ärmeren Länder ein, etwa bei Ernährungssicherung, finanzieller Teilhabe und Infrastruktur. Parallel dazu existieren Gremien der G20, beispielsweise zu Handel, Landwirtschaft und Beschäftigung, deren entwicklungspolitisch relevante Aktivitäten nicht systematisch mit der Entwicklungsgruppe verknüpft werden. Die daraus resultierende Fragmentierung der G20-Entwicklungspolitik wird durch getrennte Zuständigkeiten bei den beteiligten Regierungen verstärkt. In der Entwicklungsgruppe geben entwicklungspolitische Fachleute den Ton an. Federführend ist hier auf deutscher Seite das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Für andere G20-Gremien sind die jeweiligen Fachressorts, wie Finanz-, Landwirtschafts- und Arbeitsministerien, verantwortlich. G20-Entwicklungsgruppe am „Katzentisch“? Die begrenzte Durchsetzungskraft der G20-Entwicklungsgruppe zeigt sich beispielhaft bei dem Schlüsselbereich für Entwicklungsprozesse, der Infrastrukturfinanzierung. Zentraler Akteur hierfür ist die G20-Arbeitsgruppe „Investitionen und Infrastruktur“, die von den Finanzministerien der Mitgliedsländer gesteuert wird, während die G20-Entwicklungsgruppe nur eine Nebenrolle spielt. Die zunehmende Ausdifferenzierung und Duplizierung von Arbeitssträngen in der G20 erweisen sich als strukturelle Hindernisse für einen größeren Einfluss der Entwicklungsgruppe. Eine ähnliche Dynamik vollzieht sich im nationalen Kontext. Das wachsende Engagement von Fachministerien, z. B. für Umwelt, Bildung, Wirtschaft und Finanzen, auf internationaler Ebene reduziert die Handlungsspielräume der traditionellen Entwicklungsakteure. Weitere Schwachpunkte der G20-Entwicklungsgruppe sind ihr überambitioniertes Arbeitsprogramm sowie der Mangel an systematischer Einbeziehung dritter Parteien, wie etwa der ärmeren Länder, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Bedauerlich ist, dass sich die G20-Entwicklungsgruppe bislang kaum mit den Aktivitäten der Mitgliedsländer in der praktischen Entwicklungszusammenarbeit befasst hat. Dabei wäre der Erfahrungsaustausch zwischen Nord-Süd- und Süd-Süd-Kooperation besonders notwendig und fruchtbar. Trotz dieser Einschränkungen konnte die G20-Entwicklungsgruppe Wirkung erzielen, weil sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf wichtige Themen gelenkt hat, etwa berufliche Qualifizierung, Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten und Marktzugang für Exportprodukte. Positiv zu werten ist auch, dass die Entwicklungsgruppe über Umsetzungserfolge im Abstand von drei Jahren berichtet. Nicht zu unterschätzen ist der Wert einer kontinuierlichen Vertiefung von Vertrauen und wechselseitigem Lernen bei den beteiligten staatlichen Akteuren in der Entwicklungszusammenarbeit. Agenda 2030 im Mittelpunkt Zentrale Aufgabe der G20-Entwicklungsgruppe ist es jetzt, sich bei der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu positionieren. Die G20-Mitglieder, wie alle übrigen Staaten, sind aufgefordert, ihre Politikkonzepte auf drei Ebenen am neuen Leitbild einer globalen Transformation auszurichten. Zum einen steht die Umsetzung der Agenda im eigenen Land ebenso auf der Tagesordnung wie zum anderen die Mitwirkung an globalen Regelwerken und an der Bereitstellung globaler öffentlicher Güter. Es ist die dritte Handlungsebene, die für die G20-Entwicklungsgruppe von herausgehobener Bedeutung ist: Unterstützung der Entwicklungsländer bei Umsetzung der Agenda 2030 durch Finanzmittel, Wissen und Technologien. Ein notwendiger Schritt, um die Wirksamkeit externer Hilfe zu steigern, ist die Verständigung innerhalb der G20-Entwicklungsgruppe darüber, wie sich Nord-Süd- und Süd-Süd-Kooperation ergänzen und dadurch wechselseitig verstärken können. Entscheidende Herausforderung für die Entwicklungsgruppe ist, dass sie gegenüber anderen Arbeitssträngen der G20 erfolgreich für entwicklungspolitische Kohärenz eintritt. Zum Beispiel sollte die G20-Entwicklungsgruppe darauf bestehen, dass die von der chinesischen Präsidentschaft angestrebte Kapitalaufstockung der multilateralen Banken für Infrastrukturvorhaben mit entwicklungspolitischen Vorgaben verknüpft wird. Als Mitglied der  Troika, die die Regierungen der aktuellen mit der vorangegangenen und künftigen G20-Präsidentschaft zusammenführt, trägt Deutschland schon heute Mitverantwortung und sollte –  gemeinsam mit China und der Türkei – das Arbeitsprogramm der G20-Entwicklungsgruppe konsequent an der Agenda 2030 ausrichten.

China und Afrika: Die neue Normalität

Fri, 27/11/2015 - 18:12
Bonn, 30.11.2015. Das Forum für China-Afrika Kooperation (FOCAC) ist ein alle drei Jahre stattfindendes hochrangiges Treffen, nicht unähnlich den Afrika-Europa-Gipfeln. 15 Jahre nach dem ersten FOCAC-Treffen in Peking sind die Beziehungen zwischen China und dem afrikanischen Kontinent umfassender denn je. Inzwischen gibt es kaum ein Politikfeld, in dem Peking nicht zumindest mit einigen Ländern umfassend kooperiert. Was können wir vom China-Afrika Gipfel erwarten? Im Vergleich zum letzten Treffen 2012 in Peking werden insbesondere Frieden und Sicherheit, Landwirtschaft, Umweltthemen und Chinas Unterstützung für regionale Kooperation in Afrika weiter an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig hat sich das chinesische Wirtschaftswachstum verlangsamt und dies wird vermutlich die Diskussionen auf dem Gipfeltreffen prägen. 2015 hat deutlicher denn je gezeigt, wie umfangreich die wirtschaftspolitischen Verflechtungen zwischen China und Afrika inzwischen sind. Afrikanische Länder sind direkt und indirekt von „der neuen Normalität“ eines Wirtschaftswachstums unter sieben Prozent in China betroffen. Insbesondere die rohstoffreichen Länder exportieren weniger nach China und verlieren zudem Staatseinnahmen durch niedrige Rohstoffpreise. Die Hoffnung Afrikas, allein auf Chinas wirtschaftlichen Aufstieg zu setzen, war immer schon kurzsichtig und stellte letztlich auch eine Überforderung Chinas dar. Es ist kaum vorstellbar, dass die Gelder für internationale Entwicklungskooperation weiter ansteigen werden (können), wenn die Lage in China schwieriger wird. Bei den letzten FOCAC-Treffen hat die chinesische Regierung ihre Zusagen jeweils verdoppelt –  von fünf  Milliarden USD in 2006 auf zehn Milliarden USD in 2009 und 20 Milliarden USD in 2012, die 2014 um weitere 10 Milliarden erhöht wurden. Vor einigen Wochen wurde bereits eine Summe von 50 Milliarden USD diskutiert; unklar blieb, wie viel davon „neues Geld“ sein würde. Vor dem Hintergrund des abgeschwächten Wachstums in China und hoher Investitionen in andere Finanzinstrumente wie die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) oder den Silk Road Fund, ist jedoch kaum zu erwarten, dass die Wachstumsraten der Kreditlinien und Schenkungen für Afrika unbegrenzt weiter steigen. Afrikas Entwicklung langfristig zu planen, kann letztlich nur in Afrika erfolgreich geschehen. Jenseits hoher Finanzflüsse stellt sich die Frage, inwiefern afrikanische Länder die Kooperation mit China (und anderen Partnern) strategisch nutzen, um die Entwicklung ihrer Länder voran zu bringen. Der Umgang der afrikanischen Seite mit dem FOCAC-Treffen ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten: Zeit und Ort des China-Afrika-Gipfels wurden erst Anfang September bekannt gegeben. Die Vorbereitung für FOCAC löst auf dem afrikanischen Kontinent offenbar keine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Kooperation aus. Eigentlich müsste gelten: Nach dem FOCAC-Treffen ist gleichzeitig vor dem (nächsten) FOCAC-Treffen. Für China wird es nun verstärkt darauf ankommen, Angebote und bestehende Kooperationen in sinnvolle Zusammenhänge zu stellen. Im Gesamtbild chinesischer Kooperation werden Programme statt Projekte zunehmend wichtig. Und je enger die wirtschaftlichen Beziehungen werden, desto mehr drängt auch China darauf, das Investitionsklima zu verbessern. Dies ist zwar nicht gleich das Gegenstück zur westlichen „Governance“-Diskussion mit Afrika, bietet aber Anknüpfungspunkte zu dieser. China wird damit, bei aller anderslautender Rhetorik, zunehmend zu einem fördernden und fordernden Partner Afrikas. Seitens afrikanischer Staaten ist eine bessere Koordinierung der Partner – einschließlich China – erforderlich. Dies geschieht bereits in einer Reihe von Ländern, in denen chinesischen Partnern eine exklusive „Wunschliste“ übergeben wird. Dies ist durchaus im Sinne Pekings; denn dort wird oft genug nach den afrikanischen Plänen und Strategien gefragt. Welches sind die großen Zukunftsfragen, die gemeinsam angegangen werden sollen? Wo genau kann China besonderes Engagement zeigen? In welchen Bereichen hat Afrika besondere Herausforderungen identifiziert? Mit afrikanischer Initiative ist mehr machbar. Gipfeltreffen mit Afrika sind inzwischen nicht nur für China ein beliebtes Kooperationsinstrument. Im Oktober reisten die afrikanischen Staats- und Regierungschefs nach Delhi zum ‚India-Africa Forum Summit‘; nächstes Jahr reist der japanische Premierminister mit einer Delegation nach Kenia zur ‚Tokyo International Conference on Africa's Development‘. Afrika hat mehr Partner als je zuvor. Es muss diese Partner, ihre Agenda und ihre politischen Grenzen verstehen – und vor allem auf eigene Stärken setzen.

The 2015 European Neighbourhood Policy Review: more realism, less ambition

Thu, 26/11/2015 - 12:12
The European Commission released its latest review of the European Neighbourhood Policy (ENP) on 18 November 2015. The revised ENP is more focused than earlier versions, which were heavily premised on the idea that neighbouring countries should transform themselves into liberal democracies in the EU’s image. The EU has retreated from proposing models for its neighbours, instead concentrating on cooperation in areas where there are concrete interests on both sides. The result is that European interests, especially regional stability, security and controlled migration, are outlined much more explicitly than before. Mutual interests in trade, investment and energy cooperation are also highly prominent, as they have been since the beginning of the ENP.

The review raises new expectations for EU engagement in the Middle East and North Africa. Disappointment with the results of the last review, which was conducted shortly before the 2011 Arab Spring, was a major factor in prompting the new European Commission of president Jean Claude Juncker, High Representative Federica Mogherini, and Neighbourhood Commissioner Johannes Hahn, to ask fundamental questions about the policy framework, its objectives and the instruments the EU uses in its relations with neighbouring countries. The publication of the 2015 review follows an extensive consultation process. The Commission received more than 250 written submissions and it canvassed both government and non-governmental stakeholders behind the scenes.
EU officials say that neighbouring countries wanted the ENP to be more focused, more flexible, less bureaucratic, and more ‘political.’ The Commission says that it has listened to what is has been told: that the EU should stop telling neighbouring countries what to do, that there should be one policy framework which combines the EU’s foreign and security policy, development aid, migration policy and justice and home affairs, and that there needs to be more money on the table.

The ENP review is certainly presented in a less hectoring tone than its predecessors. The ENP’s main problem is that it was based on the EU’s enlargement model, which successfully transformed eight former communist Eastern European countries before the EU’s ‘big bang’ enlargement in 2004. The original ENP was designed by the same officials who worked on enlargement policy and it was unsurprisingly similar in terms of its language, emphasis on values, and attempted use of conditionality and socialisation to incentivise the reforms the EU considered desirable. That EU membership was never on the table was not considered an issue, because most southern neighbours were not interested anyway and the EU’s political and economic model was in any case considered something which all countries should aspire to intrinsically.

However, the ENP was never backed by sufficient financial support or other incentives, such as Schengen visas, to have any leverage with southern neighbouring governments. This has not changed. The ENP is backed by the €15.4 billion European Neighbourhood Instrument (ENI), which has not been increased despite the region’s crises. Some longer-term bilateral ENI programmes have been cut and the funds reallocated to short-term initiatives such as the new Madad Trust Fund for responding to the Syria crisis. European Commission officials are reportedly hoping that a mid-term review of the EU budget in 2016 will result in funds being shifted from the EU’s domestic budget lines, such as the common agricultural policy and structural funds, to the ENI.

Whether the review is really more ‘political’ is not as clear. In keeping with the spirit of pragmatism, the EU’s positions on the most politically sensitive issues, such as conditionality, cooperation with authoritarian regimes, and the access of neighbouring country citizens to the EU labour market, are not clear and unambiguous. Close cooperation with neighbours on policing, border security and counter-terrorism, which has been going on for years, has been intensified and is discussed more openly than in the past.

The review’s explicit focus on interests does not mean that the EU has abandoned its values entirely. References to democracy, good governance and human rights remain prominent, and there is specific focus on programmes that support the judiciary, accountable public administration and civil society, which are all areas where the EU has extensive expertise. Nevertheless, the most political idea at the heart of the ENP – the transformational power of Europe – has all but disappeared amid all the realism. This has not happened because of conviction, but because of the EU’s weakness in the face of repeated crises. This reality casts a big question mark over whether the EU is strong enough to stand up for its values when the time comes, for example if the military were to overthrow a democratically elected government in a neighbouring country like in Egypt in 2013.

The timing of the 2015 review naturally raises the question of whether the ENP is able to offer solutions to urgent crises such as terrorist attacks in Europe, the plight of Syrian refugees or the civil war in Libya. The ENP is, however, not a crisis response mechanism. The EU has developed other crisis frameworks for the Syria/Iraq and Libya crises in parallel to the ENP review, reportedly with little coordination or exchange. Indeed, the ENP is the tortoise rather than the hare: it is an overarching framework for working with partners on longer term ‘root causes’ of crises, like weak governance, economic stagnation and conflict. Since 2011, the ENP has been largely irrelevant to the epoch-defining upheavals in the MENA region. Whether the 2015 review can change this depends on how it will be supported and implemented by the EU, its member states and the neighbouring country partners.

Die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft: Wie es nach der UN-Klimakonferenz weitergehen muss

Mon, 23/11/2015 - 08:58
Bonn, 23.11.2015. In wenigen Tagen ist es so weit: während der UN-Klimakonferenz soll ein ambitioniertes Abkommen verabschiedet werden, um die Welt vor einem zu starken Temperaturanstieg zu schützen. Im Vorfeld mehren sich die Warnungen, dass die von den Ländern geplanten Minderungsbeiträge für Treibhausgasemissionen nicht ausreichen werden, um die Erderwärmung auf unter 2° C zu begrenzen. Damit einher geht der Appell, die Staaten mögen ihre Ambitionen erhöhen und auch genügend Klimafinanzierung für Entwicklungsländer zur Verfügung stellen. All dies ist richtig und wichtig, aber bei weitem nicht genug! Was wir für die Dekarbonisierung, also die Abkehr von der Nutzung kohlenstoffhaltiger Energieträger, benötigen, ist eine Reform der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Hierfür sind drei Stellschrauben zentral. Preissetzung für Dekarbonisierung Höhere Preise für Güter und Dienstleistungen mit hohem CO2-Ausstoß verstärken die Anreize, Emissionen zu senken. Deshalb brauchen wir einen globalen Kohlenstoffpreis. Einnahmen aus CO2-Steuern oder Emissionshandel können sogar weitere Entwicklungsziele, Energie- und Steuerreformen finanzieren. Auch beim Abbau von Subventionen für fossile Brennstoffe kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen werden die Preise nicht länger zu Lasten der Dekarbonisierung verzerrt: dem Klimaschutz und grünen Technologien liegen keine Steine mehr im Weg. Zum anderen werden staatliche Budgets entlastet. Einsparungen durch den Abbau von Subventionen können dazu genutzt werden, diese politisch schwierige Maßnahme durchzusetzen, z. B. indem Einkommenseinbußen der Armen kompensiert und Verlierer entschädigt werden. Auch Zahlungen für Ökosystem-Dienstleistungen können den Klimawandel begrenzen, indem sie Grundbesitzer oder Landwirte für den Erhalt von CO2-Speichern wie Wäldern und Böden entschädigen. Handels- und Investitionsregeln Die Regeln für internationalen Handel und Investitionen sollten ebenfalls dem Klimawandel Rechnung tragen. Trotz des geringen Fortschritts in den vergangenen Jahren bleibt die Welthandelsorganisation (WTO) ein Forum, in dem globale Regelwerke gestaltet und durchgesetzt werden. Durch den Abschluss der Doha-Runde könnten zukünftig verstärkt grüne Themen auf die Agenda gesetzt werden. Einige Vorreiter, die EU und 13 andere Staaten, preschen hier bereits voraus und bemühen sich, in Verhandlungen über ein Environmental Goods Agreement eine Einigung über den Abbau von Handelshemmnissen für Umweltgüter zu erreichen. Es zielt darauf ab, die Ergebnisse auf alle WTO-Mitglieder auszuweiten. Mit Hilfe dieser Güter sollen die Luft- und Wasserqualität verbessert, die Abfallbewirtschaftung erleichtert und ein Beitrag zur Erzeugung erneuerbarer Energien geleistet werden. Zudem gibt es einen Trend zur Stärkung von Umweltaspekten in Freihandels- und Investitionsabkommen: Viele der neuen Abkommen verpflichten die Beteiligten, Umweltstandards nicht abzusenken und räumen das Recht ein, weiterhin im Sinne der Umwelt zu regulieren. Insbesondere die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP hat durch ihre schiere Größe und die öffentliche Präsenz die Chance, eine Vorreiterfunktion bei der Verknüpfung von Handels-, Umwelt- und Klimazielen einzunehmen. Gestaltung der Finanzmärkte Die Finanzmärkte sind die dritte wichtige Stellschraube. Um langfristige, kohlenstoffarme Investitionen zu fördern, muss das internationale Finanzsystem so reformiert werden, dass kommerzielle Banken und institutionelle Investoren – zum Beispiel Staatsfonds, Pensionskassen und Versicherungen – verstärkt in kohlenstoffarme Projekte investieren. Aktuell ist dies aufgrund der derzeitigen Regulierung nicht oder nur eingeschränkt möglich. Hier müssen die Regulierungsbehörden nachbessern! Zudem können Finanzmarktakteure selbst durch freiwillige grüne Leitlinien für Investitionsentscheidungen einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. Da es keinen globalen Kohlenstoffpreis gibt, kann ein ambitionierter fiktiver Preis für Kohlenstoff, ein sogenannter Schattenpreis, bei der Entscheidung über Investitionen in Unternehmen helfen. Anleger können durch die konsequente Einbeziehung von Klimarisiken in Ratings, Benchmarks und Indizes in einer nachhaltigen Investitionsstrategie unterstützt werden. Öffentliche Geber und Entwicklungsfinanzierungsinstitutionen, z. B. Entwicklungsbanken, sollten zudem Investoren durch die Bereitstellung von Instrumenten zur Risikominderung motivieren, in grüne Kapitalanlagen zu investieren. Die empfundenen Risiken dieser Investitionsmöglichkeiten sind aufgrund mangelnder Information oftmals sehr viel höher als die tatsächlichen Risiken. Ambitionierte Ansprüche an das Pariser Klimaabkommen zu stellen, ist nur der erste Schritt. Hinreichend wird dies aber nicht sein, denn für eine Reform der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen weitaus mehr Akteure in die Verantwortung genommen werden. Nach Paris muss es weitergehen: Andere Institutionen wie die G20, Zentralbanken und die WTO müssen den Stab übernehmen und in ihrem jeweiligen Einflussbereich die Weichen für ein grünes Umdenken stellen!

Was Europa nach den Anschlägen vom 13.11. tun kann – und was es nicht tun sollte

Wed, 18/11/2015 - 14:42
Bonn, 18.11.2015. So verständlich – wie voraussehbar – die Ausweitung der französischen Bombardements auf den Islamischen „Staat“ (IS) als Reaktion auf die Attentate von Paris am 13.11. auch sein mögen, so spielen diese doch vor allem den Islamisten in die Hände. Europa und der Westen insgesamt müssen sich auf eine wertebasierte, nachhaltige und umfassende Sicherheitspolitik für den Mittleren Osten und den Arabischen Raum besinnen. Westliche Regierungen könnten einem gefährlichen Irrtum aufsitzen, wenn sie glauben, die IS-Jihadisten durch eine Intensivierung der Bombenkampagne von weiteren Terroranschlägen abhalten zu können. Umgekehrt täuschen sich auch die Extremisten, wenn sie meinen, den Westen mit hinterhältigen Attacken auf Zivilisten zum Aufgeben der Interventionen in Nahost bringen zu können. Darüber hinaus ist klar, dass wir angesichts der Perfidie und Feigheit solcher Anschläge Einigkeit und Entschlossenheit signalisieren wollen und müssen – alles andere wäre fatal. Die Eskalation der Gewalt jedoch nützt den islamischen Terroristen und fügt sich nahtlos in die Logik ihres Nullsummenspiels, die weitere Akteure in einen blutigen Konflikt verstricken will, der, einigen Verblendeten zufolge, in einem Armageddon mit dem Untergang der Welt enden soll. Der Westen kann hier nur verlieren, denn eine Beendigung des Syrienkrieges – und damit der akuten Flüchtlingskrise – ist nur auf dem Verhandlungsweg zu erzielen. Nach der letzten Runde der internationalen Gespräche zur Syrienkrise in Wien darf man vorsichtig optimistisch sein. Europäische Globalstrategie – für einen Abwehrkampf? Dringender denn je benötigen wir eine europäische Strategie, die nicht nur auf kurzfristige, defensive, sondern auf eine umfassende und nachhaltige Sicherheitspolitik setzt. Diese muss auch Aspekte der langfristigen, regionalen Entwicklung als Bedingung für Stabilität, soziale Gerechtigkeit und Demokratie anerkennen. Der von der EU-Außenbeauftragten Mogherini im Juni 2015 angestoßene Strategieprozess droht zu einer von Angst, Ressentiment und engem Sicherheitsdenken getriebenen Abwehr- und Abgrenzungsdebatte zu verkümmern. Am 18.11. stellte die EU-Kommission auch das Weißbuch zur Reform der Europäischen Nachbarschaftspolitik vor. Es ist zu befürchten, dass das, was als „pragmatischerer Zugang“ angepriesen wird, den Misserfolgen der Vergangenheit lediglich mit einer Abschwächung der Ambitionen und Ziele begegnen wird. Große Aufwendungen werden dagegen in Kauf genommen, um die aktuellen Flucht- und Migrationsbewegungen zu unterbinden und zurückzudrängen. Schon nach dem Gipfel von Valletta mussten sich die EU-Staats- und Regierungschefs den Vorwurf gefallen lassen, die Türkei für die Aufnahme von Flüchtlingen mit 3 Mrd. € zu „bestechen“, während für den neuen Afrika-Fonds zur strukturellen Armuts- und Fluchtursachenbekämpfung gerade mal 1,9 Mrd. € übrig waren. Im Bereich der Europäischen Globalpolitik droht eine Beschränkung auf die verteidigungspolitischen Instrumente. Verknüpft mit verstärkter Überwachung durch Geheimdienste, Polizeiapparate, Justiz- und Grenzschutz-Behörden wird ein Trugbild der Sicherheit erzeugt, wo diese Maßnahmenbündel zunächst auch eine nicht unerhebliche Gefahr für die Bürger- und Freiheitsrechte darstellen. Die Rüstungsindustrie hat auf diese goldene Chance sicherlich gewartet: nachdem zuerst mit Waffenexporten an die Konfliktparteien gut verdient wurde, ist jetzt auch noch die Dividende (oder der Jackpot) in Form verstärkter innereuropäischer Beschaffungsmaßnahmen und aufgestockter Verteidigungsbudgets fällig. Unter den Waffendeals leidet unsere Glaubwürdigkeit, denn europäische Werte werden anderswo schwer vermittelbar, wenn wir sie selbst nicht ernst nehmen und den Extremisten mit einer solchen Doppelmoral Argumentationshilfe leisten. Was der IS allerdings am meisten fürchtet, waren nach Aussagen von Insidern genau solche Szenen, in denen abertausende Flüchtlinge von Europäern willkommen geheißen wurden. Letztlich stellt die Verengung unseres Horizonts auf Bewachung und Bestrafung eine doppelte Niederlage dar, gegenüber den äußeren wie den inneren Feinden der Europäischen Idee, wobei der Nutzen im Kampf gegen den Terrorismus zweifelhaft ist. Sicherheit und Recht und Freiheit Wenn wir zulassen, dass Furcht und Festungsmentalität unser politisches Handeln bestimmen, haben die Islamisten mehr als nur eine Schlacht gewonnen und sich unbefugten Zutritt zu Europas Innerstem verschafft, seinen Werten und seinem Selbstverständnis. Dies wäre ähnlich katastrophal – und gleichermaßen inakzeptabel – als wenn wir es Rechtsradikalen überließen, zentrale gesellschaftspolitische Entscheidungen, etwa in der Asylfrage, für uns zu treffen. Dieser Umstand ist im Übrigen der einzige, den das Flüchtlings- und das Terrorthema gemeinsam haben: es ist in beiden Fällen unverantwortlich, das Feld den Hasspredigern und Angstmachern zu überlassen. Jede andere Art der Vermengung der Diskussionen muss als fahrlässig gelten – wenn nicht als bösartig. Wir benötigen eine holistische Sichtweise auf Frieden, die Sicherheit und Entwicklung zu gleichen Teilen berücksichtigt. Dies bedeutet profunde Analyse und das Bestreben, auf die eigentlichen, tiefer- und dahinterliegenden Probleme, wie das Verzagen an Armut, Ungleichheit und Unterdrückung, einzugehen. Andernfalls werden wir Europa, wie wir es uns wünschen, in einer immer engmaschiger vernetzen Welt nicht nachhaltig beschützen und bewahren können.

Der G20-Gipfel in Antalya: Wer regiert die Weltwirtschaft?

Thu, 12/11/2015 - 18:07
Bonn, 13.11.2015. Vom 15.-16. November 2015 findet in Antalya das G20-Treffen der Staats- und Regierungschefs statt. Auf der Agenda des Gipfels stehen Themen wie die nachhaltige Wachstumsagenda und die globalen Finanzmarktreformen. Diese muten technisch an, hinter ihnen verstecken sich aber knallharte machtpolitische Fragen. Die G20 sollte Global Governance inklusiver machen, indem Schwellenländer mit am Tisch sitzen. Aber sie hat sich zu einem Club der Mächtigen entwickelt – wo bleibt die Stimme der ärmeren, aber für die Weltwirtschaft immer wichtiger werdenden Länder? Entwicklungsländer sollten eine stärkere Stimme bekommen! Zentrales Ziel der G20 ist es, vor allem nach der Finanzkrise von 2008, die internationale Finanzstabilität zu fördern – ein für die Zukunft der nachhaltigen Entwicklung wichtiges globales öffentliches Gut. Der G20-Gipfel macht uns wieder bewusst, wie wichtig die Rolle der aufstrebenden Mächte in der Weltwirtschaft ist. Ökonomisch und geopolitisch weniger schwergewichtige Länder sind jedoch in der G20 und in vielen anderen wichtigen Foren nicht ausreichend repräsentiert. Und das, obwohl die Globalisierung weiter schnell voranschreitet und die gerade verabschiedete 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung nachdrücklich eine bessere ‚globale Partnerschaft‘ fordert. Insgesamt gibt es wenig Dynamik in Richtung mehr Partizipation der Entwicklungsländer in der globalen Governance der Weltwirtschaft. Die Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF) kommt immer noch nicht wirklich voran. Mit Blick auf die Handelsfragen der Zukunft gibt es sogar Rückschritte: Die WTO-Verhandlungen stocken und durch den Trend zu mega-regionalen Abkommen zwischen den großen Mächten und den dynamischen Schwellenländern werden wirtschaftlich weniger entwickelte Länder stärker als zuvor marginalisiert. Das Problem: Manche Veränderungen in der globalen Governance führen nur vermeintlich zu Verbesserungen der Partizipation für Entwicklungsländer. Ein Beispiel dafür ist die kürzlich durchgeführte Reform des Financial Stability Board (FSB). Das FSB ist ein globales Gremium, das sich aus Vertretern von Finanzministerien, Zentralbanken und Aufsichtsbehörden von 24 Mitgliedsländern und der EU sowie aus Vertretern der internationalen Finanzinstitutionen, Standardsettern und Aufsichtsbehörden zusammensetzt. Die Schwellenländer sind seit 2009 auf Beschluss der G20 im FSB vertreten. Im Rahmen des FSB werden Themen von grundlegender Bedeutung für die Finanzstabilität diskutiert und die Regulierung der internationalen Finanzmärkte koordiniert. Beispielsweise ist der FSB federführend in der Regulierung und Überwachung des Schattenbankensektors, der in der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise eine entscheidende Rolle spielte. Dieses Jahr wurde die repräsentative Struktur des FSB überprüft. Das Ergebnis: Fünf Volkswirtschaften bekamen mehr Sitze: Argentinien, Indonesien, Südafrika, Saudi Arabien, Türkei. Doch das geschah auf Kosten internationaler Institutionen wie z.B. der Weltbank oder des IWF, die jeweils Sitze aufgeben mussten. Durch die Reform wurde also letztlich der Stimmanteil derjenigen Institutionen verringert, in denen Entwicklungsländer reguläre Mitglieder sind. Ausgerechnet die Institutionen wurden geschwächt, die die Perspektive der Entwicklungsländer mit repräsentieren. Der kritische Blick zeigt also, dass durch die FSB-Reform vor allem die aufstrebenden Schwellenländer gestärkt werden, aber weniger entwickelte Länder nicht profitieren und sogar noch an Einfluss verlieren. Lediglich in den regionalen Konsultationsgruppen werden ihre Ansichten noch gehört. Diese mangelnde Einbeziehung von Entwicklungsländern in die globale Governance der Weltwirtschaft bereitet vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen Sorge. Der chinesische Wachstumsmotor schwächelt bedrohlich und wenn sich in China eine Krise zuspitzen sollte, würde das vor allem die Entwicklungsländer hart treffen, da sie insbesondere seit der globalen Finanzkrise von der Nachfrage und den Investitionen aus dem Reich der Mitte abhängig sind. Was wäre die Folge? Sollten Verwerfungen in den Finanzmärkten der Entwicklungsländer auftreten und eine Ansteckung anderer Ländergruppen und Finanzmärkte drohen, dann sitzen wieder einmal nicht die Vertreter der relevanten Länder mit am Tisch, um durch gemeinsame koordinierte Anstrengungen eine erneute globale Finanzkrise zu verhindern. Zukünftig gilt: Die Bedeutung der globalen öffentlichen Güter wird weiter zunehmen und diese können nur in einer veränderten globalen Partnerschaft geschützt und gestärkt werden. Wir können nicht davon ausgehen, dass die aufstrebenden Mächte die Interessen der Entwicklungsländer vertreten. Daher sollten Letztere in den wichtigen Foren und Institutionen der Global Economic Governance eine stärkere Stimme bekommen. Ansatzpunkte dafür wären die Repräsentation in den entscheidenden Gremien durch regionale Vertreter oder durch internationale Institutionen oder partnerschaftliche Mechanismen gegenüber Nicht-Mitgliedern im Sinne einer im Nachhaltigkeitsziel SDG 17 vereinbarten ‚globalen Partnerschaft‘. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich die G20 in Zukunft dafür einsetzen werden – sowohl beim Gipfel in Antalya als auch darüber hinaus.

Eine neue Seidenstraße – Chinas „Soft Power“

Mon, 09/11/2015 - 08:30
Bonn, 09.11.2015. Die „neue Seidenstraße“ ist eine Initiative des Chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping, die er während seines Staatsbesuches in Kasachstan Mitte 2013 als großes Vorhaben des Silk-Road-Wirtschaftsgürtels angekündigt hat. Im gleichen Jahr ergänzte Xi in einer Rede vor dem indonesischen Parlament die Initiative mit der Maritimen Seidenstraße. Daraus entstand der etwas sperrige Name OBOR – „One belt, One road“. Knapp ein halbes Jahr später wurden 40 Milliarden USD für einen Silk Road Fonds aufgelegt. Er soll vor allem Infrastrukturprojekte finanzieren und stellt teilweise zuvor bestehende Initiativen – wie den China-Pakistan Wirtschaftskorridor – nun unter dem Stichwort OBOR in einen größeren Zusammenhang. OBOR bietet unmittelbare Anknüpfungspunkte zum Junker-Plan des Präsidenten der Europäischen Kommission, der Investitionen in Europa in Höhe von 315 Milliarden Euro bis 2017 vorsieht. Premier Li Keqiang soll bereits Chinas Interesse an dem Plan signalisiert haben. Darüber hinaus sollte Europa sich hier aus mindestens drei weiteren Gründen interessiert und offen zeigen: Erstens: Chinas Soft Power Die Seidenstraße ist klug gewählt, um chinesische „Soft Power“ zu entfalten, d. h. allein über Anziehungskräfte und mit Überzeugung zu arbeiten. Der Begriff „Seidenstraße“ ist historisch positiv aufgeladen – und bietet Anknüpfungspunkte für Pläne des 21. Jahrhunderts. Die Seidenstraße des Altertums und Mittelalters war ein Netzwerk von Handelsverbindungen. Es verband Europa über verschiedene Routen mit Zentral- und Südasien und letztlich China. Das namensgebende Handelsgut Seide ging gen Westen, nach Osten wurde beispielsweise Glas exportiert. Gehandelt wurden auch Gewürze und Knowhow. Erfindungen wie das Schwarzpulver, Papier und Porzellan kamen gen Westen. Eher als Nebeneffekt wurden Weltanschauungen verbreitet: Buddhismus, Christentum und Islam verbreiteten sich ebenfalls über diese Routen. Die Idee der Seidenstraße ist offen für vielfältige Interpretationen und vorwiegend positiv besetzt. Die chinesischen Akteure werden hier allerdings noch ihre Prioritäten weiter klären müssen. Zweitens: Handelspolitische Perspektiven für China Die chinesische Wirtschaft braucht neue Perspektiven. Geld ist vorhanden – und muss investiert werden, um Dynamiken aufrechtzuerhalten bzw. neu zu entfalten. Ein Investitionsprogramm in Zentralasien und am Indischen Ozean bietet hier neue Märkte und Absatzmöglichkeiten für chinesische Produkte und Tätigkeitsfelder für Unternehmen. Nicht zuletzt Überkapazitäten im Baugewerbe könnten so auf Mega-Projekte in neuen Regionen orientiert werden und neue Möglichkeiten für andere Bereiche erschließen. Chinas Engagement in Afrika ist bereits dieser Logik gefolgt. Chinas Staatsführung sieht Zentralasien auch im Lichte der internen Entwicklung in der Unruheprovinz Xinjiang. Politische Spannungen zwischen der uighurischen Bevölkerung und ethnischen Han-Chinesen als Wirtschaftsmigranten führen immer wieder zu gewaltsamen Unruhen. Wirtschaftsentwicklung alleine – ohne politischen Interessenausgleich – wird dieses Problem nicht lösen. Aber: Chinas Westen braucht auch die Vernetzung nach Zentralasien. Zugleich sichert das Engagement die Routen zum großen Absatzmarkt Europa und hat darüber hinaus geostrategische Bedeutung. Drittens: Möglichkeiten der internationalen Kooperation Zwischen China und Europa ergeben sich hier Möglichkeiten zur gemeinsamen Krisenbefriedung in einer unruhigen Region. Wirtschaftliches Engagement in unsicherem Gebiet erscheint dem Außenbetrachter zunächst als überambitioniert; es ist allerdings ein bewusstes Handeln. Der chinesische Ansatz zur Befriedung von Konflikten sieht immer wirtschaftliches Wachstum im Zentrum. Aus Sicht Pekings bedarf Frieden immer auch Wirtschaftsentwicklung. Überspitzt gesagt, sieht man in Peking Entwicklung als Voraussetzung von Frieden, während im Westen oftmals „zunächst Frieden, dann Entwicklung“ gedacht wird. Schon für die Seidenstraßen des Altertums war neben der schwierigen Geographie – Gebirge und Wüsten – auch die Sicherheitslage auf dem Weg eine Herausforderung und Karawanen wurden teilweise von bewaffneten Truppen begleitet. Auch das schrittweise Ausweichen des Handels auf den Seeweg war ein Effekt der unsicheren Lage des Landwegs. Im 21. Jahrhundert plant China direkt mit verschiedenen Routen – nicht zuletzt auch, um seine skeptischen Nachbarn einzubinden, die Chinas Expansion etwa im Südchinesischen Meer mit Sorge sehen. Die Hauptmotivation in Peking sind selbstverständlich chinesische Eigeninteressen. Aber dies muss eine Kooperation aufgrund der europäischen Interessen nicht ausschließen. Noch scheint die Idee flexibel und gestaltbar – und dies sollte Europa als Chance erkennen.

TÜV-Plakette für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit? Der neue OECD-Prüfbericht zu Deutschland

Wed, 04/11/2015 - 08:18
Bonn, 04.11.2015. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit (EZ) verfügt über ein besonderes Instrument, um die Qualität der OECD-Geber regelmäßig zu überprüfen: Gruppendruck. Alle vier bis fünf Jahre organisiert der Entwicklungshilfeausschuss (Development Assistance Committee, DAC) der OECD einen detaillierten Prüfbericht (‚peer review‘). Am 4. November wird in Berlin der neue Prüfbericht zu Deutschland erstmals vorgestellt. Der Vorsitzende des DAC, Erik Solheim, wird den Bericht im entwicklungspolitischen Fachausschuss des Deutschen Bundestages präsentieren. Das für die Prüfung verantwortliche Expertenteam bestand diesmal neben OECD-Mitarbeitern aus Vertretern der DAC-Mitglieder Japan und Kanada. Der neue Bericht liefert, was von ihm erwartet wird: eine konstruktive, aber auch kritische Sicht auf Deutschlands öffentliche Entwicklungszusammenarbeit. Der letzte Bericht aus dem Jahr 2010 benannte als Hauptschwächen vor allem eine schwer zu überblickende Institutionenlandschaft der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und ein gleichzeitig unzureichend steuerndes Ministerium (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ). Ebenso wurde Deutschland als derzeit drittgrößtem OECD-Geber eine mangelnde strategische Ausrichtung bescheinigt – etwa bei der Unterstützung des multilateralen EZ-Systems v.a. in Form der Vereinten Nationen, der Weltbank und regionalen Entwicklungsbanken. Der heute erscheinende Bericht erkennt eine Reihe von Verbesserungen im Vergleich zu den 2010 festgestellten Mängeln. Mittlerweile habe das BMZ die tatsächliche steuerende Rolle in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die größere Zahl von Entwicklungsreferenten an den Deutschen Botschaften habe dazu beigetragen, dass die Arbeit in den Partnerländern weniger stark von den Durchführungsorganisationen geprägt sei. Weitere Schritte zur Dezentralisierung der deutschen EZ seien wünschenswert. Ebenso habe das Ministerium mittlerweile eine strategischere Ausrichtung gegenüber multilateralen Einrichtungen. Insgesamt sieht das Expertenteam sieben Empfehlungen des 2010er Berichts als nun umgesetzt, elf als teilweise umgesetzt und keine als nicht umgesetzt an. Also eine insgesamt positive Einschätzung, die zum Teil noch stärker in den erläuternden Texten zum Ausdruck kommt. An welchen Stellen bietet der Bericht neue Sichtweisen? Welche Kritikpunkte bleiben bestehen oder kommen hinzu? Zunächst einmal würdigt er die im Jahr 2014 verabschiedete Zukunftscharta des BMZ, die zum Ziel hatte, in einem breiten Dialog die künftige Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu bestimmen. Der Bericht sieht eine Chance in der anstehenden Überarbeitung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, die für alle Politikbereiche mehr kohärentes Handeln ermöglichen kann. Nachholbedarf bestehe hingegen bei der Priorisierung des Zielsystems der Entwicklungszusammenarbeit: Welche Ziele der Zukunftscharta und der seit Anfang 2014 laufenden Sonderinitiativen des BMZ sind besonders wichtig? Ebenso mahnt der Bericht an, dass einige politische Prioritäten sich nicht gleichermaßen in getroffenen Zusagen wiederfänden. Der Anteil der ärmsten und armen Länder an der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands nehme etwa ab, obwohl diese Ländergruppe bzw. der afrikanische Kontinent die wichtigste Priorität des BMZ sei. Die Verwendung der deutschen EZ-Mittel sei nicht ausreichend transparent und die knappen Zusagezyklen für längerfristige Planungen der Partnerländer ein Problem. Die Konzentration auf mittlerweile 50 Partnerländer mit einem umfassenden EZ-Kooperationsprogramm (sowie 29 weiteren Ländern) habe nur sehr bedingt zu der beabsichtigten Fokussierung der deutschen EZ geführt. Schließlich plädiert der Bericht dafür, dass Deutschland seine Humanitäre Hilfe, die in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes fällt, ausweitet. Der Prüfbericht zu Deutschland sollte in dreierlei Hinsicht zu intensiveren Debatten in Deutschland beitragen. Erstens ist es wichtig, die Anstrengungen fortzusetzen, die deutsche EZ wirksamer zu gestalten. Der Bericht liefert hierfür eine sehr gute Grundlage. So kann die deutsche Entwicklungszusammenarbeit effektiver sein, wenn liefergebundene Leistungen weiter abnehmen, die starre Einteilung zwischen Haushaltstiteln für Technische und Finanzielle Zusammenarbeit überwunden würde und die Transparenz zu den eingesetzten deutschen EZ-Mitteln steigt. Zweitens verdeutlichen die internationalen Krisen der letzten Jahre und Monate und die aktuelle Flüchtlingssituation in Europa, wie wichtig planvolles Handeln und funktionsfähige Instrumente sind, die auf kurzfristige Herausforderungen reagieren können. Dies umfasst u.a. das gesamte Spektrum von Instrumenten aus dem Bereich der humanitären Hilfe, der Flüchtlings- und Übergangshilfen und der längerfristigen EZ. Der Prüfbericht kann auch hierzu einen guten Ausgangspunkt für Debatten im Deutschen Bundestag, innerhalb der Bundesregierung und der Öffentlichkeit bieten. Drittens sollten in Deutschland vermehrt Diskussionen zur grundlegenden strategischen Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch anderer internationaler Kooperationsansätze, stattfinden. Wie kann die deutsche EZ noch gezielter die langfristig angelegten Ziele nachhaltiger Entwicklung befördern? Welchen Beitrag können andere Politikbereiche hierzu leisten? Wie können Entwicklungszusammenarbeit und andere Politiken dazu beitragen, dass etwa Schwellenländer noch wirksamer an der Bearbeitung globaler Probleme mitwirken können? Angesichts der rasanten Veränderungen globaler Herausforderungen wäre ein solcher strategischerer Blick auf Entwicklungszusammenarbeit notwendig. Dieser Beitrag wurde auf www.tagesspiegel.de erstveröffentlicht.

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