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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Updated: 1 month 1 week ago

Hochschulbildung für die SDGs – gerade auch im globalen Süden

Mon, 10/04/2017 - 09:47
Die Sustainable Development Goals (SDGs) erfordern wissensbasierte Konzepte, sonst wird ihre Umsetzung scheitern. Entwicklungszusammenarbeit versteht sich schon lange als Know-how-Vermittler, oft im Rahmen technischer Zusammenarbeit. Die notwendige globale Transformation, wie sie sich auch in den SDGs als Vision widerspiegelt, verlangt ein radikal anderes Herangehen. An die Stelle eines Nord-Süd-Wissenstransfers muss das gemeinsame praxisorientierte Lernen von Wissenschaftlern aus vielen Ländern treten. Akteure des globalen Südens müssen frühzeitig einbezogen werden, um Problemlagen und Lösungsansätze zu identifizieren und zu ihrer Überwindung beizutragen. Diese Themen wurden am 20. und 21. März in Berlin auf der Konferenz „Role of Higher Education, Science and New Alliances – 2030 Agenda” diskutiert. Sie wurde organisiert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der Alexander von Humboldt-Stiftung. Gemeinsam mit Partnern des globalen Südens wurde analysiert, welche Rolle Hochschulbildung und Wissenschaft für das Erreichen der SDGs haben und wie sich die internationale Zusammenarbeit hierauf einstellen kann. Tertiäre Bildung und die SDGs Ein globaler Übergang zur Nachhaltigkeit kann auf Basis einer breiten und hochwertigen Hochschulausbildung auch im globalen Süden gelingen. Diese darf sich nicht auf die Vermittlung von Lehrbuch- und Faktenwissen beschränken, sondern muss Menschen befähigen, komplexe und drängende Herausforderungen zu antizipieren, zu analysieren und Lösungen zu finden. Neugierde am gemeinsamen Lernen mit internationalen Partnern gehört ebenso zu den zu vermittelnden Werten wie die Bereitschaft, überliefertes Wissen zu hinterfragen und eventuell zu revidieren. Diese Anpassungen sind im Norden wie im Süden notwendig. Hochschulbildung im globalen Süden steht vor großen Herausforderungen Der Bevölkerungszuwachs der kommenden Jahrzehnte wird fast ausschließlich im globalen Süden stattfinden. Immer mehr junge Menschen erwerben die Qualifikation, um sich an einer Hochschule einzuschreiben. Das wird die Nachfrage nach Studienplätzen stark erhöhen. Damit setzt sich ein Trend fort, der seit Jahren vor allem in Ländern mit mittlerem Einkommen beobachtet werden kann. Zwischen 2000 und 2014 stieg die Zahl der Studierenden in Middle Income Countries von 60 auf 122 Millionen. In vielen Ländern des globalen Südens sind Hochschulen und ihr Personal schon heute systematisch überlastet. Wenn wenige Professoren immer mehr Studierende unterrichten müssen, dann leidet die Qualität der Lehre und für eigene Forschungen bleibt keine Zeit. Das Humboldtsche Bildungsideal einer Einheit von Forschung und Lehre rückt in weite Ferne. Die internationale Zusammenarbeit Deutschlands muss sich anpassen Die Trennung von internationaler Wissenschafts- und Bildungskooperation auf der einen und Entwicklungszusammenarbeit auf der anderen Seite ist nicht mehr zeitgemäß. Sie verhindert Synergien. Dass es auch anders geht, zeigt beispielhaft das Programm Novas Parcerias (NoPa). Im Rahmen der mit Brasilien vereinbarten entwicklungspolitischen Schwerpunkte Schutz der Tropenwälder und der Artenvielfalt arbeiten die brasilianische Förderagentur für Hochschulbildung CAPES, GIZ und DAAD seit 2010 daran, Kooperationen in der Spitzenforschung zwischen brasilianischen und deutschen Universitäten zu initiieren und zu begleiten. Dies ist ein vielversprechender Ansatz, der ausgebaut werden muss. Sinnvoll wäre auch, wenn nicht nur die Durchführungsorganisationen zusammenarbeiten, sondern auch die federführenden Ministerien, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), vor allem in der Kooperation mit Schwellenländern. Weniger entwickelte Länder müssen beim Aufbau ihrer Hochschulen massiv unterstützt werden, damit die vielen bildungsorientierten jungen Menschen nicht frustriert zurückbleiben. Angesichts der massiven Herausforderungen werden hierfür umfangreiche Mittel benötigt. Ein international koordiniertes Vorgehen ist zwingend. Hochschulen sollten jedoch nicht isoliert gefördert werden. Hochschulabsolventen muss die Möglichkeit gegeben werden, attraktive und zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu finden. Sonst steigt der Druck, in die Länder des globalen Nordens abzuwandern, wo qualifizierte Fachkräfte zunehmend gesucht werden. Privatsektor- und Gründungsförderung sind sinnvolle komplementäre Handlungsfelder. Neue Techniken kreativ und innovativ nutzen Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, vielen Menschen hochwertige tertiäre Bildungsinhalte zu vermitteln. Research4Life ist eine Plattform, die Lernenden aus Entwicklungsländern Zugang zu freien digitalen Bibliotheken eröffnet. Massive Open Online Courses (MOOC) stellen eine spannende Möglichkeit dar, weitgehend frei von geographischen Beschränkungen aktuelle Bildungsinhalte zu entwickeln und an viele Lernende kostengünstig zu vermitteln. Warum sollten nicht deutsche und brasilianische Universitäten gemeinsam Kurse entwickeln und an brasilianische Lernhungrige genauso vermitteln wie an Studierende in Angola und Mozambique? Die Sprache wäre keine Barriere. Die technischen Möglichkeiten sind da, gefragt sind nun Kreativität und Innovationen, um sie zu nutzen. Diese Kolumne ist am 10.04.2017 auch auf der Website der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen (DGVN) erschienen.

Handelspolitik im digitalen Zeitalter

Mon, 03/04/2017 - 10:00
Bonn, 03.04.2017.  Angesichts der Dekrete zur Handelspolitik, die US-Präsident Trump am Wochenende unterzeichnet hat, ist die Gefahr allgegenwärtiger denn je, dass es zu einer Eskalation protektionistischer Maßnahmen oder gar zu neuen Handelskriegen kommt. Das hätte fatale Folgen, nicht zuletzt für die Schwächeren in unseren Gesellschaften und für die ärmeren Länder rund um den Globus. Sie sind besonders darauf angewiesen, dass der internationale Handel regel- und nicht rein machtbasiert ist. Die G20 konnten sich auf ihrem jüngsten Treffen in Baden-Baden im März nicht zu einem gemeinsamen Bekenntnis gegen Protektionismus durchringen – normalerweise ein Grundpfeiler der gemeinsamen G20-Position. Offener Welthandel gerät zunehmend unter Druck. Die Globalisierung zum Sündenbock für die Sorgen von Arbeitnehmern, Verbrauchern und heimischen Betrieben zu erklären, wird den aktuellen Herausforderungen jedoch nicht gerecht. Im Zeitalter sozialer Medien erreicht man die Aufmerksamkeit der Bürgerinnen und Bürger mit einfachen Botschaften in Tweets mit 140 Zeichen. Das nutzen Populisten, um Misstrauen und Ängste zu schüren. Mit dem Einzug Trumps ins Weiße Haus wurde ein aggressiver Merkantilismus in Washington salonfähig, der die Festen des Handelssystems in Frage stellt. Gleichzeitig empfinden viele Bürgerinnen und Bürger die Handelspolitik als zu komplex und intransparent. Nicht zuletzt die Proteste gegen die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) in Deutschland haben verdeutlicht, dass Reformen des Welthandels nicht länger über die Köpfe der Bürger hinweg angegangen werden können. Die Proteste richteten sich nicht nur gegen die Inhalte der Verhandlungen, sondern auch gegen die Art und Weise wie verhandelt wird. Handelspolitik 4.0 Die Frage ist: Wie kann die Gestaltung von Handelspolitik radikal neu gedacht werden, so dass sie den heutigen Herausforderungen gerecht werden kann? Und wie kann sie partizipativer und inklusiver gestaltet und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wiedergewonnen werden? Die notwendige Reform der Handelspolitik muss den Fokus auch auf den technologischen Paradigmenwechsel der Gegenwart und Zukunft legen. Während die Digitalisierung eine Selbstverständlichkeit für globale Unternehmen und Zollbehörden geworden ist, bleibt die Ausgestaltung der Handelspolitik noch im 20. Jahrhunderts stecken. Viele Potenziale bleiben ungenutzt. Wir sollten die Gelegenheit ergreifen, um eine Diskussion zu starten, wie eine neue Handelspolitik 4.0 aussehen kann. Erstens muss Handelspolitik für Wirtschaft, Wissenschaft und die Bürgerinnen und Bürger transparent und greifbar werden. Die Verfügbarkeit von Daten ist der Schlüssel hierzu und durch Visualisierungen und Öffentlichkeitskommunikation können die komplexen Sachverhalte verständlich gemacht werden. Zum Beispiel erlauben neue Technologien schon jetzt, dass ein Verbraucher, der sein Produkt mit dem Smartphone scannt, die gesamte globale Produktionskette, Zölle, sowie Sozial- und Umweltstandards nachvollziehen kann. Zweitens muss Handelspolitik partizipativer werden. Statt Regierungsverhandlungen, die über mehrere Jahre hinter verschlossenen Türen stattfinden, könnten Regierungen die neuen Technologien nutzen, um vor Beginn der Verhandlungen im Sinne eines „Crowd-Sourcing“ die Interessen und Bedenken der Bürgerinnen und Bürger abzufragen. Während der Verhandlungen können soziale Medien noch stärker genutzt werden, um über den Fortschritt der Verhandlungen zu informieren. Und bei der Prognose und Überprüfung der Effekte der Abkommen, können die neuen Technologien genutzt werden, um die Einschätzung der betroffenen Gruppen einzuholen, anstatt sich allein auf statistische Schätzverfahren zu stützen. Drittens kann digitaler Handel kleine und mittlere Unternehmen fördern. Wie in der Vision von Jack Ma, dem Gründer des Internetgiganten Alibaba, könnte die Schaffung einer neuen „Electronic World Trade Platform“ eine gute Ergänzung zur WTO darstellen. Die Idee ist, dass Unternehmen, unterstützt von Regierungen, gemeinsam E-Commerce-Hubs gründen, die es kleinen und mittelständischen Unternehmen erlauben, grenzübergreifend zu verkaufen, mit niedrigen oder keinen Einfuhrzöllen, schneller Zollabwicklung und effizienter Logistik. Ein vierter Schritt wäre der Einsatz von Blockchains. Die fälschungssichere Buchführung der Blockchain-Technologie kann Daten über Produkte und deren Produktion und Handel weltweit erfassen und bietet damit nicht nur verlässliche Rückverfolgbarkeit und Verbraucherinformation. Eine detaillierte Datenlage zu einzelnen Produkten kann eines Tages das Kernstück einer neuartigen Governance des Welthandels werden. Auf diese Weise könnten die Produktionsprozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Handelspolitik einfließen, wenn die Welthandelsorganisation dafür mehr Raum ließe, zum Beispiel mit Blick auf den CO2-Fußabdruck von Produkten. Noch gibt es viele offene Fragen mit Blick auf die Handelspolitik der digitalen Zukunft. Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg besteht darin, die Chancen der neuen Technologien zu erkennen und zu nutzen, die es ermöglichen, Handelspolitik neu zu denken. Wir glauben, dass mutige Schritte erforderlich sind, um die Legitimität des globalen Handelssystems wiederherzustellen und es transparenter und partizipativer zu machen. Diese Kolumne ist am 03.04.2017 auch auf euractiv.de erschienen.

Das globale Klimafinanzierungssystem – Stärker als die Summe seiner Teile?

Mon, 27/03/2017 - 11:14
Seit die Leugnung des Klimawandels in etlichen Ländern wieder Fahrt aufnimmt, konzentrieren sich Kritiker des Klimaschutzes auf dessen internationale Finanzierung. US-Präsident Trump, der wiederholt bezweifelt hat, dass menschliches Handeln das globale Klima verändert, hat angekündigt, „Milliarden-Zahlungen an UN-Klimaschutzprogramme (zu) streichen“. In Deutschland will die rechtsstehende Alternative für Deutschland (AfD) alle Klimaschutzvereinbarungen einschließlich der finanziellen Verpflichtungen aufkündigen. Wenn andere Länder den USA bei der Rücknahme ihrer Zusagen folgen, kann dies die Dynamik gefährden, die in den vergangenen Jahren in der internationalen Klimafinanzierung entstanden ist. Auf der Klimakonferenz von Kopenhagen 2009 haben sich die Industrieländer verpflichtet, den Entwicklungsländern zu helfen, die Treibhausgasemissionen zu senken und die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen, indem sie bis 2020 jährlich 100 Mrd. US-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen mobilisieren. Die Jahre bis zum wegweisenden Pariser Abkommen 2015 brachten eine Reihe neuer Institutionen, die die Klimafinanzierung regulieren. Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) spielte bei der Ausweitung der Klimafinanzierung eine wesentliche Rolle: Die OECD schätzt, dass 2014-15 ODA zu 20 Prozent klimabezogen war. Allerdings beanstanden Entwicklungsländer und NGOs, dass die Doppelzählung von Klimafinanzierung und ODA dazu führt, dass der tatsächliche Fortschritt überschätzt wird. Wie anfällig ist das Klimafinanzierungssystem für die wechselnde politische Stimmung in den USA und darüber hinaus? Für eine Antwort benötigen wir eine bessere Kenntnis des Systems und der Kräfte, die es gestalten. In einem neues Sonderheft von International Environmental Agreements: Politics, Law and Economics mit dem Titel „Managing fragmentation and complexity in the emerging system of international climate finance” untersuchen wir zusammen mit einer Reihe Gastautoren das System der Klimafinanzierung mit Fokus auf Governance und Möglichkeiten zur Verbesserung. Die Beiträge deuten darauf hin, dass das Klimafinanzierungssystem und seine Grundnorm – entwickelte Länder müssen zur Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern zahlen – inzwischen ausreichend stark und institutionalisiert sind, dass ein einzelner Akteur nicht ihren Zusammenbruch bewirken kann – auch nicht die USA, die zum Beispiel 30 Prozent des Green Climate Fund-Budgets tragen. Zugleich ist das System komplex und fragmentiert; klarere internationale Regeln würden es Aussteigern schwerer machen. Die Fragmentierung hat mehrere Ursachen und Folgen. Erstens, haben sich die Vertragsparteien des UN-Rahmenübereinkommens über den Klimawandel noch nicht auf eine Definition geeinigt, was Klimafinanzierung ist und welche Standards für das Monitoring gelten, weil es weiterhin Konflikte über die Ziele der Klimafinanzierung gibt. Heftig umstritten ist, was bei der „Mobilisierung“ der 100 Mrd. US Dollar mitgezählt werden darf, und ebenso die Frage, ob Länder Fortschritte bei der Erreichung dieses Ziels machen. Zweitens ist eine Fülle von Akteuren im Klimafinanzierungssystem tätig. Zu den speziellen Klimafonds wie dem Green Climate Fund kommen multilaterale Entwicklungsbanken, bilaterale Entwicklungsagenturen, der private Sektor und UN-Agenturen sowie das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) hinzu. Die Beiträge der Sonderausgabe zeigen, dass diese Akteure unterschiedliche Auffassungen darüber haben, was Klimafinanzierung ist – zum Beispiel ob und wie Entwicklungsfinanzierung als Klimafinanzierung gezählt werden sollte. Auch untersucht die Sonderausgabe, wie die innenpolitische Dynamik in den Beitragsländern die Finanzzuflüsse verbessern oder verschlechtern kann. Drittens, je fragmentierter und umstrittener internationale Regeln sind, desto größer ist der Raum für eigennützige Interpretationen und Absetzbewegungen. Ein Netz von Institutionen mit unterschiedlichen Rechnungslegungsstandards macht es schwierig zu verfolgen, wer an der Erhebung und der Verwaltung von Finanzmitteln beteiligt ist und die Akteure zur Rechenschaft zu ziehen. Zahlreiche Beiträge der Sonderausgabe verlangen daher klarere Definitionen, anerkannte Rechnungslegungsnormen und Überwachungsmechanismen. Obwohl das Klimafinanzierungssystem durch seine Fragmentierung an einigen Schwächen leidet, ist es heute umfassender und institutionalisierter als noch vor zehn Jahren. Deshalb wird der Rückzug eines wichtigen Akteurs nicht das Ende der Zusammenarbeit derer anzeigen, die seinen Zielen verpflichtet bleiben. Aber es gibt keinen Grund zur Selbstgefälligkeit. Die Beitragszahler müssen mehr tun als nur den Zusammenbruch des Systems zu vermeiden. Es bleibt die Aufgabe, ein System zu schaffen, das fairer und verantwortungsvoller ist und die Bedürfnisse der Entwicklungsländer besser berücksichtigt. Jakob Skovgaard ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Lund. Jonathan Pickering ist Postdoctoral Research Fellow am Centre for Deliberative Democracy and Global Governance der Universität Canberra. Carola Betzold ist Akademische Rätin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen.

Weltwassertag: Warum die Wiederverwendung von behandeltem Abwasser kein Selbstläufer ist

Wed, 22/03/2017 - 08:00
In vielen Ländern werden Siedlungsabwässer in der Landwirtschaft genutzt – allerdings meist ohne vorherige Reinigung. In Pakistan etwa, im Umland der Großstädte Lahore und Faisalabad, nutzen die Bauern die Abwässer beim Anbau von Gemüse. Dessen Verzehr ist mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden. Der Weltwasserbericht, der alljährlich zum Weltwassertag erscheint und unter der Federführung der UNESCO erstellt wird, macht 2017 die Wiederverwendung von geklärtem Abwasser zum Thema. Damit könnte man, theoretisch, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Sanitär- und Gesundheitsversorgung verbessern und die Konkurrenz um knappes Süßwasser in wasserarmen Regionen entschärfen. Dazu bedarf es allerdings eines Paradigmenwechsels – diesen fordert auch der Weltwasserbericht 2017: es gehe nicht mehr nur um Reinigung und Entsorgung der Abwässer, sondern um Wiederverwendung, Recycling und Wertstoffrückgewinnung. Trotz der offensichtlichen Vorteile ist die Wiederverwendung von geklärten Abwässern kein Selbstläufer. Warum dies so ist, zeigen Erfahrungen aus mehreren Ländern. Geringe Anschlussgrade In Indien werden nur zehn Prozent des insgesamt anfallenden Abwassers behandelt, und nur rund ein Drittel der städtischen Haushalte ist an die Kanalisation angeschlossen. Gleichzeitig schießen mit der rapiden Urbanisierung neue – geplante und ungeplante – Wohnviertel in die Höhe, sodass die Zahl der Haushalte zunimmt, die angeschlossen werden müssten. Verfügbares und bezahlbares Land für den Bau von großen Kläranlagen und langen Leitungssysteme ist knapp. Es müssten andere Technologien als die klassischer Großkläranlagen mit tiefliegenden Abwassersammlern eingesetzt werden, da diese z.B. in Küstenstädten wegen der hohen Grundwasserspiegel keine Option sind. Knappe Finanzmittel der Kommunen, hohe Bodenpreise, niedrige Wasserpreise und die Bevorzugung konventioneller Großkläranlagen behindern hohe Anschlussgrade – und somit auch die Wiederverwendung geklärter Abwässer. In Brasilien sind fast 60 Prozent der städtischen Bevölkerung (98 Millionen) an Abwassersysteme angeschlossen, und im Durchschnitt werden rund 40 Prozent der Abwässer und 70 Prozent der gesammelten Abwässer behandelt, die eine Wiederverwendung unproblematisch machen würde. Hier sind es meist nicht nur mangelnde Finanzmittel: Es fehlt den kleinen Gemeinden an Fachkräften, sowohl für die Planung als auch für den Betrieb der Anlagen. Auch sind die Abwassergebühren auf den Wasserverbrauch der Haushalte bezogen – und deshalb zu niedrig bemessen, so dass keine Kostendeckung bei der Abwasserbehandlung erreicht wird. Jordanien hat Erfolg mit dezentralen Anlagen Jordanien gehört zu den wasserärmsten Ländern dieser Erde. Es nutzt den größten Teil des Grund- und Oberflächenwassers in der Landwirtschaft. Die Nationale Wasserstrategie fördert deshalb die Wiederverwendung von behandelten Abwässern – mit einigem Erfolg. Die Abwässer der Hauptstadt Amman werden geklärt in den Zarqa-Fluss eingeleitet, so dass die Landwirte im Jordantal diese zur Bewässerung nutzen können. Erfolgreich sind aber auch erste dezentrale Kläranlagen, die behandelte Abwässer für die Bewässerung von Grünanlagen bereitstellen: die Anlage in Mogablane, im Umland von Amman und die Anlagen in Hotels am Toten und Roten Meer. Die Betriebskosten sind geringer als die Kosten, die mit der Leerung von Sickergruben und dem Abtransport durch Trucks hin zur nächsten Kläranlage entstehen; zudem entfallen Kosten (umgerechnet etwa 6500 Euro monatlich) für die Anlieferung von Süßwasser zur Bewässerung der Grünanlagen. Qualitätsstandards und Monitoring Im Jordantal bevorzugen die Landwirte, die für den europäischen, v.a. den britischen Markt produzieren, dennoch die Nutzung von Grundwasser, da die Kosten geringer sind als die Gestehungs- und Betriebskosten geklärter Abwässer, aber auch wegen der unzuverlässigen Qualität der behandelten Abwässer. Die Landwirte riskieren den Verlust von Marktanteilen, wenn ihre Produkte nicht den Qualitätsanforderungen der Abnehmerländer entsprechen. Qualitätsschwankungen der behandelten Abwässer behindern auch in Tunesien die Wiederverwendung in der Landwirtschaft. In dem Bewässerungsgebiet Oueljet El Khoder wurde deshalb die Medenine-Kläranlage aufgerüstet, um die gesetzlichen Qualitätsstandards zu erfüllen. Ein Labor sorgt für die kontinuierliche Überwachung der Wasserqualität, und ein computergestütztes System ermöglicht allen Betroffenen, v.a. den Landwirten, Zugriff auf die Daten; per SMS können zudem im Notfall Informationen verschickt werden. Anreize fehlen Der Investitionsbedarf in Kanalisationssysteme, Kläranlagen und Verteilersysteme hin zu den landwirtschaftlich genutzten Flächen, die eine Wiederverwendung erst möglich machen, ist immens. In Jordanien und Tunesien, aber auch in Indien und Brasilien, fehlt es den Gemeinden an Finanzmitteln. Solange Grund- und Oberflächenwasser billiger ist, wenn nicht gar umsonst, wird der größte Wasserverbraucher, die Landwirtschaft, behandelte Abwässer nicht nutzen. Für die Landwirte müssen Anreize geschaffen werden, damit sie diese Ressource nutzen. Zudem werden qualifizierte, kompetente Fachkräfte für den Betrieb von Kläranlagen und für die Qualitätssicherung gebraucht. Man darf gespannt sein, welche Lösungen der Weltwasserbericht 2017 bereithält, damit der Paradigmenwechsel Realität wird – regionale Wasserknappheit kann diesen auf jeden Fall befördern.

Brexit und die EU-Außenpolitik: Das Europäische Erbe Großbritanniens

Thu, 16/03/2017 - 12:00
Trotz der Erleichterung über das Resultat der Parlamentswahlen in den Niederlanden, währt das Aufatmen in Europa nur kurz: Stracks steht der Europäischen Union mit der Auslösung von Artikel 50 des EU Vertrages der nächste Härtetest bevor. Nachdem am 14. März das britische Unterhaus mit 331 zu 286 Stimmen und gegen den Widerstand des House of Lords den Weg dafür geebnet hat, wird Premier Theresa May in der letzten Märzwoche – ausgerechnet zum 60-Jahr-Jubiläum der Römischen Verträge – die Scheidungspapiere einreichen. Wie in Mays Lancaster House-Rede vom 17. Januar 2017 verlautbart, strebt die britische Regierung einen „klaren Bruch“ mit der EU an und nimmt damit das Ausscheiden aus dem gemeinsamen Markt und der Zollunion in Kauf. Nach Erteilung des offiziellen Verhandlungsmandates an die Kommission durch den Europäischen Rat und das Parlament im Juni wird sich die EU dem Ausscheiden eines zentralen Mitgliedsstaates widmen müssen – eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Gemäß der Vertragsklausel sollte der Austritt zwei Jahre nach dem Auslösen von Artikel 50 des EU Vertrages rechtlich vollzogen sein, um dem Szenario einer ungeordneten Trennung ohne Vertrag zu entgehen. Dass in diesem Zeitraum alle Details umfassend und für beide Seiten befriedigend ausgehandelt werden können, gilt als zweifelhaft. Ein verschleppter Brexit ist daher nicht unwahrscheinlich. Sicher ist, dass die Abwicklung der britischen Verlassenschaft jenseits aller Emotionen ein sehr arbeitsintensiver Prozess sein wird, der wohl noch über Jahre hinweg die Agenden der EU mitbestimmen und bedeutende administrative Ressourcen auf beiden Seiten binden wird. Inwieweit es zu einer Fortsetzung des gemeinsamen Handelns in der EU-Außenpolitik und insbesondere auf dem Gebiet der internationalen Kooperation und Entwicklungspolitik zwischen EU und Großbritannien kommt, wird sich im Laufe der nächsten Monate und Jahre zeigen. Zu rechnen ist mit einer weitgehend unstrukturierten und vorwiegend interessensgeleiteten Zusammenarbeit von Fall zu Fall. Unmittelbar stellt sich für die EU und ihre Partner die Frage nach der Rechtssicherheit internationaler Abkommen, wie Handelsverträge, Mitgliedschaften in internationalen Organisationen sowie der Beteiligung Großbritanniens an EU-Programmen – deren Gestaltung, Finanzierung und Abwicklung. Direkt betroffen sind der mehrjährige Finanzrahmen mit den erwarteten Einbrüchen im Entwicklungszusammenarbeits-Haushalt von 14%, genauso wie die Beiträge zu den EU Trust Funds und zur externen Tranche der Europäischen Investitionsbank. Spürbar wird auch der Verlust von Expertise und Verhandlungsgewicht, etwa in der Frage der Zukunft der Afrika Karibik und Pazifik Partnerschaft (AKP). 42 der 79 AKP-Staaten sind Teil des Commonwealth, und Großbritannien scharrt bereits in den Startlöchern, um zügig eigene Freihandelsabkommen mit diesen wie auch mit einer Reihe anderer Entwicklungsländer abzuschließen. Bezeichnenderweise sprechen Whitehall-Beamte in diesem Zusammenhang vom Plan zur Errichtung eines „Empire 2.0“. Zwar will Großbritannien in Sicherheits- und Verteidigungsbelangen weiterhin eng mit der EU zusammenarbeiten, in allen anderen Bereichen aber seiner eigenen Wege gehen. Dass Außenpolitik speziell im EU-Kontext eng mit Entwicklungszusammenarbeit, multilateraler Kooperation und Handelspolitik verbunden ist, ist bekannt. Ob und wie stark nachhaltige Entwicklung mit Sicherheits- und neuerdings verstärkt mit Migrationspolitik verknüpft werden sollten, wird teils sehr kontrovers diskutiert. Augenscheinlich verstärkt das politische framing der Umwälzungen in und um Europa diese Themenkopplung. Auswirkungen sind in den Verschärfungen bei Asyl- und Migrationspolitik, in der Militarisierung des Grenzschutzes, genauso wie in der Drosselung der Demokratieförderung oder in der Instrumentalisierung von Partnerländern als Außenposten einer neuen europäischen Realpolitik zu beobachten. Im Fall des Türkei-Flüchtlingsabkommens zeigt sich dieser Tage überdeutlich, wie unglaubwürdig, angreifbar und letztlich abhängig diese Strategie Europa gemacht hat. Mag man insgesamt auch geteilter Meinung sein über den Gang der Globalisierung und über die Lastenteilung für den Erhalt von Friede, Sicherheit und Wohlstand, so wird sich kaum vermeiden lassen, dass sich die EU und Großbritannien über diese Fragen auch nach der Trennung jedenfalls verständigen müssen. Pragmatisch gedacht erscheint es daher angeraten, dass bei all dem Gezerre über offene Rechnungen und die Festlegung von Quoten das Kapitel Europäische Entwicklungszusammenarbeit nicht als die reine Abwicklung einer Hinterlassenschaft behandelt, sondern aktiv nach einer konstruktiven Rolle Großbritanniens darin gesucht wird. Der Abschied kommt freilich zur Unzeit, inmitten einer globalen Gemengelage, die für die Union vertrackter kaum sein könnte: Die Einheit Europas ist gleichermaßen von außen wie von innen bedroht, und die Legitimität der EU erscheint in den Grundfesten erschüttert. Im Dafürhalten vieler Europäer hat die EU ihre zentralen Versprechen nicht eingelöst. Daher ist jetzt umso entscheidender, was die EU-Staaten aus den von Kommissionspräsident Juncker jüngst in einem Weißbuch dargelegten Optionen für die Zukunft Europas machen werden. Auch wenn sich aus gegenwärtiger Sicht ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten als die wahrscheinlichste Variante herauskristallisieren dürfte, so müssen doch gerade im Interesse jener Mitgliedsstaaten, wo die Skepsis am größten ist, soziale Gerechtigkeit und eine faire Verteilung von Chancen Kernpunkte einer gemeinsamen Vision für Europa sein.

Drei Schritte die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit mit der Agenda 2030 zu verknüpfen

Mon, 06/03/2017 - 10:09
Als gemeinsamer Rahmenvertrag zwischen den Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern bietet die Agenda 2030 mit den Sustainable Development Goals (SDGs) eine Chance, die Wirksamkeitsagenda der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wiederzubeleben. In Reaktion auf wachsende Kritik an der Effektivität und Nachhaltigkeit der Entwicklungszusammenarbeit haben sich Geber- und Nehmerländer bereits 2005 dazu verpflichtet, die Entwicklungszusammenarbeit zu reformieren. Ziel war es, dass Empfängerländer eine Führungsrolle übernehmen, eigene Strategien entwickeln und ihre Finanzsysteme und öffentlichen Institutionen so stärken, dass diese für die Durchführung von EZ-Projekten genutzt werden können. Geber haben sich dazu verpflichtet, ihre Unterstützung an den Strategien der Partnerländer auszurichten und Überschneidungen zu vermeiden. Auch eine verbesserte Rechenschaftspflicht, größere Transparenz und ein Fokus auf Ergebnisse sollten dazu beitragen, die Wirksamkeit von EZ-Maßnahmen zu erhöhen. In der Agenda 2030 werden diese Anforderungen erneut betont. Darüber hinaus wird in den SDGs eine Zusammenarbeit zwischen den Ländern, zwischen verschiedenen Politikbereichen (wie Wirtschafts- und Umweltpolitik) und zwischen verschiedenen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gefordert. Für eine effektive entwicklungspolitische Zusammenarbeit ist wichtig, sie nicht als Druckmittel zur Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern zu nutzen, sondern die Lebensbedingungen in den Partnerländern nachhaltig zu verbessern, um Anreize zu schaffen nicht zu emigrieren. SDGs als Chance für entwicklungspolitische Wirksamkeit Die Debatte um die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit hat in den letzten Jahren ein Schattendasein geführt. Gründe dafür sind einerseits die neue Vielseitigkeit in der Geber- und Nehmerlandschaft, die nicht mehr ausschließlich aus Nord-Süd-Zusammenarbeit (Industrie- und Entwicklungsländer) besteht, sondern vermehrt Süd-Süd-Kooperationen (zum Beispiel zwischen China und Afrika) beinhaltet. Diese Vielfältigkeit wird in der für die Wirksamkeit verantwortlichen Globalen Partnerschaft für Effektive Entwicklungszusammenarbeit (GPEDC) nicht genügend abgebildet. Andererseits erfordern knappe Haushaltsmittel Rechenschaft darüber abzulegen, wie EZ-Mittel eingesetzt werden. Mangelndes Vertrauen von Wählern und Parlamenten in die Regierungen der Partnerländer hat beispielsweise zu einem Rückgang der Budgethilfe seit 2008, dem Vorzeigeinstrument der Wirksamkeitsagenda, geführt. Die SDGs bieten nun die Chance die Wirksamkeitsagenda wiederzubeleben. Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer arbeiten zurzeit daran, die SDGs in nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu übersetzten. Dies bedeutet eine neue Chance gemeinsame Prioritäten zu identifizieren sowie eine neue Arbeitsteilung und gezielte Abstimmung zwischen den Gebern vorzunehmen. Die Verpflichtungen der Entwicklungsländer, Geberanstrengungen zu unterstützen und innovative Ansätze der Zusammenarbeit zu ermöglichen, sind ebenfalls Bestandteil der SDGs. Um diese Chance zu nutzen, müssen allerdings noch weitere Anstrengungen unternommen werden. Entwicklungszusammenarbeit neu ausrichten und Partnerländer in drei Schritten stärken: Erstens sollte sich die entwicklungspolitische Zusammenarbeit an den nationalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsstrategien orientieren und verstärkt Ländersysteme für die Planung und Durchführung nutzen. Alternative Ansätze zur Budgethilfe sind zum Beispiel ergebnisbasierte oder programmbasierte Ansätze. Diese tragen dazu bei, die Ansätze, Prioritäten und Umsetzungskapazitäten des Partners zu stützen. Damit wird die Eigenverantwortung gestärkt und die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit verbessert. Zweitens sollte in der Planung neuer Programme auf die komparativen Vorteile der Geber geachtet und mit Aktivitäten anderer Akteure wie privater Stiftungen und der Privatwirtschaft koordiniert werden. Die SDGs verlangen einen arbeitsteiligen Ansatz und eine Konzentration auf Ländern, die besonders stark von externer Unterstützung abhängig sind. Zur Koordinierung kann der von Forschungsinstitute, Think Tanks und multilaterale Initiativen berechnete jährliche Investitionsbedarf zur Erreichung der SDGs in unterschiedlichen Bereichen und Ländern, genutzt werden. Drittens braucht es neben kreativen Ansätzen eine fortwährende Überprüfung und Evaluierung von Strategien und Programmen, um Lernprozesse anzuregen, Fehlern vorzubeugen und Wirksamkeit zu sichern. Die dazu benötigte Datenrevolution steckt aber in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bisher noch in den Kinderschuhen. Wichtig ist eine Stärkung der statistischen Kapazitäten (bspw. nationale Statistikämter) in Entwicklungsländern, wie sie die Initiative Paris21 aufbaut. Gleichzeitig sollten vorhandene Datensammlungen wie die Demographic and Health Surveys (DHS) und die Living Standards Measurement Study (LSMS) Umfragen der Weltbank verstärkt genutzt werden. Entscheidend ist außerdem mit Hilfe größerer Transparenz umfassende Rechenschaft über alle Ergebnisse der Entwicklungszusammenarbeit abzulegen. Diese kann zum Beispiel durch eine Veröffentlichung aller EZ-Vorhaben auf der Plattform der International Aid Transparency Initiative (IATI) geschehen.

Wie Deutschland Frieden besser fördern kann

Tue, 28/02/2017 - 11:54
Bonn, 28.02.2017. Voraussichtlich noch vor Ostern 2017 wird das Bundeskabinett neue Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung verabschieden. Sie sollen den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ aus dem Jahr 2004 sowie eine Reihe weiterer Strategiedokumente der Regierung zusammenführen und aktualisieren.

Die Erstellung des Dokuments wurde begleitet von einem neunmonatigen Diskursprozess, dem PeaceLab2016. An diesem beteiligte sich eine breite Community aus Ministerien, Politik, Wissenschaft und Friedenspraxis. Danach steht zu erwarten, dass das neue Dokument die aktuellen Herausforderungen angemessen und hinreichend differenziert beschreiben wird; dass es Deutschlands Rolle anspruchsvoll, aber realistisch definiert; dass internationale Kooperation und Engagement das Fundament ausmachen werden; und dass schwierige Aufgaben der Strategiebildung und Prioritätensetzung in Krisen und Gewaltkonflikten ausbuchstabiert werden.

Gute Absichten alleine reichen nicht Doch was wird ein Katalog guter Absichten angesichts der aktuellen Weltlage ausrichten können?
  • Der neue US-Präsident stellt ausgerechnet jene Strukturen der internationalen Ordnung in Frage, die sich einen Rest an dringend benötigter globaler Kooperationsbereitschaft erhalten haben.
  • Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland finden im Schatten einer europaweiten Welle des Nationalpopulismus statt, durch die der noch vor kurzem undenkbare Zerfall Europas plötzlich möglich scheint.
  • Für Großkrisen wie in Syrien und alte Konflikte wie in Israel/Palästina drohen „Lösungen“, die eher an ein „Handbuch des Kalten Krieges“ als an die Notwendigkeiten einer kooperativen Weltordnung des 21. Jahrhunderts erinnern.
Vor diesem Hintergrund wird es ein Leitlinienpapier zur zivilen Krisenprävention und Friedensförderung nicht leicht haben, gegen den politischen und ministerialbürokratischen Alltag der „Krisenbewältigung“ innovative Kraft zu entfalten. Denn in Zeiten globaler Verunsicherung vermitteln hergebrachte Routinen ein trügerisches Maß an Sicherheit. Wo Chuzpe und Nullsummenlogik zur Erfolgsformel internationalen Handelns erklärt werden, gilt ein Strategiedokument, das auf Kooperation und Verlässlichkeit setzt, schnell als naiv und gestrig. Übersehen wird, dass es nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an effektiver internationaler Kooperation war, dessen Folgen wird gegenwärtig allerorts zu besichtigen haben. Wie also kann ein vom Kooperationsgedanken getragenes Leitliniendokument zur Friedensförderung tatsächlich zu einer tragenden strategischen Orientierung werden? Zwei Vorgehensweisen können dabei helfen: organisierte Reflexion und Selbstbindung. Orte für organisierte Reflexion schaffen Kein Strategiedokument kann spezifisch genug sein, um für jede Krise im Vorhinein die Antwort parat zu haben. Die handelnden Akteure, insbesondere in Bundesregierung und Parlament, dürfen daher nicht im permanenten Krisenbewältigungsmodus versinken, sondern brauchen auch Zeit und Raum zur Reflexion. Wie im PeaceLab2016-Prozess braucht es Orte, an denen die Beteiligten Erfahrungen austauschen, Fragen stellen, Wissen justieren und neue Ideen aufnehmen können. Lernplattformen, wie sie aus dem Beirat Zivile Krisenprävention angeregt wurden, können dabei helfen; ebenso eine jährliche Friedenskonferenz, die alle relevanten Akteure zusammenbringt. Selbstbindung für eine kooperative globale Ordnung Zur reflektierten Reaktion auf sich herausbildende Krisen muss die proaktive Gestaltung einer kooperativen globalen Ordnung hinzutreten, die die Entstehung neuer Konflikte von vornherein unwahrscheinlicher werden lässt. Damit das in einer Staatenwelt gelingen kann, die mehr als zu irgendeinem Zeitpunkt seit dem Ende des Kalten Krieges von Misstrauen gekennzeichnet ist, ist das dringendste Gebot, gegenseitiges Vertrauen und Glaubwürdigkeit wieder aufzubauen. Deutschland und Europa haben mit ihrer wirtschaftlichen Macht die Mittel dazu in der Hand. Durch Vorleistungen bei Handelsabkommen, Rüstungsexporten oder Ressourcenbewirtschaftung könnten sie signalisieren, dass ihnen eine kooperative internationale Ordnung „etwas wert“ ist. Eine sinnvolle Maßnahme wäre die Einrichtung eines Mechanismus durch die Bundesregierung oder den Bundestag, der über alle Politikfelder hinweg die Friedensverträglichkeit deutscher „Außenpolitik“ untersucht und friedensschädlichem Handeln entgegenwirkt. Eine solche Selbstbindung würde dem drohenden Zerfall der internationalen Ordnung in widerstreitende Interessenssphären ein Modell kooperativen Friedens entgegensetzen, das nicht auf einer für selbstverständlich gehaltenen wirtschaftlichen Hegemonie des Westens gründet.

Eine längere Fassung dieses Beitrags ist Anfang Februar 2017 auf dem Blog zum Debattenprozess „PeaceLab2016“ erschienen.
Diese Kolumne ist am 02.03.2017 auch bei euractiv.de erschienen.

Deutschland sollte sich im Nahen Osten stärker engagieren

Mon, 20/02/2017 - 12:04
Bonn, 20.02.2016. Aufgrund der unermesslichen ökonomischen Schäden sowie der katastrophalen sozialen und sicherheitspolitischen Folgen, die durch die Interventionen in Afghanistan und im Irak entstanden sind, gilt die militärische Intervention zur Durchsetzung außenpolitischer Ziele in hohem Maße als nahezu undurchführbar. Das trifft vor allem auf Länder wie Deutschland zu, wo aus historischen Gründen Militäreinsätze und Waffenexporte äußerst sensible politische Themen sind. Schwere Krisen erfordern also komplexe, andere Methoden des Eingreifens, wobei den größeren Ländern auch eine größere Verantwortung zukommt, unabhängig davon, ob es ihnen gefällt oder nicht. Deutschland sollte nicht nur in seinem eigenen Interesse, sondern auch zur Sicherung von Frieden und Stabilität weltweit seinen Beitrag zur Verhinderung eines vollständigen Zusammenbruchs der Strukturen im Nahen Osten in Eigeninitiative leisten. Obwohl sich der Umfang der von Deutschland in der MENA-Region geleisteten humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit seit 2011 mehr als verdoppelt hat, bleibt sein politischer Einfluss begrenzt. Wenn Deutschland das ändern und in dieser Region seinen Einfluss stärker geltend machen würde, würde auch die Position Deutschlands als konstruktiver Akteur in der globalen Weltordnung gestärkt. Die derzeitige humanitäre Katastrophe und das Sicherheitsvakuum im Nahen Osten haben direkte Auswirkungen auf Deutschland. Es besteht die Gefahr, dass sich weitere Länder im Nahen Osten zu „Failed States“ entwickeln und damit weitere Flucht und Vertreibung sowie gefährliche Sicherheitsrisiken ausgelöst werden. Die Zerstörung der Strukturen in der Nachbarregion, dem Nahen Osten, kann sich zu einer existenziellen Bedrohung des Modells der europäischen Integration ausweiten, welche ihrerseits die Grundlage für die deutsche Wirtschaft bildet. Besser spät als nie Ambitionierte Friedensbemühungen vonseiten internationaler Akteure in den Jahren 2012 beziehungsweise 2013 hätten die derzeitige Krise in Syrien entschärfen können. Natürlich soll Deutschland jetzt nicht mit militärischen Mitteln in den syrischen Konflikt eingreifen. Das Land hat jedoch die Möglichkeit, bei der Entschärfung anderer, aktueller und potentieller Krisen mitzuwirken, indem es seine Präsenz in der Region verstärkt. Im Nahen Osten gibt es drei Regionen, wo Deutschland eine aktivere Rolle übernehmen könnte: die Autonome Region Kurdistan im Irak, in Jordanien und im Jemen. Autonome Region Kurdistan im Irak Derzeit hat die Regierung der Autonomen Region Kurdistan (KRG) mit großen politischen und wirtschaftlichen Problemen der Destabilisierung zu kämpfen, die zu einer humanitären Krise und zum Ausbruch von Gewalt führen können. Deutschland hat sich dazu entschieden, der Peshmerga, den militärischen Streitkräften der Autonomen Region Kurdistan, in den Jahren 2014 und 2015 Waffen, wie beispielsweise die panzerbrechenden Raketen vom Typ Milan, zu liefern, um die Bedrohung durch den IS abzuwehren. Im Gegensatz zu einer solchen reaktiven Entscheidung könnte Deutschland durch einen langfristigen Kapazitätsaufbau eine strategischere Rolle zur Sicherung der Stabilität in Kurdistan übernehmen, um die Peshmerga und die Asayish, die lokale Polizei, zu professionellen, stammesübergreifenden Streitkräften auszubauen. Des Weiteren können deutsche Entwicklungshilfeagenturen kleine und mittlere Unternehmen vor allem im Agrarsektor unterstützen. Als ein Land, das in Kurdistan wegen der Unterstützung der Peshmerga und der Jesiden einen guten Ruf genießt, könnte Deutschland auch als Teil eines umfassenderen Engagements zur Stärkung dezentraler Strukturen im Irak auf die verschiedenen Institutionen der Regierung der Autonomen Region Kurdistan einwirken, demokratische Regeln und good governance umzusetzen. Jordanien Jordanien ist eines der Länder, die am stärksten von dem, durch den Krieg in Syrien ausgelösten, Flüchtlingsstrom betroffen sind. Jordanien ist möglicherweise nicht in Lage, gleichzeitig diese neuen Herausforderungen und  auch noch die Weiterentwicklung seiner eigenen sozialen und wirtschaftlichen Bereiche zu bewältigen. Einige der in den Flüchtlingslagern entstandenen Gemeinden werden wahrscheinlich zu neuen Städten, während andere Flüchtlingsgruppen, die in die Städten siedeln, dazu beitragen können, dass diese sich partiell in Slums verwandeln. Aufgrund seiner langjährigen Entwicklungshilfebeziehungen mit Jordanien könnte Deutschland mit der Erarbeitung und Umsetzung von nachhaltigen, bilateralen Aktionsplänen dazu beitragen, diese neuen Herausforderungen zu meistern. Deutschland könnte dazu auch seine Präsenz im Bildungswesen in Jordanien, wie beispielsweise die Deutsch-Jordanische Universität, nutzen und weiter ausbauen. Jemen Die Krise im Jemen ist besorgniserregend. In den Medien wird darüber nur wenig berichtet, sodass dieses Thema in der internationalen Gemeinschaft zu wenig Beachtung findet. Die Grausamkeiten gehen sowohl von der Hadi-Regierung und ihren Verbündeten vom Golf (hauptsächlich Saudi-Arabien) als auch von den durch Teheran unterstützen Houthi-Kämpfern aus. Deutschland könnte aufgrund seiner besonderen Rolle im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm sowie als potentiell neutraler Akteur in diesem Konflikt ein guter Vermittler sein, dem die Saudis trauen können, zumal letztere heute nur noch wenige Freunde haben. Dabei könnte der Versuch gestartet werden, eine internationale Friedenskonferenz mit allen Beteiligten einzuberufen, um den Krieg im Jemen zu beenden. Wenn dies gelingen sollte, kann der Frieden im Jemen auch einen Frieden in Syrien wahrscheinlicher machen, da sich dann auch der Iran und Saudi-Arabien näher kommen. Es ist Zeit zu handeln! Falls sich die USA unter Präsident Trump weiter aus dem Nahen Osten zurückziehen, sollten sich Deutschland und die EU dort stärker engagieren: wenn auch nicht aus humanitären Gründen oder zur Verhinderung von Grausamkeiten, dann zumindest zur Stabilisierung der Region am Rande Europas. Aufgrund dessen, dass Deutschland in dieser Region kein koloniales Erbe hat, ist das Land geradezu prädestiniert, sich im Nahen Osten stärker zu engagieren. Die Unterstützung von good governance, langfristige strategische Entwicklungspartnerschaften und aktive Diplomatie können die Bestandteile eines deutschen Maßnahmenkatalogs für einen sichereren Nahen Osten und damit auch für ein sichereres Europa sein.

Dilshad Muhammad war 2016 Gastwissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklugnspolitik (DIE)

Deutschlands Verantwortung neu denken – ab jetzt besser organisiert

Wed, 15/02/2017 - 10:00
Bonn, 15.02.2017. Deutschland ist wirtschaftlich führend, politisch berechenbar, geografisch zentral und vergleichsweise angenehm bescheiden. Wir zahlen bereitwillig und viel in europäische und internationale Töpfe, wir helfen mit Rat und Technik, wir drängen uns niemandem auf. Die Geschichte hat Deutschland zu einem Riesen mit Anstand werden lassen. Kein Wunder also, dass die Welt Deutschland die höchsten Sympathien entgegenbringt: Wir sind das beliebteste Land der Welt! Wir können stolz sein. Deutschland soll mehr Verantwortung übernehmen, und Deutschland will mehr Verantwortung übernehmen: Dieser »Münchner Konsens« von 2014 hat die Nachkriegs-Ära beendet und den Wirkungskreis für die Zivilmacht Deutschland vergrößert. Aber wenn wir unsere Werte und Ziele ernst nehmen, unsere Ansprüche an Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, dann müssen wir tatsächlich mehr tun als heute. Vor allem müssen wir es besser tun. Deutschland ist der Meister der Regeln und Verfahren Kaum ein Land kann sich so erregen und mitfühlen. Deutsche Interessen werden durchgesetzt, aber lieber über den Markt als über politischen Druck. Deutschland bringt Forderungen vor, aber besser über Partner und politische Systeme als in direkter Konfrontation. Deutschland ist der Meister der Regeln und Verfahren, der Menschenrechte und des Multilateralismus. Damit ist unser Land der perfekte Partner für eine verstrickte Welt mit all ihren unterschiedlichen Interessen und Konflikten. Doch organisatorisch ist unser Land zu schlecht aufgestellt für die neue Zeit. Es knarzt an allen Ecken und Enden, wenn es um die Abstimmung zwischen den Ressorts geht, um die Formulierung von außenpolitischen Zielen und Strategien, um die Schrittfolge und Erfolgsmessung des deutschen Engagements in der Welt. Komplizierte außenpolitische Abstimmung Wir haben es mit vier getrennten Machtzentren zu tun, die sich nur begrenzt zu einer Linie verbinden lassen. Im Kanzleramt kümmert sich ein Staatsminister um die Koordination der Innenpolitik, während das außenpolitische Engagement in einem Viereck mit den Ministerien für Außen, Verteidigung und Entwicklung abgestimmt wird, ohne dass ein zweites kraftvolles Staatsministeramt die Koordination in die Hand nehmen kann. Diese Position fehlt im Gefüge der Institutionen. Auch die politischen Ausschüsse des Bundestages entsprechen in ihrem Zuschnitt eher den Aufgaben der Nachkriegsjahrzehnte als denen einer globalisierten Welt, in der Deutschland eine zivilisierte Leitmacht sein muss. Die Budgetstruktur ist ebenfalls etwas »Old School«, die Ressorts konkurrieren mehr, als dass sie kooperieren, und dies gerade in wichtigen Fragen. Der Einsatz in Afghanistan hat offengelegt, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Kräfte nicht wirklich einsatztauglich ist. Vor diesem Hintergrund drängen sich vermehrt Fragen auf: Was muss Deutschland neu denken, wenn die verschiedenen Handlungsfelder unseres internationalen Engagements effizienter vernetzt werden sollen? Was sind die für uns geostrategisch wichtigsten Regionen, welche unsere Interessen und Ziele dort? Welche haben wir im Rest der Welt? Wie können wir Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik besser aufeinander abstimmen, ohne die Eigenständigkeit der Ressorts aufzugeben? Was ist Konsens in der Berliner Republik im Jahre 2017, und welche konkreten Veränderungen sollten der nächste Bundestag und die nächste Bundesregierung auf den Weg bringen? Nur noch 13 Jahre bis 2030 Die globalen Selbstverpflichtungen der »Agenda 2030« müssen auch in Deutschland schon in 13 Jahren erbracht sein. Wir erleben Krieg am Rande Europas und Flüchtlinge, die zu uns kommen. In China geht jeden zweiten Tag ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht nicht nur die Malediven, sondern auch Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Zeit also, dass wir Deutschen mit noch mehr Entschlossenheit und mehr Ergebnis handeln. Deutschland ist Mitglied in den 13 größten internationalen multilateralen Organisationen und Partner von über 40 wichtigen internationalen Verträgen. Deutschland ist der größte Beitragszahler in der EU, der drittgrößte Beitragszahler für die Vereinten Nationen und der drittgrößte Geber in der Entwicklungszusammenarbeit. Wenn wir all dies besser koordinieren, neue Schwerpunkte setzen und von der Analyse bis zur Umsetzung vernetzt agieren, kann Deutschland seine eigenen Ansprüche und die Erwartungen von außen erfüllen. Sich richtig aufstellen und einer menschenwürdigen und intakten Welt in den entscheidenden nächsten 30 Jahren als zivilisierte Leitmacht ein standhafter Diener sein, das ist Deutschlands Neue Verantwortung. Dies ist eine Gastkolumne von Lutz Meyer, Gründer der Fullberry Foundation. Er ist – zusammen mit den Herausgebern Dirk Messner und Wolfgang Ischinger – Mitinitiator des Bandes „Deutschlands Neue Verantwortung“, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2017 vorgestellt wurde. Alle Beiträge sind auf der Webseite des Buches frei zugänglich.

Wahl in Ecuador: Wendepunkt für die linke Vision Lateinamerikas?

Mon, 13/02/2017 - 08:00
Bonn, 13.02.2017. Am Sonntag, 19. Februar, wählt Ecuador einen neuen Präsidenten. Die Entscheidung wird nicht nur die Innenpolitik Ecuadors bestimmen, sondern auch das Schicksal der linken Vision Lateinamerikas. In den vergangenen zwei Jahrzehnten prägten progressive Regierungen mit linken Konzepten den Kontinent. Doch die jüngsten Wahlausgänge fordern linke Ideale heraus. Die Wahl am Sonntag wird entweder eine neue Politik in Ecuador etablieren oder einen Überlebensplan für Lateinamerikas Progressivismus aufzeigen. Die progressiven Regierungen haben strukturelle Veränderungen in Lateinamerika herbeigeführt. Sie modernisierten Verfassungen, schufen integrative Bildungs- und Wohlfahrtssysteme und sorgten für eine gerechtere Verteilung der Erträge des jüngsten Rohstoffbooms. Doch mittlerweile kam es in mehreren Ländern zum konservativen Rollback. Dilma Rousseff wurde 2016 in Brasilien aus dem Amt vertrieben, 2015 wurde die Politik von Cristina de Kirchner in Argentinien abgewählt, im selben Jahr verlor Nicolás Maduro in Venezuela einen erheblichen Teil seiner Macht in der Nationalversammlung. Lateinamerikas progressive Regierungen erhalten die Quittung dafür, die tief sitzende Korruption und Vetternwirtschaft der Region nicht beseitigt zu haben. In Ecuador kam der derzeitige Präsident Rafael Correa mit der Mehrparteienbewegung „Alianza PAIS“ 2006 an die Macht. Er brachte dem Land zunächst beachtliche politische und wirtschaftliche Stabilität. Jetzt, am Ende seiner zweiten Regierungszeit, ist nicht mehr viel vom inklusiven politischen Dialog seiner frühen Amtsjahre übrig. Einige Maßnahmen der Regierung sind besorgniserregend. Im Januar entging die Umweltorganisation „Acción Ecológica“, ein namhafter Gegner der ecuadorianischen Umweltpolitik, nur knapp ihrer Schließung. 2014 und 2016 verweigerte die Regierung Delegationen des Deutschen Bundestages den Zugang zum Amazonas um dort mit oppositionellen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zu sprechen. 2015 erfuhr Correa massive Kritik für eine Verfassungsänderung, die dem Präsidenten erlaubt, beliebig oft wiedergewählt zu werden. Zugleich verschlechterte sich die Situation der Pressefreiheit; die Regierung übernahm 2013 die Ausschreibung von Fernseh- und Radiofrequenzen und bedroht damit die redaktionelle Unabhängigkeit. Überraschend kündigte Correa an, er werde bei der bevorstehenden Wahl nicht antreten. Stattdessen übertrug er seinem langjährigen Wegbegleiter Lenín Moreno die Kandidatur für „Allianza PAIS“. Moreno prägte als Correas Vizepräsident von 2007 bis 2013 Ecuadors Progressivismus und erwarb anschließend internationale Anerkennung als „Sondergesandter für Behinderung und Barrierefreiheit“ bei den Vereinten Nationen in Genf. Correa und „Alianza PAIS“ scheinen die Frustration der Bevölkerung erkannt zu haben. Sie entschieden sich mit Moreno für den aussichtsreichsten Kandidaten, der mit den autokratischen Entscheidungen der Regierung nicht Verbindung gebracht wird. Doch Morenos weiße Weste erhielt in den vergangenen Tagen Flecken: Sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft, Jorge Glas, scheint im gerade aufgedeckten Korruptionsskandal um die staatliche Ölfirma verwickelt zu sein. Morenos Wahl ist dadurch gefährdet, sein rechtsstehender Gegner Guillermo Lasso hingegen im Aufwind. Die jüngsten Umfragen lassen ein enges Rennen zwischen Moreno und Lasso erwarten. Lasso und seine CREO-Partei drängen auf drastische Reformen. Sie wollen der tiefen, ölpreisbedingten Rezession des Landes mit einer neuen Wirtschaftspolitik entgegenwirken. Lasso verspricht, während seiner vierjährigen Amtszeit eine Million Arbeitsplätze zu schaffen, Steuern zu senken und durch staatliche Interventionen private sowie ausländische Investitionen zu fördern. Jedoch ist Lassos Kandidatur nicht ohne Makel: Sein Name ist eng mit Ecuadors Wirtschaftskrise von 1998 verknüpft, zudem tauchte er im vergangenen Jahr unrühmlich in den Panama Papers auf. Eine Woche vor der Wahl ist ihr Ausgang also noch unklar. Sowohl Moreno als auch Lasso könnten in der ersten Runde gewinnen, wenn nicht, wird die Stichwahl am 2. April entscheiden. Morenos Sieg würde „Alianza PAIS“ helfen zu überleben und somit Ecuadors Linken erlauben, auf einen nicht-autokratischen Weg zurückzukehren. Moreno sollte dann seine neue Macht nutzen, um Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämpfen – innerhalb des Staatsapparates und besonders in seiner Partei. Morenos Sieg wäre auch ein ermutigendes Signal für andere progressive Regierungen in Lateinamerika. Ihre Zeit muss noch nicht vorbei sein – wenn sie die öffentliche Meinung respektieren und für innere Erneuerung offen sind. Progressive Politiken haben die Demokratien in Lateinamerika gefestigt; sie werden nur fortbestehen, wenn sie selbst demokratische Regeln befolgen. Sie müssen der Korruption den Kampf ansagen, vor allem in den eigenen Reihen. Sie müssen ihre Integrität zurückgewinnen. Das könnte der Schlüssel für Lateinamerikas progressive Bewegungen sein, um nicht nur an der Regierung zu bleiben, sondern auch um den Traum einer progressiven Zukunft weiter zu realisieren. Mona Heiss ist Teilnehmerin des 52. Postgraduiertenkurses des DIE. Angelike Páez ist Dozentin für Internationale Studien an der Universidad Espíritu Santo, Guayaquil, Ecuador
Diese Kolumne ist am 13.02.2017 auch auf EurActiv.com veröffentlicht worden.

Friedensvertrag in Kolumbien – wie weiter?

Mon, 06/02/2017 - 09:51
Bonn, 06.02.2017. Die gute Nachricht zuerst: Im November 2016 hat der kolumbianische Kongress den Friedensvertrag zwischen der Regierung Santos und der größeren Guerillabewegung Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) ratifiziert. Im Februar dieses Jahres beginnen Verhandlungen mit der ELN (Ejerzito de la Liberación nacional), der kleineren linksgerichteten Guerilla. Der Konflikt in Kolumbien begann Mitte der 1960er Jahre, kostete tausende Menschen das Leben und zwang über vier Millionen von ihnen zur Flucht. So spiegelte sich die Länge und Komplexität des Krieges in den Verhandlungen wider. Denn die Annahme des Friedensvertrages ist das Ergebnis eines langwierigen Prozesses, der 2012 in Havanna begann. Der vierjährige Weg zum Friedensabkommen war von vielen Höhen und Tiefen begleitet: Feuerpausen wurden verkündet und wieder beendet, lokale Politiker entführt und wieder freigelassen, Guerilla-Kommandeure getötet.  Bis zum Ende war nicht sicher, ob es zum Friedensschluss kommen würde. Denn die Regierung suchte eine Legitimierung des Friedensvertrages durch die Bürgerinnen und Bürger. So stimmten die Wahlberechtigten am 2. Oktober 2016 über den Vertragstext ab –  und lehnten ihn mit knapper Mehrheit überraschend ab. In einer gegenläufigen Entwicklung in jener Woche beschloss das Nobel-Komitee in Oslo, Präsident Santos den Friedensnobelpreis zu verleihen. Am 24. November 2016 wurde der Vertrag dann schließlich in geänderter Form, ohne eine weitere Volksbefragung vom Kongress angenommen. Nicht jeder ist für Santos‘ Frieden Es erscheint zunächst verwunderlich, warum eine große Gruppe von Kolumbianerinnen und Kolumbianern den Friedensvertrag abgelehnt hat. Diese Ablehnung hat einen räumlichen Grund. Der Krieg zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC konzentrierte sich zumeist auf ländliche Gebiete, in denen Rohstoffe gefördert werden oder Koka angebaut und transportiert wird. In diesen Randzonen, die zum Teil schwer zugänglich sind, bündelt sich die Gewalt der Kriegsparteien, der FARC, aber auch gewöhnlicher Banden. In solchen Gebieten litt die Zivilbevölkerung Jahrzehnte lang besonders stark unter dem andauernden Konflikt. In den großen Städten jedoch, in denen die Mehrheit der Bevölkerung lebt, hat sich die Präsenz der Guerilla in den letzten Jahren merklich verringert. Auch die Entführungen, etwa auf Überlandstraßen, haben deutlich abgenommen. Für viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer, die in urbanen Zentren wohnen, ist der Krieg weniger spürbar. Die Guerilla hat darüber hinaus einen schlechten Ruf, was auf die langjährige Praxis von Entführungen und andere Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung zurückgeht. Diese Bedingungen konnte der rechte Politiker Alvaro Uribe mit seiner Kampagne gegen das Friedensabkommen für sich nutzen und eine knappe Mehrheit des Wahlvolks überzeugen, mit einem „Nein“ zum Friedensvertrag zu stimmen. „Der real existierende Frieden“ Bis jetzt lässt sich die Suche nach Frieden mit den FARC als Tour de Force mit Etappensieg beschreiben. Es ist der kolumbianischen Gesellschaft zu wünschen, dass sie nach Jahrzehnten des Blutvergießens zum Frieden zurückfindet. Und das ist der Aspekt, der die Freude über den Friedensschluss trübt: es gibt noch viel zu tun. Der Friedensvertrag ist erst der Anfang vom Ende des Konfliktes in Kolumbien. Um einen langfristigen Frieden zu schaffen, muss der Friedensschluss auch vor Ort mit Leben gefüllt werden. Die Regierung muss gewährleisten, dass vertriebene Menschen auf ihr Land zurückkehren und dort in Frieden leben können. Sie muss dafür sorgen, dass die FARC ihre Verbrechen an der Zivilbevölkerung materiell und ideell wiedergutmachen (eine Forderung, die übrigens für alle Kriegsparteien einschließlich der offiziell demobilisierten Paramilitärs gilt). Die Regierung ist dafür verantwortlich, dass die im Friedensvertrag ausgehandelte politische Teilhabe auch wirklich umgesetzt wird. Schließlich muss sie den Schutz politischer Gegner sowie sozialer Aktivisten gewährleisten. Es ist zu hoffen, dass auf längere Sicht auch diejenigen vom praktischen Nutzen des Friedens überzeugt werden, die sich bis jetzt uneinsichtig zeigen und im Oktober mit einem „Nein“ gestimmt haben. Werden die genannten Voraussetzungen nicht umgesetzt, bleibt der Friedensvertrag von Havanna nur ein mühevoll errungener Teilerfolg, der von den sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen schnell zunichte gemacht werden kann. Dieser Beitrag ist am 07.02.2017 auch auf euractiv.de veröffentlicht worden.

Die G20 und Afrika – eine Allianz für Nachhaltigkeit?

Mon, 30/01/2017 - 19:23
Johannesburg, Bonn, 30.01.2017. Kooperation mit Afrika steht prominent auf der Agenda der deutschen G20-Präsidentschaft. Das schafft hohe Erwartungen an künftige deutsche und europäische Afrikapolitik. Initiativen zur Verstärkung positiver wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Trends in Afrika kommen zum richtigen Zeitpunkt. Megatrends wie demographischer Wandel und Urbanisierung werden nachhaltige Entwicklung auf dem Kontinent und in der Welt maßgeblich beeinflussen. Was und wie viel kann von den jüngsten Initiativen erwartet werden? Die deutsche Präsidentschaft schließt mit ihrem Vorschlag für eine Partnerschaft mit Afrika an verschiedene Initiativen an, die mehr und bessere Zusammenarbeit mit Afrika versprechen. Im Rahmen von G20 hat beispielsweise die chinesische Präsidentschaft beim Gipfel in Hangzhou Unterstützung für Industrialisierung in Aussicht gestellt. Die G7 haben Maßnahmen für Ernährungssicherheit oder Gesundheitsversorgung in Afrika beschlossen, diese bislang allerdings nur mit eingeschränkter Wirkung umgesetzt. Die Vereinten Nationen, die Europäische Union oder die BRIC(S)-Länder setzen sich dafür ein, nachhaltige Entwicklung in Afrika zu fördern. Bei der Vielzahl von existierenden Initiativen schauen afrikanische Regierungen und die deutsche Öffentlichkeit nun genau hin, welchen Mehrwert ein abermals neuer Vorstoß in der Afrikapolitik bringt. Erhöht wird diese Aufmerksamkeit durch die von Bundesminister Müller jüngst vorgestellten Eckpunkte für eine neue Afrikapolitik („Marshallplan mit Afrika“), die jedoch nicht Teil der G20-Agenda sind. Warum sollten G20-Staaten und Afrika ihre Kooperation stärken? Die Politik der G20-Staaten hat unmittelbare Auswirkungen auf nachhaltige Entwicklung in Afrika und in der Welt, beispielsweise mit Blick auf den Klimawandel oder die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Angesichts dieser Interdependenzen wäre es besser, afrikanische Perspektiven breit an den G20-Arbeitsgruppen zu beteiligen anstatt auf Einzelinitiativen und die Diskussionen in der G20-Arbeitsgruppe für Entwicklung zu vertrauen. Das Leitbild „wirtschaftliche Reform“ stärker mit politischer Transformation verknüpfen Wirtschaftlicher Strukturwandel durch private Investitionen und Infrastrukturaufbau stehen im Mittelpunkt aktueller Kooperationsagenden. Das ist die richtige Stoßrichtung, um dauerhaft nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Wirtschaftlicher Strukturwandel hängt von politischer Transformation ab. Damit Gewinne aus privaten Investitionen dauerhaft zu mehr Wohlstand der breiten Bevölkerung und gesellschaftlicher Stabilität führen, bedarf es politische Verteilungsmechanismen. Demokratien vermögen es besser, dauerhaft wirtschaftliches Wachstum und öffentliche Güter wie Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung bereitzustellen. Aufgrund unterschiedlicher politischer Ordnungsmodelle in den G20-Staaten ist dies keine leichte Aufgabe. Aber alle Reformbemühungen werden ins Leere laufen, wenn es die G20 versäumt, wirtschaftliche Reformen mit einer breiten politischen Transformation zu verzahnen. Die Verstetigung der G20-Afrikapolitik ist notwendig, um gesetzte Ziele zu erreichen Die G20 bereitet politische Entscheidungen vor, verfügt selbst aber über keinen institutionellen Umsetzungsapparat. So bereitet die G20 politische Vereinbarungen in anderen internationalen Foren vor, beispielsweise für den bevorstehenden EU-Afrika Gipfel im November 2017. Wenn nachhaltige Entwicklung mit Afrika durch die G20 wirksam sein soll, ist es wichtig, die Kooperation zwischen den G20 und afrikanischen Staaten über die deutsche G20 Präsidentschaft hinaus zu verstetigen. Eine enge Abstimmung mit den nachfolgenden G20 Präsidentschaften Argentinien und Indien ist daher besonders erforderlich. Mechanismen zu entwickeln, die jenseits vom G20 Mitglied Südafrika einen institutionalisierten, dauerhaften Austausch zwischen afrikanischen Organisationen wie die Afrikanische Union und die Afrikanische Entwicklungsbank gewährleisten, ist wichtig. Schließlich hängt das Gelingen jüngerer deutscher Initiativen wie die Partnerschaften mit Afrika (Compacts with Africa), die Finanzminister Schäuble bei G20 einbringt, oder der Marshallplan mit Afrika davon ab, ob sie u.a. mit dem Europäischen Investitionsplan eng verknüpft werden. Erwartungsmanagement über begrenzte Einflussmöglichkeiten Die G20-Präsidentschaft sollte die Möglichkeiten internationaler Kooperation betonen, aber auch ihre Grenzen klar benennen. Die deutsche G20-Präsidentschaft erhöht die Sichtbarkeit der Afrikapolitik der deutschen Regierung immens. Durch die Ankündigung der Partnerschaften mit Afrika und der Entwicklung eines Marshallplans hat die Bundesregierung bei afrikanischen und anderen Partnern hohe Erwartungen geweckt. Auch wenn internationale Handels-, Finanz-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitiken wichtige Beiträge leisten können, liegt die nachhaltige Entwicklung des europäischen Nachbarkontinents primär in den Händen afrikanischer Regierungen und Gesellschaften. Ein wichtiger Teil der Vorbereitungen der G20 Initiative wird daher Erwartungsmanagement sein, insbesondere mit Blick auf die Ziele, Machbarkeit und Effekte der deutschen Initiativen. Der Erfolg der Initiativen hängt von der öffentlichen Kommunikation sowie intensiven, hochrangigen politischen Konsultationen mit afrikanischen Partnern ab. Es müssen frühzeitig afrikanische Interessen und Prioritäten gehört und berücksichtigt werden. Gelingt das Erwartungsmanagement nicht, droht ein Legitimitätsverlust deutscher Kooperation mit Afrika.

Landwirtschaft und Wasser – Schlüssel zur Welternährung

Tue, 24/01/2017 - 15:33
Berlin, 23.01.2017. „Landwirtschaft und Wasser – Schlüssel zur Welternährung“ ist das Thema des Global Forum for Food and Agriculture (GFFA), das wie jedes Jahr die „Grüne Woche“ – die weltgrößte Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau – eröffnete. Dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) kann zu dieser Themenwahl nur gratuliert werden. Denn die Verfügbarkeit und das Management von Wasser sind ganz zentral dafür, ob das Nachhaltigkeitsziel 2 der Agenda 2030 der Vereinten Nationen „Beendigung von Hunger, Erreichung von Ernährungssicherheit und verbesserter Ernährung und Förderung nachhaltiger Landwirtschaft“ erreicht werden kann. Die Landwirtschaft ist mit etwa 70 Prozent der größte Wassernutzer, und der Bedarf steigt. Die gegenseitige Abhängigkeit von Landwirtschaft und Wasser ist nur durch eine effektive Koordination zwischen Agrar- und Wasserpolitiken zu meistern, insbesondere in den drei Bereichen Investitionen, Innovationen und Koordination. Investitionen in Bewässerung und Wasserspeicherung In vielen Weltregionen, speziell in Subsahara-Afrika (SSA), gibt es noch große unerschlossene Potentiale für Bewässerung. So werden zum Beispiel in Sambia und Tansania nur zwischen fünf und zehn Prozent der kultivierten Flächen bewässert; in Asien sind es immerhin 37 Prozent. Ganz SSA leidet unter starken Niederschlagsschwankungen, längeren Dürreperioden und oft nur geringen Wasserhaltekapazitäten der Böden. Die Erträge im Regenfeldbau sind daher sehr niedrig und stark schwankend. Eine bessere Bewässerung kann die Erträge oft radikal steigern und für die Landwirte Anreize für weitere ertragssteigernde Investitionen bieten. Um die ungleiche zeitliche Verteilung von Wasser zu verbessern, sollte außerdem in die Wasserspeicherung investiert werden: einmal in Form von Dämmen, aber auch in Form der Verbesserung des Regenabflusses. Durch das Rückhalten von Wasser auf den Feldern und in Gewässerläufen kann das Einsickern verstärkt werden, so dass mehr Wasser im Untergrund gespeichert wird. Dies sorgt für regelmäßigeren Ablauf in Oberflächengewässern und steht damit der Bewässerung zur Verfügung. Förderung innovativer Technologien Die im Hinblick auf Ernährungssicherheit notwendige Ausweitung des Bewässerungsfeldbaus wird jedoch die Nachfrage nach Wasser ankurbeln und die Konkurrenz mit anderen Sektoren, die Wasser nutzen, steigern. Zudem ergeben sich neue Umweltgefahren, etwa durch Kontamination von Oberflächengewässern und Grundwasser durch Düngemittel und Pestizide. In Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten, in Zentralasien, aber auch einigen Regionen SSAs sind Flusseinzugs- bzw. Untereinzugsgebiete bereits ausgereizt oder übernutzt.  Dadurch entstehen voneinander abhängige Versorgungskrisen, die die Landwirtschaft, aber auch die Stromproduktion durch Wasserkraft und die Trinkwasserversorgung, betreffen. In anderen Regionen mögen die Konflikte noch nicht so ausgeprägt sein, aber bei Ausweitung der Bewässerung und im Zuge des Klimawandels können auch dort schnell Nutzungskonflikte auftreten. Die Landwirtschaft als größter Verbraucher ist hier gefragt, für Entspannung zu sorgen. Landwirte können Wasser effizienter einsetzen, wenn sie in wassersparende Bewässerungstechnologien investieren, angepasste Kulturpflanzen anbauen und gewässerschonende Kulturtechniken praktizieren. Sie können ihre Düngung an die Pflanzenaufnahme und an die Bodenverhältnisse anpassen und die Kontamination mit Pestiziden verringern oder abstellen. Darin müssen insbesondere Kleinbauern vom Staat unterstützt werden. Koordinierung von Agrar- und Wasserpolitik – Förderung des Aufbaus effektiver Institutionen Die nicht zu leugnenden Konflikte zwischen den großen Wassernutzern, also der Landwirtschaft und den anderen Wasser nutzenden Sektoren, können nur in Sektor übergreifenden Aushandlungsprozessen gelöst bzw. abgemildert werden. Dabei müssen für die Agrar- und Wasserpolitik  jeweils zunächst die eigenen Ziele formuliert und Instrumente geschaffen werden. Dabei kommt es aber häufig zu Widersprüchen und Konflikten zwischen landwirtschaftlicher Wassernutzung und anderen Ansprüchen insbesondere für Trinkwasser, Energiewirtschaft, Industrie sowie Ökologie und Landschaftsschutz. Eine am Gemeinwohl ausgerichtete Agrar- und Wasserpolitik muss daher in öffentliche Institutionen investieren, die die entsprechenden Sektorpolitiken koordinieren, Interessenausgleich erzielen und für Akzeptanz sorgen und damit ihre Umsetzung unterstützen können. In Industrieländern wie Deutschland und den USA, aber auch in Entwicklungsländern wie Kolumbien, Pakistan, Nepal, Indonesien und den Philippinen, hat man außerdem gute Erfahrungen mit freiwilligen Kooperationsvereinbarungen zwischen verschiedenen Sektoren gemacht. Trinkwasserkooperationen – Allianzen zwischen den Wasserversorgungsunternehmen und Landwirten – haben durch Unterstützung gewässerschonender Maßnahmen (bspw. bedarfsorientierte Düngeplanung, Lagerplätze für Festmist und Gülle und die gewässerschonende Gülleausbringung) und deren Finanzierung die Stickstoffeinträge in Trinkwassertalsperren deutlich reduziert, und zwar oft ohne Ertragseinbußen für die Landwirte. Teilweise erhalten Landwirte auch direkten Ausgleich für Einkommenseinbußen und für ihren Beitrag zu Wasser-bezogenen Ökosystemdienstleistungen wie der Regulierung des Wasserflusses, der Verhinderung von Sedimenten in Wasserreservoirs oder der Bereitstellung von sauberem Wasser für Menschen, Tiere und Ökosysteme. Ohne Investitionen, Innovationen und Koordination zwischen Agrar- und Wasserwirtschaft sind die Nachhaltigkeitsziele nicht zu erreichen und werden wertvolle Resourcen für nicht effektive Politiken vergeudet.

Trump, der Nahe Osten und Deutschland

Thu, 19/01/2017 - 10:13
Bonn, 19.01.2017. Bereits die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA löste im Nahen und Mittleren Osten zum Teil heftige Reaktionen aus, obwohl über die konkrete Politik der neuen Administration -selbst jetzt noch- wenig bekannt ist. Trumps „Twitterpolitik“ auch im Feld der Außenpolitik erscheint auch zur Amtseinführung und nach Besetzung zentraler Verwaltungsposten wenig kohärent. Der Bezug zum politischen Oberziel ‚America first‘ bleibt unerklärt. Zu den für die Region relevanten Positionierungen gehören Trumps vollmundige Ankündigungen, dem Multilateralismus den Rücken zu kehren, die militärische Sicherheit für andere Länder grundsätzlich nur noch gegen Entgelt zu gewähren, über die Annäherung an Russland nach einer Befriedung Syriens zu suchen und den Islamischen Staat zu bekämpfen. Regionalpolitischen Sprengstoff bieten die Ankündigungen, das multilaterale Nuklearabkommen mit Iran kritisch zu überprüfen bzw. schlicht zu kündigen, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen und die einheimische Ölförderung massiv steigern zu wollen. Der Islamische Staat feiert das Wahlergebnis dereinst als sicheres Zeichen für den bevorstehenden Niedergang der USA als Weltmacht. Autoritäre Machthaber wie Syriens Assad und Ägyptens al-Sisi, wie auch die israelische Regierung sehen sich bestärkt in ihrer Unterdrückung von Zivilgesellschaft und Opposition. Iran droht, eine amerikanische Aufkündigung des Nuklearabkommen mit forcierter ziviler Nutzung der Kernenergie zu beantworten. Wie soll Deutschland auf eine absehbare Neu-Positionierung der US-Politik im Nahen und Mittleren Osten reagieren? 1. Deutschlands privilegierte Stellung in Wert setzen: Deutschland nimmt in Bezug auf die Unsicherheit bezüglich künftiger globaler und regionaler Machtkonstellationen weltweit und Stellvertreter- bzw. Klientelpolitik in der Region eine privilegierte Stellung mit hoher Handlungsfreiheit und Verhandlungsmacht ein. Diese Macht gründet zum einen auf ‚weichen‘ Komponenten (Softpower) wie die hohe humanitäre Reputation durch Aufnahme einer großen Anzahl von Flüchtlingen 2015/16, als einer der größten Geber humanitärer Hilfe in der Syrienkrise und auf der Wahrnehmung als Vermittler im Nuklearabkommen mit Iran sowie als ehrlicher Makler im Palästina-Konflikt. Zum anderen ist die Macht ‚realpolitisch‘ unterlegt wie im Türkei-Flüchtlingsabkommen, im (beschränkten) Handel mit Rüstungsgütern in die Region und der militärischen Unterstützung für die kurdischen Peschmerga im Irak. Deutschland hat mehr Potenzial als die meisten anderen Geber besonders als Vermittler, aber auch als Garant für die Einhaltung von Vereinbarungen einzutreten. Wenn Deutschland diese Rolle nicht übernimmt, wird es niemand tun. 2. Flexibilität des Mittel- und Instrumenteneinsatzes beibehalten und ggf. erhöhen: Als Ergebnis tatsächlicher oder auch nur erwarteter Verschiebungen im regionalen Kräfteparallelogramm können die scheiternden Staaten wie Syrien, Irak und Jemen vollends auseinanderfallen. Dies bedeutet kurzfristig massiv erhöhte Bedarfe nach humanitärer Hilfe bzw. zur Stabilisierung, eventuell sogar zur Unterstützung der Flüchtlingsrückkehr und Wiederaufbau zu reagieren. Beide Bereiche, humanitäre Hilfe und Entwicklungskooperation unterliegen unterschiedlichen Handlungslogiken und auch unterschiedlichen politischen Mandaten. Hier gilt es für Deutschland, zu priorisieren und seinen spezifischen Kooperationsvorteil in der Region zur Geltung zu bringen. Letzteres hat nur bedingt mit dem Einsatz von noch mehr deutschen oder europäischen Steuermitteln zu tun. Vielmehr geht es darum, die vorhandenen Instrumente und insbesondere die Kooperation mit anderen, gerade auch arabischen Gebern, etwa über die gemeinsame Programmfinanzierung effizient und politisch aufmerksam zu steuern. 3. Priorität: Nachhaltige Entwicklung unterstützen: Den Kooperationsmodus nachhaltig zu gestalten begründet sich einerseits aus den globalen Nachhaltigkeitszielen, hier insbesondere SDG 16 (Frieden und Sicherheit). Andererseits müssen die Kooperationsformen geeignet sein, den konkreten Zielkonflikt zwischen kurzfristiger Stabilisierung fragiler Staaten und politisch nachhaltiger Entwicklung der Gesellschaften einzuhegen. In einer durch kurzfristige Stabilisierungsmaßnahmen ‚erkauften Zeit‘, werden ansonsten die grundlegenden Entwicklungsblockaden gerade nicht abgebaut - obwohl diese längst auf arabischer Seite analysiert und anerkannt sind. Die Kosten der regionalen Konflikte und für die Verschleppung der Entwicklungsblockaden wurden bislang überwiegend nicht von den Verantwortlichen, sondern von der Zivilbevölkerung und ausländischen Unterstützern getragen. Ob die US-Außenpolitik unter Präsident Trump dies als Teil des Problems anerkennt oder als gar als Teil der Lösung betrachtet, bleibt abzuwarten. Dessen ungeachtet und in Anerkennung der Unteilbarkeit menschlicher Sicherheit kann Deutschland, teils direkt, stärker jedoch indirekt, Fokus und Modi der internationalen Kooperation mit dem Nahen und Osten positiv beeinflussen.

Trump, Brexit, Populismus - und das Ende des Multilateralismus?

Thu, 19/01/2017 - 10:00
Bonn, 19.01.2017. Trotz der Beschwichtigungen der ‚Trumpologeten‘, die noch auf eine Bekehrung vom Saulus zum Paulus des neuen POTUS hoffen, ist mittlerweile eines klar: der naive Unilateralismus, den die antretende amerikanische Administration an den Tag legt, wird sich Bestrebungen der transatlantischen Zusammenarbeit und einer aufkeimenden globalen Gemeinwohlpolitik als wenig förderlich erweisen. Die Ansagen Trumps sowie die Auswahl seiner Kabinettsmitglieder und engsten Berater lassen befürchten, dass sich die künftige US-Regierung multilateraler Kooperation in aller Vehemenz entgegenstemmt. Die Schockwellen des reaktionären Polit-Tsunami in Amerika sind bereits und werden noch in voller Heftigkeit in allen Feldern der internationalen Kooperation zu spüren sein, etwa als herbe Rückschläge für Freihandelsabkommen und Klimaverhandlungen, die Gefahr eines militärischen Kräftemessens mit China und die offene Infragestellung der NATO-Partnerschaft. Darüber hinaus sind es Trumps respektlose Haltung Frauen und Minderheiten gegenüber, sein reduktionistisch-merkantilistisches Weltbild, seine Laissez-Faire-Mentalität vis-à-vis Despoten und Autokraten, sein ausgewiesenes Desinteresse an Armutsbekämpfung und Entwicklung wie auch sein populistischer Stil der Manipulation, Polarisierung und Verächtlichmachung, die Anlass zur Sorge bieten. Trumps skrupelloses Macht-Spiel mit dem Protest-Kapital, das sich aus den wachsenden sozialen Ungleichheiten in den USA speist, und seine Rücksichtslosigkeit im Verfolgen von ökonomischen Partikularinteressen (etwa in der sich abzeichnenden Linie in der Fiskalpolitik) werden jedoch die Kluft zwischen den Benachteiligten und den chronisch Überbelohnten nicht nur in Amerika, sondern weltweit tendenziell weiter vergrößern. Politik in zornigen Zeiten Für Europa, das mit seiner Globalen Strategie "eine multilaterale regelbasierte Weltordnung" anstrebt, bedeutet dies auch bedeutet dies auch, dass es einsamer wird im Kampf für faire und globale Entwicklung, Demokratie, Menschenrechte, wie auch in der Klima-, Migrations- oder der nachhaltigen Wirtschaftspolitik. Während spekuliert wird, ob die Haltung der neuen US-Regierung zum Transpazifischen Handelsabkommen (TPP) – vielleicht sogar eine Chance für Europa und China bedeuten könnte, einander als Partner näher zu rücken, fürchten Japaner und Koreaner die Auswirkungen von Protektionismus, Abschottung und Verschlechterung der Beziehungen auf internationales Recht, die politische Ordnung und die Sicherheitslage in der Region und letztlich auf Wachstum und Wohlstand. In Europa ist vor allem die Aufweichung des Nordatlantik-Bunds schlichtweg ein Schreckensszenario. Zwischen dem erstarkten Selbstbewusstsein Putins, als Trumps malignem Mentor, der wachsenden Unberechenbarkeit der Türkei, eines strategisch zentralen NATO-Mitgliedes, und der aufgrund der Konflikte in der EU-Nachbarschaft anhaltendenden Terrorgefahr, sitzt Europa in der Klemme. Die Anzeichen mehren sich, wonach die Reaktion auf diese prekäre Lage in einer stärkeren Gewichtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gegenüber anderen Bereichen der Außenbeziehungen bestehen wird. Zum Schutz der eigenen Freiheit und des Wohlstandes, so der Tenor, erwarten die Bürger eine Verschärfung der Gangart bei Grenzmanagement und Migrationspolitik. In einem Jahr wichtiger Wahlen und Weichenstellungen in mehreren europäischen Staaten werden sich Politiker in ihren Rufen nach mehr Sicherheit übertönen, während Fragen der nachhaltigen Entwicklung gewöhnlich weniger lautstarke Fürsprecher finden. Die aufhaltsame Ent-Solidarisierung Europas Unter den Bedingungen extremer Verunsicherung wird sich die EU nun auch dem Austritt eines zentralen Mitgliedsstaates widmen müssen. Und jenseits des Kanals zeichnet sich seit der Brexit-Rede Theresa Mays vom 17. Januar ab, wie hart der Kurs ist, den das Königreich in diesem unruhigen Fahrwasser setzt. Noch vor seiner Amtseinführung, kündigte Trump an, möglichst schnell ein bilaterales Handelsabkommen mit Großbritannien schließen zu wollen. Der britische Außenminister Boris Johnson war eigens für Gespräche dazu angereist. Offizielle Verhandlungen über ein solches Abkommen stellen jedoch einen klaren Verstoß gegen EU-Recht dar, an welches auch das UK bis zum formellen Ausscheiden aus der Union gebunden ist. Mit dem special relationship der Briten zu den USA unter Trump und einer Rückbesinnung auf den Glanz des Empire stehen die Zeichen auf Isolationismus, einem Trend, dem sich noch weitere Industrienationen anschließen könnten. Dies stellt die multilateralen Bemühungen der EU – und somit zugleich Deutschlands – vor enorme Herausforderungen. Die Reform des „Europäischen Konsenses für die Entwicklung“, die für 2017 geplant ist, muss ein starkes Signal für neue Wege der globalen Kooperation setzen und die progressiven Kräfte in Europa bündeln. Und es gilt, Möglichkeiten für die Einbindung Großbritanniens in die Europäische Außen- und Entwicklungspolitik zu finden, wie es auch May in ihrer Rede andeutete. Ein von den Brexit-Hardlinern betriebener Vollausstieg aus der EU-Entwicklungspolitik sollte nach Kräften verhindert werden, denn dies wäre ein besonders schmerzhafter Verlust – für Europa und für den Rest der Welt. Angesichts der Fliehkräfte aus Populismus und EU-Skepsis braucht Europa gemeinsame Antworten auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die den Zusammenhalt der Union bedrohen, wie auch neue Partner für die multilaterale Kooperation. Mittelfristig wird Europa, wenn es nicht weiter an Glaubwürdigkeit verlieren will, mehr Verantwortung für die Bewältigung globaler Herausforderungen und auch einen substantiell größeren Anteil an den Kosten dafür tragen müssen.

Der Welthandel vor der Abschottungsspirale?

Thu, 19/01/2017 - 10:00
Morgen wird Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA vereidigt und könnte das Welthandelssystem fortan in eine turbulente Abschottungsspirale stürzen. Mit dem Einzug Trumps im Weißen Haus wird ein aggressiver Merkantilismus in Washington salonfähig, der sich nicht nur gegen deutsche Autoproduzenten richtet, wie Trump in seinem jüngsten Interview deutlich machte. Er birgt für die Weltwirtschaft insgesamt enorme Risiken. Die Europäische Union und Deutschland sind daher gut beraten, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Mit der Nominierung von Robert Lighthizer als US-Handelsbeauftragten deutet Trump an, dass er einen stark protektionistischen Kurs tatsächlich auch umsetzen möchte. Trump vertrat im Wahlkampf radikale handelspolitische Forderungen – und hat diese auch nach seiner Wahl nicht entscheidend abgeschwächt. So droht er, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zu verlassen und fordert Zölle auf mexikanische und chinesische Produkte in Höhe von bis zu 45 Prozent. Diese Schritte wären angesichts global stark vernetzter Produktionsprozesse äußerst kurzsichtig: Jeder Dollar mexikanischer Exporte enthält rund 40 Cent an Vorprodukten aus den USA. Eine drastische Zollerhöhung der USA gegenüber dem Nachbarland Mexiko würde letztlich jedoch auf Kosten vieler Amerikaner gehen. Die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft insgesamt würde sinken –und unter den Preiserhöhungen würden vor allem die Einkommensschwachen leiden. Auch das Inkrafttreten des Kernstücks der Handelspolitik des scheidenden Präsidenten Obama, das Transpacific Partnership-Abkommen (TPP), will Trump verhindern. TPP wäre das weltweit größte Freihandelsabkommen und würde die USA mit dynamischen Märkten im asiatisch-pazifischen Raum verbinden – wohlgemerkt unter Ausschluss Chinas! Es ist paradox: Trump will einerseits Chinas Exporte in die USA eindämmen und verhindert andererseits das Abkommen, das zumindest der Rhetorik der Obama-Administration zufolge die handelspolitische Dominanz Chinas hätte eindämmen sollen. Durch das TPP-Vakuum in Asien zwingt Trump China die Führungsrolle im globalen Handelssystem geradezu auf. Groß ist die Gefahr, dass es zu neuen Handelskriegen kommt. Natürlich könnten Mexiko und China gegen Zollerhöhungen Trumps Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO) einlegen. Aber diese Verfahren würden dauern – vor allem, weil das Streitschlichtungsverfahren der WTO durch zahlreiche Fälle überlastet ist. Es wäre wahrscheinlich, dass Mexiko und China zum Gegenschlag ausholen. China könnte zum Beispiel die Verträge mit dem US-Unternehmen Boeing aufkündigen. Eine Eskalation protektionistischer Maßnahmen wäre die Folge und die Grundfesten des Welthandelssystems, mithin die Welthandelsorganisation, würden erschüttert. Um Schreckensszenarien zu verhindern, gilt es, Trump und sein Team in bestehende Strukturen einzubinden und seine radikalen Standpunkte abzuschwächen. Es muss viel Überzeugungsarbeit für das Argument geleistet werden, dass die Interessen der amerikanischen Arbeiter und Konsumenten effektiver gewahrt werden können, wenn die Trump-Administration nicht gegen, sondern mit ihren Partnern arbeitet. Strukturelle Veränderungen und Arbeitsplatzverluste drohen nicht nur durch internationalen Handel, sondern vor allem durch unaufhaltsame technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung und Automatisierung der Weltwirtschaft. Wie aber sollen neue Regeln für solche Entwicklungen ohne ein funktionierendes Handelssystem international koordiniert entwickelt werden? In Europa wurde in den letzten Jahren vor allem um das Kleingedruckte in der mit den USA geplanten Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) diskutiert. Angesichts der Positionen von Trump muss es jetzt wieder ums Grundsätzliche gehen: Welche Art von Handelsabkommen befürworten wir? Wie sollen die Verlierer der Globalisierung kompensiert werden? Wie kann die Globalisierung fairer gestaltet werden und das Vertrauen der Bürger wiedergewonnen werden? Machen wir uns nichts vor, auch in Europa herrscht keine Einigkeit über diese Fragen. Nach dem Tauziehen um das Freihandelsabkommen mit Kanada, muss die europäische Handelspolitik auf neue Füße gestellt werden. Hierzu gehört die notwendige Verständigung im Kompetenzgerangel der Brüsseler Institutionen und der Mitgliedstaaten, wer Handelsabkommen verhandeln und ratifizieren darf. Erst dann wird Europa als Handelsmacht wieder ernst genommen – in Washington, aber auch in Peking. Es gilt, die Allianzen mit den Ländern zu stärken, die wie wir ein vitales Interesse an offenen Märkten und einem funktionierenden Welthandelssystem haben. Deutschland, das in diesem Jahr die Führungsrolle in der G20 innehat, sollte sein hohes internationales Ansehen nutzen, um in diesen Fragen mit der neuen US-Administration in Dialog zu treten. Vor allem der G20-Gipfel im Juli in Hamburg bietet die Gelegenheit, auf höchster Ebene viele Gesprächsfäden zu unserem traditionellen Partner neu zu knüpfen. Aber auch auf Rückfragen des Geschäftsmanns, der ab morgen im Weißen Haus regieren wird, welche lukrativen „Deals“ die EU anbieten kann, sollte man spätestens dann in Berlin und Brüssel eine Antwort haben.

Why data access matters: the NDC Explorer reveals new insights on national climate action plans

Mon, 16/01/2017 - 10:00
The UN climate summit in Paris in 2015 was a diplomatic triumph, built on national climate action plans of 190 countries. Known as (intended) Nationally Determined Contributions (NDCs) in UN jargon, these documents offered a clear signal that the world aims for a low-carbon and resilient future. The UNEP emission gap report shows that implementing all NDCs would limit global warming to around 3°C by 2100 - 0.6°C less than before the NDC-era. However, beyond this overall temperature effect, surprisingly little is known about the diverse contents of NDCs. Are they really a game-changer? With the NDC Explorer, an online visualisation tool, we aim to create more transparency about countries’ ambitions and priorities. When focusing on overall mitigation targets of NDCs, a bulk of information on issues beyond mitigation is neglected. Since there is no agreed template or method for preparing the NDCs, their scopes and contents vary widely. Even their length varies from 3 pages to almost 60 pages. Looking at NDCs in a broader and more analytical light is important for two reasons. First, we need to understand countries’ broader ambitions and the context in which they are developed. Second, for NDCs to become a durable key instrument we have to be able to track their implementation, and we have to make sure that the next round of NDCs (planned for 2020) is more ambitious than the current one. A project of DIE, ACTS and SEI therefore analysed ambitions and priorities from all NDCs. We built a database, in cooperation with the UNFCCC secretariat, including 60 subcategories on mitigation, adaptation, finance and support, planning and process, as well as the ‘broader picture’ to reveal links to other international debates, such as green growth and the Sustainable Development Goals (SDGs). Via the new interactive online NDC Explorer, this database is made accessible for all. Transparency and data access matters in climate action So what do we see from this analysis? We have arrived at some surprising results that clearly need to be addressed if NDCs are to be a sustainable game changer in international climate policy. We provide four examples below. First, mitigation contexts. It is hardly surprising that renewable energy is a focus area for countries of all levels of development. Many countries go further and indicate targets for particular sources of renewable energy. This is useful information for investors and development organisations. However, other high-emission sectors like transport and agriculture are a priority area in as little as 15 and 4 NDCs, respectively, despite these sectors being important sources of greenhouse gas emissions. Second, almost all NDCs go beyond mitigation in various ways. For example, 85% of all NDCs mention adaptation to climate change impacts. Many NDCs go further and include indications of vulnerable sectors and priority sectors for adaptation, such as water and agriculture. Such priorities are cascading: the poorer a group of countries, the stronger its focus on adaptation. The same accounts for indications of finance needs. When looking at the World Bank regions, 79% of the countries in Sub-Saharan Africa make the implementation of their mitigation target partly or fully conditional upon receiving international support. In ‘South Asia’ this percentage is 75%, and in ‘Middle East and North Africa’ only 45%. Third, many NDCs also linkages to other important international debates. This sets the agenda and opens doors for mainstreaming. For example, countries like Nigeria, Saudi Arabia and Venezuela mention plans for fossil fuel subsidy reform. Twenty-four NDCs – predominantly of low-income countries – write about climate-change-related migration. Only ten countries write about the Sustainable Development Goals explicitly, but that might be explained by the fact that Agenda 2030 was still under development when countries formulated their INDCs. Finally, only a third of the NDCs refer to some kind of monitoring, assessment or review of their NDC implementation. Only 11 NDCs make references to an international assessment and review processes. It is worrying that so few countries plan to measure progress on the implementation of this key instrument of the Paris Agreement. Whilst we continue to believe that NDCs have the power to determine the climate politics and policies for years to come, more emphasis needs to be put on aspects beyond the overall mitigation targets. Transparency is the basis for understanding the NDCs, and crucial to develop common methods and metrics as well as tracking efforts of support and implementation. We hope the NDC Explorer provides a useful tool for the global community to contribute to this development. You can find the new NDC Explorer here. Kennedy Mbeva is a research fellow on Climate Resilient Economies/Responsible Natural Resource Economiesat at the African Centre for Technology Studies (ACTS). Adis Dzebo is a researcher at the Stockholm Environment Institute (SEI) and co-leader of the SEI Initiative on Climate Finance.

For better or worse? The global data revolution

Fri, 13/01/2017 - 09:47
Bonn, 13 January 2017. At a time when most of us are having a quiet start to the year, cleaning up desks and refreshing to-do lists, a group of UN officials, South African statisticians and international partners are frantically working to finalise preparations for the first-ever UN World Data Summit. The Summit takes place from 15-18 January in Cape Town and looks into what role data and statistics can play in realising the 2030 Agenda and its 17 Sustainable Development Goals (SDGs). The Cape Town event will not be another momentous occasion to adopt a weighty political outcome document of which each and every word has been negotiated by a committee. It will instead be a more ‘down-to-earth’ gathering, yet no less ambitious in its aim to convene governments, businesses, civil society and the research community to discuss how data and statistics may serve to measure global progress as well as directly contribute the realisation of the 2030 Agenda. Such a ‘data revolution’, as it was referred to during the negotiations of the 2030 Agenda, will only be realised when both the functional and political dimensions of the use of data and statistics in all countries of the world are adequately considered and addressed. It is clear that today’s technical possibilities are nearly endless, allowing Estonians to be the first to use their mobile phones to vote in parliamentary elections in 2007, or Kenyans to accelerate business opportunities, or for the US President-Elect to outline the main dimensions of his future foreign affairs strategy on Twitter. Yet today also brings realisation of the risks that such technologies raise, as they may expose the mobile phone habits of the German chancellor, or the misuse of people’s continuous access to information sources by the spread of ‘fake news’. These examples point to a formidable challenge facing all countries in the world: new technologies, solutions and social movements propel the production and use of data and statistics, yet they also contribute to destabilising our societies and creating new inequalities. Governments are challenged to simultaneously deliver 4G connectivity, combat increasing distrust among the electorate as fired up by ‘post-truth’ online (dis)content, as well as maintain a healthy balance between security and privacy. Poor numbers, or poor governance? In the field of international cooperation for sustainable development, some extreme views – and a resulting lack of consensus – can be detected when it comes to the role of data and statistics. There are those who argue that new technologies may allow countries with otherwise unreliable and inadequate official statistical systems to leapfrog their way towards evidence-based policy making, while others defend the long walk and argue that patience, leadership and resources are needed to gradually develop the required capacity. Morten Jerven’s book on “Poor numbers” (2013) was an eye-opener to many academics and policy-makers: inaccurate macroeconomic data is a knowledge and governance issue, not only in African countries but also in wealthier countries. His main message is that data and statistics are not just about functional problems in search of technical fixes. Data and statistics are important components of the political-economy landscape of every country. Facing up to a funding and learning gap Patterns of past investments in capacity development for data and statistics, reveal that donors – and as a consequence more aid-dependent countries – have deprioritised this area for decades. Today, the requirements for SDG monitoring – the tip of the iceberg for data and statistic needs in many countries – requires an annual increase in aid of $350 to $400 million to support the production of data on the SDG indicators. Moreover, support has emphasised technical solutions to perceived bottlenecks and often negated or ignored the political dimensions of existing capacity challenges. A recent UN system-wide evaluation observed that "challenges of supporting capacity development for greater and deeper use are complex and are as much about addressing incentives and political constraints as they are about helping to develop individual technical capacities to undertake statistical analysis." Few would object to this statement, and yet the reality is that writing the terms of reference for a new project, with a demanding time-frame and expectations for tangible results, is challenging. Hence, a data revolution will only be realised once those who support and lead it, covering various public and non-governmental stakeholders that each co-produce and use data and statistics, agree to revolutionalise themselves. The OECD hosted PARIS 21 (Partnership in Statistics for Development in the 21st Century) network was created to allow for knowledge sharing among development cooperation experts and officials of developing country statistical offices. While it is important to push the technical dialogue in Cape Town, the funding gap and long-standing data trends point to a need to catapult this debate into the political arena. Because just like when discussing research funding, there are many other things of greater visibility and interest to politicians. Nevertheless, it will in the end be the ‘softer’ dimensions of capacity, research and information that determine whether or not the 2030 Agenda will be realised, as opposed to another round of silver bullets.

Ohne Entwicklungspolitik keine Bewältigung internationaler Krisen – aber dafür muss sie sich ändern

Mon, 09/01/2017 - 10:00
Wie werden wir in 12 Monaten das Jahr 2017 bezeichnen? 2015 war ein Jahr, in dem es der Staatengemeinschaft gelungen ist, wegweisende Beschlüsse für Klimaschutz und eine global nachhaltige Entwicklung zu fassen. Dadurch war das Vertrauen vieler in die Möglichkeiten entschlossener internationaler Kooperation wieder gewachsen. Jedoch hat sich im Jahr 2016 mit dem Brexit in Großbritannien, dem Wahlergebnis in den USA und den Wahlerfolgen der AfD in Deutschland gezeigt, dass dieses Vertrauen bei vielen Menschen in Europa und den USA nicht vorhanden ist. Schlimmer noch: Internationale Kooperation und Verflechtung werden als unnötig oder sogar schädlich für den Wohlstand im eigenen Land gesehen. Nationale Interessen, nationale Politik sollen wieder im Vordergrund stehen und Lösungen bereitstellen. 2017 wird also das Jahr sein, in dem um die Bedeutung, die Ziele und Inhalte sowie die Formen internationaler Kooperation gerungen werden muss. Wahlkämpfe in Deutschland auf Bundes- und Landesebene bilden dafür den politischen Rahmen. Auf diese Fragen müssen Antworten gegeben werden: Inwiefern ist es nicht nur menschlich geboten, sondern politisch zwingend notwendig, bei Entscheidungen im eigenen Land auch das Recht auf ein menschenwürdiges Leben derjenigen zu berücksichtigen, die nicht bei uns leben bzw. zukünftiger Generationen? Inwiefern sind wir für unser eigenes Wohlergehen darauf angewiesen, dass andere ebenfalls unsere Rechte mitdenken? So banal es klingen mag: Wir leben in einer verflochtenen, globalisierten Welt, deren Probleme nicht durch nationale Alleingänge zu lösen sind. Die Prinzipien der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung geben Antworten auf diese grundsätzlichen Fragen: Nachhaltigen Wohlstand zu erreichen ist eine universelle Aufgabe, deren Ziele unteilbar sind und von Gesundheit über Bildung, menschenwürdige Arbeit, Infrastruktur, Innovation bis zum Klima-, Umwelt- und Meeresschutz reichen. Sie erfordert internationale Zusammenarbeit, denn es geht um Solidarität und globale Gemeingüter. Die Ziele gelten erst dann als erreicht, wenn es auch den Armen besser geht: Wohlstand, der sie nicht erreicht, ist keiner. Was diese Prinzipien für deutsche und europäische politische Entscheidungen bedeuten, werden wir in den nächsten Jahren ausbuchstabieren müssen, wenn wir innen- und außenpolitische Ziele nachhaltiger Entwicklung definieren und erreichen wollen. Dabei müssen wir unsere politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Außenbeziehungen daraufhin prüfen, ob sie sich an diesen Prinzipien orientieren und welche Regeln verändert oder anders ausgelegt werden müssen, damit sie ein faires Miteinander befördern. Die Bundesregierung will die Präsidentschaft der G20 nutzen, um diesen Anspruch voranzubringen und zu verwirklichen. Sie setzt dabei auf die Unterstützung der gesellschaftlichen Kräfte: Wirtschaft, Wissenschaft, Organisationen der Zivilgesellschaft und der Frauen, die Gewerkschaften. Das ist eine richtige Entscheidung, denn gerade wenn die gemeinsame normative Handlungsgrundlage und Orientierung der G20-Staaten politisch fragil erscheint, weil Macht neu verteilt wird (wie etwa in den USA und in Europa), wird meistens auch damit einhergehende Verantwortung neu definiert. Was bedeuten die Prinzipien der 2030 Agenda für die Entwicklungspolitik? Das Prinzip der Universalität fordert von Entwicklungspolitik dazu beizutragen, dass Entwicklungs- und Schwellenländer sich bei nachhaltiger Entwicklung in den Industrieländern einbringen können: Aus dem klassischen Nord-Süd-Gefälle soll eine globale Partnerschaft auf Augenhöhe entstehen. Das bedeutet, sich auf wechselseitiges Lernen und Verändern zwischen ungleichen Partnern aus allen Ländergruppen einzulassen. Die Geberstaaten müssen sich mehr als zuvor an den Prioritäten der Partner orientieren und stärker koordiniert und arbeitsteilig vorgehen, um der thematischen Breite und Unteilbarkeit der Agenda gerecht werden zu können. Die europäische Entwicklungspolitik hat dafür gemeinsame Verfahren vereinbart, die einen guten Rahmen bieten, ebenso Weltbank und Regionalbanken und die UN-Organisationen. Mit neuen Akteuren wie der Asian Infrastructure Investment Bank und der New Development Bank muss die Kooperation ebenfalls gesucht werden. Nur so kann erreicht werden, dass alle Sustainable Development Goals bearbeitet und alle Länder dieser Erde von den gemeinsamen Anstrengungen profitieren. Um die internationale Kooperation zu stärken, reicht die Erhöhung des entwicklungspolitischen Budgets nicht aus. Vielmehr ist notwendig, einen langen Atem mitzubringen, denn solche fundamentalen Veränderungsprozesse sind nicht in kurzen Zeiträumen erfolgreich zu bewerkstelligen. Kooperation braucht daher mittelfristig gültige, gemeinsam verabredete Ziele und Ergebnisse, auf die sich alle Beteiligten verlassen können. Mut zu innovativen Ansätzen gehört ebenso dazu wie Fehlertoleranz. Und schließlich muss die Verteilungsfrage angegangen werden: Entwicklungspolitik muss den Armen und Schutzbedürftigen dienen, direkt und indirekt. Das kann Entwicklungspolitik aber nicht ohne die Unterstützung anderer erreichen: Sie braucht motivierte Regierungen und effektive rechenschaftspflichtige Institutionen in den Partnerländern. Deutliche Anstrengungen in der deutschen und europäischen Handels- und Außenwirtschaftspolitik, in der Finanz- und Steuerpolitik, in der Außen- und Sicherheitspolitik sind dazu ebenso notwendig – dies nicht nur, um Schaden für die Armen und Schutzbedürftigen zu vermeiden, sondern um ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben zu befördern. So kann internationale Kooperation entstehen, die auf Gegenseitigkeit und Vertrauen beruht, die Rechte und Interessen des Anderen anerkennt und sich an fairen Regeln orientiert, die für alle gelten.

2017: Nach dem Zauber des Anfangs

Mon, 19/12/2016 - 13:46
Bonn, 19.12.2016. Das Ende des Jahres 2016 ist weltweit von einem düsterer gewordenen politischen Klima geprägt. Dennoch hatte dieses Jahr Eins der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auch etwas vom „Zauber des Anfangs“ (Meister Eckhart). Nach den historischen Beschlüssen des Jahres 2015 zur Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen und dem Pariser Klimaabkommen hat das Jahr 2016 viel Aufbruch gesehen, innerhalb der Staaten wie international. Bereits 22 Länder aus allen Weltregionen haben ihre Schritte zur nationalen Umsetzung der Agenda 2030 bei den Vereinten Nationen zur Überprüfung vorgestellt. Das Klimaabkommen konnte früh in Kraft treten. Die G7 hat sich zur Umsetzung der Agenda 2030 verpflichtet, zuhause und international. Die G20 hat einen Aktionsplan zur Agenda 2030 vorgelegt. Die BRICS-Länder haben auf ihrem Gipfel beschlossen, hierbei in vorbildlicher Weise voranzugehen. EU und OECD haben erste, wenn auch eher verhaltene Umsetzungsschritte präsentiert. Weltweit haben zahllose Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft die 17 Ziele und die Klimaagenda zu ihrer eigenen Sache gemacht. Ein bemerkenswertes Momentum. Gleichzeitig geben drei Beobachtungen Anlass zu Sorge. Zuviel Selbstverliebtheit Es ist nur natürlich, dass Akteure bei der Umsetzung der Agenda 2030 von sich und ihrem Portfolio ausgehen. Das dadurch entstehende Muster kann aber nicht überzeugen. Die G20 und die Europäische Union ordnen der Agenda im Wesentlichen nur ohnehin schon laufende Aktivitäten zu, ähnlich verhalten sich viele nationale Akteure. Dies hilft sicher bei der Positionierung in der Welt der Agenda 2030. Notwendig ist aber ein zusätzlicher Schritt, der mit Selbstüberprüfung beginnen muss: Wo bleibt das jeweilige Land, der jeweilige Akteur am deutlichsten hinter den Zielen zurück? Wo ist sein Umsetzungsbeitrag für die globalen Ziele besonders gefordert? Warum konnten bereits früher gesetzte Ziele nicht erreicht werden? Nur mit Antworten auf diese Fragen können wirklich transformative Beiträge entstehen. Gefangen in Pfadabhängigkeiten Die Erarbeitung der Agenda 2030 konnte sich durchaus von üblichen diplomatischen Mustern der Vereinten Nationen lösen und hat mit dem High-Level-Political Forum on Sustainable Development eine institutionelle Innovation angestoßen. Jenseits davon ist die Umsetzung der Agenda aber weitgehend auf die Institutionen der Vor-2015-Welt angewiesen. Dies birgt zwei Risiken: Zum einen ergreifen und interpretieren Akteure und Institutionen die Agenda entlang ihrer traditionellen Mandate, Missionen und Mitgliedschaften. Zum anderen fehlen in einigen Handlungsräumen, die für den Erfolg der Agenda wichtig sind, entsprechende Akteure oder die Bereitschaft beizutragen. In den Staaten bleiben in der Regel die schon bisher mit Nachhaltigkeits-, Umwelt- und/oder Entwicklungsfragen betrauten Regierungsstellen in der Verantwortung, oft weit entfernt von Bereichen wie Finanz-, Wirtschafts- oder Außenpolitik. International wird die Umsetzungsarchitektur vor allem von Akteuren der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit geprägt. Internationale Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung muss sich aber von stereotypen Nord-Süd- und Süd-Süd-Mustern lösen und auch so etwas wie Nord-Nord umfassen. Gebraucht wird eine transformative Zusammenarbeit in gegenseitiger Solidarität, die auf Veränderung bei allen Beteiligten zielt und Ressourcentransfers weder mit Blick auf Umfang noch auf Richtung in den Mittelpunkt stellt. Kaum Impulse für Gesellschaftspolitik Es gehört zu den Mantras entwicklungs- und umweltpolitischen Denkens, dass Wandel in reicheren Ländern nötig ist, um Armut in ärmeren Ländern zu überwinden und globale öffentliche Güter zu schützen. Der Fluchtpunkt dieses Arguments lag stets außerhalb des eigenen Landes, seine Wirkung blieb entsprechend begrenzt. Die Agenda 2030 spricht nun Entwicklungsanliegen auch von Menschen in reicheren Ländern an. Ihr Leitsatz „leave no one behind“ ist in Europa und Nordamerika von konkreter Relevanz. Dennoch folgen Kommunikation und Rezeption der Agenda in vielen dieser Länder noch zu oft der alten Erzählung. Aber nur wenn die „einheimische“ Dimension der Agenda ernsthaft angenommen wird, kann auch die Akzeptanz von Verantwortung für andere Länder und den Planeten wachsen. Hierzu müssen sich alte wie aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse mit der Agenda 2030 verbinden, neuartige und ungewöhnliche Dialoge und Allianzen entstehen. Gerade auch die klassischen Unterstützer der Agenda sollten ihre Komfortzonen verlassen. Drei transformative Vorschläge Damit die Agenda 2030 weiter Tritt fassen kann, brauchen wir 2017 einen zweiten Zauber des Anfangs. Drei Vorschläge für transformative Kooperation: (1.) In Frankreich, Italien und Deutschland verpflichten sich die jeweiligen demokratischen Parteien, die Agenda 2030 zu einem zentralen Bezugspunkt ihrer Wahlplattformen zu machen. (2.) Nordamerika und Europa schaffen einen hochrangigen Dialog- und Kooperationsrahmen für die nachhaltige Entwicklung beider Kontinente. (3.) Die G20 vereinbaren einen gemeinsamen Lernprozess von Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft zum Umbau ihrer Kohlereviere. Die Umsetzung der Agenda 2030 darf nicht zu bürokratisch-diplomatischer Pflichtübung verkommen, sonst „droht Erschlaffen, [denn] nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen“ (Hermann Hesse).

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