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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 2 months 2 days ago

The New EU Migration and Asylum Package: Breakthrough or Admission of Defeat?

Tue, 06/10/2020 - 00:00

On 23 September 2020, the European Commission presented its long-awaited draft of a new migration and asylum package to overcome the protracted blockade in this policy area. Central elements are the planned preliminary examinations of asylum applications at the external borders of the European Union (EU) and a new division of labour among the member states, which in the future will have the choice between accepting asylum seekers and returning those who have been rejected. The risk of human rights violations inherent in these suggestions is immense. However, since this also applies to the status quo – as the situation on the Greek islands shows – the pros and cons of the reform proposal must be carefully weighed up. Support for the reform package can only be justified if the combination of restrictive and protection-oriented elements, as intended by the Commission, is maintained in the intergovernmental negotiations.

The European Parliament’s Involvement in the EU Response to the Corona Pandemic

Mon, 05/10/2020 - 00:00

Since the beginning of 2020, European Union (EU) institutions have adopted a number of measures in response to the corona pandemic to coordinate Member States’ con­tain­ment efforts and provide European resources for joint reconstruction. The EU re­covery fund will set the course that will shape European integration. Nevertheless, despite its budgetary rights, the European Parliament (EP) has remained an onlooker for most of these decisions, as it did during the euro and refugee crises. In order to strengthen democratic legitimacy and the European perspective, the EP should be more closely involved in the EU recovery fund in the short term, and in the long term be given a co-decision role in the EU’s crisis policy instruments.

Bundeswehr und Weltraum

Thu, 01/10/2020 - 00:00

Mit der Einrichtung einer Operationszentrale für Luft- und Weltraum, des Air and Space Operations Centre (ASOC), führt die Bundeswehr mehrere Fähigkeiten in einer zentralen Einrichtung zusammen. Was im ersten Augenblick nach Science Fiction klingt, ist eine notwendige Reaktion auf die wachsende militärische Bedeutung des Weltraums als operative Dimension. Weltraumoperationen werden dadurch zwar nicht über Nacht zum Alltag. Mittel- bis langfristig bietet das neue Zentrum aber Möglichkeiten der multidimensionalen Integration, die sich als Innovationstreiber für die Streitkräfte insgesamt erweisen können. Um dieses Potential auszuschöpfen, sind weitere personelle und strukturelle Anpassungen notwendig.

EU-Sondergipfel: Klare und gemeinsame Position gegenüber China

Wed, 30/09/2020 - 00:00

Anfang Oktober kommt der Europäische Rat zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammen. Auf der Tagesordnung steht unter anderem das Thema einer gemeinsamen Strategie gegenüber China. Die Staats- und Regierungschefs sollten hier die Themen Investitionsabkommen und Menschenrechte aufgreifen und zu einer klaren gemeinsamen Position kommen. Sie können diese selbstbewusst vertreten und Zugeständnisse von China fordern. Denn gerade heute ist das Land von der EU so abhängig wie selten zuvor.

Das liegt zum einen am Konflikt mit den USA, mit denen sich China seit zwei Jahren in einem Handelsstreit befindet. Selbst wenn im November US-Präsident Donald Trump die Präsidentschaftswahl verliert, kann China nicht mit einer Kehrtwende der amerikanischen China-Politik rechnen. Einen Konflikt an zwei Fronten, also mit den USA und der EU, wird die chinesische Regierung daher auch zukünftig zu vermeiden versuchen.

Zum anderen hängt Chinas wirtschaftliches Wachstum auch von der Entwicklung auf dem Weltmarkt ab – und das gerade im Kontext der COVID-19-Pandemie. Zweistellige Wachstumsraten hatte das Land zuletzt im Jahr 2010. Im vergangenen Jahr legte das chinesische Bruttoinlandsprodukt nur noch um 6,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Bei einer durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten schweren wirtschaftlichen Krise, etwa durch das Wegbrechen von Lieferketten zwischen der EU und China, drohen großflächige Insolvenzen, insbesondere im chinesischen Mittelstand. Millionen Arbeitsplätze wären gefährdet.

China braucht daher seinen größten Handelspartner mehr denn je: die EU. Im vergangenen Jahr belief sich das gesamte Handelsvolumen zwischen beiden auf mehr als 540 Milliarden Euro. Der europäische Markt bietet 500 Millionen Konsumenten sowie Technologien, Unternehmen und Know-how, die China benötigt, um seine im Hochtechnologiebereich angestrebte Spitzenposition zu erreichen.

Unzureichende Fortschritte beim EU-China-Investitionsabkommen

Zuletzt trafen sich die EU und China Mitte September zu Spitzengesprächen. Zu den seit 2014 laufenden Verhandlungen über ein Investitionsabkommen zwischen beiden hat es auch dort aus Sicht der EU keine für einen Abschluss ausreichenden Fortschritte gegeben. Sie forderte Verbesserungen, insbesondere bei Marktzugang und nachhaltiger Entwicklung. China sagte zwar weniger staatliche Einflussnahme auf seine Staatsbetriebe sowie mehr Transparenz bei technologischen Transfers und Subventionen zu. Die Regierung drückte sich damit aber um die zentrale Forderung der Europäer. Deren Unternehmen haben nach wie vor nur sehr eingeschränkten Zugang zum chinesischen Markt – vor allem in der Digitalbranche, im Bereich der Elektromobilität und dem Gesundheitssektor. Für chinesische Unternehmen ist die EU hingegen ein weitgehend offener Markt, auch wenn die Investitionskontrollen in den vergangenen Jahren verschärft wurden.

Verbindliche Schritte hin zu größerer Öffnung des chinesischen Markts sowie verbessertem Investitionsschutz kann die EU nur erreichen, wenn sie bei einer harten Verhandlungsposition bleibt. Sie muss auf ihren Forderungen bestehen, so wie sie es während des September-Gipfels und auch in den sechs vergangenen Jahren bereits getan hat. Einzig das drohende Ende der Verhandlungen kann die chinesische Seite zu den Zugeständnissen bewegen, die die EU schon so lange fordert. Angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeit Chinas von der EU ist ein Einlenken Pekings nicht ausgeschlossen. Andernfalls bleibt wohl nur eins: die Verhandlungen zum Investitionsabkommen zu beenden. Dann müsste die europäische Wirtschaft sich mit der strukturellen Benachteiligung in China abfinden, was jedoch bei weiterhin erfolglosen Verhandlungen ohnehin der Fall wäre. China nur um des Abkommens willen entgegenzukommen, wäre nicht zum Vorteil Europas.

Die Menschenrechtssituation in China

Ein anderes konfliktbeladenes Thema, mit dem die EU sich weiter auseinandersetzen muss, sind die Menschenrechte in China. Gerade die Lage der chinesischen Minderheiten und Hongkongs sind zunehmend dramatisch. Feste Zusagen zum Schutz der Menschenrechte sind daher wichtig. Bereits während des EU-China-Gipfels wurden die Details vertagt, als die euro­päi­sche Seite das Sicher­heits­ge­setz für Hong­kong und den Umgang mit Minder­hei­ten in Tibet und Xinjiang ansprach.

In Xinjiang werden nach Ein­schät­zung von Men­schen­recht­lern und Wis­sen­schaft­lern bis zu eine Million Uighuren in Um­er­zie­hungs­la­gern fest­ge­hal­ten. In Hongkong ist seit Anfang Juli ein kontroverses »Sicherheitsgesetz« in Kraft, ein Instrument der chinesischen Regierung, um die Autonomie der Sonderverwaltungsregion einzuschränken und gegen Oppositionelle vorzugehen. Auch verstößt das Sicherheitsgesetz gegen internationales Recht. Es bricht mit dem seit 1984 geltenden Prinzip »Ein Land, zwei Systeme«. Damals einigten sich Großbritannien und China auf die friedliche Übergabe aller Territorien im Jahr 1997 sowie auf Freiheitsrechte und Autonomie der Hongkonger.

Beim Thema Menschenrechte sollte die EU in Zukunft mehr Beharrlichkeit zeigen als bislang – vor allem Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU und Chinas wichtigster europäischer Handelspartner. Beim nächsten EU-China-Menschen­rechts­dia­log, der noch in diesem Jahr stattfinden soll, aber auch bei weiteren EU-China-Dialogen muss die EU konkrete Ergebnisse einfordern. Das bedeutet, die chinesische Seite beim Wort zu nehmen und beispielsweise auf den bereits zugesagten unabhängigen Beobachtern für Tibet und die Arbeitslager in Xinjiang zu bestehen. Darüber hinaus sollte die EU auf dem nun anstehenden Sondergipfel Konsequenzen formulieren für den Fall, dass die chinesische Regierung ihre Menschenrechtspolitik nicht ändert. Das könnten ein Verbot für den Import von Produkten aus Zwangsarbeit oder andere Sanktionen gegen beteiligte Personen sein.

Entschlossenheit und Geschlossenheit sind es, die die EU beim anstehenden EU-Sondergipfel aufbringen muss. Dass dies gelingt ist nicht so unwahrscheinlich wie noch vor einigen Jahren. Gerade bei diesen zwei Themen, Investitionsabkommen und Menschenrechte, tritt die EU mittlerweile immer geschlossener gegenüber China auf. Nun braucht es starke Vorreiter wie Deutschland und Frankreich, die auch bei den hier vorgeschlagenen Schritten Einigkeit unter den EU-Mitgliedstaaten herbeiführen.

Berg-Karabach: Eskalation eines zu oft unterschätzten Konflikts

Tue, 29/09/2020 - 16:00

Seit Sonntagmorgen kommt es zu heftigen Gefechten zwischen armenischen und aserbaidschanischen Truppen entlang der sogenannten »Kontaktlinie« zwischen Aserbaidschan und dem Sezessionsgebiet Berg-Karabach. 1988 hatte sich die armenische Bevölkerungsmehrheit Berg-Karabachs eigenmächtig von Aserbaidschan losgesagt. Der darauffolgende Krieg wurde 1994 zwar durch einen Waffenstillstand eingehegt, doch der blieb brüchig. Die Minsk-Gruppe der OSZE, die damals eingerichtet wurde und in diesem Konflikt vermittelt, konnte bislang keinen Durchbruch erzielen. Die neuerliche Eskalation des seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts kam für die wenigsten Beobachterinnen und Beobachter überraschend. Erst im Juli 2020 hatte es an der aserbaidschanisch-armenischen Staatsgrenze tagelang Kampfhandlungen gegeben. Danach beruhigte sich die Lage etwas, blieb aber weiterhin angespannt. Insbesondere auf der aserbaidschanischen Seite hat sich zunehmend Frust über mangelnde Fortschritte im Verhandlungsprozess angestaut. Nach dem durch Massenproteste erzwungenen Machtwechsel 2018 in Armenien hatte es hier zunächst einige positive Signale gegeben. So wurde etwa eine Hotline zwischen den Konfliktparteien eingerichtet und Kooperation im humanitären Bereich in Aussicht gestellt. Diese positiven Tendenzen wurden aber schon 2019 durch ein erneutes Aufflammen konfrontativer Rhetorik überschattet.

Die jetzige Eskalation ist im höchsten Maße besorgniserregend: Die Konfliktparteien haben das Kriegsrecht verhängt, ihre Bevölkerungen wurden mobilisiert, großkalibrige Waffen und schweres Gerät sind im Einsatz, Berichte über eingesetzte Drohnen und Kampfhubschrauber zirkulieren. Beide Seiten präsentieren lange Listen an zerstörtem gegnerischem Kriegsgerät. Die Informationslage ist unübersichtlich, es scheint Dutzende Tote und Verletzte zu geben, darunter wohl auch etliche Zivilistinnen und Zivilisten.

Der Mangel an verlässlichen Informationen bzw. der Überfluss an Desinformation sind ein zentrales Problem in diesem Konflikt, der ebenso wie mit realen Waffen in den (sozialen) Medien geführt wird; für die herrschenden Eliten auf beiden Seiten ist er wichtiger Bestandteil ihrer Legitimationsstrategien. Es gibt keine Beobachtungsmission, die vor Ort stationiert wäre und ein unabhängiges Monitoring durchführen könnte. Im Gegenteil: Selbst die vorangemeldeten Inspektionsbesuche des kleinen Teams um den Persönlichen Repräsentanten des amtierenden Vorsitzenden der in diesem Konflikt vermittelnden OSZE wurden aufgrund der Covid-19-Pandemie eingestellt.

Schwache internationale Vermittlung

Wie immer im Fall einer neuerlichen Eskalation des Konflikts rufen internationale Akteure zur Waffenruhe und zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Diese Aufrufe können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die internationale Aufmerksamkeit für den Konflikt ansonsten gering ist. Die Aktivitäten der Minsk-Gruppe haben schon lange an Dynamik verloren. Washington, das sich mit Moskau und Paris deren Vorsitz teilt, mangelt es sowohl an einer Strategie als auch an Interesse an der Region. Moskau, das schon beim sogenannten Viertagekrieg vom April 2016 eine Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien vermittelt hatte, suchte am Sonntag immerhin früh das Gespräch mit den Außenministern in Eriwan und Baku. Es ist allerdings kein neutraler Akteur in diesem Konflikt und verfolgt zudem Partikularinteressen. So unterhält Russland durch die gemeinsame Mitgliedschaft in der Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit ein Verteidigungsbündnis mit Armenien und ist mit einer Militärbasis dort präsent. Gleichzeitig hat es in der Vergangenheit immer wieder Waffen an beide Konfliktparteien geliefert. Trotz dieser ambivalenten Rolle Moskaus und seiner politischen Differenzen mit Washington – zumindest im Rahmen des Co-Vorsitzes der Minsk-Gruppe sollen Russland und die USA über die Jahre vergleichsweise gut zusammengearbeitet haben. Die derzeitige politische Großwetterlage lässt Zweifel daran aufkommen, ob das heute noch der Fall ist; falls nicht, würde die Arbeit der Minsk-Gruppe weiter erschwert. Aus Paris, aber auch aus der Europäischen Union kommen bislang vor allem mahnende Worte und Aufrufe zur Deeskalation. Zwar finanziert die EU wichtige zivilgesellschaftliche Projekte im Bereich der Konfliktbearbeitung, eine direktere Vermittlungsrolle hat sie bislang indes nicht übernommen.

In Eskalationsphasen wird immer wieder deutlich, wie brisant dieser Konflikt ist, nicht zuletzt durch die internationalen Verflechtungen der Konfliktparteien. Denn nicht nur Russland und Armenien unterhalten ein Verteidigungsbündnis. Auch Aserbaidschan und die Türkei betonen den (militärischen) Schulterschluss. Seit 2010 gibt es mit dem Agreement on Strategic Partnership and Mutual Support eine Beistandsklausel für den Fall eines Angriffs. Erst Ende Juli/Anfang August hatten gemeinsame Militärübungen stattgefunden. In den darauffolgenden Wochen und in der aktuellen Eskalation ist eine deutlich schärfere Rhetorik aus Ankara zu beobachten. Auch ohne eine Beteiligung weiterer Akteure am Kampfgeschehen – etwas, wovor derzeit am stärksten gewarnt wird – ist das Zerstörungspotential dieses Konflikts enorm. Armenien und Aserbaidschan zählen zu den zehn am stärksten militarisierten Ländern weltweit; nach dem Viertagekrieg von 2016 haben beide ihre Waffenbestände nochmals aufgestockt.

Es ist weiterhin gültig, dass der zentrale Schlüssel zu dem Konflikt in der Region selbst liegt. Außen- und Innenpolitik sind hier eng miteinander verknüpft. Die aktuelle Eskalation zeigt aber dennoch ein weiteres Mal, dass die internationale Gemeinschaft den Fehler gemacht hat, sich in vergleichsweise ruhigen Phasen mit dem nur scheinbar eingefrorenen Status des Konflikts zu arrangieren. Deutschland und die EU sollten die Eskalation nun als drängenden Weckruf verstehen, sich stärker diplomatisch zu engagieren.

Europa schaffen mit eigenen Waffen?

Tue, 29/09/2020 - 00:00

Europa ist erst voll souverän, wenn es sich selbst verteidigen kann. So wie die USA müsste Europa in der Nato seine existentielle Sicherheit ohne Beistand des anderen gewährleisten können.

Für die Herstellung einer solchen Statusparität gibt es strukturelle und aktuelle Gründe. Der strukturelle Aspekt ist, dass Abhängigkeit selbst unter Freunden ihren Preis hat. Aktuelle Gründe sind: Transatlantischer Umbruch, Chinas Herausforderung, sino-amerikanische Rivalität, Putins Russland und die Welt-Unordnung.

Für europäische Selbstverteidigung sind vier Anforderungen zu erfüllen: breite und tiefe Integration, ausreichende militärische Fähigkeiten, taugliche Strategie und politische Führung.

Verteidigungspolitische Autonomie erfordert eine eigenständige nukleare Abschreckungsfähigkeit. Im Fall der EU heißt das: weder originäre, einem einzigen Staat vorbehaltene noch erweiterte Abschreckung, wie sie die USA liefern.

Das Fundament dieser neuartigen »integrierten Abschreckung« wäre eine Solidar- und Vertrauensgemeinschaft, die abgesichert wäre durch französische Nuklearstreitkräfte, ohne die Entscheidungshoheit des französischen Präsidenten anzutasten.

Deutschland und Frankreich müssten die Initiative ergreifen, indem sie, wie im Aachener Vertrag vom 22. Januar 2019 bekundet, »ihre bilateralen Beziehungen auf eine neue Stufe heben«, was eine Verschränkung ihrer militärischen Potentiale und Kulturen einschließen müsste.

Dies würde Deutschland und seiner »Kultur der militärischen Zurück­haltung« einiges abverlangen: bei Verteidigungsausgaben, Einsätzen und Rüstungsexporten. Dafür braucht es eine tabulose Debatte über die Rolle des Militärischen für ein Europa, das »sein Schicksal selbst in die Hand« nimmt (Bundeskanzlerin Angela Merkel).

The Global Compact for Migration and Public Health in the Context of the Covid-19 Pandemic

Tue, 29/09/2020 - 00:00

The Covid-19 pandemic has made policy-makers aware of the challenges of maintaining quality health care in times of crisis. Strengthening health systems is the key to meeting these challenges. The implementation of the Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration (GCM), agreed in December 2018, can make an important con­tribution in this respect. A comparison of the GCM objectives with the basic pillars of health systems defined by the World Health Organization (WHO) shows what this con­tribution could look like. There are many synergies and opportunities for action. The health policy potential of the GCM lies specifically in improving access to health services and meeting the demand for health professionals.

Das demokratische Dilemma im autoritären Venezuela

Mon, 28/09/2020 - 00:00

Ob sich die Opposition in einem autoritären Regime an unfairen Wahlen beteiligen sollte oder nicht, ist ein althergebrachtes demokratisches Dilemma. Soll sie um jede noch so winzige Partizipations- und Repräsentationschance kämpfen und in Kauf nehmen, die Wahl durch ihre Teilnahme zu legitimieren? Oder soll sie zum Wahlboykott aufrufen und somit von vornherein auf institutionellen Einfluss verzichten? Auf diese Fragen gibt es keine allgemeingültige Antwort, die demokratischen Erfolg garantiert. In Venezuela hatte die Opposition bereits unter der Präsidentschaft von Hugo Chávez beide Möglichkeiten ausprobiert. Dass sie sich nun mit Blick auf die Wahlen für die Nationalversammlung (NV), das Einkammerparlament, am 6. Dezember 2020 vor diesem Dilemma spaltet und ihre Konflikte in der Öffentlichkeit austrägt, ist die schlechteste aller Optionen.

Die Opposition ist gespalten

In einem politischen System gleichgeschalteter Gewalten ist die NV die einzig übrig gebliebene politische Institution mit pluralistischer Zusammensetzung. Diese diente der NV als demokratische Legitimation, ihren Vorsitzenden, Juan Guaidó, Anfang 2019 zum Interimspräsidenten Venezuelas zu erklären. Ansonsten war die NV aber machtlos, da die Exekutive und Judikative ihre Beschlüsse aberkannten. Ab 2017 übernahm dann eine durch die Regierungskräfte dominierte Verfassungsgebende Versammlung die gesetzgeberischen Aufgaben. Nun streiten sich drei Führungsfiguren der heterogenen Opposition über die politische Frage, während die humanitäre und sozioökonomische Agenda in den Hintergrund rückt: Herique Capriles, Mitglied der Partei Primero Justicia, befürwortet eine Wahlbeteiligung und unterstützt das Wahlbündnis »Die Kraft des Wandels«. Juan Guaidó, Abgeordneter der Partei Voluntad Popular, suchte in den vergangenen anderthalb Jahren hin und wieder den Dialog mit Regierungsmitgliedern. Er plädiert mit seinem »Einheitspakt für die Freiheit und freie Wahlen«, dem sich zahlreiche politische Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen angeschlossen haben, für einen Wahlboykott, eine Volksbefragung und die Mobilisierung der Bevölkerung. Die Vorsitzende von Vente Venezuela, María Corina Machado, ist ebenfalls gegen eine Wahlbeteiligung. Gespräche mit der Maduro-Regierung lehnt sie ab. Den einzig möglichen Weg für einen Regimewechsel sieht sie in einer internationalen Militärintervention.

Die Regierung taktiert

Auf der anderen Seite bemüht sich die Maduro-Regierung um eine innen- wie außenpolitische Legitimierung der Parlamentswahlen. Mehrere politische Gefangene wurden freigelassen, im Exil lebende politisch Verfolgte erhielten eine »Begnadigung« und internationale Regierungsorganisationen wurden eingeladen, Wahlbeobachtungsmissionen zu entsenden. Diese Konzessionen ändern jedoch wenig an der strukturellen Schieflage. Der Oberste Gerichtshof und die Wahlbehörde, die zentralen Institutionen im Wahlprozess, handeln als verlängerter Arm der Exekutive. Sie haben den Vorstand einiger Oppositionsparteien mit dem Vorwand einer »verfassungsmäßigen Vormundschaft« gegen regierungsnahe Politiker ausgetauscht und gravierende Eingriffe in das Wahlrecht vorgenommen, die unter anderem die Partizipationsrechte der Indigenen beschneiden. Der im September veröffentlichte UN-Menschenrechtsbericht dokumentiert zudem detailliert Staatsterror unter direkter Verantwortung der Regierungsspitze.

Die demokratische Legitimation ist ungewiss

Mit ihrer Wahlstrategie riskiert die Regierung eine hohe Wahlenthaltung. Zwar ist unter den unfairen Bedingungen ein Wahlerfolg der teilnehmenden Oppositionskräfte auszuschließen; sie könnten aber einige Mandate erlangen. Wenn Guaidó, wie erwartet, die Wahlergebnisse nicht anerkennt, wird es sicherlich in seinem Interesse sein, unter Berufung auf »administrative Kontinuität« auf seiner Interimspräsidentschaft zu beharren. Nachdem diese ihre anziehende Symbolkraft im politischen Kampf eingebüßt hat, würde sie nun auch ihren institutionellen Charakter verlieren und in Konkurrenz mit den oppositionellen gewählten Abgeordneten geraten. Diesen Kandidatinnen und Kandidaten fehlt heute ein starker Rückhalt aus dem Ausland, da die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die Europäische Union (EU) eine Wahlbeobachtung abgelehnt haben. Seit dem 24. September führt aber eine EU-Delegation in Caracas Gespräche mit verschiedenen politischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen und bemüht sich um wahlrechtliche Mindeststandards. Doch ab kommendem Jahr könnten sich Teile der internationalen Gemeinschaft auch zunehmend schwertun, Guaidó mit Rückgriff auf konstitutionelle beziehungsweise juristische Argumente weiter zu unterstützen.

Humanitäre Hilfe ist dringend notwendig

Eine Militärintervention aus dem Ausland ist nicht zu empfehlen und es wird auch nicht dazu kommen: Selbst der US-Sonderbeauftragte für Venezuela hat die Hoffnungen von Machado als »magischen Realismus« abgetan. Eine US-Regierung von Joe Biden dürfte sich von dieser Option noch weiter entfernen. Genauso wenig wird ein Wahlboykott oder eine Wahlbeteiligung im Dezember – und noch weniger die Kombination aus beiden – Maduro zum Sturz bringen. Inmitten einer humanitären Katastrophe in Pandemie-Zeiten kann auch der Druck der Straße nicht aufgebaut werden. Ein Macht- oder zumindest ein Regierungswechsel wird sich viel wahrscheinlicher aus Rissen in den regimetragenden Reihen ergeben – und vielleicht zu Beginn nicht mal eine nennenswerte Demokratisierung bedeuten. Und wenn eines Tages die Stunde der Opposition schlägt, was wird ihr Verdienst in den Augen der Bevölkerung sein? Wie stark wird sie sich für humanitäre Hilfe eingesetzt haben? Die Konzentration auf die politische Machtfrage hat sie von anderen, vielleicht sogar wichtigeren Aufgaben abgelenkt und jetzt noch einmal gespalten. Deutschland und Europa sollten zusammen mit lateinamerikanischen Staaten Geschlossenheit innerhalb der Opposition und ihre Verbindungen zur venezolanischen Diaspora fördern sowie Dialogkanäle mit der Maduro-Regierung offen halten. Während längerfristig Pläne für einen Übergang und Aufbau benötigt werden, sollte man den Fokus jetzt auf den Schutz der Zivilgesellschaft vor Not und Gewalt lenken.

Das neue EU-Migrations- und Asylpaket: Befreiungsschlag oder Bankrotterklärung?

Fri, 25/09/2020 - 00:10

Am 23. September 2020 hat die Europäische Kommission ihren lange erwarteten Ent­wurf eines neuen Migrations- und Asylpakets vorgelegt, das die seit Jahren andauernde Blockade in diesem Politikfeld überwinden soll. Zentrale Elemente sind die geplanten Vorprüfungen von Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und eine neue Arbeitsteilung unter den Mitgliedstaaten, die künftig die Wahl haben zwischen der Aufnahme von Schutzsuchenden und der Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Die menschenrecht­lichen Risiken, die diesen Neuerungen anhaften, sind immens. Da dies aber – wie die Lage auf den griechischen Inseln zeigt – auch für den Status quo gilt, ist das Für und Wider des Reformvorschlags sorgfältig abzuwägen. Eine Unterstützung des Reform­pakets lässt sich nur rechtfertigen, wenn die von der Kommission angestrebte Kopp­lung restriktiver und schutzorientierter Elemente in den zwischenstaatlichen Ver­handlungen beibehalten wird.

Das Europäische Parlament und die Corona-Pandemie

Wed, 23/09/2020 - 00:10

Seit Anfang 2020 haben die EU-Institutionen mit einer Reihe von Sondermaßnahmen auf die Corona-Pandemie reagiert, um die Eindämmungsbestrebungen der Mitgliedstaaten zu koordinieren und europäische Mittel für einen gemeinsamen Wieder­aufbau zur Verfügung zu stellen. Mit dem EU-Wiederaufbaufonds werden Weichen gestellt, welche die europäische Integration prägen werden. Dennoch ist das Euro­päische Parlament trotz seiner Haushaltsrechte bei den meisten dieser Entscheidungen Zuschauer geblieben, wie bei Euro- und Flüchtlingskrise. Um die demokratische Legitimation und die europäische Perspektive zu stärken, sollte das EP kurz­fristig intensiver in den EU-Wiederaufbaufonds eingebunden werden und langfristig eine Mitentscheidungsrolle bei EU-Kriseninstrumenten bekommen.

Heron TP – und dann? Implikationen einer Bewaffnung deutscher Drohnen

Wed, 23/09/2020 - 00:00

Seit Jahren wird eine politische und technische Diskussion über die Ausrüstung der Bundeswehr mit Drohnen und deren Bewaffnung geführt. Die Bewaffnung der bereits geleasten Heron TP erscheint für sich genommen eher unproblematisch, hätte jedoch weitreichende Auswirkungen. Insbesondere können bewaffnete Drohnen der erste Schritt sein in Richtung autonomer Waffensysteme. Hier ist auch der Bundestag ge­fragt: Er kann die Entwicklungsrichtung bestimmen, muss sich aber in naher Zukunft mit Einsatzszenarien und weiteren Drohnen-Projekten auseinandersetzen.

Bekanntes Brexit-Theater, neue Rahmenbedingungen

Tue, 22/09/2020 - 00:00

Auf den ersten Blick scheint sich bei den Brexit-Verhandlungen die Geschichte zu wiederholen. Zwar ist das Vereinigte Königreich zum 31. Januar 2020 formell aus der EU ausgetreten. Allerdings befindet es sich bis zum Ende des Jahres noch in einer Übergangsphase. Wird bis dahin keine Einigung über die zukünftigen Beziehungen ausgehandelt, droht der No-Deal-Brexit – ein Ausstieg ohne Handelsabkommen.

Im Herbst 2019 mündeten die Verhandlungen trotz oder gerade wegen des politischen Dramas am Ende doch in einer Einigung. Boris Johnson machte große Zugeständnisse in Bezug auf einen Sonderstatus für Nordirland, um einen möglichst großen Freiraum für den Rest Großbritanniens zu ermöglichen, wozu die frühere Premierministerin Theresa May nicht bereit gewesen war. Er verkaufte diese aber als diplomatischen Erfolg und gewann unter dem Motto »Get Brexit done« die britischen Parlamentswahlen. Nun hat Premierminister Boris Johnson die Grenze Nordirlands parallel zu den erneut stockenden Verhandlungen wieder auf die Tagesordnung gesetzt – mit seiner Gesetzesvorlage zum britischen Binnenmarkt. Diese soll der britischen Regierung ermöglichen, notfalls ihre Verpflichtungen aus dem Austrittsabkommen mit der EU zu brechen, indem der vereinbarte Sonderstatus für Nordirland ausgehebelt wird. In Westminster kündigen Parteigranden der Konservativen an, gegen den Gesetzesvorschlag der Regierung zu stimmen. Derweil droht Boris Johnson der EU, dass auch ein No-Deal-Brexit ein gutes Ergebnis für London sei.

Kein parlamentarisches Gegengewicht

Die politischen Rahmenbedingungen der aktuellen Brexit-Verhandlungen sind jedoch anders als in der ersten Runde. Die rechtliche Flexibilität der Austrittsverhandlungen gemäß Artikel 50 EU-Vertrag ermöglichte Brüssel und London den drohenden No-Deal-Brexit durch insgesamt drei Fristverlängerungen abzuwenden. Die zurzeit laufende Übergangsphase hätte gemäß Austrittsabkommen jedoch nur einmal verlängert werden können, mit einem Beschluss bis zum 1. Juli 2020. Diese Frist hat die britische Regierung bewusst verstreichen lassen, um den Druck auf die aktuellen Verhandlungen zu erhöhen – obwohl ein No-Deal-Brexit nunmehr eine auch durch die Corona-Pandemie massiv geschwächte britische Wirtschaft treffen würde. Ohne Einigung gibt es zum 1. Januar 2020 aber keine Alternative dazu.

Anders als im vergangenen Jahr gibt es kein parlamentarisches Gegengewicht mehr, das die Regierung Johnson einschränkt. Vor den Neuwahlen im Dezember 2019 hatte Johnson keine eigene Mehrheit, und eine fragile Koalition aus Labour, Liberaldemokraten und konservativen Rebellen zwang ihn zu einer Verlängerung, um den No-Deal-Brexit zu verhindern. Nun verfügen die Konservativen über eine deutliche Mehrheit von 364 zu 278 Abgeordneten. Im Zuge der parlamentarischen Machtkämpfe um den Brexit wurden fast alle moderaten Stimmen aus der konservativen Fraktion gedrängt. Während Theresa May noch laufend mit ihrem Kabinett über den richtigen Brexit-Kurs rang, hat Johnson alle seine Minister auf seine harte Linie verpflichtet. Zudem wurden führende britische Beamte von ihren Posten gedrängt; zuletzt trat etwa der Leiter des juristischen Diensts der Regierung aus Protest gegen den bewussten Bruch der Verpflichtungen aus dem Austrittsabkommen zurück. Schlüsselpositionen wurden mit überzeugten Brexit-Befürwortern besetzt. Die neue Generalstaatsanwältin und Brexit-Befürworterin Suella Braverman etwa verteidigte den anvisierten Bruch des Austrittsabkommen mit dem Verweis auf die Parlamentssouveränität, während ihre direkten Amtsvorgänger die Pläne der Regierung scharf kritisierten.

Johnson muss die Verantwortung übernehmen

Trotz Unmuts über den bewussten Bruch völkerrechtlicher Verpflichtungen auch bei einigen Konservativen: Aus dem Unterhaus oder der Regierung wird es keine ausreichend große konservative Rebellion gegen Johnson geben. Das Oberhaus, in dem die Regierung keine Mehrheit hat, könnte die kontroverse Binnenmarktgesetzgebung zwar noch stoppen oder zumindest verzögern, den No-Deal-Brexit aber nicht verhindern. Damit fehlt jegliche innenpolitische Korrektur, die die Regierung von ihrem harten Brexit-Kurs abbringen könnte. Johnson kann daher glaubwürdig mit dem No-Deal-Brexit drohen – oder ihn sogar mutwillig herbeiführen.

Die Kehrseite dieser Machtfülle ist, dass Johnson die alleinige Verantwortung für den Verlauf der Brexit-Verhandlungen übernehmen muss. Angesichts des im europäischen Vergleich bis dato schlechten Corona-Managements steht er innenpolitisch trotz der komfortablen Mehrheit bereits unter Druck. Bei einem No Deal müsste er einen zusätzlichen wirtschaftlichen Einbruch sowie steigenden Druck aus Schottland in Kauf nehmen, das die Unabhängigkeit anstrebt. Für eine Einigung mit der EU müsste er wiederum klare Zugeständnisse machen und diese seinen Hardlinern verkaufen – und das dürfte schwer werden. Denn seine scharfe Rhetorik hat dazu geführt, dass eine Kurskorrektur, wie die Rücknahme der kontroversen Klauseln aus der Binnenmarktgesetzgebung oder Kompromisse mit der EU in den Handelsverhandlungen, nunmehr als Niederlage der Regierung gelten würde.

Die EU muss geduldig sein

Noch ist unklar, ob die jüngsten Drohgebärden aus London primär Verhandlungstaktik oder rhetorische Vorbereitung für das »Blame Game« sind, also das Zuschieben von Verantwortung im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen. Der EU fordert diese Verhandlungssituation wieder viel strategische Geduld ab. Trotz allen innenpolitischen Theaters in London liegt es weiterhin im europäischen Interesse, einen Handelsvertrag mit ihrem direkten Nachbarn Großbritannien auszuhandeln. Ein Abbruch der Verhandlungen seitens der EU würde zudem den Hardlinern in London in die Hände spielen, die die Union für einen No-Deal Brexit verantwortlich machen wollen. Gleichzeitig kann die EU nicht akzeptieren, dass ein bereits ausgehandelter und ratifizierter Vertrag gezielt gebrochen wird.

Sie sollte daher weiter gesprächsbereit sein, aber den Abschluss der Verhandlungen daran knüpfen, dass die Klauseln in der Binnenmarktgesetzgebung, die dem Austrittsabkommen zuwiderlaufen, aus der Gesetzesvorlage entfernt werden. In den nächsten Wochen wird es noch viel politisches Drama aus London geben. Die EU sollte sich davon nicht beirren lassen und bei ihrer klar kommunizierten Linie bleiben.

Sustainable Supply Chains in the Agri­cultural Sector: Adding Value Instead of Just Exporting Raw Materials

Mon, 21/09/2020 - 00:00

The corona pandemic has placed supply chains back on the agenda. The economic repercussions spotlight the complexity of today’s global division of labour. Current German and European initiatives are seeking to tighten the responsibility of final business consumers for human rights and sustainability in their supply chains. The objective is to enforce sustainable production in sovereign third countries. In the case of agriculture these explicitly supply chain–based approaches need to be backed up by improvements in the European Union’s trade, investment and agricultural policies. Influencing agricultural supply chains in such a way as to overcome their specific sustainability and human rights problems will require all approaches to be combined. Currently, conventional approaches treat supply chains in isolation, and only address imports flowing into the EU. As such, they consider developing countries exclusively in their traditional role as suppliers of raw agricultural commodities and ignore options for increasing local value added and fostering development.

Auf dem Prüfstand: Japans neuer Premierminister Yoshihide Suga

Thu, 17/09/2020 - 00:00

Mit klarer Mehrheit hat das japanische Parlament am Mittwoch Yoshihide Suga zum Nachfolger Shinzo Abes gewählt. Der hatte nach rund acht Jahren aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt erklärt. Mit seiner bereits am Montag erfolgten Wahl zum Präsidenten der regierende Liberaldemokratische Partei LDP war Suga die Wahl zum Regierungschef schon sicher. Aufgrund seiner Rolle als langjähriger Vertrauter Abes steht er für politische Kontinuität. Auch er selbst definiert die Fortsetzung von Abes Politik als seine »Mission«. Und wie Abe als Regierungschef hat auch Suga mit rund acht Jahren Amtszeit einen Rekord aufgestellt, nämlich den als am längsten amtierenden Chefkabinettssekretär, einem zentralen Posten mit Ministerrang. In dieser Position bewies er Geschick als innenpolitischer Strippenzieher und trug so zur Stabilität der Abe-Regierung bei, deren Sprecher er zugleich war.

Auf der anderen Seite mangelt es Suga aber an außenpolitischer Erfahrung, auch wenn er durch seine Teilnahme an den Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats durchaus mit den strategischen Prioritäten der Abe-Regierung vertraut sein dürfte. Doch gerade hier, in der Außen- und Sicherheitspolitik, muss er sich angesichts Chinas machtpolitischen Auftretens und Nordkoreas militärischer Aufrüstung beweisen.

Mehr als nur Kontinuität gefragt

Wie viel Aufmerksamkeit er der Außen- und Sicherheitspolitik schenken wird, ist allerdings ungewiss. Die Prioritäten für seine Amtszeit hat Suga bereits klargemacht: Er will die Corona-Pandemie bekämpfen und die angeschlagene japanische Wirtschaft ankurbeln. Die enormen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen lassen sich aber nicht beiseiteschieben. Geschick und Führung wird Suga vor allem in vier Bereichen beweisen müssen.

Erstens muss seine Regierung den künftigen Kurs gegenüber China festlegen, das in Japan als Bedrohung wahrgenommen wird. In den vergangenen Jahren hatte die Abe-Regierung hier sowohl auf eine Politik der Konfrontation als auch der Kooperation gesetzt. So wollte sie sich ein Mindestmaß an bilateraler Stabilität für die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit sichern. Innerhalb der LDP mehren sich die Stimmen, die eine härtere Gangart gegenüber China fordern. Dies wird bestärkt durch Chinas wachsende Präsenz in den Gewässern um die umstrittenen Senkaku-Inseln – die von Japan kontrolliert, aber von China beansprucht werden – sowie das harte Durchgreifen in Hongkong und die Menschenrechtsverstöße gegen die Uiguren. Im Juli verabschiedete die LDP eine Resolution, in der sie die Regierung aufforderte, den für April geplanten, aber durch die Pandemie verschobenen Staatsbesuch Xi Jingpings endgültig abzusagen. Suga muss nun entscheiden, ob er dieser Forderung nachkommen und wie er die Politik gegenüber Beijing insgesamt ausgestalten will.

Zweitens muss Suga schnell ein gutes Verhältnis zum US-Präsidenten Donald Trump aufbauen, denn in Japan besteht Konsens darüber, dass das Sicherheitsbündnis mit den Vereinigten Staaten von zentraler Bedeutung ist. Er muss auf Trump zugehen, gleichzeitig aber auch darauf gefasst sein, dass dieser im November die Präsidentschaftswahlen verliert. Sollte Trump gewinnen, stehen Tokio wohl schwierige Verhandlungen über Japans finanzielle Beiträge zur Stationierung der US-Truppen bevor.  Ein gutes persönliches Verhältnis zu Trump, wie es Abe pflegte, könnte Spannungen in den Verhandlungen abfedern.

Abschreckung und Diplomatie

Drittens stehen in Japans Verteidigungspolitik aufgrund der wachsenden Bedrohung durch nordkoreanische und chinesische Raketen wichtige Entscheidungen an. Zum einen muss Suga über die Weiterentwicklung der japanischen Raketenabwehr entscheiden. Im Juni hatte Verteidigungsminister Taro Kono die geplante Anschaffung des Raketenabwehrsystems »Aegis Ashore« abgesagt. Doch ersatzlos streichen will Tokio das Projekt nicht – deshalb werden nun andere Optionen diskutiert, wie die Anschaffung weiterer Schiffe für die seegestützte Raketenabwehr. Unumstritten sind derart kostspielige Investitionen aber nicht, vor allem weil unklar ist, ob sie gegen Nordkoreas und Chinas wachsende Raketenfähigkeiten überhaupt noch ausreichend Schutz bieten. Deshalb wird in der LDP parallel darüber diskutiert, ob Japan Langstreckenraketen anschaffen sollte, die Vergeltungs- oder möglicherweise sogar Präventivangriffe auf gegnerische Raketenbasen ermöglichen. Einige LDP-Politiker würden die Anschaffung derartiger Waffen gerne in den neuen Nationalen Verteidigungsrichtlinien festschreiben, die bis Ende des Jahres überarbeitet werden sollen. Die Diskussionen darüber lösen in der antimilitaristisch eingestellten Bevölkerung allerdings Unbehagen aus.

Zuletzt wird auch das angespannte Verhältnis zu Südkorea Sugas Fingerspitzengefühl fordern. Tokio und Seoul streiten sich über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter aus der japanischen Kolonialzeit. Nach Tokios Lesart sind die Ansprüche abgegolten – nämlich durch den Grundlagenvertrag von 1965 und das zugehörige Abkommen zur Regelung von Schadensersatzansprüchen. Das Oberste Gericht Südkoreas widerspricht dem und argumentiert, individuelle Ansprüche seien durch den Vertrag nicht erloschen. Der Streit hat beidseitige historische Ressentiments aufflammen lassen, die zu einer Verhärtung der Fronten beigetragen haben. In Südkorea laufen derzeit juristische Prozesse, um von der japanischen Firma Nippon Steel beschlagnahmte Vermögenswerte zu verkaufen und dadurch ehemalige Zwangsarbeiter zu entschädigen. Damit würden die Beziehungen in eine ernsthafte Krise rutschen, denn Tokio hat bereits Vergeltungsmaßnahmen angekündigt.

Turnusgemäß findet die nächste LDP-Präsidentschaftswahl bereits im September 2021 statt. Will er über diesen Zeitpunkt hinaus im Amt bleiben, muss Suga neben innenpolitischen auch außenpolitische Erfolge vorweisen können. Gerade in diesem Bereich hatte sich sein Vorgänger profiliert. Er schaffte es, Japans Stimme auf der internationalen Bühne mehr Gewicht zu verleihen – durch außenpolitische Initiativen oder durch rege Besuchsdiplomatie. Ob Suga den gleichen Aktivismus an den Tag legt, bleibt abzuwarten.

Belarus: Is There a Way Out of the Crisis?

Thu, 17/09/2020 - 00:00

Belarus is politically deadlocked. The peaceful movement protesting against veteran ruler Alexander Lukashenka and manipulation of the 9 August presidential election is too strong for the state to simply suppress it by force. As long as the political leadership continues to respond with repression the protest movement will persist and diversify. However, it lacks the institutional leverage to realise its demands. Lukashenka can rely on the state apparatus and the security forces, whose loyalty stems in part from fear of prosecution under a new leader. Lukashenka himself is determined to avoid the fate of leaders like Kurmanbek Bakiyev and Viktor Yanukovych, who were driven into exile following “colour revolutions”.

This stalemate is replicated at the international level. While the European Union refuses to recognise the result of the presidential election, the Kremlin regards Lukashenka as the legitimately elected leader. Moscow refuses to talk with the Coordination Council founded by the opposition presidential candidate Sviatlana Tsikhanouskaya. The EU, for its part, interacts mainly with representatives of the protest movement because Minsk flatly rejects mediation initiatives from the West. Currently only Moscow regards Lukashenka’s announcement of constitutional reform and early elections as a path out of the political crisis. All other actors dismiss his constitutional initiative as merely an attempt to gain time.

Constitutional reform as a starting point

In fact, a constitutional reform could offer a solution. But it would have to be flanked by confidence-building measures and guarantees. The following aspects should be considered:

  • An end to all forms of violence and repression against peaceful demonstrators; no prosecutions for protest-related offences;
  • Release of all political prisoners, option of return for all exiles and deportees; reinstatement of persons dismissed from state employment;
  • Convocation of a constitutional assembly integrating all relevant political and social groups;
  • Constitutional reform to be completed within a maximum of twelve months;
  • Parallel reform of the electoral code to ensure a transparent election process and appointment of a new Central Election Commission;
  • Free and fair presidential and parliamentary elections in accordance with OSCE criteria. 


The specific details of such a roadmap would have to be clarified in dialogue between the current state leadership and the Coordination Council, with the possibility of both sides agreeing to involve additional societal actors. Mechanisms would be needed to ensure observance. In this regard, granting all state actors an amnesty would be key. At the same time, acts of violence and repression occurring in the past weeks would need to be documented by an independent body. On the model of the truth and reconciliation commissions employed elsewhere, a reappraisal of recent history could lay the groundwork for a moderated process – also involving the churches – to overcome the divisions in society. It would also preserve the possibility of later prosecution if the roadmap was not followed.

What the EU could do

The EU could support such a process by suspending implementation of sanctions as long as implementation of the roadmap is proceeding. It should also prepare a phased plan to support reforms, the economy and civil society; certain aspects would be implemented immediately, with full implementation following conclusion of the constitutional reform and new elections. But the Belarusian actors must be fully in charge of preparing and realising such a roadmap. International institutions should restrict themselves to advising, upon request, on procedural matters. Such a function could for example be assumed by members of the Venice Commission of the Council of Europe.

Moscow might potentially see benefits in such a scenario. The Kremlin’s backing for Lukashenka risks fostering anti-Russian sentiment in Belarus’s traditionally pro-Russian society. In the current situation an extensive integration agreement would be a risky venture for Moscow. Massive Russian subsidies would be needed to cushion the deep economic crisis emerging in Belarus. Moreover, parts of Russian society could respond negatively if Moscow were to intervene politically, economically and possibly even militarily in Belarus. Conversely, an orderly transformation would allow Moscow to minimise such costs. But that would presuppose the Kremlin factoring societies into its calculations.

This approach would demand substantial concessions from all sides. But the alternative – in the absence of dialogue and compromise – is long-term political instability with a growing risk of violent escalation. The European Union should therefore use all available channels of communication to encourage a negotiated solution. It should refrain from supporting Baltic and Polish initiatives to treat Sviatlana Tsikhanouskaya as the legitimately elected president of Belarus. That would contradict its approach of not recognising the election result. It would also exacerbate the risk of transforming a genuinely domestic crisis into a geopolitical conflict.

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Der Globale Migrationspakt und die öffentliche Gesundheit im Kontext der Covid-19-Pandemie

Wed, 16/09/2020 - 00:00

Die Covid-19-Pandemie hat politische Entscheidungsträger dafür sensibilisiert, welche Herausforderungen es mit sich bringt, in Krisenzeiten die gesundheitliche Regelversor­gung aufrechtzuerhalten. Wichtigster Ansatzpunkt für deren Bewältigung ist die Stär­kung der Gesundheitssysteme. Hier kann die Umsetzung des im Dezember 2018 ver­einbarten Globalen Paktes für sichere, geordnete und reguläre Migration (Globaler Migrationspakt) einen wichtigen Beitrag leisten. Ein Abgleich der Ziele dieses Paktes mit den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierten Grundpfeilern von Gesund­heitssystemen zeigt, wie dieser Beitrag aussehen könnte. Es gibt zahlreiche Synergien und Handlungsmöglichkeiten. Das gesundheitspolitische Potential des Migrationspakts liegt insbesondere darin, den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu ver­bessern und den Fachkräftebedarf im Gesundheitssektor zu decken.

Wie weiter in Belarus? Denkbare Wege aus der Krise

Wed, 16/09/2020 - 00:00

Belarus befindet sich in einer politischen Sackgasse. Die friedlichen Proteste der Belarussen und Belarussinnen gegen die Manipulationen der Präsidentschaftswahl vom 9. August und den langjährigen Amtsinhaber Alexander Lukaschenka sind so stark, dass die Staatsmacht sie nicht mit Gewalt zu unterdrücken vermag. Solange die politische Führung lediglich repressiv antwortet, wird die Protestbewegung nicht abflachen und immer neue Formen annehmen – ohne, dass sie über institutionelle Hebel zur Durchsetzung ihrer Anliegen verfügt. Lukaschenka hingegen kann sich auf den Staatsapparat und die Sicherheitskräfte stützen. Deren anhaltende Loyalität erklärt sich nicht zuletzt durch die Angst vor Strafverfolgung im Fall eines Machtwechsels. Lukaschenka selbst will um jeden Preis das Schicksal früherer Amtskollegen abwenden, die wie Kurmanbek Bakijew oder Viktor Janukowitsch vor »farbigen Revolutionen« aus ihren Ländern geflohen sind.

Diese Pattsituation zeigt sich auch auf internationaler Ebene. Während die EU die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen nicht anerkennt, sieht der Kreml in Lukaschenka den legitim gewählten Präsidenten von Belarus. Zudem führt Moskau keine Gespräche mit dem von der oppositionellen Präsidentschaftskandidatin Swjatlana Zichanouskaja gebildeten Koordinierungsrat. Hingegen kommuniziert die EU vorrangig mit Vertreterinnen und Vertretern der Protestbewegung, da das offizielle Minsk alle Vermittlungsangebote aus dem Westen ablehnt. Lukaschenkas Ankündigung einer Verfassungsreform mit anschließenden vorgezogenen Neuwahlen wird bisher nur von Moskau als Weg aus der politischen Krise unterstützt. Alle anderen Akteure betrachten die Verfassungsinitiative lediglich als den Versuch, Zeit zu gewinnen.

Verfassungsreform als Ausgangspunkt

Dabei könnte eine Verfassungsreform tatsächlich einen Weg aus der politischen Krise weisen. Sie müsste aber um vertrauensbildende Maßnahmen und Garantien erweitert werden. Hierzu könnten folgende Schritte gehören:

  • Verzicht auf alle Formen von Gewalt und Repressionen gegen friedlich Demonstrierende sowie auf juristische Verfolgung aller Straftaten im Kontext der Proteste;
  • Freilassung aller politischen Gefangenen, Option auf Rückkehr für ins Ausland geflohene oder abgeschobene sowie Wiedereinstellung für aus dem Staatsdienst entlassene Personen;
  • Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, die alle relevanten politischen und gesellschaftlichen Kräfte integriert;
  • Durchführung der Verfassungsreform innerhalb von maximal zwölf Monaten;
  • Parallele Reform des Wahlkodex zur Gewährleistung eines transparenten Wahlprozesses und Neubesetzung der Zentralen Wahlkommission;
  • Durchführung freier und fairer Neuwahlen von Präsident und Parlament nach OSZE-Kriterien.

 

Wie eine entsprechende Roadmap konkret auszugestalten ist, wäre im Dialog zwischen der derzeitigen Staatsführung und dem Koordinierungsrat zu klären, wobei sich beide Seiten auch darauf verständigen könnten, weitere gesellschaftliche Akteure einzubeziehen. Unter anderem braucht es Mechanismen, die die Einhaltung der Roadmap sichern. Ein zentraler Schritt wäre, allen staatlichen Akteuren Straffreiheit zuzusichern. Gleichzeitig sollten alle in den letzten Wochen begangenen Gewalttaten und Repressionsmaßnahmen unabhängig dokumentiert und aufgearbeitet werden. Dies könnte – nach dem Beispiel von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen in anderen Ländern – eine wesentliche Grundlage für einen unter Beteiligung der Kirchen moderierten Prozess mit dem Ziel sein, die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden. Zugleich wäre damit aber auch die Möglichkeit einer späteren strafrechtlichen Verfolgung gegeben für den Fall, dass die Roadmap nicht eingehalten wird.

Möglichkeiten der EU

Die EU könnte einen derartigen Prozess unterstützen, indem sie während der Umsetzung der Roadmap darauf verzichtet, bereits beschlossene Sanktionen anzuwenden. Zudem sollte sie einen Stufenplan zur Unterstützung von Reformen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft auflegen, den sie vorerst partiell und nach Abschluss der Verfassungsreform und Neuwahlen vollständig umsetzt. Grundsätzlich sollten die Erarbeitung und Umsetzung der Roadmap jedoch bei den belarussischen Akteuren liegen. Internationale Institutionen sollten nur auf deren Anfrage hin in prozessualen Fragen beraten. Eine solche Funktion könnten beispielsweise Mitglieder der Venedig-Kommission des Europarates übernehmen.

Auch Moskau könnte in einem derartigen Szenario Vorteile sehen. Denn indem der Kreml Lukaschenka Rückendeckung gibt, fördert er die Entstehung einer antirussischen Stimmung in der traditionell russlandfreundlichen belarussischen Gesellschaft. Die Durchsetzung weitergehender Integrationsabkommen wäre für Moskau in dieser Situation mit hohen Risiken verbunden. Zudem wären massive russische Subventionen nötig, um die sich abzeichnende tiefe Wirtschaftskrise in Belarus aufzufangen. Teile der russischen Gesellschaft wiederum könnten negativ darauf reagieren, dass Moskau politisch, wirtschaftlich und möglicherweise sogar militärisch in Belarus eingreift. Eine geordnete Transformation hingegen würde es Moskau erlauben, solche Kosten zu reduzieren. Voraussetzung wäre jedoch, dass der Kreml die gesellschaftliche Ebene in seinem Kalkül berücksichtigt.

Dieser Weg würde von allen Seiten substanzielle Zugeständnisse verlangen. Ohne Dialog und Kompromisse dürfte die innenpolitische Situation in Belarus jedoch auf lange Sicht instabil bleiben. Zudem wüchse die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation. Die EU sollte daher alle verfügbaren Kommunikationskanäle nutzen, um das Szenario einer Verhandlungslösung weiter zu befördern. Sie kann baltische und polnische Initiativen, Swjatlana Zichanouskaja als neu gewählte Präsidentin zu behandeln, nicht mittragen. Dies würde ihrem Ansatz widersprechen, die Wahlen nicht anzuerkennen. Auch stiege das Risiko, dass sich die genuin innenpolitische Krise in Belarus in einen geopolitischen Konflikt verwandelt.

Der Lagerkomplex al-Haul in Syrien

Tue, 15/09/2020 - 00:10

Im Osten Syriens haben die syrischen Kurden seit 2016 ein Konglomerat von Gefängnissen und Internierungslagern aufgebaut. Darin halten sich über 90 000 Per­sonen auf, die aus dem IS-Gebiet geflohen sind, unter ihnen etwa 11 000 ehemalige IS-Kämp­fer und zehntausende Familienangehörige. Diese Einrichtungen bilden derzeit den weitaus größten Rekrutierungspool für den »Islamischen Staat« weltweit. Der Teil­rückzug der USA seit 2019, die Intervention der Türkei und Geländegewinne der Truppen des syrischen Regimes setzen die Kurden unter Druck und gefährden die Sicherheit der Hafteinrichtungen. Außerdem erstarkt der IS im Irak ebenso wie in Syrien. Befrei­ungsversuche und vielleicht sogar größere Ausbrüche dürften nur noch eine Frage der Zeit sein. Viele Entflohene werden sich wieder ihrer Organisation anschließen. Europäische Staaten können immer noch dazu beitragen, das Problem zu mindern, indem sie ihre Staatsbürger aus den Lagern zurückholen.

What Trump will be leaving behind if he leaves

Tue, 15/09/2020 - 00:00

Whether Donald Trump will serve four more years as president of the United States will be decided on 3 November at the earliest. America’s partners should nonetheless already be thinking about what Trump will leave behind – namely the consequences of his policies – if he loses the election and agrees to hand over power to his challenger, Joe Biden.

Every US president sets priorities for domestic developments as well as for the country’s positions in foreign and security policy. Given the international weight of the United States – still by far the most powerful nation in the world in terms of absolute power, even when compared to China – US presidents will always shape the international order, too. Incoming presidents of any party have traditionally accepted many of the legacies of their predecessors, while simultaneously setting new accents. This is not surprising; it is a characteristic of a functioning state. The foreign policy, security, economic, and ecological challenges that a new president faces the first day in office are not, after all, fundamentally different from those challenges that were on the table the day before.

Only Donald Trump has consciously departed from this pragmatic and statesmanlike tradition. Fighting against the legacy left behind by his predecessor, Barack Obama, has been a central part of his agenda. Consequently, Trump rescinded financial market rules and environmental laws of the Obama administration, withdrew the United States from the nuclear agreement with Iran, and has also withdrawn from the Trans-Pacific Partnership, the Paris Climate Accord, and other international agreements.

Should Trump be replaced by Biden, the new president will certainly reverse some of the most blatant measures of his predecessor – if only to regain trust and strengthen the international reputation of the United States again. This applies, in particular, to the Iran nuclear agreement and the climate accord. Biden will not be able to turn the wheel of history back to the end of the Obama era, however. He will have to deal with – and his presidency will partly be shaped by – a Trump legacy that cannot simply be undone by re-signing some important international agreements.

Four elements stand out from this legacy.

First, there is the political polarisation in the United States, which is as intense as it was during the Vietnam War. A new president may attempt to reunite the country politically and to mitigate the growing social inequalities through social and tax policies. However, neither the political nor social divisions in the United States will simply disappear with a change of political direction.

Second, the tense relationship with China will test the Biden administration from the beginning. Trump certainly did not cause the rise of China. Even Obama had tried to redirect the focus of American policy towards Asia – he saw China’s rise as a game changer, but overall still regarded China as a partner. In the meantime, China’s policy has become more challenging. There is a wide-ranging bipartisan consensus in the United States for taking a tough stance towards Beijing. President Trump, however, has weakened America’s position in the rivalry with China by duping friends and allies, leading the United States out of international institutions and agreements, and thus creating empty spaces that China could – and did – fill. Strategic rivalry between the United States and China is likely to remain a guiding paradigm of international relations, even under a President Biden: a conflict that structures world politics with power-policy, security, economic, technological, and ideological dimensions. How this rivalry will be shaped and evolve will largely depend on future US policy.

Third, a new president will have to deal with the loss of international trust. Much here depends on the personality of the individual in the White House. A president Biden would likely enjoy an advance of international trust. This could even help him to push for certain demands that not only Trump has articulated – not least that America’s NATO partners increase their defence spending. Any successor to Trump, however, no matter how much they may be trusted as a person, will be confronted with a new form of scepticism, if not fear, among international partners that any agreement they may negotiate today could be called into question after another change in the White House. For this reason alone, new negotiations with Iran or future arms control talks with Russia and/or China will become more difficult: Negotiating partners will want to offer less if they cannot be sure that future presidents will also abide by an agreement. American negotiators, however, are more likely to demand more in order to make such agreements more acceptable across the political spectrum in Congress, and thereby prevent a new president from simply turning them over.

Finally, multilateral institutions and international organisations have been weakened, not only as a result of Trump’s policies, but also his active contributions. For the first time since the end of the Second World War, we live in a world with fewer binding rules than four years ago. Important arms control agreements have been terminated, the World Trade Organization has been weakened, and the legitimacy and financial resources of the United Nations have been under attack. A new president can certainly try to change course and recommit the United States to shaping and supporting multilateral institutions, but other actors on the world stage have become more self-confident and assertive during the last four years. These actors, China above all, are unlikely to be interested in the emergence of binding new international rules that could restrict their freedom of action.

And Europe? It is simply not enough to hope that Trump will be voted out of office, and then relax if it happens. The European Union and its member states must seriously think about how they could help a new US president to regain international trust for the country. Europe can hardly expect that the United States under a President Biden will set out to safeguard international order on its own. Nor should it expect a Biden administration to simply adopt Europe’s multilateral agenda. Instead, Europe needs to strengthen its own capabilities, and it should take the initiative and press for a joint strategic analysis and agreement with the United States on future issues – climate, digitization, and the relationship with China, among other areas. Moreover, Europe will also have to explain how it envisages fair burden-sharing in order to create a more symmetric transatlantic relationship.

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Der neue Nahe Osten: Israel und die VAE besiegeln den Schulterschluss gegen Iran

Tue, 15/09/2020 - 00:00

Das Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ist der dritte Friedensschluss zwischen dem jüdischen Staat und einem seiner arabischen Nachbarn nach Ägypten 1979 und Jordanien 1994. Doch unterscheidet sich der Vertrag von seinen Vorgängern vor allem darin, dass er eine noch unausgesprochene Allianz besiegelt, die in erster Linie gegen den gemeinsamen Feind Iran gerichtet ist. Die Entwicklung des Nahen Ostens in den vergangenen Jahrzehnten und besonders seit 2011 stellte hierfür bereits die Weichen.

Aufstieg der Golfstaaten

Zunächst einmal verdeutlicht das Interesse Israels an einem geografisch so weit entfernten »Nachbarstaat«, wie sehr die Bedeutung der arabischen Golfstaaten in der Regionalpolitik gestiegen ist. Diese Entwicklung begann spätestens 1973, als sich der wirtschaftliche und geopolitische Schwerpunkt des Nahen Ostens von Kairo, Damaskus und Beirut nach Riad, Bagdad und Teheran verlagerte. Seitdem wurde die Regionalpolitik immer mehr von den Anrainern des Persischen Golfs bestimmt. Der Irak versuchte mit seinen Angriffen auf Iran 1980 und Kuwait 1990 sogar, eine regionale Vormachtstellung zu erreichen. Obwohl Saddam Hussein scheiterte und der Irak infolge der US-Invasion 2003 fast vollständig zusammenbrach, blieb der Golf das Zentrum der Regionalpolitik.

Hauptnutznießer dieser Verschiebung war Saudi-Arabien, das ab 1973 zur arabischen Regionalmacht wurde. Zum Aufstieg des Königreichs trug der Abstieg der wichtigsten Konkurrenten Ägypten und Irak maßgeblich bei. Doch auch die hohen Öleinnahmen der Jahre 2002 bis 2014 erlaubten Riad eine deutlich aktivere Rolle in der Regionalpolitik. Seit 2011 viele arabische Staaten von den auf den Arabischen Frühling folgenden Unruhen, Aufständen und Bürgerkriegen erschüttert wurden, schwang Saudi-Arabien sich endgültig zur Führungsnation empor, die von Marokko bis Oman Einfluss nahm. Es schützte Verbündete in Bahrain und anderswo vor den Protestbewegungen, führte die Gegenrevolution in Ägypten an und stellte sich der iranischen Expansion in Syrien und im Jemen entgegen.

Im Schatten Saudi-Arabiens entwickelten sich derweil die VAE zur Regionalmacht. Die dortige Politik wird seit gut einem Jahrzehnt vom Emirat Abu Dhabi und seinem Kronprinzen Mohammed Bin Zayed (»MBZ«) dominiert. Er setzte schon früh auf einen autoritären Modernisierungskurs, der Abu Dhabi und die Emirate insgesamt zu einem der wirtschaftlich dynamischsten, militärisch stärksten und einflussreichsten Staaten der Region machte. Ab 2011 bekämpfte MBZ gemeinsam mit Saudi-Arabien die Muslimbrüder in der gesamten Region und stellte sich der iranischen Expansion entgegen. Er profitierte davon, dass sich der saudi-arabische Königssohn und spätere Kronprinz Mohammed Bin Salman (MBS) von ihm führen ließ. Dies zeigte sich schon 2015, als die Initiative zum gemeinsamen Krieg im Jemen von Abu Dhabi ausgegangen sein soll. Das Abkommen mit Israel ist ein weiterer Hinweis, dass die VAE Führungsmacht der arabischen Welt sein wollen und Saudi-Arabien den Takt vorgeben.

Konflikt mit Iran

Die Furcht der VAE vor Iran führt schon seit Jahren zu einer spürbaren Annäherung mit Israel. Beide Seiten sehen immer mehr gemeinsame Interessen, seit Iran infolge des Arabischen Frühlings seinen Einfluss in Irak, Syrien, Libanon und Jemen ausbaute. Für die VAE spielt aber auch eine Rolle, dass sie glauben, sich nicht mehr auf den Schutz der USA verlassen zu können. Deutliche Risse im Bündnis zeigten sich 2015, als die USA das Atomabkommen mit Iran schlossen, das Abu Dhabi als zu nachgiebig gegenüber Teheran ablehnte. Umso freudiger begrüßte MBZ die Amtsübernahme Präsident Trumps, der aus dem Abkommen ausstieg und auf eine Nahostallianz gegen Iran setzte, in der den VAE neben Saudi-Arabien und Israel eine Schlüsselrolle zukommen sollte. Doch unterschätzte Abu Dhabi, wie sehr es Donald Trump darum ging, sein Wahlversprechen einzulösen, die »endlosen Kriege« im Nahen Osten zu beenden und amerikanische Truppen aus der Region abzuziehen. Dass der US-Präsident keinen Krieg gegen Iran wollte, zeigte sich besonders dramatisch nach dem 14. September 2019. An jenem Tag griff Iran die Ölanlagen von Abqaiq und Khurais in Saudi-Arabien mit Marschflugkörpern und Kampfdrohnen an. Für rund zwei Wochen fiel die Hälfte der saudi-arabischen Ölproduktion aus. Jeder amerikanische Präsident seit Jimmy Carter hätte darauf mit einem Militärschlag reagiert. Unter Donald Trump blieb er aus.

Dies dürfte der Moment gewesen sein, in dem die Allianz zwischen den VAE und Israel Gestalt annahm. Israel bot sich als Verbündeter an, denn auch die dortige Regierung wertet die iranische Expansion und das Atomprogramm als existentielle Bedrohung , und das israelische Militär ist das einzige in der Region, das einen Krieg gegen Iran erfolgreich bestehen könnte. Hier tun sich zwei Gegner Irans zusammen, um sich ihm politisch und militärisch entgegenzustellen und zu verhindern, dass Teheran Atomwaffen entwickelt.

Und Saudi-Arabien?

Die VAE mögen sich zur Regionalmacht entwickelt haben, doch die große Frage für Israel und die Regionalpolitik ist, ob Saudi-Arabien sich dem Pakt gegen Iran anschließt. Denn das Königreich ist schon aufgrund seiner Stellung in der internationalen Politik, Wirtschaftskraft und religiös-kulturellen Strahlkraft immer noch die arabische Führungsmacht. Dass Kronprinz MBS den VAE gern folgen würde, zeigt sich schon daran, dass auch Bahrain ein Friedensabkommen mit Israel schließt. Der kleine Inselstaat ist seit spätestens 2011 zum saudi-arabischen Protektorat geworden, das einen solchen Schritt nicht ohne die Zustimmung Riads gehen kann. Das wichtigste Hindernis scheint der greise saudische König Salman zu sein, der den neuen Bemühungen um einen Frieden mit Israel bisher eine Absage erteilte mit dem Argument, die Rechte der Palästinenser müssten gewahrt bleiben. Sobald MBS König wird, könnten sich diese Vorbehalte erledigt haben, denn für die neue Generation der Herrscher am Golf spielen die Palästinenser kaum eine Rolle; Iran ist eine existentielle Bedrohung und Israel ein mächtiger Feind Irans. Dass dies das endgültige Ende eines künftigen palästinensischen Staates ist, scheint im neuen Nahen Osten keine allzu große Bedeutung mehr zu haben.

Dieser Text ist auch bei Zeit Online erschienen.

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