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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 3 weeks 6 days ago

Umweltsicherheit und Nordkorea

Tue, 30/01/2024 - 01:00

Die Stabilität Nordkoreas zu wahren bildet eine ernste Herausforderung für die globale Sicherheit, besonders für die Sicherheit im indo-pazifischen Raum. Nicht nur struk­turelle wirtschaftliche Probleme und das Risiko eines militärischen Kon­flikts gefährden diese Stabilität, sondern zunehmend auch nichttraditionelle Bedrohungen wie Umweltzerstörung und Klimawandel. Daher hat die nordkoreanische Führung ihre Aktivitäten zur Bekämpfung negativer Folgen dieser Entwicklungen verstärkt. Zwar bieten Umweltfragen als vergleichsweise ent­politisierter Bereich durchaus Möglichkeiten für ein konstruktives Engagement zwischen Nordkorea und der inter­nationalen Gemeinschaft. Gleichwohl erschweren finan­zielle, politische, strukturelle und institutionelle Probleme eine langfristige Kooperation. Deshalb erweist sich die Förderung des Umwelt­schutzes in Nordkorea zum Zwecke der Konflikttransforma­tion als grundsätzliches Dilemma.

Braucht Deutschland eine Afrika-Strategie?

Mon, 29/01/2024 - 11:12

 

Zumindest, wenn es um verschriftlichte Eckpunkte geht, wird in Berlin um keine andere Region mehr gerungen als um Afrika. Lange vor der Veröffentlichung von Leitlinien zum Indo-Pazifik (2020) und erst recht vor der China-Strategie (2023), hatten Ressorts und Bundesregierung bereits eine Vielzahl von afrikapolitischen Papieren entwickelt. Lediglich das Lateinamerika-Konzept (2010) ging dem afrikapolitischen Konzept der Bundesregierung voraus. Es folgten die afrikapolitischen Leitlinien von 2014; 2019 dann die Aktualisierung. Die einzelnen Ressorts haben ebenfalls eine Fülle von afrikapolitischen Papieren erarbeitet, angefangen mit der außenpolitischen Afrika-Strategie des Auswärtigen Amts (2003) bis hin zur jüngsten Afrikastrategie des BMZ (2023). Auch die anderen Ministerien machten und machen sich ihre Gedanken. Gegenwärtig etwa erarbeitet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein neues Afrika-Konzept.

Sinn und Zweck afrikapolitischer Papiere

Warum ausgerechnet Afrikapolitik einen verschriftlichten Rahmen mehr benötigt als die Politik gegenüber anderen Regionen lässt sich nur erahnen. Natürlich hat es auch damit zu tun, dass (mittlerweile) viele Ministerien die Afrikapolitik mitgestalten wollen. Rückblickend kann sicherlich vermutet werden, dass man sich im politischen Berlin über die eigenen Interessen und Ziele in Afrika weniger im Klaren zu sein scheint als gegenüber anderen Regionen. In den letzten Versionen der Leitlinien von 2014 und von 2019 wurde das Thema Interessen weitgehend ausgespart. Mit maximaler Vagheit wurde damals formuliert, es sei in deutschem und europäischem Interesse, „zur politischen Stabilität und zu einem Abbau des Entwicklungs- und Wohlstandsgefälles beizutragen“ (mutmaßlich zwischen Afrika und Europa). Die einzige – bemerkenswerte – Ausnahme betraf die Migrationspolitik: hier wurde ohne Wenn und Aber die Minimierung ungesteuerter, irregulärer Migration aus Afrika als Interesse genannt.

Damit sind auch schon die zwei wesentlichen Funktionen angesprochen, die die Leitlinien im Idealfall erfüllen müssen: erstens die regierungsinterne Vergewisserung über die eigenen Ziele und Prioritäten. Der Weg ist sozusagen das Ziel, bedeutet er doch im Idealfall eine inhaltliche und strategische Auseinandersetzung zwischen den Ressorts; jedenfalls dann, wenn die Überarbeitung der Leitlinien mehr sein soll als ein bürokratischer Abstimmungs- und Kraftakt. Dass dabei die Frage der Kohärenz ebenfalls mitverhandelt wird, liegt auf der Hand angesichts der wachsenden Zahl an Ministerien, die sich afrikapolitisch positionieren. Und die Tatsache, dass das BMZ seine Afrika-Strategie vorgelegt hat, bevor die gemeinsamen Leitlinien der Bundesregierung geschrieben waren, lässt schon erahnen, dass Kohärenz kein Selbstläufer ist. Es erschiene logischer, dass die Bundesregierung ihre Leitlinien erarbeitet bevor die einzelnen Ressorts darlegen, wie sie im Rahmen dieser Leitplanken zu agieren gedenken.

Die zweite Funktion eines veröffentlichten Strategiedokuments ist die Kommunikation der eigenen Politik nach außen und nicht zuletzt gegenüber afrikanischen Gesprächspartnern. Doch es gibt weitere Gründe, strategisch über Afrika nachzudenken. Zwar ist der Kontinent auf der Prioritätenleiter im letzten Jahrzehnt nach oben gerutscht, aber andere Themen und Regionen (China, EU, Osteuropa, Naher Osten, transatlantische Beziehungen) bleiben wichtiger, so dass Afrikapolitik naturgemäß mit endlichen politischen und finanziellen Ressourcen hantieren muss. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer afrikapolitischen Fokussierung und Prioritätensetzung, die ein Leitlinien-Dokument leisten müsste. Solch ein strategischer Rahmen sollte Zielorientierung, Wirksamkeit und Effizienz gleichermaßen zuträglich sein.

Strategie vs. Leitlinien

Der profane Grund dafür, dass die Bundesregierung lediglich von Leitlinien spricht, dürfte beim Erwartungsmanagement nach innen wie außen liegen. Ein Papier, das „Strategie“ in seinem Titel trägt, deklariert ein hohes Ambitionsniveau und weckt Erwartungen, die dann auch eingelöst werden müssen. Vor allem macht es eine Konkretisierung erforderlich, die man wahrscheinlich von einem Rahmendokument weniger erwarten dürfte.

Gleichwohl: auch ein Leitlinien-Papier sollte einen strategischen, zukunftsorientierten Kompass für die Ausrichtung und Gestaltung deutscher Politik gegenüber der Region darstellen. Das beinhaltet letztlich einen Bezug zu den klassischen Elementen einer Strategie, das heißt eine auf ein langfristiges Ziel hin ausgerichtete Politik. Prioritäten, Maßnahmen und Ressourcen werden an der Zielerreichung ausgerichtet.

Wie realistisch und zielführend wäre indes eine vollwertige Strategie, die diesen Namen auch verdiente? In der Tat könnte man fragen, warum es eine Strategie für den Umgang mit China gibt, aber „nur“ Leitlinien, wenn es um Afrika geht?

Die Antwort ist ebenso einfach wie naheliegend: China ist ein Land. Dies macht die Beschreibung von Ausgangslage, Interessen, Zielen, Prioritäten und Instrumenten ungleich einfacher als dies gegenüber den 54 Staaten eines Kontinents der Fall ist. Wenn wir die vielzitierte Heterogenität Afrikas ernst nehmen, dann wird eine einigermaßen konkrete und plausible Bestimmung von Interessen, Zielen und Prioritäten deutscher Afrikapolitik schnell an Grenzen stoßen. Zu unterschiedlich sind die Ausgangsbedingungen, zu wenig einheitlich sind die Interessen Deutschlands beispielsweise gegenüber Ländern wie Algerien, Benin oder Südafrika. Und selbst auf sub-regionaler Ebene können die Ausgangs- und Rahmenbedingungen recht unterschiedlich sein. Daraus folgt für ein strategisch orientiertes Papier logisch die Schwierigkeit, einen übergreifenden Ansatz zu formulieren, der zumindest für die Beziehungen gegenüber der Mehrheit der Staaten gilt.

Schluss

Eine allgemeingültige Afrikastrategie, die diesen Namen auch verdient, erscheint heute weder zielführend noch vielversprechend. Wichtiger als eine formale „Strategie“ ist der Anspruch, übergreifende Interessen, Ziele, Prinzipien und Felder politischen Handelns zu identifizieren. Die Kunst wird nicht so sehr darin bestehen, diese zu benennen, sondern aus einem mutmaßlich umfangreichen und heterogenen Katalog, den Ressorts und deren Referate zusammentragen, jene herauszufiltern, die tatsächlich prioritär sind. Wenn mit den Leitlinien die Ambition strategischer Orientierung verknüpft ist, dann wird die Regierung nicht glaubhaft eine lange Liste von Ziele benennen können. Nicht jedes Thema und Land kann gleichermaßen wichtig sein. Im Idealfall ermöglicht der Leitlinien-Prozess zwischen den Ressorts eine Verständigung darüber, welche Prioritäten und Prinzipien gelten sollen und wie die Ressorts diese gemeinsam erreichen wollen.

Ein veröffentlichtes Papier wird diese Eckpunkte darlegen. Die Operationalisierung wird auf anderem Wege erfolgen müssen, entweder entlang subregionaler oder – in wenigen ausgesuchten Fällen – länderspezifischen Ansätzen, d.h. orientiert an der Frage, was die festgelegten strategischen Prioritäten für die Gestaltung deutscher Afrikapolitik beispielsweise gegenüber Ostafrika oder dem Sahel bedeuten. Auch mit Blick auf einzelne Sektoren sowie Politik- und Handlungsfelder ist dies ein unerlässlicher Schritt, um sicherzustellen, dass Ansätze, Maßnahmen und Ressourcen auch tatsächlich der Verfolgung von prioritären Zielen dienen. Die regelmäßige Überprüfung der Umsetzung der Leitlinien sollte sicherstellen, dass die Ressorts sich auch an die einmal vereinbarten Prioritäten halten und an einem Strang ziehen.

Dr. Denis Tull ist einer der Projektleiter*innen von Megatrends Afrika und Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen

Ankara’s Economic Policy Dilemma

Mon, 29/01/2024 - 01:00

Turkish President Recep Tayyip Erdoğan began his third term in May 2023 with the appointment of Mehmet Şimşek as finance minister and the business executive Hafize Gaye Erkan as governor of the central bank. Both are widely acknowledged and ex­perienced proponents of orthodox economics. The effect of their appointment was to return Ankara to an orthodox economic course. However, the shift in monetary policy was not backed up by structural reforms and the recovery has been meagre. Inflation remains rampant and the currency continues to fall; unresolved economic challenges create economic and political instability and could weaken the country’s security – in particular in light of Russia’s ambitions to expand its influence in the region. The consequences for the EU would be enormous. Turkey needs economic and security cooperation with Europe to secure stability without legitimising the regime’s autocratic course.

Politologe Lintl: IGH-Urteil zeigt Neutralität des Gerichts

Fri, 26/01/2024 - 23:00
Mit dem Urteil des IGH zu Israels Vorgehen in Gaza könnten beide Seiten gut leben, sagt der Politologe Peter Lintl. Das Gericht habe seine Neutralität unterstrichen. Israels Verbündete wie die USA und Deutschland könnten stärker unter Druck kommen.

Zurück in die Zukunft der Arktis

Thu, 25/01/2024 - 01:00

Russlands Krieg gegen die Ukraine zeigt keine Zeichen der Entspannung, der strategische Wettbewerb zwischen China und den USA dauert an, und die sich ausweitende mili­tärische Kooperation zwischen China und Russland lässt die Herausforderungen für die internationale Staatenwelt noch wachsen. Die Arktis erscheint in diesem Zusammenhang wie ein Relikt vergangener Zeiten, in denen sie als Hort des Friedens galt. Aber der arktische Exzeptionalismus war schon lange vor dem russischen Angriffskrieg am Ende. Um ein Minimum an Kooperation wiederherzustellen, bedarf es informeller Gespräche, die nach dem Ende des Krieges helfen können, eine Per­spektive aufzuzeigen. Anknüpfungspunkte dafür könnten zwei Projekte bilden, die in der Ver­gangenheit relativ unstrittig waren: die Bergung radioaktiver Überreste des Kalten Krieges und eine Vereinbarung zur Vermeidung unbeabsichtigter Eska­lation auf hoher See (INCSEA). Ein Rückgriff auf alte Ansätze der Rüstungskontrolle könnte in Zukunft wieder Zusammenarbeit in der Arktis eröffnen.

Neue Unruhe am Horn von Afrika

Wed, 24/01/2024 - 16:10
Somaliland bietet Äthiopien Hafen gegen Anerkennung

Zusammenarbeit mit afrikanischen Regionalorganisationen strategischer ausrichten

Wed, 24/01/2024 - 14:57

 

Die Kooperation mit afrikanischen Regionalorganisationen ist seit vielen Jahren eine Konstante der deutschen Afrikapolitik. Die gilt sowohl für die Afrikanische Union (AU) als auch für die so genannten Regionalen Entwicklungsgemeinschaften (RECs), wie ECOWAS, EAC oder SADC. In kaum einem der zahlreichen deutschen Strategiepapiere zu Afrika der letzten zehn Jahre fehlt der Hinweis auf die Bedeutung dieser Organisationen – wobei es häufig bei einem allgemeinen Verweis bleibt und unklar ist, welche der acht offiziell von der AU anerkannten subregionalen Organisationen eigentlich als Partner besonders geeignet sind.

In den Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung von 2019 werden afrikanische Regionalorganisationen als zentrale Partner in ganz unterschiedlichen Politikfeldern wie auch bei der Regelung globaler Herausforderungen benannt. Die neue Afrikastrategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, (2023) möchte die Agenda 2063 der AU durch strukturpolitische Maßnahmen flankieren und beabsichtigt die „Zusammenarbeit mit den kontinentalen und regionalen afrikanischen Organisationen auszubauen“. Die Leitlinien Krisenprävention (wie auch die strategischen Leitlinien des Bundesministeriums der Verteidigung, BMVg, zur Afrikapolitik) betonen die zentrale Rolle regionaler Frühwarnsysteme und Mediation im Rahmen der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die Nationale Sicherheitsstrategie von 2023 afrikanische Regionalorganisationen überhaupt nicht als zentrale Partner erwähnt. Auch in den Afrikakonzepten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz findet sich kein Hinweis auf Regionalorganisationen. Das deutet bereits darauf hin, dass die aktuelle ebenso wie vergangene Bundesregierung die Zusammenarbeit mit diesen Akteuren strategisch eher in der Entwicklungspolitik, der Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Migration verortet. Dies stellt eine unnötige Verengung dar. Gerade vor dem Hintergrund, dass z.B. die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) ab 2021 als eines der Kernprojekte der Afrikanischen Union zentral für die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten sein soll. Es zeigt auch, dass die Zusammenarbeit mit afrikanischen Organisationen stark von ressorteigenen Logiken getrieben ist und (noch) nicht dem Anspruch des ressortgemeinsamen Handelns nachkommt.

Veränderte globale Rahmenbedingungen

In den letzten Jahren zeigen sich in den Beziehungen Deutschlands zu Afrika neue Dynamiken und Rahmenbedingungen. Die Verhandlungen über eine neue multipolare Weltordnung, die nach dem Ende des Kalten Krieges und einem kurzen, von den USA dominierten Interregnum in den 1990er Jahren begonnen hatten, haben unter dem Eindruck der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine neue Dynamik erhalten.

Neben Rohstoffen und Energie scheint es aus Sicht des Westens primär um die diplomatische Unterstützung der eigenen Positionen durch afrikanische Staaten in globalen Fragen zu gehen. Die Rolle der Regionalorganisationen bleibt dabei ambivalent: Die AU wurde durch ihre Aufnahme in die G20 (September 2023) auf globaler Ebene nun auch jenseits von Vereinten Nationen (UN) und Europäischer Union (EU) als Repräsentantin afrikanischer Interessen anerkannt. AU und Regionalorganisationen tun sich andererseits immer schwerer, eigene Normen durchzusetzen und die Erfolge der Vergangenheit in Sachen Demokratisierung zu verteidigen, wie sich zuletzt im Umgang mit den Militärputschen in Westafrika gezeigt hat. Es wird unklarer, welche inhaltliche Agenda afrikanische Regionalorganisationen auch nach außen vertreten.  Trotz einzelner wichtiger Erfolge wie gemeinsamer Positionierungen zur Reform des UN-Sicherheitsrats, zur Post-2015 Agenda oder zur UN-Steuerkonvention fällt es AU und RECs oft schwer, gemeinsame Positionen zu entwickeln, die ihre Beziehungen zum Rest der Welt anleiten könnten.

Wer eine regelbasierte multilaterale Ordnung schützen und stärken will, der muss auf afrikanische Errungenschaften im Multilateralismus bauen und darf das Kind – bei allen aktuellen Krisensymptomen – nicht mit dem Bade ausschütten. Dennoch: angesichts der geopolitischen Großwetterlage ist die Zeit für allgemeine Bekenntnisse ohne strategische Unterfütterung vorbei. Vor diesem Hintergrund plädieren wir für eine zukünftig stärker strategische und ressortübergreifende Ausrichtung der Zusammenarbeit mit afrikanischen Regionalorganisationen, die Potenziale und Schwächen der Organisationen realistisch einschätzt. Wir wollen daher, vor dem Hintergrund unserer Forschung, Vorschläge machen, wie die Zusammenarbeit zukünftig ausgestaltet werden sollte.

Regionalorganisationen als politische Akteure ernstnehmen

Regionalorganisationen (und hier vor allem die AU) müssen mehr als bisher nicht nur als technische Partner, sondern als politische Akteure ernst genommen werden: als Foren, in denen auch kontroverse politische Anliegen verhandelt werden, sowie als Repräsentantinnen gemeinsamer Interessen, die auch quer zu jenen Deutschlands oder Europas liegen können. Dies anzuerkennen ist primär eine Frage diplomatischer Positionierung, nicht der materiellen Unterstützung. Die deutsche Unterstützung für die G20-Mitgliedschaft der AU war ein wichtiger Schritt. Afrikanische Interessen und Forderungen im globalen Raum werden zukünftig mehr und besser zur Kenntnis genommen. Wichtige Themen für die kommenden Jahre, in denen die AU eine zentrale Rolle spielen kann, sind etwa Entschuldung und die Reform der globalen Finanzarchitektur, Urbanisierung und Energietransition sowie der Ausbau der regionalen Gesundheitsgovernance. Hier braucht es jenseits der G20-Mitgliedschaft klare diplomatische Unterstützung.

Gerade für viele kleinere Staaten Afrikas bleiben Regionalorganisationen die einzige Chance, ihre Anliegen im globalen Rahmen zu formulieren und sich Gehör zu verschaffen. Zugleich sind es diese kleineren Staaten, deren Märkte kaum Investitionen anziehen, und deren Regierungen am wenigsten transnationalen Sicherheitsgefährdungen und den Folgen des Klimawandels begegnen können. In der Corona-Pandemie haben afrikanische Organisationen – sowohl die AU als auch auf subregionaler Ebene etwa die ECOWAS – ihre Fähigkeiten als multilaterale Foren unter Beweis gestellt. Innerhalb kurzer Zeit hat die AU eine gemeinsame Politik zur Bekämpfung der Pandemie formuliert und mit dem Africa Centre for Disease Control and Prevention (Africa CDC) in ihren Mitgliedsstaaten erfolgreich umgesetzt. Die Eröffnung der ersten Produktionsstätte für mRNA-basierte Impfstoffe in Ruanda im Dezember 2023 ist auch ein Erfolg dieser Politik, die von Anfang an für eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen und Produktionsrechten gekämpft hat.

Regionalorganisationen als umsetzende Akteure stärken

Im Gegensatz zur internationalen Anerkennung, die afrikanische Regionalorganisationen von außen bekommen, ist ihre gesellschaftliche Unterstützung in den Mitgliedsstaaten eher gering. In einer Afrobarometer-Umfrage von 2016 gaben nur 17,9% der Befragten an, dass die AU ihrem Land viel helfe. Mehr als 30% der Befragten meinten, nicht genug zu wissen, um diese Frage zu beantworten. Viele Menschen auf dem Kontinent sehen in regionalen Organisationen reine Elitenprojekte, „talking shops“ und „Gewerkschaften der Staatschefs“, die an den Bedürfnissen und Nöten der Bevölkerung vorbei arbeiten und deren primäre Aktivität das regelmäßige Abhalten von Gipfeltreffen ist.

In der Tat sind diese hochrangigen Treffen für viele Afrikaner*innen die einzige alltägliche Situation, in der die Regionalorganisationen wirklich sichtbar werden. Dennoch zeigt die Forschung auch, dass sich diese Sichtweise ändern kann, wenn die Organisationen erfahrbarer und sichtbarer für die Bevölkerung werden. So hat zum Beispiel das Freizügigkeitsprotokoll der ECOWAS dazu geführt, dass diese im Gegensatz zur AU lokal als wesentlich näher und relevanter angesehen wird – obwohl die Umsetzung des Protokolls bei weitem nicht perfekt ist. In Zukunft wird es darauf ankommen, afrikanische Regionalorganisationen nicht nur als politische Arenen, sondern auch als umsetzende Akteure zu unterstützen. Ihre Programme sollten vor Ort sichtbar und zur konkreten Besserung der Lebensverhältnisse beitragen. Hierfür könnten mehr Kooperationen mit der Afrikanischen Entwicklungsbank, deren Mitglied Deutschland ist, initiiert werden sowie auf der Ebene der Mitgliedstaaten mehr Zusammenarbeit mit den vielen Sonderagenturen afrikanischer Regionalorganisationen (etwa der Pan-African University, des AU Sports Council oder der West African Health Organization) gefördert werden. Gerade letzteres bietet Möglichkeiten für mehr ressortgemeinsames Handeln.

Lokale Präsenz und Vernetzung von Regionalorganisationen verbessern

Über die vergangenen Jahrzehnte sind viele Regionalorganisationen insbesondere durch internationale Unterstützung zu Zentren der Professionalisierung und Bündelung von Expertise geworden. Damit wurden vor allem die Kommissionen bzw. Sekretariate gestärkt. Wenig wurde in Strukturen in den Mitgliedsstaaten selbst investiert. Um wie oben skizziert lokal sichtbarer zu werden, wird es solche Strukturen allerdings in Zukunft dringend brauchen. Dies ist keine ganz neue Erkenntnis. So hat die ECOWAS etwa seit einigen Jahren Vertretungen in jedem Mitgliedsstaat, die – wie das Fallbeispiel Ghana zeigt – erfolgreich für mehr lokale Sichtbarkeit und Kontakt zur Bevölkerung arbeiten können. Die deutsche Zusammenarbeit mit den Regionalorganisationen des Kontinents könnte in Zukunft diese Strukturen nicht nur finanziell und technisch unterstützen, sondern auch selbst in Aktivitäten der Botschaften vor Ort stärker einbeziehen.

Deutschlands Rolle als langjähriger Partner für Reformen nutzen

Mit seiner jahrzehntelangen Unterstützung der Regionalorganisationen verfügt Deutschland über ein erhebliches Kapital auf dem Kontinent. Diese Position ermöglicht der Bundesregierung Andockpunkte und Allianzen mit ganz unterschiedlichen afrikanischen Akteuren aus einem breiten ideologischen Spektrum (Panafrikanisten, Anhängern eines developmental regionalism oder liberalen Anhängern einer afrikanischen Freihandelszone). All das bleibt auch in einer neuen multipolaren Phase bestehen. Nach unserer Einschätzung wird diese deutsche Unterstützung der Regionalorganisationen auf dem Kontinent als vergleichsweise unparteiisch und sachorientiert wahrgenommen, d.h. relativ wenig beeinflusst von engen nationalen deutschen Interessen. In den Schaltzentralen der Regionalorganisationen versteht man sehr wohl, dass die AU oder die RECs für Deutschland mehr sind als irgendeine Gelegenheit für projektbezogene Kooperation auf regionaler Ebene. Deutschland ist daher ein glaubwürdiger Partner, verfügt aber auch über die – bislang nicht systematisch genug genutzten – Netzwerke und Einflusskanäle, um zur Weiterentwicklung der afrikanischen Regionalorganisationen beizutragen.

Dr. Antonia Witt ist Leiterin der Forschungsgruppe African Intervention Politics am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF). Prof. Dr. Christof Hartmann ist Professor für Internationale Beziehungen und Politik Afrikas und Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF), UDE. Prof. Dr. Ulf Engel ist Professor für Politik in Afrika, U Leipzig. Zusammen leiten die drei Autor*innen das vom BMBF geförderte Forschungsnetzwerk African Non-Military Conflict Intervention Practices.

Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.

»Eine konservative Frau ist eher eine Bedrohung für Biden als für Trump«

Wed, 24/01/2024 - 12:47
Bei den Vorwahlen der Republikaner in New Hampshire musste sich Donald Trumps Konkurrentin Nikki Haley geschlagen geben. Der Ex-Präsident sicherte sich über 91 Prozent der Stimmen. Es reiche nicht, „Trump per Gerichtsverfahren aus dem Rennen zu nehmen“, sagt Politikexpertin Dr. Laura von Daniels.

»Er liegt weit vorne, aber es ist noch ein weiter Weg«

Wed, 24/01/2024 - 12:34
Laura von Daniels, Stiftung Wissenschaft und Politik, zu Donald Trumps Sieg in New Hampshire Stand: 24.01.2024 10:16 Uhr

“Africa has a lot of respect for Germany, but this must be preserved.”

Tue, 23/01/2024 - 14:09

 

Megatrends Afrika (MTA): Mr Sall, do you think the German view of Africa has changed over the five years you have been here, and how do you perceive the German debate on Africa in general?

H.E. Cheikh Tidiane Sall (CTS): We can indeed speak of a certain evolution over the last ten years. I think this first evolution became visible under Angela Merkel, especially with the launch of the G20 Compact with Africa (CwA) in 2017. Before that, Africa was not really high on the agenda of the German government, at least not at the level of the Federal Chancellery.

So there has been a positive development on the part of the German government, which has also been reflected in high-level visits to certain African countries. As far as Senegal is concerned, I can mention the visit of President Frank-Walter Steinmeier in February 2022. Three months later, we welcomed Federal Chancellor Olaf Scholz, not forgetting the visit of his predecessor Angela Merkel in August 2018. For me, this is a very good indicator of Germany's growing interest in Africa.

MTA: Do you feel the same way about public debate or the media?

CTS: Unfortunately, we're seeing a very slow evolution. Up to now, the public debate in Germany has been dominated by clichés: Africa is the continent of problems, immigration, war, hunger and so on. I'd like to see a positive change in German opinion and media, one that reflects the reality of African countries. Africa is fifty-four countries. It's a very, very big continent. There are different developments and situations from one country to another.

I've noticed that the German public is hardly aware of what has happened economically in recent years. For example, these past years, the countries with the highest growth rates in the world were in Africa. Senegal has recorded an average growth rate of more than 5% since 2014 – whereas here in Europe, and even in Germany, we see rates that are not far from zero, or even negative. I take the example of Senegal, but there are other countries that have introduced reforms and are experiencing economic growth, even if they are still in the category of a developing country. Public opinion regarding the African continent still needs to change.

One way of doing this is to increase the number of high-level official visits. The German Chancellor's visit to Senegal attracted a lot of attention from the public and especially from the business community. These visits will enable us to make many more contacts, to develop cultural exchanges, economic exchanges in the private sector and between governments. I think there is a lot of work to be done on both sides so that public opinion can really let go of preconceived notions from twenty or thirty years ago. Sometimes it's easier for the public to cling to stereotypes than to try to understand what's really going on in our countries. And the media has a central role to play in changing attitudes and understanding the very positive dynamics at work on the African continent.

MTA: Looking at West Africa, which developments are not sufficiently taken into account in Germany and Europe?  What should Germany pay more attention to?

CTS: In West Africa today, we have a young generation that is quite well educated and, above all, well informed. In our democracies, the role of public opinion means that even our own governments can no longer behave as they did in the past, because we have a very strong civil society and committed young people. This is also the case in Senegal. I even have the impression that our young people are more politicised than young people in Germany, and they are extremely demanding. Our governments can no longer ignore this. We have a very young population: 75% are under 35. That's why the decision-making process in our countries has changed. When we talk about migration, for example, we have to be much more careful because public opinion is watching every action.

Another example: shortly after the invasion of Ukraine, some Senegalese made it clear that "this is not our war", that the government should not get involved, that it should remain neutral. We are a democracy, a democracy of opinion. Our presidents are elected every five years and they take opinion into account. Just like the leaders here in Germany.

MTA: A thorny issue between Europe and Africa is migration policy: Europe's desire to tighten controls, prevent illegal migration and send back citizens from countries like Senegal. What proposals and solutions do you think would help to overcome these differences?

CTS: The debate on migration in Europe needs to be more rational. I think there is too much passion in the debate. In 2021, the Institut Montaigne published an interesting study which concluded that only a very small minority of African migrants arrive in Europe. Most African migrants therefore remain on the continent. Many Senegalese go to Gabon, Gambia and the Ivory Coast, while others try to reach the United States of America or certain Gulf countries. All in all, it's really a tiny minority who come to Europe. I think there is a lot of work to be done at the level of European public opinion to deconstruct this idea that Africans are going to invade you. As for those who stay, we must give them the chance to succeed at home, which we have launched a Senegalese-German project called "Réussir au Sénégal" ["Succeeding in Senegal"]. This project is all the more important because we know that not everyone can succeed in Europe.

The other thing we have to think about is the conditions for regularisation in Germany. Some people have to wait five or ten years to be regularised, even if they speak the language well and are trained in professions where there is a shortage of labour. President Macky Sall has been very clear on this point: those who really cannot be regularised in Germany will be taken back here without any problem. But this migration policy must have two pillars: regularisation of those who meet the criteria and dignified return of those who want or need to return to Senegal.

MTA: Another current issue is energy, which is a priority sector for cooperation between Germany and Senegal. For about ten years now, German-Senegalese cooperation has been aimed at supporting the transition to renewable energies. More recently, the German government has expressed interest in importing Senegalese gas, which is due to come on stream in 2024. How does this fit in with your own energy supply objectives?

CTS: There's no contradiction with our objectives. We still have heavy fuel oil power plants, which are much more polluting. The objective of the Senegalese government is to replace these plants, hence our gas-to-power strategy. Senegal has already invested heavily in renewable energy, with photovoltaic and wind farms, but this will not be enough as part of our industrialisation policy. In our drive to create a competitive industry, access to electricity and affordable prices remain key challenges. Incidentally, I see that the same energy price debate is now taking place in Germany: Should industry and businesses benefit from a specific advantageous price? Our government believes that to be competitive, electricity must be available at all times and at an affordable price.

We will increase the share of renewable energy in our energy mix from 31% to 40% by 2030. This is part of the Just Energy Transition Partnership (JETP) that Senegal signed with its G7 partners in June 2023. Funding has been pledged by donors. At the same time, Senegal does not want to add to its debt. That's why we prefer grants and concessional loans. The idea is that our countries should not have to increase debt to comply with the Paris climate agreement.

This raises the question of how to finance the energy transition. In fact, the risk of investing in Africa is exaggerated by the rating agencies, which puts a strain on the possibilities of European financing, compared to financing from certain Asian countries that comes at concessional rates and with longer repayment periods. As a result, electricity produced by hydropower plants financed by European funds could be more expensive than that energy produced by different plants financed by other countries. African governments and the German government must therefore work to modify these rules. Otherwise, Western financing will not be competitive.

MTA: Which brings us to the last question: what do you expect from Germany's future policy in the region? How should it develop if Germany wants to be a strong and, above all, credible partner?

CTS: Germany has a very good reputation for the quality of its products. Germans are seen as rigorous and serious. Germany must make good use of this asset and be a driving force behind Europe's Africa policy.

President Macky Sall often says: "We want trade, not aid". He talks about partnership. We can all be winners. It's possible. In a few years, Africa will be the biggest market in the world. Its middle class is growing. In my opinion, German partners should not wait any longer, but get on this train, which is now leaving, and grab a seat while there is still time. It's about cooperation, working together, as you say: "auf Augenhöhe" ["at eye level"]. I often tease my German friends that they have a habit of saying "Das ist so" ["That's the way it is"], which locks them into options that can prevent compromise. I say "Nein, das ist nicht so" ["No, it's not like that"], because you don't know exactly what's going on in our countries. It's about listening, listening to each other and respecting each other.

Sure, there are problems, but West Africa is not just a few countries plagued by unconstitutional changes or hit by terrorism. And who would have thought that there would be another war in Europe in 2022? Nobody! No country is immune. We should support democratic countries and regimes in our own countries, because democracies are threatened everywhere, even here in Germany. Last year there was an attack on the Bundestag. On 6 January 2021 we saw what happened in the American Congress. Countries like Mali, Burkina Faso and Niger must be supported, otherwise there is a risk that anti-democratic forces will triumph. Overall, Germany is on the right track, but we need to move faster. To this end, the German authorities can increase the number of meetings, invite African leaders to make official visits to Germany and visit our countries to better understand the realities on the ground. Parliamentarians must also make a much greater effort to reach out to decision-makers and ambassadors based in Berlin and, above all, to listen to them. Africa has a lot of respect for Germany, but this must be preserved.

H.E. Cheikh Tidiane Sall is the Ambassador of Senegal to Germany. He took up his duties on 28 August 2018.

This interview was conducted on September 8th, 2023. Responsibility for the content, opinions expressed and sources used in the articles and interviews lies with the respective authors.

Ein integrierter Ansatz für die deutsche Afrikapolitik

Wed, 13/12/2023 - 15:26

 

Die Fortschreibung der afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung bietet die Chance, die Kohärenz der deutschen Afrikapolitik zu stärken. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass der Anspruch ressortgemeinsam zu handeln in der Praxis nicht immer vollumfänglich eingelöst wird. Der Wille zum ressortgemeinsamen Handeln ist zwar vorhanden – wie Analysen in Partnerländern deutlich machen – aber eine Verständigung auf konkrete gemeinsame Ziele und Wirkungslogiken auf politischer Ebene fehlt oft und kann diesem deshalb entgegenstehen. Eine Stärkung der Kohärenz ist dringend notwendig.

Kakophonie deutscher Afrikapolitik

Dies liegt auch an der Kakophonie der strategischen Ausrichtung der deutschen Afrikapolitik, die sich aus dem Ressortprinzip ergibt. In den letzten zehn Jahren sind unter drei Bundesregierungen insgesamt zehn unterschiedliche afrikapolitische Strategien, Leitlinien und Eckpunktepapiere veröffentlicht worden: von den afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung (2014, 2019) über das Eckpunktepapier Wirtschaftliche Entwicklung Afrikas im Rahmen des Compact with Africa (2017) hin zu ressortspezifischen Strategien des Bundesministeriums der Verteidigung (2015), des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2017, 2023), des Bundesministeriums für Wirtschaft (2017), des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (2019) und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (2020).

Diese Strategiefülle macht zwar die stark gewachsene Bedeutung deutlich, die dem Kontinent in der deutschen Außenpolitik zukommt. Gleichzeitig produziert sie auch Inkohärenzen. Eine vergleichende Analyse dieser Strategien hat gezeigt, dass es ressortübergreifend zwar große Übereinstimmungen bezüglich der identifizierten Herausforderungen in Afrika gibt. Gleichzeitig bestehen deutliche Unterschiede in Bezug auf die konkreten Zielrichtungen und die Wirkungslogiken deutscher Afrikapolitik, die von nachhaltigem Frieden über Sicherheit und Stabilität hin zu wirtschaftlicher Entwicklung reichen. Auch zentrale Wertmaßstäbe wie die Wahrung und der Schutz von Menschenrechten und der „do no harm“-Grundsatz finden sich nicht in allen Strategien wieder.

Es braucht ein neues Ambitionsniveau für kohärentes Handeln

Daher ist ein neues Ambitionsniveau für kohärentes Handeln in der deutschen Afrikapolitik notwendig - hin zu einem integrierten Ansatz, der die unterschiedlichen Politikfelder in Bezug auf die Afrikapolitik stärker und langfristig miteinander verzahnt. Der Anspruch eines integrierten Ansatzes in der Außenpolitik ist nicht neu und findet sich in Strategien anderer europäischer Länder und auch der EU, oft im Kontext des Umgangs mit fragilen und konfliktbetroffenen Staaten. Auch die dieses Jahr veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie fußt auf einem integrierten Verständnis von Sicherheit, das explizit auch Politikfelder wie die Entwicklungspolitik als Sicherheitspolitik im erweiterten Sinne versteht.

Der Anspruch einer Integration unterschiedlicher Politikfelder in einen gemeinsamen Ansatz muss aber nicht auf die Sicherheitspolitik beschränkt sein, sondern kann auch Leitmotiv für regionalspezifische Strategien wie die afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung sein. Als Beispiel hierfür könnte die dieses Jahr verabschiedete Afrikastrategie der Niederlanden dienen, die dezidiert einen integrierten Ansatz in ihrer Strategie verankern.

Wichtig dabei ist: ein integrierter Ansatz bedeutet nicht die Fusion unterschiedlicher Politikfelder und das Überkommen historisch gewachsener institutioneller Ressortkulturen und Herangehensweisen. Vielmehr geht es um das Stärken von Komplementaritäten und das kohärente Ausrichten der einzelnen Politiken auf gemeinsame Ziele und Prinzipien.

Integrierter Ansatz: Gemeinsame Narrative – Institutionen – Verfahren

Doch wie gelingt ein solch integrierter Ansatz? Aus der Forschung zur horizontalen Integration der Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitspolitik lässt sich ableiten, dass ein integrierter Ansatz durch drei Instrumente befördert werden kann bzw. drei Dimensionen beinhalten sollte: kommunikative, institutionelle, und prozedurale.

Bei der kommunikativen Dimension geht es im Wesentlichen um drei Elemente: (1) ein gemeinsam entwickeltes strategisches Problemverständnis, (2) politikfeldübergreifende Narrative, die gemeinsame Ziele definieren und (3) Orientierungsplanken für konkrete Umsetzungsschritte. Strategiedokumente spielen eine wichtige Rolle für die Ausformulierung der Zielrichtung eines integrierten Ansatzes, reichen aber alleine nicht aus.

Die institutionelle Dimension umfasst politikfeldübergreifende Strukturen für Koordination, um systematische und effektive Koordinierung möglich zu machen. Solche Strukturen können von interministeriellen Arbeitsgruppen und Task Forces über die Abordnung von Verbindungsbeamt*innen hin zu informellen Austauschformaten reichen. In der prozeduralen Dimension schließlich sollten administrative Standards und Verfahren vereinheitlicht werden, um Informationsaustausch und Entscheidungsprozesse über verschiedene Politikfelder hinweg zu ermöglichen. Auch die Einführung neuer, gemeinsamer Verfahren wie zum Beispiel die Co-Finanzierung von Projekten über Ressortgrenzen hinweg kann zu einer stärkeren Integration von Politikfeldern beitragen.

Vom ressortgemeinsamen zum integrierten Ansatz in der deutschen Afrikapolitik

Wie nun das Ganze in den neuen afrikapolitischen Leitlinien verankern? In der kommunikativen Dimension sollten die neuen Leitlinien ein gemeinsames afrikapolitisches Narrativ entwickeln, das die bisherigen Ressortstrategien verbindet und gleichzeitig eine verbindliche Richtschnur für die Ausgestaltung zukünftiger ressortspezifischer Strategien festlegt. Dieses Narrativ sollte auf gemeinsame langfristige Ziele hinwirken. Außerdem bietet es Grundlage, sich über eine übergeordnete Wirkungslogik des deutschen Engagements in Afrika zu verständigen. Damit müsste nicht direkt in der nächsten Legislaturperiode erneut eine Überarbeitung vorgenommen werden. Die Beantwortung von drei Fragen sollte im Zentrum der Erarbeitung eines gemeinsamen Narratives stehen:

Erstens: Was sind zentrale Interessen der afrikanischen Partnerländer und -organisationen in der Kooperation mit Deutschland und wie können wir diese durch unser Engagement adressieren? Die Interessen der Partner als Ausgangspunkt der eigenen strategischen Überlegungen zu verwenden ist eine wichtige Voraussetzung dafür, um relevante und glaubwürdige Politikangebote zu formulieren.

Zweitens: Was sind die Interessen, Ziele und Leitprinzipien deutscher Afrikapolitik? Dazu gehört auch sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie mit möglichen Konflikten zwischen einer Interessens- und Werteorientierung umgegangen wird. Diese manifestieren sich zum Beispiel im Umgang mit den Putschregierungen in Westafrika. Hier wird es wichtig sein, normative Eckpfeiler zu definieren, die trotz pragmatischen Handelns gewahrt bleiben müssen.

Drittens: Was ist das spezifische deutsche Angebot an afrikanische Partnerstaaten und -organisationen und welchen Mehrwert kann das afrikapolitische Engagement Deutschlands ihnen bieten? Die zentrale Aufgabe für die Bundesregierung ist es hier, das vielfältige afrikapolitische Engagement der einzelnen Ressorts von einer Bürde für kohärentes Handeln in eine spezifische Stärke deutscher Afrikapolitik umzumünzen. Dies gelingt vor allem dann, wenn sich die Ressorts auf gemeinsame inhaltliche Leitplanken einigen. Damit begriffen sie die Leitlinien alle als Richtschnur deutscher Afrikapolitik – trotz unterschiedlicher Ressortlogiken – und wären bereit, diese gemeinsam zu tragen. Auch dann, wenn sich dadurch in einzelnen Ländern Einschränkungen für das eigene Handeln ergeben sollten.

Neben der Entwicklung eines ressortübergreifenden Narratives können die afrikapolitischen Leitlinien aber auch Impulse für einen integrierten Ansatz auf der institutionellen und prozeduralen Dimension geben. Mit der Einrichtung eines Ressortkreises Afrika auf Ebene der Staatssekretäre im Zuge der Fortschreibung der afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung von 2019 wurde bereits ein wichtiges Koordinierungsgremium in der deutschen Afrikapolitik geschaffen. Dieses hat sich in wichtigen Phasen wie zum Beispiel während der deutschen G20-Präsidentschaft, die einen starken Afrika-Fokus hatte, bewährt. Die Rolle der Runde für die Festlegung ressortübergreifender Richtlinien für das deutsche afrikapolitische Engagement bezüglich konkreter Themenfelder (z.B. Energie- und Klimapolitik) oder in konkreten Länder- und Regionalkontexten sollte jedoch weiter gestärkt werden. Auch auf Länderebene fehlen oft permanente Strukturen, die alle in einem Land tätigen Ressorts zusammenbringen und ein gemeinsames Monitoring und Evaluierung des deutschen Engagements im Land ermöglichen.

Im Zuge der Entwicklung der neuen afrikapolitischen Leitlinien sollten sich die Ressorts auch damit beschäftigen, welche neuen Verfahren es möglicherweise für einen integrierten Ansatz in der deutschen Afrikapolitik benötigt. Die systematische Einführung der ressortübergreifenden Entwicklung von Länderstrategien oder die Schaffung neuer Möglichkeiten zur gemeinsamen Projektfinanzierung und –implementierung könnten mögliche Mechanismen sein. Auch wenn deren Einrichtung über das Leitlinien-Dokument an sich hinausgeht, wird nur durch die Stärkung von gemeinsamen Verfahren ein integrierter Ansatz in der deutschen Afrikapolitik möglich sein.

Das alles bietet zwar keine fertigen Antworten auf die Frage, wie die neuen afrikapolitischen Leitlinien inhaltlich ausgestaltet werden. Eine Fokussierung auf die kommunikative, institutionelle und prozedurale Dimension von politikfeldübergreifend kohärentem Handeln zeigt jedoch wichtige Wegweiser auf, an denen sich die afrikapolitischen Leitlinien zur Entwicklung eines integrierten Ansatzes in der deutschen Afrikapolitik orientieren sollten.

PD Dr. habil. Julian Bergmann ist Senior Researcher am German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Er hat zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zur EU-Außen- und Entwicklungspolitik sowie zur Afrika-EU-Kooperation im Bereich Frieden und Sicherheit veröffentlicht.

Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.

EU-Erweiterung: Geopolitik trifft auf Integrationspolitik

Tue, 12/12/2023 - 11:23

Sollte der Europäische Rat im Dezember oder später grünes Licht dafür geben, EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau zu eröffnen, dann geht es nicht mehr nur um symbolische Solidarität mit einem von Russland überfallenen bzw. be­drohten Nachbarn. Vielmehr beginnt im Schatten des Krieges ein neues Kapitel der Erweiterungspolitik. Nach der Türkei und den sechs Ländern des Westlichen Balkans bildet Osteuropa mit der Ukraine, Moldau und Georgien den dritten Erweiterungsraum. Spätestens seit Russlands Vollinvasion in der Ukraine versteht Brüssel unter Erweiterung die Expansion in strategisch wichtige Räume. Geopolitische Forderungen nach schnellen Beitritten nagen dabei an der konservativen Erweiterungsdoktrin – nach der es weder Rabatte auf die Kopenhagener Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft geben darf noch Abkürzungen auf dem Weg zur Aufnahme. Hinzu kommt, dass die Beitrittsfragen bald in die Fährnisse der Kriegsdiplomatie geraten könnten, wenn es um dauerhafte Sicherheit für die Nachkriegs-Ukraine gehen wird. Die Europäische Kommission greift nun Ideen auf, wie neue Mitglieder schrittweise integriert werden könnten. Damit versucht sie, dem Dilemma zwischen Geo- und Integrationspolitik auszuweichen.

Africa’s future will be decided in its cities

Fri, 08/12/2023 - 14:19

With annual population increases of 7 per cent, Nigeria’s capital, Abuja, has become the fastest-growing city in Africa in the past 20 years. A population of a mere 880,000 people at the turn of the millennium will have grown to more than 5 million by 2030. Abuja thus embodies the continental trend: Africa is urbanising at an historically unprecedented pace and scale. The world’s 10 fastest-growing cities are all in Africa, and the urban population will increase by around 900 million people by 2050, thereby nearly tripling. And two-thirds of the African cities that will exist in 2050 have yet to be built.

Since more than half of the residents in most African cities currently live in informal settlements with limited access to basic services and jobs, this rapid urbanisation is a daunting scenario. However, the positive social and economic effects from Africa’s urbanisation in the past decades are often overlooked. They offer insights into the opportunities and necessary steps needed to make Africa’s future urbanisation a success.

The overlooked successes of Africa’s urbanisation

Based on the most comprehensive analysis of Africa’s urbanisation, the report “Africa’s Urbanisation Dynamics 2022” provides a new, more positive understanding of urbanisation on the continent during the period between 1990 and 2020. Compared to rural regions, cities offer significantly better living conditions, especially regarding job opportunities and higher wages, but also better public and private services. Although larger cities are better off overall, the conditions in small and medium-sized cities are much better than in rural regions. These advantages that cities enjoy over rural regions have been maintained, despite a tripling of the urban population since 1990. The underlying expansion of urban infrastructure, services and economic opportunities to the approximately 500 million new urban dwellers during this period is, for all its shortcomings, an often overlooked achievement.

Urban population growth has also directly contributed to the economic growth of African countries through economic agglomeration effects. Almost one-third of Africa’s average annual per capita growth since 2001 can be attributed to this alone. In rural areas, too, urbanisation has improved income opportunities and living conditions by creating rural–urban value chains, especially around smaller cities. City clusters also promote trade and growth.

Despite these positive developments, many African cities are characterised by high levels of inequality, poverty and an insufficient number of formal and well-paid jobs, all of which has been exacerbated by the Covid pandemic. These factors are related to the biggest weakness of the urbanisation process in Africa so far: urbanisation without structural economic transformation. Increased productivity, diversification, and thus growth in manufacturing and higher-value services, which lead to significantly more and better-paid jobs, have mostly failed to materialise. However, for the successful urbanisation of the continent, such a structural transformation is necessary.

Africa’s urban future as historic opportunity

There are two scenarios that can help with imagining the possible changes to Africa’s cities through urbanisation over the next two and a half decades. In the first scenario, the growth and emergence of cities is largely unregulated and without sufficient investment. This would exacerbate already existing urban problems. Inequality would be even more extreme in 2050, with extraordinarily rich residential and business districts being separated from the rest of the city, including the poorer neighbourhoods where the majority of the city’s residents live. These neighbourhoods would sprawl much further into the urban periphery than they already do now, housing standards would remain low as costs rise, public services would be almost non-existent, traffic jams would become even longer than they already are and insecurity would increase. People would also suffer more from the increasing effects of climate change, such as floods and life-threatening heatwaves. These living conditions could lead to political instability and increased migration to neighbouring countries and beyond.

In the second scenario, urbanisation would be planned in advance and supported through public and private investments. A structural economic transformation with a growing manufacturing sector and higher-value services could create many jobs and improve living conditions. These cities would stimulate economic growth in rural areas as well, and local revenue would finance the expansion of urban infrastructure and public services adapted to climate change. Political stability would be more likely and migration pressures would decrease.

These extreme scenarios show the range of possible developments over the next two and a half decades. Some structural conditions favourable to the successful governance of urbanisation include the fact that Africa has by far the youngest population, the increasing availability of alternative energy sources, digitalisation and the African Continental Free Trade Area (AfCFTA).

What to do

Whether Africa’s urbanisation will be a success or not depends on how it is governed in the coming years. But time is running out – cities grow and develop, creating material structures every day that limit the room for manoeuvre. For example, one of the decisive factors for the economic performance and climate impact of a city is its agglomeration. Simply put, a high density strengthens economic performance and reduces climate damage. Uncontrolled urbanisation, on the other hand, leads to urban sprawl. This is not only harmful to the climate in itself, but subsequent adjustments to the infrastructure are much more expensive and often politically challenging to enforce. Therefore, with every year that urbanisation proceeds without proactive governance, the negative scenario described above becomes more likely.

African and international organisations, think tanks and academics have developed recommendations for governing Africa’s urbanisation. There are four key aspects:

  • Governance: The role of cities and local governments in national development planning should be significantly upgraded. In a multi-level approach, they should be understood and supported as central, independent actors of economic and social development. Small cities in particular, which have a strong impact on rural areas, have an important role to play. More local autonomy, revenues, and the use of participatory and experimental formats such as “urban labs” are important to promote local embeddedness and innovation.
  • Planning: Due to the diversity of cities, planning should be based on local urban characteristics and potentials. Western planning paradigms should be questioned, and locally appropriate approaches and resources should be prioritised. For example, cooperatives and religious organisations play a major role in the provision of housing and infrastructure in many African cities. The inclusion of women and disadvantaged groups as well as the consideration of nature-based solutions are of particular importance.
  • Financing and investment: Based on the calculations for selected countries, the resources needed to finance the climate-friendly growth and construction of new cities in Africa until 2050 amount to trillions of euros and cannot possibly be raised by African countries alone. Public and private as well as national and international investments are needed, while at the same time cities need to increase own-source revenues, which are comparatively low in Africa.
  • Infrastructure and services: The proactive provision of urban infrastructure and services is the most important and most cost-effective lever to positively influence the productivity of cities as well as their climate impact. In addition to secure land tenure, electricity and transport routes, this includes education and health care, affordable housing and social protection systems, which increase productivity and quality of life.  

Apart from the people and countries most directly affected on the African continent, the consequences of successful or failed urbanisation in the coming decades will also be felt in Europe. It is therefore in Europe’s and Germany’s interests to more systematically and comprehensively support the proactive governance of urbanisation in Africa. One new approach for doing that would be Just Urban Transformation Partnerships (JUTPs), based on the model of the Just Energy Transition Partnerships (JETPs). JUTPs would be multilateral, multi-actor cooperation and investment agreements in which a group of countries would work with national governments, including relevant national actors such as the Ministry of Urban Development and the Association of Cities or Mayors’ Forums, for example, and selected cities as well as local governmental, non-governmental and private-sector stakeholders. JUTPs would complement the cooperation of national governments with a more territorial approach. Germany could also build on existing city partnerships and its longstanding engagement in decentralisation processes. Another possibility would be to support international city networks more strongly (“urban diplomacy”). There are many potential approaches for collaborating on urbanisation. First of all, however, actors need to realise what a unique opportunity Africa’s urbanisation presents for the continent’s structural transformation and development.

Michael Roll is a researcher at the German Institute of Development and Sustainability (IDOS). He currently works on the governance of urban sustainability transformations in the Transformative Urban Coalitions (TUC) project.

Responsibility for the content, opinions expressed and sources used in the articles and interviews lies with the respective authors.

Gesundheitsgovernance und Geopolitik

Thu, 07/12/2023 - 14:00

Im Aufbau einer neuen globalen Gesundheitsarchitektur nach der Covid-19-Pandemie stehen wichtige Weichenstellungen an, insbesondere bei der Verhandlung des Pande­mie­abkommens und der Schaffung robuster Lieferketten. Vor dem Hintergrund ihrer systemischen Rivalität betrachten die USA und China globale Gesundheitspolitik als Feld geopolitischer Konkurrenz. Das gefährdet die Umsetzung der Lehren aus der Covid-19-Pandemie und den Schutz menschlicher Gesundheit. Für Deutschland stellt sich die Frage, inwieweit es seinen multilateralen Ansatz in der globalen Gesundheits­politik anpassen muss, um auf die zunehmenden geopolitischen Spannun­gen zu ant­worten. Dazu empfiehlt es sich, unabhängige Gestaltungsmacht zu ent­wickeln und gleichzeitig ein verlässlicher, multilateraler Partner zu sein.

Ein europäischer Hamilton-Moment?

Thu, 07/12/2023 - 01:00

Die Europäische Union hat 2020 mit dem 750 Milliarden Euro schweren Zusatzhaushalt unter dem Namen »Next Generation EU« (NGEU) und mit der europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) eine eindrucksvolle und innovative Reaktion auf die Covid 19-Pandemie und deren sozio­ökonomische Folgen beschlossen. NGEU knüpft zwar an die vorhandenen Instrumente und Strukturen der europäischen Strukturfonds an und greift auf Elemente des sogenannten Europäischen Semesters zur wirtschaftspolitischen Koordinierung zurück. Grundsätzlich neu ist aber die Finanzierung des Programms durch die Aufnahme von Krediten, die bis 2058 getilgt sein müssen. Der Beschluss zu dieser gemeinsamen Aufnahme von Schulden und zu deren Tilgung aus dem EU-Haushalt wurde häufig als europäischer Hamilton-Moment bezeichnet, also als erster Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat. Jedoch erscheint diese Interpretation der langfristigen integrations­politischen Wirkung von NGEU und ARF nicht angemessen. Realistisch ist allenfalls die Wiederholung einer gemeinsamen Kreditaufnahme für zweckgebundene, befristete und in ihrem Umfang begrenzte Ausgaben als Antwort auf eine erneute schwere Krise in der Europäischen Union.

Erdogan trifft Mitsotakis: Schaffen die Türkei und Griechenland die Aussöhnung?

Wed, 06/12/2023 - 19:53
Um das Verhältnis zwischen Ankara und Athen ist es nicht zum Besten bestellt. Das will der türkische Präsident mit einem Besuch in Griechenland nun offenbar ändern.

Russisch-chinesische Wirtschaftsbeziehungen

Wed, 06/12/2023 - 15:00

Mit dem großangelegten Angriffskrieg gegen die Ukraine seit Februar 2022 haben sich die Rahmenbedingungen der russisch-chinesischen Kooperation fundamental geändert. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China ist für Russland überlebenswichtig geworden. Der russisch-chinesische Handel hat seit Beginn von Moskaus Invasion stark zugenommen. Dagegen sind die chinesischen Investitionen in Russland, die ohnehin schon gering waren, seither weiter geschrumpft. Fossile Energieträger bleiben das Rückgrat der russisch-chinesischen Wirtschaftskooperation, wobei jedoch die Infrastruktur für eine schnel­lere Ausweitung der russischen Exporte fehlt. Russlands Rüstungsexporte nach China sind seit einigen Jahren rück­läufig. China exportiert seinerseits immer mehr Dual-Use-Güter nach Russland, die von der russischen Rüstungsindustrie dringend benötigt werden. Die russisch-chinesische Kooperation in der IT-Industrie ist seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine stark zurückgegangen, da die chinesischen Digitalkonzerne US-Sekundärsanktionen fürchten. Russlands Handel mit China wird größtenteils in Yuan abgewickelt. Für den Handel mit anderen Staaten ist Russland allerdings weiterhin auf den US-Dollar angewiesen.

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