Ein wesentliches Ziel der EU ist die Annäherung von Wohlstand und wirtschaftlicher Entwicklung zwischen seinen Mitgliedstaaten. Seit 2010 läuft aber vor allem in der Euro-Zone die Entwicklung zwischen der südlichen Peripherie und den übrigen Ländern auseinander.
Dabei mangelt es in den südlichen Ländern weder an Kapital noch an innovativen Ideen. Vielmehr schaffen schlecht funktionierende staatliche Institutionen ein investitionsfeindliches regulatorisches Umfeld und verhindern damit Investitionen und die Entwicklung eines produktiven Innovationssystems. Auf letzteres sind Innovatoren aber angewiesen, wenn sie aus Ideen innovative Produkte machen wollen.
Innerhalb der EU-Binnenmarkts können sich Innovatoren und Investoren mit geringem Aufwand in den Ländern niederlassen, die aus ihrer Sicht über geeignete Rahmenbedingungen verfügen. Die EU ist aber, was die institutionellen Rahmenbedingungen für Gründung, Betrieb oder Abwicklung eines Unternehmens angeht, ein Flickenteppich.
Ebenso unterschiedlich ist die Qualität staatlicher Institutionen und der Innovationssysteme. Die skandinavischen und baltischen Länder haben ein sehr unternehmensfreundliches Klima, gefolgt von Frankreich, Deutschland oder Polen. Dagegen sind die staatlichen Institutionen etwa in Italien oder Griechenland qualitativ schlechter. Bei den Rahmenbedingungen für Unternehmensinnovationen gibt es auch ein Nord-Süd-Gefälle und – im Unterschied zum Unternehmensklima – ein West-Ost-Gefälle.
Daraus ergibt sich innerhalb der EU eine Schieflage: Wertschöpfung und Beschäftigung wachsen in den Ländern stärker, die bessere Rahmenbedingungen und Innovationssysteme haben. Beschleunigt wird diese Entwicklung seit den 2000er-Jahren durch die Wanderung der innovativen Köpfe, etwa aus Italien, Griechenland, Spanien oder Portugal in andere Teile der EU mit besseren Rahmenbedingungen.
Dadurch verschlechtern sich die Aussichten für eine Erholung in deren Heimatländern – auch, weil diese Menschen nicht mehr da sind, um politischen Druck für eine Verbesserung der Institutionen auszuüben.
Spanien etwa hat dies erkannt, Strukturreformen durchgeführt und den Exodus der Innovatoren gestoppt. Die wissensintensiven Dienstleistungen – etwa im „Gründer-Hot-Spot“ Barcelona – haben jüngst das Wirtschaftswachstum beflügelt. Dort, wo die Politik den Wettbewerb der Standorte nicht angenommen hat, stagniert die Wirtschaft.
Die europäische Kohäsionspolitik, mit der eine Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU gefördert werden soll, versucht seit langem, etwa über Strukturfonds der wirtschaftlichen Divergenz etwas entgegen zu setzen. Aber der Zugang zu diesen Fonds ist an keinerlei Anreize für Reformanstrengungen geknüpft. Die Höhe zugänglicher Strukturfonds ändert sich nicht, solange die wirtschaftliche Entwicklung in einem Land stagniert. Gleichzeitig haben diese Fonds in den betroffenen Ländern nichts am Exodus heimischen Kapitals und der Innovatoren geändert.
Mit Geld allein – die Niedrigzinspolitik der EZB eingeschlossen - lassen sich Nachteile überregulierter Ökonomien nicht kompensieren. Ohne eine Harmonisierung der Rahmenbedingungen wird die Schieflage in der EU bleiben. Und Reformappelle reichen hier nicht aus. Die EU muss neue Impulse setzen und Mitgliedstaaten Anreize für Reformen geben. Dazu braucht die EU einen „Pakt für Innovation“, bestehend aus drei Elementen.
Es bedarf eines Kraftakts zwischen EU-Kommission und allen reformbereiten Regierungen, um eine Reformagenda zu vereinbaren. Ein solcher Pakt würde aber dem Ziel der Annäherung neues Gewicht verleihen. Anstatt nationalistischen Populisten die Bühne zu überlassen, kann die EU-Kommission somit dem Europaskeptizismus etwas Wirkungsvolles entgegensetzen und den nächsten Schritt zur Vollendung des EU-Binnenmarktes einleiten, um ein wirtschaftlich starkes Europa aufzubauen.
Der Gastbeitrag von Alexander Kritikos ist am 23. Mai 2019 bei Handelsblatt.com erschienen.
Eine erhöhte Bereitschaft Risiken einzugehen, Gefälligkeiten zu erwidern sowie die Überzeugung, das eigene Leben im Griff zu haben führen dazu, dass Geflüchtete schneller in Deutschland Fuß fassen.
Geflüchtete, die risikobereiter sind, eher Gefälligkeiten erwidern und stärker als andere davon überzeugt sind, das eigene Leben im Griff zu haben, integrieren sich schneller in die Gesellschaft. Das zeigt eine Studie auf Basis von Daten der „IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland“, die Wissenschaftler des Sozio-oekonomischen Panel am DIW Berlin gemeinsam mit Forschenden der Universität des Saarlandes und der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster erstellt haben. Die Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift „Collabra: Psychology“ veröffentlicht.
„Geld und die Welt“ ist ein spannendes, dynamisches Thema. Das aktuelle Vierteljahrsheft zeigt die große Bedeutung von Geld, Geldtransaktionen und Finanzmärkten in den unterschiedlichsten Bereichen von Gesellschaft und Politik. Ein zentrales Ergebnis der hier vorgestellten Arbeiten ist, dass es auch zehn Jahre nach der internationalen Finanzkrise noch nicht gelungen ist, eine nachhaltige und stabile Finanzmarktarchitektur zu etablieren, die auch in Zeiten der Digitalisierung funktioniert. Vielmehr zeigt sich, dass gerade an den Rändern des „offiziellen“ Finanzsystems neue Formen entstehen, die von der traditionellen Regulierung nicht abgedeckt werden. Dazu gehören die Kryptowährungen. Verschärfend tritt hinzu, dass das Wissen über die Funktionen des Finanzsystems bei der Bevölkerung eher gering ist. Nicht nur vor diesem Hintergrund sind die nächsten „extreme events“ vorprogrammiert.
Inhalt der Ausgabe 3/2018:
Dorothea Schäfer und Mechthild Schrooten
Geld und die Welt
Felix Rutkowski, Alexander Schäfer und Isabel Schnabel
Zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise - viel erreicht, noch viel zu tun
Heinz-J. Bontrup
Finanzmarktkrise und wirtschaftliche Entwicklung des deutschen Bankensektors
Mathias Binswanger
Lässt sich die Geldschöpfung der Geschäftsbanken noch kontrollieren? – Geldpolitik seit der jüngsten Finanzkrise 2007/2008
Reinhold Rickes
Geld verändert die Welt
Armin Varmaz und Stephan Abée
Verteilungseigenschaften der Renditen von Kryptowährungen: Sind sie mit Aktien vergleichbar?
Tobias N. Glas und Thorsten Poddig
Kryptowährungen in der Asset-Allokation: Eine empirische Untersuchung auf Basis eines beispielhaften deutschen Multi-Asset-Portfolios
Armin Varmaz und Nermin Varmaz
Eine empirische Analyse von Initial Coin Offerings (ICO)
Timo Baas
Rücküberweisungen durch Migrantinnen und Migranten – Finanzmarktbezogene Gründe und wirtschaftliche Folgen
Marcus Deetz, Anna Ammon und Nele Döpkens
Migration und Geld: Können Remittances den Wohlstand eines Landes fördern?
Katharina Riebe
Was wissen Studierende über Finanzen? Eine empirische Untersuchung über Financial Literacy von Hochschulstudierenden
Ernst Mönnich
Null-Zins-Politik und PPP: Ein Kaleidoskop zu Fallbeispielen von Markt- und Staatsversagen?
Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 3/2018
Theresa Entringer hat bei Prof. Gebauer an der Universität Mannheim zum Thema "The Sociocultural Motives Perspective: Personality and the social motive for assimilation versus contrast" promoviert. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit der Frage, inwiefern der soziokulturelle Kontext den Zusammenhang zwischen dem Selbstkonzept und gesellschaftlich und individuell relevanten Variablen wie Religiosität, Prosozialität und Selbstwert moderiert.
Sie ist seit Mai 2019 im Projekt DDR-Vergangenheit und psychische Gesundheit: Risiko- und Schutzfaktoren (DDR-PSYCH) beschäftigt und wird die Schutz- und Risikofaktoren psychischer Gesundheit in Ost- vs. Westdeutschland erforschen.
EZB ist es besser gelungen als ihren nationalen Vorgängern, die Konjunktur in den Euroländern zu stabilisieren – Spanien, Portugal und Italien haben am meisten profitiert – Währungsunion muss über Geldpolitik hinaus vertieft werden
Die gemeinsame Geldpolitik war für die Konjunktur der Euroländer ein Segen, zeigt eine neue Studie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Der Europäischen Zentralbank (EZB) gelingt es nämlich besser als zuvor den nationalen Zentralbanken, durch ihre Geldpolitik die Konjunktur zu stabilisieren, so der zentrale Befund der Studie.
Herr Fritsche, die Währungsunion wird 20 Jahre alt. Haben sich die Befürchtungen der damaligen Euro-Gegner bewahrheitet?
Die Befürchtungen der Euro-Gegner haben sich nicht bewahrheitet. Die Europäische Zentralbank hat für stabile Inflationserwartungen gesorgt und es insbesondere auch geschafft, die Konjunkturstabilisierung besser zu bewerkstelligen als ihre nationalen Vorgänger. [...]Die deutsche Wirtschaft ist im ersten Quartal dieses Jahres um 0,4 Prozent gegenüber den vorangegangenen drei Monaten gewachsen, wie das Statistische Bundesamt heute bekanntgegeben hat. Dazu eine Einschätzung von Claus Michelsen, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):
Vor allem die Binnenwirtschaft stemmt sich gegen den Abschwung: Konsum, Investitionstätigkeit und die Bauinvestitionen sind äußerst lebhaft in das neue Jahr gestartet und auch der Arbeitsmarkt zeigt keine Schwäche. Das ist nicht verwunderlich, da zu Jahresbeginn einige finanzpolitische Maßnahmen wie die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in Kraft getreten sind, die vor allem die privaten Haushalte entlasten. Sorgen bereitet allerdings weiterhin die Entwicklung der Industrie. Der Außenhandel läuft zwar besser als zum Jahresende, aber die Nachfrage nach deutschen Waren und Dienstleistungen wird durch die Handelskonflikte und den nach wie vor ungeklärten Brexit weiter belastet – dies zeigen die Auftragseingänge und Stimmungsindikatoren. Eine weitere Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung ist für das zweite Quartal daher nicht zu erwarten.Algorithmen in Form mathematisch-statistischer Verfahren diskriminieren nicht, heißt es oft. Das stimmt aber nicht. Algorithmen sind weder per se neutral, noch ist es unmöglich, dass sogenannte selbstlernende Systeme diskriminieren, ganz im Gegenteil. Gerade bei diesen ist die Gefahr einer systematischen Diskriminierung durch die erlernten Modell groß, denn sie wer den auf historischen Daten „trainiert“, die sämtliche historischen und aktuellen Diskriminierungen unserer Gesellschaft nachbilden. Gleichwohl muss man Algorithmen nicht verteufeln, denn sie bieten auch die Möglichkeit, Diskriminierung offenzulegen und zu verhindern. [...]
Leistungsfähige Infrastrukturen – unter anderem Straßen, Brücken, Strom und digitale Netze – sind zentrale Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit und die Wachstumspotentiale eines Landes. Dies gilt gerade für eine technologisch führende Volkswirtschaft wie Deutschland mit relativ hohen Steuern und Löhnen: Da das Land nicht mit einer billigen Arbeitskraft punkten kann, ist eine gute Infrastruktur als komparativer Vorteil umso bedeutender. Im internationalen Vergleich ist Deutschland im Durchschnitt mit Infrastrukturen gut ausgestattet.[1] Aber nicht alleine die Menge zählt, sondern auch die Qualität und der richtige bedarfsorientierte Zuschnitt der Infrastruktur. An diesem Punkt scheiden sich in Deutschland die Geister:[2] Sind unsere Infrastrukturen leistungsfähig? Wurde und wird in sie genug investiert? Ein Überblick der verschiedenen Kennzahlen zum Umfang und vor allem zur Qualität der Infrastruktur zeigt, dass das nicht der Fall ist: Deutschland investiert zu wenig in seine Infrastruktur und gefährdet damit seinen Wohlstand ebenso wie seinen regionalen Zusammenhalt. Um dem entgegen zu wirken, kommt es gerade jetzt, wo die finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand wieder geringer werden,[3] darauf an, für die Finanzierung insbesondere kommunaler Investitionen ein sicheres Fundament zu schaffen.
Dominique Hansen ist seit April im SOEP-Team. Er übernimmt die Entwicklung von paneldata.org von Marcel Hebing mit den Schwerpunkten User Experience, Softwarequalität und Datenqualität. In seinem Studium der Informationswissenschaften untersuchte er die Qualität von Forschungssoftware, Reproduzierbarkeit, Open Science und gute wissenschaftliche Praxis.
Die neuesten vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Produktionszahlen kommentiert DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen wie folgt:
Die Produktion in Deutschland ist im März erneut gestiegen. Besonders erfreulich hat sich die Herstellung von Konsumgütern entwickelt – dies war zu erwarten, denn zu Jahresbeginn traten einige Reformen in Kraft, die den Haushalten deutlich mehr Geld in die Taschen gespült haben. Aber auch im verarbeitenden Gewerbe gab es die zweite Positivmeldung in Folge. Insgesamt zeichnen die nun veröffentlichten Zahlen ein freundlicheres konjunkturelles Bild, als es derzeit öffentlich diskutiert wird – dies bestätigt die Einschätzung des DIW Berlin aus den vergangenen Monaten.Studie am DIW Berlin zeigt: Systematische Analyse umfassender Patientendaten mit einem Algorithmus hilft, Antibiotika bei Harnwegsinfektionen gezielter zu verschreiben – Breiterer Einsatz von Künstlicher Intelligenz im deutschen Gesundheitssystem mit Potential, aber durch dezentrale Struktur erschwert
Herr Ullrich, Sie haben am Beispiel von Antibiotikaverschreibungen in Dänemark untersucht, wie datenbasierte Vorhersagen helfen können Antibiotikaresistenzen einzudämmen. Warum haben Sie diese Untersuchung mit Daten aus Dänemark gemacht?
Wir konnten diese Studien in Dänemark machen, weil dort insbesondere das Gesundheitssystem eine zentralisierte Datenverarbeitung nutzt. Darüber hinaus werden in Dänemark viele Daten über individuelle Personen und Firmen gesammelt, die schon seit langer Zeit der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Wir hatten dann die Idee, die Verschreibungspraxis von Antibiotika aufgrund dieser Daten zu analysieren. [...]Ein Großteil der Bevölkerung profitiert von steigenden Einkommen, doch seit der Finanzkrise nimmt die Ungleichheit der Einkommen wieder zu –– Mehr als die Hälfte hält den eigenen Nettolohn für zu niedrig, obwohl die Einkommenszuwächse positiv wahrgenommen werden
Das sogenannte Gute-Kita-Gesetz gibt es nicht mehr nur auf dem Papier – langsam kommt es auch in der Praxis an. Mit Bremen hat Ende April das erste Bundesland einen ent-sprechenden Vertrag mit dem Bund geschlossen: In diesem und im nächsten Jahr erhält der Stadtstaat etwa 45 Millionen Euro. Die Bundesländer können entsprechend ihrer Bedarfe aus einem „Baukasten“ wählen, für welche Bereiche sie die Bundesgelder ausgeben wollen. Bremen wird die Mittel zum einen in Qualitäts verbesserungen stecken. Insbesondere sollen Einrichtungen in sozial benachteiligten Stadtteilen gefördert werden. Eine gezielte Förderung ist wichtig und richtig, denn auch bildungsökonomische Studien zeigen, dass insbesondere Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien von einer guten Kita-Qualität profitieren.
Gut 20 DIW-Ökonominnen und -Ökonomen stellen Lösungsansätze für europäische Herausforderungen vor – Einheitliche Rahmenbedingungen können EU widerstandsfähiger machen – Bessere Anreizsysteme sorgen für mehr Konvergenz – Weltwirtschaftlichen Risiken wie dem US-Zollstreit muss Europa geschlossen entgegentreten
Der europäische Gedanke, für Wachstum und gleiche Lebensbedingungen in allen EU-Ländern zu sorgen, trägt nach wie vor, doch haben die Krisen in den vergangenen Jahren gezeigt: Europa braucht Reformen. Wie diese genau aussehen könnten, haben gut 20 Ökonominnen und Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) anlässlich der Europa-Wahl Ende Mai untersucht. Für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz könnte ein Innovationspakt, eine stringentere Fusionskontrolle und gezieltere Industrieförderung sorgen. Neue Fiskalregeln, ein Stabilisierungsfonds und regulatorische Harmonisierung würden Europa stabiler und sozialer machen. Globale Herausforderungen, die an nationalen Grenzen nicht Halt machen wie Migration, Umwelt, Klima, können die EU-Länder nur gemeinsam schultern.
Herr Kriwoluzky, die EU wurde als reine Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, inwieweit ist sie heute mehr als das?
Inmitten des Brexit-Chaos fordert die AfD in ihrem Europawahlprogramm einen Dexit, einen Austritt Deutschlands aus der EU. Dies mag man für absurd und weltfremd halten. Dabei ist ein Dexit und gar ein Kollaps der Europäischen Union gar nicht so unwahrscheinlich, vor allem wenn Deutschland nicht die richtigen Lehren aus dem Brexit zieht. Denn Großbritannien und Deutschland unterliegen ähnlichen Illusionen in ihrer Weltsicht: Sie unterschätzen beide die Bedeutung der Europäischen Union für die eigene Zukunft. [...]
Medienberichten zufolge hat das Bundeskanzleramt die Reformpläne von Finanzminister Scholz zur Grundsteuer vorerst gestoppt. Dazu ein Kommentar von Claus Michelsen, Immobilienökonom und Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):
Das Bundeskanzleramt hat die aktuellen Reformpläne zur Grundsteuer von Finanzminister Scholz offenbar gestoppt und gibt damit dem bayerischen Druck nach, der darauf abzielt, Bodenwerte als Element der Besteuerung zu verhindern. Das Veto des Kanzleramts läuft wahrscheinlich darauf hinaus, dass die Bundesländer jeweils individuelle Regelungen für die Grundsteuer treffen könnten. Damit würde die CSU durch die Hintertür eine Grundsteuer einführen, die rein auf der Größe des Grundstücks basiert – und damit, anders als im aktuellen Scholz-Entwurf, eben keinen Unterschied mehr macht zwischen der Stadtwohnung und dem Haus auf dem platten Land. Zugute käme das vor allem Immobilieneigentümern in den teuren Lagen. Das ist ungerecht, denn gerade in den zentralen Lagen profitieren Haushalte enorm von öffentlich finanzierter Infrastruktur, die sich in steigenden Immobilienpreisen widerspiegeln. Eine Besteuerung der Bodenwerte setzt hingegen Anreize, bei steigenden Bodenpreisen auch die Fläche effizienter zu nutzen – begehrte Innenstadtlagen würden so besser genutzt. Dies bestraft auch Spekulanten, die auf steigende Bodenpreise setzen, ohne ihre Grundstücke zu bebauen. Eine reine Bodenwertsteuer würde so einen Beitrag leisten, die Wohnungsnot zu lindern. Der vorgelegte und jetzt vorerst gestoppte Kompromiss war in dieser Hinsicht zwar nicht perfekt und wäre auch mit einem recht hohen Bürokratieaufwand verbunden. Neben dem Bodenwert sollten auch das Baujahr eines Gebäudes und durchschnittliche Mieterträge in die Berechnung einfließen. Damit wird aber immerhin vermieden, dass Häuser in besten Innenstadtlagen genauso besteuert werden wie am Stadtrand. Unter dem Strich droht wegen des politischen Gezänks eine grundlegende und sinnvolle Reform der Bodenbesteuerung unter die Räder zu kommen.Das Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) verbleibt im April unter der 100-Punkte-Marke, die für ein durchschnittliches Wachstum der deutschen Wirtschaft steht. Damit dürfte die Wirtschaftsleistung im laufenden zweiten Quartal um 0,3 Prozent zunehmen. „Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft hält an, bedenkliche Einbrüche zeichnen sich allerdings nicht ab“, sagt DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen. Die Binnenwirtschaft ist nach wie vor intakt und wird es auch bleiben – nicht zuletzt, weil die Beschäftigung in Deutschland nach wie vor steigt. Belastet wird die Entwicklung in erster Linie durch die schwächelnde Weltkonjunktur, die vor allem die deutsche Exportindustrie zu spüren bekommt.