European Think Tanks Group (ETTG)
Bonn, London, Maastricht, Madrid, Paris, 06.07.2015. Eines der wichtigsten, aber kaum beachteten, Ergebnisse des Europäischen Rates von vergangener Woche war der Auftrag an die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, eine „globale Strategie der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“ zu erarbeiten. Zu sehr stehen die Griechenland-Krise, der Streit über Einwanderung und die Forderung des Vereinigten Königreichs, die Bedingungen seiner EU-Mitgliedschaft neu zu verhandeln, im medialen Vordergrund.
Diese Ratsentscheidung gibt der früheren italienischen Außerministerin das Mandat, einen neuen Weg in der Außen- und Sicherheitspolitik zu beschreiten. Es ist jedoch ein mit Steinen übersäter Weg, den Frau Mogherini mit gemischten Gefühlen betrachten muss. In vielen Bereichen baut sich Druck auf – durch Russland im Osten, Instabilität im Nahen Osten, gescheiterte Staaten in Afrika und durch globale Bedrohungen wie den Klimawandel.
Gleichzeitig wirken Europas unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten immer wieder als Hemmnis für gemeinsames Handeln. Die Migrationskrise bietet ein perfektes Beispiel. Einige Länder sind nicht bereit, mehr Einwanderer aufzunehmen. Andere Länder beklagen, dass illegale Einwanderung den Druck auf ihre Gesellschaft stärker erhöht als die aktuellen Flüchtlingsströme. Wieder andere sagen, dass das Problem durch Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe an der Wurzel angepackt werden muss. Bestenfalls kann gesagt werden, dass ein kleiner Schritt getan ist. Es braucht aber noch Zeit, bis eine gemeinsame Position entsteht, die diesen Namen verdient.
Tatsache ist, dass der Europäische Rat sieben Jahre nach der EU-Finanzkrise immer noch in Uneinigkeit verharrt. Seine Position ist bei miteinander verknüpften Themen widersprüchlich. Er verdeutlicht damit einmal mehr, dass Europas Strategie für langfristige Sicherheit und Wohlstand eine konzertierte Aktion über das gesamte Spektrum der EU-Innen- und Außenpolitiken erfordert – von der Handels-, Finanz-, Energie-, Klima und Entwicklungspolitik bis zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die großen Herausforderungen, vor denen Europa steht, verlangen gemeinsames Handeln auf europäischer Ebene und regelmäßige Überprüfungen der Strategie.
EU-Politik ist nicht immer so beschwerlich. Die EU hat vor Kurzem Sanktionen gegen Russland verhängt und bekräftigt. Sie hat in Gesprächen mit dem Iran gut zusammengearbeitet und sich auf eine einigermaßen ambitionierte Position zum Klimawandel verständigt. Man kann also etwas erreichen. Welche Lehren sollten die EU und ihre Mitgliedsstaaten ziehen?
Erstens müssen sie sich klar sein, dass eine globale Strategie für Europa einen wirklich integrierten Ansatz erfordert. Zum Beispiel können die tieferen Ursachen von illegaler Einwanderung und Flüchtlingsströmen nicht allein mit einem sicherheitsorientierten Ansatz angegangen werden, der aus Mauern und Marineoperationen besteht. Ohne die richtige Mischung aus EU-Instrumenten und Partnerschaften wird Europa weiterhin Brandbekämpfung mit wenig Hoffnung auf Problemlösung betreiben. Als European Think Tanks Group haben wir in dem im September 2014 veröffentlichten Bericht ‚Unser gemeinsames Interesse’ erklärt, dass die neue europäische Globalstrategie in ihrem Streben und ihrer Sprache integriert und strategisch sein muss und daher die interne EU-Politik mit den Bereichen des äußeren Handelns verknüpft.
Zweitens sollten sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten konsequent der Herausforderungen (und Möglichkeiten) annehmen, die eindeutig gemeinsames Handeln auf europäischer Ebene verlangen. Obwohl die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 versuchte, über einen sicherheitsorientierten Ansatz hinauszugehen, konzentrierte sie sich auf äußere Bedrohungen und zeigte wenig Gespür für die gemeinsame Verantwortung für die Welt, ihre Ressourcen und ihre Menschen.
Europa ist in der Welt aufgrund seines integrierten, präventiven und langfristigen Werteansatzes bei globalen öffentlichen Gütern, seines geteilten Wohlstandes und seiner Prosperität weiterhin ein globaler Machtfaktor. Es sind diese Werte, von der die Zukunft der EU abhängt. Wir erwarten daher, dass die nächste EU-Strategie die Post-2015-Agenda mit ihren neuen, universellen Zielen nachhaltiger Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs), die voraussichtlich im September 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet werden, widerspiegelt. Die EU sollte gleichermaßen eine Bestandsaufnahme bei ihren internen Versäumnissen und jenen vor ihrer Haustür vornehmen. In ‚Unserem gemeinsamen Interesse‘ heben wir die Notwendigkeit für die EU hervor, zu einem Wachstumsmodell des 21. Jahrhunderts beizutragen, das verantwortlichen Handel und die Koordinierung der Finanzpolitik betont.
Drittens wird es eine wesentliche Herausforderung für die globale EU-Strategie sein, Prioritäten zu setzen, indem eine handhabbare Zahl von Themen identifiziert wird, zu denen die EU Wesentliches beitragen kann. Erfolg in einigen Bereichen könnte die öffentliche Meinung und die politische Führung dazu bringen, die nächste Runde gemeinsamen EU-Handelns zu unterstützen. Zu diesen Prioritäten muss weiterhin die europäische Führungsrolle in der Klimapolitik gehören, legale Einwanderung muss erleichtert werden und die EU muss sich der schwachen, fragilen oder gescheiterten Staaten in ihrer Nachbarschaft annehmen.
Die Europäische Union steht vor harten und folgenschweren Entscheidungen im In- und Ausland. Der Ausgang der schweren Krise in Griechenland wird weitreichende Folgen haben, auch auf der internationalen Bühne. Wir unterschätzen nicht die Schwerstarbeit, die von Federica Mogherini, den EU-Institutionen und den Mitgliedsstaaten geleistet werden muss, um einen Wandel zu erreichen. Doch wir fordern die politische Führung Europas auf, neue Entschlossenheit zu zeigen, um sich den Herausforderungen, vor denen Europa steht, in Umfang und Tragweite – gemeinsam – zu stellen.
Ewald Wermuth, European Centre for Development Policy Management (ECDPM)
Giovanni Grevi, Fundacion para las Relaciones Internacionales y el Dialogo Exterior (FRIDE)
Dirk Messner, German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
Teresa Ribera, Institute for Sustainable Development and International Relations (IDDRI)
Kevin Watkins, Overseas Development Institute (ODI)
Dieser Artikel wurde erstmals am 03.07.2015 bei euractiv.com veröffentlicht.
Über die European Think Tanks Group:
Die European Think Tanks Group (ETTG) vereint fünf führende europäische Think-Tanks, die sich mit internationaler Entwicklung befassen: das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE), das Overseas Development Institute (ODI), das European Centre for Development Policy Management (ECDPM), Fundación para las Relaciones Internacionales y el Diálogo Exterior (FRIDE) und das Institute for Sustainable Development and International Relations (IDDRI).
The UN Conference on Financing for Development in Addis Ababa in July 2015 will pave the way for the implementation of the post-2015 development agenda. The Briefing Paper series “Financing Global Development” analyses key financial and non-financial means of implementation for the new Sustainable Development Goals (SDGs) and discusses building blocks of a new framework for development finance.
The client base of the concessional finance windows at the major multilateral development banks is shrinking as some of the largest borrowers by volume become richer, more credit-worthy and lose eligibility for ‘soft’ financing terms. Simultaneously, competition from new donors is growing, as is demand from low-income and lower middle-income countries for market-priced sovereign borrowing, spurred on by prevailing low-interest rates. Pressure to adapt to this changing operational context notwithstanding, the uncertainty facing the development finance industry suggests a gradualist, precautionary and insurance-oriented approach to the future of multilateral concessional windows.
A realistic assessment of medium-term growth prospects suggests that the pool of countries eligible for multilateral ‘soft’ finance windows will shrink slowly over the coming decade. In such a scenario, the number of people living in extreme poverty by 2025 would still amount to more than half a billion, with a sizable share living in middle-income countries that will be ineligible for concessional finance by current eligibility rules.
This Briefing Paper argues that trigger-happy reform suggestions for shrinking or scaling back multilateral finance are unrealistic and counterproductive: they ignore the option value of preserving international financial institutions and their concessional windows in a world with considerable uncertainty about future poverty outcomes and global governance failures that prevent first-best policy solutions.
Strategic options exist for the shareholders of the World Bank, the African Development Bank, the Asian Development Bank and the International Monetary Fund to attenuate the dilemma they face from their shrinking client base.
These options are:
- redefining concessional fund eligibility criteria, so that it reflect more closely national capacity to raise domestic resources;
- smoothing transition periods by making ‘blend status’ an explicit step in the graduation process, with funds directed towards measures of social inclusion and redistribution;
- strengthening sub-sovereign allocation, to take account of within-country regional inequalities;
- opening the multilateral soft windows for regional and global public goods, with climate change adaptation and disaster risk management as tracer sectors.
Die dritte UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung im Juli 2015 in Addis Abeba soll den Weg für die Verwirklichung der Post-2015-Entwicklungsagenda ebnen. Die Serie „Finanzierung globaler Entwicklung“ der „Analysen und Stellungnahmen“ analysiert wichtige finanzielle und nicht-finanzielle Maßnahmen zur Realisierung der neuen Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) und diskutiert Bausteine für einen neuen globalen Rahmen der Entwicklungsfinanzierung.
Die Vorbereitungen auf die nächste Konferenz zeigen, dass Konzept, Bereitstellung und Monitoring öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance – ODA) umstritten bleiben. Die Meinungen über die künftige Rolle von ODA gehen weit auseinander: (1) Einige Empfehlungen zielen darauf ODA wieder auf Armutsreduzierung, vor allem in armen und fragilen Staaten, zu konzentrieren; (2) Andere sehen in ODA mehr den Katalysator, der andere Finanzierungsformen (besonders private) mobilisiert; (3) Wieder andere fordern die Neuausrichtung von ODA als Instrument zur Bereitstellung globaler öffentlicher Güter.
Nicht alle Ausgaben für globale öffentliche Güter (z. B. saubere Luft) können als ODA gemeldet werden. Aber es ist schwer zu entscheiden, was dennoch entwicklungsrelevant ist und was nicht. Ein Spannungsverhältnis bleibt: Die SDG Agenda zielt nicht mehr direkt auf Fortschritte in Entwicklungsländern ab. Der Fokus des ODA-Berichtssystems dagegen liegt weiterhin auf dem Ressourcentransfer von entwickelten in Entwicklungsländer.
Die SDG-Agenda wird eher keine konsistente Vision von globaler Entwicklungsfinanzierung abbilden, sondern Neues einführen und Altes erhalten, wo nötig. Diese „Mischvision“ wird Universalität und einen Nord-Süd-Transfer fördern und ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer globalen Agenda für nachhaltige Entwicklung mit universeller Gültigkeit. Die OECD ist ein Hauptbefürworter dieser Agenda und sie hat sich immer politisch und technisch stark für das ODA-Konzept und sein Statistiksystem engagiert. Die Gestaltung einer neuen Messgröße für die Öffentliche Gesamtleistung zur Förderung Nachhaltiger Entwicklung (Total Official Support for Sustainable Development – TOSSD) und die Debatte über die Finanzierung globaler öffentlicher Güter über ODA hinaus hat sie allerdings bislang vernachlässigt. Hier bedarf es eines verstärkten Engagements, da TOSSD zunehmend diskutiert wird.
Im Prinzip haben alle Teilnehmer von Addis Abeba ein weiter gefasstes Verständnis von „Entwicklungsfinanzierung“, das alle relevanten Finanzbeiträge aller Akteure ein-schließt. Dennoch wird ODA auf der Konferenz ein zentrales Thema bleiben. Das Monitoring von ODA-Beiträgen ist weiterhin notwendig. Für die neue globale Entwicklungsagenda ist indes wichtig, dass das jetzige System die Berichterstattung über Finanzbeiträge zunehmend in den Dienst der unterschiedlichen Akteure und ihrer Bemühungen stellt, Ergebnisse durch gemeinsame Rechenschaftspflicht zu gewährleisten. Ein wichtiger Schritt wäre die Ergänzung der aktuell Geber-zentrierten ODA-Berichterstattung durch Berichte der Entwicklungsländer über entwicklungsrelevante externe Mittelzuflüsse durch das UN High Level Political Forum.