Ausgehend von den Erfahrungen im Krieg gegen Georgien von 2008 wurden von 2009 bis 2010 die russischen Streitkräfte reorganisiert und die Zahl der Militärbezirke entsprechend der geostrategischen Interessen und Herausforderungen auf vier reduziert. Die Brigadisierung der Streitkräfte wurde konsequent umgesetzt.[1] 2012 hat die Russische Föderation ein Aufrüstungsprogramm von 19‘000 Milliarden Rubel für die Periode 2011-20 verkündet.[2]
Im Dezember 2015 hat Präsident Wladimir Putin vor ranghohen Vertretern des Verteidigungsministeriums an seinen Auftrag der Modernisierung und Aufrüstung der russischen Streitkräfte erinnert. So soll die „Umrüstung“ der russischen Streitkräfte und die Entwicklung neuer Waffen und Militärtechnik fortgesetzt werden.[3] Anlässlich einer Medienkonferenz stellte Putin fest, dass Syrien als Testgelände und Übungsplatz für den Einsatz der neuen Waffen diene:[4]
„Die Operation der russischen Luft- und Weltraumkräfte in Syrien ist wohl die beste Überprüfung der Kampfbereitschaft für die russischen Streitkräfte und erfordert keine grossen Haushaltsausgaben.“
Zu den Testobjekten gehören die Marschflugkörper des Typs „Kalibr“, die aus dem Kaspischen Meer gegen Ziele in Syrien abgeschossen worden sind, sowie die luftgestützten Marschflugkörper Ch-101.
In diesem Jahr sollen verschiedene Waffen für die Streitkräfte, die Marine und die strategischen Raketentruppen entwickelt werden. Dazu der russische Vizepremier Dmitri Rogosin:[5]
„Wir wollen unser ganzes Volk erfreuen und unsere Widersacher mit einigen unserer neuen Waffen betrüben. Es handelt sich vor allem um neue Flugzeugkomplexe, die Schaffung neuer Raketenwaffen und einer starken Flotte.“
Bei den strategischen Raketentruppen werden die neuen interkontinentalen ballistischen Flugkörper RS-26 „Rubesch“ mit Feststoffantrieb in Dienst gestellt. Der Eisenbahn-Raketenkomplex „Bargusin“ soll durch die Ausrüstung mit ballistischen Flugkörpern „Jars“ bis 2019 wieder reaktiviert werden. Ein neuer interkontinentaler ballistischer Flugkörper „Sarmat“ mit mehreren Wiedereintrittskörpern und flüssigem Treibstoffantrieb wird entwickelt. Dieser Flugkörper soll die alten interkontinentalen Flugkörper RS-20 (SS-18, NATO-Bezeichnung „Satan“) in einigen Jahren ersetzen.[6]
Die Seestreitkräfte erhalten 2016 die erste Fregatte „Admiral Gorschkow“ des Projekts 22350. Weiter wird das letzte der acht nuklearangetriebenen U-Boote für ballistische Flugkörper der Borej-Klasse auf Kiel gelegt und das zweite nuklearangetriebene Angriffs-U-Boot „Jassen“ des Projekts 885 den Seestreitkräften übergeben. Die Schwarzmeerflotte soll 2016 sechs dieselelektrische „Warschawjanka“-U-Boote des Projektes 636 erhalten. Diese Flotte soll auch mit neuen Überwasserkriegsschiffen ausgerüstet werden.[7]
Auch die Luftstreitkräfte werden „umgerüstet“. Die Langstreckenbomber Tu-160 (NATO-Bezeichnung „Blackjack“) werden mit einer digitalen Avionik und neuen Radars ausgerüstet und bis 2023 zum Typ Tu-160M2 modernisiert. Das stealthfähige Kampfflugzeug T-50 wird weiter getestet.[8] 2018-2020 wird das neue Kampfflugzeug MiG-35 in Dienst gestellt werden. Auch der Beginn der Produktion des neuen Transporthelikopters Ka-62, der für den Einsatz in der Arktis vorgesehen ist, steht an.
Des Weiteren werden zwei operativ-taktische Raketenkomplexe mit dem ballistischen Flugkörper „Iskander-M“ des Kurzstreckenbereichs ausgerüstet. Vier neue Typen aeroballistischer Raketen und ein neuer Marschflugkörper sollen in der Entwicklung sein. Fünf Fliegerabwehrregimenter erhalten das weitreichende Boden-Luft-Abwehrsystem S-400 „Triumpf“.[9] Neue Fliegerabwehrlenkwaffen des Kurstreckenbereichs sollen 2016 getestet werden.
Am 9. Mai 2015 wurde anlässlich der Siegesparade auf dem Roten Platz der neue Kampfpanzer T-14 „Armata“ vorgeführt. Neben diesem Panzer sollen auch die neuen Kampfschützenpanzer T-15 und weitere Raupenfahrzeuge getestet und produziert werden.
Auch das Kommunikationssystem der Luft- und Weltraumtruppen wird digitalisiert. Ein neues Frühwarnsystem gegen feindliche ballistische Flugkörper und Marschflugkörper wurde in Dienst gestellt.[10]
Selbstverständlich geniesst das Geschäft mit dem Waffenexport einen hohen Stellenwert. Dazu gehört die Ausrüstung der zwei an Ägypten gelieferten französischen Angriffsschiffe des Typs „Mistral“ mit russischen Kampfhelikoptern.[11] Zu erwähnen ist die Lieferung der weitreichenden Boden-Luft-Abwehrsysteme S-300PMU-2 an den Iran (Ausrüstung für vier Fliegerabwehrdivisonen).[12]
Ein eigentlicher Exportschlager der russischen Rüstungsindustrie ist das Mehrzweckkampfflugzeug Su-35. Ab 2016 wird China für zwei Milliarden Dollar 24 Su-35 erhalten. Moskau hat Indonesien ein Rüstungsgeschäft im Wert von 3 Milliarden Dollar angeboten, zu dem auch die Lieferung eines Su-35-Geschwaders gehören soll. Auch mit den Vereinigten Arabischen Emiraten wird über die Lieferung von Su-35 verhandelt.[13] 2016/17 wird Algerien 14 Mehrzweckkampfflugzeuge Su-30MKA erhalten.
Russland und die Indische Union haben in Zusammenarbeit den luftgestützten Überschall-Marschflugkörper BraMos entwickelt, mit dem die indischen Kampfflugzeuge Su-30MKI ausgerüstet werden sollen. Russland verhandelt mit Indien auch über die Lieferung der neuen Kampfpanzer T-90MS, sowie über die Modernisierung der indischen Kampfpanzer T-72 und T-90 und der 1‘500 Kampfschützenpanzer BMP-2.[14] Zu Beginn dieses Jahres werden die Vereinigten Arabischen Emirate 135 modernisierte Kampfschützenpanzer BMP-3 erhalten.
Wie sind die Auswirkungen der russischen Aufrüstung zu beurteilen? Das Rüstungsprogramm wurde zu einer Zeit beschlossen, als die russische Wirtschaft dank der Einnahmen aus dem Export von Erdöl und Erdgas stetig wuchs. Seit dem letzten Jahr sind die Preise erheblich gefallen und die russische Wirtschaft befindet sich in einem Schrumpfprozess. Es besteht deshalb durchaus die Möglichkeit, dass die Produktion und Indienststellung einiger der ankündigten Rüstungsprojekte eine zeitliche Verzögerung erfahren könnten. Da aber die Kosten für diese Projekte in Rubel anfallen, ist nicht mit einem Ende des russischen Rüstungsprogramms zu rechnen.
Dieses Programm dürfte am Ende zu einer gewaltigen Kampfwertsteigerung der russischen Streitkräfte führen und zwar sowohl bei den konventionellen wie auch bei den Nuklearwaffen. Wie haben die USA und ihre NATO-Alliierten auf die russische Aufrüstung bisher reagiert? Mit Ausnahme der verbalen Ankündigung der NATO-Staaten auf dem letztjährigen Gipfel in Wales ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, ist bis anhin eine ernstzunehmende Reaktion ausgeblieben. Angesichts des neuen kalten Krieges ist diese fehlende Reaktion bedenklich. Mit Ausnahme einiger weniger Staaten ist bisher in Europa die Modernisierung und Aufrüstung der Streitkräfte ausgeblieben.
[1] Hedenskog, J. and F. Westerlund, Introduction, in: Hedenskog, J. and C. V. Pallin (eds), Russian Military Capability in a Ten-Year Perspective – 2013, FOI, Stockholm, December 2013, P. 19/20.
[2] Oxenstierna, S., Defence Spending, in: Hedenskog, F. and C. V Pallin (eds), December 2013, P. 111.
[3] Sputnik Deutschland, Waffen-Premieren in Russland 2016: zu Land, zur See und im Weltraum, 29.12.2015, 09:40, S. 1.
[4] Sputnik Deutschland, S. 2.
[5] Sputnik Deutschland, S. 2.
[6] Sputnik Deutschland, S. 2.
[7] Sputnik Deutschland, S. 3.
[8] Sputnik Deutschland, S. 4.
[9] Sputnik Deutschland, S. 4.
[10] Sputnik Deutschland, S. 5.
[11] Sputnik Deutschland, S. 5.
[12] Sputnik Deutschland, S. 6.
[13] Sputnik Deutschland, S. 6.
[14] Sputnik Deutschland, S. 7.
Die irakische Regierung hat offiziell die Rückeroberung der Stadt Ramadi vom Islamischen Staat (IS) verkündet. Diese Rückeroberung soll gemäss der Mitteilung von Sputnik Deutschland durch die irakische Armee mit der Unterstützung der eigenen Luftwaffe, der sunnitischen Milizen und der Luftstreitkräfte der US-geführten Allianz erfolgt sein.[1]
Diese sehr einfach gehaltene Mitteilung beschreibt leider nur sehr rudimentär den komplexen methodischen Ablauf einer militärischen Operation in einem überbauten Gelände. Vor der Rückeroberung von Ramadi musste zuerst das gesamte Gelände der Stadt durch die motorisierte Infanterie des Iraks abgeriegelt werden. Dabei dürften die Iraker durch Elitesoldaten der USA beraten worden sein. Anschliessend wurden die Stellungen des Islamischen Staates ununterbrochen durch amerikanische Kampfflugzeuge A-10C und irakische Kampfflugzeuge Su-25 angegriffen und zerstört. Erst nach der Zerschlagung jeglicher Fliegerabwehr des Gegners konnten die irakischen Eliteeinheiten und die motorisierte Infanterie zur schrittweisen Säuberung aller Wohnhäuser und Strassenzüge ansetzen. Dazu mussten nicht nur die Hinterhalte des Gegners in den Häusern schrittweise ausgeschaltet, sondern auch die Strassen von den improvisierten Sprengsätzen des IS durch die irakische Minenräumung einzeln gesäubert werden.
Die Ausschaltung gegnerischer Stellungen in den Häuserkomplexen durch irakische Eliteeinheiten dürfte einem sehr methodischen und Verluste minimierenden Ablauf gefolgt sein. Zuerst mussten bewaffnete Helikopter das Eindringen der Elitesoldaten in einen Häuserkomplex aus der Luft sichern. Gleichzeitig dürfte ein US-Gunship AC-130 Spectre mit seiner 105mm-Haubitze, seiner 40 mm-Maschinenkanone und seinen Infrarot-Scheinwerfern den gesamten Komplex gesichert haben. Anschliessend wurden zuerst Scharfschützen auf einzelnen Dächern und erst dann Elitesoldaten auf den Häusern abgesetzt. Auf den Strassen mussten gepanzerte HMMWVs mit ihren überschweren Maschinengewehren (0.50cal) den gesamten Komplex abriegeln. Jetzt erst setzten die Elitesoldaten zum Sturm an und konnten die Jihadisten und die IS-Selbstmörder in den darunter befindlichen Stockwerken und Kellern ausschalten.[2]
Nach der Säuberung eines Häuserkomplexes war der nächste Komplex zu säubern. Wegen der schrittweisen und Verluste minimierenden Kriegführung in einem überbauten Gelände ist die Rückeroberung einer Stadt sehr zeitaufwendig. Eine in wenigen Worten gehalte Mitteilung wird einer solchen Operation nicht gerecht.
[1] Sputnik Deutschland, Irakische Militärs überrennen Terroristen-Hochburg Ramadi, 28.12.2015, 19:24.
[2] Neville, L., Special Forces in the War on Terror, Osprey Publishing, Oxford and New York, 2015, P. 208/209.
Nach 13 Jahren Krieg sollte sich die NATO ab dem 1. Januar 2015 mit ihrer neuen Mission Resolute Support (RS) auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF, Afghan National Defense and Security Forces), bestehend aus der Armee (ANA, Afghan National Army) und der Polizei (ANP, Afghan National Police), beschränken. Dazu wurden fünf neue Kommandobereiche gebildet, Nord, Süd, Ost, West und Kabul-Stadt.[1] Die USA hatten gleichzeitig ihre Operation Enduring Freedom (OEF) in die Operation Freedom Sentinel (OFS) umgewandelt. Gemäss den Absichten der Obama-Administration sollten sich die US-Truppen in Afghanistan nur noch auf die Unterstützung der NATO-Mission und die Bekämpfung von Al-Kaida beschränken.[2] Gleichzeitig wurde der Bestand der US-Truppen ab dem 1. Januar 2015 auf 9‘800 reduziert.[3] Den Kampf gegen die Taliban hatten ab dem 1. Januar 2015 die afghanischen Sicherheitskräfte zu übernehmen.
Die ANDSF haben in diesem Jahr eine ganze Reihe von Offensiven in den Provinzen Helmand, Ghazni und Zabol durchgeführt. Gleichzeitig mussten sie auf die Offensiven der Taliban in den Provinzen Kunar und Kunduz reagieren. Den Taliban gelang es mit ihrer Kriegführung nicht nur verschiedene Checkpoints der Regierung zu überrennen, sondern kurzfristig auch den Hauptort der Provinz Kunduz zu erobern.[4] Im Augenblick ist sogar die gesamte Provinz Helmand im Süden Afghanistans durch eine definitive Machtübernahme durch die Taliban bedroht. Diese Provinz war schon immer die Domäne des Islamischen Emirats der Taliban und auch der Schwerpunkt des Anbaus von Schlafmohn und Cannabis in Afghanistan. Nur durch die Unterstützung der afghanischen Armee und Polizei durch amerikanische Eliteeinheiten und Kampfflugzeuge ist der definitive Zusammenbuch des Sicherheitsdispositivs der Kabuler Regierung in Helmand bisher verhindert worden. Neben der drohenden Machtübernahme durch die Taliban in den südlichen Provinzen und in Kunduz werden die afghanischen Sicherheitskräfte aber durch Angriffe des Islamischen Staates sowie durch Al-Kaida, das Haqqani-Netzwerk und die Islamic Movement of Uzbekistan in den östlichen Provinzen Nangarhar, Paktika, Paktia und Khwost herausgefordert.[5]
Der andauernde Krieg führt zu immer mehr Toten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung. 2014 wurde mit 10‘548 Opfern, so insbesondere unter den Frauen und Kindern, ein trauriges Rekordjahr erreicht.[6] Durch die immer härter werdenden Kämpfe erleiden auch die afghanischen Sicherheitskräfte mit ihrem augenblicklichen Bestand von insgesamt 325‘000 Männern und Frauen steigende Verluste. So waren deren Verluste in der ersten Hälfte 2015 verglichen mit der gleichen Periode 2014 um 59 % höher. Die Verluste haben im Vergleich zwischen den beiden Perioden um 80% zugenommen.[7] Die Einsatzfähigkeit der Sicherheitskräfte wird aber nicht nur durch ihre hohen Verluste behindert, sondern auch aufgrund einer mangelhaften Logistik und der schwachen Führung durch Kabul. Ein weiteres Problem ist der Nachrichtendienst, der aufgrund des voreiligen Abzugs vieler Aufklärungsmittel durch die USA nicht mehr die gleiche Effizienz wie früher aufweist.
Während die afghanische Armee (ANA) mit einem aktuellen Personalbestand von 170‘000[8] in der Bevölkerung sehr angesehen ist, soll dies für die Polizei (ANP) mit einem Personalbestand von 155‘000[9] nicht der Fall sein. Offenbar grassiert unter der ANP die Korruption.[10] Eine Ursache dafür könnte der Drogenanbau und – handel sein, der durch die Organisierte Kriminalität (OK) in Afghanistan beherrscht wird. Diese OK hat seit 2001 den gesamten Staat und die Gesellschaft Afghanistans zunehmend durchdrungen.[11] Ohne die finanzielle Unterstützung seitens der USA, der NATO und weiterer beitragswilliger Staaten würde übrigens Afghanistan den hohen Bestand seiner Sicherheitskräfte nicht aufrechterhalten können.
Seit 1978 wird in Afghanistan Krieg geführt. Ein Friede ist nicht in Sicht. Die Kriegführung der USA und ihrer Alliierten hat das Land nicht stabilisiert. Das Gegenteil ist vermutlich der Fall. Der Bürgerkrieg hat an Intensität zugenommen und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen driften zunehmend voneinander ab. Offenbar hat sich Gott definitiv von Afghanistan verabschiedet.
[1] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, Report on Enhancing Security and Stability in Afghanistan, DoD, Washington DC, June 2015, P. 3.
[2] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 1.
[3] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 11.
[4] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 4.
[5] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 23.
[6] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 30.
[7] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 39.
[8] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 57.
[9] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 86.
[10] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 79/85.
[11] Levin, C. and H.P. „Buck“ McKeon, P. 91.
Grundsätzlich werden zwei Typen von Fliegerbomben unterschieden:
Zu den Freifallbomben gehören:
Die Sprengkraft der Sprengbomben reicht je nach Typ von 113 kg über 227 kg, 250 kg, 454 kg, 500 kg, 907 kg, 1000 kg bis 5715 kg. Beim letzteren Bombentyp handelt es sich um die BLU-82B, die auch als Daisy Cutter bezeichnet wird und bei der es sich um eine der stärksten Sprengbomben der Welt handelt. Die hohe Sprengkraft gegen Oberflächenziele wird durch einen Sprengstoff, der aus einer Mischung von Ammoniumnitrat und Aluminiumpulver besteht, erreicht. Diese Bombe kann aufgrund der Aussenmasse nur durch umgebaute Transportflugzeuge MC-130E abgeworfen werden.[1] Diese Bombe wurde im Dezember 2001 gegen die Stellungen von Osama bin Laden im Osten Afghanistans eingesetzt. Der Einsatz von Sprengbomben erfolgte bereits im Ersten und im Zweiten Weltkrieg.
Im Gegensatz zu den bekannten Sprengbomben wird bei den thermobaren Waffen eine brennbare Substanz durch eine Explosion in der Luft verteilt und durch eine zweite Explosion entzündet. Eine Unterart der thermobaren Waffen sind die Aerosolbomben (Fuel-Air Explosive). Sowohl die USA wie auch die Russische Föderation verfügen über diese Art von Fliegerbomben. Auf amerikanischer Seite gehört dazu die Massive Ordnance Air Blast (MOAB), auch als „Mother of All Bombs“ bezeichnet, die ursprünglich 2003 für den Einsatz in der Operation Iraqi Freedom vorgesehen war. 2007 hat Russland eine thermobare Waffe getestet, deren Sprengkraft sogar jene einer kleinen Nuklearbombe übertrifft. Aufgrund ihrer Wirkung – sie entziehen durch den Druck in geschlossenen Räumen den Sauerstoff – sollten thermobare Waffen nur gegen militärische Ziele wie Tunnels, Kavernen und Bunker eingesetzt werden. Der Einsatz gegen zivile Einrichtungen ist gemäss dem Kriegsvölkerrecht nicht zulässig.
Die Brandbomben, die vor allem im Zweiten Weltkrieg massiv gegen deutsche und japanische Städte eingesetzt wurden, sind heute geächtet.
Bei den Kassettenbomben existieren Modelle mit einer unterschiedlichen Zahl an Bomblets (Streumunition), die auch verschiedene Wirkungen aufweisen können. So existieren Bomblets mit Spreng-, Brand-, Splitter- und panzerbrechender Wirkung. Kassettenbomben sind bereits im Zweiten Weltkrieg eingesetzt worden. Wegen der Gefährdung von Zivilisten durch nichtexplodierte Bomblets haben über 100 Staaten diese Fliegerbomben geächtet.
Grundsätzlich werden Freifallbomben in Flächenbombardierungen gegen grössere militärische Ziele, wie Kasernen, Depots, Panzerstellungen, Fliegerabwehrstellungen, Schützengräben, usw. abgeworfen. Aufgrund ihrer indiskriminierenden Wirkung sollten Freifallbomben, seien dies Sprengbomben, thermobare Waffen oder Clusterbomben, nicht gegen zivile Ziele oder Zielobjekte in denen sich Zivilisten aufhalten, eingesetzt werden. Die dabei erzielten Wirkungen führen zu hohen und nachhaltigen Zerstörungen in Wohngebieten und damit zu Kollateralschäden, die gemäss dem Kriegsvölkerrecht geächtet sind. Im Zweiten Weltkrieg führten die deutsche Luftwaffe, das britische Bomber Command und die amerikanische US Army Air Force massive Flächenbombardierungen gegen die feindlichen Städte durch.
Zu den gelenkten Bomben gehören lasergelenkte Bomben und GPS-gelenkte Bomben. Bei diesen Bombentypen handelt es sich vor allem um klassische Sprengbomben, die durch eine Zusatzausrüstung auf einem Laserstrahl oder durch GPS-Koordination ins Ziel gelenkt werden. Aufgrund der erreichten Genauigkeit – Abweichungen sind nicht ausgeschlossen – werden diese gelenkten Bomben für die Ausschaltung von Punktzielen eingesetzt. Dazu gehören einzelne Panzer, Kommandoposten, Bunker, usw. Durch den Einsatz von gelenkten Bomben sollen Kollateralschäden vermieden werden.
Während die Russische Föderation gemäss den durch russische Agenturen vermittelten Bildern und Videos in ihrem Luftkrieg offensichtlich über Syrien Freifallbomben (Sprengbomben) durch die auf dem Stützpunkt Hmeimim stationierten Erdkampfflugzeuge Su-25 und Jagdbomber Su-24, sowie durch Mittelstreckenbomber Tu-22M, abwirft, sollen die USA und ihre Alliierten nur gelenkte Bomben gegen den Islamischen Staat (IS) im Irak und in Syrien einsetzen. Des Weiteren wird vermutet, dass sowohl russische wie auch syrische Kampfflugzeuge thermobare Waffen und Kassettenbomben einsetzen.
[1] Morse, St. (General Editor), Gulf Air War Debrief, Described by the pilots that fought, World Air Power Journal, Aerospace Publishing, London, and Airtime Publishing, Westport, USA, 1991, P. 220.
Vor dem Ausbruch des Krieges lebten 2010 in Syrien 20‘960‘577 Menschen. Davon waren 90% ethnische Araber. Der Anteil der Kurden, Armenier und anderer Minderheiten machte 10% aus. Während die Kurden zu einem grossen Teil entlang der türkischen Grenze lebten, bewohnten die meisten Armenier Aleppo und Damaskus. Andere Minderheiten waren die Turkmenen um Aleppo oder die Tscherkessen im Raume von Kuneitra. Die Aramäer gehörten zur Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien und die Assyrer waren mehrheitlich chaldäische Christen. Liturgie- und Alltagssprache war Aramäisch, die lingua franca der Levante zurzeit von Christus.
Was die Religion betrifft, so waren 74% der Bevölkerung sunnitische Muslime. Während die Sunniten von Damaskus als liberal galten, waren die Einwohner von Hama, Palmyra und anderen Städten eher konservativ. Der Anteil der Alawiten (Nusairier), Angehörige der Siebener-Schiiten, betrug 12 % der Bevölkerung. Sie bestimmen heute noch die politische Elite des Regimes. Viele Offiziere der Armee von Assad sind Alawiten. Die Zwölferschiiten, 2 % der Bevölkerung, lebten vor allem in Damaskus. Die Drusen, die auch zu den Siebener-Schiiten gerechnet werden, lebten im Dschebel ad-Druz.
Die Minderheit der Yeziden lebte in den Bergen zwischen Aleppo und Afrin und im äusserten Nordosten.
Zehn Prozent der Bevölkerung waren Christen. Sie lebten in und um Damaskus, Homs und Aleppo, teilweise in Dörfern. Die grösseren christlichen Gemeinschaften waren die Melkitischen Kirchen, die Armenisch-Apostolische Kirche und die mit Rom unierte Syrisch-Katholische Kirche sowie die Griechisch-Katholische Kirche. Die Angehörigen der Syrisch-Orthodoxen Kirche bewohnten den Nordosten des Landes, jene der Assyrischen Kirche des Ostens auch im Nordosten und jene der Chaldäischen Kirche in Nordsyrien. Daneben existierten weitere christliche Konfessionen. So waren die Armenier entweder Angehörige der Armenisch-Apostolischen Kirche oder der Armenisch-Katholischen Kirche.
2011 brachen in Syrien Demonstrationen gegen das Regime aus. Wer diese Demonstrationen finanziert und ausgelöst hat, ist bis auf den heutigen Tag ungeklärt geblieben. Sicher ist, dass sehr schnell die Obama-Administration wie in Tunesien, Ägypten und Libyen ein Regime-Change und damit den Sturz des Assad-Regimes in Syrien forderte. Die Herrscher Saudi-Arabiens und der türkische Ministerpräsident Erdogan forderten wie ihre amerikanischen Schutzherren den Sturz des Alawiten-Regimes und die Einsetzung einer durch Sunniten dominerte Herrschaft.
Als sich das Alawiten-Regime mit Polizei-Einsätzen den Forderungen der Demonstranten erwehrte, eskalierten die Ereignisse in Syrien sehr schnell zum allgemeinen Krieg, in dem sehr bald verschiedene sunnitisch geprägte „Widerstandsgruppen“ gegen die Armee von Assad kämpften. Diese wurden und werden immer noch von den Saudis, wie auch von den USA und der Türkei finanziert. Seit 2014 hat der Islamische Staat (IS) den Osten und damit ein Drittel Syriens erobert. Heute gilt Syrien als ein zerstörter, nicht mehr existierender Staat.
Durch den Krieg sind über 4 Millionen Syrer und Syrerinnen ins Ausland geflohen, so vor allem in die Türkei und nach Jordanien und von da aus nach Europa oder nach Nordamerika. Sieben Millionen gelten als Vertriebene im Landesinneren. Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften, die sehr lange den Schutz des Regimes genossen, sind ins Ausland vertrieben worden oder nach Damaskus geflohen. Im Prinzip sind diese alten christlichen Gemeinschaften, die ab dem zweiten Jahrhundert die Entstehung des Weltchristentums bestimmten, nicht mehr existent.
Was nun mehr als störend wirkt, ist, dass ausgerechnet die Obama-Administration, die mit der Regime-Change-Politik ihrer Beraterinnen Susan Rice und Semantha Power, eigentlich für das Chaos in Syrien verantwortlich ist, es tunlichst vermeidet, das Drama der Christenheit in Syrien zu erwähnen und diesen Christen zu Hilfe zu eilen.[1] Noch störender ist es, dass die gleiche Administration, die ursprünglich den IS als eine Bande irregeleiteter junger Männer bezeichnete, aus Gründen der Political Correctness nur mit Zögern den IS mit seinem selbst gewählten Namen, Islamischer Staat bezeichnet.[2] In diesem Fahrwasser des politischen und religiösen Opportunismus schwimmen aber auch europäische Regierungen. Im Sinne einer falsch verstandenen Toleranz sind diese Politiker bereit, alle christlichen Werte ihrer Länder über Bord zu werfen.
[1] Kasmer-Jacobs, J., Trying to Save Christians From ISIS Extermination, in: The Wall Street Journal, December 14, 2015, P. A13.
[2] Nawaz, M., How to Beat This Enemy, in: The Wall Street Journal, December 14, 2015, P. A8/A9.
Das letzte Exemplar der Langstreckenbomber B-52 Stratofortress wurde 1964 ausgeliefert. Die heutigen B-52 gleichen nur noch bedingt den früheren Typen. So ist die ursprüngliche Avionik mehrmals ersetzt und modernisiert worden. Was gleich geblieben ist, sind die acht Turbojets in den Zwillingsgondeln und die Kabelverbindungen im Rumpf. Die B-52 sind wohl langsam und wirken vielleicht primitiv, sie gelten aber, verglichen mit den B-1B Lancer und B-2A Spirit, durch die sie ursprünglich ersetzt werden sollten, als äusserst zuverlässig und stellen deshalb immer noch den Hauptharst der Langstreckenbomber der USA dar. Gemäss der gegenwärtigen Planung der US Air Force sollen die noch verfügbaren B-52 mindestens bis 2040 im Einsatz bleiben.[1]
Verschiedene Varianten dieser achtstrahligen Bomber sind von den USA seit 1964 in diversen Kriegen eingesetzt worden, so im Vietnamkrieg, in der Operation Desert Storm von 1991, in der Operation Allied Force von 1999 gegen Serbien, in der Operation Enduring Freedom von 2001 gegen die Taliban und in der Operation Iraqi Freedom von 2003. Obwohl dieser Bombertyp ursprünglich für den Abwurf von nuklearen Bomben konzipiert worden war, wurden in den erwähnten Kriegen die B-52 in der Regel für die Gefechtsfeldunterstützung der US-Streitkräfte verwendet. Im Vietnamkrieg wie auch in der Operation Desert Storm wurden für die Flächenbombardierungen Freifallbomben abgeworfen. In den Operationen Allied Force, Enduring Freedom und Iraqi Freedom wurden sowohl Freifall- als auch GPS-gelenkte Bomben sowie Marschflugkörper eingesetzt. Ein B-52 kann intern eine Waffenlast von bis zu 22‘680 kg mitführen. Die Marschflugkörper sind an den Flügeln extern aufgehängt.[2]
In der Schlussphase des US-geführten Vietnamkrieges verliessen die Nordvietnamesen am 13. Dezember 1972 die Gespräche von Paris. Offensichtlich auf Anweisung von Henry Kissinger flogen in der Operation Linebacker II vom 18. bis 29. Dezember 1972 200 B-52G 729 Einsätze und warfen 15‘000 Tonnen Bomben über Hanoi und die Hafenstadt Haiphong ab. Die USA verloren durch den Abschuss von 1‘242 Flab-Lenkwaffen durch Nordvietnam 15 B-52. Die Nordvietnamesen kehrten zu den Verhandlungen zurück und unterzeichneten am 23. Januar 1973 das Abkommen.[3] 1975 überrannten sie allerdings mit ihren Divisionen Südvietnam und eroberten Saigon.
Im Luftkrieg der Operation Desert Storm wurden während 43 Tagen vor allem durch B-52 81‘100 Tonnen Freifallbomben auf die irakischen Divisionen im Kriegstheater Kuwait abgeworfen.[4] Dabei wurde der grösste Teil der schweren Waffen des Iraks zerstört:[5]
Auch in der Schlussphase der Operation Allied Force warfen B-52H gegen die Stellungen jugoslawischer Einheiten im Grenzgebiet Kosovo-Albanien Freifallbomben ab. Insgesamt wurden im 78-Tage dauernden Luftkrieg der NATO 16‘587 nichtpräzise Bomben (vielfach Freifallbomben) und Geschosse und damit 71% aller Bomben und Geschosse (23‘315) abgeworfen und eingesetzt.[6]
Über die Zahl der Einsätze der B-52-Flotte mit Freifallbomben gegen die Taliban in der Operation Enduring Freedom vom 6. Oktober bis 7. Dezember 2001 sind zuverlässige Angaben nicht verfügbar. Dies trifft auch für die Operation Iraqi Freedom zu. Während der Krieg in Afghanistan immer noch andauert, haben die USA Ende 2011 offiziell ihre Bodentruppen aus dem Irak abgezogen.
Gegenwärtig verfügen die USA noch über 54 Langstreckenbomber B-52H.[7] Sie werden entsprechend dem mit der Russischen Föderation abgeschlossenen Abrüstungsvertrag als nukleare Waffenträger deklariert. Nach wie vor können aber diese Bomber auch für den Abwurf von konventionellen Bomben, seien dies GPS-gelenkte oder Freifallbomben, eingesetzt werden. Im Hinblick auf den bisher unbefriedigenden Verlauf des durch die USA und ihre Allianz geführten Luftkriegs gegen den Islamischen Staat (IS) könnte der Einsatz der B-52H eine Wende herbeiführen. In allen früheren Kriegen hat schon der Abwurf von Flugblättern mit der Drohung „flee and live, or stay and die“ durch B-52 die gegnerischen Bodentruppen demoralisiert.[8]
Möglicherweise könnte bereits die Androhung von Flächenbombardierungen vor allem die fremden Kämpfer des Islamischen Staates in Syrien und im Irak zur Aufgabe zwingen. Sollte diese Drohung wirkungslos bleiben, dann wäre der nächste Schritt die Flächenbombardierung und damit die Vernichtung des Islamischen Staates in Syrien und im Irak durch B-52H. Angesichts der Tatsache, dass aber sowohl in Afrika als auch in Asien andere terroristische Organisationen bereits dem Kalifen Ibrahim, Abu Bakr al-Baghdadi, als Führer des Islamischen Staates die Gefolgschaft geschworen haben, ist es durch durchaus vorstellbar, dass der IS trotz der Vernichtung im Kerngebiet weltweit überleben und über seine „Provinzen“ den Krieg fortsetzen würde.
[1] Philipps. D., After 60 Years, B-52s still dominate U.S. Fleet, The New York Times Company, December 5, 2015, P. 2.
[2] Weber, O. Chr. (Redaktor), Flugzeuge, Hersteller, Typen, Technik, Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft mbH, Köln, S. 169.
[3] Stahel, A.A. Luftverteidigung – Strategie und Wirklichkeit, mit einem Vorwort von Kaspar Villiger, vdf, Verlag der Fachvereine, Zürich, 1993, S. 60.
[4] Stahel, A.A., S. 104.
[5] Stahel, A.A., S. 105.
[6] Lambeth, B. S., NATO’s Air War for Kosovo, A Strategic and Operational Assessment, RAND, Santa Monica, 2001, P. 88/171.
[7] The Military Balance 2015, The International Institute for Strategic Studies, London, 2015, P. 49.
[8] Philipps, D., P. 4.
Im letzten Jahrzehnt wurde die Welt durch die Weltmacht USA dominiert. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Als Folge der Überdehnung der amerikanischen Streitkräfte durch die Kriege in Afghanistan und im Irak, sowie der damit verbundenen finanziellen Aufwendungen von über 3‘000 Milliarden Dollars, der Finanzkrise von 2008, aber auch aufgrund der Entscheidungen des US-Präsidenten Barack Obama, die Rolle des Weltpolizisten aufzugeben, sind die USA heute vor allem innenpolitisch orientiert. Die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung vertritt seit einigen Jahren die Auffassung, dass die Bewältigung der Konflikte in der Welt anderen Grossmächten überlassen werden sollte. Diese Einstellung bestimmt die Aussen- und Sicherheitspolitik der Obama-Administration und könnte ab 2017 auch auf einen republikanischen Präsidenten einen Einfluss ausüben.
Die Folge dieser Entwicklung ist die heutige Weltlage. Diese wird im Augenblick, und dürfte auch im nächsten Jahr durch die Machpolitik und die Austragung von Konflikten im Dreieck USA – Russland – China bestimmt sein. Ermöglicht durch die erfolgte Aufrüstung der russischen Streitkräfte durch Präsident Wladimir Putin ab 2008, aber auch als Ergebnis der machtpolitischen Schwäche der USA, kann die Russische Föderation in der Welt den USA auf Augenhöhe gegenübertreten. Dies trifft auch für die Volksrepublik China zu. Unter dem Präsidenten Xi Jinping markiert China vor allem in Ostasien, aber auch im indischen Ozean, eine zunehmend offensivere machpolitische Präsenz.
Drei Konflikte im machpolitischen Dreieck
Die machtpolitische Konstellation im Dreieck überdeckt und beeinflusst gleichzeitig drei grössere Konfliktgebiete in der Welt:
Der zerfallende Mittlere Osten?
Der Rückzug der USA Ende 2011 aus dem Irak dürfte die Bildung des Islamischen Staates (IS) unter dem Kalifat von Bakr al-Baghdadi gefördert haben. Diese salafistisch geprägte Organisation hat 2014/15 auf Kosten des Iraks und Syriens ein Gebiet, das grösser als England ist, erobert und herrscht über dieses Territorium mit brutaler Gewalt. Morde und Genozid an religiösen Minderheiten wie den Yeziden, die Zerstörung von Kulturgütern und die Ausführung von Anschlägen im Sinai, Afrika und in Europa führen die Heloten des Islamischen Staates auf Befehl des Kalifen aus. Der Islamische Staat verfügt auch über erhebliche finanzielle Mittel. Diese stammen aus dem Schmuggel syrischen Erdöls über die Türkei, dem Verkauf von geraubten Antiquitäten, der Erbeutung der Devisen der irakischen Nationalbank in Mossul, der Besteuerung der Bewohner der eroberten Gebiete und den Erpressungen von Angehörigen von entführten Syrern, Europäern und Amerikanern. Weitere Geldzuwendungen leisten Gläubige aus Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Der Islamische Staat verwaltet seine Gebiete und verteidigt sie durch eine reguläre Armee. Diese verfügt über moderne amerikanische Waffen, die von der irakischen Armee erbeutet worden sind. Der Mannschaftsbestand rekrutiert sich aus Syrern und Irakern. Des Weiteren werden in anderen arabischen Staaten, in Europa, Russland und Asien fremde Kämpfer angeworben. Dank der Anwerbung dieser Söldner dürfte die Armee des Kalifats zu mindestens 50% aus fremden Kämpfern bestehen, die sich im Kampf besonders durch Rücksichtslosigkeit und Brutalität auszeichnen.
Die Eroberung der irakischen Stadt Bagdad, die immer noch den Nimbus des Kalifats der Abbassiden (750-1258/1517) aufweist, dürfte zur Festigung des Kalifats des IS beitragen. Mit zahllosen Anschlägen in Bagdad will der IS das irakische Regime destabilisieren und die Stadt anschliessend übernehmen.
Nach der Rückeroberung der Jesidenstadt Sinjar im Irak durch die kurdischen Peschmerga konnte festgestellt werden, dass der Islamische Staat unter der Stadt ein System von unterirdischen Bunkern gebaut hatte. Der Schutz durch diese Bunker dürfte einer der Gründe dafür sein, warum bisher der Luftkrieg der USA und ihrer Alliierten sich als beinahe wirkungslos gegenüber dem Islamischen Staat erwiesen hat. Ob der russische Luftkrieg, der bis vor dem Anschlag auf das russische Passagierflugzeug vor allem gegen die syrische Opposition des Assad-Regimes gerichtet war, nun zur Vernichtung des Islamischen Staats führen wird, wird sich zeigen. Möglicherweise könnte sich der Abwurf der Freifallbomben der russischen Jagdbomber und Mittelstreckenbomber im Gegensatz zu den präzisen Bombardierungen der USA und ihrer Alliierten als wirkungsvoller erweisen.
Dass einzelne Nachbarstaaten Syriens und des Iraks zur Existenz des Islamischen Staates beitragen, dürfte der Abschuss des russischen Jagdbombers Su-24 durch einen türkischen Abfangjäger aufgezeigt haben. Zur Stabilisierung des Assad-Regimes greifen russische Jagdbomber und Erdkampfflugzeuge auch Stellungen turkmenischer Kämpfer, die im syrisch-türkischen Grenzgebiet gegen die Streitkräfte von Assad operieren, an. Aus politischen Gründen, aber auch aufgrund ihrer ethnischen Beziehungen zu den Türken, stehen diese Turkmenen offenbar unter dem besonderen Schutz des türkischen Präsidenten Erdogan. Dessen Regierung hat bis anhin die Turkmenen nicht nur mit Waffen beliefert, sondern es auch zugelassen, dass die durch den IS angeworbenen fremden Kämpfer ohne Kontrolle über die türkisch-syrische Grenze die Armee des Islamischen Staates verstärken konnten. Anstatt zusammen mit den USA und ihren Alliierten die Stellungen des IS mit ihren Kampfflugzeugen anzugreifen, bombardiert die Türkei die Stellungen der kurdischen PKK im Irak und auch in Syrien. Deren Soldaten bekämpfen aber auch im Auftrag der Amerikaner den Islamischen Staat und haben bereits Gebiete zurückerobert.
Neben Russland unterstützt die Islamische Volksrepublik Iran das Assad-Regime durch den Einsatz eigener Truppen und von Söldnern, die unter der libanesischen Hisbollah rekrutiert werden. Der Iran unterhält enge politische, militärische und wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Mit der Unterstützung von Assad dürfte der Iran das Ziel der Ausdehnung des eigenen geopolitischen Machtbereichs verfolgen.
Der Hauptgegner des iranischen Machtstrebens ist Saudi-Arabien, das die Verbündeten des Irans in Jemen, die Houthi, die zu den 5er-Schiiten der Zaiditen gehören, mit seiner Luftwaffe unterschiedslos bombardiert und dabei einen Genozid an den Houthi betreiben dürfte. Gleichzeitig dürfte über Saudi-Arabien der Islamische Staat mit modernen Flieger- und Panzerabwehrwaffen beliefert werden. Der Grund dafür dürfte die weitgehende Übereinstimmung der politischen und religiösen Ziele sein. Wie Saudi-Arabien will der IS den Iran bekämpfen und die Schiiten vertreiben.
Gleichzeitig dürfte zwischen Saudi-Arabien und Israel eine Art Stillhalteabkommen bestehen. Beide haben den gleichen Feind, den Iran. Mit ein Grund warum in den besetzten Gebieten bis anhin eine dritte Intifada nicht ausgelöst worden ist. Eine solche wäre nicht im Interesse der Saudis. Israel seinerseits seinerzeit schont bei seinen Luftangriffen gegen Syrien die Stellungen der sunnitischen Islamisten und greift nach dem Motto „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ vor allem die Kämpfer der schiitischen Hisbollah an!
Die Beendigung der Kriege im Mittleren Osten kann nur durch eine Kooperation zwischen den USA und Russland erreicht werden. Sollte eine solche am Desinteresse der Administration in Washington und dem Ziel der USA, den Sturz von Assad herbeizuführen, scheitern, dann könnte die Staatenwelt des Mittleren Ostens als Folge dieser Kriege zerfallen. Die unmittelbare Folge des Zerfalls wäre die Intensivierung der Völkerwanderung aus dem Mittleren Ostens nach Europa. Eine noch grössere Völkerwanderung würde die Aufnahmekräfte der Europäer überfordern und damit zur Erschütterung der europäischen Staatenwelt führen.
Das Südchinesische Meer
Ein weiterer ernster Konflikt zeichnet sich seit ein paar Jahren im Südchinesischen Meer ab. Ausgehend von Interpretationen der Geschichte beansprucht die Volksrepublik China beinahe das gesamte Südchinesische Meer als eigenes Territorium. Dazu gehören die Archipele der Paracel- und Spratley-Inseln. Zur Demonstration seiner Machtansprüche besetzt China entsprechend dem bekannten Kriegsspiel „wei-ch’i“ aus dem chinesischen Altertum[1] schrittweise Inselchen und Riffe, schüttet diese auf und baut auf den neuen Inseln Luft- und Seestützpunkte. Gegenüber diesem Vorgehen und der Besetzung von Gebieten, die die Anrainerstaaten Vietnam, Philippinen, Malaysia und Brunei für sich beanspruchen, haben diese machtlosen Staaten bis anhin ergebnislos protestiert. Die chinesische Küstenwache vertreibt die Fischerboote dieser Staaten rücksichtslos aus dem durch China beanspruchten Gebiet. Das Endziel Chinas könnte die Kontrolle der Seefahrt durch das Südchinesische Meer sein.
Der einzige Staat, der China Widerstand leisten kann, ist die Seemacht USA. Bis anhin hat sich die Reaktion der USA auf Ermahnungen an die Adresse Chinas, sowie auf den Überflug von Langstreckenbombern B-52 über die chinesischen Inselchen und die Entsendung von Zerstörern in das umstrittene Gebiet beschränkt. Sollten sich die USA machtpolitisch als unfähig für die Verteidigung der internationalen Schifffahrt im Südchinesischen Meer erweisen, dann werden sich die Anrainerstaaten nicht nur von der Seemacht abwenden, sondern sich dem neuen Hegemon China zuwenden.
Ein solcher Ausgang des Konfliktes im Südchinesischen Meer könnte aber eine Kettenreaktion auslösen und die Eskalation in anderen Konfliktgebieten, in denen sich China und die USA gegenüberstehen, bewirken. Dazu gehört insbesondere die ungelöste Zukunft der Insel Taiwan. Sollten sich die USA im Südchinesischen Meer als eine Macht im Niedergang erweisen, dann wird die Volksrepublik nicht zögern eine amphibische Operation zur Eroberung von Taiwan auszulösen. Angesichts der Tatsache, dass die Streitkräfte der USA vor allem auf der entfernten Insel Guam stationiert sind, dürfte deren Reaktion für eine Abwehr einer solchen Operation zu spät kommen.
Der nächste Konflikt, der explodieren könnte, ist der gleichzeitige Anspruch Japans und Chinas auf die Senkaku (japanisch) – bzw. Daioyu (chinesisch) –Inselgruppe. Sollten sich auch hier die USA als machtlos erweisen, dann könnte der gleichzeitige Machanspruch auf die Inseln zu einem regelrechten Krieg zwischen Japan und China eskalieren, dessen Ausgang fatale Folgen, nicht nur für Ostasien, sondern auch für den gesamten Welthandel, hätte.
Die Eindämmung der Konflikte im Südchinesischen Meer kann nur durch eine Kombination einer wirkungsvollen und langfristig angelegten Diplomatie, einer machtpolitischen Rückbesinnung und damit der Wiederaufnahme der Präsenz mit amerikanischen Seestreitkräften im Südchinesischen Meer erreicht werden. 2016 wird sich zeigen, ob die Amerikaner dazu noch fähig sind.
Die Ost-Ukraine
Ein Konflikt, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt, scheinbar als eingefroren gilt, ist die Lage in der Ost-Ukraine. Dieser Konflikt ruht nur scheinbar. Nicht nur stehen sich in der Ukraine die Interessen der EU und jene Russlands gegenüber, auch die USA sind seit Beginn des Ausbruchs dieses Konfliktes in die Auseinandersetzungen involviert. Nur schon wegen der ukrainischen Diaspora in den USA kann die Obama-Administration nicht abseitsstehen und muss ihre Aufmerksamkeit auf die Ukraine ausrichten. Dazu kommen noch die treuen Alliierten der USA, Polen und Litauen, die sich für die Durchsetzung der Westausrichtung der Ukraine offenbar an der historischen Epoche des Grossreiches Polen-Litauen (1569-1795) orientieren. Sowohl Polen wie auch Litauen haben in den USA auch ihre eigene Diaspora.
Bereits seit 2014 wird die ukrainische Armee durch US-Instruktoren ausgebildet und modernisiert. Bis anhin hat die Obama-Administration die Lieferungen eigentlicher Waffen an die Ukraine verweigert. Der Ausgang des Konfliktes in der Ukraine dürfte auch die Zukunft der politischen und wirtschaftlichen Interessen der USA am alten Kontinent Europa mitbestimmen.
Russland unter Präsident Waldimir Putin kann nur schon aus geopolitischen Gründen nicht zusehen, wie das Schwarzmeer zu einem durch die NATO beherrschten Meer wird. Deshalb kann Russland mindestens die Ost-Ukraine nicht einfach tatenlos aufgeben. Sollte sich die Westausrichtung der Ukraine als definitiv erweisen, kann der russische Präsident jederzeit den Kleinen Krieg in der Ost-Ukraine wieder anheizen. Der Konflikt um die Ukraine kann nur durch eine diplomatische Lösung beigelegt werden, in dem sowohl die Interessen der EU und der USA wie auch jene Russlands beachtet würden. Dazu könnte eine gleichzeitige Assoziierung der Ukraine mit der EU und der Eurasischen Wirtschaftsunion gehören. Eine andere Lösung wäre die Abspaltung der Ost-Ukraine und deren Vereinigung mit der Russischen Föderation. Für die Stabilisierung dieses Ansatzes müssten die USA und die EU sowohl die Ost-Ukraine wie auch die Halbinsel Krim als russisches Territorium völkerrechtlich anerkennen.
Langfristig kann es nicht im Interesse der USA und der EU sein, Russland politisch und wirtschaftlich aus dem atlantischen Wirtschaftsraum auszugrenzen. Dafür ist Russland zu gross und für Europa nur schon aufgrund seiner Energiereserven geostrategisch zu wichtig.
2016, ein entscheidendes Jahr!
Sollte es im Verlaufe des Jahres 2016 dem machtpolitischen Dreieck USA – Russland – China nicht gelingen die drei beschriebenen Konfliktherde mindestens einzudämmen, wenn nicht sogar zu bewältigen, dann könnte die Gefahr bestehen, dass sich diese Konflikte ab 2017 wie ein Krebsgeschwür auf andere Regionen dieser Welt ausdehnen könnten. Entscheidend für die Eindämmung und auch für die Bewältigung der Konfliktherde sind diplomatische Absprachen durch das machtpolitische Dreieck und ein Verzicht auf militärische Muskelspiele durch die drei Grossmächte. Angesichts der Tatsache, dass alle drei Grossmächte durch rational denkende Staatsmänner geführt werden, ist diese Hoffnung nicht unbegründet.
[1] Stahel, A.A., Schach und Go: Angriff, List und Hinterlist, in: Stahel, A.A. (Hrsg.), List? Hinterlist in unserer Zeit, vdf, Hochschulverlag an der ETH Zürich, Zürich, 2000, S. 245-268.
Seit anfangs September 2015 wird der mit Minsk II abgeschlossene Waffenstillstand durch die ukrainischen Streitkräfte und die Milizen der Separatisten mehr oder weniger eingehalten. Nach wie vor dürften in den durch die Separatisten kontrollierten Gebieten von Luhansk und Donezk russische Truppen stationiert sein, die das eigentliche Rückgrat der Milizen bilden. Immer noch dürften an der Grenze zur Ukraine russische Einheiten stationiert sein. Noch zu Beginn des Jahres 2015 wurde der Bestand an russischen Truppen im ukrainisch-russischen Grenzgebiet durch die NATO auf 50‘000 Mann beurteilt.[1] Gemäss der UNO sollen ab April 2014 bis Juli 2015 in diesem Krieg 6‘832 Menschen getötet und über 17‘000 verwundet worden sein.[2] Seit ihrer offenen Intervention im September 2014 sollen die russischen Truppen mindestens 220 tote Soldaten zu beklagen haben.[3]
Offenbar haben die Milizen der Separatisten und ihre russischen Verbündeten die Eroberung der ukrainischen Stadt Mariupol und der damit ursprünglich geplanten Offensive entlang dem Schwarzmeer, mit dem Ziel das Gebiet von Novorossiya aus der Zeit von Katharina der Grossen wieder zu begründen, aufgegeben. Der bisherige Krieg in der Ost-Ukraine wie auch die vermutete Offensive, die in den westlichen Medien insgesamt als „Hybrider Krieg“ von Wladimir Putin[4] bezeichnet wurde, dürfte in Moskau auch angesichts der zunehmenden Kampffähigkeit der ukrainischen Streitkräfte ad acta gelegt worden sein. Der Hybride Krieg ist seit Mitte 2015, da keine entscheidende Schlachten und Gefechte mehr geführt werden konnten, zur allgemeinen Erschöpfung beider Seiten, einschliesslich der russischen Verbündeten der Separatisten, degeneriert. Diesen Endzustand eines Krieges hat der deutsche Historiker und Kriegstheoretiker Hans Delbrück zu Recht als die letzte Phase der Ermattungsstrategie, die im Gegensatz zur Niederwerfungsstrategie eines Napoleons stand, der die gegnerischen Streitkräfte immer vernichten wollte, bezeichnet.[5]
Der Erschöpfungszustand dürfte auf russischer Seite auch die Folge der direkten und indirekten Kosten des Krieges sein, die insbesondere durch die Sanktionen der EU und der USA versuracht worden sind. Zu beachten ist des Weiteren die Tatsache, dass die Russische Föderation für einen Vorstoss entlang dem Schwarzmeer oder gar in Richtung Kiew nicht über eine genügend leistungsfähige Infrastruktur für eine schnelle Verschiebung der Streitkräfte verfügt. Nach wie vor muss Russland grosse Truppenverschiebungen über sein, nur in begrenztem Masse dafür geeignetes, Eisenbahnnetz abwickeln.
Dieser Schwachpunkt in einem Aufmarsch der russischen Streitkräfte bedeutet aber nicht, dass diese Streitkräfte für begrenzte Operationen und damit für kleine Kriege nicht einsetzbar wären. So könnte Russland heute beinahe aus dem Stand die baltischen Republiken überrennen und besetzen. Die NATO wäre aufgrund ihrer ungenügenden militärischen Vorbereitungen in diesem Raum nicht in der Lage einen solchen Vorstoss mit konventionellen Streitkräften abzuwehren. Die Abschreckungsfähigkeit der NATO im Baltikum und auch in den übrigen osteuropäischen Staaten mit konventionellen Streitkräften muss zum gegenwärtigen Zeitpunkt, u.a. auch wegen der fehlenden Mittel, die auch die Folge der deutschen Obstruktion zur Errichtung von Stützpunkten in Osteuropa sind, als beinahe nicht existent bezeichnet werden.[6] Angesichts des nuklearen Drohpotentials Russlands würden weder die USA noch die NATO einen russischen Vorstoss ins Baltikum mit dem Einsatz von Kampfflugzeugen mit nuklearen Freifallbomben beantworten. Dass die russischen Streitkräfte durchaus zu begrenzten Offensiven fähig sind, hat Russland unter Putin sowohl in Georgien 2008, wie auch in der Ukraine 2014 und jetzt in Syrien 2015 demonstriert. Während ein allgemeiner konventioneller Krieg in Europa kaum vorstellbar ist, muss die Gefahr weiterer kleinerer Kriege à la Putin ernst genommen werden.
[1] Freedman, L., Ukraine and the Art of Exhaustion, in: Survival, The International Institute for Strategic Studies, Volume 57, Number 5, October – November 2015, P. 89.
[2] Freedman, L., P. 77.
[3] Freedman, L., P. 88.
[4] Charap, S., The Ghost of Hybrid War, in: Survival, The International Institute for Strategic Studies, Volume 57, Number 6, December 2015 – January 2016, P. 51-58.
[5] Delbrück, H., Geschichte der Kriegskunst, im Rahmen der politischen Geschichte, Vierter Teil, Neuzeit, Verlag von Georg Stilke, Berlin, 1920, S. 520/521.
[6] Colby, E. and J. Solomon, Facing Russia: Conventional Defence and Deterrence in Europe, in: Survival, The International Institute for Strategic Studies, Volume 57, Number 6, December 2015 – January 2016, P. 21-49.
Aufgrund von Augenzeugenberichten muss die Lage in Afghanistan als eine sich abzeichnende Katastrophe bezeichnet werden. Während die Taliban beinahe ungehindert über die südlichen, durch Paschtunen besiedelten Provinzen Afghanistans, insbesondere Helmand und Kandahar, herrschen und sie sich auch in nördlichen Provinzen, wie Kunduz, durchsetzen, setzt sich der Islamische Staat (IS) in zunehmendem Masse in den beiden östlichen Provinzen Nangarhar und Nuristan durch.
Der seit 2014 über Afghanistan regierende Präsident, der Paschtune Ghani, erweist sich als schwach und unfähig, die sich immer mehr abzeichnende Destabilisierung des Landes aufzuhalten. Die afghanische Armee ANA (Afghan National Army), erleidet im Kampf gegen die Taliban hohe Verluste und die korrupte Afghan National Police erweist sich als unfähig, die Kontrolle über die umstrittenen Gebiete zu übernehmen und findet sich in vielen Bezirken im Süden mit dem fait accomplit der Herrschaft der Taliban ab. Einzelne Bezirksgouverneure treten nach ihrer Ernennung ihre Funktion gar nicht erst an, sondern bleiben in Kabul.
Neben dem Krieg zwischen der ANA, den Taliban und dem Islamischen Staat floriert nach wie vor im Süden, im Osten und im Norden Afghanistans der Anbau von Schlafmohn und Cannabis. Die daraus gewonnenen Drogen, wie Heroin und Morphin, werden ohne Kontrolle ins Ausland verschoben. Am Gewinn sind insbesondere die afghanische Drogenmafia und ihre Schutzherren in Kabul beteiligt.
Während das Land ins Chaos abgleitet, versuchen insbesondere die beiden Nachbarstaaten Iran und Pakistan ihren politischen Einfluss im schwach regierten Land durchzusetzen und zu vermehren. Dazu bedienen sie sich ihrer Klientel, die Pakistan wirken über die Taliban und die Iraner über die schiitische Minderheit der Hazara. Aber auch Turkmenistan ist an diesem Chaos beteiligt. Offenbar auf Anweisung eines anderen Staates finanziert Turkmenistan den Islamischen Staat in Afghanistan.
Während die USA und ihre NATO-Alliierten, dem Abgleiten von Afghanistan in die Katastrophe beinahe tatenlos zuschauen und sich allenfalls mit einzelnen Drohneneinsätze gegen Exponenten des IS und der Taliban begnügen, versucht auch die Russische Föderation wieder in Afghanistan an Einfluss zu gewinnen. Als vor kurzem die Taliban, wie vermutlich auch Einheiten des IS, in der Nordprovinz Faryab Waffenlager anlegten, wurden diese durch russische Streitkräfte mit Mehrfachraketenwerfer von Turkmenistan aus zerstört.
Der durch die Obama-Administration sowie Deutschland beschlossene Stopp im Truppenabzug wird die Katastrophe kaum abwenden können!
Seit dem 20. November 2015 kontrolliert der Islamische Staat (IS) im Osten Afghanistans die Autostrasse zwischen Jalalabad, der Hauptstadt der Nangarharprovinz, und dem Grenzposten Torkham und damit den gesamten Transport, der von oder nach Pakistan über den Khyberpass führt.[1] Der IS hat sich seit der Bildung des Wilayats (Provinz) Khorasan (die historische Bezeichnung für die Region, welche auch Afghanistan umfasste) am 11. Januar 2015 in verschiedenen Provinzen Afghanistans etabliert. Dazu gehören neben Nangarhar die Provinzen Logar, Paktia und Laghman. In den paschtunischen Stammesgebieten Pakistans dürften die Bezirke Orakzai, Khyber, Peshawar, Hangu und Kurram Teil dieses Wilayats sein.
Die Bildung des IS in Teilen Afghanistans wie auch Pakistans ist das Ergebnis des Zerfalls der pakistanischen Taliban TTP (Tehrik-e-Taliban Pakistan) nach dem Tod ihres Anführers Hakimullah Mehsud im November 2013 sowie der Operationen der pakistanischen Armee in verschiedenen Bezirken der paschtunischen Stammesgebiete westlich der Stadt Peshawar gegen die TTP. Der Sprecher der TTP, Shahidullah Shahid schwor öffentlich im Oktober 2014 dem IS Gefolgschaft. Ihm schlossen sich Kommandanten der TTP in den paschtunischen Stammesgebieten an. Durch die pakistanische Offensive Khyber I im Oktober 2014 wurden viele dieser Kommandanten mit ihren Jihadisten in die afghanische Provinz Nangarhar abgedrängt.[2] Am 26. Januar 2015 anerkannte der Islamische Staat als Emir (Gouverneur) des Wilayats Khorasan Hafeez Saeed Khan. Dieser soll der Führung des IS seinen Plan für die militärischen Operationen in seinem Wilayat unterbreitet haben.
Der Islamische Staat entführt und ermordet in verschiedenen afghanischen Provinzen vielfach Angehörige der schiitischen Minderheit der Hazara. Gleichzeitig besteht seit März 2015 eine Allianz zwischen dem IS und dem Islamic Movement of Usbekistan (IMU). Letzterer operiert im Norden Afghanistans und im Grenzgebiet zu Pakistan.[3]
Im Juli 2015 führten die USA intensive Drohnenangriffe gegen die Anführer des Wilayats Khorasan durch. Am 7. Juli 2015 sollen dabei der erwähnte Shahidullah Shahid sowie einzelne Kommandanten der früheren TTP getötet worden sein.[4] Die afghanische Regierung hat sich bisher auf eine einzige Operation seiner Sicherheitskräfte ANSF (Afghan National Security Forces) am 12. November 2015 gegen den IS im südöstlichen Teil der Provinz Nangarhar beschränkt.
Der IS nützt die Inaktivität der Kabuler Regierung wie auch die Auseinandersetzungen in der Führung der afghanischen Taliban, die nach dem möglichen Tod des Nachfolgers von Mullah Omar, Mullah Akhtar Mansour, am 2. Dezember 2015 ausgebrochen sind, für sich aus. So betreibt der IS unter den verunsicherten Taliban von Afghanistan eine durchdachte Rekrutierungskampagne und setzt seine asymmetrischen Angriffe gegen die Regierung in der Nangarharprovinz fort. Mit den Tötungen von Angehörigen der Hazara will der IS einen religiösen Krieg in Afghanistan und Unruhen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet provozieren.[5]
[1] Gambhir, H., ISIS in Afghanistan, Institute for the Study of War, December 3, 2015, P. 2.
[2] Gambhir, H., P. 4.
[3] Gambhir, H., P. 4.
[4] Gambhir, H., P. 6.
[5] Gambhir, H., P. 7.
Als Reaktion auf den Abschuss eines Jagdbombers Su-24 durch ein türkisches Kampfflugzeug F-16 hat der russische Verteidigungsminister Sergei Shoigu die Verlegung des weitreichenden Fliegerabwehrsystems S-400 auf den internationalen Flughafen Bassel al-Assad bei Latakia angeordnet.[1] Die Einsatzreichweite der S-400 soll 400 km betragen.[2] Gleichzeitig ist der Raketenkreuzer Moskwa für den Schutz des Fliegerstützpunktes Hmeimim und des Flottenstützpunktes Tartu näher an die syrische Küste verlegt worden.[3]
Als weitere Massnahme müssen von jetzt an, in Ergänzung zu den bereits in Syrien stationierten Abfangjägern 12 zusätzliche Suchoi Su-30SM und Su-27SM3 Flanker, ausgerüstet mit modernen Radars N001VEP und Triebwerken AL-31F-M1, vom Stützpunkt Hmeimim aus den Begleitschutz für die russischen Jagdbomber und Erdkampfflugzeuge auf ihren Bombardierungseinsätzen leisten.[4] Bisher verfügten die Su-30SM in Syrien nur über Luft-Luft-Lenkwaffen des älteren Typs R-27.
Eine weitere Anordnung betrifft die Ausrüstung der modernen Jagdbomber Su-34 Fullback mit Luft-Luft-Lenkwaffen für den Selbstschutz, in Ergänzung zu den mitgeführten Freifallbomben OFAB-500 und gelenkten Bomben KAB-500. Bei diesen Luft-Luft-Lenkwaffen könnte es sich um die modernen halbaktiv radargesteuerten Lenkwaffen des Typs Vympel handeln.[5]
Offenbar soll Russland gegenwärtig Kampfflugzeuge und 1‘000 Mann Bodentruppen auf den Stützpunkt Shayrat in der Provinz Homs verlegen, um die Rückeroberung der Oase Palmyra vom Islamischen Staat durch syrische Truppen zu unterstützen.[6]
Welche Ziele dürfte der russische Präsident Wladimir Putin mit dieser Verstärkung des russischen Arsenals in Syrien verfolgen? Das oberste Ziel ist sicher die demonstrative Unterstützung des Regimes von Assad in Syrien. Dieser soll nach russischer Auffassung weiterhin an der Macht bleiben. Ein weiteres Ziel könnte die Demonstration der Einsatzfähigkeit des modernen Arsenals von Russland gegenüber der NATO sein. Denkbar ist auch, dass diese Demonstration als Drohung an die Adresse der USA und der NATO gerichtet ist, gemäss der Russland seine militärische Aktivität in der Ukraine oder gegen das Baltikum jederzeit ausweiten könnte.
Sicher ist, dass durch die russische Aufrüstung in Syrien die strategische Lage im Mittleren Osten komplizierter geworden ist und dass trotz der verschiedenen Absprachen jederzeit ein Luftkampf zwischen russischen und NATO-Kampfflugzeugen stattfinden könnte. Verantwortlich für diese Lage ist aber schlussendlich der türkische Präsident Erdogan mit dem Abschuss des russischen Jagdbombers Su-24.
[1] Institute for the Study of War, Russia Security Update: November 25 – December 1, 2015.
[2] Tilghman, A., New Russian surface-to-air missiles in Syria, http://militari.ly/1HADLd4, November 30, 2015, 14:47.
[3] Tilghman, A.
[4] Majumdar, D., Next Up for Syria: Even More Lethal Russian Military Hardware, in: The National Interest, November 30, 2015.
[5] Majumdar, D.
[6] Institute for the Study of War.
Vergangenen Dienstag hat US-Verteidigungsminister Ashton Carter gegenüber dem Verteidigungsausschuss des Repräsentantenhauses (House Armed Services Committee) verkündet, dass die USA zusätzlich zu den bisher im Irak stationierten 3‘500 Angehörigen der US-Streitkräfte ein besonderes Fliegerleitteam (Special Expeditionary Targeting Force) von 100 bis 150 Soldaten und Offizieren zwecks zahlenmässiger Steigerung der Fliegerangriffe gegen den Islamischen Staat (IS) im Irak einsetzen würden.[1] Beinahe gleichzeitig gab Carter bekannt, dass unter dieser Truppe ein Kommando von rund 100 Soldaten sei, das nicht mit der Fliegerleitung, sondern mit direkten Angriffen auf die Führung des IS beauftragt würde, so „to conduct raids, free hostages, gather intelligence, and capture ISIL leaders“.[2] Ein solcher Auftrag würde bedeuten, dass es sich bei diesem Kommando um Elitesoldaten der SEALs der US Navy oder der DELTA Force der US Army handeln könnte.[3] Für das Aufspüren und Töten von Angehörigen der Führungsgarnitur des IS würden Scharfschützen dazu gehören.[4]
Als Entgegnung auf die Mitteilung Carters haben der irakische Ministerpräsident und andere Politiker verlauten lassen, dass der Irak einer Stationierung fremder Kampftruppen auf seinem Territorium nicht zustimmen würde.[5] Bis anhin hatten die 3‘500 US-Soldaten im Irak offiziell keinen Kampf- sondern lediglich einen Ausbildungsauftrag bei der irakischen Armee.[6] Sollte entsprechend der Mitteilung des irakischen Ministerpräsidenten eine Stationierung des neuen Teams im Irak nicht möglich sein, dann wäre vorstellbar, dass die Amerikaner das Einsatzteam mit dem Kommando und den Scharfschützen auf kurdischem Gebiet mit den Peschmerga stationieren würden. Offenbar sollen schon jetzt auf kurdischem Gebiet US-Elitesoldaten gegen den IS im Einsatz sein.[7]
In ihren Kriegen im Irak und insbesondere in Afghanistan haben die USA für die Liquidierung gegnerischer Kommandanten zunehmend Scharfschützen eingesetzt.[8] Diese Scharfschützen waren Mitglieder der SEALs oder der DELTA Force oder auch des US Marine Corps. Zuerst operierten die Scharfschützen von einem getarnten Ort oder Haus aus allein oder im Zweierteam. Später wurden ganze Teams von Scharfschützen gebildet. Während noch zu Beginn der beiden Kriege die Scharfschützen vor allem mit Repetiergewehren ausgerüstet waren[9], werden heutzutage Halbautomaten verwendet.[10] Der Grund dafür ist, dass in einem verdeckten Einsatz vielfach mehrere Ziele gleichzeitig bekämpft werden müssen. Sehr oft sind insbesondere die Schützen des US Marine Corps mit dem halbautomatischen Scharfschützengewehr SR-25M, NATO-Kaliber 7.62 mmm, ausgerüstet, das die gleiche Präzision wie die früheren Repetierer aufweist. Dank dem Gasdrucklader ist dieses Gewehr schneller einsatzbereit.
Sowohl im Irak- als auch im Afghanistankrieg haben die amerikanischen Scharfschützen oft gegen leicht gepanzerte oder weit entfernte Ziele (Flugzeuge, Einsatzzentren, Radarstellungen, Munitionslager, usw.) den Halbautomaten M107 Long Range Sniper Rifle (LRSR) im Kaliber 0.50 (12.7 mm) benützt.[11] Diese Waffe weist eine Einsatzreichweite von 1‘829 Metern auf und wiegt ohne Munition 12.9 kg. Nur schon wegen dieses Gewichts ist dieses Gewehr die Waffe eines Zweierteams.
Im Gegensatz zur Operation Iraqi Freedom (OIF) von 2003 bis 2011 und der Operation Enduring Freedom (OEF) seit 2001 stehen die amerikanischen Elitesoldaten und Scharfschützen mit dem IS jetzt einer Armee gegenüber, die von kriegserprobten Offizieren der früheren Armee von Saddam Hussein geführt wird. Auch die Armee des IS verfügt über Scharfschützen. Diese dürften mit dem russischen Scharfschützengewehr 7.62 mm SVD (Dragunow), auch ein Halbautomat mit Gasdrucklader, ausgerüstet sein. Diese Scharfschützen[12] dürften ihr Metier kennen. Die amerikanischen Scharfschützen werden deshalb jetzt einem gleichwertigen Gegner gegenüberstehen.
[1] Grady, J., Dunford on ISIS: ‚The Enemy Doesn’t Respect Borders and Neither Do We‘, USNI News, December 1, 2015, 14:58.
so auch Cordesman, A. H., More Special Forces For Iraq and Syria: Tactical Asset or Strategic Tokenism, Center for Strategic and International Studies (CSIS), Washington DC, December 3, 2015, 12:39.
so auch Institute for the Study of War, Iraq Situation Report: November 20 – December 2, 2015.
[2] Shane III, L., DoD to deploy ‚targeting force‘ to hunt down ISIS leaders, http://militari.ly/1XEps9a, December 1, 2015, 15:.03.
so auch Tilghman, A. and L. Shane III, Pentagon do send 100 more troops to Iraq, http://militari.ly/1XHUA7Y, December 2, 2015, 17:04.
[3] Brook, T. V., Special operations strike force heading to Iraq, in: USA TODAY, 01 December, 2015, 17:33.
[4] Brook, T. V.
[5] Al Jazeera and agencies, Iraq: We don’t need foreign troops to fight ISIL, 02 December 2015, 06: 53.
so auch Rasheed, A., Iraqi politicians, militias warn Abadi against U.S. force deployment, Reuters, December 2, 2015, 11:59.
[6] Shane III, L.
[7] Hawramy, F., Mohammad, Sh. and D. Smith, Kurdish fighters say US special forces have been fighting Isis for months, in: The Guardian, 30 November 2015, 11:30.
[8] Neville, L., Special Forces in the War on Terror, Osprey Publishing, Oxford and New York, 2015, P. 260/261.
[9] Kyle, Chr., American Sniper, Harper Collins Publishers, New York, 2013, P. 112-120.
[10] Neville, L., P. 241.
[11] Kyle, Chr., P. 117.
[12] Hawramy, F., Mohammad, Sh. and D. Smith, Kurdish fighters say US special forces have been fighting Isis for months, in: The Guardian, 30 November, 2015, 11:30.
Die Armee des Islamischen Staates (IS) ist mit verschiedenen Waffentypen ausgerüstet. Zu den schweren Waffen gehören amerikanische Kampfpanzer Abrams, russische Kampfpanzer T-72 und russische Kampfschützenpanzer BMP-1. Was die Fliegerabwehr der Armee des IS betrifft, so gehören dazu russische Flab-Maschinengewehre 12.7 mm DSchK und 14.5 mm ZPU-1/2, aber auch Flab-Einmann-Lenkwaffen SA-7 GRAIL. Zu den Panzerabwehrwaffen gehört u.a. das weltweit weit verbreitete Raketenrohr RPG-22. Zum Bereich der Artillerie dieser Armee sind die russischen Mehrfachraketenwerfer 122 mm BM-21 GRAD und die russischen Kanonen 130 mm M-46 zu erwähnen. Bei den Sturmgewehren sind sowohl die amerikanischen 5.56 mm M-16 wie auch die russischen Kalaschnikow 7.62 mm AK-47 vertreten.[1]
Diese verschiedenen Waffensysteme stammen sowohl von der irakischen wie auch von der syrischen Armee. Die Kampfpanzer Abrams hat der IS von Einheiten der irakischen Armee erbeutet, die 2014 aus dem Nordwesten des Iraks geflüchtet sind. Die russischen Panzer und Kampfschützenpanzer dagegen stammen vor allem aus dem Arsenal der Armee von Assad. Das Vorhandensein und auch der Einsatz der schweren Waffen ist ein Beweis dafür, dass die Armee des Islamischen Staates wie eine reguläre Armee ausgerüstet ist und auch so eingesetzt wird. Von einer Terrormiliz, wie sie in den europäischen Medien bezeichnet wird, kann nicht die Rede sein. Geführt wird diese Armee durch kampferprobte Kommandeure, die zum Teil ihren Beruf in der früheren Armee von Saddam Hussein erlernt und ihre Erfahrungen im Krieg gegen den Iran von 1980 bis 88 und in den beiden Kriegen gegen die USA und ihre Alliierten von 1991 und 2003 gesammelt haben.
Eine konventionelle Armee wie jene des Islamischen Staates, die in ständigen Kämpfen sowohl im Irak wie auch in Syrien im Einsatz ist, weist einen hohen Munitionsverbrauch auf. Dies bedeutet, dass der Nachschub vor allem für die schweren Waffen gesichert sein muss. Dies trifft selbstverständlich auch für den hohen Munitionsverbrauch der Sturmgewehre Kalaschnikow und M-16 zu. Wäre der Munitionsnachschub nicht gesichert, dann wäre der Islamische Staat schon längst vernichtet worden. Die Munitionslieferungen für die Waffensysteme des Islamischen Staates sichern Händler, die offenbar die Munition von den Feinden des Islamischen Staates, dazu gehören die irakische Armee und die schiitischen Milizen im Irak wie Einheiten der Armee von Assad, kaufen sollen.[2] Solange der Profit stimmt, verkaufen sowohl die Händler wie auch ihre Lieferanten die von der Armee des Islamischen Staates benötigte und geforderte Munition an Ort und Stelle.
[1] Solomon, E., Arms dealers gorge on jihadi gun-running cash, in: Financial Times, 1 December 2015, P. 4.
so auch Conflict Armament Research, Dispatch from the Field, Islamic State Weapons in Kobane, London, April 2015.
[2] Solomon, E.
Der Sicherheitsexperte Albert A. Stahel sagt, das Risiko eines Terroranschlags in der Schweiz sei niedrig. Vom Westen fordert er endlich einen Plan zur Vernichtung des strategisch agierenden IS.
Interview in der Aargauer-Zeitung vom 23. November 2015.
Am 24. November hat ein türkischer Abfangjäger F-16 einen russischen Jagdbomber Su-24 abgeschossen. Gemäss der türkischen Luftverteidigung soll die Besatzung des Su-24 während 5 Minuten 10 Mal gewarnt worden sein, dass sie mit ihrem Kampfflugzeug in den türkischen Luftraum über der Provinz Hatay eingedrungen seien.[1] Die russische Seite bestreitet dieses Eindringen durch den russischen Jagdbomber. Tatsache ist, dass der Su-24 über syrisches Territorium abstürzte.[2] Dieser Absturzort wurde auch im russischen Fernsehen am 24. November 2015 (in Moskau) aufgezeigt und so kommentiert. Sowohl der Pilot wie auch der Waffenoffizier konnten sich mit dem Schleudersitz retten. Während der Letztere durch syrische Truppen, unterstützt durch russische SPETZNAZ, gerettet werden konnte, wurde der Pilot durch turkmenische „Irreguläre“ mit Infanteriewaffen abgeschossen und getötet.[3] Anschliessend zwangen die Turkmenen einen russischen Transporthelikopter Mi-8, der zur Rettung der Mannschaft in das Kampfgebiet flog, mit dem Feuer ihrer Infanteriewaffen zur Landung gezwungen. Dabei wurde ein Marinesoldat getötet. Anschliessend zerstörten sie den Helikopter mit amerikanischen Panzerabwehrlenkwaffen TOW.[4]
Nur schon aufgrund des Absturzortes des Jagdbombers muss die russische Version als die richtige bezeichnet werden. Des Weiteren ist zu bemerken, dass die Türkei insbesondere die turkmenische Opposition im Gebiet von Jabal al-Turkman der syrischen Provinz Latakia gegen das Regime von Assad politisch unterstützt und vermutlich auch mit Waffen beliefert.[5] Ankara hat mehrmals gegen die russischen Luft-Boden-Angriffe gegen die Turkmenen protestiert und Erdogan hat die Verteidigung der Turkmenen durch die Türkei öffentlich beansprucht. Der russische Präsidenten Wladimir Putin hat seinerzeit festgehalten, dass die Mannschaft des abgeschossenen Jagdbombers Su-24 den Auftrag hatte, die Kämpfer dieses Gebietes anzugreifen.[6] Den Abschuss hat der russische Präsident Wladimir Putin als „einen hinterhältigen Dolchstoss“ und der russische Aussenminister Lawrow als „eine geplante Provokation“ bezeichnet.[7]
Welches sind die unmittelbaren Auswirkungen des Abschusses? Gemäss der Anordnung des russischen Verteidigungsministers werden von jetzt an alle Jagdbomber bei ihren Bombardierungen durch Abfangjäger Su-30 geschützt werden.[8] Dass der abgeschossene Su-24 keinen solchen Begleitschutz hatte, muss angesichts der Lage im Kriegsgebiet als Leichtsinnig bezeichnet werden. Des Weiteren wird, wie im russischen Fernsehen am 25. November gezeigt wurde, eine Batterie des modernen Luftverteidigungssystems S400 auf den russischen Kriegsflugplatz Hmeimim bei Latakia verlegt. In der Zukunft dürfte jedes Kampfflugzeug, das einen russischen Jagdbomber bedroht, durch Su-30 oder S400 abgeschossen werden.
Putin hat von Erdogan eine Entschuldigung verlangt. Dieser hat dies mit der Bemerkung abgelehnt, dass Russland sich für das Eindringen in den türkischen Luftraum entschuldigen müsse.[9] Als Sofortmassnahme hat Russland den Import von türkischen Lebensmittel gestoppt. Des Weiteren ist für Türken und Türkinnen wieder die Visumspflicht nach Russland eingeführt worden. Die russische Finanzierung des Baus eines Kernkraftwerkes in der Türkei dürfte eingefroren werden. Möglicherweise wird Russland weitere Wirtschaftsmassnahmen gegen die Türkei ergreifen.
Barack Obama hat bis jetzt den Abschuss des russischen Jagdbombers vorsichtig kommentiert und in einer Art Nibelungentreue gegenüber dem Alliierten das Recht der Türkei betont, den eigenen Luftraum zu schützen und zu verteidigen.[10] Angesichts der Tatsache, dass in der nächsten Zukunft die Spannungen im Kriegsgebiet entlang der syrisch-türkischen Grenzen noch mehr zunehmen könnten, wären die USA und ihre Alliierten gut beraten ihre Beziehungen zur Türkei zu überprüfen. Zur Vermeidung einer weiteren Eskalation kriegerischer Luftkriegsaktionen sollten die USA ihren Kettenhund, der bis anhin immer loyal die Interessen der USA im Mittleren Osten wahrgenommen hat, wieder an die Leine nehmen. Dies dürfte aber, angesichts des offensichtlichen Desinteresses von Erdogan am Niederringen des Islamischen Staates (IS), nicht einfach sein.
[1] Oliker, O. and J. Mankoff, Turkey’s Downing of a Russian Jet, Center for Strategic & International Studies, CSIS, Washington DC, November 25, 2015, P. 1.
[2] Stratfor, Russia, Turkey: Two Versions of the Same Story, November 25, 2015, 20:18.
[3] Oliker, O. and J. Mankoff, P. 1.
[4] Stratfor, What to Expect After the Downing of a Russian Fighter Jet, November 24, 2015, 19:47.
[5] Oliker, O. and J. Mankoff, P. 2.
[6] Oliker, O. and J. Mankoff, P. 2.
[7] Oliker, O. and J. Mankoff, P. 1.
[8] Oliker, O. and J. Mankoff, P. 2.
[9] Ostroukh, A., Dagher, S., Abdulrahim, R., Alakraa, M.N., Lubold, G. and J. Barnes, Turkey Downs Russian Jet; Ankara claims fighter violated airspace; Moscow says it was over Syrian territory, in: The Wall Street Journal, November 25, 2015, P. A1/A4.
[10] Stratfor, U.S., France: Presidents Respond to Downed Russiand Fighter Jet, November 24, 2015, 18:14.
Erschienen im PORTAS CAPITAL Newsletter November 2015:
Stärken und Schwächen Russlands
Die Tatsache, dass Russland mit 17‘075‘400 qkm flächenmässig der grösste Staat der Welt ist, dürfte der wichtigste Faktor sein, der die Mächtigkeit der Russischen Föderation bestimmt. Russland grenzt an 14 Staaten an. Die Länge dieser Grenzen beträgt 20‘017 km. Des Weiteren stösst Russland mit einer Küstenlinie von 37‘653 km an den Pazifik, das Nordpolarmeer, den Atlantik, die Ostsee, das Schwarzmeer und das Kaspische Meer an. Zur riesigen Ausdehnung des Staatsgebietes will die russische Regierung auch noch die arktischen Gebiete bis zum Nordpol hinzufügen. Dieser Anspruch beruht auf dem Lomonossow-Unterseegebirge, das gemäss russischen Angaben von Russland bis zum Nordpol reichen soll. Dieser Anspruch wird durch die anderen vier Anrainerstaaten des Nordpolarmeeres – die USA, Kanada, Dänemark in Vertretung von Grönland, und Norwegen – zurückgewiesen. Dazu kommt noch, dass Kanada und Dänemark den Nordpol für sich beanspruchen, da der Lomonossow-Rücken bis nach Kanada bzw. bis Grönland reichen soll.
Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Stärke Russlands bestimmt, ist der Reichtum an fossilen Brennstoffen, an Rohstoffen und Mineralien. Russland verfügt nicht nur über beträchtliche Erdöl- und Erdgasvorkommen, die sich bis ins Nordpolarmeer erstrecken, sondern auch über gewaltige Vorkommen an Gold, Eisen, Diamanten, Zink, usw. Aufgrund dieser Vorkommen ist Russland als ein sehr reicher Staat zu bezeichnen. Dies ist mit ein Grund, warum die Wirtschaftskraft Russlands im wesentlichen Masse auf der Ausbeutung und dem Export der Rohstoffe und Mineralien beruht.
Im Gegensatz zur Stärke stehen die demographische Entwicklung und damit die dünne Besiedlung des Landes. Russland weist eine Bevölkerung von 143.6 Millionen (mit der Krim 146 Millionen) auf und eine Bevölkerungsdichte von lediglich 8 Bewohner pro qkm. Davon leben 85% im europäischen Teil Russlands, das 23 % des gesamten Territoriums ausmacht und nur 15% im asiatischen Teil, das 77% des gesamten Territoriums aufweist.[1] Nur schon diese Konzentration der Bevölkerung auf den europäischen Teil Russlands muss als ein wichtiger Faktor bezeichnet werden, der die Schwäche Russlands im internationalen Rahmen bestimmt. Nicht von ungefähr hat China in der Vergangenheit seine Aufmerksamkeit auf das dünnbesiedelte russische Territorium in Asien gerichtet.
Aber auch die demographische Entwicklung des Landes ist als besorgniserregend zu bezeichnen. Noch 1989 hatte die Russische Föderation eine Bevölkerung von 147 Millionen Menschen. Diese sank bis 2007 auf 142.2 Millionen. Seither hat sich die Bevölkerung auf rund 143 Millionen stabilisiert. Diese Stabilisierung bedeutet aber nicht, dass der eigentliche russische Bevölkerungsanteil wieder zunimmt. Wird als Massstab die Glaubensrichtung verwendet, dann könnte der Anteil der Gläubigen an der russisch-orthodoxen Kirche in Russland vermutlich nur noch 41% betragen. Dagegen wächst die muslimische Bevölkerung in der Russischen Föderation ungebremst. Deren Anteil an der Gesamtbevölkerung wird heute auf über 14% geschätzt.[2] Aufgrund der Fertilität der islamischen Bevölkerung ist es durchaus vorstellbar, dass in einigen Jahrzehnten die Muslime in Russland in der Mehrheit sein werden.
Ein weiterer Faktor, der zur Schwäche Russlands beiträgt, ist die Abhängigkeit der russischen Volkswirtschaft vom Export der Rohstoffe, so insbesondere vom Gas- und Erdölexport. Aufgrund dieser einseitigen Abhängigkeit kann, wie es sich jetzt aufgrund der Sanktionen der USA und der EU zeigt, die russische Wirtschaft sehr schnell in eine Rezession kippen.
Aufrüstung seit 2008
Der kurze und kleine Krieg, den Russland 2008 gegen Georgien geführt hatte, zeigte den katastrophalen Zustand der russischen Streitkräfte in den Bereichen Ausrüstung und Ausbildung auf. Unter dem damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Wladimir Putin wurde ein Aufrüstungs- und Modernisierungsprogramm der Streitkräfte im Sinne eines „New Look“ befohlen.[3] Dazu gehörte zuerst die Umstrukturierung der Streitkräfte. Die Zahl der Militärbezirke wurde auf die militärischen Herausforderungen ausgerichtet und auf 4 reduziert und zwar Ost, Zentrum, Süd und West.[4] Jeder dieser Militärbezirke verfügt heute über einen Führungsstab, der für die Ausbildung und den Einsatz der Streitkräfte (Heer, Luftstreitkräfte, Seestreitkräfte) in seinem Gebiet verantwortlich und zuständig ist.
Der Präsident ist der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Ihm direkt unterstellt sind der Verteidigungsminister und der Generalstab in Moskau. Diesen wiederum sind die Kommandos und Führungsstäbe der Militärbezirke in Chabarowsk (Ost), Jekaterinburg (Zentrum), Rostow (Süd) und St Petersburg (West) unterstellt.[5]
Die schwerfällige Divisionsstruktur wurde weitgehend abgeschafft und konsequent durch die Brigadestruktur ersetzt. Gleichzeitig wurde der zahlenmässige Anteil der Berufssoldaten in der 1 Million-Mann Armee erhöht und die Zahl der Offiziere von 220‘000 auf 150‘000 reduziert. Vor allem die Zahl der Generäle wurde verkleinert. Eine gründliche Reform erfolgte bei der Luftverteidigung, die mit der Luftraumverteidigung, zuständig für die Abwehr von Angriffen ballistischer Flugkörper und Langstreckenbomber, zu einem einheitlichen Kommando verschmolzen wurde.
Diese Reform wird durch ein Aufrüstungsprogramm von über 770 Milliarden US-$ für die Periode 2011-2020 ergänzt.[6] Nach jahrelanger Vernachlässigung und Stagnation unter Jelzin sollen die Streitkräfte bis 2020 mehrheitlich mit modernen Waffen ausgerüstet werden. Zu diesem Zweck wird in der Rüstungsindustrie die Forschung und Entwicklung entscheidend gefördert. Dazu gehört die Entwicklung und Einführung des neuen Kampfpanzers Armata und des Kampfschützenpanzers Tigr-M für das Heer.[7]
Die Luftstreitkräfte sollen neue Kampfflugzeuge, Kampfhelikopter und Drohnen erhalten. Bis 2020 sollen die Luftstreitkräfte mit 600 neuen Kampfflugzeugen ausgerüstet sein. Dazu gehören neue Mehrzweckkampfflugzeuge des Typs Su-35S sowie die Indienststellung weiterer Jagdbomber Su-34. Auch die strategischen Bomber Tu-160 und Tu-95MS werden modernisiert. Die Entwicklung des Mehrzweckkampfflugzeuges T-50 (PAK-FA) mit Stealth-Technologie wird forciert.[8]
Auch bei den Kampfhelikoptern wird die Produktion der Ka-52, Mi-28N und Mi-35M hochgefahren. Bis 2020 sollen die Streitkräfte 1‘000 neue Helikopter erhalten.[9] Ein Kampfhelikopter mit Stealth-Technologie soll bis 2020 einsatzfähig sein.
Die Luftverteidigung wird ab 2017 das neue System S-500 grosser Reichweite für die Abwehr von ballistischen Flugkörpern kurzer und mittlerer Reichweite erhalten.[10]
Die Seestreitkräfte werden mit den neuen nuklearangetriebenen Angriffs-U-Booten der Yasen-Klasse ausgerüstet.[11]
Auch die Nuklearwaffen werden modernisiert. Dazu gehört die Einführung neuer Trägersysteme wie die ballistischen Boden-Boden-Flugkörper interkontinentaler Reichweite Topol-M und Yars sowie die Indienststellung der neuen nuklearangetriebenen U-Boote der Borei-Klasse (Projekt 955) mit den ballistischen Flugkörpern Bulava.[12] Des Weiteren soll auch das Raumfahrtprogramm gefördert und das GLONASS-System für den zielgenauen Einsatz von Flugkörpern und Bomben verbessert werden.[13]
Durch die Modernisierung der Streitkräfte will die Russische Föderation gegenüber den USA wieder als gleichwertige Macht und zwar sowohl zu Land, wie auch auf den Weltmeeren und im Weltraum, anerkannt werden. Ob dieses Aufrüstungsprogramm bis 2020 erfolgreich abgeschlossen werden kann, muss angesichts der gegenwärtigen Rezession der russischen Volkswirtschaft mit einem Fragezeichen versehen werden.[14]
Der eingefrorene Konflikt in der Ost-Ukraine
Seit dem 1. September 2015 werden die Demarkationslinie und damit der Waffenstillstand in der Ost-Ukraine zwischen den durch Russland unterstützen Separatisten und der ukrainischen Armee weitgehend eingehalten. Sowohl die Separatisten wie auch Kiew haben die Artillerie mit einem Kaliber von über 100mm, die Mehrfachraketenwerfer Grad (122mm) und die schwere Artilleriegeschütze und die weitreichenden Mehrfachraketenwerfer (Uragan, Smerch) hinter die vereinbarten Linien zurückgezogen.[15] Auch die Kampftruppen mit ihren Infanteriewaffen sind entlang der Demarkationslinie entflochten worden. Mit dem Besitz der Städte Donetsk, Debaltseve und Luhansk kontrollieren die Separatisten der beiden Volksrepubliken Donetsk und Luhansk einen grossen Teil der beiden Ost-Provinzen. Nach wie vor steht die wichtige Stadt Mariupol am Schwarzmeer unter der Kontrolle von Kiew. Nach der Ablehnung der Regional- und Kommunalwahlen von Kiew werden die Separatisten in ihren Gebieten eigene Wahlen durchführen.
Was die bisherige Unterstützung der Separatisten durch die russischen Eliteeinheiten der Speznaz betrifft, so sollen diese weitgehend für Kampfeinsätze in Syrien abgezogen worden sein. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Russland sich mit der Kontrolle der bisher durch die Separatisten eroberten Gebiete begnügen könnte. Ob der weitere Vorstoss für die Eroberung der Stadt Mariupol aufgegeben worden ist, wird erst die Zukunft zeigen. Wie auch immer, die beiden separatistischen Republiken Donetsk (1.5 Millionen Menschen) und Luhansk (2 Millionen) könnten zu den Ministaaten hinzugerechnet werden, die bereits heute unter russischem Einfluss stehen und durch Russland finanziert werden.
Bisher wurden durch Moskau Süd-Ossetien (40‘000 Einwohner), Abchasien (240‘000 Einwohner) und Transniestrien (555‘000 Einwohner) unterstützt.[16] Dank diesen eingefrorenen Kriegen kann Moskau auf Georgien und auf die Moldau-Republik politisch Druck auszuüben. Dabei verfolgt Russland das Ziel, dass Georgien und die Moldau-Republik sich nicht der NATO und der EU anschliessen. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass Russland mit der Unterstützung der Separatisten der Volksrepubliken Donetsk und Luhansk sein Ziel erreicht hat und in der Zukunft über diese beiden Republiken versuchen wird, einen Beitritt der Ukraine zur EU zu verhindern. Allerdings kann die Ukraine aufgrund ihrer Grösse und der geostrategischen Lage nicht mit Georgien und der Moldau-Republik verglichen werden. Dazu kommt noch, dass bereits die bisherige Unterstützung der Kleinstaaten Süd-Ossetien, Abchasien und Transniestrien für Moskau sehr kostspielig ist.
Die Intervention in Syrien
Nachdem Moskau mit dem Iran, der libanesischen Hisbollah und der Regierung von Bagdad eine Militärallianz geschmiedet hat, hat Russland seine militärische Präsenz in Syrien durch den Ausbau seines Seestützpunktes bei Tartus und dem Bau des Fliegerstützpunktes Hmeimim bei Basil al-Assad ausgedehnt.[17] Seit vier Wochen bombardieren die russischen Kampfflugzeuge von Hmeimim aus sehr intensiv und massiv mit über 20 Einsätzen pro Tag die Stellungen der Opposition gegen Assad im Nordwesten Syriens. Angriffe gegen die Stellungen des Islamischen Staates im Osten Syriens erfolgen nur selten durch die russischen Kampfflugzeuge.[18] Offenbar versucht Russland mit seinen Bombardierungen nicht nur das Assad-Regime zu retten, sondern einen Kleinstaat der Alawiten als Refugium dieser Sekte von Damaskus bis Latakia zu begründen und vom restlichen Syrien abzutrennen.[19] Ob eine solche Abtrennung erreicht werden kann, werden erst die Verhandlungen über die Zukunft Syriens zeigen.[20] Dank einem Ministaat der Alawiten könnte Moskau seinen Einfluss auf das östliche Mittelmeer auch in der Zukunft aufrechterhalten. Der Preis dafür wäre, wie bei den anderen Ministaaten von Russlands Gnaden, die Finanzierung des Alawiten-Staates. Nur so könnte ein solcher Ministaat in der feindlichen Nachbarschaft der Sunniten überleben.
Fazit
Dank dem seit 2008 eingesetzten Ausbau und der Modernisierung seiner Streitkräfte sowie der Führung kleiner Kriege in seinem Vorfeld ist Russland wieder auf der geopolitischen Weltbühne als Grossmacht zurückgekehrt. Diese kleinen Kriege waren bis anhin räumlich und zeitlich beschränkt und waren auch durch begrenzte Ziele bestimmt. Russland hat wie zur Zeit des Kalten Krieges politisch und militärisch beinahe wieder den Status einer Gegenmacht zu den USA erlangt. Dank seinen militärischen Interventionen ist Russland heute wieder in Zentralasien, so in Tadschikistan und Kirgisien, im Transkaukasus (Armenien und Aserbaidschan mit Berg-Karabach, Georgien), in der Ukraine, in der Moldau-Republik und in Syrien politisch aktiv und verfolgt eine auf die Interessen Russlands abgestimmte Machtpolitik.[21] Die geschilderten Schwächen – die demographische Entwicklung der russischen und der muslimischen Bevölkerung, die wirtschaftlichen Abhängigkeiten vom Export von Rohstoffen – könnten aber mittel- bis langfristig eine innenpolitische Destabilisierung Russland auslösen. Die Spannungen zwischen der russischen und der muslimischen Bevölkerung, die latent bereits heute bestehen, könnten zunehmen. Auch eine ernste Rezession könnte zum Ausbruch von sozialen Auseinandersetzungen in Russland führen. Da innenpolitische Spannungen und Auseinandersetzungen zum machtpolitischen Abstieg oder gar zum Zerfall des Riesenstaates führen könnten, ist es denkbar, dass für die Ablenkung von den inneren Konflikten kleine Kriege nicht mehr genügen könnten. In diesem Fall ist es vorstellbar, dass die Machthaber in Moskau den Ausweg über das Anzetteln grösserer Kriege suchen würden.
Die Schwierigkeiten und Probleme von Russland werden auch in der Zukunft die strategische Lage in Eurasien bestimmen.
[1] Russland, https://de.wikipedia.org/wiki/Russland, 30.10.2015, S. 5.
[2] Russland, S. 7.
[3] Enerud, P., Russian Defence Politics, in: Hedenskog, J., and C.V. Pallin (eds), Russian Military Capability in a Ten-Year Perspective – 2013, FOI, Stockholm, December 2013, P. 89-101.
[4] Carlsson, M., Norberg, J., and F. Westerlund, The Military Capability of Russia’s Armed Forces in 2013, in: Hedenskog, J., and C.V. Pallin (eds), P. 23-70.
[5] Carlsson, M., et al, P. 63.
[6] Stratfor, Russia Prepares to Tighten Spending in 2016, November 3, 2015.
[7] Malmlöf, T., Roffey, R., and C.V. Pallin, The Defence Industry, in: Hedenskog, J., and C.V. Pallin (eds), P. 136.
[8] Malmlöf, T., Roffey, R., and C.V. Pallin, The Defence Industry, P. 126.
[9] Malmlöf, T., Roffey, R., and C.V. Pallin, The Defence Industry, P. 130.
[10] Malmlöf, T., Roffey, R., and C.V. Pallin, The Defence Industry, P. 132.
[11] Malmlöf, T., Roffey, R., and C.V. Pallin, The Defence Industry, P. 133.
[12] Malmlöf, T., Roffey, R., and C.V. Pallin, The Defence Industry, P. 128/134.
[13] Malmlöf, T., Roffey, R., and C.V. Pallin, The Defence Industry, P. 127.
[14] Stratfor, Russia Prepares to Tighten Spending in 2016.
[15] Stratfor, Will the Lull on the Ukrainian Battlefield Hold?, September 15, 2015.
[16] Stratfor, The Logic and Risks behind Russia’s Statelet Sponsorship, September 15, 2015.
[17] Stratfor, Explaining Russia’s True Presence in Syria, September 25, 2015.
[18] Institute for the Study of War, Russian Airstrikes in Syria: September 30-October28, October 23-November 1, 2015.
[19] The Logic and Risks behind Russia’s Statelet Sponsorship.
[20] Cordesman, A.A., Negotiating a “Peace” in Syria: Between Whom and for What?, Washington DC, November, 2015.
[21] Kagan, F.W., and K. Kagan, Putin Ushers in a New Era of Global Geopolitics, Institute for the Study of War, September 27, 2015, P. 1.
Die Gründung des Königsreichs Saudi-Arabien ist weitgehend das Ergebnis der religiösen und herrschaftlichen Symbiose zwischen der Familie Saud und dem Imam Mohammed ibn ‚Abd al-Wahhâb‘ und dessen Nachkommen. Al-Wahhâb wurde 1703 geboren und entstammte einer Familie von Gelehrten der hanbalitischen Schule in Ayaina[1], der konservativsten der vier Religionsschulen im sunnitischen Islam. Er prangerte die Abweichungen seiner Zeitgenossen von der reinen Lehre des Propheten, die Heiligenverehrung und den Aberglauben an und verlangte eine religiöse Erneuerung. Die Osmanen verbannten ihn 1740 aus Basra. Er begab sich nach Huraymila. Nach einer erneuten Vertreibung begab er sich 1745 nach Ad Dir’iyah, wo seit 1726 Mohammed ibn Sa‘ûd herrschte. Es kam zu einer Begegnung zwischen ihnen. Der Emir erklärte sich bereit, den Kampf für die Sache Allahs aufzunehmen, und der Scheich versprach ihm als dem künftigen Imam aller wahren Gläubigen die Herrschaft über Arabien. Dieser Pakt mit seinen gegenseitigen Zusicherungen bestimmte von an die Kriege der Saudis zur Eroberung Arabiens. 1773 wurde Riad erobert. Von da an wurde eine Oase nach der andern erobert, bis zur Einnahme von Mekka 1803. Während Wochen zerstörten die Wahhabiten in Mekka die Gräber und Denkmäler. Auch die Scheichtümer der Piratenküste am Golf wandten sich den Wahhabiten zu. 1811 beschloss die Hohe Pforte in Istanbul, dem Treiben der Wahhabiten ein Ende zu bereiten und den Pascha von Ägypten, Mehmed Ali, mit der Vernichtung des ersten saudischen Staates (1745-1818) zu beauftragen.[2] 1817 endete dessen Feldzug beinahe mit der Auslöschung des saudischen Herrscherhauses.
1824 setzte ein Nachkomme der Saudis, Abd al-Azîz I. zur Rückeroberung der verlorenen Territorien an. Wiederum holten die Ägypter unter Mehmed Ali 1836 zum Gegenschlag aus mit dem Ziel, den zweiten saudischen Staat zu vernichten. Nachdem deren Feldzug in der arabischen Wüste teilweise erfolgreich war, brach innerhalb der Familie ein Bürgerkrieg aus. Am Ende war der zweite saudische Staat 1891 erledigt.[3]
Dank Schaukelpolitik des Emir Mubârak ibn Sabâh von Kuwait zwischen den Grossmächten und dessen Unterstützung für Abd al-Azîz I. gelang diesem 1902 eine Neugründung des saudischen Staates. Am 15. Januar 1902 eroberte er Riad und setzte von da aus zur Eroberung der verlorenen Gebiete an. Den Osmanen gelang es nicht, diesen wahhabitischen Staat einzugrenzen. Deshalb konzentrierten sie sich auf Mekka und dessen Herrscher, den Sherif Husain. Zu dieser Zeit missionierten die Wahhabiten in Arabien erfolgreich. Die Beduinen liessen sich bekehren, wurden sesshaft und schlossen sich zu Bruderschaften, den Ikhwân (Brüdern) zusammen. Blum definiert die Ikhwân wie folgt:
„Die Ikhwân hatten sich einem frommen Leben gemäss den Lehren des Wahhabitentums verschrieben, dem fanatischen Kampf gegen die Ungläubigen, zu denen sie auch die nicht wahhabitischen Muslime zählten, und der unbedingten Treue gegenüber ihrem Imam aus dem Hause Sa’ûd. So hatte Ibn Sa’ûd bald neben den städtischen Truppen, die den Kern seines Heeres bildeten, und den oft unzuverlässigen Beduinenaufgeboten eine neue Armee von Kämpfern zur Verfügung, die stets bereit waren ihr Leben einzusetzen, und deren Eifer oft schwer zu bändigen war.“[4]Zur Kriegführung waren die Saudis auf Beute angewiesen. Als ihren Hauptfeind und Gegner sahen sie den Scherif Husain an. Ab 1915 unterstützten die Briten sowohl den Scherif als auch die Wahhabiten im Krieg gegen die Pforte mit Waffenlieferungen. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges verloren die Briten ihr Interesse an den Ereignissen in Innerarabien. 1920 versuchte der Scherif nach Innerarabien vorzustossen. Seine Armee wurde durch die Ikhwân vernichtet. 1921 versuchten die Ikhwân Transjordanien zu erobern, wurden aber durch die Royal Air Force (RAF) zurückgeschlagen. 1922 schlossen die Saudis mit Kuwait und dem Irak einen Grenzvertrag ab.
Als sich der Scherif 1924 nach der Aufhebung des Kalifats durch Atatürk selbst zum Kalifen ernannte, griffen die Ikhwân Transjordanien wieder an und wurden durch die RAF zurückgeschlagen. Nun griffen die Saudis das Gebiet des Scherifs, den Hijaz, an; er selbst floh nach Aqqaba zu den Briten, wurde aber von ihnen inoffiziell zugunsten der Saudis fallengelassen. 1924 zog Ibn Sa’ûd, der Sohn von Abd al-Azîz I., in Mekka ein. Er verständigte sich mit den Briten über die gemeinsame Grenze mit Transjordanien.[5]
Am 8. Januar 1926 wurde Ibn Sa’ûd zum König des Hijaz proklamiert. Erst 1932 erfolgte die Personalunion des Najd mit dem Hijaz zum Königreich Saudi-Arabien.[6]
Den Ikwhân war die Einigung mit dem Irak zuwider. Sie entschlossen sich zur Weiterführung der Eroberungen und damit zur Rebellion gegen den König. Sie mussten im März 1929 in offener Feldschlacht im Dreieck Irak, Kuwait und Najd besiegt werden.[7] Die Beziehungen zum Irak wurden aber erst 1951 normalisiert.
Bereits 1935 hatte der britische Bevollmächtigte für Saudi-Arabien Philpy, ein Konvertit, Ibn Sa’ûd Beziehungen zur Standard Oil Company of California vermittelt. 1938 wurden die Amerikaner fündig. Mit weiteren amerikanischen Erdölgesellschaften zusammen wurde 1946 die Aramco, die Arabian American Oil Company begründet.[8] Im April 1943 erhielten die Briten und die Amerikaner Stützpunktrechte in Saudi-Arabien. Im Oktober 1943 wurde die US-Leih- und Pachthilfe auf Saudi-Arabien ausgedehnt. Im Oktober 1945 wurde gemäss dem Treffen zwischen US-Präsident Roosevelt und König Ibn Sa’ûd den USA Dharan für den Bau eines Militärflughafens überlassen.[9] Damit wurden die USA offiziell zur Schutzmacht der Wahhabiten und ihres Staates, dem Königreich Saudi-Arabien.
Untersucht man die Gemeinsamkeiten zwischen dem saudischen Königreich und dem Islamischen Staat (IS), dann fällt auf, dass sie beide der sunnitischen Sekte der Wahhabiten angehören. Wie die Ikwhân der Wahhabiten verfolgen beide als Ziel die Auslöschung der Schiiten. Der gemeinsame Hauptfeind ist deshalb auch der Iran als das Zentrum des „Irrglaubens“ der Schia. Wie die Ikwân stellt auch der IS die durch das Sykes-Picot-Abkommen zwischen Frankreich und Grossbritannien festgelegten Grenzen im Mittleren Osten nach 1918 und die nachfolgende Gründung Syriens und des Iraks in Frage. Sowohl Syrien als auch der Irak sollen zerstört und mit der Eroberung Bagdads soll das neue arabisch-islamische Weltreich begründet werden. Bereits jetzt stellt das Territorium des IS und seine Herrschaft über sunnitische Stämme eine geographische Fortsetzung des Gebietes von Saudi-Arabien dar. Die Vereinigung beider Gebilde wäre im Sinne der Ikwân gewesen, die mit der Gründung des Islamischen Staates im wahrsten Sinne des Wortes eine Wiedergeburt erleben dürfen bzw. aus dem Tiefschlaf erweckt werden.
Die Schutzmacht Saudi-Arabiens sind nach wie vor die USA, die aufgrund der angesprochenen Gemeinsamkeiten der Saudis mit dem IS in einem gewissen Sinne auch als Schutzmacht des IS angesehen werden. Zu Recht hat Kamel Daoud in einem Beitrag in der International New York Times vermerkt, dass der IS eine Mutter, die US-Invasion in den Irak von 2003, und einen Vater, Saudi-Arabien, hat.[10] Die Missionierung der Wahhabiten hat mindestens die Entstehung und die Bildung des IS erleichtert. Wie weit die USA und Saudi-Arabien allerdings für die Auslösung der Völkerwanderung nach Europa verantwortlich sind, kann nicht nachgewiesen werden.
[1] Blume, H. (Hrsg.), Saudi-Arabien, Natur, Geschichte, Mensch und Wirtschaft, Verlag für Internationalen Kulturaustausch, Tübingen und Basel, 196, S. 123.
[2] Blume, H. (Hrsg.), S. 127.
[3] Blume, H. (Hrsg.), S. 131.
[4] Blum, H. (Hrsg.), S. 135.
so auch Salibi, K., A History of Arabia, Dar Nelson, Beirut, Second Edition, 2010, P. 215.
[5] Blum, H. (Hrsg.), S. 137.
[6]Blum, H. (Hrsg.), S. 138.
[7] Salibi, K., P. 217.
[8] Blum, H. (Hrsg.), S. 141.
[9] Blum, H. (Hrsg.), S. 141.
[10] Daoud, K., Saudi Arabia, an ISIS that has made it, in: International New York Times, November 21-22, 2015, P. 7.
Die Beantwortung dieser Frage bestimmt auch die Einsatzart der Gewalt zur Niederringung des IS. Trifft für den Islamischen Staat die Definition und die Zuordnung eines staatlichen Gebildes zu, dann hat Präsident Hollande recht mit seiner Aussage, dass der IS Frankreich den Krieg erklärt hat. Nur Staaten können anderen Staaten den Krieg erklären. Bei der Kriegsführung gegen einen Staat sind alle Mittel erlaubt, die völkerrechtrechtlich zulässig sind, so auch die Ausführung von Flächenbombardierungen durch russische Mittelstreckenbomber Tu-22M-3 Backfire C. Durch diese Flächenbombardierungen werden auch Zivilisten getötet. Diese haben sich durch ihren freiwilligen Aufenthalt in den Gebieten des IS zum Islamischen Staat bekannt und können deshalb als legitime Ziele der Bombardierungen bezeichnet werden.
Ist der IS aber lediglich eine kriminelle Organisation, die terroristische Anschläge plant und ausführt, dann muss der IS mit den Mitteln und Waffen der Terrorismusbekämpfung (Counterterrorism) niedergerungen werden. Dazu gehören auch selektive Einsätze durch Kampfflugzeuge und Drohnen, so wie sie die USA insbesondere in ihrem Kampf in Afghanistan gegen die Taliban seit 2001 entwickelt haben. Mit diesen „homöopathischen“ Luftkriegseinsätzen soll das Leben unschuldiger Zivilisten, die sich im Gebiet des IS aufhalten, geschont werden. Kollateralschäden durch die Luftangriffe sollen deshalb unter allen Umständen vermieden werden.
Welche Charakteristik weist der IS auf? An der Spitze des IS steht der Kalif Ibrahim mit seiner Regierung und seiner Verwaltung. Der IS kontrolliert ein Gebiet in Syrien und im Irak, das grösser als England ist. Er verfügt damit über ein zusammenhängendes Territorium, das er mit seiner Armee schützt. Der IS verwaltet sein Territorium und versorgt seine Bevölkerung mit Wasser und Energie. Kinder unterstehen der Schulpflicht. Aufgrund der Dreikomponentenlehre des Völkerrechts[1] – ein Staat besteht aus einer Regierung, einem Staatsgebiet und einer Bevölkerung, die er mit einer Armee schützt – muss der Islamische Staat mindestens als Proto-Staat bezeichnet werden und stellt ein Gebilde dar, das zu einem eigentlichen Staat werden könnte. Viele der heutigen Staaten in Europa haben ihre Entstehung der Bildung von Proto-Staaten zu verdanken. Dazu gehört auch die Schweiz, die bis 1848 ein lockerer Staatenbund und damit ein Proto-Staat war.
Ist der Islamische Staat ein Staat bzw. ein Proto-Staat, dann trifft die Feststellung des französischen Präsidenten vollumfänglich zu. Der IS hat Frankreich den Krieg erklärt und Frankreich hat mit der zur Verfügungen stehenden Gewalt zurückgeschlagen. Ähnlich reagiert auch der russische Präsident Wladimir Putin, der als Vergeltung für den Bombenanschlag auf die russische Passagiermaschine über der Sinai-Halbinsel den IS durch Flächenbombardierung versucht zu enthaupten und damit zu vernichten. Diese Flächenbombardierungen sind im Sinne des Völkerrechts, auch des Kriegsvölkerrechts, grundsätzlich zulässig, sofern sie gezielt und angemessen erfolgen. Dagegen ist der „homöopathische“ Luftkrieg des US-Präsidenten Barack Obama abzulehnen. Dieser amerikanisch bestimmte Luftkrieg wird nicht zum Ziel der Vernichtung des IS führen, da dieser mehr als eine kriminelle Organisation ist.[2] Der IS muss mindestens als ein Proto-Staat bezeichnet werden, der wie der Staat der Nazis, verbrecherische Ziele verfolgt und einen Genozid an religiösen Minderheiten führt und dabei unschuldige Menschen ermordet. Die Antwortet auf einen solchen totalen Krieg kann nur die totale Kriegführung sein, die zur Auslöschung eines verbrecherischen Staates zu führen hat.
[1] Wildenauer, F., Staatenbildung, Souveränität, Staatszerfall. Schwache Staaten in den aktuellen internationalen Beziehungen im Licht des Staatenbildungszerfalls, Zürcher Dissertation, 2006.
[2] Trofimov, Y., West’s Dilemma: How to Fight Islamic State, in: the Wall Street Journal, November 20-22, 2015, P. A2.
Am vergangenen Dienstag haben russische Langstreckenbomber Tu-95MS6/16 und Tu-160 gegen Raqqa, die Stadt des Islamischen Staats in Syrien, 34 Marschflugkörper abgefeuert. An diesem Tag sind durch Russland weitere 127 Einsätze gegen den Islamischen Staat in Syrien durch andere Bomber und Erdkampflugzeuge ausgeführt worden. Am Mittwoch erfolgten gemäss dem russischen Verteidigungsministerium 59 Einsätze und der Abschuss von 12 Marschflugkörpern. Dabei sind nach russischen Angaben Kommandoposten, Waffenlager, Tanklastwagen und Ausbildungslager zerstört worden.[1] An dieser zweiten Angriffswelle nahmen eine Staffel von Langstreckenbombern Tu-160 Blackjack und 12 Mittelstreckenbomber Tu-22M-3 Backfire teil. Die Tu-160 setzten Marschflugkörper ein und die Tu-22M-3 warfen Freifallbomben ab.
Um was für ein Kampfflugzeug handelt es sich beim Tu-22M-3? Bereits 1962 wurde als Ersatz des Mittelstreckenbombers Tu-22 in der Sowjetunion die Entwicklung eines neuen Mittelstreckenbombers mit Schwenkflügeln studiert.[2] Dieser Bomber sollte ohne Waffenladung eine maximale Geschwindigkeit von Mach 2.54 (2‘700 km/h) und im Überschall eine maximale Reichweite von 4‘000 km erreichen. Im Dezember 1967 setzte die Konstruktion des Prototyps Tu-22M-0 ein. Zur Besatzung des Bombers gehörten der erste Pilot, der Co-Pilot, der Navigator/Waffenoffizier und der Radaroffizier. Am 30. August 1969 erfolgte der Erstflug. Erst im Juli 1970 erfassten die Spionagesatelliten der Amerikaner den neuen sowjetischen Mittelstreckenbomber. Aufgrund der Leistungen des Prototyps wurde eine Vorserie von zehn Tu-22M-1 konstruiert.[3]
Ab 1971 wurde die Produktion der ersten einsatzfähigen Mittelstreckenbomber Tu-22M-2 aufgenommen und die Flugtests setzten im April 1972 ein. Die Tu-22M-2 erreichten eine maximale Geschwindigkeit von Mach 1.695 (1‘800 km/h) und mit der maximalen Waffenzuladung eine Reichweite von 2‘200 km. Im internen Waffenschacht konnten für 12 bis 24 Tonnen Freifallbomben mitgeführt werden. An den vier externen Aufhängern konnten je ein Bündel von 3 Freifallbomben FAB-250 (250 kg) oder je ein Marschflugkörper Kh-31 mitgeführt werden.[4] Grundsätzlich waren Kombinationen verschiedener Typen von Freifallbomben möglich, so zwei FAB-3000 (3 Tonnen), 8 FAB-1500 (1.5 Tonnen), 42 FAB-500 (500 kg) (24 extern) oder 69 FAB-50 (250 kg) (36 extern).
In den 70er Jahren wurden die Leistungen des Bombers dank der Verbesserung der Triebwerke und der neuen Elektronik gesteigert. Seit den 80er Jahren erreicht der Tu-22M-3 mit einer geringen Waffenzuladung eine maximale Geschwindigkeit von Mach 1.97 (2‘090m/h) und mit voller internen Zuladung eine maximale Reichweite von bis zu 2‘200 km. Ein Mittelstreckenbomber Tu-22M-3 kann im internen Schacht wie auch an den externen Aufhängern Freifallbomben mitführen oder mit verschiedenen Typen von Marschflugkörpern (Kh-22, RKV-500B, Kh-15P, Kh-31A/-31P, Kh-35) ausgerüstet werden. Das 185. Garderegiment erhielt 1986 die ersten Tu-22M-3.[5] Im Dezember 1992 war die Produktion der gesamten Flotte abgeschlossen. Gemäss dem Military Balance 2015 verfügt Russland heute über 63 Tu-22M-3.[6]
Bereits im Dezember 1987 warfen Tu-22M-2, die von Poltawa und Mary (Turkmenistan) aus gestartet waren, Freifallbomben über Afghanistan ab. Im Oktober 1988 wurden Tu-22M-3 für die Flächenbombardierung von Zielen in Afghanistan eingesetzt.[7] Die Einsatzart der Flächenbombardierung hat Russland jetzt wieder über Syrien, so gegen Raqqa, aufgenommen. Für diese Einsatzart sind offenbar diese Mittelstreckenbomber Tu-22M-3 sehr geeignet.[8] Ob Wladimir Putin seine Flotte an Backfire C auch für die Bombardierung von Mossul zwecks Enthauptung der Führung des Islamischen Staates einsetzen wird, wird die Zukunft zeigen.
[1] Copp, T., Russia launches second wave of airstrikes in Syria in largest show of Airpower since 1980s, Stars and Stripes, November 19. 2016.
[2] Gunston, B., Tupolev Aircraft since 1922, Putnam, London, 1995, P. 207.
[3] Gunston, B., P. 210.
[4] Gunston B., P. 211.
[5] Gunston, B., P. 212/3.
[6] The Military Balance 2015, the International Institute for Strategic Studies, London, 2015, P. 191.
[7] Gunston, B., P. 213.
[8] Copp, T.
Gemäss dem Military Balance 2015 des Londoner Institute for Strategic Studies verfügen die USA zum gegenwärtigen Zeitpunkt über 137 Langstreckenbomber. Von diesen sind 54 B-52H Stratofortress, die seit dem Vietnamkrieg in allen durch die USA geführten Kriegen im Einsatz waren, 63 B-1B Lancer und 20 B-2A Spirit.[1] Während die B-52H- und B-2A-Bomber entsprechend dem im April 2010 zwischen Russland und den USA vereinbarten Abrüstungsabkommen New START[2] zu den nuklearen Waffenträgern gerechnet werden, gelten die B-1B-Bomber als Träger für Einsätze mit konventionellen Waffen. Mit diesen Bombern verfügen die USA über eine beeindruckende Kapazität für konventionelle Bombardierungen. Ein Bomber B-1A kann in den drei Waffenschächten 34 (bis 36) Tonnen[3] an Freifallbomben, gelenkten Bomben oder Lenkwaffen mitführen. Beispielsweise könnte ein einzelner Waffenschacht 28 MK-82-Freifallbomben mit einer Sprengkraft von je 227 kg enthalten.[4] Allein durch den Abwurf dieser Bomben eines einzigen Waffenschachts könnte ein sehr grosses Dispositiv des Islamischen Staates in Syrien oder im Irak pulverisiert werden. Anstatt dieses gewaltige Arsenal gezielt zur Vernichtung des Islamischen Staates einzusetzen, benützt Washington DC die B-1B für „homöopathische“ Einsätze gegen einzelner Motoradfahrer des IS! Barack Obama zögert offenbar nach wie vor den Islamischen Staat endgültig zu vernichten. Er beschränkt sich unter dem Ziel eines Containments des Islamischen Staates auf einen halbherzigen Einsatz seiner Bomberstreitmacht.[5]
Anstelle des zögernden Obama hat nach dem Attentat auf einen russischen Airbus und den Anschlägen von Paris Präsident Wladimir Putin die Bombardierung des Islamischen Staates durch Langstreckenbomber Tu-95 und Tu-160, die in Stützpunkten in Russland stationiert sind, befohlen. Gemäss dem Military Balance 2015 haben die russischen Streitkräfte ein Arsenal von 78 Langstreckenbombern. Davon sind 31 Tu-95MS6 Bear, 31 Tu-95MS16 Bear und 16 Tu-160 Blackjack.[6] Sowohl die viermotorigen Bomber Tu-95 wie auch die Überschallbomber Tu-160 von Tupolew weisen beeindruckende Leistungen auf. Als Nachteil ist anzusehen, dass sie primär als Nuklearwaffenträger konzipiert sind, deshalb Marschflugkörper RKV-500A (Tu-95MS) oder RK-55 (Tu-160) mitführen und nur bedingt für den Abwurf von Freifallbomben oder gelenkten Bomben geeignet sind.[7] Die Wirkung dieser Marschflugkörper ist aufgrund der kleineren Sprengkraft geringer als jene der amerikanischen Freifallbomben.
Für eine wirksame Bombardierung und Vernichtung des Islamischen Staates müsste der zögernde US-Präsident zum handelnden Obama mutieren, der einen massiven Einsatz der US-Bomberstreitmacht befehlen würde.
[1] The Military Balance 2015, The International Institute for Strategic Studies, London, 2015, P. 49.
[2] Woolf, A. F., Conventional Prompt Global Strike and Long-Range Ballistic Missiles: Background and Issues, Congressional Research Service, Washington DC, October 2, 2015, P. 39.
[3] Weber, O. Chr. (Redaktion), Flugzeuge, Hersteller, Typen, Technik, Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft mbH, Köln, S. 206.
[4] Logan, D., Rockwell B-1B, SAC’S Last Bomber, Schiffer Military/Aviation History, Atglen, PA, 1995, P. 111.
[5] Youssef, N.A., U.S. War on ISIS Will Still Be Half-Assed, The Daily Beast, November 16, 2015.
[6] The Military Balance 2015, P. 191.
[7] Weber, O. Chr. (Redaktion), S. 215.
So auch Gunston, B., Tupolev Aircraft since 1922, Putnam, London, 1995, P. 158-168 und P. 219-223.