Bis zum Ende des Kalten Krieges 1990 dienten die strategischen Nuklearwaffen der gegenseitigen Abschreckung zwischen den damaligen Supermächten USA und Sowjetunion. Der Abschreckungsmechanismus beruhte auf der Glaubwürdigkeit der Ausführung eines Nuklearschlages gegen die andere Supermacht nach dem Erleiden eines strategischen Erstschlages gegen die eigenen nuklearstrategischen Waffenstellungen, wie die Flugplätze mit den strategischen Bombern, den Häfen mit den nuklearangetriebenen U-Booten und den Silos der interkontinentalen ballistischen Flugkörpern. Dieser Gegenschlag bzw. Zweitschlag musste zu nicht akzeptablen Schäden führen:[1]
„Situation obtaining between nuclear powers when each is deterred from attacking the other (i.e., launching a first strike) because the damage expected to result from the victim’s retaliation (second strike) would be unacceptable.”
Die angestrebte Wirkung des nuklearstrategischen Gegenschlages, und damit die Glaubwürdigkeit der gegenseitig sichergestellten Vernichtung (Mutual Assured Destruction), wurde durch den Verteidigungsminister der Kennedy- und Johnson-Administrationen, Robert S. McNamara, 1968 vor dem Senate Armed Services Committee wie folgt definiert:[2]
„(…) Welche Art und welches Mass an Zerstörung wir einem Angreifer zufügen können müssten, um diese Abschreckung zu bewirken, lässt sich nicht exakt sagen. Es erscheint jedoch vernünftig anzunehmen, dass im Falle der Sowjetunion die Vernichtung von sagen wir einem Fünftel bis einem Viertel der Bevölkerung und der Hälfte bis zwei Drittel des Industriepotentials bedeuten würde, dass sie als Grossmacht für viele Jahre ausgeschaltet ist (…).“.
Auch nach dem Ende des Kalten Krieges schien es, als ob das durch diesen Abschreckungsmechanismus garantierte stabile Gleichgewicht der nuklearstrategischen Waffen zwischen den USA und Russland noch funktionieren und damit den weiterandauernden Frieden zwischen ihnen garantieren würde. Eine gewisse Bestätigung dieser Annahme erhielt die Welt am 8. April 2010 durch die Unterzeichnung des Abrüstungsabkommens New Start zwischen den USA und Russland in Prag, mit dem die Gesamtzahl der nuklearstrategischen Gefechtsköpfe auf beiden Seiten auf je 1550 begrenzt werden sollte.
Angesichts der Tatsache, dass die aufstrebende Grossmacht China sowie andere Nuklearmächte, wie Frankreich, Grossbritannien, Indien und Pakistan, an diesem Abkommen nicht beteiligt waren, hätten sich bereits beim Abschluss von New Start Fragen betreffend der andauernden Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit der zur Zeit des Kalten Krieges gelobten Mutual Assured Destruction stellen müssen. Spätestens nachdem Nordkorea mit den Tests von nuklearen Gefechtsköpfen und ballistischen Flugkörpern die Schwelle zum nuklearen Klub überschritten hatte und immer wieder mit dem Einsatz dieser Nuklearwaffen drohte, hätte die Funktionsfähigkeit der nuklearen Abschreckung hinterfragt werden müssen. In zunehmendem Masse versucht in der Gegenwart das nordkoreanische Regime in Pjöngjang durch angedrohte Einsätze seiner Nuklearwaffen insbesondere Südkorea und die USA zu erpressen. Das Ziel dieser Erpressungen dürfte der Abschluss eines Friedensvertrages mit den USA und damit eine Garantieleistung für das Überleben des Regimes sein.
Aber nicht nur die Nordkoreaner haben offenbar den Wert von Nuklearwaffen als Mittel zur Erpressung erkannt. In zunehmendem Mass setzen die Grossmächte in Manövern strategische Nuklearwaffenträger ein, sei dies Russland mit Langestreckenbombern Tu-160 oder Tu-95 und U-Boot-gestützten ballistischen Flugkörpern[3] oder die USA durch die Verlegung von drei Langstreckenbombern B-52 ins NATO-Manöver Cold Response.[4] Sollte sich diese Entwicklung des Einsatzes von Nuklearwaffen als Mittel der Erpressung zwischen Nuklearmächten verfestigen, dann wird diese Welt eine sehr unsichere Zukunft haben. Der bis anhin gültige Friede zwischen den Nuklearmächten, beruhend auf dem nuklearstrategischen Gleichgewicht zwischen ihnen, könnte sehr bald der Vergangenheit angehören.
[1] Schwarz, U., and L. Hadik, Strategic Terminology, A Trilingual Glossary, Econ-Verlag, Düsseldorf und Wien, 1966, P. 61.
[2] Legault, A., und G. Lindsey, Dynamik des nuklearen Gleichgewichts, Alfred Metzner Verlag, Frankfurt am Main, 1973, S. 114/115.
[3] Focus, Simulation eines Nuklearangriffes auf die USA? Russland plant riskantes Manöver. 06.03.2016.
[4] Pawlyk, O., The B-52 could rise again, this time to fight ISIS, in: Air Force Times, March 4, 2016, 4:58 p.m.
Vor dem Armed Services Committee (Komitee für die Streitkräfte) des US-Senats hat vor kurzem der Befehlshaber der US-Truppen in Europa, EUCOM, und gleichzeitiger Oberbefehlshaber der NATO-Truppen, SACEUR, General Philip Breedlove, US Air Force, auf den immer noch andauernden indiskriminierenden Luftkrieg der russischen Luftstreitkräfte in Syrien hingewiesen.[1] Entgegen dem vereinbarten Waffenstillstandsabkommen würden die Auseinandersetzungen zwischen dem Regime und der Opposition sowie der Abwurf russischer Freifallbomben fortgesetzt. Die Folge dieses Luftkrieges, so der General, sei eine beschleunigte Fluchtbewegung von Syrerinnen und Syrern nach Jordanien und in die Türkei und von da aus weiter nach Europa. Dieser Flüchtlingsstrom sei durch den Zuzug von Menschen aus Nordafrika und dem Mittleren Osten zu einer Völkerwanderung angewachsen. Die Führung des Islamischen Staates würde diese Völkerwanderung durch das Einschleusen von Jihadisten für die eigenen Ziele ausnützen.[2]
Die Autoren Casagrande, Kozak und Cafarella des Institute for the Study of War beurteilen die Lage im nördlichen Syrien noch pessimistischer als der General.[3] Die Feuerpause würde durch das Assad-Regime für die eigene Konsolidierung und als Vorbereitung für die Eroberung von Aleppo ausgenützt. Dank der ungebremsten Verstärkungen durch den Iran und der Wiederaufnahme des russischen Luftkrieges könnte sehr bald ganz Aleppo durch das Regime umzingelt werden. Eine Belagerung von Aleppo würde einerseits zu weiteren hunderttausenden Flüchtlingen führen und gleichzeitig die Opposition gegen Assad in dieser Provinz zunehmend radikalisieren. Vor allem die Jabhat al Nusra (al Nusrah-Front), die mit al-Kaida liiert ist, würde von dieser Radikalisierung profitieren.
Parallel zu dieser Radikalisierung und Zuwendung zu den Salafisten und Jihadisten der al Nusrah-Front und auch des Islamischen Staates (IS) würde die Hinwendung der syrischen Kurden zu Russland, zwecks Ausnützung des russischen Luftkrieges für die eigenen Ziele, die Spannungen zwischen der Türkei und Russland noch mehr anheizen. Dies könnte zu einer weiteren Destabilisierung der NATO-Südflanke führen, was durchaus im Sinne Moskaus liege.[4]
Die Umzingelung und das Aushungern der Bevölkerung von Aleppo könnten zum Verschwinden der gemässigten Opposition gegen das Assad-Regime führen.[5] Gleichzeitig würde die Jabhat al Nusra an Kampfkraft gewinnen. Die USA wären mit ihren bisherigen Bemühungen um die Errichtung einer Front, die gemäss den Vorstellungen von Washington D.C. vor allem gegen den Islamischen Staat gerichtet wäre, gescheitert. Wie Afghanistan müsste auch Syrien dem Konto der verlorenen Kriege der Obama-Administration zugerechnet werden.
[1] Grady, J., EUCOM Breedlove: Indiscriminate Russian Bombing in Syria Worsening European Immigration Crisis, USNI News, March 1, 2016, P. 1.
[2] Grady, J., P. 3.
[3] Casagrande, G., Kozak, Chr., and J. Cafarella, Syria 90-Day Forecast: the Assad Regime and Allies in Northern Syria, Backgrounder, February 24, 2016, P. 9.
[4] Casagrande, G., et al., P. 9.
[5] Abdulrahim, R., Fearful Aleppo Readies for Return to War, Rebel-held side of city lays contingency plans in case truce fails and regime lays a siege, in: The Wall Street Journal, March 3, 2016, P. A3.
Auch nach der auf Initiative Russlands und der USA abgeschlossenen Waffenpause ist die politische und militärische Lage in Syrien durch Unsicherheit und Instabilität bestimmt. Nach wie vor wird der Osten Syriens durch den Islamischen Staat (IS) kontrolliert. Die mit al-Kaida liierte al Nusrah-Front beherrscht vor allem einzelne Gebiete im Westen Aleppos. Überall dort, wo diese beiden Organisationen die Kontrolle inne haben, werden religiöse Minderheiten, zu denen auch Christen verschiedener Konfessionen gehören, vertrieben, unterdrückt oder gar zur Konvertierung gezwungen. Neben den Fundstätten aus der Antike werden Kirchen und Klöster in diesen Gebieten zerstört.
Die direkte Folge des Krieges und der Zerstörungen ist die Fluchtbewegung in die Türkei, in den Libanon und nach Jordanien. Neben einzelnen Christen gehört die Mehrheit dieser Flüchtlinge der sunnitischen Richtung des Islams an. Jene Flüchtlinge, die aus dem Raum Aleppo stammen, sind zu den konservativen Sunniten Syriens, den Salafisten, zu rechnen. Vor allem diese Sunniten flüchten in die Türkei. Viele von ihnen sind bereits Ende 2015 über Griechenland und die Balkanroute nach Österreich, Deutschland und Schweden gelangt.
Folgendes Szenario über die zukünftige Entwicklung in Mitteleuropa erscheint plausibel. Diese Sunniten werden mit oder ohne Zustimmung ihrer Gastländer sehr bald ihre zahlreichen Familien nachziehen. Dank ihrer massiven Einwanderung könnten sie schrittweise die Dominanz über die übrigen Muslime in Mitteleuropa, insbesondere über jene in Deutschland, erlangen. Nach 10 oder 20 Jahren könnten sie definitiv das Leben der Muslime im säkularen Mitteleuropa bestimmen und sehr bald das übriggebliebene Christentum ins Abseits verdrängen.
Wie könnte eine solche Entwicklung abgewendet werden? Russland ist vor über 5 Jahrhunderten durch Ivan IV. Vasiljevic mit der Eroberung von Kasan (1552) und mit der Eroberung von Astrachan (1557) von der Herrschaft der islamischen Tartaren befreit worden.[1] Offenbar hat Russland auch heute noch eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den islamischen Terrorismus inne, denn im Gegensatz zum wirkungslosen Luftkrieg der US-geführten Koalition unter Barack Obama gegen den Islamischen Staat betreibt Russland auf Anordnung von Präsident Putin einen massiven Luftkrieg gegen die al Nusrah-Front in Syrien. Eine Rettung Mitteleuropas könnte in einer engeren politischen und militärischen Zusammenarbeit mit dem christlichen Russland bestehen.
[1] Randa, A. (Hrsg.), Handbuch der Weltgeschichte, Erster Band, Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1954, S. 959.
Alle Religionen beinhalten ein Strafrecht, dank dem das Zusammenleben einer Gemeinschaft, die zu dieser Religion gehört, geregelt wird. Im Islam ist es die Schari‘a. Dieses Strafrecht dürfte durch das Gesetz des babylonischen Herrschers Hammurabi (1728-1686 v. Chr.)[1] wesentlich beeinflusst worden sein.
Das Geburtsdatum Mohammed entspricht im christlichen Kalender dem Jahr 570 n.Chr. Er entstammte dem Clan der Haschem, die zum Stamme der Quraisch gehörte. Dieser Stamm beaufsichtigte den Kult um die Ka’ba in Mekka und gehörte zum Establishment von Mekka. Sein Reichtum beruhte auf seinen Handelsbeziehungen zwischen Jemen und Petra.
Als Waise wuchs Mohammed bei seinem Onkel Abu Talib auf. Er wurde zum Kaufmann und Karawanenführer. Mit 25 heiratete er die reiche Witwe Chadidscha. Dieser Ehe entstammte Fatima, die später Ali, den Cousin von Mohammed, heiratete. Mohammed suchte in der Einsamkeit nach dem Sinn des Lebens. Im Alter von 40 Jahren erschien ihm in einer Höhle am Berge Hira der Erzengel Gabriel und erteilte ihm den Auftrag, die göttliche Botschaft vorzutragen, arabisch Qur’an. Mit seinen Predigten stiess Mohammed in Mekka auf Ablehnung und wurde mit seinen Anhängern in die Stadt Yathrib, die später als Medinat an-Nabi, die Stadt des Propheten bezeichnet wurde, vertrieben. Mit dieser Auswanderung und dem Austreten aus der Stammesgesellschaft erfolgte die Gründung der islamischen Gemeinschaft, der Umma. Diese Auswanderung wird als Hidschra bezeichnet. Mit der Hidschra, 16. Juli 622 der christlichen Zeit, beginnt die islamische Zeitrechnung.
Neben den religiösen und politischen Vorschriften kodifizierte Mohammed Ehe-, Erb-, Handels- und Strafrecht für die Umma. Dadurch entstand ein neues Gesellschaftssystem, das die bisherige Stammesgesellschaft abzulösen hatte. 630 kehrte Mohammed als religiöser und politischer Führer der Umma nach Mekka zurück, wo er 632 verstarb. Begraben wurde er in Medina.
Der Qur‘an, der als das ewig gültige Wort Gottes nicht verändert werden darf, wurde von 570 bis 650 n.Chr. niedergeschrieben und beinhaltet 114 Suren. Neben dem Qur‘an sind für die Gläubigen die Aussprüche und Handlungen des Propheten, die in den Hadithen zusammengefasst worden sind, für den Weg – arabisch Schari‘a – zur Verwirklichung von Glauben und Handeln massgebend. Als umfassendes religiöses und staatliches Rechtsystem – Familien-, Erb-, Handels- und Strafrecht – wurde die Schari‘a 300 Jahre nach dem Tod des Propheten kodifiziert. Nur Rechtsgelehrte dürfen auf der Grundlage der Schari‘a Rechtsgutachten, Fatwa, verabschieden.
Zu den schlimmsten Verbrechen gehören jene Vergehen, hadd, die der Qur‘an als solche bezeichnet und für die er ein bestimmtes Strafmass verlangt. Es wird das Recht Gottes umgesetzt. Gemäss dem Qur’an gehören u.a. dazu:[2]
„Die Hure und den Hurer, geisselt jeden von beiden mit hundert Hieben (…).“
„Diejenigen, welche züchtige Frauen verleumden und hernach nicht vier Zeugen beibringen die geisselt mit achtzig Hieben (…).“
„Siehe, der Lohn derer, welche Allah und Seinen Gesandten befehden und Verderben auf der Erde betreiben, ist nur, dass sie getötet oder gekreuzigt oder an Händen und Füssen wechselseitig verstümmelt oder aus dem Lande vertrieben werden.“
Bei anderen Vergehen, die auch im Qur’an aufgeführt werden, ist vielfach eine Wiedergutmachung durch den Täter oder dessen Familie möglich.
Die Schari‘a ist, in jenen Staaten, in denen sie Teil der Gesetzgebung ist, für das islamische Strafrecht grundsätzlich massgebend.
[1] Randa, A.(Hrsg.), Handbuch der Weltgeschichte, Erster Band, Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, dritte Auflage, 1962, S. 212.
[2] Der Koran, aus dem Arabischen übersetzt von M. Henning, mit Einleitung und Anmerkungen von A. Schimmel, Philipp Reclam jun., Stuttgart. Durchgesehene und verbesserte Auflage, 1991.
[3] Der Koran, S. 334.
[4] Der Koran, S. 335.
[5] Der Koran, S. 119.
Aufgrund der Fehlleistungen im Krieg gegen Georgien von 2008 beschloss das Führungsgremium Russlands unter dem damaligen Präsidenten Medwedew und dem damaligen Ministerpräsidenten Putin die Streitkräfte zu reformieren. Mit dieser Reform unter der Bezeichnung Novy Oblik, New Look, in Anlehnung an das Reformprojekt des US-Präsidenten Eisenhower aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, wurde der damalige Verteidigungsminister, Anatoly Serdyukow, beauftragt. Zu dieser Reform gehörte die konsequente Brigadisierung der Streitkräfte, eine vereinfachte Führungsstruktur mit vier Militärbezirken – West, Süd, Zentrum, Ost – , die Zusammenfassung der Luftstreitkräfte (VVS) und der Luftverteidigungskräfte (VKO) zu den Luftraumkräften (VKS), sowie eine massive Erhöhung des Anteils der Berufssoldaten und – unteroffizieren (die Kontrakti) um bis zu 2/3 des Gesamtbestandes der Streitkräfte. Abgesehen von der vollständigen Brigadisierung werden die geplanten Reformmassnahmen heute unter dem neuen Verteidigungsminister, Sergei Shogu, umgesetzt. Entgegen der ursprünglichen Planung zur vollständigen Brigadisierung sind die Armeestufe bei den Landstreitkräften wie auch die 2. motorisierte Schützendivision und die 4. Panzerdivision beibehalten worden.
Noch unter Präsident Medwedew wurden 2010 als Ergänzung zum Novy Oblik eine neue Militärdoktrin und ein Aufrüstungsprogramm in der Höhe von 19‘400 Milliarden Rubel für die Periode 2011 bis 2020 verabschiedet.[1] Gemäss dieser Militärdoktrin, die in einem weiteren Bericht 2014 bestätigt wurde, sind für Russland die NATO und das geplante Abwehrsystem der USA gegen ballistische Flugkörper in Osteuropa die grössten militärischen Herausforderungen. Aufgrund der bisherigen Umsetzung wie auch der Ziele des Aufrüstungsprogramms könnte die Russische Föderation 2020 über das folgende Arsenal an wichtigen Waffensystemen verfügen, die zu 70-80% neu und modern sein würden:[2]
interkontinentale ballistische Flugkörper (ICBMs) 400+ U-Boot-gestützte ballistische Flugkörper (SLBMs) ? Militärische Satelliten 100+ Kampfflugzeuge 450 Kampfhelikopter 330 Drohnen (UAVs, Unmanned Air Vehicles) 4‘000+ Luftverteidigungssysteme S-400 (Divisionen) 56 nuklearangetriebene U-Boote mit SLBMs 8 nuklearangetriebene Angriffs-U-Boote 7 diesel-elektrisch angetriebene U-Boote 6-10 Überwasserkriegsschiffe 50 Kampfpanzer 2‘300+ ballistische Kurzstreckenflugkörper Iskander (Brigaden) 10
Gemäss den Einschätzungen der NATO betrugen 2015 die Verteidigungsausgaben der Russischen Föderation 5.4 % des Bruttosozialproduktes.[3] Angesichts der Stagnation der russischen Volkswirtschaft sind in den nächsten Jahren einschneidende Kürzungen im Verteidigungsbudget denkbar. Bis jetzt produziert die russische Rüstungsindustrie allerdings auf vollen Touren und konnte bisher sogar die vom Verteidigungsministerium gestellten Vorgaben zahlenmässig übertreffen. So sind 2014 die verlangte Anzahl an modernisierten Kampfpanzern T-72 und Jagdbombern Su-34 vollumfänglich geliefert worden. 2014 konnte gegenüber dem Vorjahr die Rüstungsproduktion um 15.5 % gesteigert werden, dies im Vergleich zur Produktionssteigerung von 1.7% der gesamten russischen Industrie.[4] Für die Periode 2016-25 ist die Produktion und Lieferung von 2‘300 neuen Kampfpanzern T-14 Armata, die Lieferung der Kampfflugzeuge T-50 der fünften Generation und des Luftverteidigungssystems S-500 an die russischen Streitkräfte zu erwarten.[5]
Dank der Umsetzung des Aufrüstungsprogramms und der leistungsfähigen Rüstungsindustrie kann Russland auch an zwei geopolitisch sehr unterschiedlichen Orten gleichzeitig Krieg führen. In und über Syrien testete die russische Führung bis anhin ihre Luftstreitkräfte (Luftraumstreitkräfte) aus, in dem die Erdkampfflugzeuge Su-25 und Jagdbomber Su-24 und Su-34 sowie Mittelstreckenbomber Tu-22M über die syrische Opposition Bombenteppiche von Freifall-Splitterbomben hoher Explosivwirkung abwarfen.[6] Hin und wieder wurden durch strategische Bomber Tu-95 und Tu-160 luftgestützte Marschflugkörper (Kh-55/SM und Kh-102) und seegestützte Marschflugkörper Kalibr gegen Ziele in Syrien eingesetzt. Den Nachschub für die russischen Kampfflugzeuge in Syrien leisten Transportflugzeuge An-124 oder Il-76 oder/und Transportschiffe über den Bosporus zum russischen Hafen Tartus in Syrien.[7]
Was den hybriden Krieg in der Ost-Ukraine betrifft, so werden die eingesetzten Panzerverbände und Eliteeinheiten (SPEZNAZ) immer noch vom russischen Territorium aus unterstützt und mit Waffen, Munition und Material versorgt.
Während Russland seit 2011 aufrüstet, haben die wichtigsten Staaten Europas, so Deutschland, Italien, Frankreich und Grossbritannien, intensiv abgerüstet. Am massivsten hat Deutschland abgerüstet. Dieser Staat verfügte 1990 noch über 215 Kampfbataillone. Heute sind es noch 34 Kampfbataillone. Vor allem bei den Kampfpanzern, die in einem zukünftigen Krieg wieder entscheidend sein könnten, haben alle diese Staaten massiv abgerüstet. 1990 verfügte Deutschland über 74 Panzerabteilungen, 2015 sind es deren 5. Italien hatte noch 1990 25 Panzerabteilungen, 2015 sind es noch deren 3. Frankreich verfügte 1990 noch über 16 Panzerabteilungen, 2015 sind es noch 3. Bei Grossbritannien waren es 1990 noch 14 Panzerabteilungen. Heute sind es noch deren 3. Ein intensiver Abzug von Kampfbataillonen erfolgte insbesondere durch das US-Kommando Europa (US EUCOM). Die Amerikaner hatten 1990 in Europa noch 25 Panzerabteilungen, heute verfügen sie in Europa noch über 1 1/3 Kampfpanzerabteilungen.[8]
Nach wie vor bilden die USA mit ihrem Potential das Rückgrat der militärischen Schlagkraft der NATO, und nach wie vor sind die USA, was die Feuerkraft ihrer Kampfflugzeuge betrifft, jener von Russland überlegen. In einem Ernstfall müssten allerdings die US- Luftstreitkräfte zuerst nach Europa verlegt werden. Aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen der Administration und dem Kongress stagniert des Weiteren zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Modernisierung der US-Streitkräfte weitgehend. Sollte 2016 gar der Ernstfall eintreten, dann ist aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Obama im Krieg in Syrien vorstellbar, dass er eine russische Aggression nur zögernd mit militärischen Mitteln abwehren und deshalb die Unterstützung der USA für die Europäer mit Verspätung eintreffen würde.
Der zunehmenden Instabilität der militärischen Lage in Europa als Folge der europäischen und amerikanischen Abrüstung und des russischen Aufrüstungsprogramms kann nur durch eine Wiederaufrüstung der mächtigsten Staaten Europas sowie durch eine tatkräftige US-Administration, die jene Obamas ablösen würde, begegnet werden. Tritt diese Entwicklung nicht ein, dann könnten im nächsten Jahrzehnt die Staaten Europas durch die militärische Schlagkraft Russlands erpressbar werden.
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[1] The Military Balance 2016, P. 64/171.
[2] The Military Balance 2016, P. 170/172.
[3] The Military Balance 2016, P.170.
[4] The Military Balance 2016, P. 171.
[5] The Military Balance 2016, P. 171.
[6] The Military Balance 2016, P. 163.
[7] The Military Balance 2016, P. 164.
[8] The Military Balance 2016, P. 24.
Interview mit Prof. Dr. Albert A. Stahel: ISIS and its conduct of war. Erschienen in STRIFE m 12. February 2016
Zwischen den beiden US-Präsidenten Jimmy Carter und Barack Obama existieren verschiedene Parallelen. Sowohl Carter, 1977 bis 1981 Präsident, wie auch Obama, 2009 bis 2017 Präsident, haben in einer Zeit der Konfrontation mit der Sowjetunion bzw. Russland gewirkt. Beide haben den Friedensnobelpreis erhalten, Jimmy Carter als ehemaliger Präsident 2002, und Barack Obama als amtierender Präsident 2009. Beide haben sich innenpolitisch für die Energie-, Bildungs-, Gesundheits- und Umweltpolitik eingesetzt und beide sind aussenpolitisch mit Rüstungskontroll- bzw. Abrüstungsabkommen über nuklearstrategische Waffen mit der Sowjetunion bzw. mit Russland gescheitert. Für Carter war dies der SALT-II-Vertrag mit der UdSSR, der nie ratifiziert wurde. Obama unterzeichnete 2009 mit dem russischen Präsidenten Medwedew in Prag das New-START-Abkommen, aufgrund dessen die Zahl der nuklearen Gefechtsköpfe auf beiden Seiten auf je 1‘550 hätte reduziert werden sollen. Trotz dieser Einschränkung modernisiert jetzt vor allem Russland seine Waffenträger für die strategischen Nuklearwaffen.
Carter wurde offenbar vom iranischen Staatsoberhaupt, Ruhollah Chomeini, als nicht handlungsfähig eingeschätzt, sonst hätte dieser die Geiselnahme von 50 Amerikanern in der US-Botschaft in Teheran im November 1979 nicht zugelassen. Erst Präsident Ronald Reagan konnte am 20. Januar 1981 die Geiselnahme durch Verhandlungen beenden. 2015 hat Obama, zusammen mit den Vertretern der anderen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland, mit der Islamischen Republik Iran einen Vertrag unterzeichnet, gemäss dem der Iran für die nächsten 15 Jahre keine Nuklearwaffen entwickeln sollte. Nach wie vor besteht aber Ungewissheit darüber, ob die Ayatollahs in Teheran sich an dieses Abkommen halten werden.
Die sowjetischen Führer beurteilten Carter als schwach und aussenpolitisch nicht handlungsfähig, sonst hätte die sowjetische Nomenklatura am 24. Dezember 1979 nicht den Einmarsch nach Afghanistan befohlen. Die Reaktion von Carter war die Verkündigung der Carter-Doktrin, gemäss der alle Aktionen von Drittstaaten im Golfgebiet als Aggression gegen die Interessen der USA zu bezeichnen waren und die den Einsatz aller Mittel nach sich gezogen hätten. Auch Obama sieht sich mit Konflikten und Kriegen im Mittleren Osten konfrontiert. Im Sinne eines Desengagements der USA in Bezug auf diese Konflikte hat er den Abzug der US-Truppen aus dem Irak bis Ende 2011 und jenen aus Afghanistan bis zum Ende seiner Amtszeit befohlen. Der US-Abzug aus dem Irak dürfte dem Islamischen Staat (IS) den Aufstieg zu einer Militärmacht erleichtert haben. Der vollständige Rückzug aus Afghanistan ist angesichts der Lage im Land vorderhand gestoppt worden. Vermutlich werden 5‘000 bis 10‘000 auch nach dem Ende der Amtszeit von Obama in Afghanistan verbleiben.
Obama ist mit weiteren Konflikten in Nordafrika und im Mittleren Osten konfrontiert. Bis anhin hat er in diesen Konflikten nicht erfolgreich operiert. Bei Ausbruch des Arabischen Frühlings reagierte Obama zunächst vorsichtig. Offenbar liess er sich aber von den Ereignissen in Tunesien beeinflussen, denn anfangs Februar 2011 forderte er den ägyptischen Präsidenten, Hosni Mubarak, zum Rücktritt auf. Am 11. Februar 2011 lobte er die Revolution in Ägypten und verlangte von den ägyptischen Militärs Zurückhaltung. Nachdem diese unter der Führung von Feldmarschall Abd al-Fattah as-Sisi den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi stürzten und die Macht wieder übernahmen, wurden sie von Washington gerügt. Seither ist das Verhältnis zwischen Washington und Kairo angespannt.
Am 26. Februar 2011 verlangte Obama, dass der Diktator Libyens, Muammar al-Gaddafi, abtreten müsse und am 17. März 2011 befahl er Luftschläge gegen die libyschen Streitkräfte. Diesem Luftkrieg schlossen sich Frankreich und Grossbritannien an. Nach dem Sturz und der Ermordung Gaddafis zerfiel Libyen und wurde zu einem failed state. Jetzt wird angesichts der katastrophalen Lage in Libyen seitens der USA, Frankreich und Grossbritannien über eine erneute Intervention nachgedacht.
Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien 2011 verlangte Obama den Rücktritt des Diktators Baschar al-Assad. 2012 verkündete Obama angesichts des Einsatzes von C-Waffen durch das syrische Regime eine Rote Linie und drohte bei einem weiteren C-Waffen-Einsatz mit einem Luftschlag. Teilweise ausmanövriert durch die russische Diplomatie verzichtete Obama 2013 auf die Ausführung des Luftschlages. Das Ergebnis dieses Verzichtes durch Obama deckt sich mit dem Fallenlassen des Schahs des Irans, Mohammad Reza Pahlavi, durch Carter: die USA haben wieder einmal ihr gesamtes Ansehen bei den Staaten des Mittleren Ostens verloren.
Seit Obama 2014 den Islamischen Staat als Hauptfeind der USA und ihrer Alliierten deklariert hat, wird der IS von einer durch die USA geführten Koalition mit wenig Wirkung bombardiert. Der russische Präsident, Wladimir Putin, hat die Handlungsunfähigkeit von Washington richtig erkannt und bombardiert seit September 2015 mit Freifallbomben in indiskriminierender Weise die syrische Opposition, die noch vor kurzem durch die USA unterstützt wurde. Die Antwort von Washington auf diese Verletzungen des Kriegsvölkerrechts beschränkt sich auf das Lamentieren seitens des US-Aussenministers John Kerry.
Der eigentliche Unterschied zwischen 1979 und heute ist der, dass während noch 1979 die Rationalität der gegenseitigen Abschreckung mit strategischen Nuklearwaffen zwischen der UdSSR und den USA intakt war, und diese Abschreckung beide Supermächte von direkten militärischen Konfrontationen abhielt, die Gefahr besteht, dass dieser Abschreckungsmechanismus heute nicht mehr funktioniert. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass der russische Präsident aufgrund seiner Einschätzung der Handlungsunfähigkeit des schwachen US-Präsidenten Obama in absehbarer Zeit ein weiteres militärisches Abenteuer auslösen könnte. Nach Syrien könnte das Baltikum das Ziel einer russischen Aggression sein.
Im Rahmen der VHS Zürich Ringvorlesung USA – Fundamente einer Weltmacht hält am 6. Juni 2016 Prof. Dr. Albert A. Stahel den Vortrag:
Das US-Militär – weltweit präsent, ausgedünnt und ineffektiv?
Die chinesische Expansionspolitik im Süd- und Ostchinesischen Meer schränkt die Interessen der ASEAN-Staaten und Japans ein. Die Philippinen haben deshalb den USA die Benützung des Militärstützpunktes Subic Bay Naval Base wieder ermöglicht. Die Philippinen wollen auch mit Japan ein „Visiting Forces Agreement (VFA)“ abschliessen. Vietnam hat mit Japan für 2016 den Besuch des Hafens Cam Ranh durch die Japan Maritime Self-Defense Forces (JMSDF) vereinbart. Seit 2014 dürfen japanische Aufklärungsflugzeuge P-3C der Self-Defence Forces (SDF) auf ihrem Rückflug nach der Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias in Vietnam zwischenlanden. Japan möchte auch die philippinische Insel Palawan und die malaysische Insel Labuan als Anlaufhäfen („ports of call“) benützen. Die Sicherheit der Seewege durch das Südchinesische Meer dürfte die Einsätze Japans in diesem wichtigen geopolitischen Raum bestimmen.
Für die chinesische Expansion im Südchinesischen Meer dürfte es drei Gründe geben. Die ASEAN-Staaten verfügen über keine wirksamen Seestreitkräfte. Dagegen markieren im Japanischen und Ostchinesischen Meer die USA, Japan, Südkorea und Taiwan eine überzeugende Präsenz ihrer Seestreitkräfte. China sieht das Südchinesische Meer als eine Art Binnenmeer an, das es zu kontrollieren gilt. Es ist durchaus denkbar, dass durch die Machtentfaltung Chinas die Führung in Beijing von der Unzufriedenheit unter der eigenen Bevölkerung ablenken möchte. Der zweite Grund ist der, dass die Hainan-Insel für die chinesischen U-Boote der wichtigste Hafen ist. Von diesem Hafen aus können die U-Boote Chinas direkt ins tiefe Meer gelangen. Das Aufspüren und die Verfolgung durch gegnerische U-Boote dürften dabei sehr schwierig sein. Der chinesische Plan zur Errichtung einer Wirtschaftsverbindung über Land und Meer – die neue Seidenstrasse – dürfte der dritte Grund sein. Diese Seidenstrasse würde im Südchinesischen Meer beginnen und durch den Indischen Ozean und das Arabisches Meer ins Mittelmeer und in den Atlantischen Ozean führen. Diesen Plan kann China nur durch eine Kontrolle des Südchinesischen Meeres erreichen.
Trotz der Tatsache, dass der wichtigste Seeweg Japans über das Südchinesische Meer führt, muss Japan seine Streitkräfte in diesem Raum vorsichtig einsetzen. Erstens sind die ASEAN-Staaten von der chinesischen Wirtschaft sehr abhängig und wollen deshalb keine Konflikte mit China riskieren. Die Bevölkerungen der ASEAN-Staaten, wie auch jene Australiens, weisen einen hohen Anteil an Chinesen auf. Deren wirtschaftliche Netzwerke könnten ohne Weiteres für politische Zweck eingesetzt werden. Verschiedene ASEAN-Staaten misstrauen Japan aufgrund der Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg bis heute. Gleichzeitig ist es fraglich, ob Japan über genügend Seestreitkräfte für Einsätze im Südchinesischen Meer verfügt. Bereits jetzt sind die japanischen Seestreitkräfte durch die Einsätze im Ostchinesischen Meer zwecks Eindämmung Chinas, im Japanischen Meer gegenüber Russland sowie bei der Bekämpfung der Piraterie überdehnt. Auch die nordkoreanische Bedrohung darf nicht ausser Acht gelassen werden. Ein Konflikt im Südchinesischen Meer zwischen japanischen und chinesischen Seestreitkräften könnte Japan überfordern.
Die chinesische Strategie zur Kontrolle der Ersten und Zweiten Inselkette ist bekannt. China errichtet bereits jetzt innerhalb der Ersten Inselkette auf einigen Inseln Militärstützpunkte. Die USA verfügen über den grossen Militärstützpunkt auf Guam, der an der Grenze zur Zweiten Inselkette liegt. Der Raum zwischen den beiden Inselketten ist noch unbesetzt. Nur wenn Japan, Australien und die Anrainerstaaten zusammenwirken würden, könnte eine chinesische Expansion in diesem Zwischenraum verhindert werden. Australien beabsichtigt zum gegenwärtigen Zeitpunkt entweder aus Deutschland, Frankreich oder Japan neue U-Boote zu beschaffen. Entscheidet sich Australien für französische oder deutsche U-Boote, dann könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass Australien China nicht provozieren will und nicht in die Konflikte im Südchinesischen Meer einbezogen werden möchte. Eine Entscheidung zugunsten japanischer U-Boote könnte dagegen auf eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Australien und Japan im Südchinesischen Meer hinweisen. Zu beachten ist auch, dass der Verkauf von U-Booten an Australien für Japan nicht unproblematisch sein könnte. Japan und Australien haben kein gemeinsames Sicherheitsabkommen. Die neue australische Regierung gilt als pro-chinesisch und ein geheimer Transfer der U-Boot-Technologie nach China wäre in diesem Fall denkbar.
Aufgrund der 2015 erneuerten Richtlinien für die Verteidigungskooperation mit Japan verlangen die USA bereits heute von Japan mehr Einsätze im Südchinesischen Meer. Solange aber die ASEAN-Staaten kein geschlossenes Auftreten gegenüber der Expansionspolitik Chinas beweisen, könnte Japan bei einem Zwischenfall mit China keine Unterstützung seitens dieser Staaten erwarten. Die Zeit für einen japanischen Einsatz im Südchinesischen Meer ist deshalb noch nicht reif. Die japanische Führung muss mit Priorität zuerst das eigene Land schützen.
Schrittweise baut Wladimir Putin in Syrien seine Luftreitmacht aus. Seit anfangs Februar 2016 sollen auf dem Fliegerstützpunkt Bassel al-Assad modernste Abfangjäger Su-35 stationiert sein.[1] Diese Abfangjäger werden für den Begleitschutz der Jagdbomber Su-24 und Su-34 bei ihren Bombardierungen eingesetzt. Den Fliegerabwehrschutz der russischen Stützpunkte erbringt das wirksame Boden-Luft-System S-400 Triumf, das Russland aufgrund des Abschusses eines Su-24 durch einen türkischen Abfangjäger F-16 nach Syrien verlegt hat. Der Zielerfassung in der Luft dient ein Aufklärungs- und Fliegerleitflugzeug A-50 Mainstay (Airborne Early Warning and Control Aircraft, AEW&C). Mit diesen Mitteln und Kampfflugzeugen ist die russische Luftstreitmacht gegenüber möglichen Interzeptionen seitens türkischer und saudischer Abfangjäger geschützt. Wladimir Putin kann ungestraft seine Flächenbombardierungen gegen syrische Städte und Ortschaften fortsetzen. Mit seinen Bombardierungen unterstützt Putin den Kriegsverbrecher al-Assad, durch dessen bisherige Kriegführung über 260‘000 Syrerinnen und Syrer getötet und Millionen Menschen in die Flucht getrieben worden sind. Als Vergleich: bis heute dürfte der Islamische Staat im Irak und in Syrien 6‘000 Menschen getötet haben. Mit den Flächenbombardierungen, die indiskriminierend gegen die Zivilbevölkerung und Kämpfer der Opposition erfolgen, begeht der russische Präsident gemäss den Genfer Konventionen selbst ein Kriegsverbrechen, für das er sich allerdings mit Sicherheit nie wird verantworten müssen.
Dem syrischen Drama mit den hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen schauen der US-Präsident Barack Obama und sein Aussenminister John Kerry nach wie vor untätig zu. Die einzigen Aktivitäten gegenüber diesen Kriegsverbrechen ist ein verbales Lamentieren seitens der in Washington DC regierenden Administration. Offenbar übersehen Obama und Kerry, dass die Kriegführung von Putin in Syrien ein Probegalopp für eine Eroberung des Baltikums sein könnte und dass der russische Präsident seine politischen Folgerungen angesichts der Untätigkeit Obamas und seines Kabinetts bereits gezogen hat. Für die Konzipierung eines Angriffs auf die drei baltischen Republiken dürften Putin und sein Verteidigungsminister aufgrund der Erfahrungen mit ihrer konventionellen Kriegführung in Syrien bereits wichtige Lehren abgeleitet haben. Sowohl Obama wie auch die Führung der NATO haben offenbar bis heute nicht erkannt, dass Putin in Syrien einen wirklichen und keinen hybriden Krieg führt, und dass er die eigentliche Bedrohung für die USA und ihre Alliierten in Europa sein dürfte.[2] Die Kriegführung ist wieder auf den mit zahlenmässig überlegenen Mitteln geführten konventionellen Krieg ausgerichtet.
[1] STRATFOR, In Syria, Russia Protects Its Interests From Above and Below, February 10, 2016, 09.00.
[2] Barnes, J.E., NATO Plans to Place Troops on Borders, in: The Wall Street Journal, February 11, 2016, P. A3.
So auch Grady, J., National Intelligence Director Clapper: ISIS ‘Most Significant’ Non-State Threat to U.S., Allies, in: U.S. Naval Institute, February 9, 2016, 05.36.
Wladimir Putin lässt durch seine Erdkampfflugzeuge Su-25 und Jagdbomber Su-24 und Su-34 gezielt Freifallbomben entsprechend der Fliegertaktik der Flächenbombardierungen über die syrischen Städte abwerfen. Mit diesen Bombardierungen wird der Vorstoss der Truppen von al-Assad und seinen Alliierten, den Kampftruppen der Hisbollah und der iranischen Revolutionsgarde zur Eroberung der Stadt Aleppo unterstützt. Das Ergebnis dieser Flächenbombardierungen à la Zweiter Weltkrieg sind total zerstörte syrische Städte, wie Homs und Aleppo. Durch diese Bombardierungen wird die führungslose syrische Bevölkerung, die bis anhin in diesen Ortschaften ausgeharrt hat, wie eine hilflose Menschenmasse an die türkisch-syrische Grenze getrieben. Als Folge der Zerstörungen und Entvölkerung gleichen die syrischen Ortschaften heute Geisterstädten. Mit seiner Taktik der Flächenbombardierungen erweist sich Waldimir Putin als gelehriger Schüler des florentinischen Macht- und Realpolitikers Niccolo Machiavelli.
Barack Obama dagegen soll ein Adept des US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr sein.[1] Wie dieser propagiert und übt sich Obama in „Bescheidenheit und Demut“. Mit der Befolgung dieser Prinzipien soll das Böse in der Welt eliminiert werden. Das Prinzip der Demut dürfte Obama auch zum vorzeitigen Beinahe-Abzug der US-Truppen aus Afghanistan veranlasst haben. Erst der Entscheid von Obama hat es aber den Taliban ermöglicht, den afghanischen Sicherheitskräften die Kontrolle über mehrere Provinzen zu entreissen. Die heutige Lage in Afghanistan gleicht einer Tragödie, unter der insbesonders die Zivilbevölkerung leidet.
Trotz der offensichtlichen Tragödien in Syrien, im Irak und in Afghanistan lässt sich Obama in seiner Demut des Weiteren zu Verhandlungen mit dem Machtpolitiker Putin verleiten. Dabei hofft er durch seine Vereinbarungen mit Putin die Katastrophen in diesen Ländern einzudämmen und die Bevölkerungen von ihren Peinigern, zu denen Assad gehören dürfte, zu erlösen. Erreicht hat er allerdings bisher nichts. Die Verhandlungen, zu denen auch Minsk II gehört, haben sich als Fata Morgana erwiesen. Dies ist nicht erstaunlich, denn Demut war in der Menschheitsgeschichte allenfalls ein schönes Ideal aber nie eine Antwort auf die Brutalität und Rücksichtlosigkeit der realpolitischen Wirklichkeit.
[1] Bew, J., Realpolitik, For All Practical Purposes, in: The Wall Street Journal, February 5-7, 2016, P- A8.
Kanuni i Lekë Dukagjinit (Kanun des Lekë Dukagjinit) ist das albanische Stammes- und Gewohnheitssrecht, das als Rechtssytems nach wie vor von den Stämmen Nordalbaniens und im westlichen Kosova beachtet wird.[1] Wer den Kanun als erster kodifiziert hat, ist nicht bekannt. Der Franziskanerpater Shtjefën Gjeçovi bzw. Gjeçov (1874-1929) hat ihn systematisch erfasst und veröffentlicht. Vier Jahre nach der Ermordung des Paters durch serbische Freischärler wurde der Kanun 1933 veröffentlicht.[2] Interessanterweise weist der Kanun viele Gemeinsamkeiten mit dem Stammesrecht der Paschtunen, dem Paschtunwali auf.
Wie beim Paschtunwali steht im Zentrum des Kanun[3] die Hausgemeinschaft (shpi), die auf der Blutsverwandtschaft beruht.[4] An der Spitze der Gemeinschaft steht der Hausherr, der die Verantwortung für den Haushalt trägt und Strafen aussprechen kann.[5] Neben diesem internen Recht existiert die Selbstjustiz, die zum Tod des Schuldigen führen kann.
Vor der Ehe ist keine Form der Beziehung zwischen Mann und Frau zulässig. Vor der Heirat sollte ein Mädchen jungfräulich sein (virgjën).[6] Ein Mädchen hat kein Recht:[7]
Wie bei den Paschtunen ist die Frau nach ihrer Heirat „Besitz“ des Mannes. Sie kann nichts vererben:[8]
„Die albanische Frau hat kein Erbteil der Eltern, weder Grund noch Haus.“
Ihr Auftrag besteht darin Kinder zu gebären: [9]
„die Frau ist ein Schlauch, in dem die Ware transportiert wird.“
Der Mann hat das Recht seine Frau zu tadeln und zu schlagen.[10]
Genau gleich wie beim Paschtunwali gilt es die Ehre des Mannes hoch zu halten. Eine Ehrverletzung kann erfolgen, wenn jemand angespuckt, bedroht, gestossen, das Wort gebrochen, eine Frau entführt, einem die Waffe weggenommen, der Gast beleidigt, oder eingebrochen wird, sowie wenn Schulden oder Verpflichtungen nicht eingehalten werden.[11] Wird die Ehre verletzt, dann hat der Geschädigte ein Recht auf Rache. Diese Rache kann in endlosen Fehden und Blutrache enden:[12]
„Jeder hat seine Ehre für sich selbst, und niemand kann sich einmischen {…}. Die geraubte Ehre wird durch Gegenstände nicht ersetzt, aber durch das Vergiessen des Blutes {…}.“
Die höchste Stufe einer Ehrverletzung für einen Mann ist der Ehebruch seiner Frau. In diesem Fall kann sie getötet werden. Erwischt der Geschädigte seine Frau und ihren Liebhaber in flagranti, dann hat er das Recht beide durch einen einzigen Schuss zu töten. Dabei wird die Blutrache ausgesetzt.[13]
Die Blutrache (gjak, gjakmarrje)[14] „wird von der Familie (der patrilinearen Verwandtschaft) des Geschädigten innerhalb des Kanun vollstreckt. {…}. Der Ausführende eines Anschlags, ebenso der Anstifter, meist auch die Mittäter fallen unter die Blutrache“.
Zur Ausführung der Blutrache gehört der Besitz einer Waffe. Wie im Paschtunwali, so wird auch im Kanun der Waffenbesitz hochgehalten:[15]
„{…} jeder hat ein Recht auf die eigenen Waffen.“
Der Waffenbesitz ist das Zeichen der Mannbarkeit. Deshalb wird ein Sohn, sobald er diese Schwelle überschreitet, vom Vater eine Waffe erhalten:[16]
„{…} den Söhnen Waffen zu kaufen, wenn sie waffenfähig werden.“
Seine Ehre kann ein junger Albaner nur mit seiner Waffe verteidigen. Mit dem Waffenbesitz, dem Zeichen seiner Männlichkeit, erhält er die Möglichkeit bei einer Ehrverletzung Rache auszuüben. Im Hinterhalt (prita) wird der Gegner niedergestreckt:[17]
„Der Böse wird sich vor jenem verantworten, der ihn im Hinterhalt erwartet.“
Wie bereits erwähnt können Töchter nicht erben. Erbberechtigt sind allein die Söhne:[18]
„Der Kanun anerkennt als Erben nur den Sohn, nicht die Tochter.“
Denn der Stammbaum entspringt dem Blut:[19]
„Die Geschlechterfolge des Blutes stammt von Vaterseite {…}. Die Abstammung von Vaterseite heisst Stammbaum des Blutes {…}.“
Auch im Kanun muss der Gast, mik, gewürdigt werden.[20]
Bei der Festlegung von Grenzen eines Grundstücks verlangt der Kanun vom Hausherrn einen Schwur in Anwesenheit der Dorf- und Stammesältesten:[21]
„Ich schwöre auf Erde und auf diesen Himmel. Ihr mögt mich zerstückeln (me thert), falls ich unredlich handle.“
Die Übereinstimmung zwischen dem Kanun und dem Paschtunwali ist erstaunlich. Beide sind das Stammesrecht indoeuropäischer Völker, die weit voneinander leben. Beide Stammesrechte sind vor dem Christentum und dem Islam entstanden und haben Jahrhunderte überdauert. In beiden Kodizes ist das Rechtsempfinden der alten indoeuropäischen Völker bewahrt worden:[22]
„Weder Christentum noch Islam konnten in Albanien die Spur des Heidentums völlig verlöschen.“
[1] Elsie, R. (Hrsg.), Der Kanun, Das albanische Gewohnheitsrecht nach dem sogenannten Kanun des Lekë Dukagjini, kodifiziert von Sgtjefën Gjeçovi, ins Deutsche übersetzt von Marie Amelie Freiin von Godin und mit einer Einführung von Michael Schmidt-Neke, März 2001.
[2] Elsie, R., Vorwort, in: Der Kanun, S. iii/iv.
[3] Schmidt-Neke, M., Einführung, in: Der Kanun, S. x. Das Wort Kanun könnte aus dem Sumerischen stammen und dürfte über die Osmanen zu den Albanern gelangt sein.
[4] Schmidt-Neke, M., S. xviii.
[5] Schmidt-Neke, M., S. xix.
[6] Schmidt-Neke, M., S. xxviii.
[7] Der Kanun, S. 25.
[8] Der Kanun, S. 32.
[9] Der Kanun, S. 18. So auch Elsie, R., S. vii.
[10] Der Kanun, S. 46.
[11] Schmidt-Neke, M., S. xxv.
[12] Kanun, S. 121.
[13] Schmidt-Neke, M., S. xxx.
[14] Schmidt-Neke, M., S. xxix/xxx.
[15] Kanun, S. 19.
[16] Kanun, S. 47.
[17] Kanun, S. 151.
[18] Kanun, S. 55.
[19] Kanun, S. 134.
[20] Schmidt-Neke, M., S. xxvi.
[21] Kanun, S. 73.
[22] Kanun, S. 115.
Die geostrategische Bedeutung der Senkaku-Inseln und die möglichen Ansprüche Chinas auf die Ryukyu-Inseln, insbesondere auf Okinawa, stellen die japanischen Self-Defence-Forces (SDF) vor kaum lösbare Probleme. Eine Verstärkung des SDF ist zwingend notwendig, sie stellt angesichts der finanziellen Lage Japans eine grosse Herausforderung dar.
Dieser Beitrag ist in der ASMZ 01/02/2016 erschienen.
Ausgelöst durch die kriminellen Nötigungen von Frauen in Köln in der Silvesternacht wird in den Medien über die möglichen Ursachen für dieses Fehlverhalten muslimischer Jugendlicher gerätselt. Seitens unbedarfter deutscher Politiker wird als Allheilmittel zur Verhinderung weiteren Fehlverhaltens eine forcierte Integration dieser Jugendlichen verlangt. Dabei wird übersehen, dass in vielen islamischen Staaten das Verhältnis zwischen Mann und Frau durch archaische Vorschriften, die viel älter sind als der Islam und mit dieser Religion wenig Gemeinsamkeiten aufweisen, geregelt wird. Dazu gehört auch der Stammeskodex der Paschtunen, das Paschtunwali.
In der Zeit von März 1894 bis Mai 1896 wurde die 1287 km lange Ost- und Südgrenze zwischen Afghanistan und dem damaligen Britisch-Indien durch eine afghanisch-britische Grenzkommission entsprechend den Plänen von Sir Mortimer Durand, Sekretär von General F. Roberts, 1880 Sieger über die Afghanen und später Lord of Kandahar, festgelegt.[1] Durch diese sogenannte Durand-Linie wurde das Gebiet der indoeuropäischen Paschtunen, die bis zu diesem Zeitpunkt die ethnische Mehrheit in Afghanistan gebildet und seit 1747, dem Jahr der Gründung von Afghanistan, immer die Herrscher gestellt hatten, in zwei Teile getrennt.
Bei der Teilung von Britisch-Indien wurde im August 1947 Pakistan als unabhängiger Staat gegründet.[2] Trotz den Protesten von Kabul hielt Pakistan an der Durand-Linie als Grenze zu Afghanistan fest. Das Siedlungsgebiet der Paschtunen blieb getrennt. Damit blieben Pakistan bis auf den heutigen Tag auch die halbautonomen Stammesgebiete, die sogenannten Tribal Areas, die durch Paschtunen besiedelt sind, als Unruhegebiet an der Grenze zu Afghanistan erhalten. Diese Stammesgebiete waren während der sowjetischen Besetzung Afghanistans das Durchgangsgebiet für Waffenlieferungen an die Mujaheddin aus Pakistan. Heute haben die pakistanischen Taliban ihre Stützpunkte in diesen Gebieten und auch ihren Rückhalt. Bis anhin ist es der pakistanischen Armee nur bedingt gelungen, diese Gebiete unter die Kontrolle der Regierung von Islamabad zu zwingen.
Das wichtigste, bis heute bestehende Bindeglied zwischen denjenigen Paschtunen, die in Afghanistan leben und jenen, die in Pakistan beheimatet sind, ist der Stammeskodex der Paschtunen, das Paschtunwali. Dieser Kodex beruht auf Richtlinien und Weisungen, wie taboorwali, tor, badal, melmastia und nanawatee.[3] Im Zentrum des Paschtunwali stehen taboorwali und tor. Taboorwali bestimmt über Generationen hinweg die Rivalität innerhalb der väterlichen Verwandtschaft. Taboor ist der Sohn des väterlichen Onkels, der gleichzeitig auch ein Feind sein kann.[4] Die Verletzung der Ehre, nang, eines Paschtunen führt zur Umsetzung von taboorwali. Für die Verletzung von nang genügt nur ein kleiner Anlass.[5] Aus zwei Cousins können Todfeinde werden, die sich gegenseitig töten müssen. Eine solche Todfeindschaft dauert über Generationen hinweg und kann zum Tod vieler Männer führen. Damit regelt taboorwali auch die Überbevölkerung eines Gebietes.
Tor kann als Schwarz übersetzt werden und stellt die Kompromittierung der Keusch- und Reinheit einer Frau dar. Dies ist für einen Mann die schlimmste Verletzung von nang, damit das schwerste Verbrechen und kann nur durch badal geahndet werden.[6] Badal ist Rache und Tod zugleich. In diesem Fall wird badal über Generationen hin ausgeübt, denn zan, zar und zamin – der Besitz von Frauen, Gold (Geld) und Land – dürfen nicht in Frage gestellt werden. Sie sind das Fundament der paschtunischen Gesellschaft.[7] In einem Hinterhalt wird dem Feind aufgelauert und dieser niedergestreckt.
Grundsätzlich ist nang das Symbol der Männlichkeit eines Paschtunen, saritob, und bestimmt damit das Weltbild des Paschtunentums.[8] In dieser von Männern dominierte Welt entscheidet allein der Mann. Nur dieser ist erbberechtigt. Zu nang und saritob gehören auch der Besitz und das Führen einer Waffe (topak garzai). Nur wer ein Gewehr besitzt und führt ist ein echter Paschtune. In Pakistan ist der Waffenbesitz nur in den Tribal Areas erlaubt. Nang und saritob sind das Sinnbild des Paschtunentums und damit Zeichen der Männlichkeit. Zu dieser Männlichkeit gehört mindestens auch das Tragen eines Schnurrbarts.[9]
Selbst die Paschtunen betrachten die Einhaltung des Paschtunwali als halben Wahnsinn (Pukhto nim liwantob day). Für die Nichtpaschtunen sind die Paschtunen „Dummköpfe“, weil sie sich untereinander töten würden (kamakal dee yaw bal wajni). Sie verletzen durch die strikte Befolgung des Paschtunwali sogar die Rechtsvorschriften der Scharia und setzen sich damit in Widerspruch zum Islam.[10]
Zum Paschtunwali gehört auch melmastia, das Gesetz der Gastfreundschaft. Melma ist der Gast und dieser darf solange er ihm Haus des Gastgebers lebt, nicht angerührt werden. Ein Gastgeber wird sich für den Gast, wenn es sein muss, auch in erhebliche Unkosten stürzen.
In der Welt der Paschtunen genügt es nicht als Paschtune geboren zu werden. Man muss auch als Paschtune leben. Dies bedeutet die Einhaltung des Kodex des Paschtunwali und damit das Befolgen von nang und die Umsetzung von badal. Das Paschtunwali ist auf Ehre und Würde ausgerichtet, die mit Tapferkeit, Heldenmut, Grossmut und Freigiebigkeit verbunden sind.[11]
Die Einhaltung des Paschtunwali bestimmt zwangsläufig auch das Sicherheitsbedürfnis der Paschtunen. Dieses Sicherheitsbedürfnis hat zum entsprechenden Hausbau der paschtunischen Bauern geführt. Die „Qala“ ist ein grosses Gehöft mit hohen Mauern und Ecktürmen und wirkt wie eine mittelalterliche Burg.[12] In einer Qala leben Grossfamilien. Vielfach sind grosse Qala auch der Sitz eines Khans, eines Stammesführers. Diese Bauweise dient auch dazu, die Frauen vor den Blicken Fremder fernzuhalten oder zu schützen.
Das Paschtunwali ist Wesen und Ausdruck des Paschtunentums und regelt seit Generationen das Leben der Paschtunen in Afghanistan, insbesondere aber auch in den pakistanischen Stammesgebieten. Bereits 1837 charakterisierte das Brockhaus die Paschtunen wie folgt:[13]
„Die Einwohner sind sehr verschiedenen Stammes und treiben starken Karawanenhandel mit Landesprodukten. Herrschend sind unter ihnen die Afghanen, welche sich selbst Puschtaneh nennen. Sie sind kriegerisch, roh und räuberisch, aber gastfrei und bekennen sich zum sunnitischen Mohammedanismus.“
1839 besetzten die Briten Afghanistan. 1841/42 wurde das gesamte Expeditionskorps mit über 13‘000 Männern und Frauen auf dem Rückzug von Kabul nach Jalalabad vernichtet. Die britischen Soldaten hatten durch ihr Verhalten in Kabul gegenüber den Frauen das nang der Paschtunen verletzt. Dies konnte nur durch badal geahndet werden. Das Paschtunwali wird solange ausgeübt werden, solange es freie Paschtunen mit ihrer archaischen Gesellschaftsform geben wird.
[1] Brechna, H., Die Geschichte Afghanistans, Das historische Umfeld Afghanistans über 1500 Jahre, Zürich, 2005, S. 178.
[2] Ahmed, A.S., Jinnah, Pakistan and Islamic Identity, The Search for Saladin, London and New York, 1997, S. 141.
[3] Ahmed, A.S., Pukhtun Economy and Society, Traditional Structure and Economic Development in a Tribal Society, London, Boston and Henley, 1980, P. 367.
[4] Stahel, A.A., Das Frontier Corps, Ein paramilitärischer Verband von Pakistan in den Tribal Areas, in: Buciak, S. und R. von Dehn (Hrsg.), Indien und Pakistan – Atommächte im Spannungsfeld regionaler und globaler Veränderungen, Verlag Dr. Köster, Berlin, 2010, S. 496.
[5] Stahel, A.A., S. 497.
[6] Ahmed, A.S. (1980), P. 367.
[7] Trench, Ch., The Frontier Scouts, With a Foreword by Ph. Mason, London, 1986, P. 3.
[8] Ahmed, A.S. (1980), P. 97.
[9] Snoy, P., Dorfleben – Stadtleben, in Nicod, M.R. (Hrsg.), Afghanistan, Pinguin-Verlag, Innsbruck, 1985, S. 112.
[10] Ahmed, A.S. (1980), P. 98.
[11] Snoy, P., Die Bevölkerung, in: Nicod, M.R. (Hrsg.), S. 80.
[12] Snoy, P., Dorfleben – Stadtleben, S. 110.
[13] Snoy, P., Die Bevölkerung, S. 73.
Durch die Klimaveränderung zeichnet sich die Benützung des nördlichen Seeweges über die russische Arktis ab. Dieser Seeweg ist zwischen Europa und Asien kürzer als die Suez-Kanal-Route. So ist die Strecke zwischen Tokio und Rotterdam um ca. 40% kürzer. Die Gefahr von Piraten besteht nicht. Für den Fall einer zunehmenden Destabilisierung der Lage im Mittleren Osten würde die Nordost-Passage als Ersatz dienen. Des Weiteren existieren im Nordpolarmeer umfangreiche Vorkommen an Erdöl, Erdgas und Manganknollen. Wegen der Klimaveränderung nimmt dieses Gebiet für die Ausbeutung von Rohstoffen und Mineralien an Bedeutung zu. Bereits jetzt wird ein Projekt auf der Jamal-Halbinsel umgesetzt. Ab 2016 soll dort Erdgas gefördert werden.
Die Nordost-Passage weist aber auch Nachteile auf. So ist das verfügbare eisfrei schiffbare Zeitfenster begrenzt (meistens zwischen Juni und Oktober). Dieses Zeitfenster kann nicht im Voraus geplant werden, da die Kälteperiode im Winter jedes Jahr unterschiedlich lang ist. Das eigentliche Problem ist aber, dass diese Passage dem russischen Gebiet entlang führt. Für die Benützung gelten die russischen Gesetze. Russland verlangt von allen Schiffen, die durch diese Passage fahren, dass sie von russischen Eisbrechern eskortiert werden. Des Weiteren ist es denkbar, dass im Falle eines Konflikts Russland die Passage sperren könnte.
Die Anrainerstaaten des Nordpolarmeeres und andere interessierte Nationen versuchen bereits jetzt ihre Interessen und Ziele zu optimieren. Der Arktische Rat (etabliert 1996) besteht aus den Anrainerstaaten Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland, Schweden und den USA. Beobachterstatus haben Frankreich, Deutschland, Polen, Spanien, Niederlande, England, Italien, China, Indien, Japan, Südkorea und Singapur. In der Arktis gelten die Regeln des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen. In ihren Gebieten dürfen aber die Anrainerstaaten ihre eigenen Gesetze durchsetzen. Die Nordost-Passage hat auch für die russischen Seestreitkräfte viele Vorteile. So kann die russische Nordflotte von Murmansk aus ungehindert den Pazifik und das Japanische Meer erreichen.
Chinas Interesse am Arktischen Ozean wird immer deutlicher. Offenbar hat ein chinesischer Unternehmer (vermutlich im Dienste der chinesischen Regierung) versucht, ein Grundstück in Island zu kaufen.[1] 2012 durchschiffte ein chinesischer Eisbrecher ohne eine russische Eskorte von Island aus die Nordost-Passage. Chinesische Kriegsschiffe sind auch ins Ochotskische Meer vorgestossen. Möglicherweise hat Russland deshalb den Status von Japan als Beobachter im Arktischen Rat unterstützt. Andererseits hat China mit Nordkorea ein Abkommen für die Benützung eines Hafens nahe der La-Pérouse-Strasse und der Soya-Strasse abgeschlossen.
Für Japan ist die Versorgung mit Rohstoffen aus der Jamal-Halbinsel sehr wichtig. Leider fehlt Japan eine Sicherheitsstrategie für die Energieversorgung. Erst seit 2014 versucht Japan zusammen mit privaten Unternehmern seine Beziehungen zu den Anrainerstaaten des Nordpolarmeeres zu intensivieren. China hat andererseits bereits 2013 mit Island ein Freihandelsabkommen abgeschlossen. Des Weiteren bietet Südkorea anderen Staaten den Kauf von Eisbrechern an.
Sollte die Bedeutung der Nordost-Passage zunehmen, dann könnte dies auch zu einer Bedrohung für die Sicherheit Japans werden. Die La-Pérouse- und die Soya-Strasse (zwischen Hokkaido und Sachalin) und die Tsugaru-Strasse (zwischen Hokkaido und der Hauptinsel Japans) könnten gegenüber der Malakka-Strasse wichtiger werden. Schiffe von Europa nach China, Südkorea und Vladiwostok würden entweder die Tsugaru- oder die Soya-Strasse benützen. Deshalb müsste Japan seine Kriegsmarine für die Kontrolle seiner nördlichen Seewege ausbauen.
Zwischen Japan und Russland existieren gemeinsame Interessen. Russland will seine Erdöl- und Erdgasvorkommen verkaufen und Japan will sie kaufen. Russland benötigt für die Entwicklung seiner Industrie moderne Technologie, und Japan könnte diese liefern. Gleichzeitig sind beide Staaten an einer Eindämmung der machtpolitischen Expansion Chinas interessiert. Leider stellt der Kurilen-Konflikt (Etorofu, Kunashiri, Shikotan und Habomai Inseln) ein Hindernis zu dieser Zusammenarbeit dar. Die umstrittenen Kurilen-Inseln sind aufgrund einer geheimen Absprache zwischen Russland und den USA am Ende des Zweiten Weltkriegs an Russland übergeben worden. Erst 1956 haben Japan und Russland wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen. Beide Länder wollten bereits damals ein Friedensabkommen abschliessen. Russland schlug deshalb vor, zwei der umstrittenen Inseln (Shikotan und Habomai) an Japan zurückzugeben. Japan war daran interessiert, aber angeblich haben die USA für den Fall eines solchen Abkommens Japan damit gedroht, dass sie das damals im US-Besitz befindliche Okinawa Japan nie zurückgegeben würden.
1992 machte Russland wieder ein ähnliches Angebot. Leider lehnte Japan auch diesen Vorschlag ab. Japan hat diese Chance für die Rückführung der beiden südlichen Inseln verpasst. 1992 wären die USA vermutlich nicht gegen ein solches Abkommen gewesen. Ein Friedensabkommen zwischen Japan und Russland ist bis heute nicht abgeschlossen worden. Gegenwärtig verstärkt Russland seine Präsenz im Nordpolarmeer. Verschiedene Militärstützpunkte und Militäranlagen aus der Zeit der UdSSR werden wieder erneuert und benützt. Auf den umstrittenen Kurilen-Inseln will Russland bis Ende 2016 300 Militäranlagen erstellen.[2]
Die Situation in Ostasien hat sich aufgrund der zunehmenden Machtstellung Chinas verändert. Die USA, Russland und Japan dürften gemeinsam an der Eindämmung von China interessiert sein. Durch eine Vereinbarung zwischen Japan und Russland betreffend der Benützung der Nordost-Passage könnten die Aktivitäten Chinas im Nordpolarmeer, im Ochotskischen Meer und im Nordpazifik besser kontrolliert werden. Gleichzeitig könnte Japan mit Russland über die Rückgabe der zwei südlichen Inseln verhandeln und Russland zu einem späteren Zeitpunkt die anderen beiden Inseln abkaufen. Durch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit könnten Russland und Japan die Regionen von Sibirien, Sachalin, Kamtschatka und der umstrittenen Inseln gemeinsam entwickeln, was im Interesse beider Seiten liegen würde. Durch diese Zusammenarbeit könnte auch der Vorstoss der chinesischen Unternehmer ins russische Sibirien abgewehrt werden. Japan braucht gleichzeitig eine noch engere Kommunikation mit den USA, damit es den USA kein falsches Signal gibt (Bündnispartner). Der Verzicht auf die Inseln könnte aber auch ein falsches Signal an China und Südkorea (umstrittene Inseln) aussenden.
[1] Hokkaido Shinbun: Henkyo no Chi Island Hokutobu, Chugoku nazono Baishu mosaku (Ausgeschnittener Ort in Island, chinesischer Rätselversuch zum Kaufen), August 6, 2014. [accessed January 10, 2016] http://dd.hokkaido-np.co.jp/cont/kyokutou_part5/2-0008589.html.
[2] Sankei Shinbun: Hoppouryoudo no Rogunshisetsu nennnai ni subete kannseiwo to shiji, Roshia Kokuboushou (Alle Militäranlagen auf den Kurilen werden innerhalb dieses Jahres fertig gebaut sein müssen, befiehlt der russische Verteidigungsminister), Januar 12, 2016. [accessed January 14, 2016] http://www.sankei.com/world/news/160112/wor1601120077-n1.html.
Am 31. Dezember 2015 hat der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, die neue nationale Sicherheitsstrategie und – konzeption in Kraft gesetzt.[1] Diese Konzeption bezieht sich auf die Gesetze 390-FZ vom 28. Dezember 2010 (über die Sicherheit) und 172-FZ vom 28. Juni 2014 (über die strategische Planung in der Russischen Föderation). Die neue Sicherheitskonzeption weist einen umfassenden Ansatz auf. Sicherheit wird ganzheitlich verstanden. Der einzelne Bürger bzw. die einzelne Bürgerin, die russische Gesellschaft und der Staat sollen vor externen und internen Bedrohungen geschützt werden.[2] Dazu gehören die Aufrechterhaltung einer bestimmten Lebensqualität, die Bewahrung der Souveränität, die Unabhängigkeit des Staates und die territoriale Integrität, die Sicherheit der Gesellschaft und des Individuums sowie die wirtschaftliche Entwicklung und die Erhaltung der Umwelt der Russischen Föderation. Zur nationalen Sicherheit gehören, entsprechend der Verfassung der Russischen Föderation, sämtliche Sicherheitsbereiche.
Zur Durchsetzung der nationalen Interessen und damit für die Bewahrung der Unabhängigkeit rechnet diese umfassende Konzeption und Strategie auch den Schutz der russischen Landsleute, die im Ausland, ausserhalb der Grenzen der Russischen Föderation, leben.[3] Des Weiteren hat die Russische Föderation dem Druck der ausländischen Wirtschaftssanktionen standzuhalten.
Wegen der im Euro-Atlantischen Bereich, in Eurasien und im westlichen Pazifik herrschenden internationalen Lage muss Russland seine Offensivwaffen modernisieren.[4] Die Sicherheit Russlands wird durch die NATO bedroht. Das Bündnis verlegt zunehmend seine militärische Infrastruktur in die Nähe der russischen Grenzen. Eine weitere Herausforderung für Russland ist das amerikanische Raketenabwehrsystem in Europa, im Mittleren Osten und im westlichen Pazifik. Damit schaffen die USA die Voraussetzungen für die Implementierung ihrer „global strike“-Konzeption, die den Einsatz von konventionellen Gefechtsköpfen innert Stunden auf der gesamten Welt vorsieht.[5]
Zum Bedrohungs- und Gefahrenspektrum gehören für die Russische Föderation auch die Lage in der Ukraine, der Terrorismus, Organisationen wie der Islamische Staat und die Proliferation von Nuklearwaffen. Auch der Einsatz der Kommunikation gegen Russland, die illegale Migration, der Menschenhandel, die Organisierte Kriminalität und die Knappheit an Trinkwasser werden zum Spektrum der Bedrohung gerechnet.[6]
Dank der Einheit in der russischen Gesellschaft, der sozialen Stabilität, dem Zusammenwirken zwischen allen Ethnien und der religiösen Toleranz in Russland können die verschiedenen Bedrohungen abgewehrt werden. Auch die Modernisierung der Volkswirtschaft und die Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit sind ein Beitrag zu dieser Abwehrfähigkeit. Nur durch eine Modernisierung können die Streitkräfte die nationalen Interessen schützen. Langfristig ausgerichtet, umfassen diese nationalen Interessen:[7]
Für die Durchsetzung dieser Interessen sind folgende strategische Prioritäten um- und durchzusetzen:[8]
Diese Prioritäten werden im strategischen Bericht sehr ausführlich beschrieben.[9] Diese Konzeption verdient die Bezeichnung umfassend. In einem gewissen Sinne erinnert diese neue nationale Sicherheitskonzeption der Russischen Föderation an den Bericht des Schweizerischen Bundesrates vom 27. Juni 1973. Auch dieser Bericht stellte damals eine umfassende Ausrichtung der Gesamtverteidigung der Schweiz auf die damalige Bedrohungslage dar, wie sie in den späteren Berichten nie mehr erreicht werden konnte.
Durch die Bestimmung eines umfassenden Sicherheitsbegriffes und der Gegenüberstellung mit dem gesamten Spektrum der Bedrohung werden die strategischen Massnahmen und Handlungen für das Erreichen der Sicherheit – so für den Bereich der Verteidigung und der Streitkräfte – abgeleitet. Diese neue Sicherheitskonzeption der Russischen Föderation stellt eine wirkliche Herausforderung für die USA, ihr NATO-Bündnis und die EU dar.
[1] Russian National Security Strategy, the Kremlin, Moscow, 31 December 2015, Open Source Center, December 2015.
[2] Russian National Security Strategy, P. 2.
[3] Russian National Security Strategy, P. 3.
[4] Russian National Security Strategy, P. 4.
[5] Russian National Security Strategy, P. 5.
[6] Russian National Security Strategy, P. 6.
[7] Russian National Security Strategy, P. 7.
[8] Russian National Security Strategy, P. 7.
[9] Russian National Security Strategy, S. 8-32.
VOR-ANZEIGE
RUSSLAND-REISE:
Moskau – Vladivostok – Petropavlovsk
Wann: 1.8. bis 10.8.2016
Führung mit Prof. Dr. Albert A. Stahel
Reisebüro:
Schmid Reisebüro AG
Das Detailprogramm wird in 3-4Wochen erhältlich sein.
Interessenten melden sich bitte bei:
Marina.holenstein@schmidreisen.ch
Glockenturm Iwan der Grosse
Die USA sind in der Gegenwart damit konfrontiert, dass sie als Folge der Finanzkrise von 2008 und der gescheiterten Kriege im Irak und in Afghanistan ihre unbestrittene Stellung als Weltmacht verloren haben. Diesen Zustand nützen China und Russland durch eine massive Aufrüstung im nuklearen sowie im konventionellen Bereich für den Ausbau der eigenen Machtstellung aus. Beide fordern in verschiedenen Konfliktregionen der Welt mit ihren Waffenarsenalen die USA heraus. Zu diesen Regionen gehören Osteuropa, der Mittlere Osten und das Südchinesische Meer.
In der Ostukraine führt Russland einen sogenannten „hybriden Krieg“ gegen die Ukraine und demonstriert damit die Machtlosigkeit der USA in dieser Region. Diese Demonstration ist auch eine verklauselte Drohung an die baltischen Staaten. Nur dank ihrer Mitgliedschaft in der NATO geniessen diese drei Republiken vorderhand einen gewissen Schutz gegenüber der zunehmenden Aggression Russlands.
Russland führt seit September 2015 in Syrien einen Luftkrieg mit Freifallbomben gegen die bewaffnete Opposition des Regimes. Das Ziel dieser Bombardierungen ist die Machterhaltung des Minderheitenregimes der Alawiten unter Präsident Baschar Al-Assad in Syrien. Diese Bombardierungen haben einerseits die Flüchtlingsbewegung aus Syrien in die Türkei und nach Jordanien beschleunigt und anderseits dem Islamischen Staat (IS), der durch die russischen Bombardierungen beinahe geschont wird, ermöglicht Dörfer und Ortschaften, die bisher durch die syrische Opposition kontrolliert wurden, zu erobern. Dem US-Präsidenten ist es nicht gelungen, die russische Intervention zu verhindern. Angesichts dieser Situation führen die USA mit ihren engsten Alliierten beinahe ohnmächtig einen gezielten und präzisen Luftkrieg gegen die Stellungen des IS im Irak und in Syrien. Gleichzeitig bilden die USA kurdische Hilfstruppen als Bodentruppen gegen den IS aus. Diese Strategie ist sehr zeitintensiv und wird nur langfristig zum Sieg über den IS führen.
Die Volksrepublik China rüstet vor allem ihre Seestreitkräfte mit U-Booten, Überwasserkriegsschiffen und ballistischen Flugkörpern gegen Flugzeugträger aus. Mit ihrer Küstenwache und ihren Seestreitkräften übt die Volksrepublik China einen massiven Druck auf die Anrainerstaaten im Südchinesischen Meer aus. Das geopolitische Ziel Chinas dürfte, ausgehend von der Kontrolle der Archipel der Paracel- und Spratley-Inseln, die Beherrschung des gesamten Südchinesischen Meeres und damit die Kontrolle der Schifffahrtswege durch dieses Meer sein. Die Seemacht USA, die die freie Schifffahrt aufrechterhalten will, versucht mit der Präsenz der U.S. Navy einen Gegendruck aufzubauen. Der Erfolg dieser amerikanischen Strategie ist bis jetzt beinahe ausgeblieben. China besetzt ein Inselchen nach dem andern im Südchinesischen Meer, vergrössert diese durch Aufschüttung und baut darauf See- und Luftstützpunkte.
Durch die strategischen und militärischen Herausforderungen von Russland und China werden die USA in Europa, im Mittleren Osten und im Südchinesischen Meer in ihrer geostrategischen Handlungsfreiheit eingeschränkt. Die ehemalige Weltmacht kann lokale und regionale Konflikte, wie jene in der Ost-Ukraine und im Mittleren Osten als Folge dieser geopolitischen Lähmung nicht mehr direkt bewältigen. Dazu kommt noch, dass die Obama-Administration den USA bei der Bewältigung von Konflikten eine Selbsteinschränkung auferlegt hat. Unter keinen Umständen sollen bei Interventionen der USA eigene Bodentruppen eingesetzt werden. Grundsätzlich sollen Verluste in lokalen Konflikten soweit als möglich vermieden werden.
Da aber die Sicherheit der USA auch durch diese regionalen Konflikte tangiert wird, so durch Terroranschläge des Islamischen Staates aus dem Mittleren Osten, kann Präsident Obama diesen Gefahren nicht tatenlos zusehen und muss über Optionen für die Vergeltung gegenüber Anschlägen dieser Art verfügen. Mit diesen Optionen muss der Präsident gleichzeitig die Einschränkungsstrategien der beiden Rivalen Russland und China (Anti-Access and Area Denial (A2/AD)) vor Ort überwinden können. Bereits unter der Administration von Bush jr. wurden Vergeltungsschläge mit konventionellen Waffen, sogenannten Conventional prompt global strikes (CPGSs) weapons, die innert Stunden auszuführen sind, untersucht und entwickelt.[1] Als Trägermittel werden seither die Einsatzmöglichkeiten von modifizierten U-Boot-gestützten ballistischen Flugkörpern (Submarine-Launched Ballistic Missile(s),SLBMs) Trident II und Interkontinentalen ballistischen Flugkörpern (Intercontinental Ballistic Missile(s),ICBMs) Peacekeeper, ausgerüstet mit konventionellen Gefechtsköpfen, geprüft. Diese Studien und Untersuchungen werden auch durch den Kongress unterstützt. Bei diesen Trägermitteln muss allerdings auf die Kompatibilität mit dem mit Russland abgeschlossenen Abrüstungsvertrag der nuklearstrategischen Waffen New START von 2010 geachtet werden. Zwischen einem Einsatz von Trägersystemen mit konventionellen Gefechtsköpfen und solchen mit nuklearen Gefechtsköpfen darf es keine Missverständnisse geben.
In Zukunft könnten aber den USA für die Ausführung von CPGSs neben den ballistischen Flugkörpern noch andere Trägersysteme zur Verfügung stehen, die keinen Widerspruch zu New START bilden werden. Dazu gehören insbesondere Hypersonic Vehicles HTV-2 – Gleitflugkörper, die im Hyperschall auf das Ziel zufliegen – und der neue Langstreckenbomber (Long-Range Strike Bomber, LRS-B) B-3 sowie neue Marschflugkörper.[2] An der Entwicklung der Hypersonic Vehicles, die vor allem durch die Obama-Administration befürwortet werden, wird mit Hochdruck gearbeitet. Allerdings sind viele Tests mit diesen Flugkörpern bisher gescheitert. Gleichzeitig werden die Modifikationen von U-Boot-gestützten ballistischen Flugkörper weiter entwickelt und auf ihre Einsatzbereitschaft geprüft. Auch die Entwicklung des neuen Langstreckenbombers schreitet voran.
Bis aber Gleitflugkörper und Bomber entwickelt und für CPGSs einsatzbereit sein werden, bietet sich als Übergangslösung der Einsatz von seegestützten Marschflugkörpern (Sea-Launched Cruise Missile(s),SLCMs) mit konventionellen Gefechtsköpfen auf nuklearangetriebenen Angriffs-U-Booten der Virginia-Klasse an.[3] Durch den Einsatz von SLCMs würde das Risiko einer Fehlbeurteilung durch die beiden Rivalen Russland und China und damit die Auslösung eines unbeabsichtigten Nuklearkrieges vermieden. Bereits Präsident Clinton hatte 2008 die Anschläge gegen die US-Botschaften in Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania) mit dem Vergeltungsschlag von SLCMs gegen die Ausbildungslager von Al-Kaida in der afghanischen Provinz Khost beantwortet.
[1] Woolf, A.F., Conventional Prompt Global Strike and Long-Range Ballistic Missiles: Background and Issues, Congressional Research Service, October 2, 2015.
[2] Woolf, A.F., P. 1.
[3] Woolf, A.F., P. 12.
North Korea allegedly conducted a hydrogen bomb test on January 6, 2016. There is still little known whether the current test involved a real hydrogen bomb or not. It could be possible though that North Korea would have acquired the technology to compact nuclear heads which is one of the steps to finally arrive at a hydrogen bomb. This nuclear test by North Korea can be analyzed through two events that occurred nearby in Asia and further afield in the Middle East.
Asia
North Korea’s nuclear test at this time might have been expected at least by China, the US and Russia. After Iran and the US concluded the nuclear deal, North Korea might desire a similar deal with the US and be waiting for a good timing. Since China has become the hegemonial power in Asia, confrontations with China might be undesirable to the US. And vice versa because China is still on the way to reform its society and military. Meanwhile terror threats have also spread in China. Russia and the US are deeply involved in the Middle East chaos. North Korea’s nuclear development definitely poses a world threat, but these powerful nations might not wish to get involved at the moment. Hence, the North Korean leader Kim Jong-un might try to demonstrate his new weapon especially to these nations and South Korea and Japan. The first step to amend the relationship between Japan and South Korea was surprisingly made by the respective governments at the end of December 2015 even though it might cost Japan’s Prime Minister Abe his post because of his acceptance of distorting histories. If South Korea and Japan as US allied nations overwhelm their historical difficulties, North Korea’s position could weaken. It could also be possible to withdraw the US Forces from South Korea once South Korea and Japan strengthen their security ties by means of an agreement such as the General Security of Military Information Agreement (GSOMIA) which was almost signed by the two nations in 2012; however, South Korea postponed the signature but one hour before the agreed upon time. The Six-Party Talks (North and South Korea, Japan, China, the US and Russia), which were held for the first time in China in 2003 and another six times until 2007. If the North Korean leader tries to obtain maximal gains from these actors, he might need more fearful weapons than North Korea ever possessed and would like to make a deal with the US before America leaves the Korean Peninsula. In addition, there exists the desire to unify their country again. If South Korea absorbed North Korea, China and Russia would lose a buffer zone. Thus, Russia and China keep a very close eye on this peninsula. Nevertheless, it would be too much and not a good time for them to negotiate with North Korea since the competence of Kim Jong-un is unknown. As already mentioned above, China, the US and Russia might avoid confrontations amongst themselves, all the while rather carefully observing and gauging the movements on the Korean Peninsula. Japan is the only actor within the Six-Party Talks who desires to negotiate with North Korea at the moment due to the Japanese citizens abducted by North Korea.
Middle East
The relationship between Saudi Arabia and Iran has even more deteriorated recently. The Saudis have broken their diplomatic ties with Iran. Saudi leaders have criticized the US for the nuclear deal made with Iran. The US sanctions on Iran seem to be revoked very soon in spite of Israeli and Saudi efforts to the contrary. Saudi Arabia’s financial situation might have tightened due to low oil prices although its military expenditures are vastly increasing (the proxy war in Yemen against Iran comes at a price). China’s declining economic development also additionally impacts the Saudi’s economy. Saudi Arabia though does not seem to reduce oil production; as a consequence, oil producers in Iran and Russia as well as the US shale oil producers suffer. The harder fought the conflicts in the Middle East get, the more weapons come to this region. One of the most important revenues of North Korea is weapons export. ISIS terrorists use some North Korean weapons which might have been seized from Syrian troops. Presumably more than 70% of the total weapons exports of North Korea are said to have gone to Syria, Iran and Yemen between 1995 and 2004. The relationship between Iran and North Korea is still veiled, but it is claimed that Iran got the missile technology from North Korea and also cooperates in developing nuclear technology with North Korea.[1] It is said that the NCRI (National Council of Resistance of Iran) has reported activities in a similar vein concerning nuclear development between Iran and North Korea.[2] It has also been reported that North Korea’s economic situation has improved.[3] This might also imply that the profits of weapons exports have an influence on the market improvement, too. Within the group of Saudi policy makers divergent opinions might prevail. The escalation of relations with Iran might have been a tactic by Saudi Arabia to thwart the US nuclear deal with Iran. This uncertain situation could move the Saudis to obtain nuclear weapons/technologies. It is a very reasonable time for North Korea to make a good profit. If the US seriously worries about North Korea selling nuclear technology to the Middle East and also to ISIS, the US has to cooperate with both China and Russia to negotiate with North Korea.
[1] Center for Information on Security trade control: JAIST 13th Research Symposium, Tokyo, March 24, 2012. http://www.cistec.or.jp/jaist/event/kenkyuutaikai/kenkyu13/4-goto.pdf#search=’%E3%82%A4%E3%83%A9%E3%83%B3%E3%81%A8%E5%8C%97%E6%9C%9D%E9%AE%AE%E3%81%AE%E9%96%A2%E4%BF%82′
[2] Sanke News: Kitachosen to Iran ga Kaku Kyoryoku (Nuclear cooperation between North Korea and Iran), May 29, 2015. http://www.sankei.com/world/news/150529/wor1505290021-n1.html
[3] Korea Joongang Daily: Sakunen no Shijou kaikakugo Kitachosen no Keizai ga kaizen (After the market reform last year, North Korea’s economy improved), July 28, 2015. http://japanese.joins.com/article/704/203704.html
Die gegenwärtige Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und der Islamischen Republik Iran wird durch zwei historische Gegensätze bestimmt:
Der erste Gegensatz beruht auf der Eroberung und Zerschlagung des neupersischen Sassanidenreichs durch arabische Heere. Nach zwei entscheidenden Schlachten, 636 und 642, zwischen Sassaniden und Arabern floh der Grosskönig Yazdegerd III. nach Merw und wurde dort 651 ermordet. Damit fiel das Sassanidenreich, das kulturell den Arabern weit überlegen war, zusammen und wurde schrittweise islamisiert. Diese Islamisierung dauerte bis ins 13. Jahrhundert an. Sowohl die Kalifen der Omayyaden als auch jene der Abbassiden übernahmen persische Adlige in ihre Dienste und kopierten das Hofzeremoniell der Sassaniden. Bereits zur Zeit der Hochblüte des Sassanidenreichs blickten die Perser mit Verachtung auf die Araber hinab.
Der zweite Gegensatz besteht zwischen den Schiiten und den Sunniten. Die Schiiten umfassen als Konfession rund 15% aller Muslime in der Welt. Der Name Schia geht auf die Bezeichnung schi’at Ali, die Partei Alis, zurück. Die Schiiten sind die Anhänger von Ali ibn Abi Talib, dem Schwiegersohn und Vetter des Propheten Mohammed und Ehemann der Prophetentochter Fatima. Für die Schiiten kann nur ein Nachfahre von Ali die Nachfolge des Propheten übernehmen, was von den Sunniten bestritten wird. Dieser Streit setzte bereits beim Tod des Propheten im Jahr 632 ein. Nachdem Ali dreimal übergangen worden war, wurde er nach der Ermordung des dritten Kalifen Uthman am 17. Juni 656 von seinen Anhängern in Medina zum vierten Kalifen ausgerufen. Die Sunniten anerkennen Ali als letzten rechtgeleiteten Kalifen und für die Schiiten ist er der erste Imam.
Mu’awiya, der Gouverneur von Syrien und Verwandte von Uthman, verweigerte Ali die Gefolgschaft. Es kam zur ersten Abspaltung im Islam, der der Charidschiten. Ein Charidschit ermordete am 28. Januar 661 Ali in Kufa. Der Omayyade Mu’awiya liess sich zum Kalifen ausrufen. Al-Husain, der zweite Sohn von Ali und dritter Imam der Schiiten, organisierte 680 einen Aufstand gegen die Herrschaft der Omayyaden und wurde bei Kerbela im Kampf getötet. Seither stehen die Schiiten in Opposition zur sunnitischen Mehrheit im Islam. Die Grabmoschee von Ali bei Nadschaf wurde zum Zentrum der schiitischen Theologie. Nach dem Tod von al-Husain kam es wieder zu Abspaltungen im Islam, so unter den Schiiten. Entsprechend der Anzahl der „anerkannten“ Imame und ihrer Vergöttlichung werden bei den Schiiten drei Strömungen unterschieden:[1]
Unter der Herrschaft der Safawiden (1501-1722) wurde 1501 im Iran mit Gewalt die Zwölfer-Schia als Staatsreligion durchgesetzt. Der Iran wurde unter den Safawiden zu einer feudalen Theokratie.
Der religiöse Gegensatz zwischen den sunnitischen Wahhabiten in Saudi-Arabien und dessen Herrschergeschlecht zu den Schiiten im Iran dürfte sich insbesondere nach der Machtübernahme der Ayatollahs unter Ruhollah Musawi Chomeini 1979 und der Gründung der Islamischen Republik Iran verschärft haben. Für die theokratische Führung des Irans dürfte das saudische Königtum Usurpator sein, der unrechtmässig die Herrschaft über die beiden heiligen Städte Mekka und Medina ausübt. Der Gegensatz Perser-Araber und die Gegnerschaft Schiiten-Sunniten dürften die entscheidenden Faktoren sein, die bis heute die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran bestimmen.
Die Invasion des Iraks durch die USA und der Sturz des sunnitischen Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 hat im Irak die Machtübernahme durch die Schiiten ermöglicht. Diese herrschen dank ihrer Mehrheitsstellung über Bagdad und den grössten Teil des Iraks. Der Iran hat seither seinen Einfluss auf die Regierung in Bagdad schrittweise erweitert. Die Ayatollahs in Teheran haben dank dieser Entwicklung den machtpolitischen Einfluss des Irans im Mittleren Osten ausweiten können.
Der von Präsident Obama nicht durchdachte Abzug der US-Truppen aus dem Irak Ende 2011 hat es dem irakischen Präsidenten al-Maliki ermöglicht, den Einfluss der Sunniten im Irak zugunsten der Schiiten zu marginalisieren. Dies wiederum dürfte dem Islamischen Staat (IS) seinen ungehinderten Aufstieg und seinen Eroberungsfeldzug im sunnitischen Gebiet des Iraks ermöglicht haben, der schliesslich zur Herrschaft des IS über Mossul führte. Der IS dürfte nach wie vor eine gewisse Sympathie seitens der saudischen Herrscherfamilie und des türkischen Präsidenten Erdogan geniessen.
Im Gefolge des „Arabischen Frühlings“ demonstrierte 2011 in Syrien vor allem die sunnitische Mehrheit, die bis zu diesem Zeitpunkt marginalisiert wurde, gegen das Minderheitenregime der Alawiten und der Familie Assad. Verschiedene sunnitische Gruppen wurden sehr bald von Saudi-Arabien und der Türkei unterstützt und finanziert. Beide erhofften sich dadurch den Sturz der Alawiten in Damaskus und die Bildung einer sunnitischen Herrschaft. Die Islamische Republik Iran, die immer mit dem Assad-Regime verbündet war, leistete Unterstützung durch die Lieferung von Waffen und militärische Berater. Diese wiederum wurden durch schiitische Hisbollah-Söldner aus dem Libanon ergänzt. Seither führen Saudi-Arabien und der Iran einen Stellvertreterkrieg in Syrien. In diesen Krieg hat sich die Russische Föderation eingemischt, indem ihr Präsident Putin Flächenbombardierungen gegen die syrische Opposition mit dem Ziel führt, Assad an der Macht zu halten und die eigene Machtstellung in Syrien zu sichern.
Einen zweiten Stellvertreterkrieg führen Saudi-Arabien und der Iran im Jemen. Der Iran unterstützt die Machtübernahme der Houthi, die den schiitischen Zaiditen angehören, mit Waffen. Saudi-Arabien bombardiert die Houthi mit seiner Luftwaffe gnadenlos und wird von seinen sunnitischen Alliierten unterstützt. Mit diesen Luftschlägen werden auch die Kampftruppen der Vereinigten Arabischen Emiraten und anderer sunnitischer Staaten bei der Rückeroberung der Hauptstadt Sanaa unterstützt.
Die USA führen gegen den IS einen gezielten Luftkrieg, der vor allem durch die beiden Alliierten Frankreich und Grossbritannien unterstützt wird. Die Strategie der Obama-Administration beruht auf zwei Elementen: dem Luftkrieg, mit dem Kollateralschäden vermieden werden sollen, und dem Einsatz von Hilfstruppen, die vor allem aus den Kurden rekrutiert werden. Diese Strategie ist sehr zeitaufwendig und dürfte nur schrittweise zum Sieg über den IS führen.
2015 hat die Obama-Administration zusammen mit den anderen vier ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat und Deutschland ein Abkommen mit der Islamischen Republik Iran abgeschlossen, das während den nächsten 10 Jahren die Entwicklung einer Nuklearwaffe durch den Iran verhindern sollte. Als Gegenleistung dafür ist die Aufhebung der über den Iran verhängten Sanktionen vereinbart worden. Die Aufhebung dieser Sanktionen wird dem Iran zu einer weiteren Ausweitung seiner geopolitischen Stellung im Mittleren Osten verhelfen. Deshalb ist mit diesem Nukleardeal die geopolitische Lage im Mittleren Osten noch mehr destabilisiert worden. Vermutlich hat dies die saudische Königsfamilie zur Schlussfolgerung geführt, dass sie von der Obama-Administration fallen gelassen worden ist. Die Folge davon dürfte die Exekution des schiitischen Klerikers Nemer al-Nemer als eine Art Signal an Teheran gewesen sein[2] Die dilettantische Aussenpolitik und Strategie von Washington DC dürfte die gegenwärtigen Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran entscheidend beeinflusst haben.[3] Angesichts des beinahe Abseitsstehen der USA im Persischen Golf unter Obama muss mit einer weiteren Eskalation der Spannungen in dieser Region gerechnet werden. Bei dieser Auseinandersetzung dürfte das saudische Königreich auch eine gewisse Sympathie seitens Israel geniessen, gemäss dem Motto: der Feind meines Feindes ist mein Freund!
[1] Fischer, R., Der Islam – Glaube und Gesellschaftssystem im Wandel der Zeiten. Eine Einführung. Edition Piscator, Oberdorf 1992, S. 47.
[2] Al Omran, A. and B. Spindle, Iran Crisis Pressures New Saudi Leaders, in: The Wall Street Journal, January 7, 2016, P. A4.
[3] Sisk, R., Iran-Saudi Rift Complicates U.S. Campaign Against ISIS, Military.com, January 05, 2016.