Ein französischer Nuklearschirm für Europa als Ersatz für die US-Nukleargarantie stände vor großen politischen und militärisch-technischen Herausforderungen. Dennoch wäre es aufgrund der wachsenden Unsicherheit in Europa und Asien sinnvoll, wenn die Bundesregierung sich mit Szenarien und Optionen auseinandersetzte, die über die heutige Abschreckungsarchitektur hinausgehen. Denkbar wäre vor allem, dass Frankreich eine sichtbarere ergänzende Rolle zur erweiterten nuklearen Abschreckung der USA übernähme. Dies könnte unterschiedliche Formen annehmen, von gestärkten Konsultationen bis hin zu gemeinsamen Nuklearübungen. Auch wenn solche Schritte zurzeit unwahrscheinlich sind, scheinen sich die Interessen der USA und der Europäer in einer Weise anzunähern, die eine besser abgestimmte westliche Abschreckungspolitik ermöglichen könnte.
Aufgrund seiner strategischen Weite und der Möglichkeiten zu verdecktem Agieren ist der maritime Raum zum wichtigsten Schauplatz globaler Großmachtrivalität geworden. Im Schatten dieser Auseinandersetzung und des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist die Ostsee in den Fokus geopolitischer Interessen und Konflikte geraten. Ausdruck dessen sind vermehrt auftretende hybride Aktivitäten, von Sabotageakten bis hin zum Einsatz unbekannter Drohnen. Vor allem den westlichen Staaten des Ostseeraums führt all dies ihre Abhängigkeit von fossilen Ressourcen, kritischer maritimer Infrastruktur und sicheren Handelswegen vor Augen. Als Antwort auf den Krieg in der Ukraine und russische Marineaktivitäten in der Ostsee haben Anrainerstaaten ihre Militärs in erhöhte Bereitschaft versetzt. Inmitten dieser krisenhaften Lage verharren Nato-Verbündete und zukünftige Alliierte in einem überflüssigen Streit über Kräftedispositive, neue Strukturen und Führungsrollen. Von der deutschen »Zeitenwende« ist daher im Ostseeraum kaum etwas zu spüren.
Schon jetzt sind die sechs Westbalkanländer (WB6) politisch eng mit der EU verbunden. Doch seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine rückt nun auch die Frage einer Annäherung der WB6 an die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) stärker in den Fokus. Die EU sollte dabei die Zusammenarbeit der WB6 mit anderen externen Akteuren, wie Russland, China oder der Türkei, differenziert betrachten. Unter den sechs Staaten gibt es zwei »Ausreißer« – Serbien und Bosnien-Herzegowinas Republika Srpska –, die ihre außen- und sicherheitspolitischen Beziehungen, beispielweise mit Russland, für eigene politische Ziele nutzen. Serbien sucht Unterstützung für seine Kosovo-Politik und die Republika Srpska bemüht sich um Rückhalt für ihre separatistischen Tendenzen. Es ist nicht zu erwarten, dass die WB6 ihre Kooperation mit den genannten externen Akteuren in naher Zukunft komplett einstellen werden. In einer veränderten geopolitischen Lage muss die EU allerdings Prioritäten setzen, um die Ausreißer in GASP-Fragen enger an sich zu binden.
Die IT-Sicherheit von Weltrauminfrastrukturen wird relevanter, während sich zahlreiche Staaten einen neuen Wettlauf um das All liefern. Cyber-Operationen gegen entsprechende Ziele nehmen zu; so wurde etwa im Zuge des russischen Einmarschs in die Ukraine ein Kommunikationssatelliten-Netzwerk von Hackern angegriffen. Regierungen sollten daher Mindeststandards für die IT-Sicherheit im Weltraum definieren; ebenso gilt es, frühzeitig einen Informationsaustausch zwischen Staaten und privaten Akteuren zu initiieren, was Cyber-Bedrohungen und »best practices« zur Härtung der Infrastrukturen betrifft. Innerhalb von EU und Nato könnten wechselseitig Daten über Bedrohungslagen weitergegeben werden; ebenso ist die Schaffung von Computer Emergency Response Teams zu erwägen. Auch mit »Hacking-Wettbewerben« und gemeinsamen Übungen ließe sich dazu beitragen, die IT-Sicherheit im All zu verbessern.
The new government in Israel is politically further to the right than any other before it. The success of the radical right parties and their inclusion in the government are the results of a long-term transformation of Israel’s political landscape. One characteristic of this development is the genesis of a right-wing majority, accompanied by a shift to the right of the mainstream, and the political legitimisation of the most radical segment of Israeli society. The common denominator of this government is its anti-liberal impetus, which amounts to a reorganisation of the state. The government intends to weaken democratic mechanisms, especially the system of checks and balances, the status of the Supreme Court, and that of fundamental rights. Instead, majoritarian principles are to be strengthened, placing few limits on government majorities. This disruptive approach also applies to the conflict with the Palestinians. Here, victory is sought: The integration of the West Bank into the legal territory of the state of Israel is to be made irreversible.
Der Fachkräftemangel in Deutschland nimmt vor allem in den Bereichen Soziales und Erziehung, Gesundheit und Pflege, Bau und Handwerk, Informationstechnologie und den Berufen rund um Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) stark zu. Gleichzeitig wächst der Bedarf an geringer qualifizierten Arbeitskräften, etwa bei Helfertätigkeiten und haushaltsnahen Dienstleistungen. Zwar machen Zuzüge aus EU-Staaten nach wie vor den größten Teil der Arbeitsmigration aus, doch dieses Zuwanderungspotenzial nimmt aufgrund der in diesen Staaten ähnlichen Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung ab. Die Anwerbung von Arbeitskräften aus Drittstaaten, darunter auch aus Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, wird daher zu einer strategischen Zukunftsfrage. Trotz aller Reformen in jüngerer Zeit ist die Arbeitskräftegewinnung aus Drittstaaten immer noch unzureichend, und entwicklungspolitische Erwägungen werden bislang nicht genügend beachtet, um nachhaltige Wirkungen entfalten zu können. Erforderlich ist eine stärkere Einbettung der deutschen Arbeitskräftegewinnung in entwicklungsorientierte, faire Partnerschaften mit Herkunftsländern, bei denen deren Interessen berücksichtigt und die Rechte von Arbeitsmigrantinnen und ‑migranten geachtet werden. Da viele Industrieländer inzwischen um Arbeitskräfte werben, könnte Deutschland daraus ein Wettbewerbsvorteil erwachsen. Die Bundesregierung sollte die vielen Erfahrungen aus Pilotprojekten zur Fachkräftegewinnung für größere Anwerbeprogramme nutzen und mit einer systematischen Zusammenarbeit aller relevanten Ministerien (Gesamtregierungsansatz) und unter Beteiligung von Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft die Weichen für eine entwicklungsorientierte Arbeitskräftegewinnung stellen. Die Bundesregierung sollte sich noch stärker als bisher in den einschlägigen globalen Prozessen und Foren engagieren und sich dabei für faire Anwerbung einsetzen.
Das Jahr 2023 bringt eine besondere wahlpolitische Konstellation für Südosteuropa: Nie zuvor riefen so viele Länder der Region in rascher Abfolge ihre Bürgerinnen und Bürger an die Wahlurnen. Auf Zypern und in Montenegro finden Präsidentschaftswahlen statt. Griechenland wählt im Frühjahr ein neues Parlament. In der Türkei soll im Mai eine Doppelwahl, Parlament und Präsident, abgehalten werden. In Albanien stehen Kommunalwahlen an. Schließlich deutet vieles darauf hin, dass in Bulgarien abermals vorgezogene Parlamentswahlen nötig sind. Bei dem politischen Stresstest in Südosteuropa steht viel auf dem Spiel – und dass die Wahlen zu einer Normalisierung der politischen Landschaft beitragen werden, ist eher unwahrscheinlich.
Folgen des Ukraine-KriegsAngesichts der geopolitischen Herausforderungen und deren sozio-ökonomischen Konsequenzen stehen die Wählerinnen und Wähler in der Region vor folgenreichen Entscheidungen. Die russische Invasion der Ukraine ist in allen Ländern ein erheblicher Einflussfaktor, zum Beispiel hinsichtlich der Engpässe bei der Energieversorgung, zweistelliger Inflationsraten oder wachsender Flüchtlingsströme. Während sich Zypern, Bulgarien, Albanien, Griechenland und Montenegro den meisten Inhalten der mittlerweile neun Sanktionspakete der EU-Kommission angeschlossen haben, hat die Türkei genau das Gegenteil gemacht: Präsident Erdoğan lehnt die Sanktionen konsequent ab und versucht, sich wiederholt als Vermittler zwischen Moskau und Kiew zu positionieren. Nikosia, Sofia, Tirana, Athen und Podgorica versuchen, ihre Energieabhängigkeit von Gazprom zu verringern. Ankara hingegen hat 2022 seine fossilen Energieeinfuhren aus Russland kontinuierlich erhöht.
Seit dem russischen Angriffskrieg stellen viele Länder Südosteuropas bisherige Sichtweisen in Frage, darunter auch das Verhältnis der lokalen orthodoxen Kirchen zum Patriarchen Kyrill in Moskau. Ebenso wandelt sich die pro-russische Einstellung in Teilen der Bevölkerungen. Ersichtlich wird dies nicht zuletzt in den öffentlichen Debatten über den Umgang mit russischen Botschaften, die sich in die innenpolitischen Angelegenheiten ihrer Gastländer einmischen, weil die Regierungen die Ukraine militärisch unterstützen.
Solche Herausforderungen führen zu politischen Neuansätzen, die sich in der Programmatik einzelner Parteien niederschlagen. Die EU-Beitrittsverhandlungen sollen in dem Nato-Mitglied Montenegro neue Dynamik erhalten. In Bulgarien wird schrittweise eine energiepolitische Wende hin zu westlichen Konzernen angekündigt. In Kooperation mit Griechenland hat die Übergangsregierung in Sofia zwei Vereinbarungen unterzeichnet – zum einen den Bau einer Ölpipeline von Alexandroupolis nach Burgas und zum anderen ein Memorandum über bilaterale Gasspeicherung.
Unter welch schwierigen politischen Vorzeichen Wahlen in Südosteuropa gegenwärtig stattfinden, zeigt sich allerorten. Die Polarisierung zwischen den Parteien ist in den Ländern sehr ausgeprägt. In Sofia stehen sich pro-russische und pro-europäische Parteien seit Jahren unversöhnlich gegenüber, mit der Folge ständiger Machtkämpfe und Koalitionswechsel im Parlament. Die daraus erwachsene politische Instabilität hat zu vier Wahlen seit 2021 geführt. Im April werden abermals vorgezogene Parlamentswahlen erwartet. Solche Risikofaktoren auf Regierungsebene hatten den Nebeneffekt, dass Bulgarien der Eintritt in die Schengen-Zone Ende 2022 durch ein Veto Österreichs verwehrt wurde.
Türkei und Griechenland: Streit unter NachbarnFür zahlreiche Beobachter in Berlin, Brüssel und Washington wird der Ausgang der Wahlen in der Türkei und Griechenland von entscheidender Bedeutung sein – nicht zuletzt wegen des Nato-Beitrittsgesuchs von Schweden und Finnland, das weiterhin einer Ratifizierung seitens der türkischen Regierung bedarf. Obwohl offiziell noch keine endgültigen Wahltermine feststehen, ist der Wahlkampf in der Türkei und in Griechenland bereits voll entbrannt. In Athen sind Zweifel an der Integrität der Wahlen entstanden, weil der Vorsitzende einer Oppositionspartei, verschiedene Journalisten und ein griechischer Europaabgeordneter vom griechischen Geheimdienst abgehört wurden. Das »griechische Watergate« hat die parteipolitische Polarisierung zugespitzt. In Ankara hat die türkische Justiz verschiedene Oppositionspolitiker entweder durch Gefängnisstrafen an einer Kandidatur bei den Wahlen gehindert, oder gegen aussichtsreiche Bewerber ein politisches Betätigungsverbot verhängt.
Der Ausgang der Wahlen in Griechenland und der Türkei hat signifikante regionalpolitische Dimensionen. Die Definition maritimer Seegrenzen und exklusiver Wirtschaftszonen im Mittelmeer, die umstrittenen Gasvorkommen in der Ägäis, gegenseitige Schuldzuweisungen in der Flüchtlingspolitik kennzeichnen eine kontroverse bilaterale Agenda. Eine rhetorische Deseskalation, vor allem aus dem Präsidentenpalast in Ankara, ist nicht zu erwarten. Die Frage, ob es nach den Wahlen in der Türkei und auf Zypern Chancen auf eine Wiederaufnahme der Gespräche gibt, steht auf der geteilten Insel nicht im Vordergrund – das beherrschende Thema in Nikosia sind Wirtschafts- und Energiefragen. Im Unterschied zu Montenegro, Bulgarien, Griechenland und der Türkei verläuft der Wahlkampf auf Zypern weitgehend ruhig.
Präsident Erdoğan hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er nicht bereit ist, Wahlniederlagen ohne weiteres zu akzeptieren. Sollte es tatsächlich zu einem Regierungswechsel in der Türkei kommen, ist zunächst mit einer Phase des Übergangs zu rechnen, die nur schwerlich als »normal« zu bezeichnen wäre. Die zwanzigjährige Herrschaft von Erdoğan und der regierenden AKP haben tiefe Spuren in der institutionellen Architektur des Landes hinterlassen. Das Bündnis der sechs Oppositionsparteien will das auf Erdoğan zugeschnittene Präsidialsystem per Referendum abschaffen und zur parlamentarischen Demokratie zurückkehren. Die Unabhängigkeit von Institutionen wie der Zentralbank, der Statistikbehörde und die Medienfreiheit sollen wiederhergestellt werden. Ein solcher Politikwechsel wird Zeit brauchen und gesellschaftlichen Rückhalt erfordern. Auf letzteren wird es besonders ankommen.
Die neue Regierung in Israel steht politisch so weit rechts wie keine andere vor ihr. Der Erfolg der rechtsradikalen Parteien und ihre Beteiligung an der Regierung sind Ergebnisse einer länger anhaltenden Transformation der politischen Landschaft Israels. Kennzeichnend für diese Entwicklung ist die Genese einer rechten Mehrheit, die mit einer Rechtsverschiebung des Mainstreams und der politischen Legitimierung des radikalsten Segments der israelischen Gesellschaft einhergeht. Der gemeinsame Nenner dieser Regierung ist ein antiliberaler Impetus, der auf eine Neuordnung des Staates hinausläuft. Die Regierung beabsichtigt, demokratische Mechanismen, insbesondere das System von Checks and Balances, den Status des Obersten Gerichtshofs und den der Grundrechte, zu schwächen. Stattdessen sollen majoritäre Prinzipien gestärkt werden, die den Regierungsmehrheiten kaum mehr Schranken auferlegen. Dieser disruptive Ansatz bezieht sich auch auf den Konflikt mit den Palästinensern: Hier wird ein Sieg angestrebt. Die Integration des Westjordanlands in das Rechtsgebiet des Staates Israel soll unumkehrbar gemacht werden.