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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 12 hours 59 min ago

Deutsche Zentralasienpolitik nach der »Zeitenwende«

Thu, 27/06/2024 - 13:00

Der russische Krieg gegen die Ukraine und die geopolitischen Verschiebungen auf dem eurasischen Kontinent haben Zentralasien wieder verstärkt in den Fokus Deutschlands und der EU gerückt. Die strategische Regionalpartnerschaft der Bun­desrepublik mit Zentralasien, die im vergangenen Herbst angekündigt wurde, bietet ein vielversprechendes Potential für Zusammenarbeit. Eine Vertiefung der sektoralen Kooperation ist jedoch mit Herausforderungen verbunden, die eine realistische Lage­bewertung für die einzelnen Arbeitsfelder erfordern. Genaue Kontextanalysen sind unabdingbar, will man Fehlperzeptionen und falsche Erwartungen vermeiden. Das deutsche Engagement sollte langfristig angelegt sein und vor allem darauf zielen, die Krisenfestigkeit der zentralasiatischen Länder zu stärken. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Unterstützung der intraregionalen Kooperation, vor allem in den Bereichen Logistik, Strominfrastruktur und Wassermanagement.

How Russia Is Recruiting for the Long War

Thu, 27/06/2024 - 02:00

In its war of attrition against Ukraine, the Kremlin is counting on outnumbering the enemy over a long period in terms of both hardware and personnel. Following the unpopular partial mobilisation in autumn 2022, the recruitment of contract soldiers and volunteer fighters was stepped up significantly in order to conceal the human costs of war. At the same time, the “Wagner mutiny” showed that the diffusion of the structures of violence as part of the covert mobilisation poses risks for the regime. For this reason, control over the volunteer formations has been tightened, while the Kremlin is laying the groundwork for a new round of compulsory mobilisation. How­ever, Russia is not only recruiting for the war against Ukraine; the plan to increase the number of soldiers to 1.5 million clearly shows that the Kremlin is preparing for a prolonged confrontation with the West.

Modi 3.0 – Zurück zur parlamen­tarischen Normalität in Indien

Wed, 26/06/2024 - 02:00

Die Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi wurde bei der 18. Parlamentswahl in Indien zum dritten Mal in Folge stärkste politische Kraft. Aller­dings verlor sie ihre absolute Mehrheit, Modi ist nun erstmals auf seine Koalitionspartner in der National Democratic Alliance (NDA) angewiesen. Seine dritte Amtszeit wird von der parlamentarischen Normalität der 1990er/2000er Jahre geprägt sein, mit Koalitionsregierungen, Regionalparteien und zentristischer Politik. In Reaktion auf die Stimmenverluste wird im Rahmen der Wirtschaftsreformen mehr noch als zuvor die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Mittelpunkt rücken. Modis hindu-nationalis­tische Agenda hat einen Rückschlag erlitten. Außenpolitisch könnte sich dies für ihn aber sogar als Vorteil erweisen, denn die Kritik aus westlichen Staaten am Niedergang der indischen Demokratie dürfte schwächer werden.

Frankreichs teure Wahlen: Ein Weckruf für die EU

Tue, 25/06/2024 - 16:00

Fünf Mal ist die französische Nationalversammlung seit Bestehen der Republik vorzeitig aufgelöst worden – noch nie jedoch als Reaktion auf die Wahlen zum Europäischen Parlament (EP). Als die Partei Marine Le Pens 2014 erstmals als stärkste politische Kraft aus den EP-Wahlen hervorging, tauschte der damalige Präsident François Hollande lediglich eine Staatssekretärin aus.

Emmanuel Macron wollte am Abend des 9. Juni 2024 jedoch nicht länger so tun, »als sei nichts geschehen«. Zu deutlich hatte er einmal mehr sein Wahlversprechen verfehlt, das Bollwerk gegen die extreme Rechte zu sein. Seit Macron 2017 als Präsident in den Elysée-Palast eingezogen ist, feiert das Rassemblement National (RN) einen Wahlerfolg nach dem anderen: In der Nationalversammlung ist es seit 2022 mit 89 Abgeordneten größte Oppositionsfraktion, bei den Wahlen zum EP eroberte die Partei nun 30 Sitze – mehr als doppelt so viele wie das Lager des Präsidenten.

Schon jetzt ist klar: Der Ausgang der Parlamentswahlen, die am 30. Juni und 7. Juli 2024 stattfinden, wird die EU verändern. Ein politisch geschwächter Staatspräsident wird sich schwertun, radikale Forderungen zu innen- wie europapolitischen Reformen zu moderieren. Die Wahlen bieten Brüssel aber auch die Chance, eine politische Agenda aufzustellen, die die extremen Parteien langfristig schwächen könnte.

Der Reformmotor Europas droht zu stottern

Vielerorts dominiert die Annahme, dass das RN nach den Wahlen die Regierungsverantwortung tragen wird. Dazu müsste die Partei jedoch die absolute Mehrheit der 577 Abgeordnetenmandate der Nationalversammlung erringen. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Wahlen zu einer politischen Pattsituation führen werden, in der die drei rivalisierenden politischen Lager – die extreme Rechte, die Mitte Macrons und die neuformierte linke Volksfront – in etwa gleich stark abschneiden. Frankreich wäre in einer solchen Situation politisch weitgehend gelähmt. Einer Minderheitenregierung »Macron 2.0« dürfte es kaum gelingen, Mehrheiten für ihre politischen Vorhaben zu erreichen. 

Als Staatspräsident wird Emmanuel Macron zwar die Vorrangstellung in der Europa-, Außen- und Verteidigungspolitik behalten. Seine politischen Gegner werfen ihm aber schon lange vor, für eine EU einzustehen, die Frankreichs Interessen schade. Macron dürfte daher in der Europapolitik deutlich vorsichtiger agieren, vor allzu großen Reforminitiativen zurückschrecken und für eine eher defensiv ausgerichtete Kommissionsagenda votieren. Eine politische Pattsituation in Frankreich würde darüber hinaus das Ende der angebotsorientierten Standortpolitik Macrons bedeuten – und die französische Staatsschuldenkrise verschärfen. 

Die Schulden laufen aus dem Ruder

Bereits nach der Ankündigung, das Parlament neu wählen zu lassen, sind französische Staatsanleihen unter Druck geraten. Das ist kein neues Phänomen: Frankreichs Schulden laufen seit Jahren aus dem Ruder. Im April 2024 betrug das Defizit des Landes 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Internationale Währungsfonds forderte die Regierung auf, 2024 mindestens 10 Milliarden Euro, 2025 sogar 20 Milliarden Euro einzusparen. Sorgen bereiten auch die Staatsschulden des Landes, die bei 110,6 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung liegen. Am 20. Juni hat die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet. Dennoch wollen sowohl die neue Volksfront als auch das Rassemblement National zahlreiche angebotsorientierte Wirtschaftsreformen rückgängig machen. Das Programm der Linken sieht vor, zur Rente mit 60 Jahren zurückzukehren. Das RN fordert seit langem, die Mehrwertsteuer für Strom, Gas, Sprit und Lebensmittel von 20 auf 5,5 Prozent zu senken, um die Kaufkraft der Bevölkerung zu steigern. Aufgrund dieser kostspieligen sozialpolitischen Forderungen aus beiden oppositionellen Lagern dürften die Schulden des Landes proportional zu deren Wahlerfolg aus dem Ruder laufen. Nervöse Märkte werden ihr übriges tun, um Frankreich an die Schwelle der Zahlungsunfähigkeit zu bringen. Die EU wird sich also bald ernsthaft mit der Frage der gemeinsamen Schuldenhaftung befassen müssen.

Gerade deswegen sollte Europa die Wahlen in Frankreich als Weckruf verstehen. Es gilt zu begreifen, dass die französische Wahlbevölkerung weder rechtsextrem ist, noch die EU ablehnt. Sie sieht die Austeritätspolitik Brüssels jedoch als Ursache für die De-Industrialisierung und den drastischen Abbau der Daseinsvorsorge im Land an. Das neue Brüsseler Spitzenpersonal sollte daher das Wohlstandsversprechen in den Mittelpunkt seines Programms stellen und mehr wirtschaftspolitische Souveränität wagen. 

Macrons riskantes politisches Manöver würde der EU auf diese Weise womöglich sogar ein Rezept gegen den Rechtsruck in der EU an die Hand geben.

Unklarheiten über russische Nuklearwaffen in Belarus

Mon, 24/06/2024 - 02:00

In den letzten zwei Jahren hat Belarus Trägersysteme erworben, welche Minsk die Fähigkeit zum Einsatz von Nuklearwaffen verschaffen. Zwar behaupten Moskau und Minsk, dass sich mittlerweile russische Atomsprengköpfe auf belarussischem Boden befinden. Gesichert ist dies allerdings nicht, und manches spricht dagegen. Dabei dürften die beiden Regierungen unterschiedliche Motive für eine mutmaßliche Sta­tionierung russischer Kernwaffen in Belarus haben. In erster Linie geht es offenbar darum, die Handlungsfreiheit der Nato gegenüber Belarus einzuschränken. Eine nukleare Bedrohung für Europa bedeuten solche Maßnahmen kaum. Deshalb sollte die Nato auch ihre Nuklearpolitik wegen einer solchen Verlegung nicht verändern. Belarus’ nukleare Aufwertung unterstreicht aber die wachsende Bereitschaft des Kremls, Kosten und Risiken in Kauf zu nehmen, um seine Ziele zu erreichen. Europa muss daher seine konventionellen militärischen Fähigkeiten weiter ausbauen.

Sag mir, wo die Jihadisten sind

Fri, 21/06/2024 - 15:00

Gängige Ansätze zur Analyse islamistischer Mobilisierung können schwer erklären, warum sich militant islamistische Bewegungen in Libyen nach 2011 zunächst rasch ausbreiteten und dann wie über Nacht fast völlig ver­schwanden. Ihr Niedergang stellt für herkömmliche Analysemuster ein Rätsel dar. Taktische Handlungslogiken wie die Suche nach Schutz oder Verbündeten beförderten sowohl Aufstieg als auch Niedergang militanter Islamisten. Welche taktischen Erwägungen für Konfliktakteure in Frage kamen, wurde auch durch soziale Faktoren bedingt, zum Beispiel die Vertrauensbeziehungen, die sie unterhielten, und die gesellschaftliche Akzeptanz, die sie genossen. Die kurzlebige Blüte militant islamistischer Bewegungen kann unter ande­rem als Modeerscheinung verstanden werden. Ihre Protagonisten strebten wahlweise nach sozialer Abgrenzung oder Konformität, indem sie sich ober­flächlich islamistische Rhetorik und Ästhetik aneigneten und anschlie­ßend wieder ablegten. Erst ein Blick auf den dramatischen Niedergang militanter Islamisten zeigt die ganze Bandbreite der Beweggründe, die ihren Aufstieg beförderten. Insbesondere soziale Anerkennung wurde als Motivation für bewaffnete Mobilisierung bislang vernachlässigt. Der libysche Fall unterstreicht, dass im Kontext anhaltender Konflikte äußerste Vorsicht gegenüber Etiketten wie »Islamisten« und »Jihadisten« geboten ist. Externe Akteure sollten erstens beachten, dass Konfliktparteien solche Kategorien gezielt einsetzen, und zweitens ein genaues Verständnis des sozialen Umfelds entwickeln, in dem militant islamistische Bewegungen agieren.

Where Have All the Jihadists Gone?

Fri, 21/06/2024 - 15:00

Prevailing approaches to understanding Islamist mobilisation struggle to explain why militant Islamist movements in Libya initially spread rapidly after 2011 and then disappeared almost overnight. Their decline poses a puzzle for conventional analyses. Tactical choices, such as the search for protection or allies, fuelled both the rise and fall of militant Islamists. The tactical options that were in fact considered by conflict actors were also determined by social factors, such as relationships of trust they maintained and the social acceptance they enjoyed. The short-lived flourishing of militant Islamist movements can be under­stood as a fashion, among other things. Protagonists sought to socially demarcate themselves or to conform by superficially adopting Islamist rhetoric and aesthetics and then discarding them again. Analysing the dramatic decline of militant Islamist movements helps to understand the full range of motivations fuelling their rise. Social recog­nition has so far been overlooked as a motivation for armed mobilisation. The Libyan case shows that labels such as “Islamists” and “jihadists” need to be treated with extreme caution, particularly in the context of ongoing conflicts. External actors should first recognise that conflict parties delib­erately misuse such categories, and second they should develop a precise understanding of the social environment in which militant Islamist move­ments operate.

Hohe Terrorgefahr durch IS Afghanistan

Fri, 21/06/2024 - 11:51

»Wir müssen jeden Tag auch in Deutschland mit einem islamistischen Anschlag rechnen«, warnte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vergangene Woche, kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft. 

Die größte Bedrohung geht von einem Ableger des »Islamischen Staates« in Afghanistan aus, der sich IS Khorasan (ISPK) nennt und seit 2022 vermehrt Anschläge außerhalb seines ursprünglichen Operationsgebietes in Afghanistan plant. Die Bedrohung dürfte weiter zunehmen, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Hierzu gehört vor allem, die Kontrolle über die europäischen und die deutschen Grenzen zurückzugewinnen. 

Mehr als bloße Propaganda

Nach dem Zusammenbruch des IS-Kalifats im Irak 2017 und in Syrien 2019 wurde der IS-Ableger in Afghanistan zur stärksten Teilorganisation des IS-Netzwerks. Ihm geht es nicht nur um den bewaffneten Kampf gegen die Taliban in Afghanistan, sondern auch um eine Ausweitung des Kampfes in Süd- und Zentralasien und darüber hinaus. In dem ab Februar 2022 unter anderem in Paschtu und Englisch erscheinenden Propagandamagazin »Voice of Khorasan« drohte der ISPK mit Anschlägen in Nachbarstaaten wie Pakistan und Iran sowie auf russische und chinesische Ziele. Zuletzt wandte er sich auch der westlichen Welt zu – beispielsweise mit Drohungen gegen die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland.

Dass es sich bei den Drohungen um mehr als bloße Propaganda handelte, zeigte der IS Khorasan zunächst, indem er im Laufe des Jahres 2022 vermehrt Angriffe auf pakistanische Ziele verübte. Am 4. März 2022 führte ein IS-Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine schiitische Moschee in der pakistanischen Stadt Peschawar aus, bei dem mehr als 60 Menschen umkamen – weitere folgten. Gleichzeitig weitete der ISPK seine Aktivitäten auch nach Iran aus, wo er 2022 und 2023 Attentate verübte. Höhepunkt der Terrorwelle war ein verheerender Anschlag auf eine Trauerprozession anlässlich des vierten Jahrestags des Todes von General Qassem Soleimani am 4. Januar 2024 in Kerman – fast 100 Menschen starben. Noch Aufsehen erregender war der Angriff auf eine Konzerthalle nahe Moskau am 22. März 2024, bei dem mehr als 140 Menschen zu Tode kamen. Der ISPK machte damit deutlich, dass er sein Operationsgebiet auch auf das weit entfernte Russland ausgeweitet hatte. 

Möglich wurden diese Anschläge, weil der IS Khorasan über Personal verfügt, das in Pakistan, Iran und Russland operieren kann, weil es sich dort auskennt und die Landessprachen spricht. Seit der Gründung der Organisation 2014/2015 sind neben Afghanen vor allem Pakistaner sehr stark vertreten, so dass die Angriffe auf Pakistan nicht überraschend kamen. Es gelang dem ISPK auch, einige sunnitische Iraner zu rekrutieren, die ohne größere Probleme die Grenzen zwischen Afghanistan, Pakistan und Iran überqueren und in Iran operieren können. Für die Ausweitung der Operationen nach Russland war aber die starke Präsenz von Zentralasiaten im ISPK entscheidend. Jihadisten aus Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan sind seit den 1990er Jahren in Afghanistan aktiv, seit 2015 haben sich viele von ihnen dem IS angeschlossen. Besonders Tadschiken spielen häufig eine wichtige Rolle in der Organisation, so dass es nicht verwundert, dass der Anschlag in Moskau von vier Tadschiken verübt wurde. 

Sicherheit braucht Grenzkontrollen

Die soziale Zusammensetzung des IS Khorasan wirkt sich auch auf seine Bemühungen aus, Anschläge in der westlichen Welt zu verüben. Hier planen Anhänger der Organisation schon seit 2019 Attentate – bisher wurden jedoch alle vereitelt oder scheiterten. Besonderes Aufsehen erregte eine Gruppe, die im Dezember 2023 Anschläge auf den Kölner Dom und den Stephansdom in Wien geplant haben soll. In Europa stammen viele der Verdächtigen aus Zentralasien, insbesondere aus Tadschikistan. Hinzu kommen oft sehr junge Personen tschetschenischer oder auch ethnisch-albanischer Herkunft. 

Auffällig ist, dass viele verurteilte Terroristen und Terrorverdächtige mit Verbindungen zum IS Khorasan mit dem Flüchtlingsstrom der Jahre 2014 bis 2016 und teils auch danach gekommen sind. Dies sagt nichts über die Flüchtlinge insgesamt aus, denn die Zahl der eingereisten Gewalttäter ist im Verhältnis zu den Gesamtzahlen niedrig. Die Beobachtung untermauert aber die These, dass die verschlechterte Sicherheitslage in erheblichem Maße mit der seit 2014 massenhaften und fast vollkommen unkontrollierten Einwanderung aus den Kriegs- und Krisengebieten der islamischen Welt zusammenhängt. Wenn es nicht gelingt, die Zuwanderung von dort zu begrenzen und die Kontrolle über die weitgehend offenen europäischen und deutschen Grenzen zurückzugewinnen, dürfte sich die Gefahr durch den islamistischen Terrorismus künftig weiter verschärfen.

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