Fünf Jahre nach dem britischen EU-Austritt haben Deutschland und das Vereinigte Königreich einen umfassenden Freundschaftsvertrag unterzeichnet – den sogenannten Kensington-Vertrag. Dieser stellt vor allem eine erhebliche Aufwertung der bilateralen Beziehungen dar.
Der Vertrag baut auf einer bereits länger andauernden Normalisierung der Beziehungen nach dem Brexit auf. So entspannte das Windsor-Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich im Jahr 2023 die zuvor festgefahrenen Streitigkeiten um Nordirland. Im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine erfolgte über ad-hoc-Kooperationen eine sicherheitspolitische Annäherung. Parallele Entwicklungen auf deutsch-britischer Ebene waren seit 2021 die Einberufung eines strategischen Dialogs zwischen den Außenministerien oder die Kooperation im Energiebereich. Eine engere bilaterale Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik vereinbarten beide Seiten bereits im Oktober 2024 als »Trinity House«-Vereinbarung.
Kernpunkte des FreundschaftsvertragsAus dieser Genese heraus verfolgt der neue Vertrag zwei zentrale Ziele. Zum einen schafft er eine politische Struktur für tiefere bilaterale Koordination, beispielsweise durch Gipfeltreffen alle zwei Jahre. Er umfasst sechs Kooperationssäulen: diplomatische Zusammenarbeit bei geopolitischen Themen; Verteidigung; innere Sicherheit und Migration; wirtschaftliche Beziehungen, einschließlich Kooperation in Wissenschaft und Forschung; Förderung persönlicher Kontakte sowie Zusammenarbeit bei Energie- und Klimapolitik. Insbesondere in den letzten vier Bereichen haben das Windsor-Abkommen und die Beschlüsse des EU-UK-Gipfels im Mai 2025 dafür gesorgt, dass durch das entspannte Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auch mehr Spielräume für die deutsch-britischen Beziehungen entstanden sind.
Zum anderen liegt der eindeutige Schwerpunkt des Vertrags auf der außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit. Neben regelmäßigen Gipfeltreffen verpflichten sich beide Regierungen zu einer engen Abstimmung in multilateralen Foren wie der NATO, UN und G7. Die Verteidigungssäule, welche die Trinity-House-Vereinbarung integriert und erweitert, bildet den substanziellsten Teil des Vertrags. Sie beinhaltet eine strukturierte Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten – etwa bei der gemeinsamen Entwicklung einer Langstreckenrakete –, eine Koordination bei Rüstungsexporten und eine Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Ukraine. Zusätzlich zu den bestehenden NATO-Verpflichtungen enthält sie eine bilaterale Beistandsklausel. Die Verteidigungsprojekte stechen unter den in einem begleitenden Aktionsplan festgelegten »Leuchtturmprojekten« besonders konkret hervor.
Wiederbelebung der E3 als zentrale Säule europäischer SicherheitDer Vertrag fördert zudem die Wiederbelebung des E3-Formats, also der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien. So findet sich im Text, was für einen bilateralen Vertrag ungewöhnlich ist, das klare Ziel, die trilaterale Zusammenarbeit zwischen Großbritannien, Deutschland und Frankreich zu intensivieren. Damit komplettiert die Vereinbarung ein europäisches Vertragsdreieck: Neben dem verteidigungspolitisch geprägten Lancaster-House-Vertrag zwischen Großbritannien und Frankreich sowie den deutsch-französischen Élysée- und Aachener Verträgen bildet der Kensington-Vertrag nun eine dritte bilaterale Verbindung.
Das E3-Format erlebt derzeit eine Renaissance als zentraler Rahmen für die europäische Sicherheit außerhalb traditioneller Institutionen. In einer Zeit geopolitischer Turbulenzen, in der die Regierung unter Trump alte Gewissheiten über die transatlantische Allianz infrage stellt, bietet das E3-Format eine stabile Plattform. So koordinierten Macron, Merz und Starmer ihre Positionen zum Israel/USA-Iran-Krieg. In Bezug auf Russland und die Ukraine wurde das Format erweitert um »Weimar Plus« (Frankreich, Deutschland, Polen, Italien und Großbritannien sowie die EU und gelegentlich NATO). Großbritannien und Frankreich führen zudem eine »Koalition der Willigen« für eine Absicherungsmission für einen möglichen Waffenstillstand in der Ukraine an. Deutschland und Großbritannien leiten nun gemeinsam das Ramstein-Format zur Koordination von Waffenlieferungen an die Ukraine, wobei Letztere von den USA übernommen haben.
Innerhalb der komplexen europäischen Sicherheitsarchitektur sind die Flexibilität des E3-Formats und das Dreieck bilateraler Verträge zwischen Frankreich, Deutschland und Großbritannien zugleich Stärke und Schwäche, denn zur Umsetzung vieler Beschlüsse braucht es weitere Partner wie Polen sowie die Strukturen der EU und NATO. Will Deutschland das E3-Format zur zentralen Schaltstelle europäischer Sicherheit entwickeln, sollte es darauf achten, dieses eng mit den europäischen Partnern und Institutionen zu verzahnen.
The banned Kurdistan Workers’ Party (PKK) ended its armed struggle against the Turkish state and officially disbanded in May. The next step is its disarmament. PKK fighters in Iraq began the process symbolically on Friday 11 July, burning their weapons in a ceremonial act. Prior to this, PKK leader Abdullah Öcalan reaffirmed his call for peace in a rare video message and explicitly distanced himself from separatist ambitions. This marks an initial success for the peace talks that began in autumn 2024. The conflict has dragged on for nearly half a century and has claimed around 50,000 lives. But is lasting peace a realistic prospect?
Any rational assessment must take into consideration the complex geopolitical landscape in which Turkey operates. Ankara is seeking to secure its influence in Syria, and to play a role in shaping the region’s post-war order. And it rejects federal structures in Syria, fearing they could encourage Kurdish aspirations for autonomy within Turkey.
Fragile alliances and new power dynamicsErdoğan’s overtures towards the PKK and the Kurds are part of his geopolitical calculus to support Washington’s announced withdrawal from Syria. Tom Barrack, US Ambassador to Ankara and Special Envoy for Syria, recently announced the closure of seven of the eight US bases in Syria. And Washington has fulfilled one of Turkey’s key demands by lifting sanctions on Syria. In return, Erdoğan has significantly softened his rhetoric towards Israel.
Here, Ankara’s interests intersect with Öcalan’s. If Israel gains sway over the Syrian Kurds, Öcalan could lose influence or even fade into irrelevance. The alliance between the Turkish state and the PKK leader is based on power politics and could collapse with any shift in the geopolitical constellation in the Middle East.
Turkey’s influence in Syria remains fragile. Damascus has been making cautious overtures to Israel and is open to the Abraham Accords. Any agreement between Al-Sharaa and Israel would offset Turkey’s dominance in northern Syria and could significantly weaken Ankara’s regional position. This would involve potentially far-reaching consequences – and opportunities – for the Syrian Kurds.
Domestically, Erdoğan has been using the negotiating process to consolidate his power. His central goal is to secure the pro-Kurdish DEM Party’s approval for a constitutional amendment that would allow him to run for a third term. This manoeuvre could once again subvert hopes for a lasting peace.
Much symbolism, few concrete stepsSo far, the PKK’s disarmament appears largely symbolic. The process follows no discernible strategy. It is neither internationally monitored, nor accompanied by reintegration programmes or legal guarantees. Will the PKK’s affiliates in Syria and Iran join the disarmament process? And what will happen to the PKK’s weapons? The extent to which the structure of the Turkish state might change also remains unclear. Critics warn of a fragmentation along ethnic and religious lines, which could lead to destabilization.
The conflicting parties’ divergent interpretations of the process highlight the underlying tensions. President Erdoğan frames it primarily as a security issue and presents it as a step toward a “terror-free Turkey” and a historic alliance between Turks, Kurds, and Arabs. Representatives of the Kurdish movement, by contrast, demand a democratic opening, an end to political repression, and restoration of the rule of law.
Tactical détente cannot secure a lasting peace. Institutional reforms, political participation, societal reconciliation, and above all democratic legitimacy are required. These developments are relevant for Germany and should be followed with particular attention. Although Ankara would reject any official mediating role for Berlin, there is a place for German think tanks, political foundations, and civil society actors to pursue track two diplomacy. Informal dialogue could contribute to clarifying the perspectives and expectations of the conflicting parties and thus help build trust.
Zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) könnte sich ein vollumfassender Handelskrieg entwickeln. Vor drei Monaten erhob US-Präsident Donald Trump am »Liberation Day« hohe Einfuhrzölle gegen fast alle Länder, auch die EU. Dann setzte er sie kurzfristig aus, um mit über 90 betroffenen Handelspartnern zu verhandeln. Anfang Juli, als sie hätten in Kraft treten sollen, hat Trump die Zölle gegen die EU und andere Staaten erneut um einen Monat verschoben. In einem Brief an die EU hat Trump höhere Zölle von 30 Prozent ab 1. August angedroht. Dieses Hin und Her zeigt, dass sich die Mitgliedstaaten auf eine Eskalation des Konflikts vorbereiten müssen – diese könnte weit über die Zölle hinausgehen und sogar die Sicherheit der EU gefährden.
Nachdem die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Mai dieses Jahres ihren Kampf gegen den türkischen Staat beendet und sich aufgelöst hat, soll nun ihre Entwaffnung folgen. Am Freitag begannen erste PKK-Milizen im Irak, ihre Waffen symbolisch niederzulegen, indem sie diese im Rahmen einer Zeremonie verbrannten. Zuvor bekräftigte der PKK-Anführer Abdullah Öcalan in einer seltenen Videobotschaft seinen Friedensappell und distanzierte sich ausdrücklich von separatistischen Bestrebungen. Dies ist ein erster Erfolg der seit Herbst 2024 geführten Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und Öcalan zur Beilegung des kurdischen Konflikts. Dieser Konflikt dauert seit nahezu einem halben Jahrhundert an und hat bislang rund 50.000 Menschenleben gekostet. Doch wie steht es um einen nachhaltigen Frieden?
Eine realistische Einschätzung erfordert den Blick auf das komplexe geopolitische Spannungsfeld, in dem sich die Türkei bewegt. Ankara strebt danach, seinen Einfluss in Syrien zu sichern und an der Gestaltung der regionalen Nachkriegsordnung mitzuwirken. Föderale Strukturen in Syrien lehnt die türkische Regierung ab, da sie kurdische Autonomiebestrebungen auf eigenem Staatsgebiet befördern könnten.
Fragile Allianzen und neue MachtverhältnisseErdoğans Avancen gegenüber der PKK und den Kurden sind Teil seines geopolitischen Kalküls, um die USA bei deren angekündigtem Rückzug aus Syrien zu unterstützen. Kürzlich kündigte Tom Barrack, US-Botschafter in Ankara und Sondergesandter für Syrien, die Schließung von sieben der acht US-Basen in Syrien an. Zudem hat Washington die Sanktionen gegen Syrien aufgehoben, was eine zentrale türkische Forderung war. Im Gegenzug hat Erdoğan seine Rhetorik gegenüber Israel deutlich entschärft.
An dieser Stelle überschneiden sich die Interessen Ankaras und Öcalans. Gewinnt Israel Einfluss auf die syrischen Kurden, könnte Öcalan an Einfluss verlieren oder gar in die politische Bedeutungslosigkeit abrutschen. Die Allianz zwischen dem türkischen Staat und dem PKK-Chef basiert auf Machtpolitik und könnte zerbrechen, sobald sich die geopolitische Konstellation im Nahen Osten ändert.
Fragil bleibt auch der türkische Einfluss in Syrien: Damaskus nähert sich Israel vorsichtig an und steht den Abraham-Abkommen offen gegenüber. Sollte das Abkommen zwischen Al-Scharaa und Israel zustande kommen, um das türkische Übergewicht in Nordsyrien auszugleichen, könnte die regionale Position Ankaras erheblich geschwächt werden. Dies hätte potenziell weitreichende Konsequenzen – und Chancen – für die syrischen Kurden.
Innenpolitisch nutzt Erdoğan den Verhandlungsprozess zur Machtsicherung. Sein zentrales Ziel: die Zustimmung der prokurdischen DEM-Partei zu einer Verfassungsänderung, die ihm eine Kandidatur für eine dritte Amtszeit ermöglichen würde. Dieses Manöver könnte die Hoffnung auf eine langfristige Befriedung erneut unterminieren.
Viel Symbolik, wenige konkrete SchritteDie Entwaffnung der PKK wirkt bislang vor allem symbolisch. Der Prozess erfolgt weder unter internationaler Aufsicht, noch gibt es ein Reintegrationsprogramm oder rechtliche Garantien. Von einer durchdachten Demobilisierungsstrategie kann daher keine Rede sein. Schließen sich die PKK-Ableger in Syrien und im Iran der Waffenniederlegung an? Und was geschieht mit dem Waffenarsenal der PKK? Ebenfalls unklar bleibt, inwieweit sich die Struktur des türkischen Staates verändern könnte. Kritiker warnen vor einer Zersplitterung des Staates entlang ethnischer und religiöser Linien, die zu einer Destabilisierung führen könnte.
Der Zielkonflikt zwischen den Konfliktparteien zeigt sich auch in ihrer unterschiedlichen Interpretation des Prozesses: Präsident Erdoğan rahmt ihn vor allem sicherheitspolitisch ein und inszeniert ihn als Schritt zu einer »terrorfreien Türkei sowie zu einer historischen Allianz zwischen Türken, Kurden und Arabern. Vertreter der kurdischen Bewegung fordern hingegen eine demokratische Öffnung. Sie verlangen die Beendigung politischer Repressionen sowie die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Strukturen.
Für einen dauerhaften Frieden reicht eine rein taktische Entspannung nicht aus. Nötig sind institutionelle Reformen, politische Teilhabe, gesellschaftliche Aufarbeitung – und vor allem demokratische Legitimation. Die Entwicklungen sind auch für Deutschland von Bedeutung und sollten daher mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Eine offizielle Vermittlerrolle Berlins wird in Ankara zwar auf Ablehnung stoßen. Dennoch könnten deutsche Thinktanks, politische Stiftungen und zivilgesellschaftliche Akteure, im Rahmen informeller Dialogformate der Second-Track-Diplomatie dazu beitragen, die Perspektiven und Erwartungen der Konfliktparteien transparent zu machen und so zur Vertrauensbildung beitragen.