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Alternativen zu russischem Gas: Energiewende im östlichen Mittelmeerraum?

jeu, 17/02/2022 - 12:09

Im Ukrainekonflikt tritt die europäische Abhängigkeit von russischem Erdgas akut zu Tage. Besonders Deutschland sieht sich dem Vorwurf der Erpressbarkeit ausgesetzt. Schließlich werden hierzulande mehr als die Hälfte des Erdgasbedarfs von Russland gedeckt. Längst werden in der EU alternative Lieferquellen diskutiert. An dieser Stelle sollte auch über eine intensivierte Energiezusammenarbeit mit den Anrainern des östlichen Mittelmeers nachgedacht werden – ohne dabei den Fehler zu begehen, auf den Diskussionsstand des Jahres 2014 zurückzukehren. Damals hatte Russland gerade die Krim annektiert. Die Europäische Kommission pries die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer als alternative Versorgungsquellen an. Verwirklicht werden konnte diese Perspektive jedoch nicht: Als zu teuer und aufwendig stellte sich der Bau adäquater Transport-Infrastrukturen wie die EastMed Pipeline heraus, zu politisch brisant der bis heute ungelöste Zypernkonflikt sowie der griechisch-türkische Streit um Seegrenzen und maritime Wirtschaftszonen. Hinzu kommt, dass verschärfte Klimaziele die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren verändert haben. Doch während das Thema Erdgas im östlichen Mittelmeer an Relevanz verloren hat, nimmt der regionale Ausbau erneuerbarer Energien und zugehöriger Infrastrukturprojekte langsam Fahrt auf.

Die Suche nach Alternativen zu russischen Erdgaslieferungen

Mit Ausnahme Ägyptens, das Flüssiggas nach Europa liefern kann, spielt die östliche Mittelmeerregion bei der Suche nach Alternativen zu russischen Erdgaslieferungen derzeit keine Rolle. Den anderen Anrainern wie Israel und Zypern fehlt die Infrastruktur, um Gasvorkommen vom Meeresboden zu heben und in die EU zu transportieren. Auch der Bau einer Pipeline, die beispielsweise von den zyprischen Erdgasfeldern zu einem ägyptischen LNG-Terminal verliefe, würde noch Jahre dauern. Hinzu kommen klimapolitische Bedenken und offene Fragen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit, die eine Förderung der Ressourcen auch auf lange Sicht unattraktiv erscheinen lassen.

Folgerichtig konzentrierte sich die Europäische Kommission in den vergangenen Tagen darauf, neben Ägypten in erster Linie mit Aserbaidschan, Katar, Norwegen und den USA Gespräche zu erweiterten Erdgasgeschäften zu führen. Dabei kann die EU auf ein breit gefächertes LNG-Terminalnetz setzen. Über dieses können größere Volumen an Flüssiggas in EU-Länder wie beispielsweise die Niederlande, Italien oder Griechenland eingeführt und über das transeuropäische Gasnetz verteilt werden. Die Problematik dabei ist jedoch, dass Flüssiggasimporte wegen der Preisexplosion auf internationalen Gasmärkten zurzeit ein kostspieliges Unterfangen darstellen. Außerdem würden die zusätzlichen Liefermengen nur schwerlich ausreichen, um den Ausfall von russischem Pipelinegas zu kompensieren. Die Suche nach Ausweichstrategien macht also darüber hinausgehende Überlegungen erforderlich.

Die Energiewende im östlichen Mittelmeer als Investition in die Energiesicherheit der EU

Mittel- bis langfristig stellt der Ausbau der erneuerbaren Energien innerhalb der EU und in partnerschaftlich verbundenen Drittstaaten das entscheidende Instrument dar, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern. Dadurch gewinnt die primär an den europäischen Klimazielen orientierte Energiewende in Europa auch aus geostrategischer Sicht an Bedeutung. Aktuelle Dynamiken im östlichen Mittelmeerraum bieten hier einen Anknüpfungspunkt. In puncto erneuerbarer Energien bauen Griechenland, Israel und Ägypten ihre Produktionskapazitäten zurzeit massiv aus. Auch in der Türkei und Zypern werden absehbar höhere Investitionen erwartet. Mithilfe von Unterwasserstromkabeln, die quer durch das östliche Mittelmeer verlaufen sollen, könnte der Stromhandel zwischen Europa und Israel mit dem EuroAsia Interconnector beziehungsweise Europa und Ägypten mit dem EuroAfrica Interconnector intensiviert werden – und somit auch die energiewirtschaftliche Kooperation mit zwei einflussreichen Akteuren der MENA-Region. Konzepte für die regionale Wasserstoffproduktion sowie den Wasserstoff-Transport aus dem arabischen Raum stecken zwar noch in den Kinderschuhen, könnten sich aber anschließen.

Mitte Januar sandte das US-Außenministerium ein richtungsweisendes Signal in die Region, indem es der für den Erdgastransfer vorgesehenen EastMed Pipeline die amerikanische Unterstützung aufkündigte. Die Zukunft der Region, heißt es in der Stellungnahme der US-Botschaft in Athen, liege vielmehr in Projekten, die den Ausbau erneuerbarer Energien begünstigten sowie die grenzübergreifende Zusammenarbeit im Stromsektor förderten. Als beispielhaft werden der EuroAsia und der EuroAfrica Interconnector hervorgehoben. Analog gab die Europäische Kommission eine Woche später bekannt, im Rahmen des Infrastrukturförderprogramms Connecting Europe Facility 657 Millionen Euro bereit zu stellen, um das Stromnetz Zyperns mittels eines Unterseestromkabels über Kreta ans europäische Festland anzubinden und somit einen Teilabschnitt des EuroAsia Interconnector mitzufinanzieren.

Angesichts dieser energiepolitischen Entwicklungen zeichnet sich eine Konstellation ab, in der die östliche Mittelmeerregion zwar nicht kurzfristig, dafür aber mittel- bis langfristig als Lieferant von Ökostrom und möglicherweise auch als Produktionsstätte und Transitraum für grünen Wasserstoff helfen kann, die problematische europäische Abhängigkeit von russischen Energierohstoffen zu überwinden.

Warum Finnlandisierung keine Option für die Ukraine ist

mer, 16/02/2022 - 15:56

Am vergangenen Mittwoch verhandelte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stundenlang mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Ein Journalist, der ihn begleitet hatte, berichtete über das Treffen und erwähnte, der französische Präsident habe die »Finnlandisierung« der Ukraine als eine Option bezeichnet. Später bestritt Macron, den Begriff genutzt zu haben – es war aber zu spät: Die Idee machte bereits Schlagzeilen.

Die aktuell durch die Medien zirkulierenden Definitionen setzen den Begriff häufig mit genereller Bündnisneutralität gleich. Sie würde aber nicht nur einen Verzicht auf die Nato-Mitgliedschaft bedeuten. Eine Finnlandisierung als Lösungsansatz für die Situation der Ukraine ist deshalb fehlgeleitet in vielen Punkten.

Finnlandisierung im historischen Kontext

Als Finnlandisierung wird eine politische Kultur bezeichnet, die in Finnland während des Kalten Krieges vorherrschte, als das Land die Interessen der benachbarten Sowjetunion sowohl außen- als auch innenpolitisch gewissermaßen freiwillig berücksichtigte. Sie ging deutlich über eine reine Neutralitätspolitik hinaus, so wie sie beispielsweise Schweden verfolgt, und entwickelte sich als eine Überlebensstrategie neben einem übermächtigen Nachbarn. Es war das kleinere Übel zum Verlust jeglicher Souveränität als Teil der Sowjetunion. Der finnisch-sowjetische Freundschaftsvertrag von 1948 war zwar nicht eine vertragliche Grundlage, die Finnland zur Berücksichtigung der sowjetischen Interessen verpflichtete. Er hatte aber insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren eine starke symbolische Funktion in der Finnlandisierungsrhetorik, in der die finnisch-sowjetische Freundschaft stets beschworen wurde.

Aufgrund der eigentümlichen Rhetorik und der politischen Alternativlosigkeit hatte die Finnlandisierung Auswirkungen auf viele Bereiche der Politik und des gesellschaftlichen Lebens. Wenn Finnland Handel mit dem Westen betrieb, durfte der sogenannte »Osthandel« nicht darunter leiden, die Sowjetunion dadurch nicht benachteiligt werden. Eine Westintegration war für Finnland sowohl politisch als auch militärisch bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion unmöglich. Nur die Mitgliedschaft in der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA wurde von der Sowjetunion toleriert. Der »Osthandel« war ein lukratives Geschäft, in dem viele politische Akteure wirtschaftliche Interessen hatten. Der Zugang zur politischen Macht hing weitgehend davon ab, wie gut man in Moskau gestellt war. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und somit des finnischen »Osthandels« trug in Finnland Anfang der neunziger Jahre zu der schlimmsten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit bei.

Eine innenpolitische Folge der Finnlandisierung war die starke Konzentration der Macht auf die Person des Präsidenten Urho Kekkonen. Er galt aufgrund seiner guten Beziehungen zur Sowjetführung als unentbehrlich für den Erhalt der finnischen Unabhängigkeit und war ab 1956 für mehr als 25 Jahre Staatspräsident. Kekkonen profitierte von der Finnlandisierung und verfestigte sie als eine unangefochtene außenpolitische Linie. Der gesellschaftliche Konsens über die Notwendigkeit der Finnlandisierung führte zu einer weitgehenden medialen und literarischen Selbstzensur, in der kritische Aussagen gegenüber der Sowjetunion vermieden wurden. Deshalb ist der Begriff in Finnland stark negativ konnotiert.

Die Prinzipien der KSZE-Schlussakte

Finnlandisierung ist also kein Konzept, das Orientierung außerhalb des Kontextes des Kalten Krieges bieten kann. Darüber hinaus gibt es aber einen weiteren, noch dringlicheren Grund, warum sie für die Ukraine nicht in Frage kommt: Eine Finnlandisierung der Ukraine würde gegen alle Prinzipien der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) stoßen, die 1975 in Helsinki unterzeichnet wurde und die Basis für die Sicherheitsordnung in Europa bildet. Es war kein Zufall, dass sich Finnland damals als Gastgeber anbot: Dem Land war dringlich daran gelegen, dass auch die Sowjetunion Prinzipien wie die Achtung der souveränen Gleichheit aller Teilnehmerstaaten, Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt, Unverletzlichkeit der Grenzen und territoriale Integrität sowie die Gleichberechtigung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkennt. Obwohl die Schlussakte keinen verbindlichen Vertragscharakter hatte, bilden die darin enthaltenen Prinzipien die Grundlage für die aus der KSZE entstandenen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Ukraine ist kein Sonderfall

In einer Zeit, in der der Handlungsspielraum Finnlands zwischen den Fronten des Kalten Krieges stark eingeschränkt war, ermöglichte die Finnlandisierung das Fortbestehen seiner staatlichen Souveränität. Mit dem Ende des Kalten Krieges endete auch die Zeit der Finnlandisierung und Finnland schloss sich der europäischen Integration an. Das Wiederbeleben des Begriffs in Bezug auf die Ukraine ist fehlgeleitet, weil Finnlandisierung nicht außerhalb des historischen Kontextes universell anwendbar ist. Für die Ukraine würde eine hieran orientierte Linie starke Einschränkungen in unvorhersehbarem Ausmaß mit Blick auf ihre innen- und außenpolitische Unabhängigkeit bedeuten. Vor allem aber lenkt der Begriff aus dem Kalten Krieg von der Tatsache ab, dass die Ukraine ein unabhängiger Staat ist, dessen Souveränität völkerrechtlich zweifelsfrei feststeht.

From Status Quo Power to Reform Engine

mer, 16/02/2022 - 01:00

One of the self-imposed goals of Germany’s new Federal Government is to shift the priority of its European policy from a focus on European Union (EU) cohesion towards its reform and deepening. The first window of opportunity for this will open as early as spring 2022. In order to achieve the desired reform of the EU, however, Germany must change four aspects of its approach to European policy. It must strike a new balance between crisis mode and reform agenda; combine the community method with differentiated integration; engage in more active intra-European diplomacy to forge a reform coalition; and create concrete initiatives to operationalise the ambi­tion for European sovereignty.

India as an Ambivalent Partner in Global Digital Policy

mar, 15/02/2022 - 01:00

Cooperation in global digital policy is considered one of the most promising fields in the strategic partnership between India and the European Union (EU). However, pro­found differences are apparent in terms of implementation, for example with regard to data protection, competences of security authorities and the future global digital order. Meanwhile, similar problems are being addressed in the EU’s negotiations with the US on digital trade issues. Possible compromises there could also form components of an understanding with India. Shared democratic values are consistently referred to as a justification for efforts to strengthen Europe’s cooperation with India. In their Roadmap 2025, India and the EU affirm their interest in promoting an “open, free, stable and secure cyber-space” and fighting cybercrime. But the road to this goal is proving to be rocky.

Turkey’s Stakes in the Russia-NATO Rivalry

lun, 14/02/2022 - 14:00

The Ukraine crisis poses two particularly uneasy questions for Turkey: How to uphold a power balance in the Black Sea? And how to manage its relations between Russia, Ukraine and the West? So far, Ankara’s policy towards Moscow consists of both deter­rence and dialogue. In regards deterrence, Turkey is closer to the non-EU members of NATO such as the US and the UK. Meanwhile, Turkey’s policy of dialogue is similar to that of EU members, most notably Germany. However, while there is a certain degree of similarity between the stances of Turkey and some Western countries in the current crisis, their convergence of interests has not yet resulted in any meaningful coopera­tion. In the short term, the parallel track of deterrence and dialogue still gives Turkey some leeway to continue its multi-vector manoeuvring. The Ukrainian imbroglio is, however, a manifestation of a crisis concerning the current European security order, or more precisely the lack thereof, thus making it necessary to define the role of not only Russia but also Turkey in any European design for a new security architecture.

Speedboat and ocean liner How can the G7 and the UN make multilateralism sustainable?

lun, 14/02/2022 - 13:21

"Progress towards an equitable world” is Germany’s goal for its G7 Presidency programme, which frames the G7 states as “leading industrialised countries and value-based partners” with a particular responsibility to “shape a positive future... in the spirit of sustainable economic recovery”. Clubs such as the G7 itself and the Climate Club envisaged by the German presidency are often able to make quicker decisions and act faster than more inclusive multilateral organisations such as the United Nations (UN). Despite this, a speedboat, for all its pace and manoeuvrability, cannot cross the ocean on its own. So too, the G7 cannot tackle any global challenges alone. The German G7 Presidency has thus announced in its programme that it intends to forge close links with the UN and the G20 in particular, with the goal of achieving a “fair and rules-based multilateralism”. UN Secretary-General António Guterres also underscored the importance of pioneering initiatives and partnerships within the framework of an “inclusive and networked multilateralism”. In his report, Our Common Agenda, building on the commitments in the declaration adopted by the member states on the occasion of the UN’s 75th anniversary, he develops numerous ideas for how to strengthen international cooperation. He calls for progress to be made wherever there are common interests. So, is what belongs together growing together? Unfortunately not (yet), as the G7 programme is rather abstract and dutiful in its references to the UN. However, the German G7 Presidency has an opportunity to change this and implement shared priorities on a collective basis:

Tether “strong alliances for a sustainable planet” to the UN

Both the G7 and the UN are opting for pioneer projects and partnerships with non-governmental stakeholders, such as the COVAX vaccination initiative and the G7 initiative for infrastructure projects in poor countries. It is positive to see the UN Secretary-General not shying away from dealing with these formats and advocating for their greater use in order to implement global goals, most notably those of the 2030 Agenda for Sustainable Development and the Paris climate agreement. While many UN member states may support such partnerships, there is no agreement on this kind of multilateralism beyond mere inter-governmental relations. In order to achieve the greatest possible impact, it is important for the G7 that as many states as possible consider its initiatives to be beneficial and legitimate. To this end, it would be worthwhile to tether these initiatives institutionally to the UN system, which would ensure that partnerships meet human rights standards, are transparent in their design, monitored on an ongoing basis, and further developed in line with the needs of the target groups. The UN Secretary-General has proposed strengthening the existing UN Office for Partnerships, which is not currently in a position to carry out the aforementioned tasks. After the failure of earlier reform attempts, due not least to financing issues, digital solutions are now to be employed. The G7 should support the development of an effective UN hub and link its own initiatives through this hub. This could help the G7 generate acceptance and at the same time galvanise other partners. By subjecting partnerships to this kind of quality control, the UN could strengthen its central role in global governance.

“Investing in a better future” – with the UN

Like the German G7 Presidency, the UN Secretary-General places a particular focus in his report on future issues in conjunction with matters of justice. The world organisation needs to become far better at avoiding shipwreck, that is, the UN must respond more inclusively and justly to acute and future transnational crises. Developing greater strategic foresight, taking increased account of the interests of young people and future generations, and bringing key players together quickly in the event of the outbreak of new crises – these are the ambitious proposals for placing the UN further into the centre of global problem-solving. Here too, the member states are divided when it comes to the increase in authority and knowledge for the UN that would go hand in hand with these measures. The issue of upgrading the UN is also contested within the G7 due to concerns about effectiveness and sovereignty and given the influence of states such as China and Russia. In view of overlapping interests with regard to major concerns for the future, the G7 should nonetheless insist upon pooling the existing capabilities of the UN system more effectively while at the same time supporting the targeted development of the UN’s strategic capacities politically and financially. This can be done via voluntary contributions or, beneficially in some cases, the expansion of the regular budget. The G7 committed in the Cornwall Consensus to make crisis management more effective and fair in future. This year, the G7 should discuss the role of the UN in this.

Currently, member states are discussing in the UN General Assembly which of the Secretary-General’s proposals they intend to support, while preparation processes for the G7 summit are also under way. It is time to consider processes as one whole and bring them together, for a future-proof multilateralism.

Dr Marianne Beisheim works in the Global Issues Division of the German Institute for International and Security Affairs (SWP). Dr. Silke Weinlich is Senior Researcher at the German Development Institute / Deutsches Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in the Research Programme Inter- and Transnational Cooperation. This article is appearing concurrently on the website of the DIE under the heading ‘The Current Column’.

Speedboot und Ozeandampfer: Wie können G7 und UN den Multilateralismus zukunftsfähig machen?

lun, 14/02/2022 - 11:55

»Fortschritt für eine gerechte Welt« – so lautet das Motto des Programms der deutschen G7-Präsidentschaft. In ihm schreiben sich die G7-Staaten als »führende Industriestaaten und wertegebundene Partner« eine besondere Verantwortung für die nachhaltige »Gestaltung einer lebenswerten Zukunft« zu. Clubs wie die G7 selbst, aber auch der von der deutschen Präsidentschaft angedachte globale Klimaclub, können oft schneller entscheiden und agieren als inklusivere multilaterale Organisationen wie die Vereinten Nationen (UN). Aber ein Speedboot, so schnell und wendig es auch sein mag, kann nicht allein den Ozean überqueren, und die G7 können allein keine globalen Herausforderungen stemmen. Entsprechend kündigt die deutsche G7-Präsidentschaft im Programm an, enge Bezüge insbesondere zur UN und zur G20 herstellen zu wollen, mit dem Ziel eines »fairen und regelbasierten Multilateralismus«. Auch UN-Generalsekretär António Guterres betont die Bedeutung von Vorreiterinitiativen und Partnerschaften im Rahmen eines »inklusiven und vernetzten Multilateralismus«. In seinem Bericht Our Common Agenda entwickelt er zahlreiche Ideen, wie die Beschlüsse, die die Mitgliedsstaaten anlässlich des 75. Jubiläums der UN getroffen hatten, umzusetzen sind und die internationale Zusammenarbeit gestärkt werden kann. Er ruft dazu auf, dort voranzuschreiten, wo gemeinsame Interessen bestehen. Wächst hier also zusammen, was zusammen gehört? Leider (noch) nicht, denn im G7-Programm bleiben die Verweise auf die UN abstrakt, wirken eher pflichtschuldig. Die deutsche G7-Präsidentschaft hätte aber die Chance, das zu ändern und geteilte Prioritäten gemeinsam umzusetzen:

»Starke Allianzen für einen nachhaltigen Planeten« – bei den UN anbinden

Sowohl die G7 als auch die UN setzen auf Pionierprojekte und auf Partnerschaften mit nichtstaatlichen Akteuren, etwa im Rahmen der Impfallianz Covax oder der G7-Initiative für Infrastrukturprojekte in ärmeren Ländern. Es ist positiv, dass der Bericht des UN-Generalsekretärs sich der Realität dieser Formate stellt und sie in den Dienst der Umsetzung global vereinbarter Ziele – vor allem die der 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung und des Pariser Klimaabkommens – stellen möchte. Auch wenn viele UN-Mitgliedstaaten solche Partnerschaften unterstützen, besteht keine Einigkeit über diese Art von Multilateralismus jenseits rein intergouvernementaler Beziehungen. Um größtmögliche Wirkung zu erzielen, ist es für die G7 wichtig, dass möglichst viele Staaten ihre Initiativen als sinnvoll und legitim wahrnehmen. Dafür wäre eine institutionelle Anbindung an das UN-System wertvoll, die sicherstellt, dass Partnerschaften menschenrechtliche Standards erfüllen, dass sie transparent gestaltet und kontinuierlich nachgehalten und entlang von Bedürfnissen der Zielgruppen weiterentwickelt werden. Der UN-Generalsekretär schlägt vor, das existierende UN-Büro für Partnerschaften zu stärken. Bislang ist dieses nicht in der Lage, die oben genannten Aufgaben zu erfüllen. Frühere Reformversuche scheiterten unter anderem an Finanzierungsproblemen. Jetzt sollen digitale Lösungen weiterhelfen. Die G7 sollte die Entwicklung eines effektiven UN-Hubs unterstützen und dort auch ihre eigenen Initiativen anbinden. Das könnte der G7 helfen, sowohl Akzeptanz zu erzeugen als auch weitere Partner zu mobilisieren. Durch eine solche »Qualitätskontrolle« von Partnerschaften könnte die UN ihre zentrale Rolle in der Global Governance stärken.

»Investitionen in eine bessere Zukunft« – mit der UN

Wie die deutsche G7-Präsidentschaft legt auch der UN-Generalsekretär in seinem Bericht einen besonderen Fokus auf Zukunftsfragen in Zusammenschau mit Gerechtigkeitsfragen. Die Weltorganisation soll viel besser darin werden, Schiffbruch zu vermeiden – also auf akute und künftige transnationale Krisen zu antworten und dabei ihre Antworten inklusiver und gerechter zu gestalten. Strategischer vorausschauen, Interessen junger Menschen und zukünftiger Generationen stärker berücksichtigen sowie beim Ausbruch neuer Krisen rasch wichtige Player zusammenrufen können – so lauten die ehrgeizigen Vorschläge, um die UN stärker ins Zentrum globaler Problembewältigung zu rücken. Auch hier gilt: Die Mitgliedstaaten sind gespalten, was den damit verbundenen Autoritäts- und Wissenszuwachs der UN angeht. Innerhalb der G7 ist eine Aufwertung der UN ebenfalls umstritten – aufgrund von Effektivitäts- und Souveränitätsbedenken, aber auch angesichts des Einflusses von Staaten wie China und Russland. In Anbetracht der Interessenkonvergenz im Hinblick auf die großen Zukunftsthemen sollte die G7 dennoch darauf dringen, bestehende Fähigkeiten des UN-Systems besser zu bündeln und gleichzeitig den gezielten Ausbau strategischer Kapazitäten der UN politisch wie finanziell unterstützen, ob über freiwillige Beiträge oder teils auch sinnvollerweise über einen Aufwuchs des regulären Budgets. Die G7 hat sich 2021 im Cornwall Consensus verpflichtet, Krisenbearbeitung künftig effektiver, aber auch gerechter zu gestalten. Dieses Jahr sollte sie die Rolle der UN hierbei diskutieren.

Aktuell tauschen sich die Staaten in der UN-Generalversammlung darüber aus, welche der Vorschläge des Generalsekretärs sie unterstützen wollen. Parallel laufen die Vorbereitungsprozesse zum G7-Gipfel. Zeit, die Prozesse für einen zukunftsfähigen Multilateralismus zusammen zu denken.

Dr. Marianne Beisheim arbeitet in der Forschungsgruppe Globale Fragen der SWP. Dr. Silke Weinlich ist Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) im Forschungsprogramm Inter- und Transnationale Zusammenarbeit. Dieser Beitrag erscheint zeitgleich auf der Website des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) unter der Rubrik »Die aktuelle Kolumne«.

Konfliktbilder als Grundlage einer zukunftsfähigen Sicherheitsstrategie

ven, 11/02/2022 - 14:50

Die Instrumentalisierung von Flucht und Migration, digitale Attacken auf Wahlen und Infrastrukturen, Hyperschallwaffen, vollautomatisierte bewaffnete Drohnen und gläserne Gefechtsfelder weltweit: Die Vorstellungen über die Formen künftiger Kon­flikte bestimmen schon heute darüber, wie Staaten ihre Sicherheitsvorsorge gestalten und ihre Sicherheitskräfte ausrüsten. Mutmaßlich greifen rein militärische Konzeptionen dabei angesichts des verstärkt hybriden Charakters von Auseinandersetzungen zu kurz. Daher sollten der angekündigten Nationalen Sicherheitsstrategie komplexe Konfliktbilder zugrunde gelegt werden, die unterschiedliche Aspekte nationaler wie auch internationaler Sicherheit umfassen. Weil solche Konfliktbilder langfristig bin­dende Beschaffungs- und Organisationsentscheidungen mitbestimmen, ist es notwendig, sich frühzeitig und strukturiert damit auseinanderzusetzen, wie sie ent­stehen. Kriterien für Konfliktbilder möglichst hoher Güte sind eine wissenschafts­basierte Vorausschau, parlamentarische und öffentliche Beteiligung sowie ressort­gemeinsame Strategieentwicklung.

Ukraine im Nato-Russland-Spannungsfeld

ven, 11/02/2022 - 14:00

Mit grenznahen Manövern demonstriert Moskau seine Fähigkeit, im Donbas offen militärisch zu intervenieren. Es beschuldigt Kiew, die Lage dort zu eskalieren, und den Westen, die Ukraine durch einseitige Parteinahme darin zu bestärken. Doch im Westen wird geargwöhnt, Russland plane eine großangelegte Invasion der Ukraine. Dies hat der Kreml dementiert. Mitte Dezember 2021 hat er mit zwei Vertragsentwürfen verdeutlicht, worum es ihm geht, nämlich eine weitere Ausdehnung der Nato nach Osten zu verhindern und dafür eine verbindliche Zusicherung zu erhalten. Dabei be­ruft er sich auf die Nato-Russland-Vereinbarungen der 1990er Jahre. Moskau befürchtet, dass vor allem ein Nato-Beitritt der Ukraine das strategische Gleichgewicht mit den USA gefährden würde. Die USA und die Nato signalisieren Dialogbereitschaft in Fragen der Rüstungskontrolle, sind aber nicht bereit, die Prinzipien der europäischen Sicherheitsordnung zu revidieren. Ob Moskau dies akzeptiert, bleibt abzuwarten. Jeden­falls sollte der neue Dialog als Chance aufgegrif­fen werden, um die Lage zu deeskalieren und die mili­tärische Berechenbarkeit durch Rüstungskontrolle wiederherzustellen, ohne Prin­zipien preiszugeben.

Streit im östlichen Mittelmeer – Griechenland, Türkei, Zypern

jeu, 10/02/2022 - 14:00

Die Türkei beansprucht im östlichen Mittelmeer einen Festlandsockel, der unmittelbar an das Küstenmeer der Republik Zypern und an das der griechischen Inseln heranreicht. Griechenland und Zypern machen dort jedoch ebenfalls Festlandsockelrechte geltend. Die daraus erwachsenden Spannungen destabilisieren die Region. Eine verbindliche Festlegung der maritimen Grenzen zwischen den drei Staaten würde Rechtssicherheit bringen. Gegenüber Griechenland hat die Türkei signalisiert, dass sie nicht ausschließe, unter gewissen Bedingungen den Internationalen Gerichtshof hiermit zu betrauen. Eine Abgrenzung im Gebiet westlich der Insel Zypern kommt für Ankara jedoch erst dann in Betracht, wenn die Zypernfrage vollständig geklärt ist. Solange keine Abgrenzung durch Übereinkunft oder durch ein inter­nationales Gericht erfolgt ist, müssen die drei Staaten gemäß dem Völkerrecht Zurückhaltung in Bezug auf die umstrittenen Seegebiete üben. Bohrungen auf dem Festlandsockel, die der Förderung von Erdgas dienen, sind in einem umstrittenen Gebiet nur zulässig, wenn hierüber Ein­vernehmen zwischen den betreffenden Staaten herrscht. Vorläufige Vereinbarungen, die eine gemeinsame Erschließung um­stritte­ner Seegebiete vorsehen, können zu einer Annäherung der Parteien bei­tragen und gegebenenfalls sogar den Weg für längerfristige Lösungen ebnen. Gerade mit der wachsenden Bedeutung des östlichen Mittelmeers als energiewirtschaftlicher Transit- und Verbindungsraum könnten sich neue Chancen für eine Zusammenarbeit eröffnen.

The Eastern Mediterranean as a Focus for the EU’s Energy Transition

jeu, 10/02/2022 - 01:00

The EU and Germany have set themselves ambitious climate and energy policy targets. Taking into account the need to reduce emissions from all sectors of the economy, they now have a different perspective on the energy situation in the Eastern Mediterranean than a few years ago. Offshore natural gas imports from the Eastern Mediterranean are losing relevance in favour of the region’s prospects for contributing to the EU’s emerging green energy economy. In view of Europe’s rising demand for renewable electricity, transcontinental electricity interconnections between the European, African and Middle Eastern power grids could become a new normal via the Eastern Mediterranean. There is also regional potential for playing a role in the EU’s hydrogen strategy. Advancing the energy transition in the East Mediterranean brings new economic perspectives and incentives for political cooperation both on regional and inter­national levels. Conflicts and tensions over the delimitation of maritime boundaries between the two communities in Cyprus and between Greece and Turkey would lose a great deal of their politically explosive nature. However, mistrust and deep rooted enmities could still obstruct constructive and inclusive approaches towards the ex­pansion of renewable energies and electricity interconnection all over the Eastern Mediterranean.

Making EU-Turkey Cooperation on Migration Sustainable

mer, 09/02/2022 - 01:00

Managing irregular migration is a focal point of EU-Turkey relations today. European perspectives on this issue, for the most part, are split into two camps: a “caring” one, which concentrates on the well-being of refugees, and a “concerned” one, which focusses on the external border security of the European Union (EU) and the anxieties of EU citizens. Widely overlooked in the European discussions is the mounting social and political discontent in Turkey, which is hosting the largest refugee population worldwide while facing a serious economic crisis alongside a severe governance dead­lock. To bear fruits in the long run, any EU-Turkey migration cooperation should account for this growing discontent. After all, neither the advancement of the rights of refugees in Turkey nor reliable security cooperation is possible without accord by the Turkish political class and society. To this end, the EU should signal to Turkey its inten­tion to resettle more refugees and support local integration efforts more proactively.

Die Zukunft der internationalen Mobilität

mer, 09/02/2022 - 01:00

Die Covid‑19-Pandemie hat den internationalen Reiseverkehr stark reduziert. Die wirt­schaftlichen, gesellschaftlichen und menschlichen Folgen der Grenzschließungen und Reisebeschränkungen lassen sich noch nicht vollständig abschätzen, sind aber gewaltig. Die Gräben zwischen Staaten des Globalen Nordens, die Reisen kontrollieren und unregulierte Mobilität unterbinden wollen, und des Globalen Südens, die mehr legale Mobilität für ihre Bürgerinnen und Bürger einfordern, werden tiefer. Reisefreiheit ist ein begehrtes Gut, zu dem alle Zugang haben sollten, sowie Gegenstand politischer Verhandlungen. Unilaterale Bestimmungen sollten durch internatio­nale Vereinbarungen, bei dem sich Staaten auf gemeinsame Regeln und Verfahren für ein Vertrauenssystem einigen, ergänzt oder aufgehoben werden. Derweil sollten die Staaten ihre Visaverfahren modernisieren und digitale Identifikationssysteme aufbauen, die Vertrauen schaffen. Das gilt auch für Deutschland, zumal die Regierungskoalition beschlossen hat, die Visavergabe zu beschleunigen.

Wirtschaftliche Resilienz: Kompass oder Catchword?

lun, 07/02/2022 - 01:00

Durch das gesteigerte gesellschaftliche Schutzbedürfnis infolge der Corona-Pandemie ist »Resilienz« auch zum wirtschaftspolitisch strategischen Leitgedanken der EU avanciert. Allerdings fehlt eine klare Idee, wie sie sich in der Praxis operationalisieren lässt. Der wissenschaftliche Resilienzbegriff betont die Fähigkeit von Systemen, auf ganz unterschiedliche und vor allem unerwartete Krisen flexibel zu reagieren, sie abzufedern, sich davon zu erholen und daraus zu lernen. Bisherige Krisenmechanismen in wirtschaftlich relevanten Feldern wie der Rohstoff-, Arzneimittel-, Handels- oder Investitionsschutzpolitik zielen hauptsächlich auf die eigene Versorgungssicherheit ab. Ein verengter Fokus auf Versorgungsaspekte im heimischen Markt birgt beträchtliche ökonomische Risiken, wie das Beispiel der EU-Ernäh­rungs­sicherung belegt. Lange genutzte Maßnahmen wie die Reservehaltung, subventionsgesteuerte Produktionsanreize oder eine Marktabschottung durch Zölle vermindern die Flexibilität des Systems. Zudem gehen sie mit Spill-over-Effekten auf andere Länder einher, die kontraproduktiv für die internationale, aber auch die eigene Versorgungssicherung sein können. Wirtschaftspolitische Akteure benötigen ein moderneres Verständnis von Resilienz, das die Interdependenz von Krisen und Märkten mit in den Blick nimmt. Für künftige Resilienzstrategien lässt sich an Ansätze anknüpfen, die im Ernährungssektor gerade angesichts negativer Erfahrungen im Laufe der Zeit entwickelt wurden. Hierzu zählen das internationale Agricultural Market Information System ebenso wie Instrumente der Subventions­evaluierung von OECD und WTO.

Kontraproduktive Drohpolitik: Russland drängt Finnland und Schweden näher an die Nato

ven, 04/02/2022 - 15:45

Die Beziehungen des Westens zu Russland sind auf einem Tiefpunkt. Dies ist auch in Europas hohem Norden spürbar. Dort gilt die Nato als wichtiger Partner, ohne selbst Mitglied der Allianz sein zu müssen: In Finnland ist die »Nato-Option« fester Bestandteil der Sicherheits­politik und in Schweden hat das Parlament 2020 mit großer Mehrheit für einen etwaigen Beitritt in Zukunft gestimmt. An Weihnachten 2021 gab Russland jedoch bekannt, dass seine Forderung nach einem Ende der Nato-Osterweiterung auch Finnland und Schweden betrifft. In Finnland entflammte daraufhin erneut die Diskussion um einen Beitritt zum Militärbündnis und auf der geostrategisch wichtigen schwedischen Insel Gotland patrouillierten Panzer.

Immer deutlicher wird, dass der Konfrontationskurs des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht nur eine Bedrohung für die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine ist, sondern für die ganze europäische Friedensordnung. Der Kreml will sich einen Schutzraum mit Pufferstaaten schaffen, deren außenpolitischer Spielraum von Moskau bestimmt wird.

Bislang sind nordeuropäische Staaten um Ausgleich und Kooperation mit Russland bemüht. Norwegen suchte als Nato-Mitglied stets eine Balance zwischen Abschreckung durch Mit­glied­schaft in der Allianz und Rückversicherung für Russland aufrechtzuerhalten: Einer­­­seits fanden Übungen mit Nato-Mitgliedern statt, anderer­seits ließ Oslo keine dauer­hafte Präsenz von Nato-Einheiten zu. Solche Maßnahmen verlieren jedoch ihren Sinn, wenn Russland immer aggressiver auftritt und die Souveränität seiner Nachbarstaaten bedroht. Damit werden Prinzipien der auch von Russland unterzeichneten Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) infrage gestellt, darunter der Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt, die gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängig­keit eines Staates gerichtet ist.

Finnlands Freiheit der Wahl

Außen­politisch sind Finnlands Prioritäten von der verschlechterten Sicherheitslage in Europa gekennzeichnet. Die veränderten Rahmenbedingungen haben zur stärkeren Zusammenarbeit zwischen den nordischen Ländern geführt. Schweden ist Finnlands engster Partner, der im Konfliktfall strategische Tiefe verleiht. Die Präsenz und Aktivitäten der Nato im Ostsee­raum haben für Helsinki darüber hinaus eine wichtige strategische Wirkung. Dem­entsprechend sucht Finnland die enge Zusammenarbeit mit dem Atlantischen Bündnis. Dem diente im Juni 2021 das multinationale Manöver »Arctic Challenge 2021«. Dazu hatten Finnen und Schweden sieben Nato-Staaten eingeladen, darunter Deutschland. Aus finnischer Sicht verhalten sich EU, Nato und Nordische Kooperation komplemen­tär zueinander, so dass ein Beitritt zum Militärbündnis bislang nicht erforderlich erschien.

Deutlich an die Adresse Russland gerichtet war aber der Hinweis auf Finnlands »Freiheit der Wahl« hinsichtlich der Nato-Mitgliedschaft, womit der finnische Präsident Sauli Niinistö in seiner Neujahrs­ansprache 2022 an die Verpflichtungen der KSZE-Schlussakte erinnerte. »Wir wollen selbst entscheiden dürfen, ob wir einem Sicherheits­bündnis beitreten«, sagte er. Die russische Forderung, künftige Nato-Beitritte seien kategorisch auszu­schließen, stelle diese Souveränität infrage. Ein »finnisches Modell« – gewisser­maßen freiwillig seine Souveränität einzuschränken – gebe es nicht, was auch mit Blic­k auf die Ukraine gelte.

Die finnische Premierministerin Sanna Marin hält einen Beitritt in ihrer derzeitigen Amtszeit für »sehr unwahr­schein­lich«. Diese Haltung entspricht der Einstellung in Finnland: In einer aktuellen Umfrage sprachen sich 28 Prozent der befragten Finnen für und 42 Prozent gegen einen Nato-Beitritt aus. Im Vergleich zu 2019 ist die Zahl der Befürworter um acht Prozent gestiegen und die Ablehnung um 14 Prozent gesunken. Russlands Druck hat somit den gegenteiligen Effekt.

Schwedens Neutralitätspolitik unter dem Druck Moskaus

Bisher folgt Schweden einer außenpolitischen Linie, die auf den sozialdemokratischen Minister­präsidenten Olof Palme zurückgeht und eine tief im politischen Selbst­verständ­­nis verwurzelte Neutralitätspolitik verfolgt. Allianzfreiheit und Friedens­bemühungen stehen im Zentrum. Parallel dazu praktiziert Stockholm eine pragmatische Sicherheitspolitik, in der es so nahe wie möglich an die Nato rückt, ohne aber von Beitritt zu reden. Mittlerweile wirkt die von Russland geforderte Absage an jede Nato-Erweiterung nahe seiner Grenze aber auch in Schweden als »sicher­heitspolitischer Sprengstoff«, wie das Stockholmer Svenska Dagbladet schrieb. »In Schweden entscheiden wir selbst, mit wem wir kooperieren«, erklärte die seit November 2021 amtierende Premierministerin Magdalena Andersson und kündigte eine »Vertiefung der Partnerschaft zwischen Schweden und der Nato« an. Damit hat Moskau mit seinen Forderungen und Drohungen auch hier das genaue Gegenteil erreicht.

Neue Dynamik in Brüssel, altes Menetekel in Moskau

Das aggressive russische Auftreten verleiht der Nato und der Verteidigungskooperation im Norden neuen Schub und wird absehbar dazu führen, dass die Zusammenarbeit mit den USA und der Nato intensiviert wird. Russland befindet sich in einer Situation, die der Kreml stets als Menetekel beschwört, aber nun mit militärischer Machtdemon­stration als »etabliertes Mittel russischer Zwangsdiplomatie« selbst herbeiführt: die wieder notwendig gewordene Einhegung russischer Macht. Dabei geht es nicht darum, Russland kleinzuhalten, sondern die negativen Auswirkungen von Putins Politik zu begrenzen. Die Wiederaufnahme von Dialog­formaten allein ändert wenig, es bedarf konkreter transatlantisch abgestimmter Initiativen, um die Sicherheit in Europa im beiderseitigen Interesse zu erhöhen – so in der Rüstungskontrolle von offensiven Waffensystemen in der russischen Exklave Kaliningrad bis hin zur Raketen­abwehr auf Nato-Territorium.

Die Ukraine unter Präsident Selenskyj

ven, 04/02/2022 - 01:00

Ende 2021 hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Hälfte seiner ersten Amtsperiode absolviert. Der klare Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2019 und die absolute Parlamentsmehrheit seiner Partei »Diener des Volkes« hatten dem poli­tischen Quereinsteiger gute institutionelle Startbedingungen für seine ambitionierte Agenda verschafft. Zweieinhalb Jahre später hat sich das Bild indes stark gewandelt. Immer lauter wird die Kritik der Opposition, Selenskyj arbeite an einer autoritären »Machtvertikale«. Zugleich steht der Präsident in offener Konfrontation mit dem mächtigsten Oligarchen, der Justiz, einflussreichen Lokalfürsten und den Medien des Landes. Welche Grundzüge bestimmen Selenskyjs Herrschaft, und was bedeutet dies für das politische System? Selenskyj hat seine eigene Unerfahrenheit und die Komplexität des Systems unterschätzt. Zwar droht der Ukraine dadurch kein Rück­fall in den Autoritarismus. Doch gerade angesichts der außenpolitischen Lage ist die schnell wachsende innen­politische Instabilität besorgniserregend.

Russia in the Arctic

mer, 02/02/2022 - 01:00

Russia wants to realise a high degree of self-regulated stability in the Arctic. Moscow considers this necessary for overcoming the many problems and obstacles to development that are linked to its ambitious plans as well as the consequences of climate change. The regression of sea ice is perceived as a loss of security by the Kremlin, which reinforces its traditional siege mentality. Russian foreign policy is shaped by a reflexive priorisation of security policy above all, even in the Arctic region. Moscow tries to guarantee its national security (including economic inter­ests) by using a broad spectrum of military build-up and corresponding strategic initiatives, which include new nuclear weapons systems. Other Arctic states as well as neighbouring countries and NATO consider these efforts a threat. Russia takes a defensive attitude in the Arctic, but it is prepared for rapid escalation in the event of confrontation. Russia’s Arctic policy is a part of its strategy for exerting economic and political influence over Europe. Cooperation between its Northern and Baltic fleets is therefore increasingly important to preserve its geostrategic interests, project power and to defend its territory. The Arctic states have to perform a delicate balancing act: they want to secure sea routes and resources but avoid spiralling escalation in the region. The dialogue on military security should be revived in order to con­tain the consequences of the security dilemma. Opportunities for cooperation do exist, for example on climate and environmental projects, sustainable and environmentally sound energy use, infrastructure, maritime safety and security as well as economic cooperation.

Neuwahl in Portugal: Großer Sieg für Ministerpräsident Costa

mar, 01/02/2022 - 16:11

Seit 2015 führte Ministerpräsident António Costa die politischen Geschicke seines Landes mit einer Minderheitsregierung, die von linken Parteien wie dem Linksblock (BE) und der portugiesischen kommunistischen Partei (PCP) unterstützt wurde. Als diese zusammen mit der konservativen Opposition im Herbst vergangenen Jahres Costas Haushaltsentwurf für 2022 ablehnten, endete die Zusammenarbeit. Durch vorgezogene Neuwahlen wollte Costa sich eine Mehrheit sichern. Dies ist ihm mit dem überzeugenden Wahlsieg am Sonntag gelungen: Die Wählerinnen und Wähler gaben dem amtierenden Regierungschef mit einer knappen absoluten Mehrheit von rund 42 Prozent einen erneuten Vertrauensvorschuss für die kommenden vier Jahre. Entgegen aller Voraussagen konnte er seinen konservativen Widersacher Rui Rio (PSD) mit fast 14 Prozent auf Distanz halten; das vermutete Kopf-an-Kopf-Rennen blieb aus.

Ein überraschendes Wahlergebnis

Das Wählervotum bestätigt Costas bisherigen Kurs der sozialen Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie – und ist trotzdem eine Überraschung: Noch bei den Kommunalwahlen im September 2021 hatte seine Sozialistische Partei (PS) schmerzhafte Verluste in Lissabon, Coimbra und Funchal hinnehmen müssen, die an die liberal-konservative PSD fielen. So stand Costa trotz Zugewinnen in anderen Gemeinden vor der Gefahr einer wachsenden Erosion der territorialen Präsenz seiner Partei, insbesondere in den bevölkerungsreichen Großstädten. Bei den vorgezogenen Neuwahlen musste er nun alles auf eine Karte setzen. In 31 Fernsehdebatten erfolgte eine Auseinandersetzung mit den neun zur Wahl stehenden Parteien und ihren Wahlprogrammen. Bei allen Debatten zeigte der Regierungschef eine für portugiesische Verhältnisse durchaus unübliche Bereitschaft zur öffentlichen Auseinandersetzung.

Costa gelang in den letzten Wochen vor der Wahl eine Trendumkehr in den Wählerpräferenzen; die Bevölkerung setzte an der Wahlurne auf Stabilität und Kontinuität. Das konservative Spektrum ist dagegen neu geordnet worden: Die PSD verlor sieben Sitze im Parlament. Dagegen konnte sich die rechte Gruppierung Chega (Es reicht), die mit radikalen Thesen den rechten Rand des politischen Spektrums besetzt, mit 12 Sitzen als dritte Kraft positionieren. Ihr Vorsitzender Andre Ventura hatte sich 2019 von der PSD abgespalten und etablierte eine neue politische Opposition, die international den Schulterschluss mit dem französischen Rassemblement National von Marine Le Pen sucht. Chega dürfte die Art und Weise der politischen Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb des Parlaments deutlich verschärfen.

Von der Minderheitsregierung zur eigenen Mehrheit

Mit der Metapher »Nette Freundschaft statt schlechter Ehe« hatte Ministerpräsident Costa seine gewagte Unterstützungsallianz mit dem linken Lager beschrieben. Rund sechs Jahre ermöglichte sie ihm, die Regierungsgeschäfte erfolgreich zu führen. In dieser Zeit war es ihm gelungen, sein Land unter Einhaltung der strengen EU-Finanzregeln aus der Euro-Krise herauszuführen. Das zentrale Element war dabei die sozialpolitische Absicherung der schwierigen Anpassungsmaßnahmen, gestützt durch eine erfolgreiche Wachstumsstrategie und einen boomenden Tourismus. Um diese mit seinen linken Partnern zu ermöglichen, setzte der gewiefte Taktiker Costa auf Dialogbereitschaft und Zugeständnisse. Der eingeschlagene Weg, fiskalische Disziplin zu üben, aber gleichzeitig vorgesehene Gehalts- und Pensionskürzungen zurückzunehmen sowie den Mindestlohn anzuheben, fand nicht nur im eigenen Land großen Zuspruch. Portugal präsentierte sich als Alternativmodell zur reinen Sparpolitik ohne Investitionsanreize und soziale Abfederung. Das soziale Gleichgewicht konnte besser gewahrt werden als in anderen Krisenstaaten des europäischen Südens. Dass im Dezember 2021 die Arbeitslosigkeit mit 5,9 Prozent den günstigsten Wert seit 19 Jahren erreichte, hat sicherlich auch zum Wahlerfolg Costas beigetragen.

Auf diesem gewonnen Kredit will António Costa weiter aufbauen – nun mit eigener absoluter Mehrheit. Im Vordergrund steht für ihn der Wiederaufbau der portugiesischen Wirtschaft nach den massiven Einbrüchen durch die Pandemie-Wellen. Zwar verzeichnet Portugal 2021 ein Wachstum von 4,9 Prozent. Dieser folgte aber nach einem Einbruch von 8,4 Prozent im vorausgehenden Jahr. Zudem liegen Impulsgeber wie der Tourismus noch immer darnieder, so dass die 16,6 Milliarden Euro Finanzmittel aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds dringend benötigt werden. Die Erhöhung des Lohnniveaus steht für den Regierungschef auch weiterhinauf der Tagesordnung. Portugal bewegt sich hier im europäischen Vergleich noch immer im unteren Drittel. Priorität hat neben den sozialpolitischen Maßnahmen auch die Reform des nationalen Gesundheitssystems, das unter den Pandemiebedingungen besonderen Belastungen ausgesetzt war.

Portugal – Partner für Deutschland

Traditionell wird Portugal im europäischen Kontext als kleines Land an der Peripherie angesehen, dem keine zentrale Rolle in den Brüsseler Entscheidungsprozessen zukommt. Für die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz können gerade die Erfahrungen des Landes mit einer erfolgreichen Kombination von Austeritätspolitik mit sozialer Ausgewogenheit, einer liberalen Drogenpolitik und der Bereitschaft zu einer europäischen Lösung in Fragen von Migration und Asyl sinnvolle Ansatzpunkte sein, um Deutschlands bislang eingeschränktes Interesse an Europas Süden zu verbessern. Die jüngsten Besuche des Bundeskanzlers in Italien und Spanien waren insoweit schon ein positives Signal. Dieses sollte mit einer Initiative gegenüber Portugal seine baldige Fortsetzung finden.

Terror gegen die Taliban

mar, 01/02/2022 - 01:00

Seit dem US-Abzug im August 2021 und der Machtübernahme durch die Taliban hat der IS-Ableger »Provinz Khorasan« in Afghanistan Dutzende Anschläge auf »Sicherheitskräfte« der Taliban und Zivilisten ausgeführt, die Hunderte Todesopfer forderten. Besonders viele Attentate verübte der IS in seiner alten Hochburg Nangarhar im Osten des Landes und in der Hauptstadt Kabul. Doch auch in Kandahar, Kunduz und Kunar wurden die Jihadisten aktiv. Die Angriffe belegen, welche enorme Herausforderung der IS für die Taliban darstellt. Letzteren fehlt es an Geld, Personal und Strukturen, um ganz Afghanistan effektiv zu kontrollieren und den IS entscheidend zu schwächen. Diese Defizite bergen auch die Gefahr, dass der IS seine Anschlagstätigkeit über Afgha­nistan hinaus ausweitet. Die Nachbarstaaten Pakistan, Iran, Usbekistan und Tadschikistan sind besonders gefährdet, doch könnte auch Europa zum Ziel werden.

India’s Rise: on Feet of Clay?

lun, 31/01/2022 - 14:00

India has risen internationally since the 1990s. The most important reasons for this success are its economic reforms since 1991 and new inter­national constellations since the East-West conflict. Both have earned the country a significantly greater say on global issues, but India’s rise is quite fragile due to a range of structural deficits at the national level. Despite economic successes India is in many areas one of the G20’s poor­est performers. India’s rise is in Germany’s and Europe’s interest. The world’s largest democracy is considered to be a partner in shared values and fellow cam­paigner for a rules-based international order and as a promising market. In addition, India, Germany and Europe increasingly share geopolitical interests. India is seen as a mainstay of future German Indo-Pacific policy. A number of domestic developments in India adversely affect the foun­dations of cooperation. Since 2014 a decline of democratic procedures and institutions has been apparent and the new economic policy of self-reliance proclaimed in 2020 is based more on partial protectionism than on further integration into the world market. That is why, to manage expectations realistically, German and European policy should be geared more towards common interests than to values.

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