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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 2 months 2 weeks ago

Effektivität und Legitimität der G7

Fri, 10/02/2023 - 02:00

Am 1. Januar 2023 hat Deutschland den G7-Vorsitz an Japan übergeben. Für ihr Präsidentschaftsjahr hatte sich die Bundesregierung eine progressive Agenda vor­genommen, die jedoch früh vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine über­lagert wurde. Dennoch sind einige materielle Erträge zu verzeichnen, darunter der Klimaclub. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen lässt sich zwar noch nicht prüfen; sehr wohl kann aber die Kriseneffektivität der G7 beurteilt werden, ebenso wie die Frage, wie legitim sie regiert. Die Kritik an mangelnder Legitimität des globalen Regierens durch informelle Foren (Club Governance) ist nicht neu. Sie macht sich daran fest, dass die von wenigen Regierungen initiierten Vorhaben sich auf eine Viel­zahl von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren auswirken, die auf den Politikprozess kaum Einfluss nehmen können. Selektive Partizipation, mangelnde Trans­parenz und fehlende Rechenschaft sind Kritikpunkte, die häufig gegen Club Gover­nance vorgebracht werden. In diesen drei Dimensionen wie auch mit Blick auf die Kriseneffektivität schneidet die G7 recht gut ab.

Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU

Fri, 10/02/2023 - 01:00

Im Sommer 2022 haben die Europäische Union (EU) und Indien erneut Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufgenommen, um ihre strategische Partnerschaft zu vertiefen. Darüber hinaus verhandeln die beiden Seiten über ein Investitionsschutzabkommen sowie ein Abkommen zum Schutz geographischer Herkunfts­angaben. Die EU möchte damit ihre Beziehungen zu den Staaten im Indo-Pazifik diversifizieren und unterstreicht Indiens herausgehobenen Stellenwert. Indien will durch die Koope­ra­tion mit der EU seine wirtschaftliche und technologische Modernisierung vorantreiben, die für die angestrebte größere internationale Rolle des Landes unabdingbar ist. Anders als die 2013 gescheiterten Gespräche sind die jetzigen Verhandlungen von dem Paradox gekennzeichnet, zugleich einfacher und komplizierter zu sein. Sie sind einfacher, weil die EU und Indien heute in geopolitischen Fragen vor allem mit Blick auf China mehr Übereinstimmung haben als je zuvor. Sie sind aber auch komplizierter, weil der Erfolg der Verhandlungen weiterhin von schwierigen Zugeständnissen auf beiden Seiten abhängt. Doch erneu­t zu scheitern ist weder für Indien noch für die EU mit Blick auf die Zukunft ihrer strategischen Partnerschaft eine Option.

Western Balkan Foreign and Security Ties with External Actors

Thu, 09/02/2023 - 10:00

Even though the six Western Balkan countries (WB6) have close political ties with the EU, their alignment with the EU’s Common Foreign and Security Policy (CFSP) has in­creasingly come into focus since the beginning of the Russian war of aggression in Ukraine. The EU should take a differentiated view of the WB6’s political and security cooperation with external actors such as Russia, China and Turkey. Within the WB6, the two “outliers” of Serbia and Bosnia-Herzegovina’s Republika Srpska use their for­eign and security relations with Russia to achieve their own political goals. While Serbia seeks support for its Kosovo policy, Republika Srpska is trying to get backing for its separatist tendencies. The WB6 are not expected to end their cooperation with the aforementioned external actors in the near future. Nonetheless, in today’s shift­ing geopolitical arena, the EU must set priorities that bind the WB6’s outliers to the CFSP.

The Post-Erdoğan Vision of Turkish Opposition: Opportunities and Limitations

Thu, 09/02/2023 - 09:00

Nearly a year after its formation, the Nation Alliance, consisting of six opposition par­ties (“Table of Six”), finally started to act like a full-fledged electoral alliance against the ruling bloc under President Recep Tayyip Erdoğan. The six opposition leaders have long been criticised for failing to take concrete steps towards embodying a viable po­lit­ical alternative to the People’s Alliance of the ruling Justice and Development Party (AKP) and the Nationalist Movement Party (MHP) since they publicly signed the joint manifesto for Turkey’s transition into the “Strengthened Parliamentary System” in February 2022. Although the alliance has yet to announce its joint presidential can­didate, it has manifested an unprecedentedly comprehensive joint platform in nine policy areas, including the rule of law, public administration, social policy, economy, and foreign policy. The 200-page joint document provides a comprehensive overview of what changes Turkey can be expected to go through in the short and medium terms should the Nation Alliance manage to defeat President Erdoğan’s ruling bloc in the up­coming elections, which will probably take place on 14 May 2023. Even though it would not immediately offer a solution to various issues in Turkey–EU relations, a pos­sible opposition victory could bring bilateral relations back to an institutional frame­work, whereby both parties can cooperate in a productive way to work out their problems and focus on common interests.

Europas Energiekrise und der östliche Mittelmeerraum

Thu, 09/02/2023 - 01:00

Angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine und der gefährdeten Energie­versorgung Europas gewinnt der östliche Mittelmeerraum wieder an politischer Aufmerksamkeit. Im Fokus stehen dabei einerseits bisher unerschlossene Erdgas­vorkommen und andererseits Perspektiven für eine zukünftige Versorgung mit grünem Strom und Wasserstoff. Doch die Konflikte Griechenlands und der Republik Zypern mit der Türkei bedrohen die Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Die EU steht vor einer dreifachen Herausforderung: Sie muss das kurzfristige Problem der Energie­sicherheit mit der langfristigen Aufgabe der Energiewende zusammendenken, ihren beiden Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern zur Seite stehen und gleichzeitig prüfen, inwieweit eine Einbindung der Türkei in laufende und künftige Projekte der regionalen Energiekooperation gelingen bzw. deeskalierend wirken kann.

Rückfall in die Gewalt

Wed, 08/02/2023 - 11:20

»Am Ende ist es eine Gratwanderung«

Wed, 08/02/2023 - 10:07
Wie stark ist der Westen in den Ukrainekrieg verwickelt? Völkerrechtsexperte Christian Schaller plädiert dafür, nicht leichtfertig zu behaupten, Deutschland sei keine Konfliktpartei.

EU-Migrationspolitik: Partnerschaften statt Visahebel

Tue, 07/02/2023 - 12:16

In dieser Woche kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem außerordentlichen Gipfel in Brüssel zusammen. Ein Anlass sind die wieder steigenden Flüchtlingszahlen über das Mittelmeer und die Balkanstaaten. Zugleich werden die Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen durch den russischen Angriffskrieg weiterhin stark in Anspruch genommen. Aber auch innenpolitische Veränderungen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten haben dazu geführt, dass Forderungen nach mehr Abschiebungen von nicht Schutzbedürftigen nun ganz oben auf der Agenda stehen.

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Rückkehrer aus der EU in ihre Heimatländer deutlich gesunken. Als zentrales Problem gilt die fehlende Bereitschaft der Herkunftsländer, ihre Staatsbürgerinnen und -bürger zurückzunehmen. Deshalb hat die EU bereits 2019 den sogenannten Visahebel eingeführt. Danach soll die EU-Kommission regelmäßig die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei der Rückübernahme überprüfen. Ist sie der Auffassung, dass ein Land nicht in ausreichendem Maße kooperiert, kann sie dem Rat der Innenminister vorschlagen, die legale Einreise aus dem betreffenden Land zu erschweren, beispielsweise durch höhere Visumgebühren, Verlängerung der Bearbeitungszeit oder Verkürzung der Gültigkeitsdauer. Die Verschärfungen sollen auch die Eliten des Herkunftslandes zu spüren bekommen.

 

Das Problem mit dem Visahebel

Dieser Ansatz geht auf informelle Praktiken einiger EU-Staaten zurück. So hatte Frankreich 2021 die Visavergabe gegenüber Maghreb-Staaten zeitweise eingeschränkt. Da jedoch Schengen-Visa nach gemeinsamen Kriterien vergeben werden sollen, ist ein solcher Alleingang problematisch. Auf EU-Ebene wurde der Visahebel bislang nur zurückhaltend eingesetzt. Einige Monate vor Frankreichs Maßnahmen hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, Visabeschränkungen gegen Bangladesch, Gambia und Irak einzuleiten. Der EU-Innenministerrat beschloss diese dann aber nur für Gambia. Unter anderem wurde die Bearbeitungszeit für Visa auf 45 Tage verdreifacht und die Visumsgebühr auf 120 Euro verdoppelt.

Es ist kein Zufall, dass der Visahebel zunächst nur bei einem kleinen Land wie Gambia angewendet wurde. In anderen Fällen sind die EU und ihre Mitgliedstaaten oft in einer weit schwächeren Verhandlungsposition und auf andere Formen der Zusammenarbeit angewiesen. So musste 2021 der Irak eingebunden werden, um die zynische Politik des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko zu stoppen, der Schutzsuchende – vorrangig Kurden aus dem Nordirak – nach Belarus eingeladen hatte, um sie dann an die EU-Außengrenze zu treiben. Spanien wiederum vollzog kürzlich eine außenpolitische Wende und erkennt nun die umstrittene Herrschaft Marokkos über die Westsahara an, damit weniger irreguläre Zuwanderer auf spanisches Gebiet gelangen. Und Italien zieht alle Register, um die migrations- und energiepolitische Zusammenarbeit mit Libyen auszubauen.

Umfassende Migrationspartnerschaften als Alternative

Meistens sitzt die EU bei der Migrationssteuerung eben nicht am längeren Hebel. Deshalb sollte sie vorrangig an den Interessen der Herkunftsländer ansetzen. Hierzu gehören vor allem Migrationspartnerschaften. Der Vorschlag ist zwar nicht neu. Allerdings fokussieren sich alle dazugehörigen Vorschläge der EU-Kommission seit 2007 auf die Reduzierung irregulärer Wanderung. Entwicklungspolitische Aspekte kommen zu kurz, und die bisherigen Partnerschaften enthalten kaum Angebote zur Förderung geregelter Migration und Mobilität. Ohnehin setzten sich die EU-Staaten nicht wirklich für die Umsetzung der Partnerschaften ein.

Eine gemeinsame europäische Linie, die nicht nur auf Abschottung setzt, bleibt aber sinnvoll und notwendig. So hat die große Fluchtbewegung aus der Ukraine die Mitgliedstaaten zwar in unterschiedlicher Art und ungleichem Umfang betroffen. Sie konnte aber durch die Entscheidung für einen einheitlichen und schnellen Schutzstatus bisher bewältigt werden. Alle Erfahrungen seit 2016 zeigen, dass der nationale Überbietungswettbewerb an Härte nicht weiterführt, denn der Wiederanstieg der Zuwanderung von Schutzsuchenden über das Mittelmeer und dem westlichen Balkan ist primär durch Konflikt- und Notlagen wie in Afghanistan geprägt. In solche Länder kann aus rechtlichen und praktischen Gründen ohnehin nicht zurückgeführt werden. Zudem spüren alle EU-Staaten den Arbeitskräftemangel, der eine andere Einwanderungspolitik verlangt.

Der Europäische Rat wird leider nicht von dieser Einsicht geleitet. Zu erwarten ist, dass die Regierungschefs mehr Rückführungen und die Nutzung von Druckmitteln wie dem Visahebel priorisieren. Dies wird in der Praxis kaum weiterführen. Stattdessen sollten Alternativen vorangetrieben werden, eventuell in kleineren Koalitionen von Mitgliedstaaten. Am Anfang sollte der systematische Austausch mit den Herkunftsländern über ihre Interessen stehen. Dann könnten passende migrationspolitische Instrumente ausgewählt werden, zum Beispiel Ausbildungsprojekte, Hilfen für den Verwaltungs- und Kapazitätsaufbau, eine Rückkehrunterstützung und Reintegrationsmaßnahmen. Vor allem müssen Möglichkeiten für die legale Ausbildungs- und Arbeitsmigration endlich über das Stadium von Pilotprojekten hinausgehen.

Solche Abkommen müssen nicht zwingend EU-Abkommen sein; sie könnten auch bilateral geschlossen werden. Den Rahmen könnte jeweils eine Absichtserklärung bilden, in der Elemente mit bindendem Rechtscharakter aufgeführt werden – etwa ein Rückübernahme-Übereinkommen sowie Abkommen über Praktika und Arbeitsmigration. Möglich wären aber auch zusätzliche und eventuell von einzelnen Ressorts finanzierte Vorhaben wie Grenzsicherung, Reintegrationsprogramme, Kapazitätsaufbau und Ausbildungsprogramme vor Ort. Die Abkommen müssten regelmäßig überprüft werden.

Natürlich können auch solche Migrationspartnerschaften nicht alle Probleme lösen, aber sie verbessern die Zusammenarbeit und tragen zu einer auch menschlich korrekten Rückkehrpolitik bei –  vor allem wenn Reintegrationsprojekte fester Bestandteil sind. Die Erfahrungen der Schweiz mit ihren bisherigen acht Migrationspartnerschaften zeigen, dass solche Ansätze funktionieren können. Und die Chancen für solche zukunftsweisenden Ansätze sind in Deutschland kürzlich deutlich gestiegen. Seit Anfang Februar hat die Bundesregierung einen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen – ein Amt, dass es bislang nicht gab.

Waffenlieferungen an die Ukraine

Thu, 02/02/2023 - 16:29

Deutschland unterstütze die Ukraine durch Waffenlieferungen bei der Ausübung ihres individuellen Rechts auf Selbstverteidigung gegen den von Russland geführten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, werde dadurch aber nicht zur Kriegspartei. So lautet die Position der Bundesregierung. In völkerrechtlicher Hinsicht stellt sich jedoch die Frage, wann das Unterstützen in einem bewaffneten Konflikt in eine indirekte Gewaltanwendung umschlägt. Dann müsste nämlich das kollektive Selbst­verteidigungsrecht in Anspruch genommen werden. Und man könnte sich kaum mehr darauf berufen, nicht Konfliktpartei zu sein. Doch das ius contra bellum und das huma­nitäre Völkerrecht geben keine eindeutigen Antworten darauf, wann die betreffenden Schwellen überschritten sind.

Nach der Präsidentenwahl: Tschechien mit einer einheitlichen Stimme

Thu, 02/02/2023 - 14:27

Die tschechischen Präsidentschaftswahlen brachten am 28. Januar ein eindeutiges Votum: In der Stichwahl setzte sich der pensionierte Nato-General Petr Pavel mit mehr als 58 Prozent der Stimmen gegen den populistischen Ex-Regierungschef Andrej Babiš durch. Dass dieser derart klar unterlag, hat viel mit dem effektiven Wahlkampf des Pavel-Lagers zu tun, noch mehr aber mit den Fehlern Babišs.

Das Pavel-Team machte die Abstimmung zu einer Richtungsentscheidung über die Innen- und Außenpolitik des Landes. Dabei zeichnete es den umstrittenen Milliardär Babiš mit Blick auf seine Geschäftsinteressen und ambivalenten Äußerungen zu Tschechiens Rolle in der Nato in dunklen Farben. Die unterlegene Präsidentschaftskandidatin Danuše Nerudová, die Pavel nach ihrem Ausscheiden unterstützte, sprach vom »Bösen«, das Babiš repräsentiere. Mit derlei Zuschreibungen zeichnete das Pavel-Lager ein eigenes Bild von Gut und Böse, in dem es Pavel als Verfechter der Kräfte des Guten präsentierte – und als Garant dafür, Babiš, dem Exponenten allen Übels, den Weg auf die Prager Burg zu versperren. Mit diesem Manichäismus gelang es, zahlreiche Menschen an die Wahlurnen zu bringen – auch solche, die aufgrund seiner früheren Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei Vorbehalte gegen Pavel hatten.

Babiš schürte Angst vor dem Krieg

Zur Niederlage Babišs trugen auch dessen eigene Ausrutscher und Irrtümer bei. Hatte sich der ANO-Vorsitzende zunächst versöhnlich und als Korrektiv gegenüber einer angeblich »unsozialen« Politik der Regierung präsentiert, ging er unmittelbar nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in die Offensive und zeigte dabei seine dunkle Seite. So verglich er Pavel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, da der frühere General wie jener einst eine nachrichtendienstliche Schulung durchlaufen habe. Zudem setzte Babiš auf das Thema »Krieg und Frieden«. Als früherer Soldat werde Pavel das Land in den Krieg Russlands gegen die Ukraine hineinziehen. Er, Babiš, hingegen werde selbst im Beistandsfall nach dem Nato-Vertrag keine Soldaten in Nato-Länder schicken. Bei letzter Äußerung ruderte er später zwar zurück. Dennoch dürfte er seinem Kontrahenten damit zahlreiche Wählerstimmen eingebracht haben. Der ehemalige Regierungschef verengte sich inhaltlich auf das Thema Frieden, spielte es dilettantisch und vernachlässigte sein Image als sozialer »Kümmerer«.

Das Wahlresultat stärkt die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Petr Fiala. Mit Babiš als Sieger, hätte die Regierungskoalition mit einem Unruheherd auf der Prager Burg zurechtkommen müssen. Das Staatsoberhaupt wäre weiterhin der starke Mann der größten Oppositionspartei gewesen und hätte alles dafür getan, dass die ANO-Partei bei der nächsten Parlamentswahl eine möglichst günstige Ausgangsposition bekommen hätte. Mit Pavel, den die liberalkonservativen Parteien des Regierungslagers unterstützt haben, wird die Exekutive hingegen einen wohlwollenden Schirmherrn haben, der bei wichtigen Umbauprozessen wie etwa in der Klima- oder Energiepolitik für Verständnis werben kann. Voraussetzung ist, dass er eine nötige Distanz zum Regierungslager wahrt, das seine Kandidatur explizit oder indirekt befürwortet hatte. Der Staatspräsident hat im politischen System Tschechiens zwar nur begrenzte Zuständigkeiten. Doch der bisherige Amtsinhaber demonstrierte, dass durch extensive Kompetenzinterpretationen, die Nutzung bestehender Befugnisse oder gezielte Kommentare auch von dieser Position aus spürbare Akzente gesetzt werden können.

Klare Orientierung nach Westen

Nach außen wird Pavel den proatlantischen, Russland-kritischen und EU-freundlichen Kurs der Regierung aktiv flankieren. Er ließ in den vergangenen Wochen keinen Zweifel daran, dass er – wie Premier Fiala und sein Kabinett – für eine klare Westorientierung seines Landes steht und auch in Sachen Krieg die Linie der Solidarität mit der Ukraine gutheißt. Tschechien kann somit nach außen unisono auftreten. Versuche, von der Prager Burg aus zumindest in Ansätzen eine »alternative Außenpolitik« zu organisieren, wie dies in der Ära des ehemaligen Präsidenten Miloš Zeman gegenüber Russland bis zum 24. Februar und China der Fall war, gehören der Vergangenheit an.

In Mitteleuropa wird Pavel die Sonderbeziehungen zur Slowakei vertiefen wollen – seine Amtskollegin Zuzana Čaputová zeigte sich als Überraschungsgast auf der Wahlparty Pavels, um diesem zu gratulieren. Sein Ansinnen, nach der traditionell ersten Auslandsreise in die Slowakei das Nachbarland Polen zu besuchen, kann als Antwort auf Babišs Spiel mit der Nato-Bündnisverpflichtung gewertet werden, unterstreicht aber auch die engen sicherheitspolitischen Bande zwischen Prag und Warschau. Auch wenn sie ihm zufolge an Inhalt verloren hat, wird Pavel sicherlich auch an Gipfeln der Visegrád-Gruppe teilnehmen. Doch ähnlich wie die tschechische Regierung wird er eher eine vielschichtige Mitteleuropapolitik inklusive anderer Staaten der Region betreiben. Dazu gehört auch ein wohl eher zurückhaltend-korrektes Verhältnis zu Ungarn – zu dessen Regierungschef Viktor Orbán Andrej Babiš eine enge Bindung hegt. 

Das neue Staatsoberhaupt ist zwar kein zentraler, aber doch symbolisch bedeutsamer Akteur, der das gutfunktionierende deutsch-tschechische Beziehungsgeflecht komplettiert –und sich künftig auch als zusätzlicher Gesprächspartner anbietet. Jenseits der großen bilateralen Themen wie der Sicherheitspolitik, Europapolitik und Wirtschafts- oder Energiekooperation gilt es im Kontakt mit Pavel auch strategische Fragen etwa im Verhältnis zu China anzusprechen. Pavels Telefonat mit der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen am Montag nach der Wahl zeigt, dass er, wie auch bedeutsame Strömungen im Regierungslager, für eine wertegebundene Außenpolitik steht.

Während Tschechien in seiner EU-Ratspräsidentschaft im vergangenen Halbjahr ein wirkungsvoller Vermittler in Europa war, fehlt es dem Land im Inneren bisher an Brokern des Zusammenhalts. Der neue Präsident könnte diese Rolle übernehmen, wenn es ihm gelingt, die polarisierte Gesellschaft – das »leidende Tschechien« Andrej Babišs und das »optimistische Tschechien« in seiner Anhängerschaft – zusammenführen.

Szenarien für ein klimaneutrales Deutschland

Thu, 02/02/2023 - 13:46
Technologieumbau, Verbrauchsreduktion und Kohlenstoffmanagement

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