Meine Damen und Herren, liebe Freunde,
Wir können von Glück sagen, dass der maltesische Vorsitz in diese außerordentliche Zeit voller neuer Herausforderungen und dramatischer Umwälzungen fällt. In diesem Halbjahr feiern wir in Rom das 60-jährige Jubiläum des Vertrags, und das Brexit-Verfahren wird förmlich eingeleitet. Auch wird die EU insgesamt im Frühjahr in Bezug auf die Migration, insbesondere die Migration über die zentrale Mittelmeerroute, auf eine harte Probe gestellt. Eine solche Abfolge von Ereignissen erfordert eine kompetente, erfahrene und sensible Führung.
Wir können uns in der Tat glücklich schätzen, dass diese schwierige Rolle Malta zugefallen ist. Wenige stehen den Italienern näher, die die Feierlichkeiten in Rom ausrichten werden, und wenige haben ein besseres Verständnis für die Briten, die ihren Austritt einleiten werden. Wie wir wissen, können Scheidungen – ohne das gegenseitige Einverständnis der betroffenen Partner – zum Alptraum werden. Und schließlich kennen nur wenige die Migrationstragödie im Mittelmeer besser.
Malta ist aber nicht nur ein Garant für eine kompetente und verständige Führung. Für Europa steht Malta auch symbolisch für unsere kulturelle Identität. Wer die Geschichte der europäischen Kultur aus nächster Nähe betrachten möchte, schaue sich diese bemerkenswerte Insel genau an.
Wie manche sagen, war es hier auf Malta, wo Kalypso, die Nymphe aus Homers Odyssee, Odysseus beherbergte. Wobei "beherbergen" vielleicht etwas untertrieben ist, wenn man bedenkt, dass sie ihn sieben Jahre lang gefangen hielt. Für Kunstliebhaber ist Malta die Insel Caravaggios, und Freunde der Archäologie finden hier die ältesten freistehenden Strukturen der Welt. Es ist kein Zufall, dass La Valletta 2018 eine der Kulturhauptstädte Europas sein wird.
Es ist nämlich die Kultur, die uns Europäer in Zeit und Raum verankert und uns ein Identitätsgefühl gibt. Die Kultur ist das Gut, das wir verteidigen möchten und sollten. Wir alle haben unsere Wurzeln im Mittelmeerraum, in Griechenland und in Rom und auch im Christentum, das an diesem Scheideweg der Kulturen entstanden ist. Wenn wir heute nach den Grundfesten unseres Kontinents suchen, finden wir in Malta einen symbolischen Anker. Zygmunt Bauman, der herausragende polnische Philosoph und soziale Denker, der erst vor zwei Tagen verstorben ist, schrieb, dass Europa eine besonders wichtige Rolle dabei zukommt, unser Kulturverständnis wiederzubeleben, da gerade Europa mit seiner enormen Vielfalt an Menschen, Sprachen und Historien der Ort ist, an dem uns das Andere stets ein Nachbar ist und an dem wir alle ständig gefordert sind, voneinander zu lernen.
Neben der Kompetenz werden Geduld und Empathie zweifellos die größten Stärken des maltesischen Vorsitzes sein. Dieses Vertrauen beziehe ich aus dem Wissen um bestimmte Ereignisse, die bis zum Beginn unserer Zeitrechnung zurückreichen.
Wie es in der Bibel heißt, war Apostel Paulus auf dem Weg nach Rom, wo er als politischer Rebell vor Gericht gestellt werden sollte. Das Schiff, das ihn und hunderte anderer Menschen beförderte, geriet aber in einen fürchterlichen Sturm. Zwei Wochen später zerschellte das Schiff an der maltesischen Küste, und alle Menschen an Bord konnten sich an Land retten. Der Empfang, der den Überlebenden bereitet wurde, wird im Lukasevangelium, Apostelgeschichte 28, beschrieben: "Und als wir gerettet waren, da erfuhren wir, dass die Insel Melite heiße. Die Eingeborenen aber erzeigten uns eine nicht gewöhnliche Freundlichkeit, denn sie zündeten ein Feuer an und nahmen uns alle zu sich wegen des eingetretenen Regens und wegen der Kälte."
Auch zweitausend Jahre später heißen Sie immer noch Gäste und Überlebende willkommen und laden sie ein, sich um ein gemeinsames Feuer herum zu wärmen. Die heutige Feierstunde ist hierfür ein weiteres schönes Beispiel.
Ich danke Ihnen.