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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 3 weeks 2 days ago

Instabile Lieferketten gefährden die Versorgungssicherheit

Thu, 09/12/2021 - 14:14

Im Zuge der Corona-Pandemie wurden die globalen Lieferketten empfindlich gestört. Inzwischen haben die Störungen auf zahlreiche Wirtschaftszweige übergegriffen, auch die Konsumenten bekommen sie zu spüren. Eine kurzfristige Besserung ist nicht in Sicht, was gravierende Folgen für weltweite Produktionsprozesse hat. Betroffen waren bei Ausbruch der Pandemie vor allem medizinische Schutzgüter – der Zusam­menbruch des internationalen Handels ließ aber auch in anderen Sektoren Liefer­engpässe entstehen. Die Instabilität von Lieferketten ist in der Pandemie schmerzlich spürbar geworden. Sie gefährdet die Versorgungssicherheit ebenso wie Cyberangriffe und geopolitische Unwägbarkeiten entlang von Lieferketten. Soll auf diese Herausforderungen angemes­sen reagiert werden, gilt es, die pandemiebedingten Einschnitte als Auftrag und Chance zugleich zu verstehen. In der politischen und unternehmerischen Gestaltung von Lieferketten sind nachhaltige Änderungsprozesse anzustoßen, um der wachsen­den Anfälligkeit von Lieferketten entgegenzuwirken und dem steigenden Bedarf an kri­tischen Gütern zu entsprechen.

Die ungewisse Zukunft der deutsch-chinesischen Beziehungen

Thu, 09/12/2021 - 01:00

Zwischen der Volksrepublik China und einer breiten Allianz von Staaten zeichnet sich eine Konfrontation ab, die mittelfristig anhalten dürfte. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas steht auf tönernen Füßen. In dem Land ist insbesondere die Entwicklung der Produktivität dauerhaft schwach. Die Staats- und Parteiführung in Peking hat den Pfad eingeschlagen, China von der Weltwirtschaft zu entkoppeln. Angeknüpft wird dabei an wirtschaftspolitische Traditionen der chinesischen Kaiserreiche und der ersten Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft nach Gründung der Volksrepublik. Chinas Führung setzt außenpolitisch seit einigen Jahren auf einen offensiveren, teils aggressiveren Kurs. Adressat dieser Politik ist aber in erster Linie das eigene Volk: Nur die KPCh, so die Botschaft, könne das Land vor ausländischen Feinden schützen. Die Entkopplung Chinas wird von Peking selbst initiiert. Doch sollten die Länder des Westens reagieren, etwa durch die Schaffung einer offenen Freihandelszone, an der alle großen OECD-Länder teilnehmen könnten. Chinas Bedeutung für die deutsche Wirtschaft wird in der Öffentlichkeit regelmäßig überschätzt. Lediglich 2 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland hängen direkt oder indirekt von Exporten nach China ab.

Konflikte in Verhandlungen zu UN-Reformen

Thu, 09/12/2021 - 01:00

Viele Staaten schätzen das Hochrangige Politische Forum zu Nachhaltiger Entwicklung (HLPF) der Vereinten Nationen: Es gilt als wichtiger Ort, an dem Vertreterinnen und Vertreter aus den Hauptstädten, dem UN-System und von Stakeholdern diskutieren, wie die 2030-Agenda und die dort verankerten Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) umgesetzt werden. In dieser Studie werden die 2020/21 geführten Verhandlungen unter der UN-Generalversammlung zum HLPF analysiert. Die beabsichtigte Stärkung des HLPF scheiterte an zahlreichen Konflikten im Bereich Umwelt und Entwicklung ebenso wie an übergreifenden Konfliktlinien, welche die internationale Ordnung betreffen. Daraus sollten Schlüsse für zukünftige UN-Reformprozesse gezogen werden. In den Resolutionen wurde im Wesentlichen der Status quo festgeschrieben. Die wenigen inkrementellen Verbesserungen sollten nun aufgegriffen werden. So sollten die Bundesregierung und die EU dafür eintreten, das hochrangige Treffen im Juli besser vorzubereiten und nachzuhalten. Eine wichtige Chance bietet hierfür das neue Koordinierungssegment des UN-Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC), welches erstmals im Februar 2022 stattfindet. Die Bundesregierung und die EU sollten jährlich eine ambitionierte UN-Strategie entwickeln, die ihre Arbeit im ECOSOC und beim HLPF ein­bezieht. Dabei sollten sie die identifizierten Konfliktthemen im Blick behalten. Der Bericht »Our Common Agenda« des UN-Generalsekretärs, von den UN-Mitgliedstaaten in Auftrag gegeben und im September 2021 publiziert, öffnet ein Gelegenheitsfenster, UN-Reformen voranzutreiben. Anfang 2024, wenn der nächste HLPF-Review ansteht, sollten die Bundes­regierung und die EU ihre Reformvorschläge formuliert haben. Im Rahmen der Allianz für den Multilateralismus sollten sie dafür rechtzeitig werben.

Proliferation jenseits von Gegnern und Rivalen

Thu, 09/12/2021 - 01:00

Solange der Atomkonflikt mit Iran nicht nachhaltig gelöst ist, besteht die Gefahr, dass Saudi-Arabien ein eigenes Programm zum Bau von Kernwaffen startet. Das iranische Nuklearabkommen von 2015 wieder­herzustellen und voll umzusetzen, würde den Proliferationsdruck auf Riad aber allein nicht beseitigen, sondern nur vorübergehend senken. Um die Proliferationsgefahr in der Region einzuhegen, sollten die deut­schen und europäischen Anstrengungen zur Rettung des Atomabkommens mit Teheran daher ergänzt werden um gezielte Nichtverbreitungsbemühungen gegenüber Saudi-Arabien. Das ist bisher nicht der Fall. Der jetzige Zeitpunkt ist für eine solche Nichtverbreitungspolitik günstig. Im Moment verfügt Saudi-Arabien noch nicht über Anlagen zur Produktion des Spaltmaterials, das für Kernwaffen benutzt werden kann: hochangereichertes Uran oder Plutonium. Künftig möchte Riad aber Uran anreichern. Deutschland und Europa stehen mit ihren Nichtverbreitungsbemühungen im Hinblick auf Riad vor der Herausforderung, dass es sich bei dem Königreich um einen »Frenemy« handelt, mit dem westliche Regierungen eng kooperieren. Dies hat zur Folge, dass weichere nichtverbreitungs­politische Instrumente zum Einsatz kommen müssen als etwa bei Nordkorea oder Iran. Zu jenen weicheren Optionen, die beim Einhegen saudischer Proliferation erfolgreich sein könnten, zählen Maßnahmen zur militärischen Rück­versicherung, eine an Bedingungen geknüpfte Kooperation bei der Kernkraftnutzung, die Verweigerung proliferationsrelevanter Technologien, die Ausübung diplomatischen Drucks und die glaubwürdige Androhung von Sanktionen. Wenn Deutschland dazu beitragen will, einer Atomrüstung in Saudi-Arabien entgegenzuwirken, muss es aktiver und systematischer vorgehen. Die Bundesregierung sollte mit ihren engsten Partnern ein konkretes Nichtverbrei­tungsziel formulieren und bald damit beginnen, es zu ver­folgen, damit die weichen Instrumente wirken können. Zudem sollte der Fokus darauf liegen, Einflussmöglichkeiten auf Riad zu maximieren und keineswegs weiter zu beschneiden.

Conflicts in UN Reform Negotiations

Thu, 09/12/2021 - 01:00

The UN High-level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) is widely appreciated as a venue where representatives of the member states, the UN system and stakeholders can discuss the implementation of the 2030 Agenda and its Sustainable Development Goals (SDGs). This study analyses the negotiations on the HLPF review conducted in 2020/21 under the UN General Assembly. The intended strengthening of the HLPF was blocked by numerous con­flicts over environmental and development issues as well as overarching conflict lines concerning the international order. Lessons should be drawn for future UN reform processes. The resulting resolutions largely confirm the status quo. The few incre­mental improvements should now be realised. The German government and the EU should work to improve the preparation and follow-up for the HLPF meeting in July 2022. The new Coordination Segment of the UN Economic and Social Council (ECOSOC), which meets for the first time in February 2022, offers an important opportunity. The German government and the EU should prepare ambitious annual UN strategies that also cover their work in ECOSOC and the HLPF. The iden­tified conflict themes should be taken into consideration. The UN Secretary-General’s report “Our Common Agenda”, requested by the member states and published in September 2021, creates a window of opportunity for progress on UN reforms. By early 2024, when the next HLPF review is due, the German govern­ment and the EU should have developed reform proposals. They should communicate these in good time in the Alliance for Multilateralism and seek to build coalitions of the willing.

Die Global Posture Review der Biden‑Administration

Wed, 08/12/2021 - 10:00

Ende November hat das US-amerikanische Verteidigungsministerium die Ergebnisse seiner Global Posture Review (GPR) vorgestellt. Die Posture gibt Aufschluss über die geplante Entwicklung der weltweiten Militärpräsenz der USA und hat daher auch eine hohe Relevanz für deren Bündnispartner. Die Biden-Administra­tion bekräftigt mit dieser GPR ihr Bekenntnis zur Stärkung der Nato. Zugleich lassen die bislang veröffentlichten Eckpunkte wichtige Fragen offen – insbesondere dazu, wie die Prio­ritäten zwischen Europa und Asien längerfristig gesetzt werden und ob neue land­gestützte Waffensysteme in europäischen Nato-Staaten stationiert werden sollen.

Eine neue Wasserstoffwelt

Wed, 08/12/2021 - 00:01

Die weltweiten Implikationen eines Umstiegs auf Wasserstoff sind groß, da dieser sukzessive Öl und Gas als Energieträger zumindest teilweise ersetzen wird und da­durch neue internationale Handelsströme entstehen. Darüber hinaus wird Wasserstoff den Umbau der Industrie mitbestimmen. Hier hat sein Einsatz disruptive Aus­wirkungen, was auch die Wirtschaftsgeographie prägen wird. Die Politik steht vor weitreichenden Grundsatzentscheidungen, die die Konturen der neuen Wasserstoffwelt vorgeben werden. Deutschland und die EU sollten die geoökonomischen und geopolitischen Konsequenzen mitberücksichtigen, wenn sie Weichen stellen.

Bidens Idee einer »sole purpose«-Nukleardoktrin für die USA

Tue, 07/12/2021 - 01:00

US-Präsident Joseph Biden erwägt, die amerikanische Politik der nuklearen Ab­schreckung zu ändern. Seit Beginn des Atomzeitalters hat Washington stets erklärt, es könne nicht nur auf Angriffe mit Kernwaffen, sondern auch auf nichtnukleare Aggressionen mit nuklearer Vergeltung antworten. Diese deklaratorische Politik könnte bald enger gefasst werden: Biden würde die Rolle von Atomwaffen gern redu­zieren, und zwar durch eine »sole purpose«-Erklärung (SP). Danach wäre es alleiniger Zweck der US-Atomwaffen, nukleare Angriffe abzuschrecken und, falls nötig, auf diese zu reagie­ren. Gegen konventionelle Aggressionen würden die USA nie Kernwaffen einsetzen. Wider Er­warten würde das aber die heute bestehenden nuklearen Risi­ken für die USA kaum reduzieren. Zudem befürchten bereits jetzt die Verbündeten der USA in Europa und Asien, dass SP ihre Sicherheit beeinträchtigt. Auch für Deutsch­land stellt sich die Frage nach politischen und militärischen Folgen einer SP-Politik.

Der ungelöste Streit um die Rechtsstaatlichkeit in der EU

Fri, 03/12/2021 - 01:00

Die breite Solidarisierung mit Polen, die innerhalb der EU aufgrund der Krise an der Grenze zu Belarus aktuell zu beobachten ist, ändert nichts am Grundsatzkonflikt in der Frage der Rechtsstaatlichkeit. In den vergangenen Monaten hat Polen Rechts­prinzipien der Union offen in Zweifel gezogen. Es ist nicht zu erwarten, dass die amtierende polnische Regierung effektive Maßnahmen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Justiz ergreifen wird. Wenn es dabei bleibt, wird die EU ihre Finanztransfers an Polen wie an Ungarn substantiell einschränken müssen. Auch die horizontale Anwendung von EU-Recht wird gegenüber Polen auf wachsende Vor­behalte stoßen. Zum Schutz des europäischen Gemeinwesens müssen politisch an­gespannte Beziehungen zu Polen indes in Kauf genommen werden. Die neue Bundesregierung hat das Ziel, die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit zu priorisieren, in ihrem Koalitionsvertrag niedergelegt. Sie sollte daran festhalten.

Consensus per video?

Thu, 02/12/2021 - 11:47
Decision-making in the Council of the EU during the Covid-19 pandemic

Südafrikas gesellschaftliche und politische Herausforderungen

Wed, 01/12/2021 - 01:00

In den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen Südafrikas finden derzeit Erosionsprozesse statt. Sie sind das Resultat struktureller Veränderungen und paral­lel ablaufender Entwicklungen, die sich gegenseitig verstärken. Die Hoffnungen auf Einnahmen aus dem Tourismus in den Monaten November 2021 bis Februar 2022 haben sich zerschlagen, seitdem nach Entdeckung der Corona-Variante Omikron internationale Reisebeschränkungen erlassen worden sind. Hinzu kommt, dass die Spannungen innerhalb der Regierungspartei African National Congress (ANC) den Präsidenten Cyril Ramaphosa in seiner Handlungsfähigkeit einschränken. Aller­dings sind langsame Fortschritte bei Reformen und positive Tendenzen einer Weiter­entwicklung jenseits des dominierenden ANC erkennbar. So hat sich das Parteien­system nach den Kommunalwahlen im Anfang November zusehends ausdifferenziert. Deutschland und die EU können positive Entwicklungen durch gut ausgerichtete und sensible Hilfe unterstützen, müssen dabei aber stets insbesondere sozioökonomische Faktoren im Blick behalten.

Cities and Their Networks in EU‑Africa Migration Policy

Mon, 29/11/2021 - 01:00

The international debate on migration policy increasingly views cities as game changers since cities have to find rapid, efficient, and lasting solutions to problems relating to forced displacement and migration. How­ever, this assessment also has its critics. From a European perspective, cooperating with African cities is important because migration from Africa is expected to rise in the short and medium term. From an African perspective, there is a wish to extend the potential for legal migration and for intercontinental mobility. Existing cooperation between African and European cities shows that the actors involved pursue very different objectives. Their potential for par­ticipation is limited but simultaneously highly dependent on political will and context. In order to make use of cities’ potential for cooperation, particularly in shaping legal migration, cooperation instruments must be designed in such a way as to give cities adequate funding and sufficient powers. Divisions between urban and rural areas should not be deepened, and social conflicts should not be exacerbated. Public funds should be used preferentially to support existing networks, especially those of small and medium-sized cities; such cities should be involved above all in the shaping of labour mobility and migration and in the reception of refugees. Philanthropic funding of cities and city net­works can also be helpful in harnessing the potential of municipal actors.

Deutschland im arktisch-nordatlantischen Raum

Mon, 29/11/2021 - 01:00

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause 2021 der Anschaffung von fünf Flugzeugen P-8A Poseidon für 1,43 Milliarden Euro zugestimmt. Dieses Flugzeug erfüllt alle technischen und opera­tiven Anforderungen, die an einen modernen Seefernaufklärer der Marine gestellt werden. Die Anschaffung behebt nicht nur einen kurzfristig auf­getretenen Mangel an entsprechenden Luftfahrzeugen, sondern schließt auch eine Lücke in der Aufklärung. Notwendig geworden ist dies durch die militärischen Aktivitäten, die Russland im arktisch-nordatlantischen Raum entfaltet. Dort spielt Deutschland eine besondere geostrategische Rolle. Darum sollte es seine maritimen und mili­tärischen Fähigkeiten weiterentwickeln.

Russischer Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze: Eine Invasion ist möglich

Fri, 26/11/2021 - 15:48

Die meisten Experten sind sich hinsichtlich des russischen Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine Anfang November einig: Russland geht es ähnlich wie schon im Frühjahr um eine Drohgebärde gegenüber der Ukraine und dem Westen, nicht um einen Einmarsch in das Nachbarland. Diese Interpretation hat einen entscheidenden Vorteil: Sie ist bequem und zwingt westliche Regierungen nicht zum entschiedenen Handeln. Während angesichts der Krim-Annexion 2014 eine generelle Vorsicht gegenüber Russland geboten sein sollte, wird zum einen außer Acht gelassen, dass sich die Eskalationsspirale im russisch-ukrainischen Konflikt seit dem Frühjahr immer schneller dreht. Zum anderen wird ignoriert, dass das russische Ziel einer vollständigen Kontrolle über die Ukraine auch ohne die immer wieder erwähnten unangemessenen Kosten erreicht werden kann. Aus diesem Grund können extreme Szenarien wie ein russischer Einmarsch in Teile der Ukraine aktuell nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr sollte das Worst-Case-Szenario einer abgestuften Invasion, bei der Russland mit gezielten Interventionen einen Vorwand für den Einmarsch schafft, und dessen mögliche Konsequenzen ernsthaft diskutiert werden.

Der Westen verkennt Russlands Befindlichkeiten

Russland hat es seit Beginn des Ukrainekonflikts trotz der Krim-Annexion, Besetzung von Teilen des Donbass und weiterer Destabilisierungsversuche nicht geschafft, sein strategisches Ziel der mittelbaren Kontrolle des Nachbarlandes zu erreichen. Vielmehr ist es der Ukraine gelungen, sich vom Konflikt im Osten zu isolieren, ihre Staatlichkeit zu stärken und näher an den Westen zu rücken. Selbst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der 2019 als Friedensstifter angetreten war, hat nach einigen diplomatischen Experimenten die Rolle des anti-russischen Kriegsherrn eingenommen. Mehr noch: Seit dem Sommer zeigen sich Selenskyj und dessen Militärführung forsch, lassen öffentlichkeitswirksam die Abwehr von russischen Invasionsversuchen üben und Drohnenangriffe gegen die Separatisten fliegen. In Russland schwindet die Hoffnung, dass sich mit den bisher angewandten Druckmitteln ein Politikwechsel oder gar eine russlandfreundliche Führung in Kiew installieren lässt.

Im Westen wird unterschätzt, wie empfindlich Moskau auf die schwierige Lage im Donbass und das zur Schau gestellte ukrainische Selbstbewusstsein reagiert. Anders als in Washington oder Brüssel, wo die Ukraine nüchtern als klar unterlegene Partei in einem stark asymmetrischen Konflikt gesehen wird, ist die Perspektive Moskaus auf Kiew durch Reputationsfragen bestimmt – was Kiew mindestens zu einem großen Ärgernis und maximal zur Bedrohung »aufwertet«. Jedenfalls muss der Effekt, den die trotz sieben Jahre kriegerischem Konflikt zwischen den einstigen Bruderstaaten anhaltende ukrainische Unnachgiebigkeit auf Moskau hat, in die Analyse der russischen Politik einbezogen werden. Die nachhaltige Unterminierung des Normandie-Formats und Moskaus Insistieren auf die für Kiew inakzeptable Forderung, direkt mit den Separatisten zu verhandeln, ist so auch als Eingeständnis der eigenen Frustration angesichts eines Pyrrhussieges zu werten. Russlands Präsident Putin und sein ehemaliger Premier Medwedew haben Kiew und dem Westen ihre maximalen Absichten in der ukrainischen Frage und auch den eigenen Unglauben an eine Verhandlungslösung mehrfach klargemacht. Wenn diese Interpretation zutrifft, hätte der russisch-ukrainische Konflikt eine unberechenbare Phase erreicht, weil sie durch von Statusfragen getriebene Eskalationsbereitschaft und den fehlenden Zugriff westlicher Diplomatie gekennzeichnet ist.

Möglichkeit der abgestuften Invasion

Beobachter attestieren der ukrainischen Armee heute eine bessere Verteidigungsfähigkeit als in den Jahren 2014 und 2015. Aufgrund der Kampferfahrungen der vergangenen Jahre, der Stabilisierung der Kontaktlinie durch die Truppen und die anhaltende Modernisierung des gesamten Verteidigungssektors ist tatsächlich eine graduelle Verbesserung eingetreten. Die ukrainische Armee bleibt gegenüber ihrem russischen Pendant aber vor allem mit Blick auf die Luftstreitkräfte klar unterlegen.

Diese Tatsache begünstigt bisher wenig diskutierte Szenarien, bei denen die russische Armee in einer von den Kosten her überschaubaren abgestuften Strategie in der Ukraine intervenieren und deren Führung über immer neue taktische Lagen zu politischen Zugeständnissen zwingen könnte. Denkbar wäre beispielsweise, dass Russland die jüngsten Drohnenangriffe auf Stellungen der Separatisten als Vorwand nutzt, um erneut »zum Schutz der lokalen Bevölkerung« in den besetzten Donbass einzumarschieren. Obwohl diese Form eines russischen Einmarsches keinen Einfluss auf die existierende territoriale Situation der Ukraine hätte, würde ein solches Szenario die Führung in Kiew massiv unter Druck setzen. Das Kräfteverhältnis an der Kontaktlinie würde sich stark zu Ungunsten der Ukraine verändern, wobei Russland dann jeden weiteren Vorfall als Vorwand für ein weiteres Vorgehen nutzen könnte, zum Beispiel durch Luftangriffe auf Stützpunkte der ukrainischen Armee in der nicht besetzten Ostukraine. Kiew hätte darauf kaum eine wirksame Antwort. So könnte Moskau seine konkreten Nahziele auf militärischem Wege erreichen, darunter der Sonderstatus für die »Volksrepubliken« in der Ostukraine ohne die in den Minsker Vereinbarungen festgehaltenen Vorbedingungen.

Die westlichen Partner der Ukraine und damit auch die neue Bundesregierung sollten sich klar darüber werden, dass Rechtfertigungen und Varianten einer möglichen russischen Eskalation vielfältiger sind als gemeinhin angenommen. Auch das sich durch die weitere Integration von Belarus in den russischen sicherheitspolitischen Orbit andeutende Destabilisierungsdreieck eröffnet dem Kreml zusätzliche militärische Optionen gegenüber Kiew. Um Moskau von derlei Schritten abzuhalten, sollte sich auch der Westen strategisch auf eine Eskalation einstellen und Sanktionen gegenüber Moskau und Minsk vorbereiten. Diese sollten auch die Möglichkeit vorsehen, Nord Stream 2 vorerst nicht in Betrieb zu nehmen. Darüber hinaus könnte die EU im Schwarzen Meer aktiv Präsenz zeigen, um die Südflanke der Ukraine zu entlasten und existierende bilaterale Militärhilfe in einer effektiven Ausbildungs- und Beratermission zu bündeln. In jedem Fall bedarf es neben Sanktionen auch einer sicherheitspolitischen Präsenz.

Connecting Ukraine to Europe’s Electricity Grid

Wed, 24/11/2021 - 01:00

Connecting Ukraine to the continental European power grid and the EU’s electricity market is on the political agenda. However, establishing the necessary grid connec­tions is technically complicated and also requires profound reforms to the Ukrainian electricity sector. But it is not only Ukraine that has to deliver; the EU and its member states will also have to make far-reaching and hugely significant geopolitical decisions. The project needs a politically coordinated roadmap that defines clear criteria and conditions for a common electricity grid.

EZB, Klimawandel und Finanzstabilität

Tue, 23/11/2021 - 01:00

Der Klimawandel birgt zahlreiche Risiken für die Stabilität des Finanz­systems und für die Übertragung der Geldpolitik. Für die Europäische Zentralbank existieren ausreichende wirtschaftliche und rechtliche Gründe, um Klimarisiken und den Übergang zur Klima­neutralität stärker in die Geldpolitik zu integrieren. Die geldpolitischen Instrumente von Zentralbanken wurden nicht zur Bekämpfung des Klimawandels konzipiert, können aber so kalibriert werden, dass sie eine Umstellung der Wirtschaft auf Klimaneutralität fördern. Das mächtigste geldpolitische Instrument, die Ankäufe von Vermögenswerten, breiter einzusetzen, kann problematisch sein, da es schwierig ist, ein spezifisches Klimaziel in einen begrenzten geldpolitischen Rahmen einzupassen. Das klimapolitische Engagement könnte die Unabhängigkeit der EZB beeinträchtigen. Gleichzeitig kann es sich auch positiv auf ihre Position im globalen Finanzsystem und auf die internationale Rolle des Euro auswirken, unter anderem durch die Aktivitäten der EZB und der nationalen Zentralbanken des Eurosystems im Network for Greening the Financial System. Geldpolitisches Engagement kann in der Klimapolitik allenfalls unterstützend wirken; wichtig sind hier vor allem das Handeln der Staaten, die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung sowie neue Konsum- und Produk­tionsstandards.

War everywhere? Why the crisis on the Polish-Belarusian border is not a hybrid attack

Fri, 19/11/2021 - 15:21

Thousands of people are waiting at the border between Belarus and Poland, hoping to enter the European Union (EU). Belarusian ruler Alexander Lukashenko has flown them in from crisis areas in retaliation for sanctions against his country. Top politicians in Berlin and Brussels are speaking of a “hybrid war”, and the Baltic states are warning of an attack on the alliance’s territory, which the North Atlantic Treaty Organization (NATO) would have to deal with. Lukashenko and Russian President Vladimir Putin are also fuelling this war rhetoric. Both countries are feigning concern about a perceived NATO troop concentration on the border with Belarus. According to reports, nuclear-capable Russian bombers have recently patrolled the Belarusian airspace. German policy should not fall into this trap of conjured-up militarisation.

Every dispute is elevated to a great power conflict

The frequent use of the term “hybrid warfare” fits in with a development that is increasingly shaping the discourse on security and defence policy in Germany and other EU and NATO states. It has become a commonplace belief that the boundaries between war and peace are becoming blurred. War seems to be everywhere – there is talk not only of hybrid wars, but also of information wars, cyber wars, and economic wars. Almost every international dispute is interpreted in light of the ubiquitous paradigm of “great power conflict” – with the potential for military escalation.

Not all of this is necessarily wrong – and much of it is not really new. But war is and remains at its core the organised use of military force for political ends. In the process, states and non-state actors have always used non-military means as a flanking measure to win the propaganda battle or to weaken the will of the opponent to divide their societies. The technological and societal developments of the past decades have facilitated this enormously. Economic instruments such as sanctions and boycotts can also be threatened or used to augment military means. However, the basic definition of hybrid warfare is that it is the integrated use of military and non-military means or tactics within the framework of an overarching goal or plan.

War has political and legal consequences

The current situation on the Polish-Belarusian border does not meet this criterion. Even if this crisis was orchestrated by the Kremlin, it is far-fetched to speak of an integrated “deployment” of migrants in Belarus and of pro-Russian separatists and Russian troops in eastern Ukraine as part of an overall plan.

Calling the situation a hybrid war has concrete consequences, because war justifies politically and legally different rules and means than peace. Using the term “war” increases the danger that it will be used to justify the treatment of refugees in violation of human rights. War creates a great urgency to act, while at the same time the political room for manoeuvre dwindles. The question also arises as to who is waging war against whom. Belarus against Poland, so that there is a NATO Article V case for collective defence? Or Russia against NATO? The expansion of the concept of war also dilutes the respective areas of responsibility of internal security forces and armed forces. Shouldn't the Bundeswehr then also be deployed on the German-Polish border, and shouldn’t NATO send its rapid reaction force to the Polish-Belarusian border?

Politics must draw boundaries between war and peace

The fact that the boundaries between war and peace are becoming increasingly blurred is not only due to abstract security policy developments and structural international changes, but it is also very much the result of the language and actions of political actors, including in the West. Politicians therefore have a responsibility to continue to define the boundaries between war and peace. The migration crisis on the Polish-Belarusian border is not yet a war. It cannot safely be ruled out that it will escalate militarily. However, politicians in Germany and the EU should not rhetorically pave the way for such a development and should not respond to corresponding provocations from Minsk and Moscow. They should meet the challenge posed by migration and refugees with political means – also and especially when a state uses them as a means of pressure. In addition to further economic sanctions by the EU against Belarus, the establishment of a functioning asylum policy in the European Union would be an essential step in this direction.

This text was also published by fairobserver.com.

Working toward Durable Solutions to Internal Displacement

Fri, 19/11/2021 - 01:00

In September, the United Nations (UN) Secretary-General’s High-Level Panel on Inter­nal Displacement issued its final report. In it, the Panel called for a shift in emphasis from short-term humanitarian to longer-term development-oriented approaches and thus a focus on durable solutions. The Panel’s key reform proposals – particularly the establishment of a Global Fund and the appointment of a UN Special Representative on the issue – are unlikely to receive widespread support at the international level at this point. Nevertheless, the report offers important starting points for addressing protracted internal displacement including: first, new incentive structures and account­ability mechanisms to encourage the active participation of directly affected governments; and second, the operationalisation of the Humanitarian-Development-Peace Nexus (HDP Nexus). In order to breathe life into these recommendations, the new German government should adopt an inter-agency approach to engage in the fol­low-up process of the High-Level Panel.

Foresight*: »Trump 2024« – und 2028 ff.?

Thu, 18/11/2021 - 16:00

Am 4. Juli 2026 begehen die USA den 250. Jahrestag ihrer Unabhängigkeitserklärung. Im ganzen Land drängen sich die Feiernden auf den Straßen. Die größte Party findet in Washington statt. Hunderttausende Anhänger und Anhängerinnen Präsident Donald Trumps sind in die Hauptstadt gepilgert, um ihrem Idol zu huldigen. Gegendemon­strationen werden durch ein massives Aufgebot von Polizei und Militär unterbunden. Die Lage ist hochgradig spannungsgeladen. Seit Tagen deutet Trump an, dass er am Independence Day eine historische Entscheidung bekannt geben werde. Und tatsächlich: Zunächst bringt der Präsident die Menschenmenge mit bewährten Slogans aus seinen Wahlkampagnen in Stimmung. Dann verkündet er, weitere Amtszeiten anzustreben. Zwar besage der 22. Verfassungs­zusatz, dass ein Präsident nur zweimal gewählt werden könne. Er sei aber sicher, dass sich dies ändern ließe. Daher wolle er eine Bewegung ins Leben rufen, die für die Abschaffung des Zusatzes eintrete – dies sei schließlich klar erkennbarer Volkswille. Trump fordert seine Anhängerschaft dazu auf, sich »energisch« dafür einzusetzen, dass er bei den 2028 anstehenden Präsidentschaftswahlen antreten kann. Viele Beob­achter im In- und Ausland sind entsetzt. Die angekündigte Amtszeitentgrenzung lässt sie um das Schicksal der Demokratie in Amerika bangen.

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