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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 17 hours 17 min ago

Die Nato und Europas Verteidigung: Veränderung über Institutionen hinweg denken

Mon, 23/12/2019 - 00:00

»Wenn Du nicht mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis« – so in etwa wirkt die Reaktion der Nato auf die Fundamentalkritik des französischen Präsidenten Macron, der dem Bündnis im November den Hirntod bescheinigt hatte. Empört widersprachen damals fast alle Alliierten und gaben glühende Bekenntnisse zur Nato ab. Ebenso drückten sich fast alle aber auch vor einer Antwort auf die Frage des französischen Präsidenten: Ist das überhaupt noch eine echte Allianz? Militärisch funktioniere die Nato zwar, so Macron, aber politisch eben nicht: Die politisch-strategischen Interessen der Alliierten drifteten immer weiter auseinander, ob zu Russland oder Terrorismus, auch seien einige Nato-Mitglieder koordinationsunwillig und unternähmen, wie die USA oder die Türkei, Alleingänge ohne Rücksicht auf andere Alliierte.

Da ein Treffen zum 70. Geburtstag der Allianz kurz bevorstand, fürchteten viele Staaten, dass öffentliche Streitereien die Feier sprengen würden. Außenminister Heiko Mass hatte daraufhin die rettende Idee: eine Expertenkommission, die Vorschläge entwickelt, wie die Nato wieder zum Ort der politischen Debatte wird. Der Vorschlag rettete die Nato-Feier. In der Abschlusserklärung wurde der Generalsekretär beauftragt, Vorschläge für einen »vorwärts gewandten Reflexionsprozess« zur Stärkung der politischen Dimension der Nato zu unterbreiten.

Optionen für einen NATO-Reflexionsprozess in der Diskussion

Die Frage ist nun: Was macht die Nato damit? Tatsächlich eröffnet der Auftrag theoretisch alle Möglichkeiten von der technischen Anpassung von Verfahren bis hin zur strategischen Debatte über die Verteidigung Europas. Mandat, Zeitplan und personelle Besetzung sind noch zu definieren, und dabei werden die Staaten eine Rolle spielen. In der aktuellen Diskussion dominieren zwei Optionen.

Erstens wird eine technische Lösung diskutiert. Hier würden sich die Verbündeten auf praktische Fragen konzentrieren, indem sie zum Beispiel neue Formate oder Verfahren für strategische Debatten erwägen. Ziel wäre es, die von Macron angesprochenen und von vielen Alliierten zumindest ansatzweise geteilten Probleme in einen internen Prozess zu übersetzen, zu kanalisieren und damit zu entschärfen. Bei diesem Ansatz ginge es mehr um Problemeinhegung als darum, die politisch-strategischen Streitthemen offen anzugehen. Denn der Nato fehlt es kaum an Formaten, sondern vielmehr an der Bereitschaft einzelner Staaten, sich abzusprechen. Politische Unterschiede gab es immer, heißt es bei einigen Alliierten, Hauptsache, die Nato funktioniert militärisch. Und eben dies sei in Gefahr, wenn öffentlich die gemeinsame politische Basis in Frage gestellt wird. Wer glaubt schon einer Gruppe zerstrittener Alliierter, dass sie militärisch füreinander einsteht? Der wenig ambitionierte technische Ansatz kann dieses Glaubwürdigkeitsrisiko begrenzen. Denjenigen, die die Meinungsverschiedenheiten beilegen möchten, bliebe die Hoffnung, dass sie sich von selbst lösen, zum Beispiel durch die Wahl eines europafreundlicheren US-Präsidenten Ende 2020.

Der Reflexionsprozess könnte, zweitens, einen politischen Fokus wählen: Die Alliierten würden dann ernsthaft über strategische Prioritäten, Probleme und die Zukunft der Nato diskutieren und versuchen, ihre Differenzen zu klären. Frankreich hat bereits Themen vorgeschlagen: strategische Stabilität in Europa; die Definition der Nato-Aufgaben mit Bezug auf Terrorismus, Russland und China; Rechte und Pflichten von Alliierten. Hier ginge es nicht mehr bloß um die Verbesserung von Abläufen, sondern um politische Grundsätze. Das Risiko liegt auf der Hand: Solche Debatten können die Unterschiede zwischen den Alliierten noch schärfer hervortreten lassen, die Fragmentierungstendenzen verstärken und die Nato letztlich lähmen. Vielen Staaten erscheint das geradezu fahrlässig für ein Verteidigungsbündnis, das sie als ihre Lebensversicherung ansehen.

Statt Vogel-Strauß-Politik Reflexion über Institutionen hinweg

Die meisten Alliierten scheinen die technische Variante zu bevorzugen, Frankreich steht mit seinem Wunsch nach einem ambitionierten Prozess ziemlich alleine da. Die Versuchung, aus Sorge um die Glaubwürdigkeit des Militärbündnisses die politisch-strategische Debatte zu vertagen, ist nachvollziehbar. Doch das Wegducken birgt Gefahren: Wenn die Probleme – sei es die Rolle der USA, der Umgang mit Russland oder nationale Alleingänge – wieder unter den Teppich gekehrt werden, drohen sie in absehbarer Zeit erneut zum Vorschein zu kommen und die Handlungsfähigkeit des Bündnisses zu unterminieren. Mindestens Frankreich wird den Finger immer wieder in die Wunde legen.

Notwendig wäre daher eine dritte Option, nämlich ein gemeinsames Nachdenken von Europäern, USA und Kanada über die Zukunft von Europas Verteidigung: Die Allianz kann diese nicht mehr alleine leisten. Sie ist auf die EU, die Nato-Staaten und private Akteure angewiesen, zum Beispiel wenn es um den Schutz kritischer Infrastrukturen oder die Stärkung gesellschaftlicher Widerstandsfähigkeit, etwa im Umgang mit Fake News oder mit Blick auf die Bewahrung offener Gesellschaften geht. Ebendies gilt für die militärische Mobilität, also die Verlegung von Streitkräften innerhalb Europas. Zudem ändert sich die geostrategische Lage: Mehr USA in und für Asien bedeutet weniger USA in Europa. Auch die transatlantische Werte- und Interessenbasis wird fragiler. Und nicht zuletzt bröckelt Europas Geschlossenheit, wie der Brexit zeigt. Wie will die Nato, wie will Europa damit umgehen? Bisher gibt es kaum Antworten auf diese Herausforderungen. Die Nato mit den USA gelten derzeit als Europas Lebensversicherung, doch wenn sich die Rahmenbedingungen fundamental ändern, muss die gesamte Verteidigung Europas neu gedacht werden. Mit welchen Partnern, in welchen Institutionen und mit welchen militärischen Fähigkeiten will Europa seine Sicherheit in Zukunft gewährleisten? Und welche Rolle wird die Nato dabei spielen?

Ein über die Institutionen hinausgehender Reflexionsprozess mit politischem Mandat wäre Neuland. Um ihn zum Erfolg zu führen, bräuchte es frische, kreative Ideen. Diese könnten von einer ebenso frischen und kreativen externen Expertengruppe kommen, die Ideen aus Europa, den USA und Kanada einbindet und Europas Verteidigung 2030 skizziert.

Unilaterale US-Sanktionen gegen Petrostaaten

Fri, 20/12/2019 - 00:00

∎ Auf dem internationalen Ölmarkt nehmen (geo-)politisch motivierte Eingriffe zu. Dies zeigt sich gerade auch am Einsatz unilateraler US-Sanktionen, mit denen Washington erdölproduzierende Länder direkt unter Druck setzen kann. Grundlage dieser Politik sind die Dominanz des Dollars in der Weltwirtschaft und die prägende Rolle im Energiemarkt, welche die Vereinigten Staaten mittlerweile erlangt haben.

∎ Verdeutlichen lässt sich der US-amerikanische Kurs an drei aktuellen Beispielen. Im Fall des Iran dient der Einsatz unilateraler Sanktionen als vorrangiges Instrument einer sogenannten Strategie des maximalen Drucks. Mit Blick auf Venezuela soll mit diesem Mittel ein Regimewechsel befördert werden. Und in Bezug auf Russland könnten verschärfte US-Sanktionen bald gravierende Auswirkungen auf die europäische Energieversorgung entfalten.

∎ Offensichtliche geopolitische Risiken werden auf dem Ölmarkt derzeit kaum oder nur sehr kurzfristig eingepreist. Es überwiegt die Sorge, dass sich die weltweite Konjunktur angesichts der massiven Handelskonflikte abschwächen wird.

∎ Die US-Fracking-Industrie hat den Ölmarkt fundamental verändert und eigentlich für mehr Wettbewerb gesorgt. Gleichzeitig aber begünstigen Washingtons Sanktionen die Politisierung des Marktes und unterminieren den Primat des Ökonomischen. Auf der systemischen Ebene wird so die Fragmentierung des Ölmarkts in Großregionen vorangetrieben (»Multipolarisierung«).

∎ Durch die Neukartierung des Ölmarkts schwinden Möglichkeiten für multilaterales Handeln. Die Europäische Union droht langfristig an Marktmacht zu verlieren und in eine Zuschauerrolle gedrängt zu werden.

∎ Bestehende Instrumente bieten europäischen Unternehmen keinen ausreichenden Schutz vor unilateralen US-Sanktionen. Die deutsche und europäische Autonomie in der Energieversorgung könnte dadurch auf absehbare Zeit empfindlich beeinträchtigt werden.

 

PD and M5S: The Italian Alliance of Convenience

Fri, 20/12/2019 - 00:00

The attempt to provoke early elections in August 2019 by the leader of the League, Matteo Salvini, unexpectedly led to a pragmatic coalition of the Five-Star Movement (M5S) and the Democratic Party (PD) and the formation of a second government under Giuseppe Conte. This government operates in a fragile political equilibrium where a fear of early elections, which could pave the way for Matteo Salvini to power, is the main stabilising factor. The pragmatic political calculation of the PD and M5S sup­ported by Matteo Renzi’s new party “Italia Viva” may be enough to maintain the coali­tion for a certain time, but it will not generate any major growth incentives for Italy, which are crucial in maintaining the sustainability of public debt.

Europe’s Third Way in Cyberspace

Thu, 19/12/2019 - 00:00

Cybersecurity has become a key issue for Europe in the global digital transformation. The EU Cybersecurity Act lays down a legal framework whose aim is to achieve global reach. Embedded in a policy that combines digital sovereignty with strategic inter­dependence, the Act could represent the gateway to a third European pathway in cyber­space, something in between the US model of a liberal market economy and the Chinese model of authoritarian state capitalism. The Cybersecurity Act will be a bind­ing framework for action and provide a tailwind for German cybersecurity policy.

Das »window of opportunity« in Korea schließt sich

Thu, 19/12/2019 - 00:00

Trotz eines weiteren persönlichen Treffens zwischen Donald Trump und Kim Jong Un im Juni und einer neuerlichen Begegnung auf Arbeitsebene zwischen Vertreterinnen und Vertretern beider Länder im Oktober liegen die Positionen Pyongyangs und Washingtons im Hinblick auf eine Denuklearisierung Nordkoreas nach wie vor weit auseinander. Eine Verständigung über zentrale Fragen, zum Beispiel darüber, was Denuklearisierung genau bedeuten und wie der zukünftige Verhandlungs­prozess ablaufen soll, setzt jedoch voraus, dass es ausreichend Raum für flexible Diplomatie und auf allen Seiten den entsprechenden politischen Willen gibt. Auch Europa sollte aktiv auf eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen der internationalen Gemeinschaft und Nordkorea hinarbeiten. Denn die politischen Rahmenbedingungen in Pyongyang und Washington lassen erwarten, dass sich das gegenwärtige »window of opportunity« für eine Lösung der Nuklearfrage im kommenden Jahr wieder schließen und Nord­korea sein selbstauferlegtes Moratorium für Nuklear- und Interkontinental­raketentests wieder aufheben könnte.

Aung San Suu Kyi at the International Court of Justice

Wed, 18/12/2019 - 00:00

The recent decision by The Gambia to file a genocide case against Myanmar at the International Court of Justice (ICJ) has directed international attention again towards Rakhine State in western Myanmar, where the Rohingya people have faced discrimi­nation and persecution for decades. What took many observers by surprise was the announcement by State Counsellor Aung San Suu Kyi that she would be travelling to The Hague to personally “defend the national interest” and thus, by extension, the actions of her former nemesis. After all, she had enjoyed broad international support precisely for her role as leader of the National League for Democracy (NLD) and her democratic, non-violent opposition against the military dictatorship. These develop­ments, we argue, must be understood against a wider rollback of the democratisation process. The rollback is at least partly being orchestrated by Aung San Suu Kyi and the NLD, and it could bode ill especially for the ethnic minorities in the country.

Chinas gelenkte Erinnerung

Wed, 18/12/2019 - 00:00

Im Jahr 2019 erinnert China in mehreren runden Jahrestagen an politisch bedeut­same Ereignisse seiner jüngeren Geschichte: die 4.‑Mai-Bewegung (100 Jahre), die Grün­dung der Volksrepublik China (70 Jahre), den Tibetaufstand (60 Jahre), den Beginn der Reform- und Öffnungspolitik (40 Jahre) und das Massaker auf dem Tiananmen-Platz (30 Jahre). Wie China dieser Ereignisse offiziell gedenkt – oder eben nicht gedenkt –, wiegt für das Land innen- und außenpolitisch schwer. Die staat­licherseits konstruierte Deutung der Geschichte richtet sich als Macht­anspruch nicht nur an die eigene Gesellschaft, sondern auch an die mit China inter­agieren­den aus­ländischen Partner, insbesondere Regierungen und Unternehmen. Das Ver­schweigen problematischer Geschehnisse der Vergangenheit ist nicht zuletzt des­halb bedenk­lich, weil es die Gefahr erhöht, dass sich historische Fehler wiederholen.

»America First« – Wie Präsident Trump das Völkerrecht strapaziert

Wed, 11/12/2019 - 00:00

∎ Unter Präsident Donald J. Trump und seiner »America First«-Politik ist die Haltung der USA gegenüber multilateralen Institutionen und Prozessen ablehnender und aggressiver geworden. Dies erschwert die Bemühungen Deutschlands um eine starke regelbasierte internationale Ordnung.

∎ Völkerrechtliche Erwägungen spielen für Präsident Trump bei vielen wichtigen außenpolitischen Entscheidungen keine Rolle. Das aktuelle Vorgehen der USA im Hinblick auf den Nahostkonflikt offenbart dies besonders deutlich.

∎ Auch in anderen Zusammenhängen zeigt sich, dass die USA unter Präsident Trump keinen besonderen Wert darauf legen, sich zu völker­rechtlichen Aspekten ihrer Politik zu äußern. Wo die Legitimität außen­politischen Handelns in Frage steht und idealerweise mit dem Verweis auf völkerrechtliche Normen und Prinzipien untermauert werden sollte, be­ruft sich die Trump-Administration meist allein auf nationale Inte­ressen.

∎ Vor diesem Hintergrund fällt es Rivalen wie China und Russland leichter, das Verhalten der USA gerade in Fragen von Souveränität, Intervention und militärischer Gewaltanwendung juristisch substantiiert zu kritisieren. Umgekehrt werden es die USA künftig schwerer haben, ebendiese Staaten für illegale Handlungen in die Schranken zu weisen und dabei als glaubwürdiger Verfechter des Völkerrechts aufzutreten.

The United States and Israel: The Risk of Growing Apart

Tue, 10/12/2019 - 00:00

United States Secretary of State Mike Pompeo’s assertion that “the establishment of Israeli civilian settlements in the West Bank is not per se inconsistent with inter­national law” is merely the latest example of how US and Israeli policies have marched almost in lockstep since Donald Trump’s inauguration as president. However, the United States and Israel have shared an intense and intimate relationship that long predates the Trump Administration and goes beyond the chemistry of individual leaders. In many respects, in fact, that relationship is unique in American foreign rela­tions and uniquely critical to Israeli security. It is grounded in a shared narra­tive of biblically inspired frontier societies that have gathered in immigrants and refu­gees, tamed the wilderness, and built liberal democracy. This explains the broadly recep­tive environment in the United States for the message of US-Israeli commonality. Never­theless, the durability of the relationship is not guaranteed. If the societies and politi­cal cultures of the two countries either continue to develop along parallel, illiberal lines or shift simultaneously in a more liberal direction, the connection be­tween them will be preserved, or even strengthened. However, if they diverge, and especially if Israel maintains its rightward drift while America moves in an opposite direction, the normative foundation of the relationship will erode, with ominous implications for Israel.

Alternatives to Refugee Camps

Mon, 09/12/2019 - 00:00

More and more people are forcibly displaced for longer and longer. An increasingly large number of them find refuge in cities instead of camps. Although this offers opportunities for local integration, it places a heavy burden on city administrations and rarely corresponds to the wishes of host governments, who usually prefer for­cibly displaced people to stay in camps outside cities. Even humanitarian organisations, such as the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), are often overwhelmed by urban refugee situations. In view of this, at the first Global Refugee Forum in Geneva on 17–18 December 2019, the German government should work to ensure that good practices for supporting affected cities are adapted and that new approaches are created.

Was hat organisierte Kriminalität mit Terrorismus zu tun?

Fri, 06/12/2019 - 00:00

Der amerikanische Präsident Donald Trump will mexikanische Drogenkartelle als terroristische Organisationen einstufen lassen. Der entsprechende Prozess sei bereits eingeleitet, verkündete er vergangene Woche in einem Interview. Zur Begründung verwies Trump auf die große Zahl an Drogentoten in den USA und die Gewaltopfer der Kartelle, darunter die kürzlich in Mexiko getöteten neun amerikanischen Mitglieder einer Mormonengemeinde.

Einige kriminelle Organisationen wenden gewalttätige Methoden an, die denen von Terrorgruppen ähneln. Gewaltakte wie Bombenanschläge machen kriminelle Vereinigungen aber nicht automatisch zu Terrororganisationen. Sie gleichzusetzen, ist vor allem aus drei Gründen nicht nur fragwürdig, sondern kontraproduktiv.

Kriminelle und terroristische Motive bleiben unterschiedlich

In der Debatte um einen Nexus von organisierter Kriminalität und Terrorismus spielen die Methoden und Motive der Täter eine zentrale Rolle. Besonders nach 9/11 verstärkte sich die Befürchtung, dass kriminelle und terroristische Organisationen schlagkräftige Verbindungen eingehen könnten, gerade dort, wo Staaten schwach sind. Tatsächlich finden sich aber kaum länger andauernde, »strategische« Allianzen. Dagegen zeigen sich Schnittstellen in der Logistik und Finanzierung islamistischer Terrororganisationen, wenn kriminelle Netzwerke ihnen beispielsweise Waffen liefern oder gefälschte Pässe bereitstellen. Seit dem Ende des Kalten Krieges finanzieren sich nichtstaatliche Gewaltakteure verstärkt aus dem illegalen Handel, seiner »Besteuerung« oder durch Kidnapping in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Auch von den USA als terroristisch eingestufte Organisationen wie Al Qaida, der sogenannte Islamische Staat und ihre regionalen Ableger haben von Aktivitäten wie Ölschmuggel und Drogenhandel profitiert.

Solche Bezüge sind mit Blick auf mögliche Gegenmaßnahmen relevant, verändern aber nicht die Ziele und Motive terroristischer Organisationen. Umgekehrt mögen kriminelle Gruppen wie die Kartelle in Mexiko politischen Einfluss anstreben, wollen damit aber in der Regel ihre Geschäfte sichern. Ihr grundlegendes Motiv ist die Profitmaximierung, nicht eine politische Agenda. In einigen sehr gewaltsamen Kontexten, wie etwa in Mali, finden sich zwar Gruppierungen, bei denen kaum noch zwischen politisch motiviertem Terrorismus und profitgetriebener organisierter Kriminalität unterschieden werden kann. In Mexiko dürfte das aber weniger eine Rolle spielen und wird auch nicht zur Begründung des amerikanischen Vorhabens angeführt. Trumps geplanter Schritt scheint einem anderen Kalkül zu folgen.

Das  »Etikett« bestimmt die Gegenmaßnahmen

Organisierte Kriminalität und Terrorismus unterscheiden sich nicht nur semantisch, sondern die Kategorisierung als das eine oder das andere zieht bestimmte Maßnahmen nach sich. Auch wenn Präsident Trump, wie einige Beobachter vermuten, mehr an seiner Wiederwahl als an einer echten Lösung interessiert ist, geht es bei dem angestrebten Schritt nicht nur um Symbolik.

Schon frühere US-Administrationen hatten erwogen, die Drogenkartelle als Terrororganisation einzustufen, um mit größeren Ressourcen gegen sie vorgehen zu können. Darüber hinaus lässt sich gegenüber Terrorgruppen ein robusteres, oft militärisches Vorgehen leichter rechtfertigen. Unter dem Schlagwort des amerikanischen »War on Drugs« (Krieg gegen Drogen) erwies sich ein solches zwar bereits als eher kontraproduktiv. Dennoch hat es Präsident Trump explizit ins Gespräch gebracht und so die Furcht vieler Beobachter in Mexiko vor einer Intervention des amerikanischen Militärs verstärkt.

Ansätze zur Bekämpfung von Terrorgruppen wie auch von organisierter Kriminalität, beispielsweise die gezielte Verfolgung von Führungspersonen, wurden ohnehin auch in Mexiko bereits genutzt. Und so ist es unwahrscheinlich, dass neue Ansatzpunkte, die mit einer Umetikettierung der Drogenkartelle in terroristische Organisationen einhergehen, sowohl den grenzüberschreitenden Drogenhandel als auch die massive Gewalt in Mexiko wirklich eindämmen können.

Das Umfeld ist entscheidend

Kriminelle Akteure, die Gewalt und teilweise auch territoriale Kontrolle ausüben, sind besonders sichtbar. In der Regel sind sie aber in eine weit verzweigte politische Ökonomie eingebettet, in der mitunter auch Behörden und Sicherheitskräfte mit kriminellen Interessen verflochten sind — so auch in Mexiko. Der alleinige Fokus auf die Organisationen, ob als kriminell oder terroristisch eingestuft, kann den Blick auf dieses Umfeld verstellen. Zwar sind gezielte Maßnahmen der Strafverfolgung gegen konkrete Personen und Organisationen wichtig, in Kontexten mit starker Gewalt aber oftmals schwierig. Es gilt, beim Umfeld und den Bedingungen von organisierter Kriminalität anzusetzen. Den sichtbaren Teilen problematischer lokaler Macht- und Geschäftsstrukturen einfach das Label des Terrorismus anzuheften, greift zu kurz.

Bei transnationaler Kriminalität, wie im Fall von Mexiko, bedarf es ohnehin Maßnahmen über einzelne Länder hinaus. Denn zum einen werden Angebot und Nachfrage nach Drogen wie Kokain überwiegend anderswo bestimmt. Zum anderen ist der Drogenhandel mit weiteren Straftaten wie illegalen Waffengeschäften und Finanztranskationen verbunden. So übersieht auch Präsident Trump, dass nicht nur Drogen über die US-mexikanische Grenze gelangen. Für eine wirkungsvolle Bekämpfung verschiedener krimineller und auch terroristischer Aktivitäten über Staatsgrenzen hinweg kommt es letztlich auf das Zusammenwirken der Politik und Behörden aller betroffenen Seiten an. Daran ändert auch eine Umbenennung des Problems nichts.

The European Commission’s Enhanced Rule of Law Mechanism

Thu, 05/12/2019 - 00:00

The new European Commission has signaled its commitment to advance the work of its predecessor in asserting European Union (EU) authority to prevent – and, if necessary, respond to – breaches in the rule of law by member states. A new toolbox of measures to accomplish this aim would build upon the Rule of Law Framework, adopt­ed in 2014, and rulings by the Court of Justice of the European Union (CJEU) requiring compliance by member country courts and judicial systems with EU legal principles of judicial independence and separation of powers. The first two principal aims of the reinforced toolbox of measures are to foster, through public outreach, a rule of law culture across the EU, and to expand the scope of monitoring and report­ing to all member countries while deepening the Commission’s institutional expertise to achieve a timely and detailed understanding of developments. The third aim is to reinforce the leverage of the EU to respond in cases where there is serious deviation from rule of law norms. This latter aspect of the reinforced “toolbox” includes adopt­ing a strategic approach to bringing anti-infringement cases to the CJEU and the intro­duction of rule of law conditionality to EU funding in member countries.

The Expansion of Frontex

Thu, 05/12/2019 - 00:00

Strengthening external border management remains the lowest common denomina­tor among Member States of the European Union (EU). Plans to expand the European Border and Coastguard Agency (Frontex) were formally adopted at the beginning of November. However, they will do little to meet the most pressing challenges of the EU’s migration policy. The goal of placing 10,000 border guards under the command of Frontex can only be achieved in the medium term. While some EU Member States currently use illegal practices to secure their national borders, Frontex is increasingly subject to legal controls; operational missions are only possible by invitation from the country of deployment. Without violating legal principles, Frontex alone will not be able to accelerate the return of those who are the subject of removal orders from the EU. Nevertheless, the forthcoming Frontex reform will provide some additional tech­nical value for securing the EU’s external borders. Under changed political circumstances, the agency may be a pioneer for more European and operational security cooperation.

Ways Out of the WTO’s December Crisis

Wed, 04/12/2019 - 00:00

The World Trade Organization (WTO) is facing the biggest crisis since its inception in 1995. From 11 December, the committee that deals with WTO members’ appeals, the Appellate Body, will be left with only one judge. New appointments have been blocked by the United States. This will incapacitate the Body because the minimum require­ment for any decision is three judges. What seems to be a mere procedural issue will result in major disruptions for international trade relations and might ultimately lead to the unravelling of the existing global trade order. The EU and like-minded part­ners have three options to cope with the situation and to safeguard the WTO’s role in trade dispute settlement. The EU and its partners could either endure the stale­mate while aiming for a broader WTO reform. Or the EU could strive for an alter­native appeals mechanism within the WTO, as an interim solution. The third option would be to seek dispute settlements outside of the WTO. None of the options comes without risk of failure since there is uncertainty about the US endgame, and each move could deliver proof for the US that the WTO no longer serves its interests.

Kein lateinamerikanischer Frühling

Mon, 02/12/2019 - 00:30

Friedliche Demonstrationen und gewaltsame Ausschreitungen in mehreren Ländern der Region machen Schlagzeilen in den nationalen und internationalen Medien. Schnell ist vom »Aufruhr in ganz Lateinamerika« die Rede; oft werden Parallelen gezogen zu den Aufständen in der arabischen Welt, die Ende 2010 einsetzten. Über­generalisie­run­gen und vorschnelle Analogien lenken indes von einem differenzierten Verstehen ab. Eine Einordnung der Fälle und die Suche nach einem Ausweg aus den verschiedenen Krisen erfordern, dass nicht nur (gemeinsame) sozioökonomische Pro­bleme, sondern auch (unterschiedliche) gesellschaftliche und politische Faktoren in die Analyse ein­bezogen werden. Ein systemischer Blick auf die aktuellen Konflikte, insbesondere der Vergleich zwischen Bolivien und Chile, zeigt, wie aus unterschied­lichen Gründen politische Stabilität zur Starre werden und dann explosionsartig zerbrechen kann.

Die Evangelikalen und die Politik in Brasilien

Mon, 02/12/2019 - 00:00

∎ Seit den 1970er Jahren vollzieht sich in Lateinamerika ein religiöser Wandel: Der Anteil der Bevölkerung katholischen Glaubens geht stark zurück, der evangelikalen Glaubens nimmt rasant zu. Beide Entwick­lungen sind miteinander kausal verknüpft.

∎ Im Zuge dieser demographischen Transformation büßt die katholische Kirche ihre besondere Stellung in der Gesellschaft und ihren privilegierten Zugang zur Politik ein. An ihre Stelle tritt eine Großzahl vielfältiger und autonomer evangelikaler, vor allem pfingstkirchlicher und neo-pfingst­kirchlicher Kirchen.

∎ Dass die evangelikalen Kirchen ein so großes soziales Gewicht bekommen, hängt unter anderem mit ihrer Bedeutung als »Problemlöserinnen« in prekären Gesellschaftssektoren zusammen. Dieses Engagement dehnen die Glaubensgemeinschaften in wachsendem Maße auf den Bereich der Politik aus.

∎ In Brasilien kommt die Steigerung sozialer Relevanz und politischer Macht der evangelikalen Kirchen in besonders markanter Weise zum Vorschein: Seit dem 1. Januar 2019 führt mit Jair Messias Bolsonaro ein ehemaliger Militär die Regierungsgeschäfte, der sich von einem evangelikalen Pastor im Jordan taufen ließ.

 

Russland und die VN-Agenda »Frauen, Frieden, Sicherheit«

Thu, 28/11/2019 - 00:00

Am 29. Oktober 2019 fand im VN-Sicherheitsrat die jährliche offene Debatte über die VN-Agenda 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit statt. Ziel der Agenda ist es unter anderem, Frauen an Friedens- und Sicherheitsmaßnahmen stärker zu beteiligen, ihre Rechte zu schützen und ihre Sichtweisen systematisch in die Bearbeitung von Konflik­ten einzubeziehen. Die Russische Föderation, ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, hat sich als 1325-Skeptikerin erwiesen. Dabei ist sie in viele internationale Konflikte involviert; folglich gäbe es zahlreiche Anknüpfungspunkte, die Agenda umzusetzen. Deutschland stehen Möglichkeiten offen, die Implementierung in Russland zu unter­stützen und so den geschlechtsspezifischen negativen Auswirkungen der Konflikte entgegenzuwirken, an denen der Kreml beteiligt ist.

Alternativen zu Flüchtlingslagern

Thu, 28/11/2019 - 00:00

Immer mehr Menschen sind immer länger auf der Flucht. Dabei findet eine zunehmend größere Zahl von Menschen in Städten statt in Lagern Zuflucht. Das birgt zwar Chancen für lokale Integration, belastet aber die Stadtverwaltungen stark und entspricht selten den Wünschen der Regierungen von Aufnahmeländern, die meist eine Unterbringung in Lagern außerhalb von Städten bevorzugen. Auch humanitäre Orga­nisationen – wie das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) – sind mit urbanen Fluchtsituationen häufig überfordert. Angesichts dessen sollte sich die Bundesregierung anlässlich des ersten Globalen Flüchtlingsforums am 17./ 18. Dezember 2019 in Genf dafür einsetzen, dass bewährte Ansätze zur Unter­stützung betroffener Städte angepasst und neue Ansätze geschaffen werden.

International Schemes, Libyan Realities

Mon, 25/11/2019 - 00:00

Almost eight months into the offensive on Tripoli by Khalifa Haftar’s “Libyan Arab Armed Forces” (LAAF), the war shows no signs of abating. Ongoing diplomatic efforts are divorced from realities on the ground. The current balance of forces rules out any possibility for a return to a political process. This would require either robust inter­national guarantees or a fragmentation of both opposing camps. As long as Haftar has the chance to advance in Tripoli, he and his foreign supporters will view negotia­tions as a tactic to divide his opponents and move closer to seizing power. To create the conditions for negotiations, Western states should work to weaken Haftar’s alliance – and ultimately to prepare the post-Haftar era.

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