Am 1. Januar 2023 hat Deutschland den G7-Vorsitz an Japan übergeben. Für ihr Präsidentschaftsjahr hatte sich die Bundesregierung eine progressive Agenda vorgenommen, die jedoch früh vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine überlagert wurde. Dennoch sind einige materielle Erträge zu verzeichnen, darunter der Klimaclub. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen lässt sich zwar noch nicht prüfen; sehr wohl kann aber die Kriseneffektivität der G7 beurteilt werden, ebenso wie die Frage, wie legitim sie regiert. Die Kritik an mangelnder Legitimität des globalen Regierens durch informelle Foren (Club Governance) ist nicht neu. Sie macht sich daran fest, dass die von wenigen Regierungen initiierten Vorhaben sich auf eine Vielzahl von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren auswirken, die auf den Politikprozess kaum Einfluss nehmen können. Selektive Partizipation, mangelnde Transparenz und fehlende Rechenschaft sind Kritikpunkte, die häufig gegen Club Governance vorgebracht werden. In diesen drei Dimensionen wie auch mit Blick auf die Kriseneffektivität schneidet die G7 recht gut ab.
Im Sommer 2022 haben die Europäische Union (EU) und Indien erneut Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufgenommen, um ihre strategische Partnerschaft zu vertiefen. Darüber hinaus verhandeln die beiden Seiten über ein Investitionsschutzabkommen sowie ein Abkommen zum Schutz geographischer Herkunftsangaben. Die EU möchte damit ihre Beziehungen zu den Staaten im Indo-Pazifik diversifizieren und unterstreicht Indiens herausgehobenen Stellenwert. Indien will durch die Kooperation mit der EU seine wirtschaftliche und technologische Modernisierung vorantreiben, die für die angestrebte größere internationale Rolle des Landes unabdingbar ist. Anders als die 2013 gescheiterten Gespräche sind die jetzigen Verhandlungen von dem Paradox gekennzeichnet, zugleich einfacher und komplizierter zu sein. Sie sind einfacher, weil die EU und Indien heute in geopolitischen Fragen vor allem mit Blick auf China mehr Übereinstimmung haben als je zuvor. Sie sind aber auch komplizierter, weil der Erfolg der Verhandlungen weiterhin von schwierigen Zugeständnissen auf beiden Seiten abhängt. Doch erneut zu scheitern ist weder für Indien noch für die EU mit Blick auf die Zukunft ihrer strategischen Partnerschaft eine Option.
Even though the six Western Balkan countries (WB6) have close political ties with the EU, their alignment with the EU’s Common Foreign and Security Policy (CFSP) has increasingly come into focus since the beginning of the Russian war of aggression in Ukraine. The EU should take a differentiated view of the WB6’s political and security cooperation with external actors such as Russia, China and Turkey. Within the WB6, the two “outliers” of Serbia and Bosnia-Herzegovina’s Republika Srpska use their foreign and security relations with Russia to achieve their own political goals. While Serbia seeks support for its Kosovo policy, Republika Srpska is trying to get backing for its separatist tendencies. The WB6 are not expected to end their cooperation with the aforementioned external actors in the near future. Nonetheless, in today’s shifting geopolitical arena, the EU must set priorities that bind the WB6’s outliers to the CFSP.
Nearly a year after its formation, the Nation Alliance, consisting of six opposition parties (“Table of Six”), finally started to act like a full-fledged electoral alliance against the ruling bloc under President Recep Tayyip Erdoğan. The six opposition leaders have long been criticised for failing to take concrete steps towards embodying a viable political alternative to the People’s Alliance of the ruling Justice and Development Party (AKP) and the Nationalist Movement Party (MHP) since they publicly signed the joint manifesto for Turkey’s transition into the “Strengthened Parliamentary System” in February 2022. Although the alliance has yet to announce its joint presidential candidate, it has manifested an unprecedentedly comprehensive joint platform in nine policy areas, including the rule of law, public administration, social policy, economy, and foreign policy. The 200-page joint document provides a comprehensive overview of what changes Turkey can be expected to go through in the short and medium terms should the Nation Alliance manage to defeat President Erdoğan’s ruling bloc in the upcoming elections, which will probably take place on 14 May 2023. Even though it would not immediately offer a solution to various issues in Turkey–EU relations, a possible opposition victory could bring bilateral relations back to an institutional framework, whereby both parties can cooperate in a productive way to work out their problems and focus on common interests.
Angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine und der gefährdeten Energieversorgung Europas gewinnt der östliche Mittelmeerraum wieder an politischer Aufmerksamkeit. Im Fokus stehen dabei einerseits bisher unerschlossene Erdgasvorkommen und andererseits Perspektiven für eine zukünftige Versorgung mit grünem Strom und Wasserstoff. Doch die Konflikte Griechenlands und der Republik Zypern mit der Türkei bedrohen die Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Die EU steht vor einer dreifachen Herausforderung: Sie muss das kurzfristige Problem der Energiesicherheit mit der langfristigen Aufgabe der Energiewende zusammendenken, ihren beiden Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern zur Seite stehen und gleichzeitig prüfen, inwieweit eine Einbindung der Türkei in laufende und künftige Projekte der regionalen Energiekooperation gelingen bzw. deeskalierend wirken kann.
In dieser Woche kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem außerordentlichen Gipfel in Brüssel zusammen. Ein Anlass sind die wieder steigenden Flüchtlingszahlen über das Mittelmeer und die Balkanstaaten. Zugleich werden die Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen durch den russischen Angriffskrieg weiterhin stark in Anspruch genommen. Aber auch innenpolitische Veränderungen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten haben dazu geführt, dass Forderungen nach mehr Abschiebungen von nicht Schutzbedürftigen nun ganz oben auf der Agenda stehen.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Rückkehrer aus der EU in ihre Heimatländer deutlich gesunken. Als zentrales Problem gilt die fehlende Bereitschaft der Herkunftsländer, ihre Staatsbürgerinnen und -bürger zurückzunehmen. Deshalb hat die EU bereits 2019 den sogenannten Visahebel eingeführt. Danach soll die EU-Kommission regelmäßig die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei der Rückübernahme überprüfen. Ist sie der Auffassung, dass ein Land nicht in ausreichendem Maße kooperiert, kann sie dem Rat der Innenminister vorschlagen, die legale Einreise aus dem betreffenden Land zu erschweren, beispielsweise durch höhere Visumgebühren, Verlängerung der Bearbeitungszeit oder Verkürzung der Gültigkeitsdauer. Die Verschärfungen sollen auch die Eliten des Herkunftslandes zu spüren bekommen.
Das Problem mit dem Visahebel
Dieser Ansatz geht auf informelle Praktiken einiger EU-Staaten zurück. So hatte Frankreich 2021 die Visavergabe gegenüber Maghreb-Staaten zeitweise eingeschränkt. Da jedoch Schengen-Visa nach gemeinsamen Kriterien vergeben werden sollen, ist ein solcher Alleingang problematisch. Auf EU-Ebene wurde der Visahebel bislang nur zurückhaltend eingesetzt. Einige Monate vor Frankreichs Maßnahmen hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, Visabeschränkungen gegen Bangladesch, Gambia und Irak einzuleiten. Der EU-Innenministerrat beschloss diese dann aber nur für Gambia. Unter anderem wurde die Bearbeitungszeit für Visa auf 45 Tage verdreifacht und die Visumsgebühr auf 120 Euro verdoppelt.
Es ist kein Zufall, dass der Visahebel zunächst nur bei einem kleinen Land wie Gambia angewendet wurde. In anderen Fällen sind die EU und ihre Mitgliedstaaten oft in einer weit schwächeren Verhandlungsposition und auf andere Formen der Zusammenarbeit angewiesen. So musste 2021 der Irak eingebunden werden, um die zynische Politik des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko zu stoppen, der Schutzsuchende – vorrangig Kurden aus dem Nordirak – nach Belarus eingeladen hatte, um sie dann an die EU-Außengrenze zu treiben. Spanien wiederum vollzog kürzlich eine außenpolitische Wende und erkennt nun die umstrittene Herrschaft Marokkos über die Westsahara an, damit weniger irreguläre Zuwanderer auf spanisches Gebiet gelangen. Und Italien zieht alle Register, um die migrations- und energiepolitische Zusammenarbeit mit Libyen auszubauen.
Umfassende Migrationspartnerschaften als AlternativeMeistens sitzt die EU bei der Migrationssteuerung eben nicht am längeren Hebel. Deshalb sollte sie vorrangig an den Interessen der Herkunftsländer ansetzen. Hierzu gehören vor allem Migrationspartnerschaften. Der Vorschlag ist zwar nicht neu. Allerdings fokussieren sich alle dazugehörigen Vorschläge der EU-Kommission seit 2007 auf die Reduzierung irregulärer Wanderung. Entwicklungspolitische Aspekte kommen zu kurz, und die bisherigen Partnerschaften enthalten kaum Angebote zur Förderung geregelter Migration und Mobilität. Ohnehin setzten sich die EU-Staaten nicht wirklich für die Umsetzung der Partnerschaften ein.
Eine gemeinsame europäische Linie, die nicht nur auf Abschottung setzt, bleibt aber sinnvoll und notwendig. So hat die große Fluchtbewegung aus der Ukraine die Mitgliedstaaten zwar in unterschiedlicher Art und ungleichem Umfang betroffen. Sie konnte aber durch die Entscheidung für einen einheitlichen und schnellen Schutzstatus bisher bewältigt werden. Alle Erfahrungen seit 2016 zeigen, dass der nationale Überbietungswettbewerb an Härte nicht weiterführt, denn der Wiederanstieg der Zuwanderung von Schutzsuchenden über das Mittelmeer und dem westlichen Balkan ist primär durch Konflikt- und Notlagen wie in Afghanistan geprägt. In solche Länder kann aus rechtlichen und praktischen Gründen ohnehin nicht zurückgeführt werden. Zudem spüren alle EU-Staaten den Arbeitskräftemangel, der eine andere Einwanderungspolitik verlangt.
Der Europäische Rat wird leider nicht von dieser Einsicht geleitet. Zu erwarten ist, dass die Regierungschefs mehr Rückführungen und die Nutzung von Druckmitteln wie dem Visahebel priorisieren. Dies wird in der Praxis kaum weiterführen. Stattdessen sollten Alternativen vorangetrieben werden, eventuell in kleineren Koalitionen von Mitgliedstaaten. Am Anfang sollte der systematische Austausch mit den Herkunftsländern über ihre Interessen stehen. Dann könnten passende migrationspolitische Instrumente ausgewählt werden, zum Beispiel Ausbildungsprojekte, Hilfen für den Verwaltungs- und Kapazitätsaufbau, eine Rückkehrunterstützung und Reintegrationsmaßnahmen. Vor allem müssen Möglichkeiten für die legale Ausbildungs- und Arbeitsmigration endlich über das Stadium von Pilotprojekten hinausgehen.
Solche Abkommen müssen nicht zwingend EU-Abkommen sein; sie könnten auch bilateral geschlossen werden. Den Rahmen könnte jeweils eine Absichtserklärung bilden, in der Elemente mit bindendem Rechtscharakter aufgeführt werden – etwa ein Rückübernahme-Übereinkommen sowie Abkommen über Praktika und Arbeitsmigration. Möglich wären aber auch zusätzliche und eventuell von einzelnen Ressorts finanzierte Vorhaben wie Grenzsicherung, Reintegrationsprogramme, Kapazitätsaufbau und Ausbildungsprogramme vor Ort. Die Abkommen müssten regelmäßig überprüft werden.
Natürlich können auch solche Migrationspartnerschaften nicht alle Probleme lösen, aber sie verbessern die Zusammenarbeit und tragen zu einer auch menschlich korrekten Rückkehrpolitik bei – vor allem wenn Reintegrationsprojekte fester Bestandteil sind. Die Erfahrungen der Schweiz mit ihren bisherigen acht Migrationspartnerschaften zeigen, dass solche Ansätze funktionieren können. Und die Chancen für solche zukunftsweisenden Ansätze sind in Deutschland kürzlich deutlich gestiegen. Seit Anfang Februar hat die Bundesregierung einen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen – ein Amt, dass es bislang nicht gab.
Deutschland unterstütze die Ukraine durch Waffenlieferungen bei der Ausübung ihres individuellen Rechts auf Selbstverteidigung gegen den von Russland geführten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, werde dadurch aber nicht zur Kriegspartei. So lautet die Position der Bundesregierung. In völkerrechtlicher Hinsicht stellt sich jedoch die Frage, wann das Unterstützen in einem bewaffneten Konflikt in eine indirekte Gewaltanwendung umschlägt. Dann müsste nämlich das kollektive Selbstverteidigungsrecht in Anspruch genommen werden. Und man könnte sich kaum mehr darauf berufen, nicht Konfliktpartei zu sein. Doch das ius contra bellum und das humanitäre Völkerrecht geben keine eindeutigen Antworten darauf, wann die betreffenden Schwellen überschritten sind.