Die heutige Entscheidung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB), die Leitzinsen erneut zu senken, kommentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:
Die Zinssenkung der EZB wurde so erwartet und ist das Resultat einer sich weiter abschwächenden Wirtschaft im Euroraum. Die zentrale Frage ist, ob und um wie viel die EZB die Zinsen weiter senken muss, um ihr Ziel der Preisstabilität weiterhin zu erfüllen und die schwache Wirtschaft besser zu unterstützen.
EZB-Präsidentin Lagarde hat sich zu dieser Frage bedeckt gehalten, obwohl ein klares Signal für weitere Zinssenkungen die Finanzierungbedingungen verbessert hätte, was viele willkommen geheißen hätten. Die Entwicklung der Preise und der Wirtschaft lassen weitere Zinssenkungen um 50 Basispunkte bis zum vierten Quartal dieses Jahres notwendig erscheinen, zumal die EZB ihre Inflationsprognose für 2026 auf 1,6 Prozent gesenkt hat, was deutlich unter dem Preisstabilitätsziel liegt.
Die Inflation und ihre Komponenten haben sich in den vergangenen Monaten weiter reduziert oder stabilisiert. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit und die Wirtschaft des Euroraums schwächt sich weiter ab. Das geringere Wachstum ist nicht primär das Resultat externer Faktoren, wie des Handelskonflikts, sondern beruht auf fehlendem Vertrauen und unzureichenden Reformen innerhalb des Euroraums. Die zusätzlichen Ausgaben für Verteidigung und Investitionen werden dagegen erst in der mittleren Frist ihre volle Wirkung entfalten können.
US-Präsident Donald Trump hat über soziale Medien angekündigt, die Zölle auf Waren aus der EU ab 1. Juni 2025 auf 50 Prozent zu erhöhen. DIW-Präsident Marcel Fratzscher kommentiert diese Ankündigung wie folgt:
Die Strategie der EU-Kommission und Deutschlands im Handelskonflikt mit Trump ist krachend gescheitert. Es handelt sich um ein vorhersehbares Scheitern: US-Präsident Trump interpretiert Europas Zaudern, Zögern und Nachgeben als Schwäche, was es auch tatsächlich ist. Europa hätte schon längst den Multilateralismus und die globale Zusammenarbeit entschlossen verteidigen müssen – und muss es weiterhin tun. Bisher hat Europa China und viele andere Länder im Widerstand gegen Trumps irrwitzigen Handelskonflikt im Stich gelassen, anstatt gemeinsam eine einheitliche Front zu bilden. Das fällt Europa nun auf die Füße: Die meisten anderen großen Volkswirtschaften haben bereits ein Abkommen mit Trump geschlossen oder stehen kurz davor. Europa kann jetzt nicht mit Solidarität rechnen und befindet sich in einer denkbar schlechten Verhandlungsposition – auch wenn die angedrohten Zölle von 50 Prozent auf EU-Produkte möglicherweise noch nicht das letzte Wort sind.
Die Strafzölle dürften vor allem deutsche Exportunternehmen hart treffen, insbesondere die Automobilbranche – und das in ohnehin schwierigen Zeiten. Zölle in dieser Größenordnung könnten die deutsche Wirtschaftsleistung um etwa 0,5 Prozent verringern und die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr erneut in die Rezession führen.
Die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine studentische Hilfskraft (w/m/div) für 15 Wochenstunden.