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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 2 months 2 weeks ago

Pläne für den Hamburger Hafen: Erst Piräus, jetzt das Tor zur Nordsee

Fri, 21/10/2022 - 16:17
Ein chinesischer Staatskonzern will bei einem Teil des Hamburger Hafens einsteigen. FDP und Grüne warnen davor, einem autoritären Land ein wichtiges Stück Infrastruktur zu überlassen. In Griechenland ist das schon geschehen. Wie ging es dort weiter?

Die strategische Autonomie der Türkei

Fri, 21/10/2022 - 15:05

Mitte September kamen in der usbekischen Stadt Samarkand die Staats- und Regierungschefs zahlreicher eurasischer Staaten zusammen. Bei dem Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) wurde die Aufnahme Irans als neuntes Mitglied beschlossen. Nach dem Treffen gab der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bekannt, dass auch sein Land eine Mitgliedschaft in dem primär sicherheitspolitischen Zusammenschluss anstrebt. Neben dem Iran gehören der 2001 gegründeten Gruppe China, Russland, Indien, Pakistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Die Türkei ist seit 2012 Dialogpartner in der SOZ.

Eine Alternative zur EU

Erdoğans Ankündigung wurde von westlichen Politikern scharf kritisiert. Dabei ist sie keine Überraschung, hatte er doch bereits im Februar 2013 erstmals die Option eines außenpolitischen Kurswechsels ins Spiel gebracht. Als damaliger türkischer Ministerpräsident bat er nach eigener Aussage den russischen Präsidenten Wladimir Putin um die Aufnahme der Türkei in die SOZ. »Dann sagen wir der EU auf Wiedersehen«, so Erdoğan. Diese Rhetorik schürt seither Erwartungen an sein politisches Handeln – sowohl in der Türkei als auch in einzelnen Mitgliedsstaaten der SOZ. Einen formellen Aufnahmeantrag hat die Türkei bislang aber nicht gestellt. Es ist davon auszugehen, dass dies auch vor den Wahlen im kommenden Jahr nicht mehr erfolgt. Dafür ist das Zeitfenster zu klein.

Die Begründung für Erdoğans Initiative ist jedoch aufschlussreich. Er verweist darauf, dass die EU die Türkei seit 52 Jahren nicht aufgenommen habe. Sich deshalb nach Alternativen umzuschauen, sei normal. Die Türkei verfolge eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Staaten in Asien, sowohl in der Sicherheits- wie auch in der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Diese Erklärung unterstreicht die Ambition des Nato-Mitglieds Türkei, alternative Kooperationsformate eurasischer Prägung beizutreten beziehungsweise seine außenpolitische Rolle in solchen Institutionen zu stärken. In diesem Sinne ist auch die Rede Erdoğans beim Gipfeltreffen in Samarkand zu verstehen, in der er auf die einzigartige Möglichkeit verwies, die sein Land als Brücke zwischen Ost und West biete. Mit dem Status als Dialogpartner in der SOZ habe sich für die Türkei eine weitere Tür nach Asien geöffnet.

Zunehmende wirtschaftliche Kooperation

Mit einer angestrebten Vollmitgliedschaft unterstreicht Präsident Erdoğan ebenso, wie sehr sich sowohl die Türkei als auch die SOZ in den vergangenen Jahren verändert haben. Die wirtschaftspolitische Bedeutung der Gruppe ist 2017 durch die Mitgliedschaft von Indien und Pakistan aufgewertet worden. Mit dem Beitritt Irans wird sie energiepolitisch weiter wachsen. Auf dem Gipfel in Samarkand wurde mit Ägypten erstmals ein Staat aus Afrika als neuer Dialogpartner aufgenommen.

Diese Expansion der SOZ geht einher mit einer Ausweitung ihrer Handlungsfelder. Neben sicherheitspolitischer Kooperation will die Schanghai-Gruppe verstärkt die Zusammenarbeit in der Infrastrukturpolitik fördern, insbesondere die Transportinfrastruktur zu Land und auf See. Vor diesem Hintergrund versucht Erdoğan, die Türkei als »mittleren Korridor« zu positionieren, mit neuen Partnern und strategischen Optionen Richtung Zentralasien. Die seit Dezember 2021 operierende Zugverbindung Islamabad-Teheran-Istanbul (ITI) dient dabei als Vorzeigeprojekt für Konnektivität im Transportsektor.  

Erdoğans Ankündigung in Samarkand wird in zahlreichen europäischen Hauptstädten als »Abkehr vom Westen« und Hinwendung zum »Club der Autokraten« interpretiert. Diese zum Teil berechtigte Kritik greift allerdings in einem Aspekt zu kurz: Sie verkennt, wie sehr sich Ankara seit mindestens einer Dekade darum bemüht, seine institutionelle Präsenz in Zusammenschlüssen zentralasiatischer Prägung zu intensivieren.

Die Organisation der Turkstaaten (OTS), 2009 unter Federführung der Türkei gegründet, ist dafür ebenso ein prägendes Beispiel wie die seit 2015 bestehende Mitgliedschaft der Türkei in der chinesischen Seidenstraßeninitiative (Belt and Road) und der Beitritt Ankaras zur von China gegründeten Asiatischen Infrastruktur- und Investitionsbank (AIIB) ein Jahr später. All diese Schritte unterstreichen die strategische Neuausrichtung in der Außenwirtschaftspolitik. Und da sich die Schanghai-Gruppe nun auch stärker als ökonomischer Zusammenschluss zu positionieren versucht, könnten sich für die Türkei künftig noch weitere Anknüpfungspunkte in Richtung Asien ergeben. So vereinbarten

die SOZ und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) eine verstärkte Zusammenarbeit, um den grenzüberschreitenden Handel von landwirtschaftlichen Produkten zwischen SOZ-Mitgliedsländern zu erleichtern.

Durch die Debatte um eine eventuelle SOZ-Vollmitgliedschaft gelingt es Erdoğan, das Augenmerk auf die strategische Unabhängigkeit der Türkei zu lenken. Er will sich institutionelle Optionen offen halten. Die Nato-Bündnispartner können das Bestreben der Türkei auf eine Mitgliedschaft in der SOZ nicht länger als Randthema behandeln. Wichtig ist, klarzustellen, dass eine Doppelmitgliedschaft in der Nato und in der SOZ nicht vereinbar ist. Die aktive Teilnahme der Türkei in internationalen Foren wie der SOZ zeigt allerdings, dass Ankara für sich in Anspruch nimmt, strategische Autonomie zu definieren. Die expandierende Schanghai-Organisation und ihre wachsende geoökonomische Bedeutung bieten sich als Alternative an.

More EU Decisions by Qualified Majority Voting – but How?

Wed, 19/10/2022 - 14:23

In the debate on how to strengthen the European Union’s (EU) capacity to act, calls for an extension of qualified majority voting (QMV) are growing louder. The Council of the EU is currently discussing using the so-called passerelle clauses in the Treaty on European Union (TEU). With these clauses, more decisions by QMV could be intro­duced without a major treaty change or a convention. However, abolishing national vetoes in this way would first require unanimity as well as, in some cases, additional national approval procedures. Such unanimity is currently not in sight, as resistance is prevailing in smaller and medium-sized member states, which fear that they could be regularly outvoted. What is needed, therefore, is an institutional reform package in which decisions by QMV are extended with the aim of facilitating further enlargement of the EU and are accompanied by emergency clauses to protect core national interests.

Deutscher Balanceakt im Indo-Pazifik

Wed, 19/10/2022 - 13:25

Seit 2020 die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung veröffentlicht wurden, hat die deutsche Politik wichtige Fortschritte dabei erzielt, die Beziehungen mit bestehenden und neuen Partnern in der indopazifischen Region zu vertiefen. Der dies­jährige Fortschrittsbericht zu den Leitlinien nimmt erstmals eine geostrategische Perspektive ein, denn er verknüpft gegenwärtige außen- und sicherheitspolitische Entwicklungen mit den deutschen Zielen in der Region. Nun gilt es, diesen geostrategischen Ansatz weiter zu verfolgen. Die Bundesregierung sollte die künftige Umsetzung der Leitlinien in Einklang mit der von ihr angekündigten China-Strategie brin­gen und sich zudem mit einschlägigen regionalen Partnern abstimmen.

Russia’s Catch-all Nuclear Rhetoric in Its War against Ukraine

Wed, 19/10/2022 - 13:00

A close reading of Russia’s nuclear statements and actions during the first seven months of its war against Ukraine reveals a threefold approach. Moscow is walking a fine line between a well-crafted and successful deterrence strategy to prevent foreign military intervention; a more modest and rather unsuccessful attempt at dissuading foreign aid to Ukraine and sanctions against Russia; and incremental nuclear coercion against Kyiv that spurred Western deterrence messaging in response. This analysis reveals a careful Russian approach, suggesting that cost-benefit calculations are likely to continue to render nuclear escalation unlikely. However, nuclear use cannot be fully discounted, particularly if war-related developments severely imperil the sur­vival of Russia’s regime.

Russlands diffuse Nuklearrhetorik im Krieg gegen die Ukraine

Wed, 19/10/2022 - 10:45

Russland verfolgt mit seinen nuklearen Drohgebärden im Krieg gegen die Ukraine eine dreigleisige Strategie. Erstens versucht es eine westliche Intervention abzuschrecken, zweitens Unterstützung für die Ukraine zu verhindern und drittens schrittweise Kyjiw zu erpressen, worauf der Westen bislang mit eigenen Abschreckungssignalen reagiert hat. Moskaus scheinbar vorsichtiges Vorgehen legt nahe, dass ein Kernwaffen­einsatz aufgrund von Kosten-Nutzen-Kalkülen unwahrscheinlich bleibt. Dennoch lässt sich ein solches Szenario nicht ausschließen, insbesondere dann nicht, wenn sich aus dem Krieg eine ernsthafte Bedrohung für Putins Regime ergeben sollte.

Sicherheit im Indo-Pazifik

Wed, 19/10/2022 - 02:00

Seit dem Koreakrieg 1950–53 basierte die Sicherheitsarchitektur der lange Zeit als »Asien-Pazifik« bezeichneten Region auf einem US-geführten System bilateraler Allianzen, dem sogenannten Nabe-und-Speichen-System. Ein multilaterales System kollektiver Verteidigung, ähnlich der Nato in Europa, gab es in der Region bislang nicht. 2014 begann die Volksrepublik China unter Xi Jinping, eigene Ideen zur Neugestaltung des regionalen Sicherheitssystems zu entwickeln. Xi nannte das Nabe-und-Speichen-System ein Relikt des Kalten Krieges und forderte eine regionale Sicherheitsarchitektur »von Asiaten für Asiaten«. Das Konzept »Indo-Pazifik« gilt weithin als strategischer Gegenentwurf zu einer sinozentristischen Neustrukturierung der Region. Dabei wird die Sicherheitsarchitektur mehrheitlich als antagonistische Ordnung verstanden, in der Sicherheit gegen und nicht mit China hergestellt wird. Diese Architektur ist stärker als bisher »asianisiert«: Nicht nur wächst die Bedeutung der US-Alliierten in der Region im Verhältnis zu Washington. Immer wichtiger werden auch bi- und minilaterale Partnerschaften außerhalb des Nabe-und-Speichen-Systems, etwa diejenigen mit Beteiligung von Staaten wie Indien oder Indonesien. Strukturell dominieren bilaterale Allianzen und Partnerschaften, die zunehmend um minilaterale Formate wie AUKUS oder Quad ergänzt werden. Für die EU und ihre Mitgliedstaaten bedeutet all dies, dass die Verwirk­lichung der Idee eines inklusiv ausgerichteten Indo-Pazifik in weite Ferne gerückt ist. Auch der effektive Multilateralismus, den die EU propagiert, gerät zusehends ins Hintertreffen, da die regionale Sicherheitsarchitektur sich mehr und mehr zu einem Nebeneinander bi- und minilateraler Kooperationsformate wandelt.

Sea Change in EU Trade Policy

Wed, 19/10/2022 - 02:00

Europe’s trade policy is heading for a sea change. But it is not Putin’s war of aggression against Ukraine that is the main reason for this development. Rather, there are long-term influencing factors at work here: the WTO-centred multilateral trade order is visibly eroding. Protectionism is on the rise around the globe. World trade is grow­ing only marginally or is even stagnating. Globalization is undergoing a transforma­tion whose outcome is uncertain. And international trade is increasingly being instrumentalized for political purposes. In February 2021, the European Commission responded to these structural upheavals by announcing an “open, sustainable and assertive trade policy”. However, there has so far been uneven progress towards im­plementing the objectives included in the new trade policy strategy. While the EU’s intention to strengthen both Europe’s assertiveness and the sustainability of trade is being realized through numerous new instruments and measures, its promise of openness and liberalization remains unfulfilled for the time being. In particular, the Indo-Pacific region beyond China would offer the German and European economies significant opportunities to tap new sources of raw materials and access reliable sup­plier networks and growing sales markets.

European Summit in Prague Sets Agenda and Isolates Moscow

Mon, 17/10/2022 - 08:23

The leaders of the 27 EU member states and 17 others met in Prague on October 6 to inaugurate the European Political Community (EPC). In a series of statements, the wider Europe took a firm stance against Russia for its invasion of Ukraine and brutal violation of the Helsinki Principles. While the heads of state and government did not issue a formal joint communiqué or founding statement, the meeting itself was the message. Countries large and small, from Iceland to the Southern Caucasus, held free and equal discussions about security, stability and Europe’s prosperity. It now falls to the EU to follow up the successful launch in Prague and make the EPC a relevant fixture for Europe as a whole.

Even those who thought that the proposal laid out by French President Emmanuel Macron on 9 May 2022 might not be a good idea had to admit that the initiative generated significant interest among the 17 non-EU states. Any suggestion that this should be yet another EU-centric bureaucracy is off the table. Fears that the EPC would be conceived as a substitute for or alternative to EU membership have been dispelled for the moment. Likewise any worry that it would simply duplicate existing pan-European organisations (principally the OSCE and the Council of Europe).

A series of summits for turbulent times

To start with, the EPC has been set up as a series of summit meetings, as a platform for political dialogue between European heads of state and government in a period of great geopolitical turmoil. It seeks inter-governmental exchange, coordination and cooperation. Accordingly no decisions were taken in Prague. That would have required the delegations to devote a great deal of time and energy, both before and during the summit, to drafting a (potentially meagre) joint declaration. It is, moreover, plain that not all of the 44 participating states are democracies where human rights and rule of law are guaranteed. Nevertheless Czech Prime Minister Fiala, as host, supplied the normative framing in his welcoming remarks, citing the Czech national motto: Pravda vítězí (truth prevails). This set the tone for a united front against Moscow and for support for Ukraine. As well as Russia, Belarus was also excluded.

The five leaders who spoke at the opening session represented current and former EU member states (Czech Republic and United Kingdom), membership candidates (Albania and Ukraine) and a member of the EEA and EFTA (Norway). The topics of the thematic round tables – peace and security, climate change and energy, migration and the economy – will likely circumscribe the agenda of the next EPC meetings. The programme also included time for the leaders to hold individual bi- and minilateral discussions. For example President Macron and EU Council President Charles Michel brought together the leaders of warring neighbours Armenia and Azerbaijan. Such informal meetings can provide diplomatic impetus for conflict resolutions – at the risk of offering a stage for strife. The tables at dinner may have borne the names of musical instruments, but the summit was definitely no concert of powers capable of resolving the burning questions of war and peace.

EPC needs EU as backbone

Despite the success of the inaugural meeting, the question remains: Is the EPG a meaningful instrument for tackling the challenges facing Europe? The EPC can only realise its added value in close connection with the EU. For all its deficits, the EU is the political and economic centre of gravity of the wider Europe. And the EU is also the first port of call for third states when it comes to implementing initiatives in fields like migration, critical infrastructure protection, and reconstruction in Ukraine, as Macron underlined at his concluding press conference. Only the EU possesses the administrative infrastructure and resources required to advance sectoral cooperation and coordination with consistency. Many leaders of non-EU states naturally sought discussions with EU Commission President Ursula von der Leyen, who was the only representative of a supranational institution at the summit. The EU can employ its established bilateral and multilateral association and cooperation frameworks to prepare and follow up initiatives and projects initiated at EPC meetings. Ten of the countries concerned have an explicit accession perspective. The day after the EPC summit, the European Council met in informal session with a similar agenda. The European heads of state and government can follow up with binding decisions at the next formal session in Brussels on 20/21 October. Its agency is what makes the EU the backbone of the EPC – which it will need if it is to achieve practical results.

A Europe of concentric circles

The EU’s institutions and member states have yet to find a consensus on where the EPC should be heading – between discussion club and “community of action” – and how much political capital the member states should be investing in it. The EPC might turn out to be a step towards a Europe of concentric circles, grouped around the EU as graduated spaces of cooperation and integration. That would relieve Brussels of the pressure of enlargement, as Macron and perhaps others in the EU would like to see. EPC summits are to alternate between EU and non-EU states. The next is scheduled for 2023 in the Moldovan capital Chişinău. What will Europe look like by then?

Turkish and Iranian Involvement in Iraq and Syria

Wed, 12/10/2022 - 02:00

It has become cliché to argue that Turkish-Iranian relations oscillate between a con­trolled rivalry and limited cooperation. However, in Iraq and Syria, rising tensions between Turkey and Turkey-affiliated groups on the one hand and Iran and Iran-backed groups on the other, have put the two countries on a collision course. Con­flictual relations between Turkey and Iran have the potential to destabilise the Middle East and the South Caucasus, spawning additional security risks as well as waves of migration towards Europe. Such a situation could also complicate matters related to European energy security. Europe should remain alert and help to ease tensions through de-escalation mechanisms. In this regard, efforts to strengthen Iraqi sover­eignty may serve as a pre-emptive measure.

Gesamteuropäischer Gipfel in Prag sortiert seine Agenda und isoliert Moskau

Mon, 10/10/2022 - 16:16

Auf Einladung des tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala, dessen Land aktuell den EU-Ratsvorsitz innehat, und des Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel, versammelten sich in Prag 44 Staaten, um die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) zu gründen. Das größere Europa stellte sich auf der Prager Burg in vielen einzelnen Statements gegen Russland, das einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und die Grundsätze der Helsinki-Schlussakte brutal verletzt. Freilich verlautbarten die Staats- und Regierungschefs diese Position nicht in einem gemeinsamen Kommuniqué oder einer EPG-Gründungsurkunde. Die Botschaft von Prag war das Treffen selbst: Kleine und große Länder von Island bis zum Südkaukasus diskutieren gleichberechtigt und freimütig über die Sicherheit, Stabilität und das Wohlergehen Europas. Es wird von der EU abhängen, ob sich die EPG über den gelungenen Auftakt in Prag hinaus zu einer relevanten Veranstaltung für Gesamteuropa entwickeln kann.

Selbst wer den Pitch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für eine EPG, eingebettet in seine Rede am 9. Mai 2022, für eine unausgegorene oder gar perfide Idee gehalten hatte, sah ein, dass der Vorschlag doch auf einiges Interesse bei den 17 Nicht-EU-Ländern stieß. Denn schnell war nicht mehr die Rede davon, eine neue Organisation unter EU-Führung zu schaffen. Befürchtungen, die EPG werde als Ersatz oder Alternative zur EU-Mitgliedschaft lanciert, sind fürs erste entkräftet. Ebenso die Sorge, dass die paneuropäischen Institutionen OSZE und Europarat durch die EPG dupliziert würden.

Serie von Gipfeltreffen in Zeiten geopolitischer Umbrüche

Die EPG ist zunächst als bloße Serie von Gipfeltreffen konzipiert, als eine Plattform für den politischen Dialog zwischen europäischen Staats- und Regierungschefs in Zeiten geopolitischer Umbrüche. Es geht um intergouvernementalen Austausch, Koordination und Kooperation. Dementsprechend wurden in Prag auch keine Beschlüsse gefasst. Denn die Delegationen hätten vor und auf dem Gipfel viel Zeit und Energie darauf verwenden müssen, eine gemeinsame – gegebenenfalls recht dünne – Erklärung zu formulieren. Zudem ist offensichtlich, dass nicht alle 44 teilnehmenden Länder als Demokratien gelten können, in denen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gewährleistet sind. Jedoch hatte der tschechische Ministerpräsident Fiala als Gastgeber für das normative Framing der Auftaktveranstaltung gesorgt und in seiner Eröffnungsrede auf das Motto seines Landes zurückgegriffen: Pravda vítězí (Wahrheit wird obsiegen). Damit war der Ton gesetzt, vereint gegen Moskau und für die Unterstützung der Ukraine aufzutreten. Außer Russland war auch Belarus nicht eingeladen worden.

Im Eröffnungsplenum sprachen fünf Regierungschefs, die aus einem heutigen oder ehemaligen Mitgliedsland kommen (Tschechien und Großbritannien), zu den Beitrittsaspiranten zählen (Albanien und Ukraine) oder dem EWR und der EFTA angehören (Norwegen). Die Themen der Gesprächstische zu Frieden und Sicherheit sowie Klimawandel und Energie, Wirtschaft und Migration dürften recht gut die Agenda der nächsten EPG-Treffen umreißen, die abwechselnd in EU- und Nicht-EU-Ländern stattfinden sollen. Im Programm waren zudem freie Stunden reserviert, die in der Regie der Staats- und Regierungschefs lagen und für individuelle bilaterale Treffen und Gesprächsrunden genutzt wurden. So brachten die Präsidenten Macron und Michel die beiden Führer der verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan zusammen. Von solchen informellen Runden können diplomatische Impulse für Konfliktlösungen zwischen Staaten ausgehen, aber es können auch Streitigkeiten gesucht und akzentuiert werden. Die Tische für das Abendessen waren zwar nach Orchesterinstrumenten benannt, aber das Treffen in Prag war kein Konzert der Mächte, das die brennenden Fragen von Krieg und Frieden lösen wird.

EPG braucht EU als Stützpfeiler

Trotz des gelungenen Gründungstreffens blieb in Prag die Frage offen, was die EPG substanziell beitragen kann, um die Herausforderungen für Europa anzugehen. Die EPG kann nur in enger Verbindung mit der EU einen Mehrwert entfalten. Die EU ist – bei allen Defiziten – das politische und wirtschaftliche Gravitationszentrum im größeren Europa. Für Themen wie den Schutz kritischer Infrastruktur, Wiederaufbaufonds für die Ukraine oder Migration, die Macron auf seiner abschließenden Pressekonferenz hervorhob, ist die EU auch für Drittstaaten die erste Adresse, sobald es an die Umsetzung  von Vorhaben geht. Nur sie verfügt über die administrative Infrastruktur und die Ressourcen, um eine sektorale Kooperation und Koordination nachhaltig voranzutreiben. So suchten viele Staats- und Regierungschefs aus Nicht-EU-Ländern das Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die sich in Prag wieselflink durch ihre Reihen bewegte. Die EU kann für die Vorbereitung und das Follow-up von auf EPG-Treffen platzierten Initiativen und Projekten ihre etablierten bi- und multilateralen Assoziierungs- und Kooperationsrahmen nutzen, die sie mit Drittstaaten in unterschiedlicher Qualität unterhält. Davon haben zehn Länder eine explizite Beitrittsperspektive. Auf den EPG-Gipfel folgte anderntags die informelle Zusammenkunft des Europäischen Rats mit ähnlicher Agenda. In zwei Wochen können die EU-Staats- und -Regierungschefs auf einer förmlichen Sitzung in Brüssel dazu verbindliche Beschlüsse fassen. Auch wegen dieser Akteursqualität ist die EU der Stützpfeiler der EPG.

Europa konzentrischer Kreise

Was aus der EPG zwischen Gesprächsclub und Handlungsgemeinschaft werden und wie viel politisches Kapital die Mitglieder in das Experiment investieren sollen, ist unter den EU-Staaten und -Institutionen weiterhin umstritten. Die EPG kann, muss aber kein Schritt sein zu einem Europa konzentrischer Kreise, die sich als Räume abgestufter Kooperation und Integration um die EU herumgruppieren. Das würde von Brüssel den Erweiterungsdruck nehmen, wie es Macron und wohl auch andere in der EU gerne sehen würden. Das nächste EPG-Treffen soll 2023 in der moldawischen Hauptstadt Chişinău stattfinden. Wie dann wohl Europa aussehen wird?

Deutliche Botschaft

Fri, 07/10/2022 - 14:10
Das neue Strategische Konzept der NATO

Living on a Time Bomb

Fri, 07/10/2022 - 11:33
Local Negotiations of Oil Extraction in a Mexican Community

»Proteste werden nicht aufhören, selbst wenn der Kopftuchzwang fällt«

Fri, 07/10/2022 - 09:44
Die Proteste im Iran hätten eine andere Qualität als die vorherigen, sagt Iran-Expertin Azadeh Zamirirad. Sie treffen den Iran in einer kritischen Phase.

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