Das Wahljahr 2022 hat Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron geschwächt. Obgleich wiedergewählt, ist sein politischer Handlungsspielraum jetzt stark eingeschränkt. Mehrheiten für seine wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen müssen teuer erkauft werden, lassen sich vielleicht gar nicht finden. Die Auflösung der Nationalversammlung könnte ein Ausweg sein. Dass die politischen Extreme weiter gestärkt werden, kann Macron nur vermeiden, wenn er zu seinem Versprechen einer progressiven Politik zurückkehrt und die Kluft zwischen Arm und Reich verringert. Seine politische Agenda birgt Konflikte für die deutsch-französische Europapolitik. Will Berlin jedoch verhindern, dass Macrons Nachfolgerin 2027 tatsächlich Marine Le Pen heißt, sollte es die Reformagenda des französischen Präsidenten unterstützen.
Russia’s war against Ukraine has led the EU-27 to grant Kyiv EU-candidate status quickly – even hastily, in the view of critics. For now, however, the preparation of accession negotiations can only be a secondary concern. The war, with its uncertain outcome, takes centre stage. For the EU this means supporting Ukraine militarily as well as financially and helping to organise international aid for reconstruction. Given this context, we should expect the EU not simply to adhere to the usual enlargement script in shaping its relations with Ukraine. Instead, it should coordinate three frameworks for action: the future accession negotiations, the current process of association, and potential new formats, such as a European Political Community or a European Political and Economic Area.
Im Koalitionsvertrag 2021–2025 sprechen sich die Ampel-Parteien für eine »Feminist Foreign Policy« aus. Das Auswärtige Amt (AA) hat sich einer »feministischen Außenpolitik« (FAP) verschrieben und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) will eine »feministische Entwicklungspolitik« verfolgen. Auch im Erstellungsprozess der »Nationalen Sicherheitsstrategie« soll über FAP diskutiert werden. Damit schließt sich Deutschland einem Trend an: Immer mehr Regierungen schreiben sich eine FAP auf die Fahnen oder wollen Elemente davon umsetzen. So deutlich diese Entwicklung sich auch zeigt, bleibt dennoch unklar bzw. umstritten, was der feministische außenpolitische Ansatz konzeptionell wie materiell genau bedeutet – welche Voraussetzungen er benötigt, in welchen Zusammenhängen er sich bewegt und welche Implikationen er mit sich bringt. Diese Offenheit gibt Anlass zur Debatte, an der sich Stimmen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft beteiligen. Zwar finden feministische Ansprüche nur begrenzt in den nationalen Implementierungsvarianten der FAP ihren Niederschlag. Aber schon der offizielle Bezug auf Feminismus fordert tradierte Denk- und Politikmuster heraus, drängt zur Überprüfung politischer Priorisierung und Kohärenz und kann Politikinnovation fördern.
A succession of disruptions to world trade have put the reorganisation of international supply chains high on the political agenda. The difficulties began with the trade war between the United States and China, deepened with the Covid-19 pandemic and culminated in the sanctions and export controls imposed by Western countries after Russia’s invasion of Ukraine. The increased risk of interruption of supplies forces businesses today to price in political factors and respond to political demands. However, realistic timeframes for reconfiguring supply chains are largely incompatible with the rapid responses expected by political decision-makers, especially where chains are long and complex. A process needs to be developed for dealing more effectively with political supply chains risks. It should be transparent for all involved.
Der Nato-Gipfel von Madrid im Juni 2022 hat eine umfassende Neuausrichtung der Allianz auf den Weg gebracht. Das zeigen drei zentrale Beschlüsse: die Verabschiedung des neuen Strategischen Konzepts, die angekündigte Aufnahme Finnlands und Schwedens sowie die militärische Neuaufstellung. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirkte dabei teils als Auslöser (Norderweiterung), teils als Katalysator, der Entwicklungen beschleunigt, die sich bereits seit langem abzeichnen (militärische Neuaufstellung). Ausgangspunkt für diese Beschlüsse ist die Feststellung, dass Russland derzeit die größte Bedrohung darstellt. Folglich priorisiert die Nato jetzt klar kollektive Verteidigung im euroatlantischen Raum, während das zuvor dominierende internationale Krisenmanagement (etwa in Afghanistan) an Bedeutung verliert. Dieser Fokus wird das kommende Jahrzehnt prägen. Deutschland hat dafür einen Führungsanspruch formuliert. Um ihn umzusetzen, muss sich die Bundeswehr mit Blick auf Ausstattung, Einsatzbereitschaft und Finanzierung besser aufstellen.
Even during his 2018 election campaign, Jair Bolsonaro promised a fundamental shift in Brazilian foreign policy. Since taking office as Brazil’s president on 1 January 2019, foreign policy change has been ever present in Bolsonaro’s discourse and, in some cases, is evident in policy decisions. Foreign policy change is not just about modified rhetoric, but rather about a targeted policy with ideational foundations and supporting actors. The change is being driven by members of the government’s so‑called ideological wing. Some of the shifts that have already taken place during this political change should be seen less as a break with the policies of the previous government than as an intensification of developments that had already been underway for several years. Some foreign policy goals of the ideological wing fail because of the interests and interventions of the other two government wings, the technocratic and the military wing. Several contextual factors, such as China’s growing economic importance, also delimit the sought after foreign policy change.
Als die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – zu ihrem diesjährigen Gipfel zusammenkamen, bekräftigte Chinas Staatschef Xi Jinping den Wunsch, das Forum um weitere Länder zu erweitern. Unterstützung bekam der Gastgeber dabei von Russland, während die anderen Mitgliedstaaten das so nicht mittragen wollen. Denn eine Erweiterung würde die Gewichte im Innern verschieben und nach Außen eine geopolitische Wendung bedeuten. Brasilien, Indien und Südafrika sind jedoch aufgrund innenpolitischer Schwäche gegenwärtig nicht in der Lage, weltweite Gestaltungsrollen wahrzunehmen, auch wenn sie weiterhin bereit wären, sich von den G7 bei der Neuordnung der Weltpolitik abzusetzen.
Traditionell bemühen sich die BRICS-Staaten im Rahmen ihrer jährlich rotierenden Präsidentschaften darum, durch Einladung von Nachbarländern ihre regionale Reichweite auszudehnen, um dem Eindruck eines geschlossenen Clubs entgegenzuwirken. Die Verteilung der BRICS-Kerngruppe über vier Kontinente ist hier ein geopolitischer Vorteil. Institutionelle Verschränkungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wurden über die BRICS-Development-Bank gestärkt und gleichzeitig auch der Anspruch als Forum des Süd-Süd-Dialoges hochgehalten.
Das Interesse an einer BRICS-ErweiterungMit Chinas BRICS-Präsidentschaft hat sich nun die zweite Komponente des Outreach-Prozesses verstärkt, die unter dem Namen BRICS+ bekannt ist. Schon zum Außenministertreffen im Mai waren bereits Nicht-Mitgliedstaaten eingeladen worden – und die Liste war lang: sie reichte von Ägypten, Argentinien und Indonesien über Kasachstan, Nigeria und Senegal bis hin zu Saudi-Arabien, Thailand und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auf dem Treffen der Präsidenten im Juni wurde dann beschlossen, gemeinsame Kriterien und Verfahren festzulegen, um die Zusammenarbeit mit diesen nahestehenden Staaten zu verstärken.
Zentral ist dafür ein Konsens innerhalb der Kerngruppe zur Frage, ob eine Erweiterung möglich ist und wie sie aussehen könnte. So haben Argentinien und Iran bereits einen Antrag auf Mitgliedschaft in der BRICS-Gruppe gestellt. Argentinien will sich neben Brasilien und Indien als maßgeblicher Exporteur von Nahrungsmitteln positionieren, die eine ähnlich bedeutsame Rolle bei Soja beziehungsweise Reis einnehmen. Damit könnte dem Land mit Russland als großem Weizen- und Düngemittelexporteur sowie China als größtem Nachfragemarkt eine zentrale Koordinationsrolle bei der Gestaltung der Nahrungsmittelmärkte zukommen. Mit Blick auf die Politik der Notreserven für Ernährungskrisen könnte es eine regulierende Rolle übernehmen. Ähnliches ließe sich hinsichtlich der Energiezusammenarbeit unter Beteiligung des Iran darstellen, womit die BRICS-Staaten zu einem zentralen Akteur in einem weiteren globalen Risikofeld heranwüchsen. Attraktiv erscheint auch ein gemeinsames Forschungs- und Entwicklungszentrum für Impfstoffe, das sich insbesondere um die Frage der Patente und des Technologietransfers zwischen den fünf BRICS-Staaten kümmern soll. Solche Perspektiven würden auch den Beitrittswunsch anderer Staaten mit globalen Aspirationen wie Ägypten, Indonesien, Saudi-Arabien und der Türkei befördern.
Doch während sich mögliche Kandidaten warm laufen, ist ein Konsens zwischen den BRICS-Mitgliedstaaten in puncto Erweiterung bislang nicht in Sicht: Während China und Russland hier schnell vorankommen wollen, fürchten Brasilien, Indien und Südafrika einen relativen Bedeutungsverlust und spielen auf Zeit. Dafür ausschlaggebend sind auch traditionelle Konkurrenzverhältnisse zwischen China und Indien sowie Brasilien und einem möglichen Neumitglied Argentinien. Zudem möchten diese Staaten auch nicht in die wachsende Konfrontation zwischen den USA und China beziehungsweise Russland hineingezogen werden, weder im indopazifischen Raum noch in Afrika.
BRICS+ als Gegenmodell zu den G7Neben der Erweiterungsdebatte standen beim virtuellen Gipfel auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine und seine Folgen auf der Tagesordnung: So sollen Intra-BRICS-Lieferketten auf den Weg gebracht werden, zum Beispiel für Düngemittel. Zudem soll der Zahlungsverkehr untereinander vom US-Dollar unabhängig und eine Alternative zum SWIFT-System für Finanztransaktionen aufgesetzt werden.
Die Abkehr vom Westen führt hier zu einem neuen Rollenverständnis: Stark angelehnt an den chinesischen Diskurs sollen die BRICS zur zentralen Plattform des Süd-Süd-Dialogs werden. Dabei nimmt Chinas Staatspräsident Xi die Mitgliedstaaten der G20 aus dem Globalen Süden und vor allem Afrika in den Blick, nicht zuletzt mit Perspektive auf den im September geplanten China-Afrika-Gipfel. Viele Staaten des Globalen Südens befürchten, dass sie die Kosten des Ukraine-Krieges durch steigende Zinsen, Erhöhung von Nahrungsmittelpreisen und Verwerfungen an den internationalen Rohstoffmärkten zu tragen haben. Sie wollen Protektionismus und die Sanktionspolitik des Westens vermeiden. Im BRICS-Verbund erwarten sie eine bessere Absicherung.
Wie schon auf dem G7-Gipfel in Elmau zeigte sich, dass viele Länder des Globalen Südens der internationalen Isolierung Russlands nicht zustimmen – und auch nicht bereit sind, dem vom Westen vorgetragenen Lagerdenken zu folgen. Damit ist noch nicht der Weg der BRICS oder BRICS+ als strategische Alternative zu den G7 beschritten, aber ein klarer Schritt von einer Gruppe aufsteigender Wirtschaftsmächte zu einem sich geopolitisch artikulierenden Akteur getan. Der Westen sollte nicht den Fehler machen, diese neue Befindlichkeit im Feld der BRICS und BRICS+ zu übergehen.
Russlands Krieg gegen die Ukraine hat bewirkt, dass Kiew von den 27 Staaten der EU rasch und, wie Kritiker meinen, übereilt der Kandidatenstatus zugesprochen wurde. Einstweilen können Beitrittsverhandlungen nur auf einer Nebenbühne vorbereitet werden. Im Zentrum steht das Kriegsgeschehen, dessen Ausgang ungewiss ist. Für die EU heißt das, die Ukraine militärisch wie finanziell zu unterstützen und die internationale Hilfe für den Wiederaufbau mit zu organisieren. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die EU ihre Beziehungen zur Ukraine nicht allein nach bekanntem Erweiterungsdrehbuch gestalten wird. Sie sollte vielmehr drei Handlungsrahmen aufeinander abstimmen: die künftigen Beitrittsverhandlungen, den laufenden Assoziierungsprozess und mögliche neue Formate wie eine Europäische Politische Gemeinschaft oder einen Europäischen Politik- und Wirtschaftsraum.