Italien steht nach den Parlamentswahlen am Sonntag ein tiefgreifender Wandel bevor: Das Mitte-Rechts-Bündnis aus den rechtspopulistischen Parteien Fratelli d'Italia (FdI) und Lega sowie der Mitte-rechts-Partei Forza Italia hat in beiden Kammern des Parlaments eine absolute Mehrheit erreicht. Von der Wirtschaftspolitik über die Zusammenarbeit mit der EU und Rechtsstaatlichkeit bis hin zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – der Wahlsieg wirft viele Fragen über den künftigen Kurs des Landes auf.
Wirtschaft als größte HerausforderungItaliens Wirtschaft verfügt über zahlreiche Wettbewerbsvorteile, ist nach Deutschland der zweitgrößte Nettoexporteur von Waren in der EU. Allerdings sieht sich Rom mit erheblichen Problemen konfrontiert, darunter das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle, das geringe Wachstumstempo und die enorme Staatsverschuldung von etwa 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch der Arbeitsmarkt und die soziale Lage stellen eine Herausforderung dar. Den jüngsten Eurostat-Daten zufolge befanden sich in Italien im Jahr 2021 mehr als 23 Prozent der 15- bis 29-Jährigen weder in Ausbildung noch in Arbeit oder Schulung – der höchste Wert in der EU.
Die neue Regierung muss in einer zunehmend ungünstigen wirtschaftlichen Situation funktionieren. In den kommenden Monaten wird sich die Konjunktur weiter abschwächen und die Energiekrise verschärfen. Gleichzeitig bleibt die Inflation in der Eurozone auf Rekordniveau, und die Europäische Zentralbank wird wahrscheinlich die Zinssätze weiter anheben. Das wird die Kosten der Staatsschulden erhöhen und das BIP-Wachstum schwächen. Dieses makroökonomische Umfeld lässt wenig Spielraum für populistische Wirtschaftspolitik oder Fehler in der Kommunikation mit den Finanzmärkten – und diese werden die Signale der Koalition sehr aufmerksam verfolgen.
Zusammenarbeit in der EUEine wichtige Frage ist in diesem Zusammenhang, wie die Zusammenarbeit der neuen Regierung mit der EU aussehen wird. Neben Themen wie Migration oder grüne Wende dürfte vor allem die Fiskalpolitik der Eurozone für erhebliche Kontroversen sorgen. Bis Mitte Oktober muss Italien seinen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr bei der EU-Kommission einreichen. Für Oktober 2022 ist eine Wiederaufnahme der Gespräche über die EU-Fiskalregeln geplant. Prognosen zufolge ist es eher unwahrscheinlich, dass Italien vor 2025 ein Haushaltsdefizit von drei Prozent erreicht. Brüssel und Berlin sollten hier ihre Erwartungen dämpfen.
Ein Streitpunkt mit der EU-Kommission dürfte auch die von der Mitte-Rechts-Koalition angekündigte Überarbeitung des italienischen Konjunkturprogramms sein. Der Bedarf an europäischen Geldern aus dem Corona-Wiederaufbaufonds Next Generation EU, von denen Italien am meisten profitiert, sowie das Risiko einer Reaktion der Finanzmärkte sollten die Regierung jedoch eher von einem Konfrontationskurs abhalten. Trotz der Zusicherungen zur Zusammenarbeit mit der EU besteht aber die Gefahr, dass die Unfähigkeit, die wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes zu bewältigen, und die Rivalität zwischen Lega-Chef Matteo Salvini und FdI-Chefin Girogia Meloni zu einem konfrontativeren Kurs gegenüber Brüssel führen könnten.
Achtung der RechtsstaatlichkeitIn Anbetracht des populistischen Charakters aller drei Parteien der Koalition sowie der faschistischen Wurzeln der Partei der neuen Ministerpräsidentin stellt sich die Frage zur Haltung der neuen parlamentarischen Mehrheit in Sachen Rechtsstaatlichkeit. Das Szenario der »Orbanisierung«, also der Übernahme der vollständigen Kontrolle über die staatlichen Institutionen wie in Ungarn, ist eher unwahrscheinlich. Die Mitte-Rechts-Koalition hat im Parlament die für eine Verfassungsänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht erreicht. Außerdem wird Staatspräsident Sergio Mattarella die verfassungsmäßige Ordnung weiterhin aufrechterhalten. Von der neuen Regierung sind jedoch kaum Maßnahmen zur Stärkung der staatlichen Institutionen zu erwarten. Zusätzlich zu den angekündigten Plänen zur Stärkung der Exekutive, durch noch nicht konkret benannte Verfassungsreformen, könnte die Verwaltung der wirtschaftlichen Ressourcen des Staates durch drei populistische Parteien die politische Korruption in Italien verstärken.
Position gegenüber RusslandDer ehemalige Ministerpräsident Mario Draghi war von Anfang an einer der engagiertesten europäischen Politiker, die sich im russischen Angriffskrieg für Kiew eingesetzt haben. Laut der jüngsten Ausgabe des Eurobarometers vom September dieses Jahres ist die Unterstützung für Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Italien größer als in Frankreich. Doch wie positioniert sich die neue Regierung gegenüber Russland? Einerseits haben sich sowohl Salvini als auch Meloni seit Kriegsbeginn von Russland distanziert. Andererseits sind es gerade diese Parteien, die in der Vergangenheit stark pro-russische Positionen vertreten haben. Im Fall der Lega gab es sogar Anschuldigungen wegen illegaler Finanzierungen aus Moskau. Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi, der seit längerer Zeit sehr enge Verbindungen zum inneren Kreis des russischen Präsidenten unterhält, hat in einer Erklärung kurz vor den Wahlen der Ukraine de facto das Recht auf eine unabhängige Regierung abgesprochen. Auch wenn es schwer vorstellbar ist, dass die neue Regierung die Unterstützung der Ukraine offen torpediert oder die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht mitträgt, muss sie zeigen, dass sie es mit der europäischen Solidarität in diesem Punkt ernst meint.
Italien wird ein schwieriger und komplizierter Kooperationspartner für Deutschland und die EU sein. Es liegt jedoch im Interesse Berlins und Brüssels, Rom so weit wie möglich in den Dialog mit den europäischen Partnern einzubinden und zu halten. Ob Finanzen, Rechtsstaatlichkeit oder Verteidigung – ohne eine Zusammenarbeit mit der drittgrößten Volkswirtschaft der EU und Eurozone sind Fortschritte in diesen Bereichen schwer vorstellbar.
Ferdinand “Bongbong” Marcos Jr. won the Philippines’ presidential election by a landslide on 9 May and was officially sworn in on 30 June. During the election campaign, Marcos Jr. – the son of Philippine dictator Ferdinand Marcos Sr. who was ousted in 1986 – remained extremely vague when it came to describing his foreign and security policies. Some observers initially speculated that Marcos Jr. would continue to pursue the foreign policy shift towards the People’s Republic of China that had been established by his predecessor Rodrigo Duterte. Several weeks into Marcos Jr.’s presidency, however, a much more nuanced picture has emerged. It appears that the newly elected president is likely seeking to balance the Philippines’ relations with China and the US to a greater extent than his predecessor. He therefore seems to be following in his father’s foreign policy footsteps. This could open up new opportunities for cooperation between the Philippines and Germany and the EU – provided that such collaboration considers the high degree to which Manila’s current foreign policy agenda seems to be driven by domestic concerns and objectives.
Der Ansatz, der Russlands Nuklearstrategie kennzeichnet, wird im Westen oft als »escalate to deescalate« beschrieben. Demnach sei Moskau bereit, in einem Konflikt frühzeitig Nuklearwaffen einzusetzen, um diesen zu seinen Gunsten zu beenden. Die offizielle Doktrin des Kreml, Nuklearübungen des russischen Militärs und die Debatten unter politisch-militärischen Eliten deuteten bisher jedoch in eine andere Richtung. Mit dem Konzept der »strategischen Abschreckung« hat Russland vielmehr ein Abschreckungssystem entwickelt, in dem Atomwaffen weiterhin wichtig sind. Doch soll eine breite Palette an nicht-militärischen bis hin zu konventionellen Mitteln mehr Flexibilität unterhalb der nuklearen Schwelle schaffen, um Eskalation zu managen. Dies dürfte sich angesichts von Russlands Schwierigkeiten mit dem Einsatz konventioneller Präzisionswaffen im Ukraine-Krieg und der militärischen Neuaufstellung der Nato jedoch verändern: Die Rolle nicht-strategischer Nuklearwaffen in Russlands Abschreckungspolitik wird wahrscheinlich wieder wachsen. Dies wird nicht nur die Krisenstabilität in Europa schwächen, sondern auch die nukleare Rüstungskontrolle künftig zusätzlich erschweren.