Vous êtes ici

Deutsches Institut für Entwicklungspolitik / Latest News

S'abonner à flux Deutsches Institut für Entwicklungspolitik / Latest News Deutsches Institut für Entwicklungspolitik / Latest News
Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Mis à jour : il y a 4 jours 13 heures

Mehr Pflicht als Wahl – Flüchtlinge unterstützen in einer globalisierten Welt

lun, 19/06/2017 - 10:00
Bonn, 19.06.2017. In Zeiten zunehmender nationalistischer Tendenzen und einer wachsenden Zahl gewaltsam Vertriebener erinnert der Weltflüchtlingstag an die Notwendigkeit einer inklusiven Entwicklung „mit Flüchtlingen“. Zum 50. Jahrestag der Flüchtlingskonvention hat die UN-Generalversammlung 2001 den 20. Juni als Weltflüchtlingstag ausgerufen. Angesichts bewaffneter Konflikte, politischer Instabilität und globaler Umweltveränderungen ist der Weltflüchtlingstag weiterhin relevant. Leider ist er eher auf ein symbolisches Gedenken der vielschichtigen Flüchtlingskrisen reduziert worden, die heute in vielen Teilen der Welt vorherrschen. Flüchtlinge scheinen doppelt verfolgt: sichere Länder weisen sie ab oder sie werden zum Faustpfand im Menschenhandel und -schmuggel. Die Rolle der SDGs bei der Bewältigung der globalen Flüchtlingskrise Die Kampagne des Weltflüchtlingstages, „mit Flüchtlingen”, fordert die Einbeziehung von Flüchtlingen in globale Initiativen wie die 2030 Agenda für Nachhaltige Entwicklung (SDGs). Obwohl die 2030 Agenda kein explizites Ziel für Flüchtlinge enthält, können ihre anderen Ziele dazu beitragen, eine Lösung für die globale Flüchtlingskrise zu finden. An erster Stelle steht das Entwicklungsziel 16, das auf Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen zielt. In der Präambel verkünden die Regierungen ihre Entschlossenheit, „friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften zu fördern, die frei von Furcht und Gewalt sind.“ Sie bekräftigen auch, dass es „ohne Frieden keine nachhaltige Entwicklung und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden geben kann.“ Zwar sind die SDGs nicht rechtsverbindlich, doch haben viele Länder erklärt, sie erreichen zu wollen. Allerdings entspricht die Rhetorik häufig nicht der Realität. Ungarn, dessen Bevölkerung der UNHCR während des Aufstands von 1956 unterstützte und das auf sein Engagement für die SDGs stolz ist, weist syrische Flüchtlinge ab und geht sogar so weit, Sympathisanten von Flüchtlingen im Gewand der Regulierung des Bildungswesens anzugreifen. Im bewaffneten Konflikt auf den Philippinen, wo Kämpfer mit Verbindungen zum Islamischen Staat eine symbolträchtige Stadt namens Marawi angegriffen haben, lässt sich andererseits beobachten, wie die martialische Rhetorik der Regierung eine gewaltsame Realität befördern und die Binnenvertreibung von fast 200.000 unschuldigen Zivilisten auslösen kann. Über die Zielkonflikte zwischen den SDGs ist viel gesprochen worden, doch auch ihre Verbindungen sollten hervorgehoben werden. Denn das Nichterreichen eines SDG kann negative Auswirkungen auf andere SDGs haben. Gewalt und Binnenvertreibung wirken sich nachteilig auf Armutsbeseitigung (SDG 1), Ernährungssicherheit (SDG 2), gesundes Leben (SDG 3), hochwertige Bildung (SDG 4), sauberes Wasser und Sanitärversorgung (SDG 6), breitenwirksames Wirtschaftswachstum (SDG 8), Industrie, Innovation und Infrastruktur (SDG 9), nachhaltige Städte und Gemeinden (SDG 11) und Landökosysteme (SDG 15) aus. Wie derzeit in Ostafrika zu beobachten ist, kann auch der Misserfolg bei der Bekämpfung von Hunger zu Migration führen. Die Region erlebt das dritte regenarme Jahr und Menschen können sich gezwungen sehen, zu migrieren um der Hungersnot zu entgehen. Flüchtlinge als Aktiva sehen, nicht als Passiva Kurzfristig brauchen Flüchtlinge in der Regel Unterstützung von den Empfangsländern, insbesondere wenn sie nicht arbeiten dürfen. Allerdings bieten Flüchtlinge den Empfängerländern auch Chancen – wenn diese sie zu nutzen wissen. Regierungen sollten sicherstellen, dass die Grundbedürfnisse der Flüchtlinge (in Bezug auf SDG 2) befriedigt werden und ihnen hochwertige Bildung (SDG 4) anbieten, um ihr Potenzial zu entwickeln. Wenn die Flüchtlinge schließlich erwerbstätig sein dürfen, kann dies auf lange Sicht zu breitenwirksamem Wirtschaftswachstum (SDG 8) führen. Die Regierung muss die Öffentlichkeit zeitnah und genau über ihre Flüchtlingsprogramme informieren, einschließlich der Verwendung von öffentlichen Geldern. Die Öffentlichkeit unterstützt Flüchtlinge durch die Zuwendung von öffentlichen Geldern, doch die Verteilung wird durch die Regierungspolitik bestimmt. Dies ist auch in Übereinstimmung mit den Zielen von SDG 16, das „leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen“ will. Die Öffentlichkeit kann Flüchtlinge weiter durch eigene Integrationsaktivitäten unterstützen, die Frieden und Inklusion nach SDG 16 fördern. In diesem Jahr fällt der 50. Jahrestag des Protokolls von 1967, das die Flüchtlingskonvention von 1951 auch auf Flüchtlinge außerhalb Europas anwendet. Die internationale Verpflichtung wird häufig als bloße altruistische Absichtserklärung missverstanden, tatsächlich aber ist es Aufgabe eines jeden, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Der Weltflüchtlingstag ist mehr als ein Symbol, er ist vielmehr eine Erinnerung an uns alle, dass der Empfang von Flüchtlingen nicht nur eine rechtliche und moralische Verpflichtung ist, sondern den aufnehmenden Gesellschaften auch nützen kann – wenn sie sich nachhaltig „mit Flüchtlingen“ entwickeln.

War da was? Welttag für die Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürre

mer, 14/06/2017 - 10:41
Bonn, 14.06.2017. Mit Welttagen ist es wie mit katholischen Heiligen und mit UN-Organisationen – es gibt viele und für alle Sorgen einen. Sie alle unterliegen Moden, Zyklen und politischem Gezerre. Wüstenbildung und Dürre könnten dabei derzeit eine Renaissance erleben. Den Welttag für die Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürre gibt es erst seit 1995. Er ist damit das Pendant der ebenfalls 1994 verabschiedeten internationalen Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung, die im vollen Titel (United Nations Convention to Combat Desertification in Those Countries Experiencing Serious Drought and/or Desertification, Particularly in Africa, UNCCD) ebenfalls das Doppelproblem Wüstenbildung und Dürre thematisiert. Diese wiederum ist eine der drei aus dem Erdgipfel in Rio 1992 hervorgegangenen Umwelt- und Entwicklungs-Konventionen, gemeinsam mit den Abkommen zum Klimawandel (UNFCCC) und zur Biologischen Diversität (CBD). Deutschland und Bonn haben einen besonderen Bezug zum dem Thema, denn sie beherbergen seit 1999 das UNCCD Sekretariat. Damals war Verwüstung ein besonders brisantes Thema. So erklärte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) anlässlich des Weltwüstentages 1996: „Die weltweit zu beobachtende Desertifikation und Degradation von Böden wird nach Ansicht des WBGU in den nächsten zwei bis drei Dekaden sehr viel deutlicher zu spüren sein als die Folgen des globalen Klimawandels“. Doch schon bald nach der Verabschiedung wurde es relativ still um Konvention und Gedenktag. Wüstenbildung und Dürre galten hauptsächlich als Probleme in und für arme Länder, während es schien, als hätten die Industrieländer diese hinter sich gelassen beziehungsweise im Griff. Sinnbild der Wüstenbildung war damals die sich nach Süden ausbreitende Sahara, nicht der Dustbowl des mittleren Westens der USA. Der weiter gefasste Begriff der (Boden- und Vegetations-) Degradation wurde nicht gewählt, obwohl er oft die bessere Bezeichnung für die Art von Prozessen ist, die durch die Konvention bekämpft werden soll. Auch die Reduzierung auf trockene und halbtrockene Standorte schloss viele Länder der gemäßigten Breiten aus. Mit der Namenswahl der Konvention hatte man daher eine thematische und geographische Verengung in Kauf genommen, die für die globale Relevanz der Thematik nicht förderlich war. Nachteilig für die globale Unterstützung war auch, dass Wüstenbildung und Dürren vordergründig vor allem lokale Effekte haben: der degradierte Boden, das verendende Vieh, die reduzierte Agrarproduktion sind lokal verortet und schaffen – wenn man es zynisch betrachtet – sogar Nachfrage und Wettbewerbsfähigkeit andernorts. Schließlich ist die Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürren vornehmlich eine lokale Angelegenheit, und die UNCCD setzt sogar besonders stark auf Aktionspläne von unten. Schon in entwickelten Staaten ist das schwierig und einer der Gründe, warum auch bei uns Bodenschutz oder Dürremanagement nicht sehr weit entwickelt sind. Aber auch für eine internationale Agenda wie die UNCCD hat dies Nachteile: Die multi-sektoralen Pläne haben kein „natürliches“ Leit-Ministerium, das sich die gesamte Agenda – jenseits des eigenen Mandats – ohne weiteres aneignen würde. Damit fehlt eine starke Verhandlungsposition des verhandelnden Ministeriums – oft zuständig für Umwelt oder Agrar/Forst – in den internationalen Verhandlungen. Ebenso ist es nicht einfach, internationale Gelder für solche Pläne bereitzustellen, eben weil kein spezielles Ministerium für die Umsetzung existiert und territoriale oder integrierte Ansätze wegen der sektoralen Aufgabenteilung der Geber selten sind. So erklärt sich, warum die Themen Wüstenbildung und Dürre keine Senkrechtstarter waren. Sie kamen in den einzelnen Ländern nicht in Fahrt, und waren international von Desinteresse, Steuerungsproblemen und Verteilungskonflikten zwischen Nord und Süd geprägt. Die UNCCD wurde „die arme kleine Schwester der Rio-Konventionen“. Eine Renaissance könnte sich aus Veränderungen des internationalen Kontextes ergeben. Die Agenda 2030 hat den Themenkomplex Bodenschutz und Artenvielfalt im Nachhaltigkeitsziel 15 gebündelt und ihm dadurch neue Sichtbarkeit und Kohärenz gegeben. Im Rahmen der Agenda wird auch der Zusammenhang zwischen Wüstenbildung und Bodendegradation, Artenschwund und Treibhausgas-Emissionen wieder klarer. Eine gewisse Internationalisierung bestimmter Maßnahmen, beispielsweise Wiederaufforstungen durch Investoren und ihre Finanzierung durch Klimafonds, führt zu mehr internationale Aufmerksamkeit, Sorgfalt und für neue Akteure. Der Klimawandel verstärkt Dürren und die Veränderung regionaler Vegetationsmuster. Er bringt, wenn schon nicht Hunger, so doch bisher in diesem Ausmaß nicht mehr erinnerte ökonomische und ökologische Probleme auch in die reichen Länder. Und im Süden werden Dürren und ökologische Degradation (wieder) zunehmend als Teil der Destabilisierung von Bevölkerungen und ganzen Nationen gesehen. Diese werden spätestens dann zu internationalen Problemen, wenn sie Terroristen und Migranten hervorbringen. Das Lexikon der katholischen Heiligen führt übrigens gleich fünf Helfer gegen Dürre ins Feld: Armagillus von Boschaux, Gerhard, Hugo von Nucaria, Isidor von Madrid, und Odo von Cluny. Viel hilft vielleicht doch manchmal viel!? In der realen Welt aber bitte koordiniert.

Brauchen Kleinbauern eigene Rechte – und wenn ja, welche?

lun, 12/06/2017 - 10:00
Bonn, 12.06.2017. Haben und/oder brauchen Bauern andere Rechte als der Rest der Menschheit? Dieser Frage geht seit Oktober 2012 eine offene Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen nach. Mitte Mai 2017 traf sich die Gruppe zum vierten Mal in Genf und versuchte, einen Text zu verfassen. Warum sollte es eine spezifische Menschenrechts-Erklärung für Bauern geben?  Sind  die Menschenrechte etwa nicht universell, nicht diskriminierend und unteilbar? Nun, schon seit langem gibt es spezielle Auslegungen der universellen Rechte für verschiedene, meist besonders vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder, ethnische Minderheiten, indigene Gruppen oder Arbeiterinnen und Arbeiter. Wenn sich der Menschenrechtsrat jetzt den Bauern widmet, geschieht dies vor dem Hintergrund, dass 80% der Hungernden in ländlichen Regionen leben und von diesen wiederum 50% Kleinbauern sind. Sie sind sehr stark von den natürlichen Ressourcen Land und Boden, Wasser und Biodiversität abhängig. Eigentum an bzw. Zugang zu diesen Ressourcen ist oft in lokalen Traditionen gewachsen und nicht partiell oder sogar unfair im modernen Staatsrecht geregelt. Häufig sind staatliche Institutionen im Konflikt mit traditionellen. In nicht wenigen Ländern dieser Erde gibt es berechtigte Zweifel, ob der Zentralstaat im besten Sinne seiner Landbevölkerung agiert. Von daher ist die Begründung, dass Bauern besonders schwach sind und von speziellen Rechten abhängen, und dass beide – Bauern und Rechte – besonders geschützt und gefördert werden müssen, völlig nachvollziehbar und unterstützenswert. Was steht im Entwurfstext? Zunächst eine Definition der Rechteinhaber: Es geht zunächst um Bauern (peasants). Zwar wird der Begriff des Bauern zunächst rein aus seinen Tätigkeiten in der Landbewirtschaftung abgeleitet, also im Sinne von Landwirt. Im weiteren Textverlauf wird jedoch klar, dass soziale Elemente, die Verbundenheit mit der Heimat, der traditionelle Lebensstil eine wichtige Argumentationsgrundlage bilden. Auffallend ist, dass neben Bauern und ähnlichen Gruppen wie Fischern und Hirten auch Landlose, Plantagenarbeiter und andere auf dem Land Arbeitende und Lebende eingeschlossen werden. Dies ist zwar nachvollziehbar, da diese Gruppen oft am stärksten benachteiligt sind, jedoch führt diese Ausweitung zu erheblichen Unstimmigkeiten bei konkreten Forderungen. Nach einigen allgemeinen Artikeln folgt eine lange Liste mit Forderungen von Rechten auf den verschiedensten Feldern: legale, soziale, politische, ökonomische, ökologische. Sie sind aus den unterschiedlichsten Menschenrechtsdokumenten zusammengetragen. Viele sind schon daher grundsätzlich anerkannt, insbesondere die aus den grundlegenden Menschenrechtsabkommen. Viele andere hingegen werden aus Spezialabkommen oder Gutachten übernommen und verallgemeinert. Dabei entstehen teilweise problematische Forderungen: Es wird ein Recht auf Nahrungsmittelsouveränität postuliert, und das nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf der Ebene lokaler Gemeinschaften, die daraus das Recht auf eigene Agrarsysteme ableiten, und sogar das Recht des einzelnen Landbewohners, ausreichend eigene Nahrung zu produzieren. Eine Gefahr, die sich daraus ergibt, ist die Zersplitterung nationaler Märkte. Eine andere Gefahr resultiert aus der Forderung nach dem Recht auf Land für alle Landbewohner. Dies ist im Prinzip gleichbedeutend mit dem Anspruch auf das Land anderer Landbewohner. Aus der Möglichkeit (may consider) von Landreformen wird eine Pflicht (shall carry out). Konflikte sind vorprogrammiert, die nicht immer zielführend sein dürften, zumal es in vielen Regionen dieser Welt keine Großgrundbesitzer gibt, bei denen man sich „bedienen“ kann. Aus dem international anerkannten Landwirte-Privileg für Nutzpflanzen, im Rahmen von Gesetzen und gegebenenfalls Saatgut aufzuheben, zu nutzen, zu tauschen und zu verkaufen, wird im Entwurfstext das uneingeschränkte Recht der Bauern, Saatgut und genetische Ressourcen ohne Einschränkung zu behalten, zu kontrollieren, zu schützen und zu entwickeln. Der Verfasser dieser Kolumne ist kein Menschenrechtsspezialist und weit davon entfernt, alle vorgeschlagenen Rechte im 30 Seiten langen Entwurfstext vollständig würdigen und einordnen zu können. Es geht beispielsweise um das Recht auf Souveränität über natürliche Ressourcen; das Recht auf Information in den die Bauern betreffenden Agrarmärkten; das Recht auf Wirkungsstudien bei allen Nutzungen bäuerlicher Ressourcen; das Recht, keinen Agrarchemikalien ausgesetzt zu sein; das Recht auf Zugang zu Märkten und fairen Preisen, die ein auskömmliches Einkommen garantieren; usw. Viele dieser Rechte wären nur kollektiv nutzbar. Man kann sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass für viele Probleme ein Rechtsansatz nur sehr bedingt geeignet ist, sinnvolle, realistische und realisierbare, widerspruchsfreie Maßnahmen abzuleiten. Statt vor allem die berechtigten Interessen und Rechte der benachteiligten Gruppen gezielt zu fördern, werden viele neue Probleme geschaffen. Die Staatengemeinschaft sollte es sich gut überlegen, ob sie sich hinter diesen allumfassenden Forderungskatalog stellt. Weniger ist manchmal mehr. Die Aufwertung bestehender informeller Rechte an Ressourcen ist richtig, aber nicht die Ausdehnung auf alle Landbewohner und die Forderung nach völlig neuen Rechtetypen. Umso wichtiger ist eine aktive Unterstützung der ländlichen Räume und ihrer Menschen, damit sie im gleichen Umfang wie Städter von Entwicklung profitieren können. Diese Kolumne ist am 12.06.2017 auch auf euractiv.de veröffentlicht worden.

Klimawandel ist nicht alles – Die Ursachen von Flucht und Migration sind vielfältig

mar, 06/06/2017 - 10:00
Bonn, 06.06.2017. Das Thema „Klimamigration“ – also der Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlicher Migration – gewinnt in Zeiten zahlreicher Flüchtlingskrisen und der (Anti-)Klimaschutzpolitik von US-Präsident Donald Trump zunehmend an öffentlicher Aufmerksamkeit und politischer Relevanz. Bereits kurz bevor Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verkündete, befürchtete Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, dass ein solcher Schritt ein maßgeblicher Beitrag für noch größere Migrationsströme nach Europa wäre. Passend dazu diskutierte Ende Mai zum ersten Mal die Task Force on Displacement der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC über den Umgang mit dem Thema Vertreibung als Folge des Klimawandels. Welche Bedeutung aber muss dem Faktor Klimawandel im Kontext von Flucht und Migration eigentlich beigemessen werden und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Mit der Frage, welche Rolle der Klimawandel für Migrationsentscheidungen eigentlich spielt, beschäftigen sich die Wissenschaft und verschiedene internationale Organisationen schon länger und tun sich damit bisweilen auch durchaus schwer. Der erst vor kurzem von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mit herausgegebene „Atlas der Umweltmigration“ etwa bemüht sich redlich mit unzähligen, z.T. sehr aufwendig gestalteten Illustrationen, das Phänomen Umwelt- bzw. Klimamigration in seinen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten und zu erklären. Allerdings bleibt man nach über 160 Seiten Lektüre auch etwas ratlos zurück. Haften bleibt vor allem der Eindruck, dass dies alles sehr komplex ist. Komplex ist dieser Zusammenhang in der Tat – ebenso wie die Migrationsentscheidungen selbst. Sie können von ökologischen aber sehr häufig auch von vielen anderen Faktoren und Motiven wirtschaftlicher, politischer, sozialer, kultureller oder demographischer Natur beeinflusst werden. Vieles deutet darauf hin, dass die immer noch weit verbreitete Annahme eines Automatismus zwischen Klimawandel und Migration – getreu einer Formel „weniger Regen oder mehr Dürren führt zu mehr Migration“ – stark angezweifelt werden muss. Ein solch genereller „Ökodeterminismus“ ist empirisch nicht haltbar. Menschen, die besonders unter den Auswirkungen des Klimawandels zu leiden haben, sind vor allem sehr arme Bevölkerungsgruppen in weiten Teilen des globalen Südens. Ihnen fehlen oft die notwendigen Ressourcen um überhaupt migrieren zu können bzw. diese werden durch die Auswirkungen des Klimawandels etwa in Form von Missernten noch zusätzlich erodiert. Nicht selten ist also eine fatale Immobilität statt Mobilität die Folge globaler Erwärmung. Menschliche Migration ist somit nicht unbedingt ein guter Gradmesser dafür, wie stark der Klimawandel und seine Folgen die Menschen in Afrika, Asien oder Lateinamerika treffen. Gerade auch akute Fluchtsituationen entstehen häufig aus komplexen Gemengelagen heraus. Zwar wird der Begriff des „Klimaflüchtlings“ immer noch gern und häufig benutzt, aber tatsächlich bilden bewaffnete Konflikte weltweit den Hauptfluchtgrund. Umweltfaktoren mögen neben historischen, ethnischen oder politischen Faktoren eine gewisse Rolle beim Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen spielen – den Klimawandel aber als Hauptgrund etwa für den Syrien-Krieg zu bewerten, wie es immer wieder in Medienberichten zumindest angedeutet wird, ist völlig haltlos. Ebenso hängt es bei Naturkatastrophen von verschiedenen Faktoren, wie etwa dem Vorhandensein oder den Kapazitäten des örtlichen Katastrophenschutzes wie auch generell der Leistungsfähigkeit und Legitimität der staatlichen Strukturen, ab, ob es aus einer Katastrophe eine Flucht resultiert oder nicht. Bei Bemühungen um bessere Lösungen und mehr Schutz von Flüchtlingen und Migranten ist es somit zwar unabdingbar, sich mit der Rolle des Klimawandels für Migrations- und Fluchtprozesse auseinanderzusetzen. Allerdings sind beim Ringen um konkrete politische Maßnahmen Fragen danach, ob bei dieser Flucht oder jener Migration die globale Erwärmung nun der dominante Auslöser war oder nicht, aus den genannten Gründen oft nur schwer zu beantworten. Wir müssen vielmehr auch eine Antwort auf die Frage finden, was mit Menschen ist, deren Fluchtgründe definitiv nichts mit ökologischen Faktoren zu tun haben, diese aber auch nicht von der sehr engen Definition der Genfer Flüchtlingskonvention abgedeckt sind. Die Konvention bezieht sich lediglich auf individuelle oder gruppenspezifische Verfolgung. Auch für „Nicht-Konventionsflüchtlinge“ müssen bessere Lösungen gefunden und von den reichen Industrieländern des globalen Nordens getragen werden. Denn Verantwortung kann man hier nicht nur ableiten aus (historischen) Treibhausgasemissionen. Vielmehr spielen auch koloniale Ausbeutung oder unfairer Welthandel eine Rolle. Diese mögen keine Hauptgründe für Konflikte, Flucht und Migration sein. Sie tragen aber dennoch ihr Scherflein bei.

Politische Parteien: Schwachstelle der Nachhaltigkeitsarchitektur

lun, 29/05/2017 - 07:30
Bonn, 29.05.2017. Es droht ein Trauerspiel. Während Regierungen in Bund und Ländern mit der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beginnen, wirken die sie tragenden Parteien davon auffällig unberührt und bleiben spürbar hinter den Dynamiken in Wirtschaft und Gesellschaft zurück. Kein gutes Omen für die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl und die nächsten vier Jahre. Nach dieser Legislaturperiode sind es dann nur noch neun Jahre bis 2030! Was läuft schief? In den bislang veröffentlichten Wahlprogrammen wird die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) allenfalls als Referenzrahmen für Entwicklungspolitik und andere Außenbeziehungen erwähnt, nicht aber als übergreifendes Narrativ für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im eigenen Land. Nicht anders sieht es übrigens vor der britischen Unterhauswahl in den manifestos von Konservativen, Labour und Liberalen Demokraten aus. In Berlin werden öffentliche Veranstaltungen mit Parteienvertretern zur Rolle der Agenda 2030 bislang von international ausgerichteten Organisationen der Zivilgesellschaft durchgeführt und vor allem durch entwicklungspolitische Themen und entsprechend fokussierende Sprecher der Parteien bestritten – auch wenn die Veranstalter die gesellschaftspolitische Dimension für die Menschen im eigenen Land versuchen mitzudenken. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat den Vorsitzenden von sieben Parteien unter der Überschrift „Was heißt ‚Nachhaltigkeit‘ für die politischen Parteien?“ sechs Fragen vorgelegt. Die bislang fünf Antworten verbinden zwar die jeweilige Programmatik allgemein mit der Agenda 2030 und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sowie erfreulicherweise auch mit einem gewissen Blick auf innerstaatliche Umsetzung. Aber ein konkretes und explizites Aufgreifen der SDGs in einzelnen Politikbereichen erfolgt genauso wenig wie ein Bekenntnis, der Nachhaltigkeit Verfassungsrang zu geben oder die Agenda 2030 wie von SDSN Germany gefordert themenübergreifend in den Wahlprogrammen zu verankern. Politik hinter den Bühnen der Nachhaltigkeit Sicher, die Agenda 2030 wurde von Regierungen beschlossen. Auch die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ist eine Strategie der Bundesregierung, nicht der Parteien, worauf gelegentlich süffisant hingewiesen wird. Gleichwohl spricht die Strategie vom „Gemeinschaftswerk Nachhaltige Entwicklung“, würdigt und ermuntert Akteure aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft, aus Wissenschaft, Kunst und Kultur. Nicht jedoch die Parteien, die nach Artikel 21 des Grundgesetzes an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Daran ändert auch der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung im Bundestag nichts, der die SDGs als Impuls für die Arbeit in den Fraktionen nutzt. Das Ziel seiner dauerhaften Verankerung in der Geschäftsordnung aber hat der Beirat bislang genauso wenig erreicht wie sich im politischen Alltag bei den Fraktionsspitzen deutlich Gehör zu verschaffen. Die Fraktionen als parlamentarische Präsenz der Parteien müssten in erster Linie aus diesen heraus für die Umsetzung der SDGs mobilisiert werden. In den Parteien kommen aber vielfältige regionale und persönliche Interessen, die Anliegen von Strömungen und Interessengruppen zum Tragen. Das tägliche Ringen um Macht und Einfluss ist am Kurzfristigen orientiert. Nicht zuletzt deshalb hat sich die Nachhaltigkeitsbewegung vor allem außerparlamentarisch und jenseits der Parteien aufgestellt. Es gilt im öffentlichen Nachhaltigkeitsdiskurs schon fast als unanständig, über Parteien zu sprechen. Zu groß ist die Sorge, in Parteipolitik abzurutschen, zu nah der Vorwurf, man missbrauche den Diskurs für parteipolitische Zwecke. Diese Scheu muss überwunden werden, wenn Nachhaltigkeit in die Mitte der politischen Debatte kommen soll. Müssten nicht auch die Parteien im neuen Forum Nachhaltigkeit mitwirken, Rede und Antwort stehen und mit klaren Selbstverpflichtungen vorangehen? Öffentlich über die Wege zu den SDGs streiten Aber auch die Nachhaltigkeitsbewegten müssen umdenken und sollten die Parteien nicht mehr links liegen lassen. Zivilgesellschaft darf nicht nur Regierung und Wirtschaft, sie muss genauso die Parteien herausfordern. Auch die Nachhaltigkeitsforschung darf die Parteien nicht länger vernachlässigen, sondern muss deren Rolle zum Gegenstand politikwissenschaftlicher Analysen und Empfehlungen machen. Wahlkämpfe leben von Unterschieden und Unterscheidung. Nachhaltige Entwicklung ist eine gemeinsame Aufgabe, die vom öffentlichen Bekenntnis lebt. Auf beides ist unsere Demokratie angewiesen. Jetzt sind die Spitzen der Parteien gefragt! Dieselben Politiker, die sich in Geleitworten von Nachhaltigkeitsstrategien, in Bundestag oder Europarlament, bei den Vereinten Nationen oder bei G7 und G20 zur Universalität der Agenda 2030 bekannt haben, müssen dies nun kraftvoll auch auf ihren Parteitagen tun und in den Wahlprogrammen verbindlich ausdrücken.

„Make biodiversity great again!“

lun, 22/05/2017 - 10:00
Bonn, 22.05.2017. Der 22. Mai wird als internationaler Tag der Biodiversität gefeiert. Als US-Präsident erlebt Donald Trump diesen Tag zum ersten Mal. Bisher hat man über ihn im Zusammenhang mit dem Thema Umweltschutz nichts Positives gehört. Den Klimawandel hält er für einen Schwindel, den sich die Chinesen ausgedacht haben. Er bezeichnet Umweltprüfungen als umständliche, lange und furchtbare Genehmigungsprozesse und will den Etat der Umweltagentur, zu deren Chef er einen Freund der Kohle- und Ölindustrie gemacht hat, massiv kürzen. Entsprechend scheint er sich auch nicht für den Schutz von Biodiversität zu interessieren. Vor kurzem brachte er Naturschutzverbände gegen sich auf als er verhindern wollte, eine vom Aussterben bedrohte Hummel unter Schutz zu stellen, weil dieser Vorgang noch unter Obama eingeleitet worden war. Mittlerweile laufen etliche Klagen gegen Trump wegen Missachtung der Umweltgesetzgebung. Dabei hätte Donald Trump viele Gründe, sich für den Erhalt der Umwelt und vor allem der Biodiversität einzusetzen, nicht nur um die nach ihm benannte Motte Neopalpa donaldtrumpi zu schützen. Wie der Rest der Welt sind auch die USA, der amerikanische Privatsektor und Donald Trump selbst Nutznießer von Biodiversität und damit auf ihren Erhalt angewiesen. Der internationale Tag der Biodiversität widmet sich in diesem Jahr dem Thema Tourismus. Angebote von Öko-, Abenteuer- und Naturtourismus boomen. Intakte und schöne Landschaften, Berge, Küsten, Strände, Dünen, Meere, Wälder und Wiesen bieten die Kulisse der angebotenen Produkte. Naturerlebnisse, wie zum Beispiel Safaris und Wanderungen in Nationalparks oder Schnorcheln an Korallenriffen, gehören für viele zu den schönsten Urlaubserinnerungen. Aber diese Biodiversität ist weltweit unter Druck. Schätzungen zufolge sterben jeden Tag bis zu 380 Tier- und Pflanzenarten aus. Die 17 „Megadiversity“-Länder mit der höchsten Biodiversität, zu denen unter anderem Brasilien, Südafrika, die DR Kongo, Indonesien aber eben auch die USA zählen, beherbergen 70 Prozent der auf dem Land lebenden Arten. Die negativen Auswirkungen von Tourismus auf Biodiversität können erheblich sein, wenn Lebensräume zerstört und verschmutzt werden, wie in Cancún, Mexiko, wo beispielsweise große Mangroven- und Waldbestände zugunsten der Tourismusentwicklung abgeholzt wurden. Die Tourismusbranche hat sich weltweit in den letzten zwei Jahrzehnten rasant entwickelt. Die Zahl der internationalen Touristenankünfte pro Jahr stieg um durchschnittlich 4,2 Prozent an und es ist kein Ende des Wachstums in Sicht. Der Druck auf Biodiversität durch Tourismus wird somit in Zukunft weiter zunehmen. Wichtig ist deshalb, Schutz und nachhaltige Nutzung der Natur im Tourismus zusammenzudenken. Stichhaltige ökonomische Argumente gibt es genügend. Da sollte auch der Geschäftsmann Trump hellhörig werden. Die US-Schutzgebietsbehörde schätzt, dass vom Tourismus in den 59 US-Nationalparks (z.B. Yellowstone und Grand Canyon) mehr als drei Millionen Arbeitsplätze abhängen, und 2016 fast 35 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet wurden. Trumps Anwesen in Florida liegt nur unweit der Everglades, einem riesigen, als gefährdet eingestuften Sumpf- und Naturschutzgebiet und beliebten Touristenziel. Seine Luxushotels in Hawaii oder Florida liegen inmitten von Biodiversitäts-„Hotspots“. Auch andere amerikanische Wirtschaftssektoren sind von Biodiversität abhängig, nicht zuletzt die amerikanische Pharma- und Biotechnologieindustrie – weltweit die größte. Viele gewinnträchtige Produkte basieren auf Pflanzen und deren Wirkstoffen, die in Biodiversitäts-„Hotspots“ entdeckt wurden. Je mehr Vielfalt es gibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu neuen Entdeckungen kommt. Starke Argumente für Donald Trump den Verlust von biologischer Vielfalt aufzuhalten und sich z.B. für nachhaltigen, ökologisch verträglichen Tourismus einzusetzen. Donald Trumps Einfluss auf die Umwelt ist heute als Präsident der USA viel größer als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor mehr als 15 Jahren bei der Entwicklung des „Trump-Index“ angenommen hatten. Der „Trump-Index“ misst, basierend auf Einkommen und Konsum, wie stark ein Individuum zur Umweltzerstörung beiträgt. Damals kam man zu dem Ergebnis, dass ein „Trump“ in etwa so viel zur Zerstörung beiträgt wie mehrere Millionen Stadtbewohner Mumbais. Politische Macht wird bei diesem Index nicht berücksichtigt. Diese übt Donald Trump aber jetzt aus. Bisher ist es keinem US-Präsidenten gelungen, die Konvention über Biologische Vielfalt, die bereits 1992 unter dem Dach der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, zu ratifizieren – im Gegensatz zu allen anderen Ländern dieser Welt. Hier könnte er sich von seinen Vorgängern absetzen und die (Um-)Welt positiv überraschen. Die internationalen Bemühungen zum Biodiversitätsschutz erhielten eine neue Dynamik. Für Amerika wäre dies auch gut. Biodiversity First! – nur so geht es. Carmen Richterzhagen ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, Marianne Alker ist Beraterin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) 

Chinas Seidenstraßen–Initiative in der Sackgasse?

lun, 15/05/2017 - 09:49
Bonn, 15.05.2017. Am vergangenen Wochenende hatte der chinesische Präsident Xi Jinping zu einem großen Seidenstraßen-Forum nach Peking eingeladen. Die "Belt and Road Initiative" (BRI) ist ein zentraler Baustein der chinesischen Globalisierungsstrategie und Xi‘s Reputation ist eng mit der Initiative verknüpft. Unter ihrem Dach soll ein Transport-, Energie-, und Kommunikationsnetzwerk durch Asien bis nach Europa und Afrika gespannt werden, auf dessen Grundlage Handel und Investitionen "zum gegenseitigen Nutzen" wachsen sollen. Für einige der mehr als 60 Länder, die an der Initiative teilnehmen sollen, sind die angestrebten Infrastrukturprojekte Teil der nationalen Entwicklungsstrategie. So investiert etwa Pakistan mehr als 50 Mrd. US-Dollar in einen China-Pakistan Economic Corridor und erhofft sich daraus erhebliche Wachstums- und Beschäftigungseffekte. In jüngster Zeit häufen sich die Zweifel an BRI. Tatsächlich sind die chinesischen Auslandsinvestitionen in den vergangenen zwei Jahren zwar gestiegen, sie fließen aber eher in die USA oder nach Europa und Singapur als in BRI-Partnerländer. China hält dem entgegen, dass es sich bei der Initiative um eine langfristige Vision handelt, welche erst auf lange Sicht zu Ergebnissen führen wird. Offenbar gibt es aber zunehmend Schwierigkeiten, die chinesischen Staatsunternehmen als bislang wichtigste Träger der Initiative vom wirtschaftlichen Nutzen neuer Investitionen zu überzeugen. Erste Projekte in Myanmar und Sri Lanka haben sich als politisch konfliktträchtig und wirtschaftlich wenig ertragreich herausgestellt. Die schwierige Lage des chinesischen Finanzsektors mit wachsenden Kreditausfällen lässt Staatsunternehmen und Banken umso mehr vor neuen Risiken zurückschrecken. Die Finanzierung der BRI ist in der Tat weitgehend ungeklärt. Trotz der angekündigten Kapitalerhöhungen für den Silk Road Fund und die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) werden diese Institutionen die Finanzierung nicht alleine stemmen können. Wichtigste Finanziers von BRI-Projekten waren bisher die China Exim Bank und die China Development Bank. Sie müssen damit rechnen, dass ein Teil ihrer Kredite ausfallen wird, weil sich Länder finanziell übernommen haben, und halten sich entsprechend zurück, wenn es um neue Projekte geht. Drohende Zahlungsausfälle seitens Pakistans wurden in den letzten Monaten durch kurzfristige Hilfskredite chinesischer Staatsbanken vermieden. In China selbst wurden Infrastrukturprojekte in massivem Umfang und trotz gelegentlicher lokaler Widerstände meist zügig umgesetzt, finanziert aus hohen inländischen Ersparnissen, die über das chinesische Finanzsystem in Projekte kanalisiert wurden. Dieses Modell kann auf die BRI nicht übertragen werden. Sowohl die Finanzierung als auch die governance von Infrastruktur ist andernorts komplexer und erfordert andere Formen der Zusammenarbeit von Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Deshalb sollte die BRI dringend ‚multilateralisiert‘ werden. Es geht schließlich nicht nur um eine Vielzahl von Einzelprojekten, sondern um grenzüberschreitende Transport-, Kommunikations- und Energienetzwerke, die von einzelnen Ländern nicht alleine geplant und umgesetzt werden können. Eine Multilateralisierung bedeutet dreierlei: Erstens, den Aufbau einer Wissensplattform für nachhaltige Infrastruktur, die vor allem den schwächeren Ländern hilft, das neueste Wissen über Energie-, Transport- und Kommunikationsnetze unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zu absorbieren und in ihre Entwicklungsplanung einzubeziehen. Infrastruktur im 21. Jahrhundert ist mehr als Stahl, Beton und Megawatts. Die Welt braucht intelligente, ressourcenschonende Lösungen zur Erreichung der vereinbarten Nachhaltigkeitsziele. Dieses Wissen ist verfügbar und wird ständig weiter entwickelt. Es wird bisher nicht systematisch bei der Auswahl und der Planung von BRI-Projekten berücksichtigt. Zweitens, gemeinsame Standards zur Ausschreibung und zur Finanzierung von Projekten. Bei Ausschreibungen geht es um Transparenz und fairen Wettbewerb, nicht zuletzt auch um die Einbeziehung lokaler Unternehmen beim Bau und beim Betrieb von Projekten. Die Einbeziehung der lokalen Wirtschaft und Zivilgesellschaft dürfte Projektumsetzungen verlangsamen, ist aber unabdingbar für deren Nachhaltigkeit und für die lokale Wirtschaftsentwicklung. Standards für die Finanzierung sollten den Wettbewerb der Finanzinstitutionen (Multilaterale und nationale Entwicklungsbanken, Exportfinanzierungs-Institute, private Finanzinstitute) regulieren und die Schuldentragfähigkeit der Länder berücksichtigen. Drittens, die Verknüpfung mit regionalen Integrations- und Konnektivitäts-Strategien anderer Länder auf einer multilateralen Plattform. Indien, Japan, Südkorea, Iran und nicht zuletzt die EU verfolgen länder- und regionenübergreifende Integrationsstrategien und Investitionsprogramme und sehen zu Recht keinen Anlass, sich einer bilateralen chinesischen Initiative unterzuordnen. Ein geeignetes Forum hierfür wäre die G20, die bei ihrem bevorstehenden Gipfel in Hamburg im Juli dieses Jahres das Thema "nachhaltige Infrastruktur" auf der Agenda hat. Sie könnte Grundsätze formulieren, an denen sich alle Akteure – Regierungen, Finanzinstitutionen und Unternehmen – bei international finanzierten Infrastrukturprojekten zu orientieren hätten.

Strukturpolitik für Zukunftsaufgaben

lun, 08/05/2017 - 10:00
Bonn, 08.05.2017. Die Welt kämpft derzeit mit einer Reihe großer Herausforderungen. Die meisten haben eines gemeinsam: Sie gehen mit tiefgreifenden Veränderungen in der Struktur unserer Volkswirtschaften einher. Die Zukunftsmärkte für Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräfte werden sich stark von denen unterscheiden, die wir heute kennen. Drei Beispiele dazu: Dekarbonisierung: Bis Ende dieses Jahrhunderts muss die derzeit fossile globale Wirtschaft vollumfänglich kohlenstoffneutral werden. Dazu sind tiefgreifende Transformationen der Energie- und Transportsysteme, der Landwirtschaft und der Industriegüterproduktion notwendig, die in ihrem Ausmaß mit der industriellen Revolution vergleichbar sind. Digitalisierung: Durch neue Technologien (Digitalisierung, Robotik) werden Maschinen in der Lage sein, viele menschliche Aufgaben zu übernehmen – jedoch zu geringeren Kosten. Schätzungen zufolge könnten etwa die Hälfte der heutigen Jobs innerhalb der kommenden zwei Jahrzehnte durch Automatisierung wegrationalisiert werden. Urbanisierung: Weltweit wächst die Stadtbevölkerung rasant. 2035 werden sieben Milliarden Menschen in Städten leben. Dies wird tiefgreifende Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur haben. Erstens beanspruchen Stadtbewohner eine größere Vielfalt an Waren und Dienstleistungen, was die wirtschaftliche Diversifizierung vorantreibt. Zweitens befördern Ballungsräume das Innovationstempo. Drittens müssen für die heutigen Transportarten und Bauweisen in den Städten umweltfreundliche Alternativen gefunden werden, wofür andere Technologien und Materialien erforderlich sind. So werden heutige Berufe, Fertigkeiten und Wettbewerbsvorteile von Firmen ihre Bedeutung verlieren und durch andere ersetzt werden. Solche Transformationen zu gestalten, ist Aufgabe der Strukturpolitik. In der Vergangenheit beschränkte sich die Strukturpolitik im Wesentlichen auf die Schaffung von Industrien mit höherer Produktivität und breiterer Diversifizierung, um Einkommen zu steigern. Heute benötigen wir Lösungen für eine Wirtschaft ohne Kohlenstoffemissionen; wir müssen darüber nachdenken, wie wir gesellschaftliche Aufgaben im Zeitalter der Digitalisierung so verteilen, dass Leistungen besser werden, ohne dass Massenarbeitslosigkeit entsteht; wir brauchen neue Konzepte nachhaltiger Urbanisierung. Die Bewältigung dieser Herausforderungen stützt sich zum großen Teil auf Innovationen, die in konkurrenzbasierten Märkten entstehen. Zugleich wird jedoch politische Lenkung wichtiger: erstens sind die komplexen gesellschaftliche Ziele nicht vollständig in Preisen abzubilden; zweitens setzen die anstehenden Transformationen voraus, dass vielfältige technologische und institutionelle Veränderungen koordiniert auf den Weg gebracht werden.  Während die Ziele der Strukturpolitik einem tiefgreifenden Wandel unterzogen sind, gelten die meisten Gestaltungsprinzipien und Erfolgsfaktoren weiterhin. Am Anfang stehen sollte eine politische Entscheidungsfindung über ein „nationales Transformationsprojekt” unter Einbeziehung vielfältiger gesellschaftlicher Akteure, das Wegweiser für künftiges Handeln ist. Bei der Umsetzung sollten Regierungen möglichst viele marktwirtschaftliche Instrumente nutzen. Tempo und Sequenzierung der Transformation sollten so gewählt werden, dass die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Arbeitskräften nicht überfordert wird. Das Experimentieren mit Technologien und Märkten sollte gefördert und von Monitoring und Evaluierung begleitet sein. In vielen Entwicklungsländern werden diese Gestaltungsprinzipien einer intelligenten Strukturpolitik allerdings kaum berücksichtigt. Grund dafür sind nicht nur der Mangel an Finanzierungsmöglichkeiten und Fachleuten, sondern insbesondere politische Praktiken, die von Korruption und Vetternwirtschaft gekennzeichnet sind. Daher sind typischerweise die Länder, die eine intelligente Strukturpolitik besonders dringend bräuchten, zugleich diejenigen, in denen die Voraussetzungen für deren Umsetzung fehlen. Wege aus diesem Dilemma aufzeigen möchte das Buch Industrial Policy in Developing Countries Es bietet eine Bestandsaufnahme kontroverser Standpunkte über Strukturpolitik. Des Weiteren werden die in diesem Jahrhundert entstehenden großen Herausforderungen des Strukturwandels diskutiert. Fünf Fallstudien über Äthiopien, Mozambique, Namibia, Tunesien und Vietnam geben Einblicke in die Praxis. Sie zeigen Fehler in der Strukturpolitik, aber auch eindrucksvolle Erfolge sowie die daraus zu ziehenden politischen Lehren. Konflikte lediglich zu kaschieren, führt niemals zum Ziel. Zielkonflikte (z.B. zwischen Beschäftigung und Umweltschutz) müssen erkannt und offen diskutiert werden. Das Buch präsentiert anstelle von Dogmen evidenzbasierte Erkenntnisse. Dabei wird die Forderung nach ausgewogenen Standpunkten aufgestellt: Ja – Strukturpolitik, eine Lenkung der Marktakteure sowie die Entwicklung einer langfristigen Vision sind notwendig, und nein – es ist niemals leicht, es müssen Risiken eingegangen werden, wodurch auch Fehlschläge möglich sind. Die Autoren zeigen auch, mit welchen Maßnahmen kostspielige Fehler in der Strukturpolitik vermieden werden können.

Marshallplan mit Afrika – Wirksamkeit der Entwicklungspolitik weiterdenken

mar, 02/05/2017 - 09:00
Bonn, 02.05.2017. Der „Marshallplan mit Afrika“ von Entwicklungsminister Müller beinhaltet Eckpunkte für eine neue deutsche entwicklungspolitische Afrika-Strategie. Die Vorschläge verbinden öffentliche und private Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit afrikanischen Ansätzen, wie zum Beispiel der Agenda 2063 der Afrikanischen Union. Daneben bestehen zwei weitere Schwerpunkte zur Friedensicherung und Governance-Förderung. Ziel ist eine nachhaltige Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent im Sinne der Sustainable Development Goals (SDGs). Damit dieses Ziel erreicht wird, sollte gewährleistet werden, dass entwicklungspolitische Mittel effizient und effektiv im Sinne der Agenda 2030 eingesetzt werden und Privatinvestitionen auf nachhaltige Entwicklung in Afrika ausgerichtet sind.  Daher sollte der Marshallplan klare Wirksamkeitskriterien für staatliche EZ und private Akteure von Anfang an einbinden und somit die Wirksamkeit der EZ weiterdenken. Wirksamkeit der EZ und der Marshallplan In den Eckpunkten der Afrika-Strategie werden bereits wichtige Forderungen der entwicklungspolitischen Wirksamkeitsagenda genannt, die in internationalen Verhandlungen in Paris, Accra und Busan verabschiedet wurden. So zum Beispiel Politikkohärenz, eine Ausrichtung der EZ an den Strategien der Partner und Multi-Akteurs-Partnerschaften zwischen zentralen und lokalen Regierungen, Parlamenten, Zivilgesellschaft und dem Privatsektor. Allerdings werden andere ebenso wichtige Prinzipien im Plan, wie die Nutzung nationaler Institutionen für die Planung, Durchführung und Evaluierung von EZ-Vorhaben und eine größere Transparenz und Ergebnisorientierung nicht genug gewürdigt. Um eine wirksame Afrika-Strategie zu gestalten, sollten Akteure wie die Globale Partnerschaft für Effektive Entwicklungszusammenarbeit (GPEDC) und die bei den Vereinten Nationen beheimatete Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung (SDG 17) in die Planung und Umsetzung des Marshallplans eingebunden werden. Nachhaltige Wirkung von Privatinvestitionen sicherstellen Auch bei der Förderung von Privatinvestitionen muss sichergestellt sein, dass diese eine nachhaltige Entwicklungswirkung entfalten. Dazu gilt es Investitionen zu mobilisieren und zu fördern, die langfristige, sektorübergreifende und klimafreundliche Ziele haben sowie ein breitenwirksames Potential zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Weiterbildung der Bevölkerung. Eine nachhaltige Entwicklung durch private Investitionen bedarf der Ausdauer und Transparenz über Entscheidungen sowie der systematischen Messung positiver und auch negativer, unbeabsichtigter Wirkungen. Das sollte auch bei Privatwirtschaftsförderung im Rahmen des Compact mit Afrika der G20 beachtet werden. Kooperationsbeispiele und Erfahrungen bietet die New Alliance for Food and Nutrition Security, die auf die Förderung von privaten Investitionen durch Unterstützung von Reformen mithilfe von EZ-Mitteln ausgerichtet ist. Außerdem kann auf Erfahrungen von Organisationen wie der International Finance Corporation (IFC) der Weltbank zurückgegriffen werden, die private Investitionen für nachhaltige Entwicklung in Entwicklungsländern fördern. Darauf aufbauend sollten Wirksamkeitskriterien für die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor als Anhaltspunkt für sinnvolle Fördermaßnahmen von den Regierungen in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft erstellt und durch die Multi-Akteurs-Plattform GPEDC überprüft und kritisch bewertet werden. Ziel muss es sein, Reformen voranzubringen, die an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtet sind und die zugleich Erwartungssicherheit und Investitionschancen für Unternehmen verbessern. Wirksame Afrikapolitik Entscheidend für den Erfolg und die Wirksamkeit einer Afrika-Strategie wird sein, ob das Versprechen, afrikanische Ansätze und Strukturen zu nutzen und zu fördern, eingelöst wird. In der Praxis würde dies bedeuten, dass sich die EZ an den nationalen Nachhaltigkeitsstrategien der afrikanischen Partner ausrichtet und deren Institutionen für die Planung, Durchführung und Ergebnismessung von EZ nutzt, um diese zu stärken. Es kann nicht das Ziel einer neuen Afrika-Strategie sein, allein reformorientierte Staaten, die Rechtssicherheit und politische Beteiligung unter Beweis stellen, zu fördern. Der Kontinent beheimatet eine relativ große Zahl fragiler und sehr armer afrikanischer Staaten mit schwachen Verwaltungsstrukturen, deren Institutionen kaum Kapazität für EZ-Programme haben. Es bedarf einer Flexibilisierung der Instrumente der Entwicklungspolitik und einer klugen Kombination strategischer Partnerschaften mit „Reformchampions“ mit einer Stabilisierung fragiler Staaten. Kurzfristige Reformen und schnelle wirtschaftliche Gewinne gefährden diese Entwicklung und können zur Ausbreitung von Konflikten beitragen. Im Rahmen der Agenda 2030 haben sich Geber dazu verpflichtet 15 bis 20 Prozent der öffentlichen EZ-Leistungen an fragile und gering entwickelte Länder zu geben, um diese besonders zu fördern. Die deutsche EZ sollte von diesen Beschlüssen nicht abrücken, sondern öffentliche und private EZ-Ansätze klug kombinieren. Dazu sollte der Marshallplan die Kriterien für effektive Wirksamkeit der EZ direkt benennen und auch für die Förderung von privaten Investitionen verpflichtend machen.

Green Economy – Optionen für nachhaltigen Konsum

lun, 24/04/2017 - 10:39
Bonn. 24.04.2017. Nachhaltiger Konsum und Produktion sind als Sustainable Development Goal 12 erstmals explizite Ziele der globalen Agenda für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Auf der wirtschaftlichen Angebotsseite ist die Green Economy mit Ressourceneffizienzstandards, Emissionsauflagen und grünen Investitionsanreizen für produzierende Gewerbe schon fast eine alte Bekannte. Auf der Nachfrageseite allerdings stand der Konsum bisher weniger im Fokus von Überlegungen zu nachhaltigen Wirtschaften. Dabei könnte insbesondere die wachsende Gruppe der Konsumenten in Ländern mittleren Einkommens den Aufbau einer Green Economy beschleunigen. Anders als oft angenommen ist es nicht so, dass Nachhaltigkeit in diesen Ländern niemanden interessiert und sich nachhaltiger Konsum nicht motivieren lässt.

Globale Konsumtrends

Auch wenn der Medienhype um die neuen Mittelschichten in Afrika in den letzten Jahren überzogen war, verfügen inzwischen weltweit wesentlich mehr Menschen über neue Konsummöglichkeiten als noch vor zehn Jahren. Die Einkommen in einer Vielzahl von Entwicklungsländern sind gestiegen und damit der Verkauf von Luxusgütern wie Mopeds, Autos und Smartphones sowie von Fleischwaren. Die Industrie wittert längst neue Absatzmärkte mit riesigem Potenzial. Gleichzeitig steigt der Konsum in den Industrieländern immer weiter an. In Deutschland allein wuchs der Markt für vernetzte Konsumelektronik im Jahr 2016 um 9% gegenüber dem Vorjahr. Viele Konsumgüter gibt es inzwischen auf dem globalen Markt auch nachhaltig produziert. Meist sind sie allerdings teuer. Staatliche Förderung und bewusst entscheidende Käufer, die mehr Nachfrage für nachhaltige Produkte schaffen, können Abhilfe schaffen. Die Annahme, dass neue Mittelschichten vor allem ihren neuen Status zur Schau stellen und wenig auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit achten führt dazu, dass grünen Strategien, die nachfrageorientiert sind, oft von vorneherein kaum Chancen eingeräumt werden. Doch ist das klug?

Lifestyle: Alle fahren Bambusfahrrad statt SUV!

Dass nachhaltig produzierte Bambusfahrräder demnächst die SUVs als Statussymbol ablösen ist in Entwicklungsländern wohl genauso unwahrscheinlich wie bei uns. Auch dass die neuen Konsumenten bessere Menschen sind und nicht dem Reiz günstiger, bequemer Optionen erliegen, wäre zu viel erwartet. Einerseits den Klimateller in der Kantine bestellen, andererseits doch schnell mit dem Auto ins Büro fahren – das sind uns bekannte psychologische Muster, die schwer zu durchbrechen sind. Nachhaltiger Konsum hat eine globale Vorbildfunktion. Wenn Gewohnheiten, Standards, Statussymbole in Industrieländern grüner werden, ändert sich vielleicht auch irgendwann das entsprechende Zielsystem der neuen Konsumentengruppen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Gleichzeitig gilt es, schon bestehende Initiativen für nachhaltigen Konsum in diesen Ländern weiter zu stärken. Die wachsende Kaufkraft der neuen Mittelschichten kann ganze Industriezweige beeinflussen. Erste Schritte zeigt Brasilien. Brasilianische Konsumenten reagieren stark auf den Nachweis unternehmerischer Verantwortung bei ihren Kaufentscheidungen. In Vietnam lassen sich insbesondere junge Konsumenten für energieeffiziente, sparsame Produkte begeistern. Und schadstofffreies, langlebiges Spielzeug begeistert Mittelklasseeltern in Kampala mehr als die billige Plastikvariante. Es lohnt sich also, solche klugen Ansätze zu fördern.

Lösungen für das Green Economy Puzzle

Das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ist das Henne-Ei Problem der Wirtschaft. Gibt es keine oder nur sehr teure nachhaltige Produkte auf dem Markt, kauft sie niemand. Wenn zu wenig gekauft wird, lohnt sich die Produktion nicht. Die Nachfrage muss also angesprochen werden, um den Konsum zu steigern und die Produktion rentabel zu gestalten. Gleichzeitig soll die Green Economy sauber, umwelt- und sozialverträglich produzieren. Die Brücke zum Konsumenten findet sich in Energieeffizienzklassen und anderen Verbraucherinformationen auf Verpackungen. Informationskampagnen, eine schrittweise Verschärfung von Umweltrichtlinien und Steigerung der Investitionsanreize für die Industrie in der ersten Entwicklungs- und Produktionsphase gehören bei diesen Programmen in den Werkzeugkasten.

Eine weitere Option bietet eine gezieltere Analyse von Konsummotivationen, Werten und Wünschen neuer Konsumgruppen in Entwicklungsländern. Ihre Ergebnisse könnten in gezieltere Bildungs- und Informationsprogramme und die Nutzung jeweiliger Vorbilder und Ideale fließen, zum Beispiel durch die Gewinnung lokaler Musikgrößen als Multiplikatoren. Als erster Schritt sollte nachhaltiger Konsum im lokalen Wertesystem ansprechend und einfach zu erfüllen sein, ohne finanziell weh zu tun. Subventionen oder Gutscheinsysteme können dies ermöglichen. Eine dritte Option kann die Unterstützung von Verbraucherschutzorganisationen und anderen repräsentativen Gruppen der Mittelschichten sein, die in die Entwicklung von Green Economy Programmen stärker eingebunden werden. Welche Zukunft stellen diese Gruppen sich für ihre Kinder, für ihr Land und den Planeten vor?

Eine geschickte Nutzung der Macht der Verbraucher bietet das Potenzial, der Green Economy neuen Schwung zu verleihen. Nachhaltiger Konsum sollte eine zentrale Komponente in der Förderung der Green Economy werden. Diese Kolumne ist am 24.04.2017 auch auf euractiv.de erschienen.

Hochschulbildung für die SDGs – gerade auch im globalen Süden

lun, 10/04/2017 - 09:47
Die Sustainable Development Goals (SDGs) erfordern wissensbasierte Konzepte, sonst wird ihre Umsetzung scheitern. Entwicklungszusammenarbeit versteht sich schon lange als Know-how-Vermittler, oft im Rahmen technischer Zusammenarbeit. Die notwendige globale Transformation, wie sie sich auch in den SDGs als Vision widerspiegelt, verlangt ein radikal anderes Herangehen. An die Stelle eines Nord-Süd-Wissenstransfers muss das gemeinsame praxisorientierte Lernen von Wissenschaftlern aus vielen Ländern treten. Akteure des globalen Südens müssen frühzeitig einbezogen werden, um Problemlagen und Lösungsansätze zu identifizieren und zu ihrer Überwindung beizutragen. Diese Themen wurden am 20. und 21. März in Berlin auf der Konferenz „Role of Higher Education, Science and New Alliances – 2030 Agenda” diskutiert. Sie wurde organisiert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der Alexander von Humboldt-Stiftung. Gemeinsam mit Partnern des globalen Südens wurde analysiert, welche Rolle Hochschulbildung und Wissenschaft für das Erreichen der SDGs haben und wie sich die internationale Zusammenarbeit hierauf einstellen kann. Tertiäre Bildung und die SDGs Ein globaler Übergang zur Nachhaltigkeit kann auf Basis einer breiten und hochwertigen Hochschulausbildung auch im globalen Süden gelingen. Diese darf sich nicht auf die Vermittlung von Lehrbuch- und Faktenwissen beschränken, sondern muss Menschen befähigen, komplexe und drängende Herausforderungen zu antizipieren, zu analysieren und Lösungen zu finden. Neugierde am gemeinsamen Lernen mit internationalen Partnern gehört ebenso zu den zu vermittelnden Werten wie die Bereitschaft, überliefertes Wissen zu hinterfragen und eventuell zu revidieren. Diese Anpassungen sind im Norden wie im Süden notwendig. Hochschulbildung im globalen Süden steht vor großen Herausforderungen Der Bevölkerungszuwachs der kommenden Jahrzehnte wird fast ausschließlich im globalen Süden stattfinden. Immer mehr junge Menschen erwerben die Qualifikation, um sich an einer Hochschule einzuschreiben. Das wird die Nachfrage nach Studienplätzen stark erhöhen. Damit setzt sich ein Trend fort, der seit Jahren vor allem in Ländern mit mittlerem Einkommen beobachtet werden kann. Zwischen 2000 und 2014 stieg die Zahl der Studierenden in Middle Income Countries von 60 auf 122 Millionen. In vielen Ländern des globalen Südens sind Hochschulen und ihr Personal schon heute systematisch überlastet. Wenn wenige Professoren immer mehr Studierende unterrichten müssen, dann leidet die Qualität der Lehre und für eigene Forschungen bleibt keine Zeit. Das Humboldtsche Bildungsideal einer Einheit von Forschung und Lehre rückt in weite Ferne. Die internationale Zusammenarbeit Deutschlands muss sich anpassen Die Trennung von internationaler Wissenschafts- und Bildungskooperation auf der einen und Entwicklungszusammenarbeit auf der anderen Seite ist nicht mehr zeitgemäß. Sie verhindert Synergien. Dass es auch anders geht, zeigt beispielhaft das Programm Novas Parcerias (NoPa). Im Rahmen der mit Brasilien vereinbarten entwicklungspolitischen Schwerpunkte Schutz der Tropenwälder und der Artenvielfalt arbeiten die brasilianische Förderagentur für Hochschulbildung CAPES, GIZ und DAAD seit 2010 daran, Kooperationen in der Spitzenforschung zwischen brasilianischen und deutschen Universitäten zu initiieren und zu begleiten. Dies ist ein vielversprechender Ansatz, der ausgebaut werden muss. Sinnvoll wäre auch, wenn nicht nur die Durchführungsorganisationen zusammenarbeiten, sondern auch die federführenden Ministerien, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), vor allem in der Kooperation mit Schwellenländern. Weniger entwickelte Länder müssen beim Aufbau ihrer Hochschulen massiv unterstützt werden, damit die vielen bildungsorientierten jungen Menschen nicht frustriert zurückbleiben. Angesichts der massiven Herausforderungen werden hierfür umfangreiche Mittel benötigt. Ein international koordiniertes Vorgehen ist zwingend. Hochschulen sollten jedoch nicht isoliert gefördert werden. Hochschulabsolventen muss die Möglichkeit gegeben werden, attraktive und zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu finden. Sonst steigt der Druck, in die Länder des globalen Nordens abzuwandern, wo qualifizierte Fachkräfte zunehmend gesucht werden. Privatsektor- und Gründungsförderung sind sinnvolle komplementäre Handlungsfelder. Neue Techniken kreativ und innovativ nutzen Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, vielen Menschen hochwertige tertiäre Bildungsinhalte zu vermitteln. Research4Life ist eine Plattform, die Lernenden aus Entwicklungsländern Zugang zu freien digitalen Bibliotheken eröffnet. Massive Open Online Courses (MOOC) stellen eine spannende Möglichkeit dar, weitgehend frei von geographischen Beschränkungen aktuelle Bildungsinhalte zu entwickeln und an viele Lernende kostengünstig zu vermitteln. Warum sollten nicht deutsche und brasilianische Universitäten gemeinsam Kurse entwickeln und an brasilianische Lernhungrige genauso vermitteln wie an Studierende in Angola und Mozambique? Die Sprache wäre keine Barriere. Die technischen Möglichkeiten sind da, gefragt sind nun Kreativität und Innovationen, um sie zu nutzen. Diese Kolumne ist am 10.04.2017 auch auf der Website der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen (DGVN) erschienen.

Handelspolitik im digitalen Zeitalter

lun, 03/04/2017 - 10:00
Bonn, 03.04.2017.  Angesichts der Dekrete zur Handelspolitik, die US-Präsident Trump am Wochenende unterzeichnet hat, ist die Gefahr allgegenwärtiger denn je, dass es zu einer Eskalation protektionistischer Maßnahmen oder gar zu neuen Handelskriegen kommt. Das hätte fatale Folgen, nicht zuletzt für die Schwächeren in unseren Gesellschaften und für die ärmeren Länder rund um den Globus. Sie sind besonders darauf angewiesen, dass der internationale Handel regel- und nicht rein machtbasiert ist. Die G20 konnten sich auf ihrem jüngsten Treffen in Baden-Baden im März nicht zu einem gemeinsamen Bekenntnis gegen Protektionismus durchringen – normalerweise ein Grundpfeiler der gemeinsamen G20-Position. Offener Welthandel gerät zunehmend unter Druck. Die Globalisierung zum Sündenbock für die Sorgen von Arbeitnehmern, Verbrauchern und heimischen Betrieben zu erklären, wird den aktuellen Herausforderungen jedoch nicht gerecht. Im Zeitalter sozialer Medien erreicht man die Aufmerksamkeit der Bürgerinnen und Bürger mit einfachen Botschaften in Tweets mit 140 Zeichen. Das nutzen Populisten, um Misstrauen und Ängste zu schüren. Mit dem Einzug Trumps ins Weiße Haus wurde ein aggressiver Merkantilismus in Washington salonfähig, der die Festen des Handelssystems in Frage stellt. Gleichzeitig empfinden viele Bürgerinnen und Bürger die Handelspolitik als zu komplex und intransparent. Nicht zuletzt die Proteste gegen die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) in Deutschland haben verdeutlicht, dass Reformen des Welthandels nicht länger über die Köpfe der Bürger hinweg angegangen werden können. Die Proteste richteten sich nicht nur gegen die Inhalte der Verhandlungen, sondern auch gegen die Art und Weise wie verhandelt wird. Handelspolitik 4.0 Die Frage ist: Wie kann die Gestaltung von Handelspolitik radikal neu gedacht werden, so dass sie den heutigen Herausforderungen gerecht werden kann? Und wie kann sie partizipativer und inklusiver gestaltet und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wiedergewonnen werden? Die notwendige Reform der Handelspolitik muss den Fokus auch auf den technologischen Paradigmenwechsel der Gegenwart und Zukunft legen. Während die Digitalisierung eine Selbstverständlichkeit für globale Unternehmen und Zollbehörden geworden ist, bleibt die Ausgestaltung der Handelspolitik noch im 20. Jahrhunderts stecken. Viele Potenziale bleiben ungenutzt. Wir sollten die Gelegenheit ergreifen, um eine Diskussion zu starten, wie eine neue Handelspolitik 4.0 aussehen kann. Erstens muss Handelspolitik für Wirtschaft, Wissenschaft und die Bürgerinnen und Bürger transparent und greifbar werden. Die Verfügbarkeit von Daten ist der Schlüssel hierzu und durch Visualisierungen und Öffentlichkeitskommunikation können die komplexen Sachverhalte verständlich gemacht werden. Zum Beispiel erlauben neue Technologien schon jetzt, dass ein Verbraucher, der sein Produkt mit dem Smartphone scannt, die gesamte globale Produktionskette, Zölle, sowie Sozial- und Umweltstandards nachvollziehen kann. Zweitens muss Handelspolitik partizipativer werden. Statt Regierungsverhandlungen, die über mehrere Jahre hinter verschlossenen Türen stattfinden, könnten Regierungen die neuen Technologien nutzen, um vor Beginn der Verhandlungen im Sinne eines „Crowd-Sourcing“ die Interessen und Bedenken der Bürgerinnen und Bürger abzufragen. Während der Verhandlungen können soziale Medien noch stärker genutzt werden, um über den Fortschritt der Verhandlungen zu informieren. Und bei der Prognose und Überprüfung der Effekte der Abkommen, können die neuen Technologien genutzt werden, um die Einschätzung der betroffenen Gruppen einzuholen, anstatt sich allein auf statistische Schätzverfahren zu stützen. Drittens kann digitaler Handel kleine und mittlere Unternehmen fördern. Wie in der Vision von Jack Ma, dem Gründer des Internetgiganten Alibaba, könnte die Schaffung einer neuen „Electronic World Trade Platform“ eine gute Ergänzung zur WTO darstellen. Die Idee ist, dass Unternehmen, unterstützt von Regierungen, gemeinsam E-Commerce-Hubs gründen, die es kleinen und mittelständischen Unternehmen erlauben, grenzübergreifend zu verkaufen, mit niedrigen oder keinen Einfuhrzöllen, schneller Zollabwicklung und effizienter Logistik. Ein vierter Schritt wäre der Einsatz von Blockchains. Die fälschungssichere Buchführung der Blockchain-Technologie kann Daten über Produkte und deren Produktion und Handel weltweit erfassen und bietet damit nicht nur verlässliche Rückverfolgbarkeit und Verbraucherinformation. Eine detaillierte Datenlage zu einzelnen Produkten kann eines Tages das Kernstück einer neuartigen Governance des Welthandels werden. Auf diese Weise könnten die Produktionsprozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Handelspolitik einfließen, wenn die Welthandelsorganisation dafür mehr Raum ließe, zum Beispiel mit Blick auf den CO2-Fußabdruck von Produkten. Noch gibt es viele offene Fragen mit Blick auf die Handelspolitik der digitalen Zukunft. Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg besteht darin, die Chancen der neuen Technologien zu erkennen und zu nutzen, die es ermöglichen, Handelspolitik neu zu denken. Wir glauben, dass mutige Schritte erforderlich sind, um die Legitimität des globalen Handelssystems wiederherzustellen und es transparenter und partizipativer zu machen. Diese Kolumne ist am 03.04.2017 auch auf euractiv.de erschienen.

Das globale Klimafinanzierungssystem – Stärker als die Summe seiner Teile?

lun, 27/03/2017 - 11:14
Seit die Leugnung des Klimawandels in etlichen Ländern wieder Fahrt aufnimmt, konzentrieren sich Kritiker des Klimaschutzes auf dessen internationale Finanzierung. US-Präsident Trump, der wiederholt bezweifelt hat, dass menschliches Handeln das globale Klima verändert, hat angekündigt, „Milliarden-Zahlungen an UN-Klimaschutzprogramme (zu) streichen“. In Deutschland will die rechtsstehende Alternative für Deutschland (AfD) alle Klimaschutzvereinbarungen einschließlich der finanziellen Verpflichtungen aufkündigen. Wenn andere Länder den USA bei der Rücknahme ihrer Zusagen folgen, kann dies die Dynamik gefährden, die in den vergangenen Jahren in der internationalen Klimafinanzierung entstanden ist. Auf der Klimakonferenz von Kopenhagen 2009 haben sich die Industrieländer verpflichtet, den Entwicklungsländern zu helfen, die Treibhausgasemissionen zu senken und die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen, indem sie bis 2020 jährlich 100 Mrd. US-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen mobilisieren. Die Jahre bis zum wegweisenden Pariser Abkommen 2015 brachten eine Reihe neuer Institutionen, die die Klimafinanzierung regulieren. Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) spielte bei der Ausweitung der Klimafinanzierung eine wesentliche Rolle: Die OECD schätzt, dass 2014-15 ODA zu 20 Prozent klimabezogen war. Allerdings beanstanden Entwicklungsländer und NGOs, dass die Doppelzählung von Klimafinanzierung und ODA dazu führt, dass der tatsächliche Fortschritt überschätzt wird. Wie anfällig ist das Klimafinanzierungssystem für die wechselnde politische Stimmung in den USA und darüber hinaus? Für eine Antwort benötigen wir eine bessere Kenntnis des Systems und der Kräfte, die es gestalten. In einem neues Sonderheft von International Environmental Agreements: Politics, Law and Economics mit dem Titel „Managing fragmentation and complexity in the emerging system of international climate finance” untersuchen wir zusammen mit einer Reihe Gastautoren das System der Klimafinanzierung mit Fokus auf Governance und Möglichkeiten zur Verbesserung. Die Beiträge deuten darauf hin, dass das Klimafinanzierungssystem und seine Grundnorm – entwickelte Länder müssen zur Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern zahlen – inzwischen ausreichend stark und institutionalisiert sind, dass ein einzelner Akteur nicht ihren Zusammenbruch bewirken kann – auch nicht die USA, die zum Beispiel 30 Prozent des Green Climate Fund-Budgets tragen. Zugleich ist das System komplex und fragmentiert; klarere internationale Regeln würden es Aussteigern schwerer machen. Die Fragmentierung hat mehrere Ursachen und Folgen. Erstens, haben sich die Vertragsparteien des UN-Rahmenübereinkommens über den Klimawandel noch nicht auf eine Definition geeinigt, was Klimafinanzierung ist und welche Standards für das Monitoring gelten, weil es weiterhin Konflikte über die Ziele der Klimafinanzierung gibt. Heftig umstritten ist, was bei der „Mobilisierung“ der 100 Mrd. US Dollar mitgezählt werden darf, und ebenso die Frage, ob Länder Fortschritte bei der Erreichung dieses Ziels machen. Zweitens ist eine Fülle von Akteuren im Klimafinanzierungssystem tätig. Zu den speziellen Klimafonds wie dem Green Climate Fund kommen multilaterale Entwicklungsbanken, bilaterale Entwicklungsagenturen, der private Sektor und UN-Agenturen sowie das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) hinzu. Die Beiträge der Sonderausgabe zeigen, dass diese Akteure unterschiedliche Auffassungen darüber haben, was Klimafinanzierung ist – zum Beispiel ob und wie Entwicklungsfinanzierung als Klimafinanzierung gezählt werden sollte. Auch untersucht die Sonderausgabe, wie die innenpolitische Dynamik in den Beitragsländern die Finanzzuflüsse verbessern oder verschlechtern kann. Drittens, je fragmentierter und umstrittener internationale Regeln sind, desto größer ist der Raum für eigennützige Interpretationen und Absetzbewegungen. Ein Netz von Institutionen mit unterschiedlichen Rechnungslegungsstandards macht es schwierig zu verfolgen, wer an der Erhebung und der Verwaltung von Finanzmitteln beteiligt ist und die Akteure zur Rechenschaft zu ziehen. Zahlreiche Beiträge der Sonderausgabe verlangen daher klarere Definitionen, anerkannte Rechnungslegungsnormen und Überwachungsmechanismen. Obwohl das Klimafinanzierungssystem durch seine Fragmentierung an einigen Schwächen leidet, ist es heute umfassender und institutionalisierter als noch vor zehn Jahren. Deshalb wird der Rückzug eines wichtigen Akteurs nicht das Ende der Zusammenarbeit derer anzeigen, die seinen Zielen verpflichtet bleiben. Aber es gibt keinen Grund zur Selbstgefälligkeit. Die Beitragszahler müssen mehr tun als nur den Zusammenbruch des Systems zu vermeiden. Es bleibt die Aufgabe, ein System zu schaffen, das fairer und verantwortungsvoller ist und die Bedürfnisse der Entwicklungsländer besser berücksichtigt. Jakob Skovgaard ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Lund. Jonathan Pickering ist Postdoctoral Research Fellow am Centre for Deliberative Democracy and Global Governance der Universität Canberra. Carola Betzold ist Akademische Rätin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen.

Weltwassertag: Warum die Wiederverwendung von behandeltem Abwasser kein Selbstläufer ist

mer, 22/03/2017 - 08:00
In vielen Ländern werden Siedlungsabwässer in der Landwirtschaft genutzt – allerdings meist ohne vorherige Reinigung. In Pakistan etwa, im Umland der Großstädte Lahore und Faisalabad, nutzen die Bauern die Abwässer beim Anbau von Gemüse. Dessen Verzehr ist mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden. Der Weltwasserbericht, der alljährlich zum Weltwassertag erscheint und unter der Federführung der UNESCO erstellt wird, macht 2017 die Wiederverwendung von geklärtem Abwasser zum Thema. Damit könnte man, theoretisch, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Sanitär- und Gesundheitsversorgung verbessern und die Konkurrenz um knappes Süßwasser in wasserarmen Regionen entschärfen. Dazu bedarf es allerdings eines Paradigmenwechsels – diesen fordert auch der Weltwasserbericht 2017: es gehe nicht mehr nur um Reinigung und Entsorgung der Abwässer, sondern um Wiederverwendung, Recycling und Wertstoffrückgewinnung. Trotz der offensichtlichen Vorteile ist die Wiederverwendung von geklärten Abwässern kein Selbstläufer. Warum dies so ist, zeigen Erfahrungen aus mehreren Ländern. Geringe Anschlussgrade In Indien werden nur zehn Prozent des insgesamt anfallenden Abwassers behandelt, und nur rund ein Drittel der städtischen Haushalte ist an die Kanalisation angeschlossen. Gleichzeitig schießen mit der rapiden Urbanisierung neue – geplante und ungeplante – Wohnviertel in die Höhe, sodass die Zahl der Haushalte zunimmt, die angeschlossen werden müssten. Verfügbares und bezahlbares Land für den Bau von großen Kläranlagen und langen Leitungssysteme ist knapp. Es müssten andere Technologien als die klassischer Großkläranlagen mit tiefliegenden Abwassersammlern eingesetzt werden, da diese z.B. in Küstenstädten wegen der hohen Grundwasserspiegel keine Option sind. Knappe Finanzmittel der Kommunen, hohe Bodenpreise, niedrige Wasserpreise und die Bevorzugung konventioneller Großkläranlagen behindern hohe Anschlussgrade – und somit auch die Wiederverwendung geklärter Abwässer. In Brasilien sind fast 60 Prozent der städtischen Bevölkerung (98 Millionen) an Abwassersysteme angeschlossen, und im Durchschnitt werden rund 40 Prozent der Abwässer und 70 Prozent der gesammelten Abwässer behandelt, die eine Wiederverwendung unproblematisch machen würde. Hier sind es meist nicht nur mangelnde Finanzmittel: Es fehlt den kleinen Gemeinden an Fachkräften, sowohl für die Planung als auch für den Betrieb der Anlagen. Auch sind die Abwassergebühren auf den Wasserverbrauch der Haushalte bezogen – und deshalb zu niedrig bemessen, so dass keine Kostendeckung bei der Abwasserbehandlung erreicht wird. Jordanien hat Erfolg mit dezentralen Anlagen Jordanien gehört zu den wasserärmsten Ländern dieser Erde. Es nutzt den größten Teil des Grund- und Oberflächenwassers in der Landwirtschaft. Die Nationale Wasserstrategie fördert deshalb die Wiederverwendung von behandelten Abwässern – mit einigem Erfolg. Die Abwässer der Hauptstadt Amman werden geklärt in den Zarqa-Fluss eingeleitet, so dass die Landwirte im Jordantal diese zur Bewässerung nutzen können. Erfolgreich sind aber auch erste dezentrale Kläranlagen, die behandelte Abwässer für die Bewässerung von Grünanlagen bereitstellen: die Anlage in Mogablane, im Umland von Amman und die Anlagen in Hotels am Toten und Roten Meer. Die Betriebskosten sind geringer als die Kosten, die mit der Leerung von Sickergruben und dem Abtransport durch Trucks hin zur nächsten Kläranlage entstehen; zudem entfallen Kosten (umgerechnet etwa 6500 Euro monatlich) für die Anlieferung von Süßwasser zur Bewässerung der Grünanlagen. Qualitätsstandards und Monitoring Im Jordantal bevorzugen die Landwirte, die für den europäischen, v.a. den britischen Markt produzieren, dennoch die Nutzung von Grundwasser, da die Kosten geringer sind als die Gestehungs- und Betriebskosten geklärter Abwässer, aber auch wegen der unzuverlässigen Qualität der behandelten Abwässer. Die Landwirte riskieren den Verlust von Marktanteilen, wenn ihre Produkte nicht den Qualitätsanforderungen der Abnehmerländer entsprechen. Qualitätsschwankungen der behandelten Abwässer behindern auch in Tunesien die Wiederverwendung in der Landwirtschaft. In dem Bewässerungsgebiet Oueljet El Khoder wurde deshalb die Medenine-Kläranlage aufgerüstet, um die gesetzlichen Qualitätsstandards zu erfüllen. Ein Labor sorgt für die kontinuierliche Überwachung der Wasserqualität, und ein computergestütztes System ermöglicht allen Betroffenen, v.a. den Landwirten, Zugriff auf die Daten; per SMS können zudem im Notfall Informationen verschickt werden. Anreize fehlen Der Investitionsbedarf in Kanalisationssysteme, Kläranlagen und Verteilersysteme hin zu den landwirtschaftlich genutzten Flächen, die eine Wiederverwendung erst möglich machen, ist immens. In Jordanien und Tunesien, aber auch in Indien und Brasilien, fehlt es den Gemeinden an Finanzmitteln. Solange Grund- und Oberflächenwasser billiger ist, wenn nicht gar umsonst, wird der größte Wasserverbraucher, die Landwirtschaft, behandelte Abwässer nicht nutzen. Für die Landwirte müssen Anreize geschaffen werden, damit sie diese Ressource nutzen. Zudem werden qualifizierte, kompetente Fachkräfte für den Betrieb von Kläranlagen und für die Qualitätssicherung gebraucht. Man darf gespannt sein, welche Lösungen der Weltwasserbericht 2017 bereithält, damit der Paradigmenwechsel Realität wird – regionale Wasserknappheit kann diesen auf jeden Fall befördern.

Brexit und die EU-Außenpolitik: Das Europäische Erbe Großbritanniens

jeu, 16/03/2017 - 12:00
Trotz der Erleichterung über das Resultat der Parlamentswahlen in den Niederlanden, währt das Aufatmen in Europa nur kurz: Stracks steht der Europäischen Union mit der Auslösung von Artikel 50 des EU Vertrages der nächste Härtetest bevor. Nachdem am 14. März das britische Unterhaus mit 331 zu 286 Stimmen und gegen den Widerstand des House of Lords den Weg dafür geebnet hat, wird Premier Theresa May in der letzten Märzwoche – ausgerechnet zum 60-Jahr-Jubiläum der Römischen Verträge – die Scheidungspapiere einreichen. Wie in Mays Lancaster House-Rede vom 17. Januar 2017 verlautbart, strebt die britische Regierung einen „klaren Bruch“ mit der EU an und nimmt damit das Ausscheiden aus dem gemeinsamen Markt und der Zollunion in Kauf. Nach Erteilung des offiziellen Verhandlungsmandates an die Kommission durch den Europäischen Rat und das Parlament im Juni wird sich die EU dem Ausscheiden eines zentralen Mitgliedsstaates widmen müssen – eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Gemäß der Vertragsklausel sollte der Austritt zwei Jahre nach dem Auslösen von Artikel 50 des EU Vertrages rechtlich vollzogen sein, um dem Szenario einer ungeordneten Trennung ohne Vertrag zu entgehen. Dass in diesem Zeitraum alle Details umfassend und für beide Seiten befriedigend ausgehandelt werden können, gilt als zweifelhaft. Ein verschleppter Brexit ist daher nicht unwahrscheinlich. Sicher ist, dass die Abwicklung der britischen Verlassenschaft jenseits aller Emotionen ein sehr arbeitsintensiver Prozess sein wird, der wohl noch über Jahre hinweg die Agenden der EU mitbestimmen und bedeutende administrative Ressourcen auf beiden Seiten binden wird. Inwieweit es zu einer Fortsetzung des gemeinsamen Handelns in der EU-Außenpolitik und insbesondere auf dem Gebiet der internationalen Kooperation und Entwicklungspolitik zwischen EU und Großbritannien kommt, wird sich im Laufe der nächsten Monate und Jahre zeigen. Zu rechnen ist mit einer weitgehend unstrukturierten und vorwiegend interessensgeleiteten Zusammenarbeit von Fall zu Fall. Unmittelbar stellt sich für die EU und ihre Partner die Frage nach der Rechtssicherheit internationaler Abkommen, wie Handelsverträge, Mitgliedschaften in internationalen Organisationen sowie der Beteiligung Großbritanniens an EU-Programmen – deren Gestaltung, Finanzierung und Abwicklung. Direkt betroffen sind der mehrjährige Finanzrahmen mit den erwarteten Einbrüchen im Entwicklungszusammenarbeits-Haushalt von 14%, genauso wie die Beiträge zu den EU Trust Funds und zur externen Tranche der Europäischen Investitionsbank. Spürbar wird auch der Verlust von Expertise und Verhandlungsgewicht, etwa in der Frage der Zukunft der Afrika Karibik und Pazifik Partnerschaft (AKP). 42 der 79 AKP-Staaten sind Teil des Commonwealth, und Großbritannien scharrt bereits in den Startlöchern, um zügig eigene Freihandelsabkommen mit diesen wie auch mit einer Reihe anderer Entwicklungsländer abzuschließen. Bezeichnenderweise sprechen Whitehall-Beamte in diesem Zusammenhang vom Plan zur Errichtung eines „Empire 2.0“. Zwar will Großbritannien in Sicherheits- und Verteidigungsbelangen weiterhin eng mit der EU zusammenarbeiten, in allen anderen Bereichen aber seiner eigenen Wege gehen. Dass Außenpolitik speziell im EU-Kontext eng mit Entwicklungszusammenarbeit, multilateraler Kooperation und Handelspolitik verbunden ist, ist bekannt. Ob und wie stark nachhaltige Entwicklung mit Sicherheits- und neuerdings verstärkt mit Migrationspolitik verknüpft werden sollten, wird teils sehr kontrovers diskutiert. Augenscheinlich verstärkt das politische framing der Umwälzungen in und um Europa diese Themenkopplung. Auswirkungen sind in den Verschärfungen bei Asyl- und Migrationspolitik, in der Militarisierung des Grenzschutzes, genauso wie in der Drosselung der Demokratieförderung oder in der Instrumentalisierung von Partnerländern als Außenposten einer neuen europäischen Realpolitik zu beobachten. Im Fall des Türkei-Flüchtlingsabkommens zeigt sich dieser Tage überdeutlich, wie unglaubwürdig, angreifbar und letztlich abhängig diese Strategie Europa gemacht hat. Mag man insgesamt auch geteilter Meinung sein über den Gang der Globalisierung und über die Lastenteilung für den Erhalt von Friede, Sicherheit und Wohlstand, so wird sich kaum vermeiden lassen, dass sich die EU und Großbritannien über diese Fragen auch nach der Trennung jedenfalls verständigen müssen. Pragmatisch gedacht erscheint es daher angeraten, dass bei all dem Gezerre über offene Rechnungen und die Festlegung von Quoten das Kapitel Europäische Entwicklungszusammenarbeit nicht als die reine Abwicklung einer Hinterlassenschaft behandelt, sondern aktiv nach einer konstruktiven Rolle Großbritanniens darin gesucht wird. Der Abschied kommt freilich zur Unzeit, inmitten einer globalen Gemengelage, die für die Union vertrackter kaum sein könnte: Die Einheit Europas ist gleichermaßen von außen wie von innen bedroht, und die Legitimität der EU erscheint in den Grundfesten erschüttert. Im Dafürhalten vieler Europäer hat die EU ihre zentralen Versprechen nicht eingelöst. Daher ist jetzt umso entscheidender, was die EU-Staaten aus den von Kommissionspräsident Juncker jüngst in einem Weißbuch dargelegten Optionen für die Zukunft Europas machen werden. Auch wenn sich aus gegenwärtiger Sicht ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten als die wahrscheinlichste Variante herauskristallisieren dürfte, so müssen doch gerade im Interesse jener Mitgliedsstaaten, wo die Skepsis am größten ist, soziale Gerechtigkeit und eine faire Verteilung von Chancen Kernpunkte einer gemeinsamen Vision für Europa sein.

Drei Schritte die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit mit der Agenda 2030 zu verknüpfen

lun, 06/03/2017 - 10:09
Als gemeinsamer Rahmenvertrag zwischen den Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern bietet die Agenda 2030 mit den Sustainable Development Goals (SDGs) eine Chance, die Wirksamkeitsagenda der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wiederzubeleben. In Reaktion auf wachsende Kritik an der Effektivität und Nachhaltigkeit der Entwicklungszusammenarbeit haben sich Geber- und Nehmerländer bereits 2005 dazu verpflichtet, die Entwicklungszusammenarbeit zu reformieren. Ziel war es, dass Empfängerländer eine Führungsrolle übernehmen, eigene Strategien entwickeln und ihre Finanzsysteme und öffentlichen Institutionen so stärken, dass diese für die Durchführung von EZ-Projekten genutzt werden können. Geber haben sich dazu verpflichtet, ihre Unterstützung an den Strategien der Partnerländer auszurichten und Überschneidungen zu vermeiden. Auch eine verbesserte Rechenschaftspflicht, größere Transparenz und ein Fokus auf Ergebnisse sollten dazu beitragen, die Wirksamkeit von EZ-Maßnahmen zu erhöhen. In der Agenda 2030 werden diese Anforderungen erneut betont. Darüber hinaus wird in den SDGs eine Zusammenarbeit zwischen den Ländern, zwischen verschiedenen Politikbereichen (wie Wirtschafts- und Umweltpolitik) und zwischen verschiedenen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gefordert. Für eine effektive entwicklungspolitische Zusammenarbeit ist wichtig, sie nicht als Druckmittel zur Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern zu nutzen, sondern die Lebensbedingungen in den Partnerländern nachhaltig zu verbessern, um Anreize zu schaffen nicht zu emigrieren. SDGs als Chance für entwicklungspolitische Wirksamkeit Die Debatte um die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit hat in den letzten Jahren ein Schattendasein geführt. Gründe dafür sind einerseits die neue Vielseitigkeit in der Geber- und Nehmerlandschaft, die nicht mehr ausschließlich aus Nord-Süd-Zusammenarbeit (Industrie- und Entwicklungsländer) besteht, sondern vermehrt Süd-Süd-Kooperationen (zum Beispiel zwischen China und Afrika) beinhaltet. Diese Vielfältigkeit wird in der für die Wirksamkeit verantwortlichen Globalen Partnerschaft für Effektive Entwicklungszusammenarbeit (GPEDC) nicht genügend abgebildet. Andererseits erfordern knappe Haushaltsmittel Rechenschaft darüber abzulegen, wie EZ-Mittel eingesetzt werden. Mangelndes Vertrauen von Wählern und Parlamenten in die Regierungen der Partnerländer hat beispielsweise zu einem Rückgang der Budgethilfe seit 2008, dem Vorzeigeinstrument der Wirksamkeitsagenda, geführt. Die SDGs bieten nun die Chance die Wirksamkeitsagenda wiederzubeleben. Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer arbeiten zurzeit daran, die SDGs in nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu übersetzten. Dies bedeutet eine neue Chance gemeinsame Prioritäten zu identifizieren sowie eine neue Arbeitsteilung und gezielte Abstimmung zwischen den Gebern vorzunehmen. Die Verpflichtungen der Entwicklungsländer, Geberanstrengungen zu unterstützen und innovative Ansätze der Zusammenarbeit zu ermöglichen, sind ebenfalls Bestandteil der SDGs. Um diese Chance zu nutzen, müssen allerdings noch weitere Anstrengungen unternommen werden. Entwicklungszusammenarbeit neu ausrichten und Partnerländer in drei Schritten stärken: Erstens sollte sich die entwicklungspolitische Zusammenarbeit an den nationalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsstrategien orientieren und verstärkt Ländersysteme für die Planung und Durchführung nutzen. Alternative Ansätze zur Budgethilfe sind zum Beispiel ergebnisbasierte oder programmbasierte Ansätze. Diese tragen dazu bei, die Ansätze, Prioritäten und Umsetzungskapazitäten des Partners zu stützen. Damit wird die Eigenverantwortung gestärkt und die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit verbessert. Zweitens sollte in der Planung neuer Programme auf die komparativen Vorteile der Geber geachtet und mit Aktivitäten anderer Akteure wie privater Stiftungen und der Privatwirtschaft koordiniert werden. Die SDGs verlangen einen arbeitsteiligen Ansatz und eine Konzentration auf Ländern, die besonders stark von externer Unterstützung abhängig sind. Zur Koordinierung kann der von Forschungsinstitute, Think Tanks und multilaterale Initiativen berechnete jährliche Investitionsbedarf zur Erreichung der SDGs in unterschiedlichen Bereichen und Ländern, genutzt werden. Drittens braucht es neben kreativen Ansätzen eine fortwährende Überprüfung und Evaluierung von Strategien und Programmen, um Lernprozesse anzuregen, Fehlern vorzubeugen und Wirksamkeit zu sichern. Die dazu benötigte Datenrevolution steckt aber in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bisher noch in den Kinderschuhen. Wichtig ist eine Stärkung der statistischen Kapazitäten (bspw. nationale Statistikämter) in Entwicklungsländern, wie sie die Initiative Paris21 aufbaut. Gleichzeitig sollten vorhandene Datensammlungen wie die Demographic and Health Surveys (DHS) und die Living Standards Measurement Study (LSMS) Umfragen der Weltbank verstärkt genutzt werden. Entscheidend ist außerdem mit Hilfe größerer Transparenz umfassende Rechenschaft über alle Ergebnisse der Entwicklungszusammenarbeit abzulegen. Diese kann zum Beispiel durch eine Veröffentlichung aller EZ-Vorhaben auf der Plattform der International Aid Transparency Initiative (IATI) geschehen.

Wie Deutschland Frieden besser fördern kann

mar, 28/02/2017 - 11:54
Bonn, 28.02.2017. Voraussichtlich noch vor Ostern 2017 wird das Bundeskabinett neue Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung verabschieden. Sie sollen den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ aus dem Jahr 2004 sowie eine Reihe weiterer Strategiedokumente der Regierung zusammenführen und aktualisieren.

Die Erstellung des Dokuments wurde begleitet von einem neunmonatigen Diskursprozess, dem PeaceLab2016. An diesem beteiligte sich eine breite Community aus Ministerien, Politik, Wissenschaft und Friedenspraxis. Danach steht zu erwarten, dass das neue Dokument die aktuellen Herausforderungen angemessen und hinreichend differenziert beschreiben wird; dass es Deutschlands Rolle anspruchsvoll, aber realistisch definiert; dass internationale Kooperation und Engagement das Fundament ausmachen werden; und dass schwierige Aufgaben der Strategiebildung und Prioritätensetzung in Krisen und Gewaltkonflikten ausbuchstabiert werden.

Gute Absichten alleine reichen nicht Doch was wird ein Katalog guter Absichten angesichts der aktuellen Weltlage ausrichten können?
  • Der neue US-Präsident stellt ausgerechnet jene Strukturen der internationalen Ordnung in Frage, die sich einen Rest an dringend benötigter globaler Kooperationsbereitschaft erhalten haben.
  • Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland finden im Schatten einer europaweiten Welle des Nationalpopulismus statt, durch die der noch vor kurzem undenkbare Zerfall Europas plötzlich möglich scheint.
  • Für Großkrisen wie in Syrien und alte Konflikte wie in Israel/Palästina drohen „Lösungen“, die eher an ein „Handbuch des Kalten Krieges“ als an die Notwendigkeiten einer kooperativen Weltordnung des 21. Jahrhunderts erinnern.
Vor diesem Hintergrund wird es ein Leitlinienpapier zur zivilen Krisenprävention und Friedensförderung nicht leicht haben, gegen den politischen und ministerialbürokratischen Alltag der „Krisenbewältigung“ innovative Kraft zu entfalten. Denn in Zeiten globaler Verunsicherung vermitteln hergebrachte Routinen ein trügerisches Maß an Sicherheit. Wo Chuzpe und Nullsummenlogik zur Erfolgsformel internationalen Handelns erklärt werden, gilt ein Strategiedokument, das auf Kooperation und Verlässlichkeit setzt, schnell als naiv und gestrig. Übersehen wird, dass es nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an effektiver internationaler Kooperation war, dessen Folgen wird gegenwärtig allerorts zu besichtigen haben. Wie also kann ein vom Kooperationsgedanken getragenes Leitliniendokument zur Friedensförderung tatsächlich zu einer tragenden strategischen Orientierung werden? Zwei Vorgehensweisen können dabei helfen: organisierte Reflexion und Selbstbindung. Orte für organisierte Reflexion schaffen Kein Strategiedokument kann spezifisch genug sein, um für jede Krise im Vorhinein die Antwort parat zu haben. Die handelnden Akteure, insbesondere in Bundesregierung und Parlament, dürfen daher nicht im permanenten Krisenbewältigungsmodus versinken, sondern brauchen auch Zeit und Raum zur Reflexion. Wie im PeaceLab2016-Prozess braucht es Orte, an denen die Beteiligten Erfahrungen austauschen, Fragen stellen, Wissen justieren und neue Ideen aufnehmen können. Lernplattformen, wie sie aus dem Beirat Zivile Krisenprävention angeregt wurden, können dabei helfen; ebenso eine jährliche Friedenskonferenz, die alle relevanten Akteure zusammenbringt. Selbstbindung für eine kooperative globale Ordnung Zur reflektierten Reaktion auf sich herausbildende Krisen muss die proaktive Gestaltung einer kooperativen globalen Ordnung hinzutreten, die die Entstehung neuer Konflikte von vornherein unwahrscheinlicher werden lässt. Damit das in einer Staatenwelt gelingen kann, die mehr als zu irgendeinem Zeitpunkt seit dem Ende des Kalten Krieges von Misstrauen gekennzeichnet ist, ist das dringendste Gebot, gegenseitiges Vertrauen und Glaubwürdigkeit wieder aufzubauen. Deutschland und Europa haben mit ihrer wirtschaftlichen Macht die Mittel dazu in der Hand. Durch Vorleistungen bei Handelsabkommen, Rüstungsexporten oder Ressourcenbewirtschaftung könnten sie signalisieren, dass ihnen eine kooperative internationale Ordnung „etwas wert“ ist. Eine sinnvolle Maßnahme wäre die Einrichtung eines Mechanismus durch die Bundesregierung oder den Bundestag, der über alle Politikfelder hinweg die Friedensverträglichkeit deutscher „Außenpolitik“ untersucht und friedensschädlichem Handeln entgegenwirkt. Eine solche Selbstbindung würde dem drohenden Zerfall der internationalen Ordnung in widerstreitende Interessenssphären ein Modell kooperativen Friedens entgegensetzen, das nicht auf einer für selbstverständlich gehaltenen wirtschaftlichen Hegemonie des Westens gründet.

Eine längere Fassung dieses Beitrags ist Anfang Februar 2017 auf dem Blog zum Debattenprozess „PeaceLab2016“ erschienen.
Diese Kolumne ist am 02.03.2017 auch bei euractiv.de erschienen.

Deutschland sollte sich im Nahen Osten stärker engagieren

lun, 20/02/2017 - 12:04
Bonn, 20.02.2016. Aufgrund der unermesslichen ökonomischen Schäden sowie der katastrophalen sozialen und sicherheitspolitischen Folgen, die durch die Interventionen in Afghanistan und im Irak entstanden sind, gilt die militärische Intervention zur Durchsetzung außenpolitischer Ziele in hohem Maße als nahezu undurchführbar. Das trifft vor allem auf Länder wie Deutschland zu, wo aus historischen Gründen Militäreinsätze und Waffenexporte äußerst sensible politische Themen sind. Schwere Krisen erfordern also komplexe, andere Methoden des Eingreifens, wobei den größeren Ländern auch eine größere Verantwortung zukommt, unabhängig davon, ob es ihnen gefällt oder nicht. Deutschland sollte nicht nur in seinem eigenen Interesse, sondern auch zur Sicherung von Frieden und Stabilität weltweit seinen Beitrag zur Verhinderung eines vollständigen Zusammenbruchs der Strukturen im Nahen Osten in Eigeninitiative leisten. Obwohl sich der Umfang der von Deutschland in der MENA-Region geleisteten humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit seit 2011 mehr als verdoppelt hat, bleibt sein politischer Einfluss begrenzt. Wenn Deutschland das ändern und in dieser Region seinen Einfluss stärker geltend machen würde, würde auch die Position Deutschlands als konstruktiver Akteur in der globalen Weltordnung gestärkt. Die derzeitige humanitäre Katastrophe und das Sicherheitsvakuum im Nahen Osten haben direkte Auswirkungen auf Deutschland. Es besteht die Gefahr, dass sich weitere Länder im Nahen Osten zu „Failed States“ entwickeln und damit weitere Flucht und Vertreibung sowie gefährliche Sicherheitsrisiken ausgelöst werden. Die Zerstörung der Strukturen in der Nachbarregion, dem Nahen Osten, kann sich zu einer existenziellen Bedrohung des Modells der europäischen Integration ausweiten, welche ihrerseits die Grundlage für die deutsche Wirtschaft bildet. Besser spät als nie Ambitionierte Friedensbemühungen vonseiten internationaler Akteure in den Jahren 2012 beziehungsweise 2013 hätten die derzeitige Krise in Syrien entschärfen können. Natürlich soll Deutschland jetzt nicht mit militärischen Mitteln in den syrischen Konflikt eingreifen. Das Land hat jedoch die Möglichkeit, bei der Entschärfung anderer, aktueller und potentieller Krisen mitzuwirken, indem es seine Präsenz in der Region verstärkt. Im Nahen Osten gibt es drei Regionen, wo Deutschland eine aktivere Rolle übernehmen könnte: die Autonome Region Kurdistan im Irak, in Jordanien und im Jemen. Autonome Region Kurdistan im Irak Derzeit hat die Regierung der Autonomen Region Kurdistan (KRG) mit großen politischen und wirtschaftlichen Problemen der Destabilisierung zu kämpfen, die zu einer humanitären Krise und zum Ausbruch von Gewalt führen können. Deutschland hat sich dazu entschieden, der Peshmerga, den militärischen Streitkräften der Autonomen Region Kurdistan, in den Jahren 2014 und 2015 Waffen, wie beispielsweise die panzerbrechenden Raketen vom Typ Milan, zu liefern, um die Bedrohung durch den IS abzuwehren. Im Gegensatz zu einer solchen reaktiven Entscheidung könnte Deutschland durch einen langfristigen Kapazitätsaufbau eine strategischere Rolle zur Sicherung der Stabilität in Kurdistan übernehmen, um die Peshmerga und die Asayish, die lokale Polizei, zu professionellen, stammesübergreifenden Streitkräften auszubauen. Des Weiteren können deutsche Entwicklungshilfeagenturen kleine und mittlere Unternehmen vor allem im Agrarsektor unterstützen. Als ein Land, das in Kurdistan wegen der Unterstützung der Peshmerga und der Jesiden einen guten Ruf genießt, könnte Deutschland auch als Teil eines umfassenderen Engagements zur Stärkung dezentraler Strukturen im Irak auf die verschiedenen Institutionen der Regierung der Autonomen Region Kurdistan einwirken, demokratische Regeln und good governance umzusetzen. Jordanien Jordanien ist eines der Länder, die am stärksten von dem, durch den Krieg in Syrien ausgelösten, Flüchtlingsstrom betroffen sind. Jordanien ist möglicherweise nicht in Lage, gleichzeitig diese neuen Herausforderungen und  auch noch die Weiterentwicklung seiner eigenen sozialen und wirtschaftlichen Bereiche zu bewältigen. Einige der in den Flüchtlingslagern entstandenen Gemeinden werden wahrscheinlich zu neuen Städten, während andere Flüchtlingsgruppen, die in die Städten siedeln, dazu beitragen können, dass diese sich partiell in Slums verwandeln. Aufgrund seiner langjährigen Entwicklungshilfebeziehungen mit Jordanien könnte Deutschland mit der Erarbeitung und Umsetzung von nachhaltigen, bilateralen Aktionsplänen dazu beitragen, diese neuen Herausforderungen zu meistern. Deutschland könnte dazu auch seine Präsenz im Bildungswesen in Jordanien, wie beispielsweise die Deutsch-Jordanische Universität, nutzen und weiter ausbauen. Jemen Die Krise im Jemen ist besorgniserregend. In den Medien wird darüber nur wenig berichtet, sodass dieses Thema in der internationalen Gemeinschaft zu wenig Beachtung findet. Die Grausamkeiten gehen sowohl von der Hadi-Regierung und ihren Verbündeten vom Golf (hauptsächlich Saudi-Arabien) als auch von den durch Teheran unterstützen Houthi-Kämpfern aus. Deutschland könnte aufgrund seiner besonderen Rolle im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm sowie als potentiell neutraler Akteur in diesem Konflikt ein guter Vermittler sein, dem die Saudis trauen können, zumal letztere heute nur noch wenige Freunde haben. Dabei könnte der Versuch gestartet werden, eine internationale Friedenskonferenz mit allen Beteiligten einzuberufen, um den Krieg im Jemen zu beenden. Wenn dies gelingen sollte, kann der Frieden im Jemen auch einen Frieden in Syrien wahrscheinlicher machen, da sich dann auch der Iran und Saudi-Arabien näher kommen. Es ist Zeit zu handeln! Falls sich die USA unter Präsident Trump weiter aus dem Nahen Osten zurückziehen, sollten sich Deutschland und die EU dort stärker engagieren: wenn auch nicht aus humanitären Gründen oder zur Verhinderung von Grausamkeiten, dann zumindest zur Stabilisierung der Region am Rande Europas. Aufgrund dessen, dass Deutschland in dieser Region kein koloniales Erbe hat, ist das Land geradezu prädestiniert, sich im Nahen Osten stärker zu engagieren. Die Unterstützung von good governance, langfristige strategische Entwicklungspartnerschaften und aktive Diplomatie können die Bestandteile eines deutschen Maßnahmenkatalogs für einen sichereren Nahen Osten und damit auch für ein sichereres Europa sein.

Dilshad Muhammad war 2016 Gastwissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklugnspolitik (DIE)

Deutschlands Verantwortung neu denken – ab jetzt besser organisiert

mer, 15/02/2017 - 10:00
Bonn, 15.02.2017. Deutschland ist wirtschaftlich führend, politisch berechenbar, geografisch zentral und vergleichsweise angenehm bescheiden. Wir zahlen bereitwillig und viel in europäische und internationale Töpfe, wir helfen mit Rat und Technik, wir drängen uns niemandem auf. Die Geschichte hat Deutschland zu einem Riesen mit Anstand werden lassen. Kein Wunder also, dass die Welt Deutschland die höchsten Sympathien entgegenbringt: Wir sind das beliebteste Land der Welt! Wir können stolz sein. Deutschland soll mehr Verantwortung übernehmen, und Deutschland will mehr Verantwortung übernehmen: Dieser »Münchner Konsens« von 2014 hat die Nachkriegs-Ära beendet und den Wirkungskreis für die Zivilmacht Deutschland vergrößert. Aber wenn wir unsere Werte und Ziele ernst nehmen, unsere Ansprüche an Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, dann müssen wir tatsächlich mehr tun als heute. Vor allem müssen wir es besser tun. Deutschland ist der Meister der Regeln und Verfahren Kaum ein Land kann sich so erregen und mitfühlen. Deutsche Interessen werden durchgesetzt, aber lieber über den Markt als über politischen Druck. Deutschland bringt Forderungen vor, aber besser über Partner und politische Systeme als in direkter Konfrontation. Deutschland ist der Meister der Regeln und Verfahren, der Menschenrechte und des Multilateralismus. Damit ist unser Land der perfekte Partner für eine verstrickte Welt mit all ihren unterschiedlichen Interessen und Konflikten. Doch organisatorisch ist unser Land zu schlecht aufgestellt für die neue Zeit. Es knarzt an allen Ecken und Enden, wenn es um die Abstimmung zwischen den Ressorts geht, um die Formulierung von außenpolitischen Zielen und Strategien, um die Schrittfolge und Erfolgsmessung des deutschen Engagements in der Welt. Komplizierte außenpolitische Abstimmung Wir haben es mit vier getrennten Machtzentren zu tun, die sich nur begrenzt zu einer Linie verbinden lassen. Im Kanzleramt kümmert sich ein Staatsminister um die Koordination der Innenpolitik, während das außenpolitische Engagement in einem Viereck mit den Ministerien für Außen, Verteidigung und Entwicklung abgestimmt wird, ohne dass ein zweites kraftvolles Staatsministeramt die Koordination in die Hand nehmen kann. Diese Position fehlt im Gefüge der Institutionen. Auch die politischen Ausschüsse des Bundestages entsprechen in ihrem Zuschnitt eher den Aufgaben der Nachkriegsjahrzehnte als denen einer globalisierten Welt, in der Deutschland eine zivilisierte Leitmacht sein muss. Die Budgetstruktur ist ebenfalls etwas »Old School«, die Ressorts konkurrieren mehr, als dass sie kooperieren, und dies gerade in wichtigen Fragen. Der Einsatz in Afghanistan hat offengelegt, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Kräfte nicht wirklich einsatztauglich ist. Vor diesem Hintergrund drängen sich vermehrt Fragen auf: Was muss Deutschland neu denken, wenn die verschiedenen Handlungsfelder unseres internationalen Engagements effizienter vernetzt werden sollen? Was sind die für uns geostrategisch wichtigsten Regionen, welche unsere Interessen und Ziele dort? Welche haben wir im Rest der Welt? Wie können wir Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik besser aufeinander abstimmen, ohne die Eigenständigkeit der Ressorts aufzugeben? Was ist Konsens in der Berliner Republik im Jahre 2017, und welche konkreten Veränderungen sollten der nächste Bundestag und die nächste Bundesregierung auf den Weg bringen? Nur noch 13 Jahre bis 2030 Die globalen Selbstverpflichtungen der »Agenda 2030« müssen auch in Deutschland schon in 13 Jahren erbracht sein. Wir erleben Krieg am Rande Europas und Flüchtlinge, die zu uns kommen. In China geht jeden zweiten Tag ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht nicht nur die Malediven, sondern auch Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Zeit also, dass wir Deutschen mit noch mehr Entschlossenheit und mehr Ergebnis handeln. Deutschland ist Mitglied in den 13 größten internationalen multilateralen Organisationen und Partner von über 40 wichtigen internationalen Verträgen. Deutschland ist der größte Beitragszahler in der EU, der drittgrößte Beitragszahler für die Vereinten Nationen und der drittgrößte Geber in der Entwicklungszusammenarbeit. Wenn wir all dies besser koordinieren, neue Schwerpunkte setzen und von der Analyse bis zur Umsetzung vernetzt agieren, kann Deutschland seine eigenen Ansprüche und die Erwartungen von außen erfüllen. Sich richtig aufstellen und einer menschenwürdigen und intakten Welt in den entscheidenden nächsten 30 Jahren als zivilisierte Leitmacht ein standhafter Diener sein, das ist Deutschlands Neue Verantwortung. Dies ist eine Gastkolumne von Lutz Meyer, Gründer der Fullberry Foundation. Er ist – zusammen mit den Herausgebern Dirk Messner und Wolfgang Ischinger – Mitinitiator des Bandes „Deutschlands Neue Verantwortung“, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2017 vorgestellt wurde. Alle Beiträge sind auf der Webseite des Buches frei zugänglich.

Wahl in Ecuador: Wendepunkt für die linke Vision Lateinamerikas?

lun, 13/02/2017 - 08:00
Bonn, 13.02.2017. Am Sonntag, 19. Februar, wählt Ecuador einen neuen Präsidenten. Die Entscheidung wird nicht nur die Innenpolitik Ecuadors bestimmen, sondern auch das Schicksal der linken Vision Lateinamerikas. In den vergangenen zwei Jahrzehnten prägten progressive Regierungen mit linken Konzepten den Kontinent. Doch die jüngsten Wahlausgänge fordern linke Ideale heraus. Die Wahl am Sonntag wird entweder eine neue Politik in Ecuador etablieren oder einen Überlebensplan für Lateinamerikas Progressivismus aufzeigen. Die progressiven Regierungen haben strukturelle Veränderungen in Lateinamerika herbeigeführt. Sie modernisierten Verfassungen, schufen integrative Bildungs- und Wohlfahrtssysteme und sorgten für eine gerechtere Verteilung der Erträge des jüngsten Rohstoffbooms. Doch mittlerweile kam es in mehreren Ländern zum konservativen Rollback. Dilma Rousseff wurde 2016 in Brasilien aus dem Amt vertrieben, 2015 wurde die Politik von Cristina de Kirchner in Argentinien abgewählt, im selben Jahr verlor Nicolás Maduro in Venezuela einen erheblichen Teil seiner Macht in der Nationalversammlung. Lateinamerikas progressive Regierungen erhalten die Quittung dafür, die tief sitzende Korruption und Vetternwirtschaft der Region nicht beseitigt zu haben. In Ecuador kam der derzeitige Präsident Rafael Correa mit der Mehrparteienbewegung „Alianza PAIS“ 2006 an die Macht. Er brachte dem Land zunächst beachtliche politische und wirtschaftliche Stabilität. Jetzt, am Ende seiner zweiten Regierungszeit, ist nicht mehr viel vom inklusiven politischen Dialog seiner frühen Amtsjahre übrig. Einige Maßnahmen der Regierung sind besorgniserregend. Im Januar entging die Umweltorganisation „Acción Ecológica“, ein namhafter Gegner der ecuadorianischen Umweltpolitik, nur knapp ihrer Schließung. 2014 und 2016 verweigerte die Regierung Delegationen des Deutschen Bundestages den Zugang zum Amazonas um dort mit oppositionellen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zu sprechen. 2015 erfuhr Correa massive Kritik für eine Verfassungsänderung, die dem Präsidenten erlaubt, beliebig oft wiedergewählt zu werden. Zugleich verschlechterte sich die Situation der Pressefreiheit; die Regierung übernahm 2013 die Ausschreibung von Fernseh- und Radiofrequenzen und bedroht damit die redaktionelle Unabhängigkeit. Überraschend kündigte Correa an, er werde bei der bevorstehenden Wahl nicht antreten. Stattdessen übertrug er seinem langjährigen Wegbegleiter Lenín Moreno die Kandidatur für „Allianza PAIS“. Moreno prägte als Correas Vizepräsident von 2007 bis 2013 Ecuadors Progressivismus und erwarb anschließend internationale Anerkennung als „Sondergesandter für Behinderung und Barrierefreiheit“ bei den Vereinten Nationen in Genf. Correa und „Alianza PAIS“ scheinen die Frustration der Bevölkerung erkannt zu haben. Sie entschieden sich mit Moreno für den aussichtsreichsten Kandidaten, der mit den autokratischen Entscheidungen der Regierung nicht Verbindung gebracht wird. Doch Morenos weiße Weste erhielt in den vergangenen Tagen Flecken: Sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft, Jorge Glas, scheint im gerade aufgedeckten Korruptionsskandal um die staatliche Ölfirma verwickelt zu sein. Morenos Wahl ist dadurch gefährdet, sein rechtsstehender Gegner Guillermo Lasso hingegen im Aufwind. Die jüngsten Umfragen lassen ein enges Rennen zwischen Moreno und Lasso erwarten. Lasso und seine CREO-Partei drängen auf drastische Reformen. Sie wollen der tiefen, ölpreisbedingten Rezession des Landes mit einer neuen Wirtschaftspolitik entgegenwirken. Lasso verspricht, während seiner vierjährigen Amtszeit eine Million Arbeitsplätze zu schaffen, Steuern zu senken und durch staatliche Interventionen private sowie ausländische Investitionen zu fördern. Jedoch ist Lassos Kandidatur nicht ohne Makel: Sein Name ist eng mit Ecuadors Wirtschaftskrise von 1998 verknüpft, zudem tauchte er im vergangenen Jahr unrühmlich in den Panama Papers auf. Eine Woche vor der Wahl ist ihr Ausgang also noch unklar. Sowohl Moreno als auch Lasso könnten in der ersten Runde gewinnen, wenn nicht, wird die Stichwahl am 2. April entscheiden. Morenos Sieg würde „Alianza PAIS“ helfen zu überleben und somit Ecuadors Linken erlauben, auf einen nicht-autokratischen Weg zurückzukehren. Moreno sollte dann seine neue Macht nutzen, um Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämpfen – innerhalb des Staatsapparates und besonders in seiner Partei. Morenos Sieg wäre auch ein ermutigendes Signal für andere progressive Regierungen in Lateinamerika. Ihre Zeit muss noch nicht vorbei sein – wenn sie die öffentliche Meinung respektieren und für innere Erneuerung offen sind. Progressive Politiken haben die Demokratien in Lateinamerika gefestigt; sie werden nur fortbestehen, wenn sie selbst demokratische Regeln befolgen. Sie müssen der Korruption den Kampf ansagen, vor allem in den eigenen Reihen. Sie müssen ihre Integrität zurückgewinnen. Das könnte der Schlüssel für Lateinamerikas progressive Bewegungen sein, um nicht nur an der Regierung zu bleiben, sondern auch um den Traum einer progressiven Zukunft weiter zu realisieren. Mona Heiss ist Teilnehmerin des 52. Postgraduiertenkurses des DIE. Angelike Páez ist Dozentin für Internationale Studien an der Universidad Espíritu Santo, Guayaquil, Ecuador
Diese Kolumne ist am 13.02.2017 auch auf EurActiv.com veröffentlicht worden.

Pages