Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
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lun, 11/02/2019 - 09:00
Bonn, 11.02.2019. Schon wieder sehen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank (WB) fast die Hälfte der Niedrigeinkommensländer als hoch verschuldet an. Und das trotz der umfangreichen Schuldenerlasse im Rahmen der „Initiative für Hochverschuldete Arme Länder“ und des Multilateralen Schuldenerlasses, die die meisten Niedrigeinkommensländer zwischen 2000 und 2012 erhalten haben. Eine hohe Auslandverschuldung behindert die Entwicklung dieser Länder, weil das Geld für Zins- und Tilgungszahlungen verwandt werden muss und nicht für wichtige Investitionen, wie zum Beispiel in Infrastruktur oder für Sozialausgaben, zur Verfügung steht.
Erneut zählen langanhaltende interne und externe Probleme zu den zentralen Ursachen der Verschuldung in Niedrigeinkommensländern. Die derzeitige Situation unterscheidet sich dennoch maßgeblich von den früheren Verschuldungskrisen. Es sind vor allem andere Gläubiger involviert, die vorwiegend nicht-konzessionäre anstatt konzessionäre Kredite vergeben haben.
Schlechtes Schuldenmanagement und niedrige Staatseinnahmen aufgrund von ineffizienter Steuerpolitik sowie Schwächen auf dem Gebiet der Rechtstaatlichkeit zählen zu den internen Ursachen. Weiterhin werden die Kredite häufig nicht für produktive Investitionen, sondern für den Konsum von Gütern verwandt. Hinzu kommen äußere Schocks, wie zum Beispiel die seit 2011 gesunkenen Rohstoffpreise oder Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder Stürme. Strukturelle Probleme wie eine wenig breit aufgestellte Wirtschafts- und Exportstruktur führen zu einer hohen Anfälligkeit gegenüber Preis- und Nachfrageschwankungen auf dem Weltmarkt.
Neu an der derzeitigen Verschuldungssituation ist, dass sich die Gläubiger – und damit auch Schuldenstruktur – maßgeblich verändert haben. Entwicklungsländer haben ihre Kreditaufnahme zu Marktbedingungen besonders bei neuen Gebern, wie zum Beispiel China und Indien und bei privaten Gläubigern erheblich erhöht. Bei den Niedrigeinkommensländern hat sich laut Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) der Anteil der öffentlichen Verschuldung zu Marktkonditionen an der Gesamtverschuldung von 2007 bis 2016 verdoppelt und stieg auf 46 Prozent an. Im Vergleich zu den konzessionären Krediten von traditionellen bilateralen (vor allem Geberländer im OECD-Entwicklungsausschuss) und multilateralen Gläubigern, wie zum Beispiel IWF und WB, handelt es sich hierbei um Kredite mit höheren Zinsen und kürzeren Laufzeiten. Dies gefährdet die Schuldentragfähigkeit der Entwicklungsländer zusätzlich.
Der Anteil der öffentlichen Schulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt in Niedrigeinkommensländern gegenüber den Ländern, die nicht Mitglieder im Pariser Club sind, hat sich von 2007 bis 2016 verdoppelt. Dabei sticht China als Geber besonders hervor. Demgegenüber sind die Kredite von Mitgliedern des Pariser Clubs erheblich zurückgegangen. Der Anteil der externen öffentlichen Schulden gegenüber privaten Gläubigern an der Gesamtverschuldung ist laut der UNCTAD in Entwicklungsländern von circa 40 Prozent im Jahr 2000 auf 60 Prozent im Jahr 2016 angestiegen. Zudem ist nicht nur die Auslandsverschuldung, sondern auch die inländische Verschuldung in den Entwicklungsländern stark angestiegen.
Um eine erneute Verschuldungskrise in Entwicklungsländern zu verhindern, ist vor allem der Aufbau eines guten Schuldenmanagements notwendig. Die Kapazitäten für das öffentliche Schuldenmanagement müssen verbessert und eine geeignete Schuldenstruktur hinsichtlich Laufzeit und Zusammensetzung von inländischer und ausländischer Währung aufgebaut werden. Ein gutes Schuldenmanagement trägt auch zu einer besseren Transparenz und Vollständigkeit der Daten über die Verschuldungssituation in Entwicklungsländern bei. Die bisher guten Maßnahmen zum Schuldenmanagement von den Gebern, wie zum Beispiel die Debt Management Facility der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds sowie das Debt Management and Financial Analysis System Programme der UNCTAD, müssen weiter ausgebaut und verbessert werden.
Ein weiterer wichtiger Baustein sind einheitliche Prinzipien zur verantwortlichen Kreditvergabe und –aufnahme. Bisher gibt es verschiedene Vorschläge von den Vereinten Nationen, den G20, der OECD und dem Institute of International Finance (Zusammenschluss wichtiger privater Finanzakteure).
Vor dem Hintergrund der heterogenen Gläubigergruppe wird eine Koordination der Gläubiger im Falle einer Verschuldungskrise schwierig werden. Daher sollte die Anwendung von Kollektivklauseln in Anleiheverträgen bereits jetzt ausgeweitet werden, um zukünftige Umstrukturierungen von Staatsanleihen zu vereinfachen.
Angesichts der voraussichtlich steigenden globalen Zinsen und der kürzeren Laufzeiten für die nicht-konzessionären Kredite bestehen auch in Zukunft erhebliche Risiken für die Schuldentragfähigkeit der Entwicklungsländer. Es ist höchste Zeit zu handeln und zu Einigungen auf internationaler Ebene zu kommen, um eine erneute Verschuldungskrise noch aufzuhalten.
lun, 04/02/2019 - 12:58
Bonn, 04.02.2019. Der afrikanische Kontinent besitzt heute einen Stellenwert im öffentlichen und politischen Diskurs in Deutschland und Europa wie vielleicht noch nie seit Ende der Kolonialzeit. Dies zeigt sich insbesondere an drei Debatten bzw. Fragen, die in jüngster Vergangenheit nicht nur zu heftigen, (teils diplomatischen) Verwerfungen geführt haben: Was tun gegen Flucht und Verzweiflungsmigration aus Afrika? Wie kann ein fairer Umgang mit während der Kolonialzeit geraubten Kunst- und Kulturgegenständen aussehen – oder kann es diesen überhaupt geben? Sind die west- beziehungsweise zentralafrikanischen Gemeinschaftswährungen CFA-Franc ein post-koloniales Machtinstrument Frankreichs, welches die Herrschaft über seine ehemaligen afrikanischen Kolonien niemals wirklich aufgegeben hat? Doch anders als in der Vergangenheit ist die „Kolonialherrenart“, die viele Europäer an den Tag legten, zunehmend passé. Der Ruf, wichtige Bereiche der Wissenschaft, Kultur oder Politik zu „entkolonialisieren“ und in einen Dialog auf Augenhöhe mit dem Nachbarkontinent Europas und seinen Menschen einzutreten, wird immer lauter. Aber wo sind eigentlich die afrikanischen Positionen in diesen Debatten? Leider sind ihre Stimmen in vielen öffentlichen Bereichen nach wie vor kaum hörbar. Das muss sich ändern.
Im deutschen (Spitzen-)Sport sind Menschen mit afrikanischen Wurzeln schon lange eine Alltäglichkeit – sie erfahren in den Vereinen und bei Millionen Fußballfans Unterstützung und Sympathie für ihre Leistungen. Auch im Unterhaltungsbereich gibt es zahlreiche afrodeutsche Gesichter. Künstler wie Samy Deluxe, Eunique oder Afrob etwa sind wichtige Größen ihrer jeweiligen musikalischen Genres in Deutschland. Erst gestern hat auch mit Florence Kasumba die erste Kommissarin mit afrikanischen Wurzeln ihren Dienst in der altehrwürdigen „Tatort“-Reihe der ARD angetreten. Im Gegensatz dazu sieht es vor allem im politischen Betrieb ganz anders aus: Dem einen oder der anderen fällt nach mühsamem Überlegen vielleicht noch Karamba Diaby ein, ein im Senegal geborener Bundestagsabgeordneter der SPD. Aber sonst?
Obwohl es natürlich auch in Deutschland selbst afrikanische beziehungsweise afrikanisch-stämmige Wissenschaftlerinnen, Kulturvertreter oder Journalistinnen gibt, sind die oben bereits erwähnten Debatten doch sehr eurozentristisch. Schaut man etwa auf die deutsche Fluchtursachen-Debatte, erwecken bis heute einige Beiträge den Eindruck, dass es vor allem auf Europa ankäme: durch weniger Rüstungsexporte, weniger Treibhausgasemissionen und ein Mehr an Entwicklungszusammenarbeit und Migrationskontrolle ließe sich das Problem schon langfristig lösen. Wer so argumentiert, der mag zwar von der eigenen Hybris beseelt sein, macht es sich aber sicherlich zu einfach.
Die Ursachen von Flucht und irregulärer Migration sind höchst komplex und lassen sich nicht einfach auf Armut, Klimawandel oder das Erbe der Kolonialzeit reduzieren. Vielmehr spielen hier unter anderem lokale Konflikte oder spezifische politische Konstellationen vor Ort eine große Rolle. Um diese Probleme anzugehen, bedarf es auch sehr guter Kenntnisse der komplexen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in den über 50 afrikanischen Staaten. Leider neigen viele Deutsche noch immer dazu, den afrikanischen Kontinent wie ein einziges Land zu betrachten. In der Debatte um die Bewältigung der Probleme der afrikanischen Länder bevorzugen viele daher auch eher simple Pauschallösungen - statt auf lokale Fachexpertise zu hören.
Auch bei der Debatte um die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, die sich in letzter Zeit stark um die Fragen von Entschädigung oder Rückgabe geraubter Kulturgegenstände dreht, zeigt sich eine nicht sonderlich ausgeprägte Bereitschaft, die afrikanische Seite beziehungsweise afrikanische Diaspora-Gruppen miteinzubinden. So entsteht leicht der Eindruck, dass es sich bei derlei Unterfangen vor allem um europäische beziehungsweise „weiße“ Elitenprojekte handelt, bei denen die Deutungshoheit um die Kolonialzeit und ihr Erbe vor allem einer Seite zukommt – nämlich der europäischen. Damit würde der Sinn der Entkolonialisierung, also einer Befreiung Afrikas von europäischen Sicht- und Interpretationsmustern, selbstredend ad absurdum geführt.
Natürlich gibt es z.B. in der Wissenschaft schon positive Ansätze für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die AIMS Initiative etwa, eine v.a. von der Humboldt-Stiftung geförderte Initiative für mathematische Forschung an verschiedenen afrikanischen Universitäten, die ohne einen europäischen „Lead“ auskommt, wäre hier zu nennen. Auch die sogenannten Reformpartnerschaften der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern wie Ghana oder der Elfenbeinküste lassen sich als grundsätzlich positive Beispiele nennen. Aber nur wenn wir es insgesamt schaffen, statt vor allem über, auch noch mehr mit Afrika, seinen Menschen und seiner Diaspora zu sprechen, kann es gelingen, Diskurse auch tatsächlich zu entkolonialisieren. Und nur so können Afrika und Europa auch voneinander lernen, sowohl gemeinsame als auch Probleme der jeweils einen oder anderen Seite zu bewältigen.
Stephen Adaawen ist selbstständiger Gutachter und Wissenschaftler aus Ghana mit den Arbeitsschwerpunkten Migration, Klimawandel und ländliche Entwicklung.Benjamin Schraven ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm "Umwelt-Governance und Transformation zur Nachhaltigkeit" am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
mer, 23/01/2019 - 09:00
Bonn, 23.01.2019. Der Einsatz vieler italienischer Bürgermeister für die Aufnahme Geflüchteter und gegen die kompromisslose Politik von Innenminister Salvini hat in den letzten Wochen viel öffentliches Aufsehen erregt. In Zeiten historischer Höchststände von Flüchtlingen steht der Vorgang sinnbildlich für die wachsende Bedeutung von Städten für Schutz und gesellschaftliche Teilhabe weltweit Vertriebener. Der am 17. Dezember 2018 von der UN Generalversammlung in New York angenommene Globale Flüchtlingspakt zeigt jedoch, dass diese Bedeutung auf internationaler Ebene noch nicht hinreichend wahrgenommen wird. Für die Umsetzung einer nachhaltigen Flüchtlingspolitik müssen daher die Potenziale von Städten und Kommunen auf globaler, nationaler und lokaler Ebene stärker wahrgenommen und unterstützt werden.
Flucht und Vertreibung haben in den letzten Jahren weltweit zugenommen. 85 Prozent der Flüchtlinge befinden sich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die mit eigenen Wirtschafts- und Entwicklungsproblemen zu kämpfen haben. Gleichzeitig hat der Anteil an lang andauernden Fluchtsituationen zugenommen: In 2017 war für etwa zwei Drittel aller Flüchtlinge die Rückkehr in die Heimatländer für mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte kaum möglich. Prominente Beispiele sind der seit 2012 anhaltende syrische Bürgerkrieg oder die seit den 1990er Jahren andauernde somalische Flüchtlingskrise. Neben Herausforderungen für die Aufnahmegesellschaften, sind die Folgen für die betroffenen – in vielen Fällen jungen – Menschen dauerhafte Abhängigkeit und fehlende Perspektiven auf gesellschaftliche Teilhabe.
Der Globale Flüchtlingspakt reagiert auf diese Entwicklungen mit einem bedeutenden Paradigmenwechsel. So sollen die Lebensperspektiven von Flüchtlingen insbesondere durch eine bessere lokale Integration und Förderung ihrer ökonomischen Eigenständigkeit verbessert werden. Geflüchtete sollen in höherem Maße Zugang zu nationalen Finanzdienstleistungen, Bildungssystemen und Arbeitsmärkten erhalten. Im Gegenzug verpflichtet sich die internationale Gemeinschaft, aufnehmende Länder durch die Bereitstellung von Wissen und Ressourcen zu unterstützen. Flüchtlingslager soll es künftig nur noch als Ausnahme und lediglich kurzfristige humanitäre Lösung geben.
Während der Flüchtlingspakt feststellt, dass sich ein zunehmender Teil von Geflüchteten bereits jetzt schon außerhalb von Lagern aufhält, wird eine andere räumliche Dimension fast konsequent ignoriert: Die zentrale Rolle von Städten als Akteure und wichtige Integrationsmotoren in Fluchtsituationen. Über die Hälfte der Flüchtlinge halten sich in Städten auf, unter den Binnenvertriebenen liegt der Anteil sogar bei über 80 Prozent . Nicht wenige (anerkannte) Flüchtlinge verlassen zudem freiwillig – und oftmals illegal – den Schutzraum des Flüchtlingslagers, um sich und ihren Familien ein Auskommen zu ermöglichen. Auch unter rückkehrenden Flüchtlingen weisen Studien auf eine deutliche Tendenz zur (Neu-) Ansiedlung in städtischen Räumen des Herkunftslandes hin.
Aus der Perspektive von Geflüchteten liegen die Vorteile gewachsener Städte und Gemeinden auf der Hand: Im Gegensatz zu Flüchtlingslagern ermöglichen diese oftmals ein autonomeres Leben mit Aussicht auf soziale und ökonomische Integration. Nicht zuletzt bieten urbane Netzwerke informellen Schutz und unterstützen bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Ein urbanes Leben „unter dem Radar“ der staatlichen Einrichtungen bietet jedoch wenig Sicherheit und macht verwundbar. Urbane Flüchtlinge sind häufiger Opfer von sexueller Gewalt, Ausbeutung und verbaler sowie körperlicher Angriffe. Dies ist insbesondere in Ländern der Fall, die offiziell keine Ansiedlung außerhalb von Flüchtlingslagern erlauben. Dort ist in den Städten der Zugang zu öffentlichen Bildungs- und Gesundheitsleistungen kaum möglich; auch internationale Hilfs- und Schutzleistungen können nur eingeschränkt genutzt werden. Nicht registrierte Flüchtlinge sind zudem oft der Willkür der lokalen Behörden ausgeliefert.
Für eine effektive Umsetzung nachhaltiger Lösungen außerhalb von Flüchtlingslagern ist es daher notwendig, die wichtige Rolle von Städten und Gemeinden anzuerkennen und zu unterstützen. Dies muss auf mehreren Ebenen passieren: Auf internationaler Ebene durch eine stärkere Einbindung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und (im Pakt genannten) Städtenetzwerken in globale Politikprozesse. Darüber hinaus müssen bestehende UNHCR-Konzepte expliziter auf Bedarfe in städtischen Räumen zugeschnitten. Dieses gilt ebenso für die bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, welche die Bedürfnisse urbaner Geflüchteter stärker in ihren Maßnahmen beachten sollte. Auf nationaler Ebene müssen Städte und Kommunen mit höheren politischen und finanziellen Gestaltungskompetenzen ausgestattet werden. Essentiell ist dabei auch die politische und rechtliche Anerkennung urbaner Geflüchteter. Auf lokaler Ebene geht es schließlich um eine verstärkte Integration von Flüchtlingen in vorhandene Stadtentwicklungs- und Budgetpläne. Nicht zuletzt gilt es, Stadtregierungen und -verwaltungen sowie die lokale Bevölkerung auch für mögliche positive Folgen der wirtschaftlichen und sozialen Integration von Geflüchteten zu sensibilisieren.
lun, 21/01/2019 - 09:00
Bonn, 21.01.2019. Ownership kann mit Fug und Recht als das zentrale entwicklungspolitische Prinzip betrachtet werden. Nur wenn die Partner entwicklungspolitischer Kooperation die Vorhaben in einem Entwicklungsland als ihr „eigenes Ding“ betrachten und bei der Planung, Durchführung und Evaluierung eng eingebunden sind, kann Entwicklungszusammenarbeit dauerhaft erfolgreich sein. Daher stand bereits vor 50 Jahren ownership im Mittelpunkt entwicklungspolitischer Diskussionen. Gleichwohl gab es immer Zeiten, in denen internationale Partner zu den Entwicklungsländern eher einen donorship-Ansatz verfolgten, das heißt bewusst oder unbewusst vorgeschrieben haben was „gut“ für ein Partnerland ist. Umgekehrt betonen internationale Vereinbarungen zur entwicklungspolitischen Wirksamkeit (Paris 2005 und Busan 2011), das Pariser Klimaabkommen und die Agenda 2030 alle ‚national ownership‘. Auch im Rahmen von Süd-Süd-Zusammenarbeit hat das Prinzip einen wichtigen Platz.
Insofern besteht ein sich durch die Jahrzehnte der Entwicklungspolitik ziehender Konsens, dass ownership gut und wichtig ist. Hieran ist zunächst einmal nichts falsch. Allerdings: Das Umfeld von Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit hat sich in den vergangenen fünf bis zehn Jahre massiv verändert. Entwicklungszusammenarbeit findet vermehrt und expliziter unter den Vorzeichen von Interessen der Geber statt – sei es die europäische Migrationsagenda, die direkte Förderung von Unternehmen in den jeweiligen Geberländern oder die kruden Kürzungsandrohungen der Trump-Administration. Und schließlich haben sich die Bedingungen in den Entwicklungsregionen selbst stark verändert – mehr Optionen bei der Entwicklungsfinanzierung, zum Beispiel durch Indien und China, bedeutet beispielsweise weniger Abhängigkeit von den traditionellen westlichen Gebern. Daher stellt sich eine zentrale Frage, die bislang aber kaum diskutiert wurde: Haben all diese Veränderungen keine einschneidende Bedeutung für unser Verständnis, wie wir heute auf ownership blicken sollten?
Ein ownership-Prinzip, welches schön klingt, aber letztlich der Interpretation jedes einzelnen Akteurs unterliegt und daher eigentlich keine echte Wirkung entfalten kann, läuft Gefahr, bedeutungslos zu werden. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) hat daher in einer umfassenden Studie sowohl den derzeitigen entwicklungspolitische Kontext eingehend untersucht, als auch Schlussfolgerungen für ein verändertes ownership-Verständnis gezogen, welche für heutige Diskussionen über wirksame Entwicklungszusammenarbeit wichtig sind.
Erstens, die Art und Weise, wie Entwicklungszusammenarbeit heute organisiert ist, hat Auswirkungen auf ownership – dies ist oft noch nicht ausreichend im Bewusstsein der Handelnden verankert. Zunehmend werden Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für thematische Budgetlinien (Klimawandel, Beschäftigungsinitiativen etc.) vorgesehen, wodurch thematisch offene bilaterale Programme an Bedeutung verlieren. Die Zunahme an Treuhandfonds, Globalen Fonds und von anderen thematischen Mitteln haben zu einer Zentralisierung der Entscheidungsprozesse beigetragen. Dies führt dazu, dass Partnerländer oft weniger stark, indirekter und/oder an einem späten Zeitpunkt an Entscheidungen beteiligt sind. Es kann gute Gründe für einen inhaltlichen Schwerpunkt eines Gebers mit einer Region geben, aber dies kann im Konflikt stehen mit nationalen Entwicklungsprioritäten.
Zweitens hat sich in den vergangenen Jahren sinnvollerweise eine Sichtweise herausgebildet, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht allein auf die Regierung in einem Partnerland ausgerichtet sein sollte. Diese Multi-Akteurs-Perspektive ist richtig und wichtig. Und sie hat dazu beigetragen, dass wir in den vergangenen Jahren abgerückt sind von einer ownership, die sich vorrangig an den Regierungen der Partnerländer orientiert. Vielmehr zielen viele Bemühungen darauf ab Parlamente, zivilgesellschaftliche Akteure, den Privatsektor und andere Partner einzubinden. Zugleich führt ein solches Vorgehen aber oft zu Zielkonflikten. Was ist, wenn ein Parlament de facto nur wenig entwicklungsorientiert ist und Abgeordnete ihre Rolle für kurzfristige politische Ziele nutzen und damit zu Blockierern werden (so etwa in teilweise in Liberia)? Oder wie sollte ownership jenseits der Regierung in den Ländern erreicht werden, wo unabhängige Betätigungsmöglichkeiten etwa für zivilgesellschaftliche Gruppen nur sehr begrenzt möglich sind (beispielsweise in Ruanda)? Die wichtige Debatte über zunehmende Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume als einen übergreifenden Trend in vielen Regionen der Welt zeigt, dass dieses Problem sich vermehrt stellt.
Was bedeuten die sehr unterschiedlichen Trends und dynamischen Rahmenbedingungen für ein ownership-Prinzip heute? Unsere Studie zeigt, das ownership ein zentrales Prinzip bleibt, um entwicklungspolitische Wirkungen nachhaltig erreichen zu können. Wir haben es aber vielfach mit Zielkonflikten zu tun. Die Einbeziehung von mehr Akteuren kann zugleich mit Effizienzverlusten einhergehen. Mehr ownership durch Partner in Entwicklungsländern steht Kontrollbedürfnissen auf der Geberseite tendenziell entgegen. Hierzu gibt es keine einfachen und perfekten Lösungen. Allgemein formuliert sollte es verstärkt um die Förderung von kontextrelevanter ownership gehen (Welche Akteure einbeziehen? Wie ownership befördern, wenn es sich um thematisch festgelegte Mittel geht? etc.): hierin sehen wir die sich verändernde entwicklungspolitische Herausforderung.
mar, 15/01/2019 - 07:00
Bonn, 15.01.2019. Am 15. Januar soll das britische Parlament final über das von der Europäischen Union (EU) und Großbritannien ausgehandelte Austrittsabkommen abstimmen. Das Ergebnis der Abstimmung ist momentan nicht vorherzusehen. Durch die geringe Erfolgswahrscheinlichkeit hatte Premierministerin Teresa May die für Ende 2018 geplante Abstimmung ins neue Jahr verlegt. Das von der eigenen Partei initiierte Misstrauensvotum im vergangenen Dezember sowie dessen knappes Ergebnis verdeutlichen, wie stark das Parlament bei der Brexit-Frage gespalten ist.
Ob ein geordneter Austritt mit oder ein „harter Brexit“ ohne Austrittsabkommen – derzeit werden immer wieder die ökonomischen und politischen Folgen unterschiedlicher Szenarien für Großbritannien und Europa diskutiert. Doch wir müssen auch die globalen Effekte des Brexit in den Blick nehmen.
Zu selten wird diskutiert, dass auch Länder jenseits Großbritanniens und der EU vom Brexit und den sich dadurch wandelnden Handelsbeziehungen betroffen sein werden. Oft wird von Befürworten eines harten Brexits betont, dass Großbritannien im Fall eines Brexits ohne Austrittsabkommen einfach auf die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückgreifen könne. Dies stimmt jedoch nicht vollständig mit der Realität überein. Die neuen Marktzugangsregeln zwischen Großbritannien und den WTO-Mitgliedern jenseits der EU müssen im Moment noch verhandelt werden, und zwar derzeit ohne Aussichten auf baldigen Erfolg. Somit müssten die Briten im Falle eines „No deal“ nach März 2019 mit dem Rest der Welt höchstwahrscheinlich nach den in der WTO vereinbarten EU-Bedingungen handeln. Und das, obwohl diese dann eigentlich nicht mehr für Großbritannien gelten.
Vor allem für ärmere Länder kann der Brexit drastische Folgen haben. Unabhängig von dem endgültigen Brexit-Abkommen zwischen der EU und Großbritannien, werden Entwicklungsländer vom EU-Austritt Großbritanniens negativ betroffen sein. Ein wichtiger Grund ist, dass sie ihren bevorzugten Zugang zum britischen Markt verlieren, den sie im Moment noch auf Grundlage unterschiedlicher EU-Abkommen genießen. Zum Beispiel durch das allgemeine Präferenzsystem (Generalised Scheme of Preferences), die "Alles außer Waffen" (EBA) Initiative, sowie die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements).
Wenn Entwicklungsländer nach dem Brexit auf dem britischen Markt keine bevorzugten Zölle mehr erhalten, sinkt ihre Wettbewerbsfähigkeit in Großbritannien. Vor allem bei einem harten Brexit ohne Austrittsabkommen würden die am wenigsten entwickelten Länder unter höheren Zöllen und anderen nichttarifären Handelsbarrieren leiden. In diesem Fall würden die Exporte nach Großbritannien laut aktueller Simulationen beispielsweise in Äthiopien um 20 Prozent und in Malawi sogar um 60 Prozent einbrechen.
Insbesondere arme Länder wie Kambodscha und Malawi, die stark vom britischen Markt abhängig sind, weil sie viel in das Vereinigte Königreich exportieren, werden laut neuester Berechnungen Einbußen ihres Bruttoinlandprodukts hinnehmen müssen. In den am wenigsten entwickelten Ländern, die von den Handelspräferenzen der EU profitieren, ist darüber hinaus ein Anstieg der Armut zu befürchten. Neue Simulationen zeigen, dass die Anzahl der Menschen, die in extremer Armut leben, infolge des Brexits in diesen Ländern um bis zu 1,7 Millionen steigen könnte. Diese Zahlen sind konservative Schätzungen, die ausschließlich die Änderungen der Handelsregeln einbeziehen. Andere negative Faktoren wie die Abwertung des Britischen Pfunds, verringerte britische Direktinvestitionen und weniger Entwicklungshilfe sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Da sich neue Handelsverträge zwischen Großbritannien und den Entwicklungsländern hinziehen werden, ist eine Übergangsregelung seitens der Briten notwendig, um die negativen Auswirkungen für arme Staaten zu verhindern. Handelsbezogene Entwicklungshilfe kann zusätzlich dazu beitragen, die Herausforderungen für arme Länder abzufedern. Zugleich birgt die zukünftige Neuaufstellung der britischen Handelspolitik die Chance, die Handelsbeziehungen mit armen Ländern entwicklungsfreundlicher zu gestalten. Das wäre beispielsweise durch großzügigere Präferenzen möglich, die mehr Wertschöpfung über mehrere Länder zulassen und so regionale Wertschöpfungsketten fördern.
Der Brexit stellt eine außerordentliche Herausforderung sowohl für Großbritannien, als auch für die EU dar. Selbst wenn das britische Parlament dem Austrittsabkommen zustimmt, ist das Risiko eines harten „No deal“ Brexits nicht ausgeschlossen. Denn es wird nicht einfach sein, sich bis zum Ende der vereinbarten Übergangszeit auf ein neues Handels- und Investitionsabkommen zwischen Großbritannien und der EU zu einigen. So oder so: Die langanhaltende Unsicherheit mit vielen offenen Fragen führt zu stetig wachsenden Kosten, die nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Verbrauchern einen erheblichen Schaden zufügen. Beide Seiten sollten sich um eine bestmögliche Lösung bemühen und dabei auch die Verluste der ärmsten Entwicklungsländer berücksichtigen.
lun, 14/01/2019 - 09:00
Bonn, 14.01.2019. 2019 wird kein leichtes Jahr für internationale Zusammenarbeit, für den Schutz menschlichen Wohlergehens und nachhaltige Entwicklung. Vielerorts behindern dies die inneren politischen Verhältnisse. Gesellschaften spalten sich in unterschiedliche ideologische Lager und sind immer weniger in der Lage, sich auf gemeinsame Problembeschreibungen und prioritäre Herausforderungen zu einigen, erst recht nicht auf Lösungsansätze. Oft geht dies einher mit Ausgrenzung und Rechtlosigkeit von gesellschaftlichen Gruppen und einzelnen Menschen, mit dem Verlust von Mitgefühl und einer Abwehrhaltung gegenüber internationaler Verantwortung. Gewaltsam ausgetragene innergesellschaftliche Konflikte und anhaltende oder eingefrorene Kriege stehen für die Unfähigkeit, sich zukunftsorientiert auf gemeinsame Interessen und Frieden begründende Kompromisse zu verständigen. Diese Phänomene finden sich auf allen Kontinenten, auch in Europa und Deutschland. Viele sind dadurch zutiefst beunruhigt und verunsichert. Bisherige gesellschaftliche Vereinbarungen scheinen an Gewicht zu verlieren: wie ein friedliches und gedeihliches Miteinander gestaltet und gelebt werden kann, was eine freie und prosperierende Gesellschaft ausmacht und welche Bedeutung konstruktive internationale Beziehungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft haben.
Diese Verunsicherung in unserer eigenen Gesellschaft, in der Europäischen Union (EU) und in den internationalen Beziehungen erschwert entschiedenes Handeln. Doch in unserer gegenwärtigen Welt ist die Verbesserung nationalen Wohlergehens ohne eine globale Perspektive nicht mehr vorstellbar. Interdependenzen und Wechselwirkungen prägen das 21. Jahrhundert mehr denn je: zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern; zwischen steigenden Wohlfahrtsniveaus und Umweltbelastungen, die die Stabilität des Erdsystems gefährden; zwischen sozialer, ökonomischer und politischer Teilhabe in nationalen Gesellschaften einerseits und internationaler Stabilität, Sicherheit und Zusammenarbeit andererseits.
Politik für nachhaltige Entwicklung muss all dies berücksichtigen und ist auf internationale Kooperation angewiesen. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihren 17 Nachhaltigkeitszielen haben wir dafür seit 2015 einen international vereinbarten Handlungsrahmen. Es geht um mehr als die bloße Summe von nationalen Interessenkonstellationen und Gemeinwohlvorstellungen in Europa oder weltweit. Die Agenda gibt globale Orientierung, um angemessene Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen zu geben, von der Verringerung von Armut und Ungleichheiten, über den Schutz von Biodiversität und Klima bis hin zur Beendigung von Kriegen, von Flucht und Vertreibung. Die Klimakonferenz in Katowice hat wichtige Fortschritte für die Umsetzung des Pariser Klima-Übereinkommens erreicht. Sie hat gezeigt, dass die internationale Klima-Kooperation lebt, gemeinsam getragen von Regierungen, Städten, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.
2019 werden diese Herausforderungen prominent auf der politischen Agenda der EU und der Vereinten Nationen stehen. Im Vorfeld der Wahlen für das Europäische Parlament werden sich die politischen Parteien und ihre Wählerinnen und Wähler nicht nur darüber verständigen müssen, wie Wohlstand und Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt zusammengedacht werden, sondern auch darüber, wieviel globale Verantwortung zu einem lebenswerten Europa heute gehört und wie diese ausbuchstabiert werden muss. Der Einfluss des Parlaments wurde 2009 mit dem Vertrag von Lissabon gestärkt und ein zukunftsstarkes Europa braucht eine breite Wahlbeteiligung, die seinen lebendigen demokratischen Kern abbildet.
Die Vereinten Nationen veranstalten im September 2019 zwei Gipfeltreffen zum Klimaschutz und zur Überprüfung der Umsetzung der Agenda 2030. Hier sind die Staats- und Regierungschefs gefordert. Diese Gipfel und ihre Themen müssen zusammen gedacht und aufeinander bezogen werden, um keine falschen Konkurrenzen aufkommen zu lassen und schnelleres Handeln zu ermöglichen.
Der jüngste Sonderbericht des Weltklimarates zeigt, dass eine ambitionierte Umsetzung der 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung die Anpassungs- und Minderungslasten für den Klimaschutz verringern kann. Soziale Gerechtigkeit ist ein Kernanliegen der Agenda 2030 und befördert die Umsetzung klimapolitischer Transformationspfade. Auch in einer Welt mit 1,5°C Klimaerwärmung steigen die Risiken, aber es besteht eine größere Chance, in vielen Bereichen nachhaltiger Entwicklung voran zu kommen. Der letzte New Climate Economy Report unterstreicht daher die positiven Wechselwirkungen zwischen schneller technologischer Innovation, Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen und erhöhter Ressourcenproduktivität liegen. Der Bericht „Better business – better world“ zeigt, dass mit Investitionen in die Nachhaltigkeitsziele 380 Millionen neue Jobs bis 2030 geschaffen werden könnten, ein Großteil davon in Afrika.
2019 wird ein gutes Jahr, wenn wir es nutzen, um der Verunsicherung in und zwischen unseren Gesellschaften zu begegnen. Die Europawahlen im Mai und die Gipfel der Vereinten Nationen im September bieten dafür in besonderer Weise Gelegenheit.
lun, 17/12/2018 - 15:25
Bonn, 18.12.2018. Geschafft! Die Klimakonferenz von Katowice (COP24) hat tatsächlich das Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Abkommens von 2015 geliefert. Damit hat sie ihr wichtigstes Ziel erreicht. Hätten sich die 197 Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) nicht auf Umsetzungsregeln geeinigt, wäre das Pariser Abkommen auf reine Symbolpolitik reduziert worden. Die Aushandlung und Annahme des Regelwerks war keine triviale Angelegenheit. Entsprechend groß ist die Erleichterung bei allen, die sich für eine effektive globale Klimapolitik einsetzen.
Der Multilateralismus wurde in den beiden Konferenzwochen auf eine harte Probe gestellt. Auch wenn diese insgesamt gut endete, ist deshalb nicht alles gut. Einige Streitfragen wurden schlichtweg auf künftige Verhandlungen verschoben. Dazu gehören insbesondere Regeln für die politische Steuerung der Kohlenstoffmärkte und Antworten auf den Umgang mit klimabedingten Verlusten und Schäden, die weitere Fragen zur Klimafinanzierung aufwerfen. Zudem dürften atmosphärische Verwerfungen der Verhandlungsrunde von Katowice über die COP24 hinaus nachwirken.
Die Schwierigkeiten bei der Aushandlung des Regelwerks spiegeln ein internationales Klima wider, das für eine ambitionierte Klimapolitik weit weniger günstig ist als noch 2015. Ungeachtet der globalen Bedrohung eines unkontrollierbaren Klimawandels, ist weltweit ein engstirniger Nationalismus auf dem Vormarsch. Die USA haben bereits angekündigt, sich aus dem Pariser Abkommen zurückzuziehen; Brasilien hat nach dem jüngst vollzogenen Machtwechsel sein Angebot zurückgezogen, die nächste COP auszurichten. Unterdessen kämpfen selbsternannte Klima-Pioniere mit ihren Hausaufgaben. Frankreichs Plan zur Besteuerung von Kraftstoffen wurde durch die gewaltsamen Proteste Proteste der „Gelbwesten“ durchkreuzt; in Deutschland verkündete die sogenannte „Kohlekommission“ kurz vor Katowice, ihr Ergebnis nun doch erst 2019 vorzulegen. Und eine illustre Runde ölexportierender Länder – die USA, Saudi-Arabien, Russland und Kuwait – brachte die Verhandlungen fast zum Stillstand, in dem sie sich hartnäckig weigerte, die Ergebnisse des Sonderberichts des Weltklimarats (IPCC) zum 1,5°C-Ziel zu „begrüßen“ und damit ideologische Gräben wieder aufriss, die durch das Pariser Abkommen überwunden schienen.
All dies zu einer Zeit, in der nicht nur der IPCC sehr deutlich herausgearbeitet hat, dass jeder Zehntel Grad der globalen Erwärmung bedeutsam ist und sich das Zeitfenster für angemessene Klimaschutzmaßnahmen rasch schließt. Gleichzeitig legte die Global Commission on the Economy and Climate überzeugend dar, dass Kohleausstieg und Investitionen in klimafreundliche Technologies enorme Wachstumschancen und Entwicklungsimpulse bieten. Die sowohl von den Klima- als auch von Wirtschaftsexperten vorgelegten Befunde dürften noch an Bedeutung gewinnen, sofern ihre Kernbotschaften zu einer breiteren Öffentlichkeit und den Wählerschaften durchdringen.
Auf jeden Fall hat COP24 das benötigte Regelwerk geliefert und der Multilateralismus damit ein deutliches Lebenszeichen gegeben. Viele haben daran mitgewirkt. Der polnische COP-Präsident Michał Kurtyka und sein Vorgänger Frank Bainimarama von Fidschi mit vereinten Kräften im Rahmen des Talanoa-Dialogs, der mit einem beschwörenden Aufruf zum Handeln endete. UN-Generalsekretär António Guterres demonstrierte außergewöhnliche Führungsstärke, indem er in Katowice wiederholt persönlich intervenierte.
Die EU, Kanada, Neuseeland und eine Reihe von Entwicklungsländern haben ihre in Paris bewährte High Ambition Coalition erfolgreich wiederbelebt, um die festgefahrenen Verhandlungen voranzubringen. Hierzu trugen auch die Ankündigungen Deutschlands und Norwegens bei, ihre jeweiligen Zusagen an den Grünen Klimafonds zu verdoppeln – eine wichtige Finanzierungsquelle für den Klimaschutz in Entwicklungsländern.
Dies gilt ebenso für nichtstaatliche und subnationale Klimaschutzmaßnahmen. Deren wachsende Bedeutung wird im Jahrbuch „Global Climate Action“, das während der COP24 veröffentlicht wurde, bestätigt. Narrative wie das einer „New Climate Economy“ leben von Beispielen wie den etwa 400 Investoren, die zusammen Vermögenswerte von 32 Billionen US-Dollar verwalten und sich zur Abkehr von fossilen Energien verpflichtet haben.
Nicht zuletzt rauften sich am Ende die USA und China zusammen, um gemeinsam an einer allgemein akzeptablen Methodik für die Berichterstattung über Emissionen und Klimaschutzmaßnahmen zu arbeiten. Dies war entscheidend für die Lösung einiger der hartnäckigsten Probleme, die dem Regelwerk bis zum Ende im Weg standen: die Berichtspflichten hinsichtlich der Senkung von Treibhausgasemissionen und die Transparenz entsprechender Finanzströme.
Der nächste wichtige Meilenstein nach Katowice ist nun der der VN-Klimagipfel in New York im September 2019. Er wird der Welt einen guten Ausblick geben, welche Länder bereit sind, ihren Worten bis zur nächsten COP in Chile im November 2019 Taten folgen zu lassen. Die Chancen zur Begrenzung des Klimawandels hängen schlussendlich davon ab, was die Länder zu Hause tun oder lassen – und weniger von den Konferenzsälen.
Dies gilt insbesondere auch für Deutschland. Die Ankündigung, den Beitrag zum Grünen Klimafonds bis 2020 auf 1,5 Milliarden Euro zu verdoppeln, wurde zwar zu Recht als Erfolgsfaktor für COP24 gelobt, aber der Preis für Untätigkeit zu Hause würde sehr viel höher ausfallen.
lun, 10/12/2018 - 09:00
Bonn, 10.12.2018. Der UN-Migrationspakt hat in den letzten Wochen für eine sehr heftige politische Auseinandersetzung in Deutschland gesorgt. Gerade der AfD mit ihrer Kampagne „Migrationspakt stoppen“ gelang es, die Diskussion um den Pakt massiv anzuheizen, so dass sich auch in anderen Parteien Kritik an dem Vertragswerk der Vereinten Nationen regte. Nichtsdestotrotz stimmte eine Mehrheit des Bundestages vor gut anderthalb Wochen für den Migrationspakt („Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ - kurz GCM). Dieser wird am 10. und 11. Dezember 2018 auf einem eigens zu diesem Zweck einberufenen UN-Gipfel in Marrakesch verabschiedet. Doch es bleiben noch Fragen offen: Wie konnte sich die Debatte in Deutschland so hochschaukeln? Was sagt uns die Auseinandersetzung um den Pakt über unseren Umgang mit Flucht und Migration? Und vor allem: Was kann der Pakt konkret bewirken?
Lange schien sich in Deutschland und auch dem Rest der Welt niemand so recht für den auf einem UN-Gipfeltreffen in New York 2016 beschlossenen und seit Frühjahr 2017 verhandelten Migrationspakt zu interessieren. Auch wenn die Bundesregierung das Thema sicherlich noch offensiver hätte vertreten können, ist der Vorwurf eines geplanten „Vorbeischmuggelns“ des Paktes an Parlament und Öffentlichkeit so nicht haltbar. Fakt ist vielmehr, dass sich weite Teile der Medien, Politik und Öffentlichkeit einfach nicht darum scherten. Dies änderte sich kurzzeitig einmal, als die Trump-Administration den Austritt der USA aus den Verhandlungen zum GCM im Dezember 2017 verkündete. Diese Entscheidung der US-Regierung, auf die später der Austritt weiterer Länder (zum Beispiel Ungarn, Australien, Israel) folgte, führte jedoch keineswegs zu einer breiten Diskussion in Deutschland. Selbst die AfD hatte zu dieser Zeit – aus ihrer Sicht – das Potential einer Debatte um den Migrationspakt noch nicht erkannt. Dies änderte sich erst im Herbst 2018.
Dass die Diskussion um den GCM dann kurz vor seiner internationalen Verabschiedung so hochkochen konnte, rührt vor allem daher, dass Migration im öffentlichen Diskurs als negativ und mit teils alarmistischen Grundtönen wahrgenommen wird. Eine Unterscheidung zwischen Fluchtmigration, irregulärer Migration und Arbeitsmigration beziehungsweise regulärer Zuwanderung findet kaum statt. Die Vorstellung, bei der (irregulären) Migration aus Afrika in Richtung Europa handele es sich um den Auftakt einer riesigen „Völkerwanderung“, hat sich in weiten Teilen der öffentlichen Auseinandersetzung bereits fest etabliert. Daher ist es wenig verwunderlich, dass die oben bereits erwähnte Kampagne der AfD mit ihren nachweislich falschen Aussagen zu Inhalt und Bedeutung des internationalen Vertragswerks („ein verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“) für so einen Wirbel sorgen konnte. Entgegnungen, dass der Pakt ja rechtlich gar nicht verbindlich sei, prallten an den Kritikern ab.
Der Migrationspakt ist eine Absichtserklärung der internationalen Gemeinschaft, die Situation von Arbeitsmigrantinnen und Migranten weltweit zu verbessern und neue Möglichkeiten der regulären Migration und deren Steuerung zu schaffen. Er ist letztendlich aus der Einsicht heraus entstanden, dass kein Land der Welt Migration alleine regeln kann, sondern dass es hierfür einer guten Zusammenarbeit zwischen Herkunfts-, Transit- und Zuzugsländern der Migrierenden bedarf. Der in nicht wenigen Medien erhobene Vorwurf, dass es ja ziemlich unsinnig sei, sich auf rechtlich nicht bindende Vereinbarungen einzulassen, zeugen von Naivität und Ignoranz gegenüber Prozessen internationaler Politik. Denn Versuche in der Vergangenheit, mit rechtlich verbindlichen Konventionen Verbesserungen herbeizuführen, führten nur dazu, dass die großen Einwanderungsländer nicht mitzogen. So ist die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen bislang von keinem Zielland des Nordens unterzeichnet worden.
Sobald der Migrationspakt verabschiedet ist, gilt es, an den aufgestellten Regeln weiter zu arbeiten und sie zu etablieren – wenn nicht mit allen, dann doch zumindest mit einer „Koalition der Willigen“ im globalen Norden und Süden. So eröffnet die Auseinandersetzung um die im Pakt formulierten Ziele und Standards auch in Deutschland eine Chance für die Formulierung und Umsetzung konkreter Politiken. Beispiel Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Hierzulande ist reguläre Zuwanderung auch aus Ländern außerhalb Europas sicherlich ein Weg, um Probleme wie Fachkräftemangel oder die vielfältigen Herausforderungen des demographischen Wandels zu bewältigen. Allerdings müssen bei dem Zuschnitt des Gesetzes auch die Interessen und Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten, ihrer Familien sowie ihrer Herkunftsländer berücksichtigt werden, beispielsweise durch bedarfsgerechte Aus- und Weiterbildung, Erleichterung kostengünstiger Rücküberweisungen und Übertragbarkeit von Sozialversicherungsansprüchen. Eine faire Migrationssteuerung dieser Art kann aber nicht nur das enorme Entwicklungspotential von Migration für die Länder des globalen Südens besser entfalten. Es kann auch einen Wettbewerbsvorteil im Ringen um Fach- und Arbeitskräfte für diejenigen Einwanderungsländer bewirken, die die Ziele des GCM konsequent umsetzen. Und darüber müssen wir weiterhin reden.
lun, 03/12/2018 - 11:47
Bonn, 03.12.2018. Der G20-Gipfel in Buenos Aires ist am Samstag mit einem Plädoyer für eine Modernisierung der Welthandelsorganisation (WTO) zu Ende gegangen. So wichtig dieses Bekenntnis der Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ist, so unklar bleibt, was damit eigentlich gemeint ist. Denn die Lage der WTO gleicht einem Patienten, bei dem sich die Ärzte nicht sicher sind, ob er nur vorübergehendend ohnmächtig ist oder einem schweren Schlaganfall erlitten hat und ob an eine Genese überhaupt noch zu denken ist. Ohne die Krankheitsursachen zu kennen, besteht die Gefahr, dass die falschen Therapien die Lage des Patienten verschlimmern. Das Bekenntnis zur Modernisierung der WTO sollte zuallererst als Aufruf verstanden werden, ein gemeinsames Verständnis der Probleme des multilateralen Handelssystems zu entwickeln und Vertrauen unter den zentralen Akteuren wiederaufzubauen. Hierfür kann die japanische G20-Präsidentschaft, die im Anschluss an die argentinische am 1. Dezember startete, eine wichtige Rolle spielen.
Internationale Kooperation gelingt dann, wenn die handelnden Akteure gemeinsame Ziele verfolgen, wenn sie sich einig über die anzupackenden Probleme sind und wenn sie untereinander vertrauensvoll kommunizieren können. Keine dieser Voraussetzungen scheint aktuell gegeben zu sein. Natürlich richtet sich der Blick als erstes auf Washington, wo Präsident Trump mehrfach mit dem Ausstieg aus der WTO gedroht hat. Darüber hinaus blockieren die USA die Nachbesetzung der vakanten Richterstellen am Berufungsgericht der WTO. Sie riskieren, dass das von Vielen gelobte unabhängige Streitbeilegungsverfahren Ende 2019 handlungsunfähig wird. Es gilt zu befürchten, dass die USA zuallererst das Ziel verfolgt, die WTO weiter zu schwächen. Beim Fokus auf die USA wird allerdings häufig vergessen, dass auch andere Länder aktuell wenig Interesse an multilateralen Lösungen zeigen. Das sture Beharren Südafrikas und Indiens auf der Durchsetzung nationaler Interessen hat ebenfalls eine Schwächung der WTO zur Folge.
Auch bei der Problemanalyse scheint aktuell wenig Einigkeit zu herrschen. Man kann sagen, dass die WTO Opfer ihres eigenen Erfolges geworden ist. Die 1994 gegründete Organisation und das multilaterale Regelwerk hat freieren Handel von Gütern und Dienstleistungen befördert, der den Aufstieg vieler Entwicklungs- und Schwellenländern erst möglich machte. Das Regelwerk der WTO hat mit diesen tiefgreifenden Machtverschiebungen, und vor allem mit dem Aufstieg Chinas zur größten Exportnation, nicht Schritt halten können. An den marktverzerrenden Subventionen und Auflagen für Technologietransfer in China entzündet sich der Vorwurf der USA, aber auch der der EU. Der Status Chinas als Marktwirtschaft wird nach wie vor von den USA und der EU angezweifelt. Und viele WTO-Mitglieder schütteln den Kopf darüber, dass sich China im Rahmen des multilateralen Handelssystems noch immer als „Entwicklungsland“ bezeichnet. Am Beispiel Chinas zeigt sich, dass die mehr als zwanzig Jahre alte Unterscheidung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern neu justiert werden muss.
Die Mitglieder der WTO streiten aber auch darüber, welche zukünftigen Herausforderungen Priorität haben. Für viele Entwicklungsländer geht es darum, die Agenda der 2001 gestarteten Doha-Entwicklungsrunde abzuarbeiten und insbesondere bei der Liberalisierung des Agrarhandels Fortschritte zu machen. Die Industrieländer und zunehmend auch Mitteleinkommensländer lenken den Blick aber vielmehr auf neue Themen wie digitalen Handel oder Investitionen, die sie zumeist in plurilateralen Verhandlungen in einer Allianz der Willigen vorantreiben.
Zu guter Letzt scheint die Kommunikation zwischen den wichtigsten Akteuren fundamental gestört zu sein. US-Präsident Trumps einseitige Zollerhöhungen unterminieren den gemeinsamen Austausch zu wichtigen Zukunftsschritten und drohen sogar, in eine destruktive Zollspirale oder gar einen Handelskrieg zu münden. Doch es gibt auch zaghafte Schritte, die in die richtige Richtung gehen. Im Oktober trafen sich Vertreter einiger WTO-Mitgliedstaaten in Kanada, allerdings ohne den zentralen Akteure USA und China, um eine Reform der WTO voranzubringen. Sie berieten über Lösungen, die die WTO effizienter und effektiver machen, das Streitbeilegungsverfahren stärken und die Verhandlungsfunktion der WTO wiederbeleben könnten.
Darauf aufbauend sollte die japanische G20-Präsidentschaft die Modernisierung der WTO zur Priorität machen. Es gilt hierbei, die Stärken der G20 als informelles Kooperationsforum der Staats- und Regierungschefs zu nutzen, ohne die WTO als zentrales Forum für die Reformdiskussion des multilateralen Handelssystems zu schwächen. Der Fokus der G20 sollten dabei nicht die technischen Details sein, sondern vielmehr der Austausch über die Ziele und Problemlagen der WTO-Mitglieder vorantreiben. Vor allem sollte auch die Kommunikation untereinander verbessert und das wechselseitige Vertrauen gestärkt werden. Der japanischen Präsidentschaft bleibt nicht viel Zeit zum Zögern, denn der nächste Gipfel findet schon Ende Juni 2019 in Osaka statt.
mar, 27/11/2018 - 18:44
Bonn, 28.11.2018. Am 13. November veröffentlichte Chinas Entwicklungsagentur „Handlungsanweisungen für die Verwaltung von Entwicklungszusammenarbeit“. Diese neuen Richtlinien schaffen einen gemeinsamen Handlungsrahmen für alle chinesischen Institutionen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Auch wenn es sich um interne Verfahrensanweisungen für die chinesische Bürokratie handelt, haben sie dennoch weitreichende globale Folgen. Schätzungen nach hat China sein Engagement in den letzten Jahren stark erhöht und war 2016 der weltweit siebtgrößte Geber.
Mit der Gründung der Agentur für Internationale Entwicklungszusammenarbeit (CIDCA) auf der Ebene eines Vize-Ministeriums erreichte die Reform der chinesischen Entwicklungszusammenarbeit im April 2018 einen Höhepunkt. Offen bleibt jedoch, welchen Mehrwert die Agentur in einem komplexen Gefüge aus über 30 chinesischen Institutionen in diesem Bereich leisten soll. Unklar ist insbesondere, ob es CIDCA gelingt, sich gegenüber anderen mächtigen Akteuren zu behaupten, wie etwa dem Handels- oder dem Außenministerium.
Die Richtlinien deuten an, dass CIDCA über alle anderen Institutionen hinausgehende Kompetenzen erhalten wird, insbesondere bezogen auf strategische Planung. Es bleibt das Risiko, dass die Agentur am Ende lediglich eine weitere Behörde in einer fragmentierten Bürokratie wird. Wir gehen jedoch davon aus, dass die Richtlinien China dabei helfen können, seine Entwicklungszusammenarbeit deutlich zu verbessern. Aus internationaler Sicht kann die Agentur Chinas Entwicklungskooperation in drei Bereichen aufwerten:
Verbessertes Monitoring und Evaluierung
Erstens ist CIDCA jetzt befugt, Entwicklungsvorhaben zu beaufsichtigen und Evaluierungen durchzuführen. Obwohl sich CIDCA weiterhin mit anderen Institutionen abstimmen muss, ist die Agentur jetzt in der Lage ein umfangreiches Monitoring- und Evaluierungssystem (M&E) zu entwickeln, um die Effizienz und Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern.
China verfügt bereits vereinzelt über M&E-Systeme, doch sind diese vorrangig auf einzelne Projekte ausgerichtet, ohne dass Informationen zu allen Projekten zentral zusammengetragen werden. Dazu stehen technische Machbarkeit und wirtschaftliche Rentabilität im Fokus der aktuellen Evaluierungskriterien, während soziale, ökologische und langfristige Auswirkungen weniger berücksichtigt werden. Daher schlagen wir vor, dass CIDCA einen gemeinsamen Ergebnisrahmen für die gesamte Entwicklungszusammenarbeit festlegt, alle Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung in Projektbewertungen einbezieht und Ex-post-Evaluationen einführt.
Verbesserte Berichterstattung
Zweitens kann CIDCA zum zentralen Knotenpunkt für Berichterstattung werden. In den Richtlinien wird vorgeschlagen, ein einziges (statistisches) Berichtsystem für sämtliche chinesische Entwicklungsprojekte einzurichten. CIDCA hat die Aufgabe die „jährlichen Haushaltspläne und Abschlüsse für die Entwicklungsprojekte [aller beteiligten Institutionen] zusammenzuführen“.
Gelingt es CIDCA, diese Daten zu erheben und entsprechende Berichte zu erstellen, könnte China der langjährigen Kritik an der fehlenden Transparenz seiner Entwicklungskooperation endlich etwas entgegensetzen. Wobei die Qualität der Berichterstattung von der Genauigkeit und Verfügbarkeit der Daten abhängen wird. Wir empfehlen insbesondere eine Berichterstattung gemäß international vergleichbarer Standards.
Verstärkter internationaler Austausch
Drittens hat CIDCA das Mandat, sich im Namen der chinesischen Regierung international zu engagieren. Es besteht ein immenses Potenzial Chinas Mitwirken an internationalen Foren zu verbessern, vor allem bei den Vereinten Nationen, den G20 oder der Globalen Partnerschaft für wirksame Entwicklungskooperation (GPEDC). China könnte etwa über den eigenen Beitrag zur Bewältigung globaler Herausforderungen (einschließlich des Klimawandels) berichten und sich in der Politikkoordinierung stärker einbringen.
China hat sein internationales Engagement in einer Zeit verstärkt, in der andere Entwicklungsorganisationen unter Problemen wie dem wieder erstarkten Nationalismus und einer Aushöhlung des regelbasierten Multilateralismus leiden. Das bedeutet nicht, dass die internationale Gemeinschaft Chinas Politik, wie etwa die „Belt and Road“-Initiative, unkritisch begrüßen sollte. Eine generelle Ablehnung von Chinas Beitrag zur globalen Entwicklung ist allerdings keine Option, nicht zuletzt weil China bereits hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreien konnte.
Der Fokus sollte stattdessen darauf liegen das Verständnis von Chinas Entwicklungserfahrungen zu vertiefen. CIDCA sollte zusammen mit den vielen chinesischen und internationalen Forschungsinstituten an der Identifizierung gemeinsamer Interessen arbeiten und die Wissensbasis zu Entwicklungszusammenarbeit ausbauen.
Insgesamt wird Chinas System der Entwicklungszusammenarbeit viele seiner Eigenarten behalten. CIDCA bietet jedoch eine Möglichkeit, die Koordinierung und strategische Planung zu stärken. Dies kann zu spürbaren Verbesserungen in der Durchführung chinesischer Entwicklungsvorhaben führen und damit Entwicklungsländern und anderen internationalen Partnern direkt zugutekommen.
Liu Wei ist Assistant Research Fellow am Institute of World Economics & Politics, Chinese Academy of Social Sciences und nimmt an der Managing Global Governance (MGG) Academy 2018 teil.
Heiner Janus ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Inter- und transnationale Zusammenarbeit am DIE.
lun, 26/11/2018 - 09:00
Bonn, 26.11.2018. Mit dem 2015 verabschiedeten Pariser Klimaabkommen, aktuell von 184 Ländern ratifiziert, hat die UN Diplomatie erfolgreich gezeigt, dass sie die Länder im Kampf gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen vereinen kann. In den ver-gangenen drei Jahren haben Experten intensiv an der Ausarbeitung der Richtlinien zur Umsetzung des Abkommens gearbeitet. Diese gemeinsamen Richtli-nien sollen nun auf der bevorstehenden UN Klima-konferenz verbschiedet werden, die nächste Woche im polnischen Katowice beginnt.
Die gemeinsamen Richtlinien sind wichtig für eine erfolgreiche Umsetzung des Abkommens. Sie sollen Transparenz und Vergleichbarkeit und damit eine gerechte Aufteilung der Lasten zwischen den Ländern gewährleisten. Vor allem aber sollen die Richtlinien eine Kontrolle und Einschätzung ermöglichen, ob die gemeinsamen Ziele des Pariser Abkommens von den Ländern auch erreicht werden. Das oberste Ziel ist die Reduzierung der Treibhausgasemissionen und eine Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs auf deutlich unter 2°C bzw., wenn möglich, 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau. Aber es geht nicht mehr nur um die Minderung von Emissionen. Die Chancen des Kyoto Protokolls sind längst vorbei. Aufgrund von Klimaänderungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, sieht das Abkommen auch vor, dass die Länder Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ergreifen und darüber hinaus prü-fen, ob ihre Investitionen „Paris-kompatibel“ sind, d.h. ob sie zur Reduzierung von Emissionen sowie den Auswirkungen des Klimawandels beitragen. Wirt-schaftsstarke Länder müssen zudem nachweisen, wie sie Entwicklungsländer bei der Umsetzung des Ab-kommens unterstützen und ihre entsprechenden Finanzmittel dafür erhöhen. Bis Mitte November haben bisher 180 Länder nationale Klimapläne einge-reicht, in denen sie darlegen, wie sie diese Ziele errei-chen wollen. Die gemeinsamen Richtlinien sollen für zukünftige nationale Klimapläne gelten.
Ob diese gemeinsamen Richtlinien in Katowice verab-schiedet werden können ist unklar. Noch im Septem-ber haben Unterhändler in einer zusätzlichen und in letzter Minute anberaumten Sitzung in Bangkok ver-sucht, das Dokument weiterzuentwickeln, welches Mitte Dezember verabschiedet werden soll. Die Er-gebnisse zeigen allerdings, dass das 307 Seiten lange Dokument noch zu viele Meinungen enthält. Die Chefunterhändler zeigten sich besorgt und nannten den Fortschritt „holprig“ und „zu bestimmten The-men unzureichend“.
Sehr wichtig, aber auch umstritten sind beispielswei-se die Berichtspflichten für zukünftige nationale Klimapläne und inwieweit sie sich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unterscheiden können sowie die Frage, wie oft die Länder neue, möglichst ehrgeizigere Pläne einreichen müssen. Dies ist auch unter Entwicklungsländern umstritten, die ab 2020 zum ersten Mal Emissionsreduzierungsziele vorstel-len, die nach internationaler Maßgabe beurteilt wer-den. Ebenso wichtig wie strittig ist die Frage, welche Informationen und Daten die Länder verwenden kön-nen, um ihren Fortschritt im Hinblick auf die Pariser Klimaziele zu bewerten. Das Paris Abkommen sieht vor, dass die Länder ab 2023 alle fünf Jahre eine glo-bale Bestandsaufnahme durchführen, die dazu bei-tragen soll, dass die Länder ehrgeizigere nationale Klimapläne aufstellen.
Ambitionierte Klimapolitik ist allerdings bereits in den nächsten Monaten und Jahren nötig. Die Delega-tionen in Katowice werden daher zum ersten Mal offiziell im Rahmen der UN den bisherigen Erfolg ihrer Klimapolitik im Rahmen des „Talanoa-Dialogs” erör-tern. Das Dialogformat wurde als einjähriger Prozess neu konzipiert, der auch für nichtstaatliche Akteure offen war. Die Beteiligung nichtstaatlicher Akteure spiegelt deren zunehmende Bedeutung bei der Um-setzung von Klimapolitik wider. Insgesamt fanden weltweit mehr als 90 Veranstaltungen, wie beispiels-weise der Global Climate Action Summit in Kalifor-nien, in Verbindung mit dem Talanoa-Dialog statt. Die Verhandlungsführer aus Fidji und Polen äußerten die Erwartung, dass dieses neue Dialogformat „die Dynamik und Ambitionen steigern” sowie den „En-thusiasmus und die Energie” für die nationalen Klimapläne stärken kann.
Den ermutigenden Worten steht die harte „Klimarea-lität“, die des Klimawandels und der Klimapolitik gegenüber. Die bisherige Umsetzungsbilanz der UN Klimapolitik ist schwach. die globalen Emissionen wie auch die Folgen des Klimawandels und damit zu-sammenhängende Schäden und Verluste nehmen zu. Die Lösung der politischen Konflikte um die Umset-zungsregeln des Paris Abkommens steht noch aus. Laut dem Weltklimarat IPCC können wir die Tempera-turziele des Pariser Abkommens nur dann erreichen, wenn die weltweiten Emissionen deutlich vor 2030 zu sinken beginnen. Mit den aktuellen Zusagen der Län-der steuern wir eher auf eine Welt mit einem 3°C An-stieg zu. Die nächsten Monate sind daher von ent-scheidender Bedeutung, um die politischen Zusagen von 2015 auch in die Tat umzusetzen.
Wenn UN Klimapolitik die „Klimarealität“ noch posi-tiv beeinflussen will, muss sie an Geschwindigkeit zulegen. Solide globale Richtlinien für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens sind eine wichtige Vo-raussetzung für die Beschleunigung dieses Prozesses. Die ehrgeizigere Klimapolitik und vor allem deren Umsetzung muss von den Ländern selber kommen. Denn letzten Endes ist auch die UN nur die Summe ihrer Teile.
lun, 19/11/2018 - 11:14
Bonn, 19.11.2018. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen fordert den öffentlichen Dienst heraus. Beamte und öffentliche Angestellte sollen ihre Aktivitäten mit Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft koordinieren, tausende Messindikatoren sinnvoll interpretieren und die globalen Nachhaltigkeitsziele mit den lokalen Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger verbinden. Politik und Verwaltungen müssen Rahmenbedingungen setzen und Entscheidungen treffen, die darüber bestimmen, wie sicher eine Stadt ist, welche Bildungsmöglichkeiten Kinder haben und ob Luftverschmutzung verringert wird. Die Beispiele machen deutlich: Die Umsetzung der Agenda 2030 gelingt nur, wenn der öffentliche Sektor einen entscheidenden Beitrag leistet – in allen 193 beteiligten Staaten.
Damit die Bediensteten im öffentlichen Dienst ihrer Schlüsselrolle für die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele gerecht werden können, müssen sie fit gemacht werden für neue Aufgaben. Ein Agenda-2030-Update ist notwendig, das sicherstellt, dass sie über aktuelles Wissen und relevante Schlüsselkompetenzen verfügen, besonders im sozialen und kommunikativen Bereich. Zu den Erfolgsbedingungen der globalen Entwicklungsagenda zählt das Überwinden von Silo-Denken, da alle Nachhaltigkeitsziele eng miteinander verbunden sind. So betrifft das Ziel der gleichberechtigten und hochwertigen Bildung nicht nur den Bildungssektor selbst, sondern wirft auch Fragen der Armutsbekämpfung, Gesundheit, Mobilität oder nachhaltiger Stadtplanung auf. Entscheidungsträger im öffentlichen Dienst, die politische Planungsprozesse nachhaltig gestalten wollen, benötigen Kenntnisse und soziale Kompetenzen, um die Relevanz anderer Themenbereiche zu erkennen und weitere Ansprechpersonen einzubeziehen. Das gilt sowohl mit Blick auf verschiedene politische Ebenen, als auch für die Zusammenarbeit mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor, die für die Umsetzung der Agenda entscheidend sind.
Neben sozialen Kompetenzen sind besondere kommunikative Fertigkeiten erforderlich. Öffentlichen Bediensteten kommt die Aufgabe zu, die Sprache der Agenda 2030 für Bürgerinnen und Bürgern zu übersetzen und Maßnahmen zu ihrer Umsetzung verständlich zu machen. Gleichzeitig haben sie die Aufgabe, die Bedürfnisse der Menschen in die politischen Prozesse zurückzutragen und für eine Umsetzung der Agenda vor Ort zu sorgen. Wissen und Fertigkeiten für die Aufgaben im öffentlichen Dienst erwerben Beamte und Angestellte zu einem wichtigen Teil an Verwaltungshochschulen. Daher müssen in ihnen in Zukunft auch die Nachhaltigkeitsziele und die zu ihrer Umsetzung benötigten Kompetenzen vermittelt werden, sei es durch Ausbildung in Vorbereitung auf den Dienstantritt, sei es durch Fortbildungen zu späteren Karrierezeitpunkten. Durch ihre zentrale Stellung im Schulungssystem für Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes stellen die Verwaltungshochschulen einen Zugangspunkt mit besonders großer Hebelwirkung für eine weitreichende Verankerung der globalen Nachhaltigkeitsziele dar.
Die Hochschulen in vielen Entwicklungs- und Schwellenländer, aber auch in Industrienationen, stehen jedoch vor der Herausforderung, dass in den Einrichtungen selbst nicht das Wissen und die Fertigkeiten vorhanden sind, um zeitgemäße Schulungsangebote zur Agenda 2030 zu entwickeln. Zudem fehlt es an vielen Stellen an Bewusstsein für die Nachhaltigkeitsagenda und an politischer Unterstützung durch Führungskräfte, was die Aufnahme neuer Inhalte in die Curricula verhindert. Hier setzt eine neue Initiative des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) an, die im Rahmen des Managing-Global-Governance-Programms entwickelt wurde. Gemeinsam mit Verwaltungshochschulen aus Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko und Südafrika und Einrichtungen der Vereinten Nationen wurde ein Aktionsplan zur Stärkung des öffentlichen Sektors für die Umsetzung der Agenda 2030 erarbeitet. Dabei stehen Fortbildungsangebote für Ausbildende – unter dem Motto „train the trainers“ – und für Führungskräfte im Zentrum, die den größten Herausforderungen gezielt begegnen.
Neben den Vorschlägen zu zielgerichteten Schulungsangeboten für Schlüsselgruppen sieht das vorgeschlagene ‚New York Programme of Action‘ einen systematischen internationalen Erfahrungsaustausch zwischen Hochschulen und weiteren Akteuren aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und dem Privatsektor vor. Regelmäßige Peer Reviews und der strukturierte Dialog über Erfolge und praktische Lösungsmöglichkeiten soll wechselseitiges Lernen über Ländergrenzen hinweg ermöglichen. Gleichzeitig stärken die internationale Kooperation mit renommierten Forschungs- und Trainingseinrichtungen und die Beteiligung an Prozessen wie dem Hochrangigen Politischen Forum zu nachhaltiger Entwicklung (HLPF) lokale Akteure darin, die Agenda 2030 auf die Prioritätenliste ihrer Institutionen zu setzen.
Die Umsetzung der Agenda 2030 ist kein Selbstläufer, sondern braucht kompetente und engagierte Akteure. Der grenzüberschreitende partnerschaftliche Austausch zwischen Verwaltungshochschulen, die weltweit vor ähnlichen Herausforderungen stehen, ist Anstoß für das notwendige „Agenda-2030-Update“ in den Bildungseinrichtungen. Er kann damit zur wirksamen Umsetzung der Agenda beitragen, die nur mit einem öffentlichen Dienst auf dem neuesten Stand gelingen wird.
ven, 09/11/2018 - 15:50
Bonn, 12.11.2018. Mitte Oktober verbreitete Reuters die Nachricht über eine geplante Gesetzesänderung in Tansania, die das infrage stellen öffentlicher Statistiken unter Strafe stellt. Nach der Unterzeichnung durch Präsident John Magufuli droht jeder Person, die öffentlich Statistiken kritisch hinterfragt, eine Strafe von umgerechnet 3780 Euro – schlimmstenfalls sogar drei Jahre Gefängnis. Die Weltbank sowie zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NROs)zeigten sich darüber tief besorgt.
Statistische Daten sind eine wichtige Basis für Evidenz. Breit verstanden ist Evidenz auf Fakten gestütztes Wissen, wie etwa Hinweise zu Problemlösungen und ihre Relevanz: die Einsicht, was in welchem Kontext (nicht) funktioniert. Häufig sind damit wissenschaftliche Erkenntnisse gemeint, die auf Grundlage verschiedener Methoden generiert wurden. In der entwicklungspolitischen Praxis spielen auch Daten und Informationen, die von Durchführungsorganisationen wie der GIZ gesammelt werden, eine wichtige Rolle. Seit Jahren steht die Entwicklungszusammenarbeit unter einem hohen Rechtfertigungsdruck. Deshalb wird Evidenz dazu genutzt, um über Projekte laufend zu berichten und Rechenschaft abzugeben. Evidenz wird auch verwendet, um bestehende Vorhaben anzupassen oder neue Interventionen zu konzipieren. Um die Verlässlichkeit verfügbarer Evidenz zu beurteilen muss ihre Qualität bekannt sein.
Ob und wie Ergebnisse generiert werden, hängt davon ab, wie die Fragen gestellt und welche Methoden eingesetzt werden sowie ob die entsprechenden Indikatoren auch messen, was sie sollen. Die Regierungen von Geber- und Partnerländern, aber auch Durchführungsorganisationen können dabei einen anderen Blick auf Interventionen haben, als die Zivilgesellschaft, die Nutznießer von Entwicklungsmaßnahmen sein sollte. Gerade deshalb ist es zentral, auch die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürgern bei der Politikgestaltung zu berücksichtigen. Partizipative Ansätze betonen die sogenannte Bürger-Evidenz (citizen evidence) als weitere zentrale Informationsquelle. Ein jeder sammelt direkte Eindrücke und Erfahrungen im täglichen Leben: Im lokalen Kontext etwa darüber, was der Staat leistet, wer davon profitiert und wer ausgegrenzt wird. Das damit verbundene Wissen kann im Rahmen demokratischer Prozesse durch Wahlen ausgedrückt werden. Dorfversammlungen können genutzt werden, um die Belangen der Zivilgesellschaft zu erfassen. Auch über NROs kann Bürger-Evidenz vermittelt werden.
Für die Generierung von Bürger-Evidenz ist es wichtig, alle potentiell Betroffenen mit einzubinden. Insbesondere marginalisierte Gruppen, die etwa aufgrund ihres Geschlechts, ihres Alters, oder der geographischen Lage von Leistungen ausgeschlossen sind, müssen besonders identifiziert und adressiert werden, damit ihre Stimme gehört wird. Damit kann kritisch überprüft werden, ob die richtigen Maßnahmen geplant werden (wie etwa Straßen), Projekte so ausgestaltet werden, dass sie gerade diese Personengruppen erreichen (Sozialtransfers), und wo Verbesserungsbedarf besteht. Die Einbeziehung von Bürger-Evidenz muss deshalb der Grundbaustein für Strategien sein, die auf „Leave no one behind“ abzielen. Alle einzubinden ist ein sehr ambitioniertes Ziel der Entwicklungspolitik, das nur erreicht werden kann, wenn wir wissen, wer aus den bestehenden Rastern fällt und welche Bedürfnisse gerade diese Menschen haben.
Die Bürgerbeteiligung kann etwa mit Blick auf die Wahrnehmung von Korruption als auch zur Wirkung staatlicher Ausgabenprogramme erfolgen. Damit kann Bürger-Evidenz ein aktiver Beitrag gegen Fake News sein. So richtete Amnesty International die Online-Plattform Citizen Evidence Lab als Plattform ein, um mögliche Fälschungen von YouTube Filmmaterial aufzuspüren.
Allerdings darf Bürger-Evidenz nicht mit der Meinung Einzelner verwechselt werden. Meldungen aus der Zivilgesellschaft bieten offene Tore für Missbrauch. So gibt es seit einigen Jahren zum Beispiel in Uganda Smartphone-Apps mit denen wahrgenommene Korruption gemeldet werden kann. Damit können aber auch bestimmte Personen grundlos angeschwärzt werden. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, geeignete Instrumente zu finden und weiterzuentwickeln, so dass Bürger-Evidenz mit hoher Qualität verfügbar ist, die bei Entscheidungen eingesetzt werden kann. Sie muss dafür genutzt werden, das offizielle Berichtswesen kritisch zu reflektieren.
Die Bedeutung der Bürger-Evidenz wird bezüglich einzelner Fragestellungen und vor allem im globalen Süden, wie zum Beispiel bei der Konferenz Evidence 2018 des Africa Evidence Networks im September 2018 in Pretoria, intensiv diskutiert. Die meisten Geber messen ihr jedoch noch zu wenig Bedeutung bei. Es genügt nicht, auf bestehende Methoden der Evidenzerzeugung, die „Ownership“ in Partnerländer, die Einbeziehung der dortigen Kooperationspartner/innen, wie auch die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen, zu verweisen. Bürger-Evidenz muss in angemessener Weise in die Prozesse der Entwicklungszusammenarbeit integriert werden. Denn sie ist ein entscheidender Hebel zur Verbesserung ihrer Wirksamkeit. Deshalb müssen alle beteiligten Akteure verpflichtet werden, Formen und Möglichkeiten zu suchen, um die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft angemessen abzubilden. Nur so kann Leave no one behind erreicht werden.
lun, 05/11/2018 - 09:40
Bonn, 05.11.2018. In den Industrieländern brummt die Wirtschaft. Darauf deuten zumindest einige fundamentale Indikatoren hin. Deutschland verzeichnet derzeit die geringste Arbeitslosigkeit der letzten Jahrzehnte und die USA erzielen aller Voraussicht nach ein hohes Wirtschaftswachstum – auch dank Steuersenkungen der Trump-Regierung. Jedoch ziehen am Himmel der Weltwirtschaft langsam dunkle Wolken auf. Wie die aktuellen Turbulenzen an den Aktienmärkten zeigen, schwelen in den einstigen Wachstumsmärkten der Schwellenländer, auch selbst in den Industrieländern, verschiedene Probleme. Wirtschaftspolitik und Zentralbanken müssen auf diese Herausforderungen besonnen reagieren, um nicht den Ausbruch einer weltwirtschaftlichen Rezession zu riskieren.
Zehn Jahre nach Ausbruch der globalen Finanzkrise ist die Geldpolitik vor allem in Europa immer noch nicht richtig aus dem Krisenmodus herausgekommen. Dennoch steht sie bereits vor neuen Herausforderungen. Als Antwort auf die tiefgreifende globale Finanzkrise ab 2008 und die im Anschluss ausgebrochene Eurokrise ab 2009 sahen sich Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) und das US-amerikanische Federal Reserve System (Fed) dazu gezwungen, den Leitzins bis auf Null Prozent zu senken und in einem ungeahnten Ausmaß Staatsanleihen aufzukaufen, um die Märkte mit Geld zu fluten und so die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Die Fed hat in den vergangenen drei Jahren mit einer stufenweisen Normalisierung ihrer Geldpolitik begonnen, indem sie ihren Leitzins schrittweise erhöht hat. Die EZB hingegen hält nach wie vor auf absehbare Zeit am Nullzins fest, fährt aber immerhin langsam die Anleihekäufe herunter.
Probleme in den Schwellenländern…
Die lockere Geldpolitik der letzten zehn Jahre hat auch die öffentliche und die private Verschuldung insbesondere in Schwellenländern angetrieben. Die Schuldenlast privater Unternehmen in Ländern wie Argentinien oder der Türkei ist seit der letzten Finanzkrise deutlich angestiegen. Dabei ist insbesondere die Auslandsverschuldung ein Problem: Führen die steigenden Zinsen der Zentralbanken zu einen Kursschub von Dollar und Euro, so wird die Last der in diesen Währungen aufgenommenen Schulden der Schwellenländer größer oder sogar untragbar. Auf diese Gefahr weist auch der der Internationale Währungsfonds (IWF) hin. Ein im Oktober anlässlich der Jahrestagung von IWF und Weltbank vorgelegter Bericht warnt davor, dass es neben der steigenden Schuldenlast auch zu einem Währungsverfall und deutlichen Kapitalabflüssen kommen könnte. Viele Schwellenländer dürften nicht in der Lage sein, eine solche Krise alleine zu stemmen. Erst im Oktober musste Pakistan aufgrund seiner Auslandsschulden Hilfen beim IWF beantragen. Die Türkei wehrt sich trotz starker Abwertung der Lira und steigender Verschuldung gegen einen solchen Schritt; Zukunft ungewiss.
…aber auch in den Industrieländern
Auch in den Industriestaaten mehren sich die Probleme. Seit Monaten stecken die USA und China in einem Handelskonflikt und erheben wechselseitig Zölle auf ihre Importe. Gerüchten zufolge planen die USA bereits weitere Maßnahmen gegen China ab Anfang 2019, sofern Gespräche im Zuge des anstehenden G20-Gipfels keine Einigung in diesem Konflikt herbeiführen sollten. Das Risiko eines eskalierenden Handelskrieges steht weiter im Raum.
Die aktuelle Auseinandersetzung zwischen der Europäischen Kommission und Italien über das steigende italienische Haushaltsdefizit erinnert uns zudem daran, dass die Eurokrise noch lange nicht vollends überwunden ist. Sie wurde vielmehr von der ultralockeren Geldpolitik der EZB überdeckt und ist aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Fraglich ist, wie gut die betroffenen Länder die durch die lockere Geldpolitik gewonnene Zeit genutzt haben, um sich durch Reformen auf die Zeit nach Ende der Nullzinsen vorzubereiten. Derweil ist die Wirtschaftspolitik in Europa damit beschäftigt, eine tragbare Lösung für die hausgemachten Probleme durch den anstehenden Brexit zu suchen. Wird hier keine Einigung gefunden, so stellt ein ungeordneter Brexit ein Risiko für Europas Wirtschaft dar.
Lösungen nur mit internationaler Koordination
Die Geldpolitik steckt also in einer Zwickmühle. Sie muss einerseits mittelfristig weiter darauf hinarbeiten, nach und nach den andauernden Krisenmodus zu beenden und weg vom Nullzins zu kommen. Andererseits muss sie auf vielfältige drohende weltwirtschaftliche Abschwungrisiken angemessen reagieren. Ein zu schnelles oder global unkoordiniertes Anheben der Zinsen könnte angesichts der bestehenden Probleme zu einer Rezession führen.
Egal ob es um die geldpolitische Normalisierung, um den Handelskrieg, um Krisen in Schwellenländern oder um europäische Probleme mit Italien oder dem Brexit geht, es zeigt sich ein gemeinsames Muster: Nationale Alleingänge, ein Beharren einzig auf vermeintliche nationale Interessen und fehlende internationale Abstimmung befeuern bestehende Konflikte. Eine besonnene Wirtschaftspolitik sollte auf internationale Koordination mittels Formaten wie der G20 setzen, um die politischen Unsicherheiten zu verringern und die Probleme im fragilen weltwirtschaftlichen Umfeld gemeinsam zu lösen.
lun, 29/10/2018 - 09:00
Bonn, 29.10.2018. Am 31. Oktober ist Weltstädtetag (WCD), dieses Jahr unter dem Motto „Nachhaltige und widerstandsfähige Städte“. Ziel des 2013 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufenen Tages ist, das internationale Interesse am Thema Urbanisierung und die zwischenstaatliche Kooperation im Umgang mit Chancen und Herausforderungen städtischer Entwicklung zu fördern. Insbesondere beim zweiten Teilziel, der Zusammenarbeit im Bereich nachhaltiger Urbanisierung, besteht noch viel „Luft nach oben“.
Die direkte Bezugnahme des WCD 2018 auf Ziel 11 der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung („Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen“) ist kein Zufall. Nicht nur sind Städte und Kommunen von den großen globalen Herausforderungen – Klimawandel, Armut, Gewaltkonflikte – unmittelbar betroffen, sie sind auch zentrale Akteure für ihre Bearbeitung. Die Mehrheit der globalen Migrations- und Fluchtbewegungen verläuft in Richtung urbaner Räume. 80 Prozent der Wirtschaftsleistung wird in Städten erbracht. Gleichzeitig werden in Städten über 70 Prozent der globalen Treibhausgase ausgestoßen und ein ebenso großer Anteil der globalen Energie verbraucht.
Der Bedeutungsgewinn der Städte spiegelt sich mittlerweile in einem wachsenden Selbstbewusstsein der „urban community“ wider. So wurde die New Urban Agenda, Ergebnisdokument des dritten UN-Gipfels für Wohnen und nachhaltige Stadtentwicklung(Habitat III), mit dem Anspruch formuliert, „die zentrale Rolle der Städte und menschlicher Siedlungen als Treiber nachhaltiger Entwicklung in einer zunehmend urbanen Welt“ (NUA, §22) zu nutzen. Zivilgesellschaftlich stark mitgeprägte Initiativen wie der WCD oder der im Oktober ebenfalls jährlich begangene World Habitat Day (WHD) sowie Großveranstaltungen, wie das von UN-Habitat ausgerichtete, zweijährige World Urban Forum (WUF) gestalten diesen Anspruch mit.
Allerdings besitzen Städte und Kommunen– im Gegensatz zu den nationalen Regierungen – kein Stimmrecht bei den einschlägigen globalen Verhandlungen. Zu diesen gehören neben den lediglich auf alle zwanzig Jahre terminierten Habitat-Konferenzen die jährlichen Klimakonferenzen (COPs) und das High Level Political Forum (HLPF), in dessen Rahmen die Zielerreichung der globalen Entwicklungsziele – nahezu alle mit Berührungspunkten zu Stadtentwicklungsthemen – jährlich überprüft wird. Ihre Möglichkeiten, nationale Politiken zu Themen globaler Nachhaltigkeit zu beeinflussen sind oftmals begrenzt.
Das heißt allerdings nicht, dass Städte auf internationaler Ebene keine Rolle spielen. Besonders aktiv sind die rund 200 nationalen und internationalen Städtenetzwerke. Deren Lobbyarbeit und Wissensaustausch umfasst viele Bereiche, war aber in den letzten Jahren vor allem im Klimaschutz erfolgreich. Netzwerke wie die Cities Climate Leadership Group (C40) oder die Local Governments for Sustainability (ICLEI) haben beispielsweise den Klimaprozess von Paris entscheidend vorangetrieben. So wird – besonders von Seiten der Städte –betont, dass ohne ihre „Klimadiplomatie“ außerhalb der offiziellen Verhandlungsräume der Vertrag nicht in dieser Weise zustande gekommen wäre.
Ein anderer Bereich ist der Umgang mit Flucht und Migration; Netzwerke wie die rund 300 US-amerikanischen „Zufluchtsstädte“ (sanctuary cities) widersetzen sich seit Jahrzehnten nationalen Abschiebepolitiken; einige europäische Metropolen (Barcelona, Danzig) sind ihrem Beispiel gefolgt.
Wären vor diesem Hintergrund Städte und Kommunen die besseren Kooperationspartner zur Umsetzung nachhaltiger globaler (Stadt-)Entwicklung? Manchmal, aber nicht immer. Denn sie vertreten nicht per se progressivere Positionen verglichen mit nationalen Regierungen. So entscheiden sich nicht wenige Stadtregierungen für einen restriktiven Umgang mit Geflüchteten und MigrantInnen. Sie haben dabei vor allem ihre lokale Wahlbevölkerung im Blick. In anderen Fällen werden Zugewanderte in der Stadt- und Entwicklungsplanung erst gar nicht wahrgenommen, etwa in Nairobi, wo die geschätzt 60.000 in der Stadt lebenden Flüchtlinge mit keinem Wort im lokalen Entwicklungsplan erwähnt werden.
Wie kann vor diesem Hintergrund der Beitrag von Städten des globalen Südens und Nordens für nachhaltige globale Entwicklung gefördert werden? Es gilt erstens, ihre internationale Rolle zu unterstützen; Arenen wie WCD, WHD und WUF tragen durch Sichtbarmachung dazu bei. Zweitens ist es wichtig, dass sie auf nationaler Ebene über politischen und fiskalischen Spielraum verfügen, um ihrer globalen Verantwortung gerecht zu werden, beispielsweise durch den Aufbau einer emissionsfreien Verkehrsinfrastruktur oder die Anpassung sozialer Dienste an (etwa durch Zuwanderung) veränderte Bedarfe. Auf lokaler Ebene müssen Städte für potentielle eigene Beiträge zu den globalen Zielen sensibilisiert werden; Anreize wie sie die internationale Gemeinschaft derzeit im Rahmen des Globalen Flüchtlingspaktes für die lokale Integration von Flüchtlingen diskutiert, könnten hier ebenfalls eine Rolle spielen.
In diesem Sinne mein Vorschlag für das Thema des WCD 2019: „Inklusive und sichere Städte“.
lun, 22/10/2018 - 09:45
Bonn, 22.10.2018. Am Mittwoch feiern die Vereinten Nationen den World Development Information Day. Angesichts der wachsenden Bedeutung der Informationsgesellschaft für die weltweite Entwicklung, bietet dieser Tag eine gute Gelegenheit zur Reflexion. Insbesondere lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob die Gefahr einer digitalen Nord-Süd-Kluft gebannt werden konnte. Diese Sorge um eine digitale Teilung der Welt in jene mit Zugang zu modernen Informationstechnologien und jene ohne dominierte die internationale Diskussion um die Jahrtausendwende. In dieser Zeit reifte die Erkenntnis, dass ein ungleicher Zugang zu digitaler Infrastruktur und Technologie viel mit Gerechtigkeit und fairer Chancenverteilung zu tun haben. In den Jahren 2003 und 2005 fanden zwei Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (World Summit on the Information Society, WSIS) statt.
Zu dieser Zeit belegten alle Indikatoren eine extrem ungleiche digitale Entwicklung zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden: Noch 1998 standen rund 73 Prozent aller Hostcomputer in Nordamerika und weitere 18 Prozent in Europa. Nur 4 Prozent aller Internetnutzer lebten in Lateinamerika und 1 Prozent in Subsahara-Afrika. Die Gefahr einer Abkopplung des Südens von der globalen Informationsgesellschaft war offensichtlich. Internationale und entwicklungspolitische Bemühungen waren daher primär auf den verbesserten Zugang zu Infrastruktur und IT-Diensten gerichtet. Dies geschah beispielsweise durch die Einrichtung multimedialer Telecenter, die auch ärmeren Bevölkerungsschichten die Nutzung von E-Mail und Internet ermöglichten.
Konnte die „Digitale Kluft“ überwunden werden?
Von 2000 bis 2015 nahm der Anteil der Internetnutzer/innen weltweit von knapp über 6 Prozent auf 43 Prozent zu. Bis heute bestehen deutliche Unterschiede je nach Entwicklungsstand des jeweiligen Landes, zwischen städtischen und ländlichen Räumen und zwischen den Geschlechtern. Nutzten in 2016 rund 81 Prozent der Menschen in den entwickelten Ländern das Internet, waren es 40 Prozent in Entwicklungsländern und nur 11 Prozent in den Least Developed Countries (LDCs). Menschen in ländlichen Räumen haben deutlich seltener Zugang zum Netz als diejenigen in urbanen Räumen. Männer nutzen häufiger das Internet als Frauen.
Ein Unterziel der Sustainable Development Goals, SDG 9, sieht vor, einen universellen und erschwinglichen Zugang zum Internet bis 2020 zu ermöglichen. Dies ist ambitioniert und kann nur über strategische öffentlich-private Partnerschaften erreicht werden. Zahlreiche Initiativen großer Privatunternehmen können hier beobachtet werden. Nicht alle sind zweifelsfrei nur am globalen Gemeinwohl orientiert, aber die Kompetenzen und die Investitionskraft privater Unternehmen sind unverzichtbar zur weiteren Schließung der digitalen Kluft.
Der europäische Luftfahrtkonzern Airbus hat kürzlich im Rahmen der „Make-IT-Allianz“ eine Entwicklungspartnerschaft mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterzeichnet. Sie soll lokale Startups unterstützen, die Luftfahrt- und Satellitentechnik nutzen, um neue Lösungen für den Zugang zum Internet in abgelegenen Gebieten zu entwickeln. Facebook unterstützt mit der Initiative „Express Wi-Fi“ lokale Unternehmen beim Aufbau von Wi-Fi-Hotspots, die den Zugang zum Internet verbessern sollen. Doch um die Abhängigkeit des Südens von den Technologiekonzernen des Nordens nicht zu verstetigen, müssen auch lokale Ansätze unterstützt werden. Das Projekt „Gram Marg“ in Indien ist hierfür ein gutes Beispiel. Es soll über ungenutzte TV-Frequenzen 5G-Internetzugang in ländlichen Regionen herstellen.
Blickt man auf WSIS zurück, lässt sich feststellen: Der 2003 geführte Diskurs um die Zukunft des Internets hat sich von einer technischen Debatte mit einigen politischen Implikationen 2018 zu einer stark politisierten Debatte mit einigen technischen Aspekten gewandelt. Der Zugang zum Internet im Sinne von Infrastruktur, Kosten, aber auch Kompetenzen und lokalen Inhalten ist dabei nur eine Herausforderung unter anderen. Daneben stehen Fragen nach einem Völkerrecht des Netzes, Cyber Security, digitalem Handel, Dateneigentum und der Schutz der Privatsphäre. Entwicklungs- und Schwellenländer stehen vor der Herausforderung, sowohl in die technischen Grundlagen als auch in digitale Bildung sowie die Politikgestaltung gleichermaßen zu investieren.
Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autoren wieder.
jeu, 18/10/2018 - 13:38
Bonn, 18.10.2018. Unter der Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon, des Microsoft-Gründers und Philanthropen Bill Gates und der Geschäftsführerin der Weltbank, Kristalina Georgieva, hat diese Woche die Globale Kommission für Anpassung an den Klimawandel ihre Arbeit aufgenommen. Die Kommission ist ein dringend notwendiger Schritt seitens der Politik, Antworten auf die zunehmenden negativen Folgen des Klimawandels zu finden. Jüngst diesen Monat verwies der Weltklimarat in seinem neusten Bericht auf die dramatischen Folgen einer Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius. Der Appel der Wissenschaftler zeigt eindringlich, dass umfassendes und schnelles Handeln auf allen Ebenen notwendig ist.
Die Globale Kommission für Anpassung hat sich zum Ziel gesetzt, die dafür notwendige Unterstützung zu generieren und dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die Kommission wird hierfür einen Bericht zum Klimagipfel des UN Generalsekretärs im September 2019 vorlegen und Umsetzungsempfehlungen geben, die mit Partnern in Politik, Forschung, der Privatwirtschaft sowie Zivilgesellschaft umgesetzt werden sollen. Deutschland ist Gründungsmitglied des Gremiums und wird durch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller vertreten.
Die Auftaktveranstaltung in Den Haag am vergangen Dienstag hat gezeigt, dass die Vorstellungen über inhaltliche Prioritäten noch breit gestreut sind. Das Thema Anpassung an den Klimawandel ist so komplex wie das der nachhaltigen Entwicklung. Hier die richtigen Akzente und Schwerpunkte zu setzen ist schwierig, aber notwendig. Die Amtszeit der Kommission endet bereits 2020.
Ein erster Gliederungsentwurf für den Kommissionsbericht legt den Fokus auf vier Schwerpunkte: Ernährungssicherung und ländliche Lebensgrundlagen; Industrie und Lieferketten sowie die Rolle natürlicher Lebensgrundlagen und Ökosysteme. Die Mobilisierung von Finanzen und klimaresilienten Investitionen, unter anderem durch die Einbeziehung der Privatwirtschaft, soll die Umsetzung vorantreiben und wird als weiteres Kernthema vorgeschlagen.
Die Definition von Schwerpunkten und Handlungsempfehlungen bleibt Aufgabe der Kommission. Vier zentrale Kriterien, sollte die Kommission bei ihrer Wahl berücksichtigen. Erstens, die Kommission sollte sich den Bereichen widmen, die für den Erhalt der Lebensgrundlagen und menschliche Grundbedürfnisse essentiell sind. Die für den Bericht bisher vorgeschlagenen Schwerpunkte sind diesbezüglich gut gewählt und sind mit dem ländlichen Raum und Städten umfassend. Nicht genannt werden bisher allerdings die zentralen Bereiche Wasserverfügbarkeit und der Erhalt der Gesundheit.
Zweitens, die Kommission sollte möglichst viele Akteure mobilisieren und in die Lage versetzen, selber aktiv zu werden. Der Vorschlag, hier die Bereitstellung von Finanzen und die Mobilisierung von Investitionen in den Mittelpunkt zu stellen ist richtig. Klimaanpassung ist bisher unterfinanziert und die Bedeutung von Klimarisiken für Investoren und Finanzmärkte wird noch nicht ausreichend thematisiert.
Zwei wichtige Handlungsansätze fehlen hier allerdings. Zum einen muss der Zugang zu Finanzen für nichtstaatliche Akteure wie Städte oder Bauern sowie für kleine, nicht teure Maßnahmen verbessert werden. Hierfür Gelder über bestehende Systeme oder innovative Ansätze bereitzustellen ist Voraussetzung, um zentrale sub-nationale Akteure zu mobilisieren und zu unterstützen.
Zum anderen fehlt es vielen Akteuren und Ländern an Wetter- und Klimadaten sowie Analysekapazitäten, Anpassungsprozesse zu definieren. Dies ist zentral für erfolgreiche Anpassungsprozesse und unterscheidet diese von herkömmlichen Entwicklungsprozessen. Müssten Wetter- und Klimadaten nicht als globales öffentliches Gut gelten und kostenlos zur Verfügung gestellt werden? Und wie können wir Analysekapazitäten effizient und gemeinsam fördern?
Drittens, erfolgreiche Klimaanpassungspolitik zielt auf die Vermeidung zukünftiger und zusätzlicher Risiken. Dies darf aber nicht auf die Überprüfung von Klimarisiken bei zu tätigenden Investitionen beschränkt bleiben, sondern muss mögliche negative Folgen von Klimaschutzinvestition einschließen. Prominent sind hier Zielkonflikte beim Bau von Staudämmen. Umgekehrt ist der Anstieg von Klimaschutzinvestition aber auch eine Chance, Synergieeffekte für Anpassungskapazitäten zu erzielen. Unter der UN Klimarahmenkonvention sind sowohl die Förderung von Synergieeffekten wie auch das Risikomanagement bisher unzureichend.
Viertens, die Kommission sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip handeln und die Themen herausgreifen, die der globalen Kooperation bedürfen, wie zum Beispiel Versicherungen und Risikotransfersysteme. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat hier mit der InsuResilience Global Partnership und der jetzt bei der Weltbanktagung in Bali vorgestellten Global Risk Financing Initiative (GRIF) wichtige Initiativen mit angestoßen. Diese sind auch mit Blick auf die Absicherung globaler Lieferketten und Handelsströme wichtig. Mit zunehmenden Risiken durch den Klimawandel steigt auch deren Abhängigkeit von einer guten nationalen Anpassungsplanung der jeweils anderen Länder.
Über die Prioritäten darf und soll gestritten werden! Die Liste drängender Aufgaben ließe sich schnell erweitern und deutet auf den Handlungsbedarf, der sich aufgestaut hat. Mit Blick auf die steigenden Risiken des Klimawandels kann man der Kommission nur viel Erfolg wünschen und hoffen, dass viele den Weckruf hören.
lun, 15/10/2018 - 00:01
Bonn, 15.10.2018. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller hat angekündigt, die Zahl der Partnerländer zu reduzieren: „Wir können nicht das Geld nach dem Gießkannensystem in 85 Ländern der Welt ausgeben“, sagte er vor wenigen Wochen im Deutschen Bundestag. Diese Absicht ist sinnvoll. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist in vielerlei Hinsicht zu zersplittert: Die Vielzahl an Partnerländern, die Vielzahl an Schwerpunkten, die Zahl an beteiligten Akteuren und die nachlassende Dynamik gebergemeinschaftliche Ansätze (z.B. Budgethilfen) zu nutzen, haben dazu geführt, dass Fragmentierung eines der Kernprobleme nicht nur deutscher, sondern vieler EZ-Geber ist.
Gleichwohl ist ein „Eindampfen“ der Länderliste keine leichte Aufgabe. Der Wunsch, die Zahl der Partnerländer deutscher EZ zu begrenzen, ist dabei nicht neu. „Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) will nicht mehr ‚Gießkannenentwicklungshilfe‘ betreiben, sondern gezielt helfen“, hieß es bereits in einem Zeitungskommentar von vor fast 50 Jahren. Für die (west-) deutsche Außenpolitik war immer ein breites Netzwerk an Staaten wichtig. So können Anliegen – angefangen von der Aufnahme beider deutscher Staaten in die UN (1973) bis hin zur jüngsten Wahl als (nichtständiges) UN-Sicherheitsratsmitglied – durch gute Kooperationsbeziehungen mit möglichst vielen Staaten befördert werden; hier spielte EZ häufig eine unterstützende Rolle. Hinzu kommt, dass jede Leitung des BMZ ein eigenes Profil schaffen möchte – hierbei erscheint die Aufnahme oder Intensivierung entwicklungspolitischer Beziehungen mit einem bestimmten Land vielfach als ein probates Vorgehen. Im Ergebnis wird die Liste der Kooperationsländer dann oft länger.
Verschiedene weitere Aspekte sind für die Überarbeitung der Länderliste von Bedeutung. Die Art und Weise, wie Mittel des BMZ eingesetzt werden, ist in den letzten Jahren komplexer geworden. Die Frage nach der Verteilung der Haushaltsmittel auf Partnerländer bleibt von zentraler Bedeutung. Allerdings werden auch in Deutschland thematische Budgets – nicht zuletzt über die Sonderinitiativen des BMZ - wichtiger. Dabei wird zunächst der inhaltliche Schwerpunkt festgelegt, dann erst werden die Partner (Länder, Regionalorganisationen etc.) identifiziert, in beziehungsweise mit denen diese Mittel eingesetzt werden.
Der Anteil des BMZ an den deutschen EZ-Gesamtleistungen nimmt ab, da andere Ministerien zunehmend entwicklungspolitisch aktiv sind und Leistungen jenseits der Haushaltsmittel des BMZ relevant sind. Für die vergangenen Jahre spielten die Aufwendungen für in Deutschland aufgenommene Flüchtlingen, der Einsatz von Marktmitteln in der Finanziellen Zusammenarbeit und die wachsenden EZ-Leistungen anderer Ministerien wesentliche Rollen. 2016 führten daher China, Syrien und Indien die deutsche Liste der Hauptempfänger an. Im Ergebnis hat das BMZ nur einen begrenzten Einfluss auf die Hauptempfänger deutscher EZ-Gesamtleistungen.
Eine deutliche Konsolidierung der Liste der deutschen EZ-Partnerländer ist daher einerseits zu begrüßen, andererseits jedoch kein leichtes Unterfangen. Folgende Anhaltspunkte sollten bei der Überarbeitung herangezogen werden:
Insgesamt sollte die Liste noch stärker als in der Vergangenheit Kriterien-basiert sein. Der Aspekt der „Bedürftigkeit“ (im Sinne von Einkommensgruppe oder des Indexes menschlicher Entwicklung) sollte hohe Priorität haben. Bislang erfüllt Deutschland nicht das UN-Ziel, mindestens 0,15% des Bruttoinlandsproduktes für die am wenigsten entwickelten Länder bereitzustellen. Eine neue Länderliste sollte die Erreichung dieses Zieles vorsehen.
Das vom BMZ entwickelte Konzept der „Reformpartnerschaften“ sollte integraler Bestandteil einer Länderliste sein; hier kommt der Aspekt zum Tragen, dass leistungs- und entwicklungsorientierte Partner besondere Unterstützung erhalten sollten nach dem Grundsatz "Fördern und Fordern".
Die Kooperation mit Gestaltungsmächten wie China und Indien bleibt ein wichtiger Ansatzpunkt, da Länder dieser Gruppe selbst weiterhin enorme Entwicklungsherausforderungen aufweisen und zugleich für die Umsetzung von globalen Entwicklungserfolgen in anderen Regionen eine zentrale Rolle spielen. Die Art der Kooperation sollte sich zu anderen Partnerländern unterscheiden, aber eine grundsätzliche Beendigung der EZ mit diesen Ländern ist nicht sinnvoll.
Zunehmend ist es wichtig, EZ-Mittel nicht primär für einzelne Partnerländer, sondern im Sinne globaler öffentlicher Güter beziehungsweise einzelner Nachhaltigkeitsziele (SDGs) vorzusehen. Hier ist es wichtig, dass thematische und auf Länder bezogene Programmierungsverfahren (Regierungsverhandlungen etc.) eng aufeinander bezogen sind.
EZ kann in fragilen Kontexten oft relevante Beiträge leisten. Geber wie die Weltbank oder Großbritannien haben eigene thematische Budgetlinien für fragile Staaten. Auch das BMZ könnte den Weg beschreiten, gesonderte Mittel für die Unterstützung besonders fragiler beziehungsweise konfliktbetroffener Staaten auszuweisen.
Die Überarbeitung der Länderliste bietet einen guten Einstieg, um im Ressortkreis eine engere Abstimmung deutscher EZ-Leistungen zu beraten; das BMZ sollte hier noch stärker koordinierend tätig werden.
Schließlich sollte die Länderliste des BMZ eng im Geberkreis abgestimmt sein, damit Probleme wie die „Überförderung“ (aid darlings) und „Unterförderung“ (aid orphans) vermieden werden. Insbesondere im Kreis der Europäischen Union und vor allem mit Frankreich sollte eine enge Arbeitsteilung angestrebt werden.
lun, 08/10/2018 - 11:00
Bonn, 08.10.2018. Ende dieser Woche findet in Berlin der World Health Summit (WHS) statt, ein weltweit wichtiges Forum im Bereich globaler Gesundheit. Unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel, Emmanuel Macron und Jean-Claude Juncker werden zentrale Akteure aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft diesbezüglich drängende weltweite Herausforderungen diskutieren.
In den vergangenen Jahren ist Deutschland zu einem sichtbaren Akteur im Bereich globaler Gesundheitspolitik geworden. Die deutsche Regierung hat auf oberster Ebene entsprechende Gelegenheiten (z.B. G7, G20) genutzt, dieses Thema weiter voranzubringen. Ob sich die USA und Großbritannien weiter im bisherigen Umfang engagieren, ist unsicher. Deshalb ist Deutschland zusammen mit anderen Staaten gefordert, den bisherigen Einsatz zu verstärken.
Verstehen
Gegenwärtig wird die bestehende globale Gesundheitsstrategie der Bundesregierung von 2013 neu ausgerichtet. Anfang Juni startete ein Konsultationsprozess mit nichtstaatlichen Akteuren. Die Neuausrichtung ist notwendig, da sich mit der Verabschiedung der Agenda 2030 durch die Vereinten Nationen die Rahmenbedingungen verändert haben. Die bisherige Strategie vernachlässigt u.a. Folgen des Klimawandels und Digitalisierung. Im weiteren Prozess muss Gesundheit in allen Dimensionen und Facetten global verstanden und gedacht werden. Die Bundesregierung sollte die Agenda 2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen konsequent der globalen Gesundheitsstrategie zu Grunde legen. Diese stellen weltweit, regional sowie national zentrale Bezugsebenen dar, die entweder explizit oder implizit mit Gesundheit in Verbindung stehen. Die Ziele weisen einerseits auf Handlungsbedarf hin, verdeutlichen aber auch Konflikte zwischen Zielen. Letztere müssen in der Strategieausrichtung benannt und adressiert werden. Nur so wird eine höchst mögliche Hebel- und damit Gesamtwirkung erreicht. Durch die Nutzung der Entwicklungsziele als Rahmen und als Instrument ist es möglich, Grundprinzipien, alte und neue Schwerpunkte bis hin zu konkreten Maßnahmen konsistent aufeinander abzustimmen und bekannte und neue Akteure angemessen einzubinden. Leitideen und Schwerpunkte sollten auch auf dem Potential der deutschen Volkswirtschaft und bisherigen Erfahrungen aufbauen, Lehren z.B. aus der Ebolafieber-Epidemie 2014 umsetzen, sowie Schwächen des Strategiepapiers von 2013, wie etwa die zu enge Adressierung von Themen, überwinden. Zudem ist ein Überprüfungsmechanismus notwendig.
Denken
Globale Gesundheitspolitik erfordert die Überwindung bestehender Systemgrenzen und die Verbesserung globaler Kohärenz: Die globale Gesundheitsarchitektur ist bekannt für ihre Vielzahl an Akteuren; gleiches gilt für den globalen Gesundheitsmarkt. Die neue strategische Themensetzung setzt die Weichen, wie staatliche Mittel zukünftig verteilt und wie die Interessen von Unternehmensbrachen und Zivilgesellschaft aber auch anderen Ländern berücksichtigt werden. Internationale Organisationen sind für diese Regelung und Koordinierung zentral. Deshalb muss die Weltgesundheitsorganisation in ihrer normsetzenden und handlungsweisenden Funktion gestärkt und adäquat finanziert werden.
Auf nationaler Ebene muss die Kohärenz zwischen den verbundenen Politikfeldern sowie die Beteiligung relevanter Ministerien verbessert werden. Dafür sind eine Internationalisierung und ein verstärktes Engagement aller relevanten, auch nicht traditionellen Akteure im Themenfeld globaler Gesundheit notwendig. Dazu zählen z. B. auch das Umwelt- und Verteidigungsministerium. Gleichzeitig muss die nationale Gesundheitspolitik noch stärker mit der globalen Gesundheitspolitik verzahnt werden. Die Neuausrichtung der Strategie muss auch eine Eintrittstür für eine fehlende und zu entwickelnde Public-Health-Strategie bieten, die sich auch an der Agenda 2030 orientiert.
Handeln
Ein globales Verständnis bedeutet auch, alle relevanten Akteure in den gesamten Prozess der Strategieweiterentwicklung und darüber hinaus umfassend und kontinuierlich einzubinden. Die Bundesregierung muss bestehende Anreizmechanismen und regulierende Instrumente wie z.B. Multi-Akteur-Partnerschaften mit Unternehmen, weiterentwickeln und nutzen, ohne das Menschenrecht auf Gesundheit einzuschränken. Letzteres darf dabei kein Lippenbekenntnis, sondern muss grundlegend für jedes Handeln sein. Über einen regelmäßigen Austausch, auch mit internationalen Akteuren, können nichtstaatliche Akteure noch besser eingebunden werden. Die Schnittstellen der Entwicklungsziele (etwa zwischen Gesundheit und menschenwürdiger Arbeit, Gesundheit und Klimawandel) bieten geeignete Anknüpfungspunkte. Viele der erforderlichen Punkte wurden bereits im Koalitionsvertrag thematisiert.
Sicherlich kann Deutschland die erforderlichen Maßnahmen nicht alleine stemmen. Aber Deutschland verfügt über ein enormes Potential, das mit Blick auf globale Gesundheit bei weitem nicht voll genutzt ist. Dazu zählen Erfahrungen aus dem deutschen Gesundheitswesen, (finanzielle) Ressourcen, die Einbindung der deutschen Wirtschaft und die strategische Besetzung von Positionen in internationalen Organisationen.
Paul Marschall ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programm „Inter- und transnationale Zusammenarbeit“ am DIE.
Maike Voss leitet das Projekt „Globale Gesundheit: Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten zur Erreichung der gesundheitsbezogenen SDGs für die deutsche globale Gesundheits- und Entwicklungspolitik“ an der Stiftung Wissenschaft und Politik.
lun, 01/10/2018 - 09:12
Bonn, 01.10.2018. Der Global Climate Action Summit 2018 ist wahrscheinlich der bedeutendste Klimagipfel in der Geschichte, der sich ausschließlich auf Unternehmen, die Zivilgesellschaft und lokale Akteure konzentriert hat. Er fand vom 12. bis zum 14. September in San Francisco statt, und die Wahl dieses Veranstaltungsortes war kein reiner Zufall. Da im Hinblick auf den Klimaschutz Impulse aus Washington derzeit gänzlich fehlen, sind der Bundesstaat Kalifornien und sein Gouverneur Jerry Brown selbst aktiv geworden und haben Klimaaktivisten der unterschiedlichsten Art mobilisiert. In den Tagen vor der Konferenz hat Brown eine Reihe von Dekreten unterzeichnet, die darauf abzielen, die Stromerzeugung und die gesamte Wirtschaft in Kalifornien bis 2045 zu dekarbonisieren. Ein ehrgeiziges Ziel für einen US-Bundesstaat, der für sich allein als fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt betrachtet werden könnte. Das Ausmaß des Ehrgeizes, den Kalifornien nun unter Beweis stellt, hat selbst Umweltschützer überrascht, die einen solchen Schritt keinesfalls von einem Bundesstaat erwartet hätten, der selbst fossile Brennstoffe in erheblicher Menge produziert – und von einem Gouverneur, der während seiner Amtszeit tausende von Genehmigungen für die Förderung von Öl und Gas erteilt hat.
Auf globaler Ebene ist es jedoch schon lange keine Seltenheit mehr, dass lokale und nicht staatliche Klimaschützer die Führung übernehmen. Die Anzahl der Zusagen – zum Beispiel zur Reduktion von Klima schädigenden Treibhausgasemissionen oder zur Anpassung an Klimaveränderungen – steigt stetig, und zwar sowohl hinsichtlich ihres Umfangs als auch ihrer Reichweite. Die UNO verzeichnet derzeit tausende von Initiativen von Unternehmen aller Größenordnungen und aus allen Branchen. Städte übernehmen in großer Zahl vor Ort die Führung, und das gilt sowohl für Entwicklungsländer als auch für Industriestaaten. Zivilgesellschaftliche Organisationen gehen vermehrt zu zweigleisigen Strategien über: Auf der einen Seite treten sie leidenschaftlich für den Klimaschutz ein und kritisieren Praktiken, die nicht nachhaltig sind, und auf der anderen Seite bauen sie starke Partnerschaften mit gewillten Führungskräften aus der Wirtschaft und den örtlichen Kommunen auf, um greifbare Fortschritte zu erzielen.
In einer seltenen Flut von positiven Klimanachrichten wiesen unzählige Berichte, die vor und während des Gipfels veröffentlicht wurden, auf den außergewöhnlichen Umfang und auf das Vermeidungspotenzial für unterschiedlichste Bereiche hin. Ermöglicht wird dies durch die Initiativen von verschiedenen Akteuren auf der ganzen Welt. Zum Beispiel berichtete „America’s Pledge” – eine gemeinsame Initiative von nicht staatlichen und subnationalen Klimaakteuren, die in den USA ansässig sind –, dass bei einer vollständigen Umsetzung der geplanten Aktivitäten das für 2025 gesetzte Klimaziel der USA in greifbare Nähe rücken könnte – und dies trotz des Rückzugmanövers der US-Regierung. Ein anderer Bericht schätzt, dass die gemeinsamen Aktionen von nicht staatlichen und subnationalen Initiativen, wie zum Beispiel Under2Coalition, RE100, C40 und Covenant of Mayors, bis 2030 die Emissionen global um ungefähr ein Drittel senken könnten.
Während die Aufmerksamkeit sich meist auf das hohe Potenzial von nicht staatlichen und subnationalen Aktionen konzentrierte, wurde weniger über deren Effizienz gesprochen. Die neuesten Forschungen im Rahmen des Projekts ClimateSouth, einer Kooperation zwischen dem DIE, der Blavatnik School of Government an der Oxford University, dem The Energy and Resources Institute (TERI) und dem African Centre for Technology Studies (ACTS) zeigen, dass gemeinsame Aktionen von nicht staatlichen und lokalen Akteuren zunehmend ihre Ziele erreichen. Den Ergebnissen von ClimateSouth zufolge hat sich die Leistungsfähigkeit – definiert als das Erreichen von Ergebnissen die sich die Initiativen jeweils gesetzt haben – zwischen 2013 und 2017 deutlich verbessert. Ermutigend ist, dass ein wachsender Anteil der Vorteile aus nicht staatlichen und subnationalen Klimaschutzmaßnahmen Entwicklungs- und Schwellenländern zugutekommt, wo in Zukunft mit der stärksten Zunahme von Emissionen zu rechnen ist, und wo gefährdete Kommunen schon jetzt die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen. Der Bericht wies auch darauf hin, dass diese Aktivitäten darüber hinaus oft in vielfacher Hinsicht eine nachhaltige Entwicklung fördern.
Obwohl der Global Climate Action Summit eine Bühne bot, um die vielfältigen Initiativen der zahlreichen unterschiedlichen Akteure lobend hervorzuheben, bleibt kein Raum für Selbstgefälligkeit. Die eigentliche Frage lautet: Was wird nach dem Gipfel passieren? Obwohl nicht staatliche und subnationale Aktionen dabei helfen können, die Versprechen einzelner Staaten im Hinblick auf die Bekämpfung des Klimawandels einzulösen, muss viel mehr getan werden, da die derzeitigen Zusagen bei Weitem nicht ausreichen, die im Pariser Abkommen verankerte Vision einer kohlenstoffarmen und nachhaltigen Zukunft zu verwirklichen. Und darüber hinaus sind nationale Regierungen keineswegs aus dem Schneider, weil nicht staatliche und subnationale Institutionen sich zunehmend engagieren. Stattdessen sollten staatliche Instanzen dieses Engagement zum Anlass nehmen, ihre eigenen Maßnahmen zu überdenken und ihre Klimaziele nach oben anzupassen. Nur dann wird es möglich sein, die globale Erwärmung noch rechtzeitig in den Griff zu bekommen und der nachhaltigen Entwicklung eine Chance zu geben.
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