Vous êtes ici

SWP

S'abonner à flux SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Mis à jour : il y a 9 heures 16 min

“One Health” and Global Health Governance

jeu, 27/07/2023 - 02:00

The “One Health” approach has found its way into political processes at various levels. The reason for this is the increased occurrence of zoonoses, i.e. infectious diseases that can be reciprocally transmitted between animals and humans. One Health is located at the intersection of human, animal, and ecosystem health on the one hand and calls for trans-sectoral solutions on the other. Numerous substantive issues beleaguer the practical design of the One Health approach as well as its im­plementation by the World Health Organization (WHO), regional institutions, and states. One Health is currently being addressed in three contexts in particular: in the negotiations on the pandemic treaty, in the EU’s Global Health Strategy, and in the German government’s strategy on global health.

Abschaffung der »Angemessenheit« in Israel: Ein erster Schritt zur Aufhebung der richterlichen Kontrolle

mer, 26/07/2023 - 09:09

Die israelische Regierung hat im Rahmen der umstrittenen Justizreform ein Gesetz verabschiedet, das dem Obersten Gericht künftig untersagt, Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister auf ihre »Angemessenheit« hin zu überprüfen. Dies ist ein erster Schritt in einem umfassenderen Versuch, die Kontrollfunktion der Justiz gegenüber Regierung und Parlament sukzessive abzuschaffen. 

Anders als in Deutschland ist die Überprüfung der Angemessenheit von Regierungs- und Verwaltungshandeln nicht gesetzlich verankert. Vielmehr hat sich dieser Mechanismus durch die Rechtsprechung der Gerichte selbst herausgebildet, wie es in für Common-Law-Traditionen wie Israel üblich ist.  

Einschränkung mit weitreichenden Folgen

Die Angemessenheitsprüfung bezieht sich nicht auf konkrete Gesetzesverstöße, sondern darauf, ob alle entscheidungsrelevanten Faktoren berücksichtigt und im Sinne einer Güterabwägung angemessen gewichtet wurden: Dazu zählen die Abwägung von Rechtsnormen, Individual- und Menschenrechten, aber auch Fragen des Gemeinwohls und des öffentlichen Interesses. Dabei erkennt diese Prüfung an, dass es eine Bandbreite unterschiedlicher legitimer Meinungen geben kann, und das Gericht interveniert nur, wenn es eine Entscheidung für »extrem unangemessen« hält. 

Diese Prüfung kann sich auf sehr unterschiedliche Sachverhalte beziehen. So hat das Gericht beispielsweise die Regierung verpflichtet, alle Klassenzimmer einer von Raketenbeschuss bedrohten Schule raketensicher zu machen und nicht nur einige wenige aus finanziellen Gründen. In anderen Fällen hob es die Entscheidung eines ultraorthodoxen Ministers auf, der den Bau eines Fußballstadions in Jerusalem blockierte, wohl weil seine Wählerinnen und Wähler dies ablehnten. Auch die wiederholte Entscheidung verschiedener Verteidigungsminister, eine gemeinsame israelisch-palästinensische Veranstaltung an einem israelischen Gedenktag aus Sicherheitsgründen zu untersagen, wurde vom Gericht wiederholt als unangemessen aufgehoben.

Die Angemessenheitsprüfung erstreckt sich aber noch auf einen weiteren Bereich, nämlich auf Personalentscheidungen der Exekutive. In der Vergangenheit hat der Gerichtshof wiederholt Ernennungen von Amtsträgern für ungültig erklärt, wenn diese in laufende Korruptionsverfahren verwickelt waren, bereits verurteilt worden waren oder Disziplinarstrafen wegen gravierender Verstöße erhalten hatten, die sie aus Sicht des Gerichts für entsprechende Ämter disqualifizierten. Dies reichte bis auf die Ministerebene, wo das Gericht verschiedentlich ernannte Minister wegen laufender Verfahren oder Verurteilungen ausschloss, etwa mehrfach den Vorsitzenden der ultraorthodoxen Schass-Partei, Arye Deri, wegen unterschiedlicher Korruptionsvergehen.

In Israel gab es durchaus Diskussionen, ob der Angemessenheitsstandard nicht zu weit gefasst sei, insbesondere in Bezug auf die Anwendung auf Ernennung von Ministern. Kritiker führten an, dass dies einen zu großen Eingriff in die Kompetenzen der Regierung darstelle. Befürworter argumentieren dagegen, dass dies notwendig sei, weil in Israel Korruption von Politikern kaum von den Wählern bestraft werde und das Gericht als Korrektiv fungieren müsse.

Eine illiberale Wende

Dass der Versuch, die Angemessenheit gänzlich abzuschaffen, weit über das Ziel hinausschießt, darüber sind sich allerdings auch die meisten Kritiker einig. Denn die Angemessenheit ist zwar nicht die einzige, aber die wichtigste Rechtsnorm zur Kontrolle der Exekutive. Es bestehe die Gefahr, so etwa der konservative Rechtswissenschaftler Yoav Dotan, dass Regierungen weitgehend willkürliche Entscheidungen treffen könnten, deren Rechtmäßigkeit dann viel schwerer zu überprüfen wäre, etwa durch reine Klientelpolitik.

Hinzu kommt noch ein wichtiger Aspekt, der insbesondere bei dieser Regierung eine zentrale Rolle spielt: Auch wenn hier juristisches Neuland betreten, wird, so wird es nach Einschätzung vieler Expertinnen und Experten durch die Abschaffung des Angemessenheitskriteriums wesentlich einfacher sein, führende Staatsangestellte zu entlassen. Dazu gehören unter anderem die Generalstaatsanwältin, der Polizeichef oder der Oberbefehlshaber der israelischen Streitkräfte.

Mitglieder der Regierungskoalition haben bereits angekündigt, die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara nach der Aufhebung der Angemessenheit zu entlassen. Aber auch in anderen Positionen ist die aktuelle Regierung umstritten. So beschwerte sich der als rechtsextrem geltende Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, wiederholt darüber, dass die Polizei seinen Anweisungen zu härterem Durchgreifen nicht ausreichend nachkomme und kritisierte insbesondere Beamte in Führungspositionen. Die Liste ließe sich auf fast alle Bereiche der Exekutive ausdehnen, die in der einen oder anderen Form Ergebnisse hervorbrachten, die den Wünschen der Regierung nicht entsprachen, selbst wenn sie auf professionellen Standards fußten. Neben der Justiz, dem Militär und der Polizei gehörten dazu auch die Bank of Israel, das zentrale Statistikbüro, der öffentliche Rundfunk und sogar die Nationalbibliothek.

Selbst wenn die Regierung nicht so weit gehen sollte, leitende Beamte in unterschiedlichen Funktionen zu entlassen, schwebt über ihnen immer die Drohung, dass die Regierung es tun könnte. Diese Möglichkeit allein untergräbt bereits die Unabhängigkeit staatlicher Institutionen, die fachlich fundierte Entscheidungen in Sachfragen treffen müssen und nicht allein den parteipolitischen Präferenzen von Regierungsmitgliedern folgen sollten.

In all dem zeigt sich der majoritäre Charakter der Regierung: Nur Mehrheiten sollen gelten, Einschränkungen seien undemokratisch. Die Abschaffung der Rechtsnorm der Angemessenheit war ein erster Schritt, in liberalen Demokratien übliche Kontrollfunktionen der Regierung durch die Justiz abzuschaffen. Die Abschaffung oder starke Einschränkung weiterer richterlicher Kontrollfunktionen, etwa der Normenkontrolle von Gesetzen, wurden bereits angekündigt.

Krise in Bosnien-Herzegowina: Jahrelanger Machtkampf spitzt sich zu

mar, 25/07/2023 - 14:04

Seit Jahren schürt der Präsident der Republika Srpska (RS), Milorad Dodik, ethnische Spannungen und treibt seine Sezessionsbestrebungen voran. Die Ende Juni in der RS verabschiedeten Gesetze sind jedoch einer der schwersten Verstöße gegen das Friedensabkommen von Dayton und die Verfassung von Bosnien-Herzegowina seit 1995. Auf Dodiks Betreiben hin beschloss das Parlament der RS, die Entscheidungen des Verfassungsgerichts von Bosnien-Herzegowina nicht anzuerkennen und die Vorgaben des Hohen Repräsentanten (HR) für Bosnien-Herzegowina, Christian Schmidt, zu umgehen. Schmidt kann mit seinen Bonner Befugnissen verfassungsgefährdende Entscheidungen aufheben. Davon machte er auch Gebrauch: Er erklärte die Beschlüsse des Parlaments der RS für ungültig und drohte mit Strafen. Dodik erklärte seinerseits die Entscheidungen des HR für rechtswidrig – und stellt damit die EU vor ein ernsthaftes Problem.

Die RS ist eine der beiden Entitäten von Bosnien-Herzegowina, wird mehrheitlich von Serben bewohnt und von Milorad Dodik regiert. Mit seinem Streben nach Wiedervereinigung mit Serbien fährt er der serbischen Regierung oft in die Parade, vor allem jetzt, wo Serbien sich als ein konstruktiver Akteur im Dialog mit Kosovo inszenieren möchte.

Zunächst einmal ist dieser jüngste Versuch Dodiks, Wege zur Abspaltung zu suchen, nicht neu. Seit Juli 2021 boykottieren Vertreter der RS ​​die Arbeit der Institutionen Bosnien-Herzegowinas, nachdem der ehemalige HR Valentin Inzko Gesetzesänderungen durchgesetzt hatte, die die Genozidleugnung verbieten. Ende 2021 kündigte Dodik den Rückzug der RS aus der gemeinsamen Armee, der obersten Justiz und der Steuerverwaltung von Bosnien-Herzegowina an. Diese Pläne wurden dann als Reaktion auf die russische Invasion auf die Ukraine auf Eis gelegt, um zu verhindern, dass »die politische Lage der RS unter komplexen geopolitischen Umständen noch komplizierter wird«, so Dodik.

 

Warum die Lage in der RS ernst genommen werden sollte

Die Umstände, unter denen Dodik seine Entscheidungen getroffen hat, unterscheiden sich jedoch von denen früherer Krisen. Die EU sollte die gegenwärtige Krise in Bosnien-Herzegowina daher ernster nehmen, auch wenn sie nur eine Fortsetzung der jahrelangen Separationsbestrebungen der RS ist. Was ist also anders?

An erster Stelle ist Russlands Krieg gegen die Ukraine zu nennen, dessen Verlauf und Folgen die Entscheidungen in der RS beeinflussen. Dodik selbst hat bereits Parallelen zwischen dem Krieg und den Entscheidungen der RS gezogen. Je länger der Krieg in der Ukraine andauert und je weiter Russland voranschreitet, desto intensiver wird Dodik versuchen, die Grenzen des Westens gegenüber seiner separatistischen Politik auszutesten. Methoden wie die Bonner Befugnisse oder US-Sanktionen gegen Dodik wegen Untergrabung der Staatsordnung von Bosnien-Herzegowina haben sich bisher als ineffektiv erwiesen. Mit seinen jüngsten Entscheidungen hat Dodik den HR de facto aus der RS verwiesen. Da die Polizei den Entitäten untersteht, hat der HR auch keine Möglichkeit, seine Entscheidungen in der RS durchzusetzen. Das EU-Parlament hat den Rat kürzlich aufgefordert, EU-Sanktionen gegen Dodik zu verhängen. Diese könnten wirksamer als US-Sanktionen sein, da Bosnien-Herzegowina (sicherheits-)politisch und wirtschaftlich viel enger mit der EU verbunden ist als mit den USA. Entscheidend wird jedoch sein, wie effektiv sich der Westen der russischen Aggression in der Ukraine entgegensetzen kann. Wenn vor allem die EU beweisen kann, dass sie in der Lage ist, einheitliche, koordinierte und vor allem zügige sicherheitspolitische Entscheidungen zu treffen, dann wird Dodik mehr Angst vor möglichen Konsequenzen haben als jetzt. Dabei wird auch eine Rolle spielen, wie die territorialen Fragen in der Ukraine nach dem Krieg gelöst werden.

An zweiter Stelle sind die regionalen Sicherheitsdynamiken zu nennen, insbesondere die Unruhen im Nordkosovo, die im Mai 2023 in gewaltsamen Auseinandersetzungen gipfelten. Die aktuelle Situation im Nordkosovo zeigt die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der EU, eine effektive Lösung zwischen Belgrad und Pristina zu vermitteln, was Dodik weiter ermutigen könnte. Wenn die EU dort seit Jahren nur Krisenmanagement betreibt, aber nicht in der Lage ist, Belgrad und Pristina von den Vorteilen einer friedlichen Lösung zu überzeugen, wird Dodik ihr Handlungspotential als nicht allzu groß wahrnehmen. Das bedeutet: Je länger der Konflikt im Nordkosovo ungelöst bleibt, desto größer wird die Gefahr, dass er sich auf Bosnien-Herzegowina ausweitet.

 Dodik verschärft die aktuelle Situation auch deshalb, weil seine Machtposition in der RS bedroht ist. Krisen waren bisher ein bewährtes Mittel, um seine Popularität zu steigern. Die jüngsten Wahlen in der RS gewann er nur knapp gegen eine angeblich von Belgrad unterstützte Oppositionskandidatin. Schon länger wird in den politischen Debatten im Westbalkan vermutet, dass Serbiens Präsident Aleksandar Vučić unzufrieden mit Dodik ist, obwohl er ihn öffentlich unterstützt. Die separatistische Politik der RS kommt Serbien gerade nicht zugute, da Serbien selbst unter dem Druck des Westens steht, sich außen- und sicherheitspolitisch der EU anzunähern, und die Kosovo-Frage endlich zu lösen. Diese Prioritäten sind für die EU seit Februar 2022 angesichts des veränderten geopolitischen Umfelds wichtiger geworden.

 

Die EU muss sich durchsetzen

Es ist daher entscheidend, dass die EU es endlich wagt, ihre »hard power« in der RS und gegen Dodik einzusetzen. Entscheidungen des HR, die in der RS nicht durchgesetzt werden können, bleiben Makulatur. Auch wenn EU-Sanktionen im Rat an Ungarn scheitern sollten, da Ungarn gute Beziehungen zu Dodik pflegt, sollten bilaterale Sanktionen veranlasst und in der RS klar kommuniziert werden. Eine konfrontative Politik der EU gegenüber Dodik birgt natürlich das Risiko, die Lage weiter zu verschärfen und Dodik noch erratischer handeln zu lassen. Jedoch sind alle anderen bisherigen Versuche gescheitert. Das Blatt muss daher gewendet werden. Gleichzeitig muss die EU entschiedener im Kosovo-Serbien-Dialog vermitteln und eine Deeskalation der Situation im Nordkosovo sowie die vollständige Umsetzung des Normalisierungsabkommens vom Februar und März erwirken. Es muss klar gemacht werden, dass der Separatismus auf dem Balkan ein Ende hat.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

 

Alle Rechte vorbehalten

 

»Kurz gesagt« ist das Meinungsformat der SWP. Die Texte geben die Auffassung des jeweiligen Autors bzw. der Autorin wieder. Sie erscheinen in der Regel ausschließlich online: www.swp-berlin.org/publikationen/kurz-gesagt

100 Jahre Republik Türkei: Das Vermächtnis des Friedensvertrags von Lausanne

lun, 24/07/2023 - 14:45
Der Vertrag von Lausanne ist auch 100 Jahre nach seiner Unterzeichnung Gegenstand von politischen Kontroversen und Verschwörungsmythen. Was ist sein Vermächtnis und welche Rolle spielt er heute in der Innen- und Außenpolitik der Türkei? Eine Analyse von Yaşar Aydın

Paradigmenwechsel in der europäischen Cyberabwehr

jeu, 20/07/2023 - 17:00

Für EU-Staaten, die in Abstimmung mit Verbündeten eine aktive Cyberabwehr be­treiben wollen, sind die rechtlichen und politischen Befugnisse noch nicht ausreichend ausbuchstabiert worden. Im Sinne des Prinzips der Sorgfaltsverantwortung sind die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Pflicht, die normativen Grundlagen für einen Einsatz aktiver Cyberabwehrmaßnahmen festzulegen, bevor diese ergriffen werden. Eine Militarisierung des Cyber- und Informationsraums gilt es zu vermeiden.

Erdoğans Westkurs: Ein gutes Geschäft

jeu, 20/07/2023 - 14:45

Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am 10. Juli seine Zusage für den Nato-Beitritt Schwedens mit der Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verknüpfte, stieß seine Forderung vielerorts auf Skepsis und Kritik. Viele befürchteten eine weitere Belastung der Nato- und EU-Türkei-Beziehungen. Bernd Lange, Vorsitzender des EU-Handelsausschusses, bezeichnete Erdoğans Vorstoß als »blanke politische Erpressung«.

Noch am selben Abend kam es aber zum Durchbruch – und auf dem Nato-Gipfel tags darauf ließ der türkische Präsident sein Veto gegen den Beitritt Schwedens zum transatlantischen Militärbündnis fallen. Für Aufsehen hatte er bereits Anfang Juli gesorgt, als er sich nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine aussprach. Zudem sagte Erdoğan der ukrainischen Armee weitere Drohnen und Panzerhaubitzen zu und erteilte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine weitere Abfuhr, indem er die Offiziere des Asow-Regiments in die Ukraine ausfliegen ließ. Nach einer Vereinbarung zwischen Kiew und Moskau sollten diese bis zum Kriegsende in der Türkei bleiben.

Kehrtwende aus wirtschaftlichen Zwängen

Zu den Motiven für Erdoğans Westkurs gehören Pragmatismus, Finanzhilfen und sicherheitspolitische Zugeständnisse. Das Festhalten am Veto gegen den Nato-Beitritt Schwedens hätte zu einer gefährlichen Zuspitzung der Spannungen zwischen der Türkei und der Nato, den USA und der EU geführt. Dies hätte das Militärbündnis zersplittert und schwach erscheinen lassen. Bliebe Ankara der westlichen Anti-Russland-Front fern, wäre auch seine Position gegenüber Moskau geschwächt und sein außenpolitischer Handlungsspielraum entsprechend eingeengt. Mit der trilateralen Verständigung zwischen der Nato, der Türkei und Schweden wurden Voraussetzungen für eine konstruktive Zusammenarbeit geschaffen, Geschlossenheit nach außen demonstriert und die Glaubwürdigkeit des Militärbündnisses gewahrt.

Entscheidend war auch, dass Erdoğan der Nato, den USA und Schweden Zugeständnisse abtrotzte, die er in der Türkei als Triumph verkaufen konnte. Die schwedische Regierung will die PKK konsequenter bekämpfen und die Türkei im EU-Beitrittsprozess unterstützen, US-Präsident Joe Biden will den Weg für den Verkauf der für die türkische Luftwaffe so wichtigen F-16-Kampfflugzeuge an die Türkei ebnen. Sollten die US-Administration und die schwedische Regierung ihre Zusagen nicht einhalten, hätte das türkische Parlament die Möglichkeit, dem Nato-Beitritt Schwedens nicht zuzustimmen.

Erdoğans Einlenken war auch wirtschaftlich motiviert: Ihm geht es derzeit darum, Kapitalzuflüsse und Investitionen in die Türkei anzuregen. Der türkische Präsident steht innenpolitisch massiv unter Druck, weil dem Land eine Wirtschaftskrise droht. Eine konfrontative Haltung dem Westen gegenüber würde sich negativ auf das ohnehin ungünstige Investitionsklima auswirken. Der US-Journalist Seymour Hersh enthüllte, dass Biden Erdoğan versprochen habe, sich für einen Kredit des Internationalen Währungsfonds in Höhe von rund 13 Milliarden US-Dollar für die Türkei einzusetzen.

Zeit für Pragmatismus mit Prinzipien

Brüssel und Berlin sollten auf die Türkei zugehen. Denn so wie die Türkei die EU braucht, braucht die EU die Türkei – etwa als Partner bei der Steuerung von Migrationsbewegungen und als Vermittler gegenüber Russland im Ukraine-Krieg. Als Regionalmacht trägt die Türkei dazu bei, Russlands Einflussstreben in der Schwarzmeerregion, im östlichen Mittelmeer, auf dem Balkan und im Kaukasus einzudämmen. Gerät die Türkei in eine wirtschaftliche Schieflage, kann sie diese Aufgaben nicht mehr wahrnehmen – mit erheblichen Konsequenzen für die EU. Dies erfordert eine Kooperation, die das Land stabilisiert, ohne das autokratische Regime Erdoğans zu legitimieren.

Die EU sollte sich darüber im Klaren sein, dass Ankara einen Balanceakt gegenüber Moskau vollführen muss: Die Türkei muss den Handel, die diplomatischen Beziehungen und die strategische Zusammenarbeit mit Russland aufrechterhalten und sich gleichzeitig Russlands imperialem Revanchismus widersetzen. Denn so sehr die Türkei in ihren strategischen Zielen an den Westen gebunden ist, so sehr ist sie auf ein funktionierendes Verhältnis zu Russland angewiesen.

Die Zusammenarbeit mit der Türkei sollte zunächst auf sicherheitspolitische Fragen, Friedensdiplomatie und Wirtschaft beschränkt bleiben. Denkbar wären finanzielle Hilfen für den Wiederaufbau des Erdbebengebiets, die an die Bedingung geknüpft werden, dass etwa die Korruption im Bausektor wirksam bekämpft und die Vergabeverfahren transparent kontrolliert werden.

Gleichwohl wird es weder eine Westorientierung geben noch will Erdoğan die Türkei an die EU heranführen. Die dafür notwendige Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit würden seiner Machterhaltungsstrategie fundamental widersprechen. Zugeständnisse bei der Modernisierung der Zollunion und der Visafreiheit kämen daher einer Belohnung Erdoğans für seinen autoritären Kurs und einer Bestätigung seines autokratischen Regimes gleich.

Statt die Türkei in der Warteschleife zu halten, sollten Brüssel und Berlin auf Ankara zugehen und klar kommunizieren, dass eine demokratische Wende und ein Reformprozess unabdingbar sind, wenn die Türkei den Prozess der Zollunion vorantreiben will.

Turkey’s New Cabinet

mer, 19/07/2023 - 13:00

The inclusion of technocrats and bureaucrats in Turkey’s new cabinet has led to cau­tious optimism over a possible change in direction. While President Recep Tayyip Erdoğan’s choice of economy minister hints at a reset, the thrust of foreign policy will remain unchanged. Here Ankara will pursue a moderate and diplomatic approach while still pursuing strategic autonomy. A great deal will depend on what Erdoğan wants and how he chooses to employ foreign relations to attract better financial and economic deals. Given Turkey’s importance as a security partner, espe­cially in light of Russia’s war against Ukraine, the EU needs to develop a strategic approach on the basis of common interests and institutionalised relations.

Human Rights Dialogue with Arab States

mer, 19/07/2023 - 02:00

Germany is being met with rejection from the governments of Arab states when it calls for human rights to be respected. If those being addressed do not outright refuse to engage in dialogue, they usually rely on four patterns of argumentation to ward off corresponding demands: (1) the human rights situation in their own country is already improving, but the process still needs time, (2) concerns such as economic development and the fight against terrorism should take precedence over civil rights, (3) human rights are a Western construct and ignore the cultural characteristics of the societies being addressed, and (4) Western human rights policy is characterised by double standards. German officials should be aware of these objections and counter them proactively when they engage in dialogue on human rights. Above all, the Ger­man government should engage the accusations of cultural imperialism and double standards, not least because these beliefs are widespread among the populations of Arab countries. To counterbalance these accusations, the universal claim of human rights should be emphasised more strongly – especially in the context of a feminist foreign policy. Additionally, self-interests that potentially undermine the proclaimed values-based approach should be identified and articulated more clearly. Finally, the dialogue on human rights should be underpinned by concrete measures.

Ankaras Wirtschaftspolitik in der Zwickmühle

mar, 18/07/2023 - 16:00

In der neuen Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurde Mehmet Şimşek zum Finanzminister ernannt, während die Managerin Hafize Gaye Erkan an die Spitze der Zentralbank rückte. Beide gelten als erfahrene Experten und Vertreter einer rationalen Ökonomie. Ihre Berufung hat daher Hoffnungen geweckt, Ankara könnte künftig wieder auf eine orthodoxe Wirtschaftspolitik setzen. Doch Zweifel daran bleiben. Ohnehin wäre ein entsprechender Kurswechsel kein Freiticket aus der Wirtschaftskrise des Landes, solange er nicht durch strukturelle Reformen flankiert würde. Der Türkei drohen eine Inflationsspirale und ein Konjunktureinbruch, wodurch sie nicht nur innenpolitisch destabilisiert würde, sondern auch sicherheitspolitisch geschwächt – vor allem gegenüber Russlands Einflussstreben im regionalen Umfeld. Die Konsequenzen für die EU wären enorm. Notwendig ist daher eine wirtschafts- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit, die das Land stabilisiert, ohne das autokratische Regime Erdoğans zu legitimieren.

Destructive Ambiguity Hampers Progress in UN Climate Process

mar, 18/07/2023 - 13:02

Entrenched positions, particularly between industrialised countries and some major emerging economies, dominated negotiations at June’s UN Climate Change Conference in Bonn. Disagreements over the interpretation of “common but differentiated responsibilities” and the principle of equity hindered substantial progress. Preparations for the first Global Stocktake (GST) to ratchet up the ambition under the Paris Agreement (2015), which will conclude at the 28th Conference of the Parties (COP28) in Dubai in December, did not meet expectations. At the same time, some emerging economies, notably China, attempted to lessen the significance of the IPCC’s Sixth Assessment Report (AR6) as a common scientific basis. Should China maintain this position, it could result in negative consequences for the multilateral climate process well beyond COP28.

Die Prognose ungeregelter Wanderungen

mar, 18/07/2023 - 13:00

Die deutsche und europäische Migrationspolitik befindet sich im perma­nenten Krisenmodus. Plötzliche Anstiege ungeregelter Zuwanderung nähren ein Gefühl von Kontrollverlust, das wiederum von populistischen Kräften instrumentalisiert wird. Daher hat die Politik großes Interesse an quantitativen Migrationsprognosen. Besondere Erwartungen wecken KI-gestützte Instrumente zur Vorhersage ungeregelter Wanderungsbewegungen, wie sie zurzeit entwickelt werden. Die Anwendungsfelder dieser Instrumente sind vielfältig. Sie reichen von einer Stärkung der Aufnahmekapazitäten in der EU über die präventive Verschärfung von Grenzschutzmaßnahmen und eine bedarfsgerechte Bereitstellung von Ressourcen in humanitären Krisen bis zur längerfristigen entwicklungspolitischen Programmplanung. Allerdings besteht eine deutliche Kluft zwischen den Erwartungen an die neuen Instrumente und ihrem praktischen Mehrwert. Zum einen sind die technischen Möglichkeiten begrenzt, und mittelfristige Vorhersagen zu ungeregelten Wanderungen sind methodisch kaum möglich. Zum anderen mangelt es an Verfahren, um die Ergebnisse in politische Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Die hohe Nachfrage nach Prognosen erklärt sich aus den politischen Funktionen quantitativer Migrationsvorhersage – beispielsweise ihrem Potential für die politische Kommunikation, die Mitteleinwerbung und die Legitimierung politischer Entscheidungen. Investitionen in die Qualität der den Prognosen zugrunde liegenden Daten sind sinnvoller als die Entwicklung immer neuer Instrumente. Bei der Mittelvergabe für Prognosen sollten Anwendungen in der Nothilfe und der Entwicklungszusammenarbeit priorisiert werden. Zudem sollten die Krisenfrüherkennung und die Risikoanalyse gestärkt werden, und die beteiligten Akteure sollten sich besser vernetzen.

U.S. Arctic Security Policy

mar, 18/07/2023 - 02:00

Unlike his predecessors, US President Joe Biden made important decisions early in his term to enable better coordination of US Arctic policy. This includes foremost the National Strategy for the Arctic Region that was published later than planned as a result of Russia’s war of aggression, which destroyed the few remaining hopes for cooperation and made the Arctic a security policy issue. Alaska, as the northernmost American state, is naturally at the centre of US Arctic policy, which increasingly also must take Chinese activities into consideration. Most recently, in September 2022, the U.S. Coast Guard (USCG) detected Chinese and Russian warships off Alaska. Currently, only one US icebreaker is continuously available in the Arctic theatre with the mis­sion to protect sovereignty in the Arctic Ocean and monitor ice-covered areas. Alaska is also the very same US state that the recent Chinese spy balloon flew over, which was eventually shot down in February 2023. After decades of scant attention, is the Arctic now finally becoming the object of a more engaged US security policy?

Energiepolitik

lun, 17/07/2023 - 14:39

Pages